Der Kuss des Earls  - Die DePiaget-Serie: Band 1 - Lynn Kurland - E-Book
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Der Kuss des Earls - Die DePiaget-Serie: Band 1 E-Book

Lynn Kurland

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Beschreibung

Das Glück kann uns immer und überall finden: der romantische Zeitreiseroman »Der Kuss des Earls« von Lynn Kurland jetzt als eBook bei venusbooks. Wahre Liebe überwindet alle Grenzen … Die junge amerikanische Designerin Pippa Alexander kann ihr Glück kaum fassen, als sie für einen Auftrag nach England eingeladen wird: Ein geheimnisvoller Kunde wünscht, dass Pippa für den Ball auf Burg Sedgwick ihre märchenhafte Kleiderkollektion zur Verfügung stellt! Doch schon kurz nach ihrer Ankunft überschlagen sich die Ereignisse – Pippa muss feststellen, dass sie eine ganz besondere Bindung zu diesem Ort spürt, an dem das Mittelalter noch so lebendig scheint … und zu Montgomery de Piaget, dem Burgherrn, der so ganz anders ist als die Männer, denen sie bisher begegnet ist. Doch wird sich diese zarte Liebe je erfüllen können? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Das zauberhafte Romance-Highlight »Der Kuss des Earls« von Lynn Kurland. Lesen ist sexy: venusbooks - der erotische eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 731

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Über dieses Buch:

Wahre Liebe überwindet alle Grenzen … Die junge amerikanische Designerin Pippa Alexander kann ihr Glück kaum fassen, als sie für einen Auftrag nach England eingeladen wird: Ein geheimnisvoller Kunde wünscht, dass Pippa für den Ball auf Burg Sedgwick ihre märchenhafte Kleiderkollektion zur Verfügung stellt! Doch schon kurz nach ihrer Ankunft überschlagen sich die Ereignisse – Pippa muss feststellen, dass sie eine ganz besondere Bindung zu diesem Ort spürt, an dem das Mittelalter noch so lebendig scheint … und zu Montgomery de Piaget, dem Burgherrn, der so ganz anders ist als die Männer, denen sie bisher begegnet ist. Doch wird sich diese zarte Liebe je erfüllen können?

Über die Autorin:

Lynn Kurland ist auf Hawaii aufgewachsen und begann dort schon im Alter von fünf Jahren mit dem Schreiben. Im College entdeckte sie schließlich ihre Leidenschaft für Liebesromane und beschloss kurze Zeit später, ihre eigenen zu verfassen. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in den USA. Wenn sie nicht schreibt, spielt die ausgebildete klassische Musikerin Cello oder Klavier.

Ebenfalls bei venusbooks erschienen Lynn Kurlands Romane:»Die Leidenschaft des Highlanders«»Die Sinnlichkeit des Highlanders«»Das Feuer des Lords«

***

Aktualisierte eBook-Neuausgabe Juni 2020

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2010 unter dem Originaltitel »One Enchanted Evening« bei Berkley, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2013 unter dem Titel »Mein zauberhafter Ritter« bei Weltbild

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2010 Lynn Curland

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.

This edition published by arrangement with Berkley, an imprint of Penguin Publishing Group, a division of Penguin Random House LLC.

Copyright © der deutschen Erstausgabe © 2013 by Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg

Copyright © der aktualisierten Neuausgabe 2020 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/ESOlex, AdobeStock/Oliver Taylor und Period Imgages/Dunraven Productions

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (CG)

ISBN 978-3-95885-968-5

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Lynn Kurland

Der Kuss des Earls

Roman

Aus dem Amerikanischen von Ulrike Laszlo

venusbooks

Prolog

Artane Castle, England Herbst 1229

Montgomery de Piaget glaubte an Feen.

Er hatte gute Gründe dafür. In den vergangenen siebzehn Jahren seines Lebens hatte er so viele mysteriöse und feenhafte Dinge gesehen, die kein Mensch, der auch nur im Geringsten bei Verstand war, als Sinnestäuschung oder eine Nachwirkung von zu viel Wein zum Abendessen abtun konnte.

Hatte er nicht in der Tat im vergangenen Frühjahr seine Schwägerin Jennifer gesehen, wie sie sich bezaubernd und magisch aus dem Gras erhoben und alle mit ihrer Musik und ihrer Schönheit erfreut hatte? Und hatte er sich nicht weniger als fünfzig Schritte von dieser Stelle entfernt befunden, als er seinen Schwager Jackson durch die mit Edelsteinen geschmückten Säle hatte spazieren sehen, so als wäre er einfach durch ein Tor geschritten, das sterbliche Augen nicht wahrnehmen konnten?

Er hatte angenommen, dass er irgendwann in ferner Zukunft vergessen könnte, was er gesehen hatte, und vielleicht lernen würde, die Dinge, die ihn bei seinen Verwandten so sehr verwirrten, einfach zu ignorieren.

Aber heute war dieser Tag wohl noch nicht gekommen.

Auf dem Anwesen war nichts Außergewöhnliches zu sehen. Das letzte Gras des Sommers schien allen Tieren, die dort grasten, hervorragend zu schmecken, aber ansonsten war alles wie gewohnt. Wäre er an einem anderen Tag über dieses Stück Land geschritten, wäre ihm nichts aufgefallen.

Heute war jedoch alles anders. Das Gras trug einen magischen Glanz, und in der Luft lag ein seltsamer, wundervoller Schimmer, der nichts mit der Sonne zu tun hatte, die erst vor einer Stunde aufgegangen war. Er hätte glauben können, dass er träumte, doch sein Verstand war wach genug, um ihm zu sagen, dass das nicht der Fall war.

Und noch etwas wusste er genau.

Vor seinen Augen stand eine Fee.

Daran gab es keinen Zweifel. Sie war plötzlich aufgetaucht, befand sich keine zwanzig Schritte von ihm entfernt und starrte in die Ferne, als würde sie Dinge sehen, die ihm verborgen blieben. Ihrer Kleidung schenkte er keine große Beachtung. Sie war hübsch, aber nicht weiter von Bedeutung. Es waren ihr heller Teint und die herrlichen dunklen Locken, die ihr in dichten Wellen wie ein Wasserfall über die Schultern fielen, die seine Aufmerksamkeit erregten.

Das, und ihre Flügel.

Sie waren hauchzart und schimmernd und flatterten bei jedem ihrer Atemzüge. Er war sich bewusst, dass er sie anstarrte, aber er konnte nicht anders. In seinem ganzen Leben hatte er noch nie etwas so Entzückendes, Begehrenswertes gesehen, mit so vielen Eigenschaften, die er nicht beim Namen nennen konnte, die er aber unbedingt entdecken wollte. Ja, das war ein Wesen, das es wert war, aus den gierigen Klauen der Feenkönigin gerissen zu werden.

Die Luft begann zu vibrieren, als hätten die Tore in die Anderwelt seine Gedanken gespürt und wären entschlossen, seine Pläne zu durchkreuzen. Er trat nach vorne, um nach der Fee zu greifen, doch bevor er sie berühren konnte, wurde er ruckartig zurückgezogen, sodass er beinahe stolperte. Er wirbelte mit einem Fluch auf den Lippen herum und sah seinen ältesten Bruder vor sich, der ihn mit ungewöhnlich ernstem Gesichtsausdruck anblickte.

»Tu das nicht«, befahl Robin leise.

»Bist du verrückt geworden?« Montgomery versuchte, seinen Arm zu befreien. »Lass mich los.«

»Dieses Stück Land darfst du nicht betreten, Montgomery.«

Genau das hatte er vor, aber zuerst musste er diese Sache erledigen. Er trat einen Schritt zurück und zog sein Schwert ‒ er war bereit, seinem Bruder zu zeigen, dass er sich nicht in Angelegenheiten einzumischen hatte, die ihn nichts angingen.

Er war überrascht, dass Robin es ihm nicht gleichtat, und senkte seine Klinge. Robin wich normalerweise nie einem Kampf aus, vor allem nicht, wenn er ihn so wie jetzt selbst im Halbschlaf hätte gewinnen können. Es war höchst erstaunlich, dass er einfach stehen blieb, die Hände an den Seiten und mit einer ernsten Miene, die auf wesentlich schwerwiegendere Dinge hindeutete. Montgomery steckte sein Schwert zurück in die Scheide, bevor er sich eines Besseren besinnen konnte.

»Wovon sprichst du?«, fragte Montgomery.

Robin dachte eine Weile nach, stellte sich dann aber stur und schwieg. Montgomery verfluchte seinen Bruder im Stillen, aber es hatte keinen Sinn, ihn unnötig zu provozieren. Also drehte er sich wieder um, um das Mädchen zu fangen ‒ besser gesagt zu retten ‒, das wie aus einem Traum so plötzlich vor ihm aufgetaucht war.

Aber das Mädchen war verschwunden, und mit ihm die Magie, die es umgeben hatte.

Montgomery wusste, dass ihn das nicht erstaunen sollte, aber trotzdem konnte er nicht anders, als verblüfft auf die Stelle zu starren. Jeglicher Protest würde die Tatsache nicht ändern, dass das Stück Land vor ihm nicht mehr als nur ein gewöhnliches Fleckchen Erde war. Der Schimmer, der in der Luft darüber geschwebt hatte, hatte sich aufgelöst, und von der Schönheit, die er dort erblickt hatte, war keine Spur mehr zu sehen.

Anscheinend war sie ins Feenreich zurückgeholt worden.

Unwillkürlich schauderte er.

»Montgomery, lass uns nach Hause zurückkehren.«

Einen Augenblick lang musste Montgomery den Drang unterdrücken, seinen Bruder mit dem Schwert zu durchbohren, weil er ihn bei der wahrscheinlich einmaligen Gelegenheit gestört hatte, eine Fee ganz für sich zu haben. Er öffnete seine Fäuste, um nicht in Versuchung zu geraten, sie anstatt seines Schwerts zu benützen und seinem Bruder damit Manieren beizubringen, und atmete tief durch. Offensichtlich wusste Robin mehr, als er preisgab. Das Mindeste, was er tun konnte, war, ein paar seiner Geheimnisse zu enthüllen. Montgomery drehte sich um und sah seinen Bruder an.

»Was ist an diesem Ort so besonders?«

»Nichts«, erwiderte Robin mit einem Schulterzucken.

»Robin, ich bin kein Kind mehr.«

»Das habe ich auch nicht behauptet.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf die Burg. »Lass uns gehen. Es gibt sicher genügend Dinge dort drin, die dein Interesse finden.«

»Du hast meine Frage noch nicht beantwortet.«

»Das stimmt«, gab Robin ernst zu. »Ich habe nichts mit diesem Stück Land zu tun, also werde ich wohlweislich nicht über seine Besonderheiten sprechen.«

»Soll ich vielleicht … ?«

»Hör auf damit«, unterbrach Robin ihn scharf. Ihm schien eine Bemerkung auf der Zunge zu liegen, doch dann schüttelte er den Kopf, als würde er es als unziemlich empfinden, sie laut auszusprechen. Er legte seinen Arm um Montgomerys Schultern. »Ich bin nicht der Richtige, den du dazu befragen kannst, und wenn du meinen Rat hören willst, dann empfehle ich dir, auch niemand anderen damit zu behelligen. Warte ab und bewahre Stillschweigen darüber.« Er nickte wissend. »Das ist es, was ein tugendhafter Ritter tun würde.«

Montgomery wollte protestieren, doch dann überlegte er es sich anders. Er wünschte sich nichts mehr, als ein tugendhafter Ritter zu sein, ein Mann, der nicht nur von seinem Vater, sondern auch von seinen vier älteren Brüdern anerkannt wurde. Ganz gleichgültig, wie schwer diese Aufgabe für ihn war.

Er nahm an, dass er zumindest noch ein oder zwei Augenblicke hier verweilen konnte, aber das bedauerte er sofort wieder.

»Lass uns üben«, schlug Robin vor. »Damit wirst du den ganzen Vormittag über gut beschäftigt sein, glaubst du nicht?«

Montgomery nickte, denn außer ein ehrbarer Ritter zu werden und so die Bewunderung seines Vaters zu erlangen, wünschte er sich auch, ebenso gut mit dem Schwert umgehen zu können wie seine älteren Brüder. Und wenn Robin bereit war, ihm dabei zu helfen, würde er das nicht ablehnen.

»Tatsächlich bin ich geneigt, dir dabei in den nächsten Monaten meine ganze Aufmerksamkeit zu schenken und dich genau zu prüfen«, fügte Robin hinzu. »Vor allem, wenn du über die Dinge schweigen kannst, die du, wie ich sicher bin, ohnehin nicht gesehen hast. Was meinst du dazu?«

Montgomery wäre am liebsten auf die Knie gefallen und hätte Robins schlammverkrustete Stiefel geküsst. Robin war bekanntermaßen sehr wählerisch, wenn es darum ging, wen er unterrichtete. Auf diese Weise bevorzugt zu werden war es mit Sicherheit wert, sich ein wenig in Verschwiegenheit zu üben.

Trotzdem konnte er es nicht lassen, einen letzten Vorstoß zu machen, auch wenn diese Dinge besser unausgesprochen blieben. Dieses Mädchen mit den langen, dichten dunklen Locken und den Flügeln … Wenn er wenigstens eine Andeutung über sie herausbekommen könnte, nur um nicht ständig darüber nachgrübeln zu müssen. Er atmete tief durch und sah seinen Bruder an.

»Glaubst du, das war eine Fee?«

Robin verpasste Montgomery einen harten Schlag auf den Hinterkopf ‒ zweifellos, um seinen gesunden Menschenverstand aufzuwecken ‒ und zögerte kurz, bevor er ihm seine Hände auf die Schultern legte. »Ich weiß nicht, was sie war oder ob du überhaupt gesehen hast, was du zu sehen glaubtest«, sagte er leise. »Aber ich kann mir gut vorstellen, was mit Menschen passiert, die sich mit Dingen beschäftigen, die nicht von dieser Welt sind.«

»Wie Jake und Jennifer …«

»Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst«, unterbrach Robin ihn rasch. »Aber ich weiß, dass Feen etwas für Kinder sind, und nicht für erwachsene Männer.«

»Ich weiß, was ich gesehen habe …«

»Dann vergiss es schnell wieder«, riet ihm Robin. »Und denk daran, wie es für dich wäre, wenn man sich erzählen würde, dass du immer noch an Dinge glaubst, die nur in Kindermärchen Vorkommen.« Er warf Montgomery einen Seitenblick zu. »Also wirklich, Montgomery. Feen? In deinem Alter? Du solltest dich besser auf Dinge konzentrieren, die dich am Leben erhalten.« Er klopfte auf sein Schwert. »Dein Schwert und deine Geschicklichkeit. Wir werden uns in den nächsten Monaten mit beidem ausführlich beschäftigen.«

Montgomery nickte zögernd und ging ein paar Schritte weiter, bevor die Versuchung zu groß wurde und er einen Blick über die Schulter warf. Er blieb stehen und schaute zurück auf die besondere Stelle im Gras, die jetzt wieder ganz normal aussah. Schließlich traf er eine Entscheidung. Er gab es nur ungern zu, aber Robin hatte recht. Er war siebzehn und längst in einem Alter, in dem man nicht mehr an Dinge glauben sollte, die in die Kindheit gehörten.

Ganz gleich, was er gesehen hatte.

Er ging weiter, um sich davon zu entfernen. Ohne Zweifel hatte es sich lediglich um Sonnenstrahlen in dem noch verbliebenen Morgennebel gehandelt. Oder er hatte am Abend zuvor zu reichlich gegessen und am Morgen nicht genügend Zeit auf dem Übungsplatz verbracht. Es gab unendlich viele Möglichkeiten, aber letztendlich zählte nur eine einfache Wahrheit: Ein wahrer Ritter konzentrierte sich auf Schwerter, Pferde und seine Ehre. Für Dinge von eher ätherischer Natur war in seiner Zukunft kein Platz.

Ganz bestimmt nicht.

»Montgomery?«

Er kehrte mit seinen Gedanken zurück zu den Aufgaben, die auf ihn warteten, nickte entschlossen und folgte seinem Bruder zur Burg. Schwerter, Pferde und Ehre. Das waren die Sterne, die ihn durchs Leben führen würden, durch ein Leben an der Seite seines Vaters und seiner Brüder. Das war schließlich das, was er sich am meisten wünschte.

Er nickte Robin zu, setzte eine entschlossene Miene auf und ließ seine Kindheit hinter sich, so wie er es bereits vor Jahren hätte tun sollen. Und er verspürte keinen Anflug von Bedauern dabei.

Ganz sicher nicht.

Kapitel 1

Seattle, Washington Gegenwart

Es kam nicht oft vor, dass ein Mädchen die Möglichkeit hatte, sich in einem Märchen zu verlieren.

Persephone Josephine Alexander befand sich normalerweise nicht in solchen Schwierigkeiten, aber im Augenblick konnte sie nichts dagegen tun. Sie saß in den dunklen Kulissen eines traditionsreichen Theaters in Seattle und beobachtete, wie sich etwas unglaublich Magisches vor ihren Augen entfaltete. Der schöne Prinz, begleitet von atemberaubenden Streichinstrumenten, schwärmte mit überschwänglichen Worten von den Reizen des unfassbar hübschen Mädchens auf der anderen Seite der Bühne, während das Mädchen seine Schwärmerei mit ihrem eigenen musikalischen Beitrag über seine Vollkommenheit untermalte. Es dauerte nicht lange, dann fiel sich das Paar in die Arme, als wären beide nur für diesen Augenblick geboren worden, und ihre Stimmen mischten sich in perfekter Harmonie, erhoben sich über das Orchester und führten dazu, dass im Publikum kaum ein Auge trocken blieb.

Pippa überzeugte sich davon, indem sie verstohlen einen Blick auf dieses Publikum warf ‒ natürlich erst, nachdem sie sich mit dem Ärmel über die Augen gefahren war. Diese verdammte Stauballergie überfiel sie immer in den unpassendsten Momenten.

Sie riss sich zusammen und widmete sich wieder ihrem rein wissenschaftlichen Studium der Liebesgeschichte, die sich vor ihr abspielte. Sie musste widerwillig zugeben, dass alles so echt wirkte, wie sie es noch nie gesehen hatte ‒ zumindest bis der schöne Prinz auf den Kleidersaum seiner zukünftigen Prinzessin trat und der Rock zur Hälfte abriss.

Pippa kam rasch auf den Boden der Tatsachen zurück, als sie die bösen Blicke spürte, die ihr der Prinz und seine Herzensdame zuwarfen, während sie versuchten weiterzutanzen, als sei nichts geschehen. Glücklicherweise passierte kein weiteres Missgeschick, bis die beiden für den letzten Kostümwechsel von der Bühne gingen.

»Hübsche Designs, Pippa«, sagte die Prinzessin knapp, als sie von der Bühne lief. »Nur schade, dass du sie nicht besser genäht hast. Frank ist sicher meiner Meinung.«

»Pippa hat die Kleider nicht entworfen«, flüsterte Frank in scharfem Ton. »Und nachdem, was ich heute gesehen habe, war es ein Fehler, sie die Sachen nähen zu lassen.«

Pippa gab keine Antwort darauf. Sie hatte tatsächlich alle Kostüme entworfen und die meisten auch genäht, aber sie schien endlich einmal beachtliches Glück zu haben und das wollte sie nicht aufs Spiel setzen, indem sie bei der Schluss Vorstellung eines erfolgreichen Stücks dem Regisseur widersprach.

Allerdings war es sehr verlockend, ihre Schneiderschere aus dem Gürtel zu ziehen und damit Franks Pferdeschwanz abzuschneiden, während er damit beschäftigt war, seinen Vorgesetzten in den Hintern zu kriechen und seine Untergebenen zur Schnecke zu machen. Er hatte Glück, denn plötzlich war sie dafür viel zu beschäftigt. Sie musste Risse reparieren und Pailletten ersetzen.

Bis sie alle Kostüme für jemanden weggelegt hatte, der sich in der Hierarchie noch weiter unten als sie befand und sich am Morgen um die Reinigung kümmern musste, hatte sie ihre Rachepläne aufgegeben. Engstirnige Theaterregisseure und mürrische Schauspieler gehörten der Vergangenheit an. Ihre Zukunft lag in einer Stadt mit viel leuchtendem Grün, die gar nicht so weit entfernt war ‒ dazwischen befand sich nur noch ein direkter Flug nach England. Sie ging durch eine feuchte und ziemlich neblige Nacht in Seattle nach Hause und zog sich zufrieden ihren Lieblingsschlafanzug aus Flanell an, bevor sie sich einen nach getaner Arbeit verdienten Imbiss zubereitete.

Eine halbe Stunde später zog sie ihre letzte Teigtasche mit Zimt und Zucker aus dem Toaster und runzelte die Stirn, als sie den Geruch wahrnahm. Irgendetwas verbrannte, und es war nicht das Gebäckstück, das sie in der Hand hielt. Sie beugte sich vor und schnüffelte an dem Toaster. Nein, der war es auch nicht.

Sie folgte ihrer Nase, ging zur Wohnungstür, öffnete sie und warf einen Blick in den Flur. Gaspard, ihr Nachbar, riss seine Tür auf und stieß lautstark einige Flüche auf Französisch aus. Er riss sich seine Kochmütze vom Kopf, warf sie auf den Boden und trat die Flammen aus. Dann sah er sie an.

»Lauf, cherie.«

Es dauerte eine Weile, bis sie begriff, dass Flammen an seinem Türrahmen leckten. Offensichtlich konnte er nicht nur gute Ratschläge über die Zubereitung einer teuflisch leckeren Bolognesesoße erteilen, sondern auch eine kleine Fluchtaktion organisieren. Sie beobachtete eine Weile, wie der Rauch aus der Wohnung quoll, bis ihr klar wurde, dass sie bald genauso knusprig geröstet sein würde wie die Teigtasche in ihrer Hand.

Sie flitzte in ihre Wohnung zurück, warf ihre Zukunft in einen Koffer und rannte die Treppe hinunter.

Einige Stunden später stand sie am Rand des mit Baumwurzeln übersäten Gehsteigs, schob ihre wirren Locken zurück, die ihr ins Gesicht und über den Rücken der durchnässten Schlafanzugjacke fielen, und beschloss, dass es für diesen Strudel der Ereignisse, in den sie hineingezogen worden war, nur eine Erklärung gab.

Das Karma hatte es auf sie abgesehen.

Sie glaubte fest an Karma. Als Tochter von ehemaligen Hippies blieb es nicht aus, dass man einen gesunden Respekt vor solchen Sachen hatte ‒ ebenso wie vor Batik, aber das waren Erinnerungen, die sie sich besser für einen anderen Zeitpunkt aufheben sollte, wenn sie Ruhe zum Nachdenken und ein paar kleine Schokoladenmuffins zum Trost hatte.

Sie rieb sich die Stelle zwischen den Augen, die beinahe zu pochen aufgehört hatte, und schaute sich nach etwas um, worauf sie sich setzen konnte. Ihr robuster, altmodischer Koffer stand neben ihr und machte den Eindruck, als ob er einer gewissen Belastung standhalten konnte, also setzte sie sich darauf. Sie war erleichtert, dass die Feuerwehrwagen und der Müllcontainerwagen vor Kurzem weggefahren waren. Sie stützte die Ellbogen auf die Knie, legte das Kinn auf ihre Fäuste und dachte über die Irrungen und Wirrungen ihres Lebens nach.

Außerdem hielt sie wachsam nach der nächsten Katastrophe Ausschau, die sicher jeden Moment über sie hereinbrechen würde, schließlich kam ein Unglück ja selten allein. Man konnte keinen solchen erstaunlichen Glücksfall wie diesen vor sich haben, ohne mit einer gleichwertigen, entgegengesetzten kosmischen Reaktion zu rechnen. Und um nicht in unbändigen Jubel auszubrechen, der ihr Karma sicher sofort beeinflussen würde, dachte sie zurück an die Ereignisse, die sie auf diesen beneidenswerten Platz auf einem Koffer im Regen gebracht hatten.

Sie nahm an, alles hatte begonnen, als Susie Chapmans Mutter ihr an ihrem siebten Geburtstag eine Barbie und einen Sack voller Stoffreste schenkte. Eine ganze Welt voller Möglichkeiten hatte sich ihr eröffnet, ein Reich mit Karos und Paisleymustern, Streifen und Punkten, mit Stoffen, die nicht aus Hanf hergestellt und wahrscheinlich alles andere als organisch waren. Ihre Eltern hätten sicher ihre gebatikten Kaftane zerrissen, wenn sie das gesehen hätten, aber Pippa hatte sich nicht erwischen lassen und ihre verbotene Puppe und diese herrlichen, in Massen gefärbten Stoffe auf listige Weise in ein paar Birkenstockschachteln versteckt.

Sie hatte das verbotene Schneidern von Abendkleidern auch dann noch fortgesetzt, als ihre exzentrischen Eltern sie und ihre Schwestern zu einer Tante abgeschoben hatten, die aussah wie eine Figur aus einem Roman von Dickens. Pippa hatte sich in der Öffentlichkeit über Romantik, Märchen und das Entwerfen von Puppenkleidern lustig gemacht, aber in der Abgeschiedenheit ihrer kleinen Dachkammer hatte sie magische Dinge genäht und dafür oft ihr gesamtes Essensgeld ausgegeben. Im College hatte sie Kunst und Kostümdesign als Hauptfächer belegt und sich in den vier Jahren danach abgeschuftet und Kleider genäht, die andere in ihren eigenen, auf der Bühne aufgeführten Märchen getragen hatten.

Kleider für Aufführungen zu entwerfen war eine gute praktische Übung gewesen, aber ihr brennender und bisher noch geheimer Wunsch war eine eigene Kollektion. Obwohl sie in ihrem Privatleben dergleichen vermied, träumte sie davon, moderne Kleidungsstücke mit einem Anflug von mittelalterlicher Romantik und der Magie von Märchen für andere Menschen zu entwerfen, Dinge mit kleinen Details, die nur diejenigen bemerkten, die danach suchten. Sie wollte, dass die Frauen, die ihre Kleider trugen, sich wie Heldinnen in ihren eigenen Märchen fühlten, wunderschön und geliebt.

Sie hielt inne. Es war durchaus möglich, dass sie selbst hinsichtlich Romantik, Ritter in schimmernden Rüstungen und ihrer Zeit bei Tante Edna noch einiges aufzuarbeiten hatte.

Sie machte sich im Geiste eine Notiz, sich später einmal Gedanken über eine Therapie zu machen ‒ nachdem sie dem eiskalten Blick ihres Karmas entkommen war und die Chance ergriffen hatte, die sich ihr vor Kurzem eröffnet hatte und mit der sich ihre Träume erfüllen konnten.

Ihre Schwester Tess, die eine echte englische Burg besaß und ihren Lebensunterhalt damit verdiente, Gesellschaften für alle möglichen Leute mit Geld und Fantasie zu geben, hatte einem ihrer Kunden einige von Pippas Entwürfen gezeigt. Der Mann hatte einen Blick auf die Kinderkleidung geworfen und dann spontan die magischen Worte geäußert.

Ihre Schwester Pippa entwirft nicht zufällig auch Kleidung für Erwachsene? Ich suche nach einer neuen Investitionsmöglichkeit.

Pippa hatte sofort begonnen, wie wild an der Erweiterung ihrer Kollektion zu arbeiten, und hatte sich dabei ständig gefragt, ob es etwas Größeres gab, was außer ihrem Wunsch noch Einfluss auf ihr Leben nahm. Sie glaubte ganz sicher nicht an Magie, Feenstaub oder an den romantischen Blödsinn, den ihre ältere Schwester Peaches mit erschreckender Regelmäßigkeit las. Und sie glaubte ebenso wenig an die Märchen, die in den Theatern, für die sie genäht hatte, aufgeführt wurden.

Aber was diese Sache betraf, konnte sie nicht leugnen, dass etwas, nun ja, etwas Ungewöhnliches am Werk war.

»Pippa, was um alles in der Welt ist passiert?«

Sie schaute auf und sah ihre Schwester Peaches, an die sie soeben gedacht hatte, plötzlich neben sich auf dem Gehsteig stehen.

»Gaspard hat wohl zu nahe an seiner Naturfaserkleidung etwas flambiert«, seufzte sie. »Was tust du so früh hier?«

»Es ist nicht früh ‒ es ist beinahe neun. Und ich bin hier, weil dachte, dass du vielleicht Hilfe beim Packen brauchst, weil du doch heute Abend abreist.«

Pippa war nicht überrascht, dass ihre Schwester daran gedacht hatte. Peaches verdiente ihren Lebensunterhalt als Lebensberaterin. Sie zog einen Kunden nach dem anderen aus einem Meer von Rechnungen, guten Vorsätzen und alten Pizzaschachteln und begleitete sie in ein neues, organisiertes Leben voller Ruhe. Ihre Eltern waren beinahe stolz auf sie, obwohl sie sich solidere Kenntnisse in Feng-Shui bei ihr gewünscht hätten.

»Schon alles erledigt«, erklärte Pippa, klopfte auf ihren Koffer und hoffte, dass Peaches ihre Arbeit nicht nachprüfen wollte. »Kostüme für die Kinderparty, mein Pass und einige Müsliriegel. Und mein Speicherstick mit all den neuen Designs, die ich eingescannt habe, um sie leichter präsentieren zu können. Ich war etwas in Eile und habe alles andere zurückgelassen.«

Peaches warf einen Blick auf die schwelenden Überreste von Pippas Mietshaus. »Das kann ich mir vorstellen. Und ich nehme an, du kannst alles ersetzen, was du verloren hast.«

Pippa nickte, obwohl das nicht wirklich stimmte. Sie hatte Jahre damit verbracht, einzigartige alte Stoffe und Schnitte zu sammeln. Tatsächlich hätte sie ein eigenes Geschäft mit all den Sachen eröffnen können, die sie in ihrer Wohnung auf den Regalen gestapelt oder unter ihrem Bett versteckt oder auf Beistelltische gelegt hatte. Einige Male ‒ na gut, vielleicht auch öfter ‒ hatte sie einfach nur dagesessen und ein paar Minuten ‒ na gut, vielleicht waren es auch eine oder zwei Stunden gewesen ‒ auf die unzähligen Stapel Stoff gestarrt, die sie besaß. Alle waren voller Möglichkeiten und warteten nur darauf, dass sie sie in etwas Neues, Schöneres verwandelte …

»Ich meine, schließlich hast du ja Geld auf der Bank«, fuhr Peaches erbarmungslos fort. »Und sicher hast du auch eine Hausratversicherung, und deine Wertsachen befinden sich in einem Banksafe, so wie ich es seit einem Jahr empfohlen habe.«

»Ich habe keine Wertsachen.«

Peaches musterte Pippa auf eine Weise, die Pippa den Eindruck vermittelte, als wüsste ihre Schwester tatsächlich, dass sie ihr Geld in der Matratze und den Familienschmuck in Kakaodosen versteckt hatte.

»Aber die Versicherung«, hakte Peaches nach. »Darum hast du dich doch gekümmert, oder?«

»Ich habe einen Termin mit dem Versicherungstypen«, erwiderte Pippa und versuchte, ihre Stimme nicht allzu defensiv klingen zu lassen. »Heute Mittag, also ja, ich habe mich darum gekümmert. Und ich hatte einige Ersparnisse, aber ich habe sie letzte Woche alle für eine Stickmaschine verwendet. Und für eine bessere Overlock-Nähmaschine. Und für einige Ballen Samt und Seide.« Sie hielt inne. »Und ein paar Pailletten.«

»Wie viele Pailletten?«

Pippa deutete mit einer Handbewegung auf den Trümmerhaufen, den sie sich nicht mehr anschauen wollte. »Sie bilden wahrscheinlich diese große Wolke aus buntem Glitzer, die du dort oben siehst, wo früher einmal der zweite Stock war.«

»Das sind sehr viele Pailletten.« Peaches atmete tief durch, um sich zu beruhigen. »Zumindest hast du noch deinen Roller. Es hätte schlimmer kommen können.«

Pippa deutete über ihre Schulter auf den Container, den der Müllwagen am Morgen dort abgestellt hatte. Ein Rad und ein Teil eines Schutzblechs ragten unter dem Container hervor.

Peaches warf einen Blick darauf, schwieg eine Weile und lachte dann kurz auf. »Das war wohl ein recht ereignisreicher Vormittag.«

»Das kannst du laut sagen.«

»Zumindest kannst du dich auf die bevorstehende Reise freuen.« Peaches schob sie ein Stück zur Seite, um sich zu ihr auf den Koffer zu setzen. »Erzähl mir mehr von dem Mann, der sich deine Designs anschauen will. Er könnte der Grund für all diese kosmische Aufmerksamkeit sein, die dir im Augenblick zuteilwird.«

Pippa war froh, über etwas anderes reden zu können als über den Gestank von verbranntem Stoff, der immer noch in der Luft hing. »Ich weiß nichts über ihn, außer dass er ein Adliger ist und eine Menge Geld hat.«

»Ein Adliger?«

»Ich glaube, er ist der Sohn eines Earls und bewegt sich in Tess’ akademischen Kreisen. Und er hat eine Menge Geld.«

»Das hast du bereits gesagt.«

»Seine dicke Brieftasche ist sehr attraktiv für mich in Hinsicht auf meinen Plan, letztendlich die Modewelt zu beherrschen.«

Peaches lachte. »Es freut mich, dass du dein Ziel nicht aus den Augen verloren hast.«

»Mr Adelig wird mir vielleicht ein wenig Geld für weitere Pailletten vorstrecken, und das Schicksal hat sich wahrscheinlich genügend an mir ausgetobt«, erwiderte Pippa mit einem Schulterzucken. Sie ignorierte den kleinen nagenden Zweifel in ihrem Hinterkopf, dass das Schicksal möglicherweise noch lange nicht mit ihr fertig war. »Du bringst mich heute Abend zum Flughafen, und ich habe noch genug Geld auf der Bank, um mir neue Unterwäsche zu kaufen. Was könnte da noch schiefgehen?«

»Du könntest mal wieder deine große Klappe aufreißen. Das könnte schiefgehen«, entgegnete Peaches rasch. »Fordere das Schicksal nicht heraus.«

»Ach was«, sagte Pippa zuversichtlich. »Ich glaube, das Schlimmste ist vorbei. Aller schlechten Dinge sind drei, und mein Soll ist voll.«

»Meine kleine desorganisierte Freundin, aller guten Dinge sind drei. Ich glaube nicht, dass sich das Unglück an die gleichen Regeln hält und sich begrenzen lässt.«

»Lächerlich«, spöttelte Pippa, obwohl sie spürte, dass sie das nicht ganz kalt ließ. Sie stand auf und zog die Notfalldecke enger um ihren Körper, weil sie fror, nicht, weil sie verunsichert war. »Du kannst dich ja an dieses esoterische Zeug halten, mit dem wir aufgewachsen sind, aber ich glaube nicht daran.«

»Lügnerin.«

Pippa schüttelte heftig den Kopf. »Schau, Peaches, das Schicksal hat diese Woche bei mir ordentlich zugeschlagen. In den letzten acht Stunden habe ich meine Wohnung, meine Lebensersparnisse, meinen Vorrat an unersetzbaren Stoffen und gesammelten Schnittmustern, meine Mittel, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen und meine lilafarbene Vespa verloren ‒ nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Ich bin also vollkommen entlastet und auf der sicheren Seite.«

Peaches deutete mit einer Handbewegung an, dass sie ihre Lippen verschloss und den Schlüssel dazu wegwarf.

Pippa straffte die Schultern und richtete sich auf. Ihr Geschick wurde nicht von irgendeiner kosmischen, nicht vernünftig zu erklärenden Kraft gelenkt. Sie hatte es unter Kontrolle. Hatte sie nicht erst letzte Nacht die Herausforderung des Lebens angenommen und ihre Teigtasche wie ein Schwert erhoben?

Etwa dreißig Sekunden, bevor sie den Rauch gerochen hatte, aber diese beiden Dinge hatten sicher nichts miteinander zu tun gehabt.

»O nein«, stieß Peaches hervor und stand so abrupt auf, dass Pippas Koffer umfiel. »Nicht das.«

»Was?«, fragte Pippa und bückte sich, um ihren Koffer wieder aufzustellen.

»Ich habe dir gesagt, dass es keine Begrenzung gibt«, erwiderte Peaches betont. »Nummer vier ist auf dem Weg. Ich werde nicht hierbleiben und mir ansehen, was Nummer fünf sein wird.«

Pippa warf einen Blick über die Schulter und hatte plötzlich das Gefühl, in Ohnmacht zu fallen. Glücklicherweise stand ihr Koffer neben ihr, stabil und zuverlässig. Sie setzte sich rasch darauf.

»Das zählt nicht.«

»Rede dir das ruhig ein, wenn du dich dann besser fühlst.«

Pippa beobachtete trübsinnig, wie das ultimative Hippie-Mobil auf sie zukam. Es handelte sich um einen bemalten Winnebago, der von Solarkollektoren und Frittieröl angetrieben wurde. Über ihm hing eine leichte Cannabis-Wolke, und das Heck war mit Greatful-Dead-Aufklebern zugepflastert.

»Was machen unsere Erzeuger hier?«, fragte sie beunruhigt.

»Vielleicht wollten sie dich besuchen, bevor du zu deiner geliebten Insel fährst«, meinte Peaches. »Vielleicht bestehen sie darauf, dich selbst zum Flughafen zu bringen, stilvoll natürlich. Du könntest sie möglicherweise dazu überreden, vorher an einem Einkaufszentrum zu halten, außer Mom hat in einer Schublade noch Unterwäsche aus Hanffaser, die sie dir überlassen möchte.«

Pippa schauderte und stand auf. »Ich habe nicht vor, einen Blick in ihre Schubladen zu werfen. Ich will nicht wissen, was sich sonst noch darin verbirgt.«

Peaches legte ihren Arm um Pippas Schultern. »Wie haben wir es nur geschafft, bei solchen Eltern so normal zu werden?«

»Frag mich nicht«, erwiderte Pippa düster. Das war das Letzte, worüber sie jetzt nachdenken wollte. Sie hatte ihr ganzes Leben lang gegen den Lebensstil ihrer Eltern angekämpft, und das würde sich in naher Zukunft sicher nicht ändern.

Sie hielt inne. Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Mit vierzehn Jahren hatten ihre Eltern sie für ein paar Monate aus der düsteren viktorianischen Pension ihrer Tante Edna geholt und mit nach England genommen. Es hatte ihr dort so gut gefallen, dass sie sogar gern Kräutertee gekocht und vom Mittelalter inspirierte Köstlichkeiten aus Tofu zubereitet hatte, die dann bei Reenactment-Veranstaltungen verkauft wurden. In einen Ort hatte sie sich richtig verliebt. Es war ein Schloss an der Nordküste gewesen. Artane hatte es geheißen, wenn sie sich noch recht erinnerte. Sie hatte an einem frühen Morgen in der Nähe des Schlosses gestanden, als plötzlich …

Sie hätte beschwören können, es tatsächlich gesehen zu haben, aber sie war damals vierzehn gewesen ‒ ein Alter, in dem man eine lebhafte Fantasie hat. Gut aussehende junge Männer in Kettenhemden tauchten nicht einfach aus dem Nebel auf, nicht einmal in England. Sie hatte sicher diese ganze Reenactment-Sache zu ernst genommen und zu viel Raffinadezucker gegessen. Und dann hatte ihr Verstand ihr einen Streich gespielt.

Trotzdem war sie in dieser Woche, in der sie sich dort aufgehalten hatte, jeden Morgen an den gleichen Ort zurückgekehrt, in der unbegründeten Hoffnung, noch einen weiteren Blick erhaschen zu können …

Sie atmete tief durch und rieb sich mit den Händen über das Gesicht. Anscheinend drehte sie durch. Vielleicht lag es an dem Rauch, den sie eingeatmet hatte, oder an dem Verlust ihrer vielen Pailletten. Am stärksten war ihr von diesem Sommer in Erinnerung geblieben, dass sie zwar gute Geschäfte auf den mittelalterlichen Märkten gemacht hatten, ihre Eltern aber trotzdem irgendwann genug von ihr hatten und sie wieder bei ihrer Tante abluden, um sich ihren eigenen Interessen besser widmen zu können. Sie hatte wie früher die Existenz jeglicher Magie geleugnet und diese Einstellung sogar während der Jahre auf dem College stolz verkündet.

Und wenn sie kegelförmige Kopfbedeckungen mit langem wallendem Netzstoff bastelte, Blumenkränze flocht und mit wehenden Bändern verzierte oder Kleider mit tief angesetzter Taille und kleinen Schleppen nähte, dann war das rein geschäftlich. Sie schwelgte nie mehr in romantischen Vorstellungen über die Frauen, die solche Kleidung getragen haben mochten, und die Ritter in schimmernder Rüstung, die sie geliebt haben könnten. Ganz gewiss nicht. Und sie hatte sich niemals tiefere Gedanken über die fantastischeren und magischeren Kleidungsstücke gemacht, die sie für Feen und dergleichen angefertigt hatte. Sie war eine stahlharte, entschlossene Geschäftsfrau, die auf einem Koffer voll mit Mustern saß. Die Chance, einen Geldgeber mit ihrer unglaublich entzückenden Kollektion von feenhafter Kleidung für kleine Mädchen zu vernünftigen Preisen zu beeindrucken und ihn darüber hinaus von einer ebenso großen Sammlung sehr fein geschnittener, mittelalterlich angehauchter Kleidungsstücke für Erwachsene zu überzeugen, konnte sie sich unmöglich entgehen lassen.

Vielleicht würde es sich im Nachhinein als Segen erweisen, dass ihr ganzes Leben vor ihren Augen niedergebrannt war. Sie hatte keine andere Wahl, als nach vorne zu schauen und in England alles auf eine Karte zu setzen.

Der Winnebago umrundete den Block drei Mal, bis sich ein Parkplatz gefunden hatte. Es dauerte eine Weile, bevor sich schließlich die Tür öffnete und der Wagen seine Insassen ausspuckte. Pippa schob sich das Haar aus dem Gesicht und wappnete sich für den Angriff.

Zuerst kam ihre Mutter in einem bunt gemusterten Kaftan, der ihr langes, mit Henna gefärbtes Haar perfekt zur Geltung brachte. Sie wirkte ein wenig benommen, aber da das ihre übliche Verfassung war, machte Pippa sich keine weiteren Gedanken darüber. Ihr Vater stolperte die Stufen als nächster herunter. Er trug eine gebleichte Jeans, ein ausgeleiertes Grateful-Dead-T-Shirt und ein Dutzend Ketten aus bunten Kunststoffperlen um den Hals. Der Cowboyhut, den er auf dem Kopf hatte, war eigentlich unpassend, aber wahrscheinlich war er aus Hanf, also ließ sich nichts dagegen einwenden.

Beide blieben abrupt stehen und starrten auf die Ruinen von Pippas Wohnung. Sie schienen ihren Blick kaum abwenden zu können, aber das lag vielleicht an den schillernden Pailletten.

Ihre Mutter hielt ihrem Ehemann eine Dose mit irgendeinem Inhalt hin, und er griff hinein, zog etwas heraus und aß es, ohne seinen Blick von der Ruine lösen zu können.

»Das sieht nach Brownies aus«, murmelte Pippa.

»Nur gut, dass wir nicht wissen, was da alles drin ist«, erwiderte Peaches leise.

Pippa grinste. »Du weißt, dass ich keine warmen Gefühle für sie hege, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich sie als Strafe des Schicksals betrachten sollte.«

»Ich habe dabei nicht an unsere Eltern gedacht.«

»An wen dann?«

Peaches deutete auf das Wohnmobil.

Als Pippa einen Blick auf den Ausstieg warf, blieb ihr der Mund offen stehen.

Ein Fuß erschien in ihrem Blickfeld, ein Fuß mit einem Schuh, dessen Absatz mindestens zwölf Zentimeter maß. Dann kam eine Wade, und schließlich wurde das ganze scheinbar endlos lange Bein sichtbar. Die Besitzerin dieser unglaublichen Beine schien aus einem Musical von Bob Fosse entsprungen zu sein, als sie den Rest ihres geschmeidigen Körpers bewegte, der, wie Pippa wusste, bereits eine endlose Reihe von Männern in Verzückung versetzt hatte.

Cinderella Alexander, der Fluch in Pippas Leben.

Cindi kam in ihrem besten Schönheitsköniginnengang herübergeschwebt, blieb stehen und wandte Pippa ihr Gesicht zu, das so perfekt war, dass Pippa Zahnschmerzen bekam.

»Wie ich höre, findet eine Party statt.«

Pippa schloss ihren Mund wieder. »Was?« Sie gab vor, an ihrem Ohr zu zupfen, um besser hören zu können.

»In England. Eine Party.«

»Ah«, begann Pippa.

»Und sie hat etwas mit Feen zu tun.«

Pippa warf Peaches einen Blick zu, die jedoch nur wissend eine Augenbraue hochzog. Von ihr war keine Hilfe zu erwarten. Pippa wandte sich wieder an Cindi.

»Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst«, log sie, ohne zu zögern und ohne dabei Schuldgefühle zu empfinden. »Ich habe nichts davon gehört.«

»Du brauchst eine Königin. Ich habe beschlossen, mitzukommen und sie für dich zu spielen.«

Pippa hätte sich wieder auf ihren Koffer gesetzt, aber damit hätte sie Cindis Aufmerksamkeit darauf gelenkt. Und möglicherweise hätte Cindi sich dann mehr für Pippas Muster interessiert, als ihr lieb war. Peaches kniff Pippa fest in den Arm, und Pippa unterdrückte den Wunsch, ihr auf die Hand zu schlagen. Der Schmerz hielt sie davon ab, ohnmächtig zu werden oder in Tränen auszubrechen ‒ obwohl sie ohnehin weder zu dem einen noch zu dem anderen neigte.

Sie hatte keine andere Wahl, als der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Sie war übermütig gewesen. Sie hatte sich dem Schicksal frech entgegengestellt und damit das Schlimmste herausgefordert. Das platinblonde Püppchen, das sich, ohne es zu merken, vor ihr aufplusterte, war Beweis genug, dass das Schicksal nicht mit sich spaßen ließ.

Pippa wusste, dass sie allen Grund hatte, ihre ältere Schwester zu hassen. Cindi hatte sich nicht hochdienen müssen, um ihren Traumberuf als professionelle Schönheitskönigin ausüben zu können. Sie hatte praktisch an der Spitze angefangen. Und als sie bemerkt hatte, dass Pippa nähen konnte, hatte sie sie rund um die Uhr eingespannt. Pippa hatte ihr Kleider für einen Ball nach dem anderen genäht, wo der jeweilige Prinz immer sofort ein Auge auf Cindi geworfen hatte und sie am liebsten sofort geheiratet hätte ‒ und dann schließlich geblendet und enttäuscht abgezogen war. Pippa hatte nicht einmal die Überreste des Abends zu sehen bekommen. Sie war zu beschäftigt damit gewesen, das nächste Galakleid zu nähen, das natürlich noch aufwendiger sein musste als das vorherige.

Damit hätte sie leben können, wären da nicht noch weitere Demütigungen gewesen. Jedes Mal, wenn Pippa hoffte, jemanden zu treffen, der ihr weiterhelfen könnte, hatte Cindi irgendwie Wind davon bekommen, war in all ihrer Pracht aufgetaucht und war dann unter den aufmerksamen Blicken aller wieder verschwunden. Pippa war bildlich gesprochen nichts anderes übrig geblieben, als hinter ihr herzuschleichen und ihre Schleppe zu tragen.

Sie hatte alles nur Erdenkliche unternommen, um sicherzustellen, dass Cindi dieses Mal nichts davon erfuhr. Sie hatte Tess zur Geheimhaltung verpflichtet, sich von Peaches das Ehrenwort geben lassen und ihren anderen beiden Schwestern körperliche Gewalt angedroht, falls sie auch nur ein Wort verraten würden.

Anscheinend hatte das Schicksal nicht geruht.

»Wo sind deine Sachen?«, fragte Cindi herrisch.

Pippa stellte sich abwehrend vor ihren Koffer. »Ich habe sie alle sicher verpackt.«

»Das spielt sowieso keine Rolle.« Cindi winkte verächtlich ab. »Ich bringe meine eigenen Sachen mit.«

Pippa blinzelte. »Was?«

»Oh, habe ich dir das nicht erzählt?«, säuselte Cindi. »Ich arbeite für eine Modelinie für Märchenmode. Ich war letzten Monat mit David Jacoby beim Mittagessen, und er hat einige Modelle für mich gemacht.« Sie runzelte die Stirn, sodass sich eine aparte Falte bildete, und hob ihre ebenso aparten Augenbrauen. »Habe ich etwa vergessen, dir das zu sagen?«

Pippa starrte sie wortlos an. Das Jacoby-Studio war so weit oben, dass sie nicht einmal hoffen konnte, dort jemals eine Mappe mit ihren Entwürfen vorzulegen. Ihr vom Rauch vernebeltes Gehirn konnte kaum aufnehmen, was sie gehört hatte.

»Er hat sie letzte Woche für mich nach England geschickt. Ich nehme an, Tess hat sie bereits erhalten.« Cindi streckte die Hand aus und tätschelte Pippa die Wange. »Du hast so hart gearbeitet, da dachte ich, das würde dich etwas entlasten. Du bringst doch deine kleinen Kostüme mit, Schätzchen?«

Pippa nickte.

»Sie sind so süß. Ich kann es kaum erwarten, die Mädchen anzuziehen und sie in der Burg herumzuführen.« Cindi runzelte plötzlich die Stirn und wirkte ein wenig beunruhigt, falls das bei einer Frau möglich war, der alles auf himmelschreiend perfekte Weise einfach in den Schoß fiel. »Oh, ich habe ganz vergessen, dass Tess etwas über die Burg gesagt hat. Sie sei voll von irgendwelchen Dingen, die mir möglicherweise nicht gefallen würden.« Sie sah Pippa scharf an. »Sie erwähnte etwas von einem Drama.«

Pippa wagte es nicht, Peaches anzuschauen. Das Drama in der Burg würde noch größere Ausmaße annehmen, wenn Cindi eintraf, aber es hatte keinen Sinn, ihr das zu sagen.

»Weißt du etwas darüber?«, fragte Cindi misstrauisch.

»Oh, ich glaube nicht, dass du ein Drama befürchten musst«, erwiderte Peaches ohne zu zögern. »Tess hat wahrscheinlich versucht, dich vorsichtig davor zu warnen, dass es in ihrem Schloss vor Geistern wimmelt und es viele schaurige Geschichten über Bluttaten in der Vergangenheit gibt.«

Cindi trat einen Schritt zurück und sah jetzt richtig verunsichert aus. »Geister?«

»Und Bluttaten«, wiederholte Peaches. »Und andere Dinge, die in der Nacht poltern.«

Wenn Cinderella Alexander etwas nicht ausstehen konnte, war es nächtliches Gepolter. Selbst das knarrende Holz in Tante Ednas viktorianischem Haus mit verzogenen und von Hand geschrubbten Dielen hatte sie beinahe umgebracht. Pippa wusste das, denn wenn sie mitten in der Nacht zum Badezimmer hatte gehen müssen, war sie öfter als nötig auf den Holzdielen neben Cindis Zimmer auf und ab gehüpft, nur um ihre Schwester kreischen zu hören.

Sie nahm an, dass ihr Karma das zur Kenntnis genommen hatte.

Cindi trat einen weiteren Schritt zurück und drehte sich dann abrupt um. »Dad sieht aus, als hätte er sich von irgendetwas zu viel reingezogen. Ich werde lieber mal nach ihm schauen.«

Pippa sah zu, wie ihre Schwester elegant davonschritt. Ihre perfekten Beine schienen bis zu den Ohren zu reichen und erinnerten sie irgendwie an eine Schwarze Witwe ‒ vielleicht war sie ein weniger nervöser, als eine Schwarze Witwe normalerweise war ‒, die so rasch wie möglich zu ihrem Abendessen gelangen wollte.

Peaches legte ihren Arm um Pippas Schultern. »Ich habe versucht, sie loszuwerden, aber ich glaube, sie hat sich nicht genügend erschreckt, um ihre Reise abzusagen.«

»Ich weiß deine Bemühungen zu schätzen«, erwiderte Pippa und versuchte, ihre Stimme fröhlich klingen zu lassen. »Aber mach dir keine Sorgen. Wie viel Ärger kann sie mir denn schon machen?«

»Ich glaube nicht, dass du darauf tatsächlich eine Antwort hören willst, also werde ich sie mir sparen«, meinte Peaches mit einem schwachen Lächeln. »Ich werde mal nachschauen, ob im Kühlschrank unserer Eltern etwas Essbares zu finden ist. Du bleibst hier sitzen und ruhst dich aus. Ich schätze, das hast du nötig.«

Pippa stimmte ihr zu und versuchte zu lächeln. Schließlich reiste sie trotz allem nach England. Dort würde ihr sicher kein weiteres Unglück zustoßen.

Dann begriff sie, was Cindi gesagt hatte.

»Hey, Peaches«, rief sie ihrer Schwester nach, bevor diese sich zu weit entfernt hatte. »Worüber hat Cindi gesprochen?«

Peaches drehte sich um. »Was meinst du?«

»Es ging um die Burg. Cindi sagte, dort gäbe es ein Drama, und du sagtest etwas von Geistern.« Sie lachte geringschätzig, denn knarrende Holzdielen und andere Dinge von eher paranormaler Natur konnten sie nicht aus der Ruhe bringen. »Ich meine, das war doch nicht dein Ernst, oder?«

Peaches lächelte. »Na ja, Tess hat tatsächlich erzählt, dass in ihrer Burg einige merkwürdige Dinge vor sich gehen. Ich glaube, sie hat auch Geister erwähnt. Und so etwas.«

Pippa spürte, wie ihr die Kinnlade herunterfiel. »Echt?«

»Ob sie echt sind, fragt Tess wahrscheinlich ihre Geister ständig«, erwiderte Peaches. »Und es gibt Gerüchte über einen Mord und andere Bluttaten, aber ich bin nicht sicher, ob sich das auf frühere Bewohner bezieht oder ob Tess schon vorher wusste, dass Cindi zu ihr kommen würde.«

»Das ist nicht witzig«, meinte Pippa düster.

Peaches lachte. »Ich könnte mir vorstellen, dass du am Ende mehr darüber wissen wirst als ich. Du hast doch keine Angst vor Geistern, oder?«

»Ich glaube nicht an Geister.«

»Die berühmten letzten Worte.«

»Peaches, du liest zu viele Romane«, schnaubte Pippa verächtlich. »Die paranormalen Ereignisse gehören in deine romantischen Bücher, und dort sollen sie auch bleiben. Ich bleibe lieber bei allem, was fest in der Realität verankert ist…«

»So wie Kleider wie aus einem Märchen, die Frauen in Gedanken Hunderte von Jahren zurückversetzen sollen?«, unterbrach Peaches sie trocken. »Ja, du bist eine Realistin, natürlich. Komm schon, du Zynikerin. Vielleicht ist Mom völlig durchgedreht und hat dir etwas Zuckerhaltiges zum Frühstück besorgt.«

Pippa konnte sich kaum vorstellen, so viel Glück zu haben, aber sie hob ihren Koffer hoch und folgte ihrer Schwester mit so viel Schwung, wie sie aufbringen konnte, zu dem Wohnmobil. Halb so wild, dass sie keine Wohnung mehr hatte, kein Transportmittel und keine Unterwäsche. Sie besaß einen Koffer voll mit bezaubernden Feenkostümen. Den Leuten auf der anderen Seite des großen Teichs würden sie gefallen, und vielleicht fand sie in der Burg einen Wachraum mit dicken Wänden, wo sie Cindi während ihres Aufenthalts einsperren konnte.

Aber Geister? Lächerlich. Tess’ Schloss war nur ein Haufen aufgetürmter Steine, in dem sich im Laufe der Jahre einige, nun ja, Besonderheiten angesammelt hatten: Zugluft, bröckelnder Mörtel, das eine oder andere Vogelnest an einem ungewöhnlichen Ort. Nichts Seltsames, nichts Gruseliges, nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste. Von jetzt an würde alles glattlaufen. Schließlich hatte sie ihren Anteil an Pech bereits an diesem Morgen kassiert. Was konnte jetzt schon noch schiefgehen?

Sie beschloss, dass sie das lieber nicht wissen wollte.

Sie warf einen letzten Blick auf das Desaster hinter sich, senkte dann den Kopf und marschierte los, um sich etwas zum Frühstück zu besorgen, bevor sie sich eingestehen musste, dass ihre unerwarteten Abenteuer wohl erst begonnen hatten.

Kapitel 2

Sedgwick Castle, England Gegenwart

Es war kein Geheimnis, dass Hugh McKinnon ein Faible für schöne Kleidung hatte.

Tatsächlich war er sehr stolz darauf, denn er betrachtete das als Beweis dafür, dass er sich im Verlauf seines Unlebens verbessert hatte. Als er noch eine sterbliche Hülle besessen hatte, war er hauptsächlich daran interessiert gewesen, wie er jemandem den Bauch aufschlitzen konnte, um seine Eingeweide zu sehen, oder wie er sein Schwert ohne Hast schwingen und auf jeden niedersausen lassen konnte, der seine Sippe bedrohte. Es war ein gewalttätiges Leben gewesen, und er ein Produkt seiner Zeit. Er konnte sich glücklich schätzen, dass er ein relativ langes Leben gehabt hatte, und nicht vorzeitig dem eleganten Schwung eines Schwerts, das ihm die Kehle aufgeschlitzt hatte, zum Opfer gefallen war.

Er war sich nicht sicher, wann genau es geschehen war, aber an einem bestimmten Zeitpunkt in seinem Dasein als Geist hatte er begonnen, sich für andere Dinge zu interessieren: die Webart eines besonders schön gefertigten Schottenstoffs, den Faltenwurf eines Abendkleids, die wunderbare Kombination von Samt und Spitze. Sein vages Interesse hatte sich schließlich in Begeisterung und dann in Leidenschaft verwandelt. Er war weit gereist, um Dinge zu suchen, die sich, wie er glaubte, weich, seidig und edel anfühlten.

Die Liebe zu diesen wunderschönen Dingen hatte ihn an Orte geführt, von denen er sich niemals hatte vorstellen können, sie zu besuchen. Über den großen Teich, auf den Kontinent, in alte und berühmte Theaterräume, wo er sich eine Pause gönnte. Natürlich waren diese Pausen nur kurz gewesen, denn er war rasch wieder aufgebrochen, um ihre Geheimnisse zu erforschen und in ihre Requisitenräume vorzudringen. Es war die unbändige Leidenschaft in seinem Leben nach dem Tod, seine dringlichste Aufgabe, sein einziges Ziel …

Er hielt inne und blieb am Tor des Wachturms stehen. Vielleicht entsprach es nicht ganz der Wahrheit, dass es sein einziges Ziel war. Er hatte natürlich noch eine andere Arbeit zu verrichten, eine beträchtliche Aufgabe, die Feingefühl und Diplomatie erforderte und aller Fähigkeiten belesener Männer bedurfte, wie er sie als Oberhaupt des McKinnon-Clans in all den Jahren erworben hatte. Möglicherweise war es keine Schande zuzugeben, dass er in erster Linie ein Ehestifter war, und die Liebe zu Stoffen erst an zweiter Stelle kam.

Er führte Amors Feldzug im Augenblick sogar selbst, denn seine Gefährten waren unterwegs, um die Grundlagen für einen anderen, besonders schwierigen Fall zu legen. Und außerdem hatten sie keine Ahnung, dass er diese Liebensangelegenheiten selbst in die Hand genommen hatte. Aber was hätte er sonst tun sollen? Schließlich waren es nicht seine Gefährten gewesen, die ihre Ohren an Holzbretter gepresst und in Gängen mit ausgetretenen Böden Geflüster über gelungene Kostüme und noch nicht geknüpfte Verbindungen gehört hatten.

Er dachte noch eine Weile nach. Also gut, er hatte in einem eleganten Theater in Seattle gelauscht und von einer unglaublich begabten Schneiderin gehört, die die Kostüme für eine moderne, aufwendige Aufführung von Aschenputtel entworfen hatte, ein Stück, das er sich mehrere Abende hintereinander begeistert angeschaut hatte. Ein kurzer Blick auf ihren Familienstammbaum hatte ihm verraten, dass einer ihrer Vorfahren der Urgroßneffe fünften Grades eines seiner Cousins war, was ihn ohne Zweifel dazu berechtigte, sich um sie zu kümmern. Sie war mit Sicherheit bereit für eine Ehe, und sie nähte wunderschöne Kleidungsstücke. Wie konnte er die Aufgabe nicht wahrnehmen, ihr einen geeigneten Mann zu suchen?

All das hatte ihn dorthin geführt, wo er sich jetzt befand: Er spazierte über eine feste Brücke, die früher über einen Burggraben geführt hatte, aus dem mittlerweile ein klarer See geworden war. Die Burg, die sich vor ihm erhob, war atemberaubend, obwohl sie einen Fehler hatte ‒ sie lag unglücklicherweise nicht in den Highlands. Er war in den letzten zwei Wochen ein- oder zweimal kurz hier gewesen, um sich einen Überblick zu verschaffen und sich für die Ankunft seines Opfers … ähm, seines Schützlings vorzubereiten. Dessen Schwester war die Besitzerin der Burg, auf die er nun zuging. Sie organisierte die Kleidung und die Festivitäten für Leute, die sich gern ins Mittelalter zurückversetzten. Allerdings ließ sie dabei einige wesentliche Aspekte außer Acht, wie zum Beispiel Krankheiten, schreckliches Essen und Chirurgen, die einen Mann auf die gleiche Weise zusammenflickten, wie sie seine Stiefel reparierten, aber er hatte es nicht über sich gebracht, ihr das zu sagen. Noch nicht.

Sein Schützling ‒ er glaubte, ihr Name war Pippy ‒ würde in einigen Tagen eintreffen, um bei einer Feier zu helfen, die für ein kleines Mädchen mit einer Leidenschaft für Feen veranstaltet wurde. Hugh hatte das Mädchen und ihre Eltern vor wenigen Tagen gesehen und sie nett gefunden. Sie war ein reizendes Kind, also dachte er, es wäre angebracht, einen Blick auf die Vorbereitungen zu werfen, um sicherzugehen, dass alles so lief, wie es laufen sollte. Wenn das erledigt war, würde er sich wichtigeren Dingen zuwenden.

Das hieß, für Pippy einen Mann zu finden.

Er betrat den Burghof und ging zu den Räumen, die in der Besucherbroschüre als Quartiere der Burgbesatzung bezeichnet wurden. Türen waren für ihn natürlich kein Hindernis ‒ er konnte einfach hindurchgehen ‒, also setzte er seinen Weg zu einem recht großen Raum fort, den die derzeitige Besitzerin liebevoll das »Hauptquartier« nannte.

Hugh fand das passend. Hier hingen Kostüme jeglicher Art verlockend auf eigens dafür angefertigten Metallstangen. Er wusste das, denn er hatte geraume Zeit an anderen Orten damit verbracht, Kostüme zu suchen und zu befühlen. Ah, an La Scala hatte er herrliche Erinnerungen. Auch in der Met hatte er viel Zeit verbracht, aber die New Yorker hatten scharfe Augen und waren schlagfertig ‒ und sie bekamen recht schnell weiche Knie, wenn sie entdeckten, dass er kein Sterblicher war. Die Italiener waren härter im Nehmen ‒ sie pflegten nach einer Waffe zu greifen, um ihm den Garaus zu machen, bevor sie vor Angst und Überraschung zu schreien begannen. Die Franzosen? Nun, sie neigten dazu, ihn mit einem gelangweilten Blick zu übergehen und zu ihrer Diskussion über Tüll zurückzukehren.

Aber er schweifte ab. Er konzentrierte seine Gedanken auf das, was vor ihm lag, und schlenderte langsam an den Reihen mit Kostümen entlang und bewunderte …

»Hat man dir erlaubt, dich hier aufzuhalten?«

Überrascht drehte er sich um und hatte sein Schwert bereits zur Hälfte aus der Scheide gezogen, als er sah, dass das kleine Geburtstagskind zwanzig Schritte von ihm entfernt stand. Sie hatte ihre Hände in die Hüften gestemmt und sah ihn leicht missbilligend an.

Er steckte sein Schwert so unauffällig wie möglich zurück, nahm seine Kappe ab und machte eine leichte Verbeugung.

»Ich schaue nur nach, ob alles an seinem Platz ist«, sagte er rasch.

Sie musterte ihn eine Weile. »Gehörst du zur Burg?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, kleines Fräulein. Mein Zuhause liegt weit oben in den Highlands. Ich bin hier wegen einer … äh … einer Überprüfung«, erklärte er, nachdem er nach einem geeigneten Wort gesucht hatte. »Ich soll nachschauen, ob alles gut für deinen Geburtstag vorbereitet ist.«

Sie ging an der Reihe entlang, blieb neben ihm stehen und betrachtete dann die Kleidungsstücke. »Diese sind nicht für meine Party. Meine Kostüme wurden von Pippa gemacht. Sie lebt in den Vereinigten Staaten.«

»Pippa«, wiederholte Hugh. Richtig, das war ihr Name. Er war ihr bei der Aufführung ihres letzten Stücks mehrere Male hinter der Bühne begegnet, aber er nahm an, dass sie ihn lediglich als Windhauch wahrgenommen hatte. Neben dem aufbrausenden Hauptdarsteller und dem mürrischen Regisseur war er sicher nicht aufgefallen.

»Ihre Sachen sind wunderschön«, fuhr das Mädchen fort. »Und sie hat alles extra für meine Party entworfen.« Sie lächelte. »Ich bin Hailey. Wer bist du?«

»Der McKinnon«, erwiderte Hugh ohne nachzudenken. »Du kannst mich Hugh nennen, wenn du magst«, fügte er dann nach einer kleinen Pause hinzu.

Sie musterte ihn, ohne mit der Wimper zu zucken. »In der Burg spukt es.«

Hugh schluckte. Er wollte sich nichts anmerken lassen, aber das gelang ihm nicht besonders gut, wenn er so unvorbereitet getroffen wurde. »Tatsächlich, Kleines?«

»Meine Mum wollte eine andere Burg haben, aber mein Dad bestand darauf, in dieser zu feiern, weil Lord Stephen sie so schön fand. Ich glaube an Geister. Und du?«

Hugh war sicher, dass sein Gesicht beinahe die Farbe seiner Haare angenommen hatte. »Na ja, ich glaube … äh … vielleicht …«

»Soll ich dir etwas über die Geister in dieser Burg erzählen? Dort drüben können wir uns hinsetzen.«

Hugh musste zugeben, dass er nicht besonders gut mit Kindern umgehen konnte. Selbst mit seinen eigenen hatte er nicht viel anzufangen gewusst, bevor sie ein Schwert in der Hand halten konnten ‒ selbst die Mädchen ‒, aber diese Hailey war ein aufgewecktes Ding, und sie schien sein Unbehagen nicht zu bemerken. Er folgte ihr zu einer großen Truhe und stimmte ihr zu, dass das der perfekte Platz war, um es sich bequem zu machen und ein wenig zu plaudern.

»Ich habe gehört, dass ein paar der Geister, die in dieser Burg spuken, es deshalb tun, weil sie dabei geholfen haben, eine Romanze zu zerstören.«

Hugh hielt den Atem an. Nun, das waren Geschichten, über die er ausführlich sprechen konnte.

»Es gab einmal einen Lord in dieser Burg, der eine Fee fing«, fuhr Hailey begeistert fort. »Er brachte sie mit nach Hause und wollte sie unbedingt zur Frau nehmen, obwohl die Burg bereits beinahe über ihm zusammenbrach und sicher kein sehr beeindruckendes Heim darstellte.«

Hugh sah bereits zwei Probleme bei dieser Geschichte. Zuerst einmal war die betreffende Fee sicher nicht begeistert gewesen, als man sie aus ihrem Land entführt hatte ‒ vor allem nicht, um in einer Burg zu leben, die ihren Ansprüchen nicht gerecht wurde. Und zweitens waren die Engländer in paranormalen Dingen lange nicht so bewandert wie die Schotten. Wäre dieses Geschöpf in seinem Heim gelandet, hätte er ihre andersweltlichen Eigenschaften einfach ignoriert und ihr ohne weiteres Aufheben etwas zu essen angeboten. Er konnte sich gut vorstellen, dass bei der Ankunft des armen Dings auf Sedgwick alle in der Burg sich beinahe überschlagen hatten und alle möglichen Zauberformeln gemurmelt hatten, um ihre Kräfte abzuwehren, anstatt ihr einen Platz vor dem Kaminfeuer und etwas Heißes zu trinken anzubieten.

Diese Engländer waren wirklich ein unverbesserlicher Haufen!

»Was ist aus dem armen Geschöpf geworden?«, fragte Hugh, obwohl er sich gut vorstellen konnte, welchen Prüfungen sie ausgesetzt gewesen war.

»Ich habe gehört«, fuhr Hailey flüsternd fort, »dass die Fee in ihr Land zurückgekehrt ist, zum großen Bedauern des Lords.« Sie runzelte die Stirn. »Was danach passiert ist, weiß ich nicht genau. Die Frau im Souvenirladen sagt, dass er den Rest seiner Tage damit verbrachte, vor den Burgtoren auf und ab zu gehen und auf die Fee zu warten. Der Mann an der Tankstelle in der Stadt meint jedoch, er habe ein tragisches Ende gefunden …«

»Hailey! Hailey, wo steckst du?«

Hugh sprang auf die Füße, verbeugte sich rasch vor Hailey, setzte seine Kappe wieder auf und hastete zurück, um sich hinter einem elisabethanischen Kleid zu verstecken, das leicht so breit war wie er groß.

»Hailey, Liebling, da bist du ja«, sagte eine schlanke Frau erleichtert. »Ich habe dich schon überall gesucht.«

»Ich habe mich mit Hugh unterhalten, Mummy. Er ist ein schottischer Gutsherr.«

Hugh hielt es für besser, sich Haileys Mutter nicht vorzustellen. Sie sah ohnehin bereits gestresst aus.

»Natürlich, Schätzchen.« Sie schaute sich um, als rechnete sie jeden Moment mit einem Dutzend wütender Highlander, die den Wahlspruch ihres Clans brüllten und schottische Breitschwerter schwangen. »Daddy wartet in der Teestube auf uns, also lass uns zu ihm gehen.«

»In Ordnung, Mummy.« Hailey sprang von der Truhe. »Ich habe Lord Hugh schon fast die ganze Geistergeschichte erzählt. Weißt du, Mummy, er war nicht der einzige Geist, den ich heute gesehen habe.«

Haileys Mutter schauderte, und Hugh tat es ihr gleich, bevor er beunruhigt einen Blick über die Schulter warf. Als er sich wieder umdrehte, bemerkte er, dass Hailey ihn anstarrte.

»Siehst du, Mummy? Dort drüben steht er.«

Hugh verschwand rasch, bevor er sich Entsetzensschreie der Mutter anhören musste.

»Das ist der Wind, Hailey.«

»Das ist ein verdammt windiges Schloss, Mummy.«

»Hailey Marie Bleakly, wo hast du solche Ausdrücke her?«

»Das habe ich gehört, als wir Hedingham Castle besucht haben, Mummy. Da waren Männer auf dem Übungsplatz, die sich zwischen den Übungskämpfen für ihre Turniere ausgeruht haben. Und das haben sie über die Burg gesagt.« Sie hielt inne. »Das waren Geister, Mummy.«

Haileys Mutter atmete tief durch. »Ich befürchte, ich brauche heute etwas Stärkeres als Tee.«

Hugh lauschte, wie Haileys Stimme leiser wurde, als sie fortfuhr, ihre Mutter mit der Beschreibung von Dingen zu unterhalten, die sie auf ihren zahlreichen Ausflügen zu anderen historischen Sehenswürdigkeiten beobachtet hatte. Hugh hatte keine Zweifel daran, dass sie das alles tatsächlich gesehen hatte.

Er war der lebende ‒ oder besser nicht lebende ‒ Beweis dafür.

Er ging zurück zu der Truhe, setzte sich und strich sich nachdenklich übers Kinn. Wenn der Lord tatsächlich ein tragisches Ende gefunden hatte, sollte Fräulein Pippy sich besser nach jemand anderem umschauen. Vielleicht nach jemandem aus ihrer eigenen Zeit, damit sie nicht ebenso scheiterte wie der arme Kerl, der sich vor den Toren seiner Burg die Hacken abgelaufen hatte, während er darauf wartete, dass seine große Liebe zu ihm zurückkehrte.

Ein Lufthauch strich über seinen Nacken, und er sprang auf und wirbelte überrascht herum.

Nichts zu sehen.

Normalerweise ließ er sich nicht so schnell einschüchtern, aber wenn nicht jetzt, wann dann. Für seinen Geschmack gab es hier zu viele verdammte Geister. Er ging zurück zur Tür, ließ sich einen Moment lang von einem wunderschönen Ballkleid aus Moireseide ablenken und machte sich dann rasch auf zu anderen, weniger nervenaufreibenden Orten, froh, dass er die Geschichten von verschmähter Liebe, Burgruinen und unsichtbaren Geistern hinter sich lassen konnte.

Er würde sich Gedanken um eine Liebesbeziehung für Pippy machen, wenn er sich sicher in der Teestube niedergelassen hatte und vorgab, eine Tasse von einem heißen, stärkenden Getränk zu sich zu nehmen.

Eines war jedoch sicher: Er würde nicht zulassen, dass sie zu einer baufälligen Burg zurückgeschickt werden würde, deren Bewohner wahrscheinlich ihre Schneiderkünste nicht zu schätzen wussten.

Kapitel 3

Sedgwick Castle, England Herbst 1241