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Willkommen in der magischer Confiserie, wo du genau das findest, was du brauchst! Der inspirierende Roman aus Japan erzählt in sechs herzerwärmenden zusammenhängenden Kurzgeschichten von Liebe und Freundschaft, von Selbstakzeptanz und der Kunst, glücklich zu sein. Die Mondlichtgasse ist ein geheimnisvoller Ort: Nur Menschen, die an einem Wendepunkt in ihrem Leben stehen, können sie betreten. Wie die Oberschülerin Kana, die sich einsam fühlt und an ihrer Beziehung zweifelt, der Immobilienmakler Ayumu Koguma, der glaubt, wegen seines Äußeren nicht wertgeschätzt zu werden, die Studentin Yui, die Angst davor hat, ehrlich zu ihren Freundinnen zu sein, die Schülerin und Musikerin Risa, die neidisch auf eine begabtere Konkurrentin ist, und die junge Mutter Chika, die nicht weiß, ob ihr vielbeschäftigter Mann sie wirklich liebt. Sie alle kommen auf der Suche nach Hilfe in einen kleinen Laden voller magischer Süßigkeiten. Dort verkauft ihnen der rätselhafte Kogetsu eine traditionelle japanische Süßigkeit, die scheinbar ihr Problem löst. Anschließend beobachtet Kogetsu ungesehen, wie das Leben seiner Kunden eine neue Wendung nimmt. Was er sieht, kommentiert er mal kühl, mal verwundert und mal mit Humor. Denn Kogetsu ist ein Geisterwesen und will unbedingt verstehen, was es bedeutet, ein Mensch zu sein … Healing Novel mit fantastischen Elementen und dem Zauber Japans Hiyoko Kurisuscharmanter Feel-Good-Roman Der Laden in der Mondlichtgasse ist durchwoben von japanischen Mythen und Märchen. Der Fuchs-Yokai Kogetsu führt uns auf seine ganz eigene Weise durch eine Geschichte, die die Seele wärmt. Ein wunderschöner Roman für alle, Frau Komachi empfiehlt ein Buch oder den Anime Film Chihiros Reise ins Zauberland lieben. Folgende Healing Novels sind bei Droemer bereits erschienen: - Das kleine Café der zweiten Chancen von Shiri Ota - Hatokos wunderbarer Schreibwarenladen von Ito Ogawa
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Seitenzahl: 211
Veröffentlichungsjahr: 2025
Hiyoko Kurisu
Roman
Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.
Eine magische Confiserie. Ein heilsamer Roman über Gefühle, die uns verwundbar und gleichzeitig stark machen.
Die Mondlichtgasse ist ein geheimnisvoller Ort: Zwischen Vollmond und Neumond ist sie geöffnet und nur Menschen, deren Leben aus dem Gleichgewicht geraten sind, können sie betreten. Wie die Schülerin Kana, die sich einsam fühlt und an ihrer Beziehung zweifelt, oder der Immobilienmakler Koguma, der glaubt, wegen seines Äußeren nicht ernst genommen zu werden. In der Confiserie verkauft ihnen der rätselhafte Kogetsu eine traditionelle japanische Süßigkeit, die scheinbar ihre Probleme löst. Anschließend beobachtet Kogetsu ungesehen, wie sich das Leben seiner Kunden zum Besseren verändert. Denn Kogetsu ist ein Fuchsgeist, der verstehen will, was es bedeutet, ein Mensch zu sein …
Inspiriert von japanischen Fabeln und Märchen für alle, die Satoshi Yagisawas Romane und die renommierten Filme des Studio Ghibli lieben.
Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Glossar
Oh? Guten Tag. Ein Mensch – wie ungewöhnlich.
Hierhin kommen nämlich nur verlorene Seelen, Rachegeister und solche, deren Dasein ins Wanken geraten ist.
Wir befinden uns in der Mondlichtgasse am Rande der Stadt der Geister. Nur verlorene Wesen wie ich, ohne eine Bleibe, leben an diesem in Vergessenheit geratenen Ort.
Ah, wo sind nur meine Manieren? Mein Name ist Kogetsu, und ich bin der Inhaber der Confiserie Kohaku. Es freut mich, Sie kennenzulernen.
Da Sie den Weg zu mir gefunden haben, vermute ich, dass Ihnen etwas auf dem Herzen liegt? So sehr, dass es die Stabilität Ihrer bloßen Existenz bedroht.
Woher ich das weiß? Hmm … sagen wir, ich habe einfach ein Gespür für diese Dinge.
Sie möchten diese Süßigkeit dort? Vielen Dank für Ihr Vertrauen. Ich packe es Ihnen ein, folgen Sie mir.
Aber bitte sehen Sie davon ab, in den hinteren Teil des Ladens zu schauen. Sie haben zufällig ein großes Regal gesehen und fragen sich, was es damit auf sich hat? Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Neugier ist schließlich der Katze Tod.
Hier, Ihre Ware.
Welchen Effekt die Kreationen in diesem Geschäft auf Sie haben werden, weiß selbst ich nicht. Ich rate deshalb, bei Anwendung und Verzehrmenge Vorsicht walten zu lassen. Auch wenn etwas Seltsames passieren sollte, übernimmt die Confiserie Kohaku keinerlei Gewähr, also genießen Sie mit Vorsicht …
Nimmersatt-Konpeito
Mein Freund hat sich von mir distanziert. Es war nicht seine Schuld. Er hatte mir erklärt, dass er wegen der Aufnahmeprüfungen gerade viel zu tun habe, aber trotzdem fühlte ich mich einsam.
Er schrieb mir weniger, wir telefonierten nicht mehr so häufig, und er initiierte den Kontakt fast nie von sich aus.
»Ich habe bald wieder eine Prüfung, also habe ich wahrscheinlich demnächst keine Zeit«, war inzwischen sein Standardspruch geworden. Ich war dann die verständnisvolle Partnerin und nickte brav, aber ich wusste gar nicht, dass es jeden Monat so viele Probeprüfungen geben konnte. Inzwischen war es praktisch immer kurz vor der Prüfung.
Meine Freunde verstanden mich gar nicht und sagten Sachen wie: »Sei doch froh, dass du überhaupt ’nen Freund hast« oder: »Du hast vielleicht Luxusprobleme!«
Er war ein Jahr älter als ich, und ich war schon seit der Mittelschule in ihn verknallt gewesen. Er war damals Schülersprecher, hatte schick ausgesehen und war intelligent, aber angezogen hatte mich seine offene Art.
Ich büffelte wie noch nie, um es in die gleiche Oberschule zu schaffen, aber ein Jahr lang hatte ich ihm nur aus der Ferne hinterhergeschmachtet. Irgendwann brachte ich es dann übers Herz, ihm meine Gefühle zu gestehen, und er sagte: »Ja« …
Für ein gewöhnliches Mädchen wie mich – ich bin nicht besonders hübsch, meine Noten sind nicht sonderlich gut – glich das einem Wunder.
Aber so wirklich toll war es eigentlich nur in den Frühlingsferien gewesen. Dann war er ins letzte Schuljahr gekommen, war seitdem im Prüfungsmodus und ließ mich total links liegen.
Nicht nur tat er so, als sei der Gedanke absurd, am Wochenende etwas zu unternehmen, er hatte auch angefangen, an den Tagen, an denen er keine Paukschule hatte, im Selbstlernraum zu bleiben und dort zu büffeln, obwohl der Weg zurück von der Schule vorher kostbare Zeit zu zweit gewesen war.
Okay, vielleicht war das immer noch besser, als weiter unglücklich verliebt zu sein, aber eigentlich litt ich jetzt viel mehr als vorher.
Doch ich wollte auch nicht quengeln und ihn damit verärgern. Ich hatte Angst, dass er mit mir Schluss machen würde, wenn ich ihm zu sehr auf die Nerven ginge.
Trotzdem wollte ich mich mit ihm treffen, seine Stimme hören und von ihm besser behandelt werden.
Ich war echt ein ganz schöner Nimmersatt. Dabei sollte ich mich wahrscheinlich einfach zusammenreißen und warten, bis seine Aufnahmeprüfungen vorbei sind. Nur war es gerade mal Mai, das wären noch zehn Monate.
Aber wenn er erst mal an der Uni war, entfernte er sich doch sicher nur noch mehr von mir. Er würde mich vergessen, mit irgendeinem tollen Mädchen in seinem neuen Freundeskreis ober bei seinem Nebenjob anbandeln und einfach so verschwinden.
Ich hatte schon ein Jahr lang nichts gesagt, und dass es so enden würde, konnte ich nicht ertragen.
Was sollte ich nur tun? Leider gab es keinen Zaubertrick, mit dem er mir auf einmal mehr Aufmerksamkeit schenkte, ohne dass ich einen Finger heben musste.
Nach der Schule lief ich kraftlos zum Schrein in der Nähe der Schule. Er lag etwas außerhalb des Wohngebiets, war klein und ziemlich heruntergekommen. Man stieg eine kurze Steintreppe hinauf, wo der Schrein auf einem kleinen Plateau umgeben von Bäumen stand.
Hier war ich auch vor der Aufnahmeprüfung für die Oberschule, und bevor ich ihm meine Liebe gestanden hatte, hergekommen.
Nach den beiden Erfolgen kam ich jetzt immer hierher, wenn etwas Wichtiges anstand. Eine Oberschülerin, die ständig die Götter anbetet, damit Dinge gelingen, war ziemlich peinlich, also erzählte ich niemandem davon.
Dank der Bäume und der Treppe war das Schreingelände auch der perfekte Ort, um alleine zu sein.
Ich warf etwas Geld in den Opferkasten, läutete die rostige Glocke und faltete die Hände zusammen.
Bitte lass mich noch lange seine Freundin bleiben. Bitte bring uns noch näher zusammen, dachte ich still.
Während ich mich ganz fest auf die Wünsche konzentrierte, nistete sich ein düsterer Gedanke ein.
Hatte er mich eigentlich von Anfang an je wirklich gemocht?
Was, wenn er nur keine Lust darauf gehabt hatte, mir einen Korb zu geben, und mich jetzt einfach aushielt …? Vielleicht war es nur eine Kurzschlussentscheidung gewesen, dass er »Ja« gesagt hatte.
Mir wurde heiß um die Augen, und ich war auf einmal den Tränen nahe.
Ich spürte, wie ich immer nervöser wurde. Sofort musste ich an einen Artikel in einer Zeitschrift denken, den ich vor Kurzem gelesen hatte: »So erkennst du, ob du zu anhänglich bist und ihn bald vergraulst!« Gab es denn wirklich Mädchen, die in ihrer ersten Beziehung alles richtig machten?
Auf einmal war mir so, als würde ein leichter Wind einen Duft an mich herantragen, den ich aus meiner Kindheit kannte, und ich hob den Kopf.
»… huch.«
Ich riss die Augen auf. Obwohl am Rand des Geländes immer dicht beieinander Bäume und Büsche gestanden hatten, klaffte dort jetzt eine breite, leere Stelle.
Hatten die Shinto-Priester störende Bäume entfernen lassen? Aber warum dann nur da?
Noch dazu schien der Wind von dort zu wehen. Der Duft war seltsam – ein bisschen wie Räucherstäbchen, ein bisschen wie alte Bäume.
Ich nahm den Tragegriff meiner Schultasche fest in die Hand und näherte mich. Als ich nah genug war, um in die Öffnung zwischen den Bäumen sehen zu können, breitete sich ein unvorstellbarer Anblick vor mir aus.
»Was …?«
Eine kerzengerade, unbefestigte Straße. Gesäumt von altmodischen Geschäften in traditionellen Holzgebäuden. Zwischen den Häusern waren Schnüre gespannt, an denen Papierlaternen hingen wie bei einem Sommerfest.
Vor mir lag, getaucht ins Orange des Sonnenuntergangs, eine in die Jahre gekommene Einkaufsstraße.
»Wa-warum ist hier auf einmal …?«
Hinter dem Schrein gab es doch so etwas eigentlich gar nicht. Doch aus irgendeinem Grund führte die Straße direkt bis hierher. Als ob der Schrein als Eingang diente.
Auch der verdächtige Geruch konnte meine Neugier schlussendlich nicht aufhalten. Das Stadtbild erinnerte mich an Szenen aus den 20er-Jahren in der frühen Showa-Zeit, die ich in Filmen gesehen hatte.
Mit meinen abgelaufenen Halbschuhen unternahm ich den ersten Schritt. Auf der Straße, die nicht aus Asphalt, sondern aus festgetretenem Sand zu bestehen schien, lagen verstreut kleine Steine, und ich war unsicher, ob Pfad nicht vielleicht das passendere Wort wäre.
Die heruntergekommenen Läden, denen man sicher keinerlei Schönheit mehr vorwerfen konnte, waren fast alle geschlossen. An manchen Türen hingen Schilder, die Vorübergehend geschlossen verkündeten, doch andere fielen erst laut ins Schloss, als ich daran vorbeilief. Irgendetwas stimmte hier nicht.
Mich gruselte auch ein wenig, dass es Läden gab, denen ich von außen nicht ansah, was sie eigentlich verkauften, und Schilder, die nicht auf Japanisch geschrieben waren.
Da es keine Straßenlampen, sondern nur die roten und weißen Papierlaternen gab, sah alles etwas unecht aus, und ich bekam Gänsehaut.
Warum ich trotz alledem nicht umkehrte und stattdessen immer weiterlief, verstand ich selbst nicht. Vielleicht hatte ich mir zu viele Sorgen gemacht und tat es aus purer Verzweiflung.
Eigentlich war ich ein totaler Hasenfuß und hatte mich nicht einmal ins Geisterhaus getraut, das meine Klassenkameraden beim Kulturfest der Schule gebaut hatten. Wäre mein Freund gerade hier, würde ich ihn sicher am Ärmel ziehen und sagen: »Komm, an so einen Ort müssen wir nicht gehen. Das macht mir Angst.« Vielleicht.
Am Ende der Straße fand ich endlich einen Laden, in dem Licht brannte. Obwohl er in der hintersten Ecke der Einkaufsstraße lag, war er in einem besseren Zustand als alle anderen. Der Laden war alt, aber jemand schien sich um die honiggelben Holzwände zu kümmern. In die aufwendig geschnitzte, hölzerne Tür war ein Spion eingelassen, und sie war mit rosafarbenen Papierlaternen dekoriert.
Auf dem Schild stand, geschrieben in geschwungenem Pinselstrich: Confiserie Kohaku – lassen Sie sich von uns verzaubern!
Verzaubern?, dachte ich argwöhnisch. Und was hieß denn bitte »Ruhetage: Neumond und Vollmond«?
Ich redete mir ein, dass mir ein Süßwarenladen schon keine teuren Sachen aufschwätzen würde, ich einfach nur eine kleine Süßigkeit essen wollte, und öffnete die Tür.
Ein lautes Knarzen ertönte, und das schlecht beleuchtete Innere des Ladens tat sich vor mir auf.
Ins Licht der Deckenlampe getaucht, sah ich auf einem hüfthohen Regal wahllos aufgereiht Daifuku, Manju und andere japanische Spezialitäten, Konpeito und Kintaro-ame, sowie altmodische Karamellbonbons.
»Herzlich willkommen. Ein Mensch – wie ungewöhnlich«, sprach mich eine Stimme aus der Dunkelheit an, und ich fuhr zusammen. Als ich meinen Blick tiefer in den Laden richtete, fiel er dort auf einen bildhübschen, goldblonden Mann, der einen Hakama trug. Ich schätzte ihn auf etwa Mitte zwanzig. Die Pupillen seiner mandelförmigen Augen waren ebenso goldgelb, seine Haut blass, und er sah für einen Japaner ganz untypisch aus … für den Bruchteil einer Sekunde glaubte ich gesehen zu haben, wie zwischen seinen halblangen Haaren rotbraune Fuchsohren hervorlugten, aber das hatte ich mir sicher nur eingebildet.
»Oh, guten Tag. … Was meinen Sie, wenn Sie sagen, dass ein Mensch ungewöhnlich ist?«
Er verzog die Mundwinkel zu einem Lächeln. Die gekünstelte Geste ließ ihn einen Moment lang unecht aussehen, wie eine fein gearbeitete Puppe.
»Wir befinden uns in der Mondlichtgasse, einem Ort zwischen dem Diesseits und dem Jenseits. Hierher finden den Weg nur verlorene Seelen, Rachegeister und Menschen wie Sie, deren Dasein ins Wanken geraten ist.«
»Ähm …«
Die Erklärung überraschte mich, doch kurz darauf ergab alles Sinn.
Mit anderen Worten war das hier so eine Art Concept Store. Sie hatten sich eine Vorgeschichte ausgedacht und begegneten der Kundschaft nun wie in einem Themenpark.
Ich wusste, dass es in letzter Zeit immer mehr solcher Läden und Cafés gab.
»Verzeihen Sie, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe. Ich heiße Kogetsu und bin der Inhaber dieses Geschäfts«, fuhr er in seiner für einen Mann etwas hohen, hellen Stimme fort und verbeugte sich.
»Freut mich … Sie sollen dann also ein Fuchs sein, vermute ich?«
Bei den Ohren, die ich einen Moment lang erspäht hatte, musste es sich um einen Kostümtrick gehandelt haben, reimte ich mir zusammen. Ich musste ihn einfach danach fragen.
»Oh, Sie sind sehr scharfsinnig. Da liegen Sie zur Hälfte richtig.«
»Zur Hälfte …?«, hakte ich nach, doch Kogetsu sagte nichts mehr.
Da ich aber schon einmal hier war, entschied ich mich, das nächste Thema anzusprechen, das mich neugierig gemacht hatte.
»Übrigens … Warum haben Sie während Neumond und Vollmond geschlossen?«
»Weil ich ihn nicht ausstehen kann, weder den Neumond noch den Vollmond. Ich bin ein halbes Wesen, deshalb schlägt es mir auf die Gesundheit, wenn die Kraft des Mondes am stärksten und am schwächsten ist.«
Ein Hauch Spott schwang in seiner Stimme mit. Vermutlich hatte es damit zu tun, dass er vom Charakterkonzept her ein Halbfuchs war, wie er eben impliziert hatte. Abgesehen davon würde es natürlich jedem auf die Gesundheit schlagen, wenn man nur zweimal im Monat freihatte … Es schienen keine anderen Mitarbeiter vor Ort zu sein, und ich fragte mich, ob er sich alleine um den ganzen Laden kümmerte.
Ich ließ meinen Blick über das Angebot schweifen und dachte mir dabei, wie schade es war, dass ein so attraktiver Typ in diesem verlassenen Laden feststeckte.
»Es gibt immer einen Grund, wenn die Stabilität des eigenen Daseins in Gefahr gerät. Gehe ich richtig in der Annahme, dass auch Ihnen etwas auf dem Herzen lastet?«
Beim Klang seiner Stimme glitt mir beinahe das Konpeito aus der Hand, das ich herausgegriffen hatte.
»Wo-… woher wissen Sie das?«
Unfreiwillig starrte ich ihm direkt in die goldgelben Augen.
Auch seine Brauen waren blond und dabei dünn und lang wie Streichhölzer.
»Erfahrung und Intuition, würde ich sagen. … Interessieren Sie sich etwa für das Konpeito?«
»Ähm … also …«
Als er die Süßigkeit in meiner Hand sah, grinste er. Die Farben der Zuckersterne in der runden, durchsichtigen Dose reichten von blassem Violett bis Blau und erinnerten mich an Hortensien. Natürlich sahen sie niedlich aus, aber neugierig gemacht hatte mich etwas anderes.
»Ich frage mich, was es mit dem Namen auf sich hat …«
Die Süßwaren in diesem Laden trugen alle etwas kuriose Namen. Sie hießen nicht einfach Mame Daifuku oder Dorayaki, sondern hatten alle ein weiteres Wort vorangestellt.
Das Konpeito zum Beispiel hieß Nimmersatt-Konpeito. Da ich mich fragte, ob ich selbst zu gierig war, hatte ich instinktiv danach gegriffen.
»Wenn man dieses Konpeito isst, geschieht in einem kleinen Ausmaß etwas Schönes. Sie dürfen pro Tag aber nur eines essen«, führte er das märchenhafte Setting weiter aus und brachte dabei den Zeigefinger vor die Lippen, als würde er mir ein Geheimnis erzählen.
»Verstehe. Deshalb Nimmersatt, richtig? Aber ist es nicht schwierig, pro Tag nur ein Stück Konpeito zu essen?«
»Das ist natürlich richtig. … Aber egal, was auch passiert, die Confiserie Kohaku übernimmt keinerlei Gewähr.«
Mein Herz klopfte auf einmal ganz laut in meiner Brust. Denn Kogetsus eisiger Gesichtsausdruck ließ das Gesagte wie eine Drohung wirken.
Was meinte er mit: »Egal, was auch passiert?« Er spielte seine Rolle so überzeugend, dass ich vergaß, dass nichts hieran echt war, und bekam wirklich Angst.
»Ich möchte es bitte kaufen.«
Um mir nicht anmerken zu lassen, dass ich kalte Füße bekommen hatte, überreichte ich ihm fordernd die Zuckerbonbons.
Sie kosteten dreihundert Yen. Das war günstig, sie waren groß und sahen lecker aus, also war es sicher keine Verschwendung, sie zu kaufen.
Ich legte das Geld auf die Theke vor die antike, analoge Registrierkasse, und Kogetsu steckte die Konpeito-Dose in eine sepiafarbene Papiertüte.
»Herzlichen Dank. Bitte seien Sie vorsichtig, was Anwendung und Verzehrmenge angeht.«
Was für ein bizarrer Laden, dachte ich mir, ging nach Hause und starrte in meinem Zimmer weiter gedankenverloren auf das Konpeito. Vielleicht hatte mich der Typ so schnell durchschaut, weil er als Nebenjob noch Wahrsager war. Wenn das so wäre, würden auch die geheimnisvolle Atmosphäre und sein theatralischer Auftritt Sinn ergeben.
»Na, dann probier ich mal eins.«
Ich hatte immerhin schon zu Abend gegessen, mir aber noch nicht die Zähne geputzt.
Ich stieg aus dem Bett und nahm den Behälter mit dem Konpeito von meinem Schreibtisch. Den Inhalt stülpte ich mir auf die Handfläche, besann mich dann jedoch auf Kogetsus Worte und füllte ihn wieder ein.
Ich fürchtete mich natürlich nicht, sondern wollte ihm einfach einen Gefallen tun und bei seiner Geschichte mitspielen, dachte ich mir still, während ich das einzelne Zuckerbonbon betrachtete, das ich in der Hand behalten hatte.
Als ich es mir in den weit geöffneten Mund warf, breitete sich die ungetrübte Süße von purem Zucker auf meiner Zunge aus. Es war pappsüß, aber hatte gleichzeitig eine feine Minznote und war deshalb trotzdem sehr angenehm zu kauen.
Die nötige Selbstkontrolle aufzubringen, davon nur eines zu essen, kam mir absurd vor.
Aber na ja, ich wollte nicht so sein. Ich war zwar nicht mehr in dem Alter, in dem man an Glücksbringer und Talismane glaubte, aber wenn man wirklich für dreihundert Yen etwas Positives herbeiführen konnte, hätte ich nichts dagegen.
Ich beließ es dabei und hatte mich gerade auf den Stuhl gesetzt, um mit der Unterrichtsvorbereitung für morgen zu beginnen, als das schrille Klingeln meines Handys unter dem Kopfkissen ertönte. Es war keine Nachricht, sondern ein Anruf.
Hastig fischte ich es unter dem Kissen hervor und sah, dass der Name meines Freundes auf dem Bildschirm angezeigt wurde.
»Hallo? Schatz?«
Ich war so nervös, dass mir ein wenig die Stimme kippte. Wir hatten nämlich schon sehr lange nicht mehr telefoniert.
»Ah, Kana? Passt es dir gerade?«
»Äh, klar. Passt. Ist irgendwas? Du rufst mich so selten an …«
»Ich bin gerade mit der Probeprüfung in der Paukschule fertig. Heute können wir ganz lange telefonieren.« Er klang so fröhlich, dass ich mich fragte, was diese Veränderung ausgelöst hatte.
»Wirklich? Das freut mich total …«
Seine Worte rührten mich.
Obwohl er sonst fast nur zuhörte, brachte er sich heute aktiv in die Unterhaltung ein. Er erzählte mir von einem Witz, den eine Lehrerin während des Unterrichts gemacht hatte, von Missgeschicken seiner Freunde, lachte selbst über meine langweiligen Anekdoten, hörte aktiv zu – ich war außer mir vor Glück.
Wir unterhielten uns noch eine Stunde länger angeregt über alles, was uns in den Sinn kam, und als ich auflegte, schwebte ich auf Wolke sieben.
Ich stieß einen langen, zufriedenen Seufzer aus und drückte mir das Handy an die Brust. Lange hatte ich mich nicht mehr so glücklich gefühlt.
Kann das wirklich an dem Konpeito gelegen haben …?
Ich warf einen flüchtigen Blick auf die Dose und dachte an die Süße auf meiner Zungenspitze zurück.
Ach, Quatsch. Solche Zufälle gab es einfach manchmal.
Trotzdem aß ich am nächsten Morgen wieder ein einzelnes Zuckerbonbon und ging zur Schule.
Gerade als ich an meinem Platz im Klassenzimmer angekommen war, rief mir meine Freundin aus der anderen Klasse vom Gang aus zu, was nicht oft vorkam. Letztes Jahr waren wir in derselben Klasse gewesen, und wir schrieben uns immer noch Nachrichten. Ich stellte meine Tasche ab und ging raus auf den Gang.
»Morgen. Gibt’s irgendwas Dringendes, weshalb du den ganzen Weg hierhergekommen bist?«
»Ich wollte dir nur etwas geben, Kana. Bitte sehr!«
Mit einem breiten Lächeln überreichte sie mir Kinotickets. Für den Film zu einer Animeserie, über den alle schon vor Kinostart redeten.
»Ähm. Ist irgendwas? Woher kommt das denn auf einmal?«
Auf meine Fragen hin kicherte sie.
»Bei diesen Vorverkaufstickets gab es eine Chance, Fanartikel zu gewinnen, deshalb habe ich mehrere gekauft. Aber so oft kann ich mir den Film gar nicht ansehen, also dachte ich mir, warum nicht dich auch daran teilhaben lassen. Du hast doch mal gesagt, dass dein Freund diesen Anime mag, oder nicht?«
»Ja, schon.«
Jetzt, wo sie es sagte, erinnerte ich mich dunkel daran, mit ihr darüber gesprochen zu haben. Um mit meinem Freund darüber sprechen zu können, hatte ich mir den Anime auch angesehen.
»Diese Woche Samstag kommt der Film in die Kinos, also schaut ihn euch doch zu zweit an.«
»Da-… Danke!«
»Ist schon gut jetzt. Bis dann!«, winkte meine Freundin ab, nachdem ich mich überschwänglich bedankt hatte, und ging in ihr Klassenzimmer zurück.
Sie hatte mir zwei Tickets gegeben. Ich schickte meinem Freund sofort eine Nachricht.
Auf meine Frage hin, ob er denn nicht mit mir ins Kino gehen wolle, weil ich von einer Freundin zwei Karten aus dem Vorverkauf geschenkt bekommen hatte, kam sofort eine Antwort. Samstags hätte er keine Paukschule, von daher würde es perfekt passen, schrieb er.
Endlich mal wieder ein richtiges Date!
Ich bemerkte, wie ich schon im Begriff war, im Gang triumphierend die Fäuste in die Luft zu strecken, und riss mich wieder zusammen.
Nach dem Telefonat von gestern war mir heute wieder eine unerwartet schöne Sache passiert.
Ich gab mir Mühe, es als bloßen Zufall abzutun, aber war immer mehr davon überzeugt, dass an dem behaupteten Effekt des Konpeito wirklich etwas dran war. Wenn man dieses Konpeito isst, geschieht in einem kleinen Ausmaß etwas Schönes. Ich musste an die wundersame Atmosphäre im Laden in der Mondscheingasse und an Kogetsus leicht künstlich wirkendes, elegantes Aussehen zurückdenken. Vielleicht ging es allen nach einem Besuch in diesem Laden so, dass sie an Wunder glauben wollten.
Ich entschied mich, weiter an den Effekt des Konpeito zu glauben und es zu essen, solange mir ein positives Erlebnis am Tag widerfuhr – das hieß jedoch nicht, dass ich auf einmal abergläubisch war.
Ab dann lief jeder Tag fantastisch. Mein Glück hielt an. Ich gewann mit einem Los am Kiosk, und im Test kamen genau die Aufgaben dran, die ich gerade vorher wiederholt hatte. Einzeln betrachtet waren es absolute Kleinigkeiten, aber etwas Spaß und Farbe in mein tristes Schulleben gebracht zu bekommen, reichte mir vollkommen.
Das Kinodate mit meinem Freund verlief super, und er schenkte mir sogar einen zu seinem passenden Druckbleistift.
»Damit du dich bis zur Aufnahmeprüfung nicht einsam fühlst, Kana«, sagte er. Der Bleistift hatte ein schlichtes und erwachsenes Design, ganz anders als mein alter, auf den eine Comicfigur gedruckt war. An einem Tag, der nicht mal irgendein Jubiläum war, so unerwartet ein Geschenk zu bekommen, trieb mir zur großen Überraschung meines Freundes die Tränen in die Augen. »Ich hätte echt nicht erwartet, dass du dich so sehr freust«, sagte er schockiert.
Ende Mai war es dann an der Zeit für die Zwischenprüfung des ersten Trimesters.
Nachdem der Umfang der Prüfung bekannt gegeben worden war, sah man in der Bibliothek und im Selbstlernraum immer mehr nervöse Abschlussklässler, und mein Handy hörte bald auf, die zugestellten Nachrichten meines Freundes zu verkünden. Wie im Nu war wieder alles beim Alten, und er ignorierte mich.
Während der Zwischenprüfungen passierten zwar weiter gute Dinge, aber es kam nicht gegen den allgemeinen Stress und den Schmerz, dass mein Freund mir nicht mehr schrieb, an.
Dabei hatte ich mich gerade erst vollends an glückliche Tage gewöhnt.
Am Tag der letzten Klausur saß ich da, füllte das Papier mit einem unserer passenden Bleistifte aus und seufzte.
Es fiel mir leicht, vielleicht, weil ich so viel gebüffelt hatte, um mich abzulenken. Hoffentlich musste ich mir bald nicht länger von meinen Eltern anhören, dass meine Noten schlechter geworden seien, seit ich einen Freund hatte.
Obwohl sich normalerweise nach den ganzen Klausuren eine große Erleichterung einstellen sollte, war ich nur weiter betrübt. Jetzt würde es wieder die Paukschule oder die nächste Prüfung sein, der er sich widmete, und deshalb beschäftigt war. In der Paukschule waren die Klassen nach Leistung eingeteilt, und man wurde in eine niedrigere Stufe gesteckt, wenn man ein schlechtes Ergebnis in einer der Klausuren erzielte, also ließ sich daran nichts ändern.
Aber Dinge, an denen sich nichts ändern ließ, waren nicht zwingend auch Dinge, die man ertragen konnte.
Zu Hause angekommen, warf ich mich traurig aufs Bett. Ich hatte erfolgreich meine Klausuren überstanden und trotzdem keine Lust auf Serien gucken oder Manga lesen. Normalerweise konnte ich es kaum erwarten, mich in meine Hobbys zu stürzen.
Ich nahm die runde Dose mit den Konpeito in die Hand und spielte gedankenverloren damit herum. Da ich jeden Tag eins aß, war der Inhalt inzwischen auf etwa die Hälfte geschrumpft.
Inzwischen war ich sogar eher enttäuscht von dem Effekt, weil es einfach Dinge gab, die sich mit kleinem Glück nicht lösen ließen. Dabei hatte ich mich anfangs fast schon unbesiegbar gefühlt.
Sie dürfen pro Tag aber nur eines essen, hallte Kogetsus Stimme in meinem Kopf nach. Aus einer Art Pflichtbewusstsein hatte ich seine Regel befolgt, aber ich fragte mich, was wohl passieren würde, wenn ich sie brach? Er hatte mir schließlich nicht im Detail erklärt, was genau mich erwarten würde, wenn ich mehrere Stücke Konpeito aß.
Wenn ein Konpeito eine kleine schöne Sache mit sich zog, dann würde eine große Menge wohl eine große schöne Sache auslösen, oder? Dieser Gedanke hatte sich in meinem Kopf festgesetzt.
Dann ergab es zwar nicht sonderlich viel Sinn, dass es verboten war, aber mein Bedürfnis, es auf die Probe zu stellen, wurde immer stärker.
Was soll’s, einfach rein damit, flüsterte eine böse Stimme in meinem Herzen, und prompt hatte ich schon den Deckel abgerissen, ließ die Bonbons auf meine Hand prasseln und schob sie mir in den Mund.
Mein Mund war voll mit dem schwer zu kauenden Konpeito. Die Süße war so beißend, dass mir die Augen tränten.
Ich hatte mit einem Mal die Hälfte der übrig gebliebenen Zuckersterne vertilgt, aber ich bereute es nicht. Im Gegenteil fühlte ich mich eher befreit, wie wenn ich sonst aus Frust Süßigkeiten in mich reinstopfte.
»Kana! Abendessen!«, erklang die Stimme meiner Mutter von unten.
