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E. Dence

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Beschreibung

Das Leben im Meer ist dem Leben an Land manchmal sehr ähnlich. In einer Delphinsiedlung lebt ein junger, lebensfroher Jungdelphin namens Ignazius, der schon die zweite Klasse besucht. Da Delphine nur drei Jahre überhaupt in die Schule gehen, gibt es meistens nur wenig Freizeit für die verspielten Meeresbewohner, da sie so schnell erwachsen werden. Gegen Ende des zweiten Schuljahres müssen die Eltern von Ignazius verreisen und so beginnt eine wundervolle Zeit mit vielen Abenteuern für den kleinen Lausedelphin. Darüber hinaus stehen Ignazius und seine Mitschüler gerade am Beginn der Pubertät, was das Leben für alle noch zusätzlich interessanter und auch komplizierter macht. Abgesehen von Abenteuern, lernt Ignazius auch viele neue Freunde kennen und diese braucht er auch, denn die Haie sind in der letzten Zeit ziemlich frech geworden und sind auf Ärger aus. Um die Sache abzurunden, gibt es auch Probleme mit Roberta, einer jungen Delphindame, die Ignazius schon seit Kindertagen kennt. Plötzlich kann er sie nur noch anblubbern und versteht nicht wieso. Selbst der Meermenschenarzt, Doktor Qualle, ist ratlos. Dieses erste Buch von den 'Geschichten von unter der Meeresoberfläche' bietet einen guten Einstieg in die Unterwasserwelt, in der die Delphine und auch die Meermenschen zahlreiche Abenteuer zu bestehen haben.

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E. Dence

Der Lausedelphin

Dieses Buch ist allen schlimmen Kindern gewidmetBookRix GmbH & Co. KG81371 München

Prolog

Bitte beachten Sie die Altersempfehlung bei allen Büchern, denn es werden auch Bücher geschrieben, welche nicht von Kindern oder Jugendlichen verstanden würden oder gelesen werden sollten.

 

Die folgenden Geschichten enthalten einen guten Teil Schulwissens, sind jedoch mit phantasievollen Extras ausgestattet, da sie ja speziell für Kinder und Jugendliche unterhaltsam sein sollen. Auch Erwachsene werden dieses Buch ebenso zum Schmunzeln finden, wie jüngere Leser.

 

Einzelne Charaktere in diesem ersten Buch aus der Serie »Geschichten von unter der Meeresoberfläche« werden später auch in anderen Büchern zu finden sein. Beachten Sie bitte auch im Anhang das Kapitel »Wahrheit und Fiktion«.

 

Ich hoffe die zahlreichen Delphingeschichten werden für Sie und Ihre Kinder genauso spannend zu lesen oder zu hören sein, wie sie für mich zu schreiben gewesen sind. Ich wünsche Ihnen und Ihren Kindern viel Spaß.

Der junge Lausedelphin Ignazius

Delphine gibt es schon sehr viel länger als die Menschen. Delphine wissen auch, dass Delphine wesentlich intelligenter als die Menschen sind. Da aber niemand die Delphinsprache spricht, ist das den Menschen noch nicht aufgefallen. Aus Menschensicht gehören die Delphine zu den Säugetieren. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet dies, dass Delphine lebende Jungen zur Welt bringen, welche sie auch säugen. Das ist also genau so wie bei den Menschen und anderen Säugetierarten. Obwohl die Delphine im Wasser leben, brauchen sie auch Luft zum Atmen.

Fische unterscheiden sich von Delphinen hingegen sehr. Sie legen im Regelfall, aber nicht immer, Eier und aus diesen schlüpfen dann die Jungfische. Kiemen ermöglichen es den Fischen unter Wasser auch zu atmen, indem sie dem Wasser so den lebensnotwendigen Sauerstoff entziehen.

Auch die Delphine haben Familien und die Jungdelphine werden von ihren Eltern genauso geliebt und ernährt, wie dies bei den Menschen und ihren Kindern der Fall ist. Und so beginnt unsere Geschichte:

 

Auf den großen Ozeanen gibt es viele Inseln. Eine dieser Inseln war mit mehreren Stränden und einer sehr feinen aber kleinen Bucht an der Westseite ausgestattet. Vor der Insel waren einige Felsen im Wasser auf der Seite der Bucht. Doch tauchte man an den Felsen vorbei immer tiefer und tiefer, stieß man auf eine Delphinsiedlung. Dort lebten zahlreiche Delphinfamilien in ihren Unterwasserhöhlen. Es gab auch eine Schule und allerlei Verwaltungshöhlen. Die Versorgerdelphine sorgten dafür, dass in allen Höhlen an der Decke Luftblasen hingen, damit die Delphine zum Atmen nicht immer die Höhle verlassen und an die Oberfläche schwimmen mussten. In einer dieser Unterwasserhöhlen lebte Familie Seestern. Mama und Papa Seestern waren stolze Eltern eines frechen und lebensfrohen Delphins namens Ignazius. Ignazius Seestern ist daher sein vollständiger Name, doch ‚Herr Seestern‘ wird nur sein Papa von Mama genannt, wenn sich Papa wieder einmal an der Hausarbeit in ihrer feinen Unterwasserhöhle nicht beteiligt. Delphinkinder hingegen werden immer nur beim Vornamen gerufen. Unser Ignazius war schlimm. Schon in den Jahren bevor Ignazius zur Schule musste, spielte er den Eltern und auch den Nachbarn andauernd Streiche. Mit Streichen fing Ignazius bereits an, als er nur kurz auf der Welt und noch nicht einmal ein Jahr alt war.

 

»Kicher, kicher«, hörte man es leise im Raum. Mama und Papa Seestern konnten nur nicht genau sagen, woher genau das Kichern kam. Zwei Stunden lang hatten sie schon alle abgetrennten Höhlenabteile ihrer Unterwasserhöhle durchsucht, aber ihren Sohn Ignazius hatten sie nicht gefunden. Das war nicht das erste Mal, dass der kleine Schlingel solche Streiche spielte und irgendwann mussten sie hinter den Trick kommen, um nicht andauernd nach ihm suchen zu müssen. Erst wenn Ignazius Hunger bekam, tauchte er plötzlich auf, als wäre nichts gewesen. Mama Seestern wollte anfangs streng mit ihm sein, aber wenn der kleine, süße Lausedelphin von unten schuldbewusst mit seinen großen Glupschaugen die Mama ansah, schmolz sie dahin und verzieh ihm sofort alles. Papa musste der Strenge sein und schimpfte auch immer mit Ignazius. Das erste Wort, das Ignazius sprechen konnte, war nicht etwa »Mama« oder »Papa«. Nein, es war, »’tschuldigung«. Kurz darauf lernte er sein erstes Wort noch zu ergänzen mit: »’tschuldigung, ich mach’s nie wieder«.

Aber die heutige Suche erwies sich als besonders anstrengend. Das Kichern schien irgendwie aus dem nächsten Abteil in der Höhle zu kommen und war man dort, schien es, als käme es wieder aus dem Höhlenteil, den man gerade verlassen hatte. Frau Seestern schlug vor sich zu trennen und so schwamm Papa Seestern in das nächste Abteil, während Mama Seestern in diesem Abteil blieb. Mama versteckte sich noch zusätzlich, vielleicht würde es ja etwas bringen.

Papa Seestern fing im Nachbarabteil an, nach Ignazius zu rufen. Da schoss der kleine Lausedelphin aus einem der kleinen Verbindungstunnel zwischen den Abteilen. Durch diese Tunnel war ein stetiger Austausch von Wasser gegeben und so wurde in den abgetrennten Höhlenteilen für ein gesundes Klima gesorgt. ‚Aha‘, dachte sich Mama Seestern während Ignazius zur Luftblase an der Decke schoss. ‚So ein Schlingel.‘ Nachdem er kurz Luft getankt hatte, raste er in beeindruckender Geschwindigkeit wieder in den Verbindungstunnel. Mama Seestern hätte ihn nie erwischt und aus dem Tunnel drang wieder ein Kichern, während Papa im Nachbarabteil schon heiser wurde.

Mama Seestern schwamm in die Haupthöhle und rief nach ihrem Mann. Die Haupthöhle wurde fast immer als Wohnhöhle bezeichnet und auch meistens so verwendet. Von hier aus gab es auch kleine Verbindungstunnel in die äußeren Abteile und daher konnte Mama nicht sicher sein, dass sie nicht von Ignazius belauscht wurden. Leise erzählte sie ihrem Mann, wie es Ignazius anstellte, scheinbar immer wieder zu verschwinden. Schnell war ein Plan entwickelt.

Mama und Papa schwammen in alle Abteile, bis sie ein Kichern aus der Wand hörten. Dann schwamm Papa ins Nachbarabteil, holte bei der Deckenblase ganz tief Luft, schwamm zum Tunnel und blies, wie auf einer Trompete, so kräftig er konnte in den Tunnel hinein. Ein vergnügtes Quietschen war sofort zu hören, während Ignazius förmlich aus dem Tunnel herausgeblasen wurde. Papa hatte so heftig geblasen, dass der kleine Ignazius quietschend und wie ein kleiner Ball aus dem Tunnel sauste, von Höhlenwand zu Höhlenwand prallte und vor der entsetzten Mama zu liegen kam. Ignazius richtete sich wieder gerade, glotzte die Mama mit leicht rollenden Augen an und rief begeistert, »Nochmal, nochmal, nochmal! Das war lustig! Nochmal!« Während Mama Seestern ihrem Sohn, dem vor lauter Freude und Aufregung die Seitenflossen flatterten, wieder einmal nicht böse sein konnte, war Papa nicht so begeistert. Hinter Ignazius ertönte eine tiefe Stimme, »Sohn, wir müssen reden.«

Liebe Nachbarn

Nach der Strafpredigt und dem Verbot nochmals so einen Unfug in der heimischen Höhle anzustellen, fand Ignazius bald neue Opfer. Zwar war es auch verboten, ohne Begleitung von Erwachsenen in diesem Alter die Höhle zu verlassen, aber eine Strafpredigt hatte es deswegen noch nicht gegeben. Verbote ohne Strafpredigten empfand Ignazius eher als Empfehlungen. Daher besuchte Ignazius am nächsten Tag die Familie Mondschein, welche in einer höher gelegenen Unterwasserhöhle gegenüber ein schönes Zuhause hatte.

Heimlich schlich sich Ignazius raus und machte die Nachbarn mit seinem Kichern aus der Wand nervös. Die Kinder der Mondscheins waren schon lange in die Hauptstadt gezogen, denn die Familie war auch ursprünglich aus der Hauptstadt, doch hatten die Kinder nie solche Streiche gespielt. Eine halbe Stunde ging der Spuk, dann musste Ignazius schnell heim, damit seine Abwesenheit nicht bemerkt werden würde. Auch bei anderen Nachbarn schaute Ignazius ab und zu vorbei, aber bei der Familie Mondschein war er am liebsten, denn dort roch es so angenehm und Herr und Frau Mondschein lächelten immer so freundlich, wenn Ignazius mit Mama unterwegs war und ihnen begegnete. Doch die Ausflüge von Ignazius wurden immer länger und Herr und Frau Seestern mussten ihn irgendwann deshalb schon wieder suchen. Da er nicht in der Höhle zu finden war und Papa Seestern alle Verbindungstunnel erfolglos durchgepustet hatte, bis ihm schwindlig wurde, musste der kleine Lausedelphin wohl oder übel die Höhle verlassen haben. Besorgt schwamm Mama Seestern zu allen Nachbarn, um diese zu bitten, die Augen offen zu halten. Papa Seestern suchte in der Zwischenzeit die ganze Gegend ab.

»Frau Seestern, mein Mann ist doch Chef der Wächterdelphine. Vielleicht sollten wir uns vom Posten Verstärkung holen, damit wir den kleinen Ausreißer schneller finden«, sagte Frau Mondschein, die gerade Futterfische für das Abendessen holen wollte, als ihr Frau Seestern am Eingang ihrer Höhle begegnete. Frau Seestern wusste zwar, dass manchmal ein Jungdelphin trotz Verbot unerlaubt die Höhle verlassen würde, doch war es ihr peinlich, dass gerade ihr lieber Ignazius zu den Ausreißern zählen könnte. »Soso«, sagte Herr Mondschein, der sich gerade hinzugesellte, denn durch die Stimmen vor der Höhle war er neugierig geworden. »Alles sehr seltsam. Genauso wie das unerklärliche Kichern in der Wand, das wir seit ein paar Wochen bei uns haben. Vorhin habe ich es schon wieder gehört.« Frau Seestern wurde bleich und rief gleich nach ihrem Mann, der gerade ein paar Korallenbäumchen in der Nähe inspizierte.

»Ich glaube, ich weiß, was los ist und wo Ignazius steckt«, sagte Frau Seestern, als ihr Mann erschöpft eintraf. »Können wir einmal in die Höhle schwimmen, wo Sie das Kichern gehört haben, Herr Mondschein?«, fragte Frau Seestern. Herr Mondschein nickte und alle folgten ihm in eine sehr schön dekorierte Schlafhöhle. Keine halbe Minute später war wieder ein Kichern zu hören. Herr Mondschein drehte sich um seine Achse und richtete seinen Schnabel genau auf die Richtung, aus der das Kichern kam. Herr Seestern schwamm so schnell er konnte in das Nachbarabteil und tankte ordentlich Luft an der Deckenblase. ‚Na warte, du Schlingel‘, dachte sich Herr Seestern und blies so heftig er konnte in den Verbindungstunnel. Wie ein Gummiball schoss Ignazius quiekend aus dem Tunnel und knallte dem erschrockenen Herrn Mondschein genau zwischen die Augen, klatschte oben an die Höhlendecke und endete mit einem dumpfen PLATSCH am Höhlenboden. »Autsch! Nochmal, nochmal!«, quietschte Ignazius vergnügt und leicht lädiert. Alle Flossen vibrierten vor Verzückung und er konnte sich nicht einmal mehr aufrichten. Herr Mondschein war ganz benommen und schielte mit den Augen. »Soso«, sagte er trocken, »Das erklärt ja so einiges und außerdem – Autsch.« Während Frau Mondschein und Frau Seestern noch ganz verdutzt zwischen Ignazius und dem verwirrt schielenden Herrn Mondschein hin und her blickten, schwamm Herr Seestern aufgeregt durch den Eingang der Schlafhöhle. »Haben wir den Schlingel erwischt?«, fragte er aufgeregt. »Najaaaa, zuerst hat Ignazius Herrn Mondschein erwischt, genau zwischen die Augen. Und jetzt kullert er vor Frau Mondschein herum und will gleich nochmal so in der Gegend herum geschossen werden«, antwortete Frau Seestern schuldbewusst und mit leicht gesenktem Kopf. Herr Seestern senkte den Kopf und entschuldigte sich gleich für alles bei Herrn Mondschein. »Papperlapapp, da hat Herr Mondschein schon ganz andere Sachen erlebt. Das hält er schon aus. Schließlich war er doch einmal selbst Wächterdelphin, bevor er den Wächterposten dann übernommen hat«, erwiderte Frau Mondschein. Dann strich sie Ignazius sanft über den Bauch, denn der konnte sich immer noch nicht aufrichten, weil er vor Aufregung noch zitterte. Ignazius beruhigte sich und umklammerte mit den winzigen Seitenflossen ganz fest ihren Schnabel. »Du bist so lieb, Frau Mondschein«, schwärmte Ignazius und sah sie mit seinen großen Glupschaugen auch ganz liebevoll an. So einem süßen Fratz konnte sie unmöglich böse sein. Sanft hob sie den Kleinen hoch und brachte ihn zu seiner Mutter. »Wir müssen nach Hause, kleiner Schatz«, sagte Frau Seestern sanft, denn sie war bei den Worten ihres Sohnes ebenfalls hoffnungslos dahingeschmolzen. Nur Papa Seestern und Herr Mondschein tauschten wissende Blicke aus. Die Damen waren schon wieder einmal von einem frechen Lausedelphin um die Flosse gewickelt worden.

Am nächsten Tag gab es für den kleinen Lausedelphin dann die Konsequenzen. Papa Seestern befahl Ignazius, sich bei allen Nachbarn, denen er Streiche gespielt hatte, zu entschuldigen. Das war natürlich ein Fehler, denn Herr Seestern hatte einen freien Tag und wusste ja gar nicht, wie viele Nachbarn Ignazius schon besucht hatte. Nach dem zwanzigsten Nachbarn war ein guter Teil des Tages schon vergangen, denn Herr Seestern hatte Ignazius auch befohlen zu beichten, wie und wie oft er denn Streiche gespielt hätte.

Papa begleitete den kleinen Lausedelphin und kam aus dem Staunen nicht heraus. Als Ignazius schließlich von Papa gefragt wurde, wie viele Besuche noch offen waren, gab der ermüdete Ignazius an, dass es nur noch fünf Nachbarn waren. Herr Seestern befahl Ignazius, diese jetzt alleine zu besuchen und es ganz genauso zu machen, wie bei den vielen anderen. Dann schwamm Herr Seestern nach Hause, um seiner Frau beim Aufräumen zu helfen. Bei der gestrigen Suche war alles in Unordnung geraten und Frau Seestern schuftete schon den ganzen Tag, um aufzuräumen.

Ein paar Stunden später bereiteten beide müde und erschöpft das Abendessen zu. Ignazius war gerade mit dem letzten Nachbarn fertig geworden und er war nun auch schon sehr erschöpft. Mit halb geschlossenen Augen schwamm er einfach seiner Nase nach, der Geruch leitete ihn – in die Höhle der Familie Mondschein. Herr und Frau Mondschein waren gerade beim Abendessen, als ein total erschöpfter Ignazius langsam in die angenehm duftende Wohnhöhle schwamm. »Ich hab mich jetzt bei allen entschuldigt. Gute Nacht«, gab er leise von sich, schwamm zu Frau Mondschein und kroch unter eine ihrer Seitenflossen. Nur das Gesicht lugte unter der Flosse hervor. Ignazius gähnte einmal herzhaft und war auch schon eingeschlafen. Ein leises Schnarchen war bereits zu hören, als Frau Mondschein wagte etwas zu sagen, »Da ist wohl jemand sehr müde.« Behutsam legte sie die Seitenflosse etwas besser um den kleinen Delphin und liebevoll strich sie mit ihrem Schnabel über seinen Kopf. »Nein, du darfst ihn nicht behalten«, sagte Herr Mondschein trocken. Verdutzt sahen sich beide an und fingen an, leise zu lachen. »Ich sage mal seinen Eltern, dass ihr Sohn heute bei uns zu Gast ist. Sonst machen sie sich noch Sorgen«, teilte Herr Mondschein seiner Frau mit und schwamm aus der Höhle. Ihr glücklicher Gesichtsausdruck, als sie Ignazius zärtlich mit dem Schnabel streichelte, machte auch Herrn Mondschein glücklich. Viel zu oft wurde nur noch von der Arbeit gesprochen und so ein kleiner, liebenswerter Lausedelphin brachte offensichtlich wieder mehr Freude ins Alltagsleben der Mondscheins.

Herrn Mondschein bot sich ein seltsamer Anblick, als er in die Unterwasserhöhle der Seesterns schwamm. In der Eingangshöhle hatte er laut und deutlich gefragt, ob er hereinkommen durfte, doch hatte er keine Antwort bekommen. In allen Delphinhöhlen, die Herr Mondschein kannte, waren Ziergegenstände und fallweise sogar Spiegel an den Wänden befestigt. Dies hatten die Meermenschen getan, damit die Höhlen für Delphine behaglicher wurden. Hier schien alles irgendwie heruntergefallen zu sein, denn die noch vorhandenen Gegenstände standen alle am Höhlenboden und lehnten gegen die Wand. So ein energiegeladener Jungdelphin schien auch so einige Auswirkung auf das Mobiliar zu haben.

So sah es dann auch in der Wohnhöhle aus, als Herr Mondschein hinein schwamm. Herr Seestern lag in seiner Raststelle und kaute lustlos und abwesend am Abendessen herum, während Frau Seestern gerade mit ihrem Abendessen aus der Vorratshöhle kam. Der Futterfisch fiel ihr fast aus dem Schnabel und ihre Augenlider waren halb geschlossen. ‚Ach so. Auch so erschöpft, wie der Kleine‘, dachte sich Herr Mondschein. »Einen guten Abend wünsche ich. Euer Sohn hat sich wohl in der Höhle geirrt und ist derzeit bei uns. Allerdings war er müde und ist sofort eingeschlafen. Er kann gerne die Nacht bei uns verbringen und wir bringen ihn morgen früh wieder vorbei, wenn es Ihnen recht ist.« Mühsam richteten Herr und Frau Seestern ihre Blicke auf Herrn Mondschein. Beide schienen leicht zu lächeln und sagten gleichzeitig, »Danke.«

Herr Mondschein wendete und sagte, »Keine Ursache, bis morgen und gute Nacht.« Da er keine Antwort bekam, drehte er sich nochmals um und sah Herrn Seestern mit dem Kopf im Abendessen liegen. Ein leises Schnarchen war schon zu hören, aber es kam nicht von ihm, sondern vom Boden. Dort lag Frau Seestern mit ihrem Abendessen im Schnabel und schlummerte schon tief und fest. ‚Muss ganz schön anstrengend sein, so ein lebhafter junger Delphin. Unsere Kinder waren ja eher von der gemütlichen Sorte. Der kleine Ignazius hat ganz schön Seeigeln in der Schwanzflosse‘, dachte sich Herr Mondschein und schwamm heim, um seiner Frau zu berichten.

Am nächsten Morgen freuten sich Ignazius und seine Eltern, wieder vereint zu sein. Beide Mondscheins hatten ihn wie versprochen abgeliefert. Überschwänglich bedankte sich Frau Seestern, während Herr Seestern den kleinen Ignazius mit seinem Lieblingsspiel beglückte. Herr Seestern balancierte Ignazius auf seinem Schnabel in der Luftblase an der Decke. Damit war Ignazius wie ein Landbewohner kurz aus dem Wasser und konnte mit den Flossen in der Luft flattern, was ihm besonders zu gefallen schien. Die Mondscheins kannten dieses Spiel noch nicht und freuten sich über die liebevolle, wenn auch leicht ramponierte Umgebung, in welcher der Kleine so wundervoll aufwuchs. Vielleicht lag es ja auch an Papa Seesterns Art, mit dem Kleinen so zu spielen, dass er so aufgeweckt und unternehmungslustig war. Zufrieden schwammen beide wieder heim.

»Weißt du, eigentlich ist der Kleine ja ganz süß. Soll ich fragen, ob wir öfters auf ihn aufpassen sollen?«, neckte Frau Mondschein ihren Mann. Dieser wurde kreidebleich, denn er glaubte nicht, dass sie beide in ihrem Alter noch mit so einem kleinen Energiebündel fertig werden würden. Als Frau Mondschein kicherte, realisierte er aber, dass es nur ein Spaß gewesen war und die Farbe kehrte in sein Gesicht zurück. »Ich glaube, so eine Nähe solltest vor allem du nicht anstreben, mein liebes Schnäuzelchen.« »Das war doch nur Spaß. Und wieso sollte ich das nicht?«, fragte Frau Mondschein. »Nun ja, wenn man bedenkt, wie alt Ignazius jetzt ist, wird er bei deiner nächsten ersten Klasse in ein paar Jahren ohnehin für drei ganze Jahre nur dir ganz allein gehören, mein Schatz«, erwiderte ein grinsender Herr Mondschein. Nun war es an ihm, seine Frau ein wenig zu necken. Und jetzt war es auch Frau Mondschein, die weiß wurde wie eine Wand. Das hatte Frau Fachlehrer Mondschein tatsächlich nicht bedacht.

Auf zur Schule

Da die Siedlung relativ klein war, gab es immer nur eine einzige erste Klasse. Zwangsläufig kam Ignazius also in Frau Mondscheins Klasse, da sie diesmal an der Reihe war, die erste Klasse zu übernehmen. Ignazius war davon sehr begeistert, denn er hatte so einige schöne Erinnerungen an die Mondscheins und mochte sie sehr. Frau Mondschein freute sich auch, war aber etwas verhaltener. Schließlich durfte sie keine Jungdelphine bevorzugen und es stand ihr guter Ruf als strenge Lehrerin, welche die Kinder gut auf den Lebensweg vorbereitet, auf dem Spiel.

Schon im ersten Schuljahr wurde Ignazius als schlimmster Delphin in der Schule bekannt. Unter anderem versteckte er sich gerne vor den Lehrern, vertauschte den Schülern die Lunchpakete und vor allem die kleineren und schwächeren weiblichen Delphine neckte er mit Kussgeräuschen, sobald sich einer seiner männlichen Mitschüler einem Delphinmädchen auch nur näherte. Natürlich waren alle noch viel zu jung, um Interesse aneinander zu haben, aber Ignazius machte es trotzdem. Der Unterricht war langweilig und die Klassenlehrerin Frau Mondschein hatte leider wenig Verständnis für einen Störenfried, auch wenn sie ihn kannte und sehr mochte. Da die Schule langweilig war und seine Hänseleien meistens nur Ignazius selbst belustigten, entdeckte er schon bald ein neues Hobby: Schulschwänzen

Es dauerte nicht lange, dann war Ignazius ein Profi im Ausreden erfinden. In der Schule war er öfters krank gemeldet und daheim schwindelte er über den Unterricht, den er ja nicht immer besuchte. Für Delphine war Lügen zwar etwas sehr Schlimmes, aber in den jungen Jahren waren Schwindeleien von Jungdelphinen durchaus zu erwarten.

Selbst verheiratete Delphine schwindelten noch ab und zu: »Hast du den Müll schon zur Recycling-Höhle gebracht, mein Schatz?«, »Ich erledige das in einer Minute, Liebling.«

Wurde der Müll doch nicht rasch weggebracht, so durfte der Delphinehemann wieder einmal in der Wohnhöhle, anstatt in der Schlafhöhle schlafen. Delphinehefrauen verziehen solche Schwindeleien ihrer Männer nur selten und mussten schließlich den Kindern beibringen, dass niemandem Schwindeleien verziehen wurden. Delphinehemänner, die häufiger schwindelten, erkennt man ganz leicht an den Ringen unter den Augen. In den Wohnhöhlen kann man nämlich nicht so gut schlafen, wie in den Schlafhöhlen.

 

Für Ignazius begannen die wilden Jahre, dachte zumindest er selbst. Schiffswracks, Korallenbänke und Höhlen mussten erforscht werden. Auch riskante Ausflüge ins nächstgelegene Hai-Territorium mussten unternommen werden. Am faszinierendsten fand Ignazius jedoch den Strand. Die Idee, auf einem festen Boden ohne Wasser leben zu müssen, fand Ignazius auch erschreckend, aber die Tierarten, die dort lebten, waren es durchaus wert, studiert zu werden. Die häufigste Tierart war eine haarlose Affenart namens Mensch. Diese seltsamen Wesen gingen nicht gebückt, so wie die anderen Affenarten. Sie schienen auch tatsächlich nicht wie andere Affen auf Bäumen zu leben. Das hatte er im Unterricht, in der Menschenkunde, gelernt. Aber Theorie war fade und hier konnte Ignazius viel mehr lernen und Spaß dabei haben. Da die Delphine häufig Wächterdelphine zum Strand schickten, um auf die unbeholfenen Tierarten der Oberfläche aufzupassen, damit diese nicht ertranken, musste er vorsichtig sein. Jungdelphinen war es verboten, ins Haigebiet, den Strand oder zu den Wracks zu tauchen. Alles was Spaß machte oder aufregend war, war Jungdelphinen verboten. Sicher könnte Ignazius warten und später selbst Wächterdelphin werden, aber wenn man etwas schon tun darf, war es für den Jungdelphin einfach weniger reizvoll.

In einer kleinen Bucht mit seichtem Wasser war Ignazius sicher vor den Patrouillen. Auch für Haie war es hier nicht leicht möglich zu jagen. Die Wächterpatrouillen vertrieben auch die Haie vom Strand ins offene Meer, denn von den Menschen behaupteten Delphinwissenschaftler, sie seien vielleicht sogar beinahe so intelligent wie Delphine. Die Versammlung der Meeresvölker hatte daher schon vor langer Zeit beschlossen, die Menschen unter Artenschutz zu stellen, damit auch die eher räuberischen Meeresvölker die Menschen in Ruhe ließen. Intelligente Wesen zu verspeisen galt als unzivilisiert. Nur die Haie hielten sich nicht so gerne an die Abmachung, aber diese verspeisten schon immer auch Angehörige anderer Meeresvölker, wenn niemand hinsah. Als schnellster Schwimmer der Klasse konnte sich Ignazius aber immer schnell verstecken oder davonschwimmen, wenn er einen Hai sah. Ein Hai würde ihn nie erwischen und wenn er erst erwachsen war, konnte er die unverschämten Haie auch noch mit der Schwanzflosse verprügeln.

Diese Ausflüge stärkten die Muskeln von Ignazius und im Sportunterricht war er einfach der Beste. Nur die schlanke und wendige Roberta Nordstrom war fast so schnell wie er, obwohl sie als Streberin bekannt war und von den breiter und besser gebauten Delphinmädchen gehänselt und als magere Gräte bezeichnet wurde. In allen anderen Unterrichtsfächern war Roberta die Nummer eins und Ignazius kam bald kaum mehr im Unterricht mit. Natürlich flog Ignazius beim ersten Elternsprechtag sofort auf. Frau Mondschein erkundigte sich nach dem kränklichen und häufig fehlenden Ignazius. Frau Mondschein wusste natürlich, dass Ignazius vermutlich die Schule schwänzte. Erstens kannte sie den kleinen Schelm schon sehr lange und zweitens konnte ein Delphin, der so oft krank war, wohl kaum der schnellste Schwimmer der Klasse sein. Mama und Papa Seestern hatten jedoch keine Ahnung.

 

Für das Schulschwänzen gab es Hausarrest und in der Schule musste er nachsitzen, um aufzuholen. Roberta nannte ihn einen Trottelfisch, wegen seiner schlechten Leistung in der Theorie, fragte Ignazius jedoch, ob sie ihm Nachhilfe geben sollte. Da dieses Angebot bedeutete, dass er noch weniger Zeit am Strand in der Bucht verbringen konnte, lehnte er ab. Roberta wollte zwar nicht, dass der beste Schwimmer die Klasse wiederholen musste, aber nachschwimmen würde sie dem Lausedelphin natürlich auch nicht. »Dann bleib eben doof«, erwiderte sie schnippisch und schwamm davon. ‚So eine Frechheit‘, dachte sich Ignazius. Beim Nachsitzen fiel ihm dann auf, dass er vor lauter Abenteuern vergessen hatte, seinen Mitschülern Streiche zu spielen. Ignazius war eindeutig erwachsener geworden, aber Roberta hätte er an diesem Tag trotzdem gerne einen Streich gespielt.

Ein ereignisreiches Jahr

Das folgende Schuljahr wurde schwer, aber schön. Mit Streichen wollte Ignazius noch warten, bis die Zeit reif war. Nachdem es heuer noch kein Nachsitzen gab, waren alle Abenteuer auf einen Zeitpunkt nach der Schule verschoben und Ignazius war zumindest körperlich anwesend. Auch wenn er körperlich in der Schule war, dachte er doch den ganzen Unterricht lang nur an die Abenteuer, die er draußen bestehen konnte. Zum Glück schaffte er es immer wieder in die kleine Bucht zu schwimmen und die Affenmenschen zu beobachten. Im Menschenunterricht döste er dafür immer vor sich hin. Die Praxis war ihm also immer noch lieber.

 

Eines Tages gegen Ende des zweiten Schuljahres mussten Mama und Papa Seestern für ein paar Tage verreisen. Es war eine ideale Gelegenheit gleich nach der Schule aufzubrechen. Die Hausübungen konnte er ja abends oder kurz vor Unterricht machen und die Höhle kann man ja noch am Tag vor der Heimreise der Eltern aufräumen. Ausnahmsweise mit genügend Freizeit ausgestattet, legte sich Ignazius in der Bucht auf die Lauer. Die Bucht wurde auch bei den Affenmenschen immer beliebter und dieses Jahr waren auch seltsame vierbeinige und sehr haarige Tiere mit am Strand.

Es schien, als würden die Affenmenschen gar nicht so intelligent sein, denn sie ließen sich dauernd herumkommandieren. »Wuff« und ein Vierbeiner wurde gefüttert. »Wuff Wuff« und ein Vierbeiner wurde gestreichelt. Und wenn so ein Vierbeiner sich ganz ungeniert in aller Öffentlichkeit erleichterte, was man ja an einem stillen Örtchen tun sollte, hechelten ihm Affenmenschen hinterher, um sofort alle Spuren des öffentlichen Schauspiels zu beseitigen. ‚Dafür gibt es doch abgetrennte Teile in der Unterwasserhöhle, das stille Örtchen‘, dachte sich Ignazius. Auch die Menschenaffen schienen abgetrennte Behausungen weiter hinten am Waldrand zu haben, wo sie vermutlich ihre Notdurft verrichteten, also ihre Häufchen machten. Schließlich sah er aus der Entfernung diese Menschenwesen immer gut gelaunt aus diesen Behausungen kommen. Diese haarigen Vierbeiner waren also eindeutig Despoten. Sie herrschten über die Affenmenschen und diesen schien das auch noch zu gefallen! Alles sehr seltsam.

 

Aber seltsamer war es heute, dass sich eines der Affenmenschenkinder im Wasser nicht mehr viel zu bewegen schien. Delphine haben ein unglaubliches Gehör und jagen ja auch mit Hilfe ihres natürlichen Sonars. Dass Delphine enorm viele Informationen gleichzeitig wahrnehmen und verarbeiten können und nicht so eingeschränkt sind, wie die weniger entwickelten Landbewohner, war ja auch selbstverständlich.

Gefunden. Kurz hatte das Kind noch den Kopf aus dem Wasser bekommen und Wasser gespuckt und schon hing es wieder vornüber mit dem Kopf unter Wasser. ‚Diese komischen Dinger an den Armen sind wohl kaputt‘, dachte Ignazius. ‚Die anderen Kinder haben ja auch zwei?? Gefahr!!!‘

Ignazius reagierte sofort. Schnell schwamm er aus dem Versteck zwischen den Felsen hervor und schwamm auf Sichtweite heran. Er schaffte es mit der Schwanzflosse zu wedeln und den Kopf aus dem Wasser zu erheben. Das hatte ihm Papa einmal gezeigt und Delphine sind ja intelligent und lernen schnell, »Hey, ihr Affenmenschen. Eines eurer Kinder ertrinkt!« Doch nur die vierbeinigen Herrscher bemerkten ihn und riefen, »Wuff Wuff Wuff«

Ignazius schwamm näher heran und rief nochmal, »HALLO, DA ERTRINKT JEMAND!«

Jetzt wurde er gesehen. Alle Blicke waren auf Ignazius gerichtet. Freudig erregt tobte die Affenherde, zeigte mit dem Finger auf ihn und schrie durcheinander, »Ugh Ugh Ugh Ugh Ugh Ugh Ugh Ugh« Übersetzt hieße das, »Schaut, ein süßer Delphin. Und der redet mit uns, so wie der schnattert. Hol den Fotoapparat, Schatz!«

‚Arghh!‘, dachte sich Ignazius. ‚Von wegen intelligent! Und aufpassen können sie nicht einmal ohne fremde Hilfe auf ihren Nachwuchs.‘ Mit einem einzigen kräftigen Schlag seiner Schwanzflosse machte er einen Satz nach vorn und tauchte wieder unter Wasser. Mit raschen Schlägen war er schnell beim Kind, welches auch immer weiter abdriftete. Das zweite Dings am Arm war auch schon weg und das Kind war schon ganz unter Wasser. Ein kurzes Bremsmanöver und schon war er unter dem Kind. Langsam schob er den leblosen Körper mit dem Kopf durch die Wasseroberfläche nach oben. Die Rückenflosse verhinderte, dass das Kind von Kopf und Rücken runterrutschen konnte. Ignazius spürte, wie ihm das Kind Wasser über den Rücken spuckte und langsam und gequält wieder zu atmen begann. Ignazius war erleichtert und schlug vorsichtig einen Kurs Richtung Strand ein. Dieses ganz seichte Wasser machte Ignazius Angst, denn für ihn bedeutete das selbst Lebensgefahr, wenn er strandete. Bei den Affenmenschen mischte sich jetzt helles Kreischen und seltsame Laute zu den Ugh-Lauten. Im Wasser war plötzlich viel Bewegung, als ob die Menschen endlich das ertrinkende Kind bemerkt hätten und ins Wasser kämen, um zu helfen. Ignazius konnte ja den Kopf nicht heben, um nachzusehen, da ansonsten das Kind heruntergerutscht wäre.

Es war schon extrem seicht, das Wasser, da wurde das Kind endlich von seinem Rücken gehoben und kurz darauf auf den Strand gelegt. Einer der haarlosen Affenmenschen, der dennoch eine erstaunliche Behaarung aufwies und eher an die Vierbeiner erinnerte, drehte das Kind auf die Seite und ermutigte es mit Ugh-Lauten dazu, irgend etwas zu tun. Das Kind spuckte immer wieder Wasser aus und hechelte dann nach Luft. Alle wirkten angespannt und starrten auf das Kind. Ignazius schwamm langsam rückwärts und versuchte wieder in tieferes Gewässer zu gelangen. Erst als das Kind wieder halbwegs normal atmete, entspannten sich die Affenmenschen bis auf jene, die dem Kind am nächsten standen. Eines dieser Wesen, wegen der drahtigen Gestalt und den zwei großen Beulen am Oberkörper vermutlich ein Weibchen, schien besonders besorgt. Wasser lief ihm auch aus den Augen und es streichelte das Menschenkind heftig.

Ignazius hatte seine Pflicht getan und wollte verschwinden. Er schlug einen Kurs aufs offene Meer ein und schwamm langsam los. Da sah er noch aus dem Augenwinkel, wie die Affenmenschen mit den Armen wedelten und Ugh-Laute von sich gaben. Einmal drehte er sich noch um und streckte den Kopf aus dem Wasser. »Und passt doch bitte besser auf!«, rief er. Natürlich hatten sich die Menschen mit den Ugh-Lauten bedankt und gute Reise gewünscht, als Ignazius davon schwamm. Doch verstanden haben sich Menschen, Hunde und Delphine wegen der Sprachbarriere natürlich nicht.

 

Nach diesem Abenteuer schwamm der junge Held gleich nach Hause. Durch die Aktion war er auch aufgeflogen, zumindest bei den Menschen. Die Wächterdelphine versteckten sich oft bei den Felsen, welche dem Strand am offenen Meer vorgelagert waren. Hoffentlich hatten sie ihn nicht von dort aus beobachtet. Es wäre der kürzeste Weg gewesen, an diesen Felsen vorbei zu schwimmen und geradewegs am Wächterposten vorbei Richtung Siedlung abzutauchen, aber den konnte er nicht nehmen, wegen dem Risiko erwischt zu werden. Ignazius manövrierte geschmeidig in Bodennähe um Hindernisse herum und erst beim nördlichen Korallenwald entspannte er sich. Der nördliche Korallenwald war wunderschön und es gab kein Verbot, sich dort tagsüber aufzuhalten. Manchmal verirrte sich auch ein Hai in den Wald, aber Ignazius konnte sie alle mit einem Zick-Zack Manöver durch die dichteren Korallenbäume oder durch die Hohlwege rasch abhängen. Auch so manches Delphinpaar kam hierher und hatte sich hier bei hellem Mondschein verliebt. Das Mondlicht, welches durch die Wasseroberfläche brach, brachte diesen wunderschönen Wald erst so richtig zur Geltung. Angeblich kamen sogar Meermänner und Meerjungfrauen hierher, aber gesehen hatte Ignazius hier noch nie einen der Meermenschen.

 

»Das war aber jetzt ein unauffälliger Abgang«, lachte Bob. Bob war ein auszubildender Wächterdelphin, also war er ein Azubi. Zusammen mit Frau Nordstrom, der Mutter von Roberta und Bobs Ausbilderin, war er tatsächlich hinter dem Felsen versteckt gewesen und sie hatten Ignazius beobachtet. Das kleine Mädchen war ihnen auf die große Distanz auch nicht aufgefallen und sie waren froh, dass Ignazius eingegriffen hatte. Die kleineren Felsen in der Bucht selbst, waren eindeutig der beste Platz, um die seichte Bucht zu überwachen und Ignazius war schon öfters dort bemerkt worden. Erwachsene Delphine konnten sich bei den Felsen im seichten Wasser aber nicht gut verstecken, denn dafür war ein Erwachsener einfach zu groß.

»Ein Schwarz-Weißer Delphin, der sich auf einem hellen Meeresgrund am Boden entlangschlängelt wie ein Aal, ist schon ein sehenswerter Anblick. Er könnte genauso gut ‚Hier bin ich!‘ schreien«, gab Frau Nordstrom von sich. Bob kicherte. Bob war sieben Jahre alt und galt damit schon als erwachsen. Doch verheiratet war er noch nicht und wurde daher immer noch beim Vornamen gerufen. Delphinkinder blieben die ersten drei Lebensjahre bei den Eltern und besuchten von vier bis sechs die Pflichtschule. Für einen Kindergarten, wie bei den Menschen, war einfach keine Zeit, denn Delphine wurden zu schnell erwachsen. Natürlich benötigten Delphine nur drei Schuljahre, denn sie waren ja auch viel intelligenter als alle anderen Völker. Das weiß doch jeder – Delphin.

»Es war toll, wie schnell er dort war. In meinem letzten Schuljahr kam der gerade in die erste Klasse und am Ende des Jahres war er sogar schneller als alle Schüler der gesamten Schule. Seestern hieß seine Familie, glaub ich«, sinnierte Bob. »WAS? Ignazius Seestern vielleicht?«, fragte Frau Nordstrom entsetzt. Bob nickte verdutzt. Das war also der kleine Lausedelphin, der in der ersten Klasse seinen Mitschülern so viele Streiche gespielt hatte. Soweit sich Frau Nordstrom erinnerte, war er auch schon vor der Schule ein ziemlicher Schlingel gewesen. Seine derzeitigen Ausflüge wurden auch regelmäßig beobachtet und die Wächter hatten schon seit vorigem Jahr ein Auge auf ihn. Vor allem, da er eine Patrouille mit zwei sehr schnell schwimmenden Kollegen einfach abhängte, als sie ihn zur Rede stellen wollten. Roberta nannte ihn seit heuer auch Blödfisch anstatt Trottelfisch.

Ignazius war im Menschenunterricht wieder einmal eingeschlafen und Frau Mondschein klopfte ihm drei Mal mit ihrem Schnabel auf den Kopf. TOCK-TOCK-TOCK

»Wer ist da?«, hatte Ignazius sofort gefragt. Die ganze Klasse kringelte sich vor Lachen und Frau Mondschein schwamm leise kichernd zurück zu ihrem Rastplatz, ohne ihm die übliche Standpauke zu halten. Also stieg Ignazius in Robertas Ansehen vom Trottelfisch zum Blödfisch auf. Ob das unbedingt eine Verbesserung war, war natürlich fraglich. Und dann schwamm er noch als Einziger schneller als Roberta. Wo sie doch immer die Beste in allem sein wollte. Da Roberta den Schnabel von Oma Nordstrom geerbt hatte, meckerte Roberta üblicherweise den ganzen Abend über die Schule und auch ziemlich oft über den Blödfisch. Das war er also. Zuletzt hatte sie selbst ihn gesehen, als er noch ein Baby war und hatte ihn deshalb auch nicht wiedererkannt. Dann war ja klar, dass er in der Schule nachhinkte, wenn er sich so oft hier herumtrieb anstatt daheim zu lernen.

»Also der kleine Ignazius«, ertönte eine tiefe Baritonstimme über ihren Köpfen. Bob und Frau Nordstrom zuckten erschrocken zusammen und drehten sich rasch um. Herr Mondschein hatte wohl auch alles gesehen, obwohl seine Augen nicht mehr die Besten waren, und gut zugehört hatte er wohl auch. »Seinen Vater musste ich auch oft verjagen, als er selbst als Jungdelphin immer hierher kam. Wie der Vater, so der Sohn. Passt mir gut auf den Kleinen auf, seine Eltern sind Nachbarn von mir und gerade auf Dienstreise. Der Kleine wäre ein guter Wächterdelphin. Vielleicht kann ich ja Herrn Seestern überzeugen, dass der Junge bei uns in den Schulferien am Wächterposten reinschnuppert. Das würde ich mir von deiner Tochter auch wünschen, Frau Nordstrom.«

Herr Mondschein drehte um und schwamm Richtung Siedlung. Das musste er gleich seiner Frau erzählen, denn schließlich war sie die Klassenlehrerin vom kleinen Ignazius. Der Schwimmstil schien Herrn Mondschein immer schon merkwürdig bekannt, aber erkannt hatte er ihn nicht auf die große Entfernung. Vielleicht würde er die Meermenschen einmal fragen, ob sie ihm nicht einen Sehbehelf basteln könnten. Es war eindeutig ein Nachteil im Alter immer schlechter zu sehen.

 

Die Schulferien zwischen der zweiten und dritten Klasse waren die einzigen, die es für junge Delphine überhaupt gab. Die ersten beiden Klassen waren nur Theorie und da gab es keine Ferien beim Übergang in die nächste Klasse. In der dritten Klasse konnten Jungdelphine bereits für den Beruf, den sie später einmal ausüben wollten, fachspezifisches Wissen erlernen. Doch dazu mussten die Jungdelphine sich diese Berufe erst einmal ansehen. Dies taten sie in den Schulferien, in denen sie in allen Berufen einmal reinschnuppern durften.

 

Ignazius schaffte es an diesem Abend nur noch die Hausübungen zu machen. Als er am nächsten Tag aufgerufen und abgefragt wurde, bekam er eine schlechte Note, da er sich irgendwie nicht konzentrieren konnte. Auch die Höhle schaffte er vor Aufregung nicht zu reinigen. Er dachte andauernd an das aufregende Abenteuer und schwamm erst ganz spät schlafen. Dafür schlief er im Menschenunterricht am nächsten Vormittag ausgezeichnet. Frau Mondschein hatte von der Heldentat des kleinen Ignazius von ihrem Mann erfahren und ließ ihn zum Erstaunen seiner Mitschüler in Ruhe. Sie weckte den Lausedelphin erst, als er anfing, laut zu schnarchen.

Ein Hai kommt selten allein

Gut ausgeruht schwamm Ignazius nach der Schule sofort wieder in die kleine Bucht. Vom nördlichen Korallenwald aus, schlängelte sich Ignazius wieder so unauffällig wie möglich den Meeresboden entlang Richtung Bucht.

»Kicher. Du hast recht, Bob. Der Kleine sieht wirklich wie ein Aal aus, wenn er so herum schlängelt.« Bob war mit drei seiner Azubi-Kollegen an seinem freien Tag gekommen, um mit Ignazius ein wenig anzugeben. Schließlich kamen Bob und Ignazius aus der gleichen Siedlung und die drei Kollegen waren aus der Hauptstadt, um sich hier den Traum, ein Wächterdelphin zu werden, zu erfüllen. So ein unverfrorenes Verhalten war in der Hauptstadt eher unüblich. Vielleicht lag es auch nur daran, dass es in der Hauptstadt kaum Gelegenheit gab Regeln zu brechen. Kein Strand, keine Schiffswracks und das nächstgelegene Haigebiet lag eine Tagesreise entfernt. In der Hauptstadt lebte man also sehr behütet und gefahrlos.

Die vier Delphine belegten dasselbe Versteck, welches Bob und Frau Nordstrom gestern schon verwendet hatten. Herr Mondschein würde sicher nicht schon wieder auftauchen, dachte Bob. Doch dieser war hinter dem einzigen anderen Felsen, welcher aber weiter hinten lag, schon lange gut versteckt und beobachtete alles so gut er konnte. Von dort aus sah man nicht auf die kleine Bucht, da die Sicht durch den anderen Felsen versperrt war, aber das Versteck der vier Delphine sah man ausgezeichnet. Es war Herrn Mondscheins Lieblingsversteck, denn von dort konnte er auch die Wächterdelphine von der Patrouille gut einsehen und ihnen helfen, falls es Schwierigkeiten gab.

Sobald Ignazius sein Ziel erreichte, konnten dann alle gut auf der Lauer liegen und beobachten. Nur die Wächterdelphine auf Patrouille ärgerten sich. Alle Verstecke waren belegt und daher gab es keinen freien Platz, um auch einmal Pause zu machen und den Strand und die Bucht aus der Ferne zu überwachen.

Ignazius musste heute vorsichtiger sein als gestern. Den Kopf steckte er nur selten aus dem Wasser. Zu seiner Freude stellte er fest, dass das kleine Kind von gestern auch da war. Es saß am Strand auf einer Decke, zusammen mit dem haarigen Menschenmännchen und dem beuligen Menschenweibchen. Mit den Armen hielt das Kind eine Nachbildung eines Schwarz-Weißen Delphins fest umklammert. Immer wieder machte es Ugh-Laute und Kreischlaute, als würde es mit der Nachbildung sprechen und diese ihm antworten. Ab und zu wurde die Nachbildung auch vom Kind mit Küssen überschüttet oder herzlich umarmt. Immer, wenn es das tat, wurde Ignazius rot und fühlte sich selbst geküsst oder umarmt. Es war so schön zu sehen, wie sich alle zu freuen schienen. Und auch die anderen Menschenwesen hatten etwas gelernt. Es waren viel mehr ausgewachsene Menschenwesen im Wasser und auf alle Kinder wurde offensichtlich sehr gut aufgepasst. Diese Menschen waren also durchaus freundlich und lernfähig. Sie mussten nur von einem Delphin auf den richtigen Weg gebracht und erzogen werden.

Beruhigt und gut gelaunt schwamm Ignazius vorzeitig zum Ausgang der Bucht. Heute war ein guter Tag, dachte er. Die Azubis hatten auf etwas Aufregendes gehofft und blickten sich enttäuscht gegenseitig an. »Solltet ihr nicht für die Prüfung morgen brav lernen?«, ertönte die tiefe Stimme von Herrn Mondschein hinter ihnen. Rasch drehten sich alle vier um und blickten mit gesenktem Kopf zum Chef. »Najaaaa, wir sind hier wegen Ignazius-spotting«, gab Bob leise von sich. »Soso. Und was ist das?« »Najaaa, spotting ist sowas wie beobachten. Alsooo wir beobachten Ignazius und passen ein wenig auf ihn auf«, erwiderte Katja, der einzige weibliche Azubi aus der Gruppe. »Soso«, gab Herr Mondschein abermals von sich. Doch leider vergaßen die abgelenkten Delphine während ihres Gesprächs ganz darauf, auf Ignazius aufzupassen.

Ignazius schwamm zwar gut gelaunt aus der Bucht, musste aber gleich anhalten. Da schlängelte sich doch ein Hai entlang des Meeresbodens auf seiner Route. Und er wollte offensichtlich zur Bucht! Es war ein junger Hai einer sehr großen Haiart. Es war ein Drescherhai! Mit seinen zwei Metern Länge war er auch fast doppelt so lang wie Ignazius selbst. Eigentlich war der Junghai jetzt schon größer als die meisten Delphine der Patrouille. Ignazius konnte unmöglich den Hai zu den Menschen lassen und die Patrouille hatte den Hai wahrscheinlich nicht bemerkt, dachte er. Doch diese war sogar schon unterwegs. Den Hai hatte sie gleich bemerkt, aber Ignazius noch nicht, der gerade erst aus der Bucht kam. Da die Patrouille aber am äußersten Ende des Patrouillenweges unterwegs gewesen war, würde es wohl sehr knapp werden, den Hai aufzuhalten, obwohl sie so schnell schwammen, wie sie konnten.

»Wohin des Weges?«, fragte Ignazius etwas lauter. »Aus dem Weg, du halbe Portion. Ich bin zum Mittagessen verabredet in der Bucht«, erwiderte der Hai und verlangsamte sein Tempo nicht ein bisschen. ‚So ist das also‘, dachte Ignazius. »An mir kommst du nicht vorbei«, sagte Ignazius mit lauter und sehr ernster Stimme. Nun wurde der Hai doch langsamer und kam kurz vor Ignazius fast zum Stehen. Alle Flossen von Ignazius vibrierten und sein Herz pochte. Gleich würde er kämpfen müssen. »Wie heißt du eigentlich? Egal. Ich werde dich einfach Vorspeise nennen«, lächelte der Hai böse den armen kleinen Ignazius an. Dann riss er sein Maul auf und machte einen Satz nach vorn.

Ignazius war gut aufgewärmt und kampfbereit. Nach einer schnellen Seitwärtsrolle erklang ein KLAPP an der Stelle, wo Ignazius gerade noch gewesen war. Der Hai hatte ins Leere gebissen und Ignazius hatte seine Schwanzflosse schon auf Turbobetrieb umgeschaltet. Gleich nach der Rolle schwamm er einen Kreis und baute dabei Geschwindigkeit auf. Während sich der Hai noch wunderte, dass er keinen Delphin zwischen den Zähnen hatte, brauste Ignazius bereits mit Rammgeschwindigkeit heran. BOING und der Hai verspürte einen stechenden Schmerz unter einer Seitenflosse. Ignazius hatte den Hai gut mit dem Schnabel erwischt und dieser wedelte völlig überrascht und orientierungslos nur noch mit den Flossen umher. BOING und der Hai trieb hilflos den Meeresboden entlang Richtung nördlicher Korallenwald. BOING und der Hai nahm schön langsam immer mehr Geschwindigkeit auf. Ignazius griff immer wieder und wieder an. Der Schnabel tat ihm schon weh, aber er würde bis zum bitteren Ende kämpfen. Jetzt konnte sich der hilflose Hai auch nicht mehr zurückhalten. »AUA!«, jaulte der Hai. BOING »DAS TUT DOCH WEH!« BOING »AU!« BOING »AUFHÖREN!«

Diese Kampfgeräusche und Schmerzensschreie hatten nur den Erfolg, dass Herr Mondschein und die Azubis endlich alarmiert wurden. Herr Mondschein bellte sofort, »Zwei links, zwei rechts, Standard V Angriffsformation. ATTACKE!« Die Formation schoss sofort aus dem Versteck hervor und raste Richtung Kampfgeräusche. Herr Mondschein und seiner Truppe bot sich ein seltsamer Anblick.

Mit einem BOING gefolgt von einem »AU!« schlug der junge Drescherhai, gerade von einem rasenden Ignazius getroffen, rücklings auf dem Meeresboden auf. Das war auf halbem Weg zwischen Korallenwald und Strand und hier war der Boden immer sehr aufgelockert. Daher stieg beim Aufschlag auch eine kleine Sandwolke auf. Die Wächterdelphine waren zwar da, trauten sich aber nicht näher heran. Ignazius war so in den Kampf vertieft, dass er sie nicht bemerkte und die Wächter hatten Angst versehentlich auch noch von ihm gerammt zu werden. Was der Junghai gerade durchmachen musste, sah auch sehr schmerzhaft aus. Die Formation verlor an Geschwindigkeit, um dem rasenden Ignazius auch nicht zu nahe zu kommen. Doch der hatte seine Angriffsstrategie gerade umgestellt und schwebte jetzt über dem röchelnden Hai. PATSCH machte die Schwanzflosse, als sie den Hai von rechts ohrfeigte, PATSCH und gleich nochmal von links. Während es im Sekundentakt Patsch-Geräusche und damit Ohrfeigen für den Hai gab, begann Ignazius zu nörgeln. »Menschen zum Mittagessen in der Bucht vernaschen?« PATSCH »Ich bin also eine Vorspeise?« PATSCH »Dass Haie zum Strand kommen, ist verboten!« PATSCH »Und auch noch nach mir schnappen!« PATSCH

»MOMENTCHEN!«, dröhnte eine tiefe Haistimme. Über drei Meter war dieser Drescherhai lang und wahrscheinlich auch noch der Papa von diesem Junghai. »Was fällt dir ein, ich werde dich …..« Erst jetzt bemerkte der Hai die anderen Delphine. Ignazius ließ sofort von dem Junghai ab, vergrößerte ein wenig den Abstand zum erwachsenen Drescherhai und hing vibrierend über dem Meeresboden. Der Kopf war gesenkt und sein Herz raste. Ignazius war nicht nur aufgewärmt, er glühte förmlich noch vom Kampf. Nur Schnauze und Schnabel taten schon weh. Er würde die hilflosen Menschen aber niemals diesen unverschämten Haien überlassen, er würde kämpfen. »… ich werde dich … bitten... meinen Sohn nicht weiter zu verkloppen, damit ich …. ordentlich mit ihm schimpfen kann. Er ist ein richtiger Lausehai, musst du wissen. Es war sicher nicht böse gemeint«, beendete der Hai rasch seine Ansprache. Dann setzte Papa Hai sein unschuldigstes, aber auch eindeutig scheinheiligstes Grinsen auf. Er zog lächelnd die Lippen hoch und entblößte Reihe um Reihe rasiermesserscharfer, zusammengebissener Zähne, während er versuchte lieb und nett zu wirken. Der Anblick wäre sehr komisch gewesen, wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre.

»Soso«, sagte Herr Mondschein ernst und laut. »Du hast gesagt, ich soll mich nur nicht erwischen lassen«, verteidigte sich der Junghai krächzend. Ein PATSCH war die Antwort vom Papa. Eine riesige, extra lange Schwanzflosse klatschte den Junghai förmlich in den Meeresboden, sodass es furchtbar viel Sand aufwirbelte. »Die Delphine erwischen jeden, hab ich gesagt. Ich glaub, wir müssen mal wieder zum Ohrenarzt!«, argumentierte Papa Hai und versuchte jetzt noch mehr zu grinsen und noch unschuldiger dreinzuschauen.

»Soso«, meinte Herr Mondschein erneut. Natürlich hatte der Hai geschwindelt, aber manchmal muss man diplomatisch sein und sollte einen kühlen Kopf bewahren. »Wir verschwinden jetzt. Die Mama wartet auch schon daheim mit dem Essen«, gab der grinsende riesige Hai von sich. Acht erwachsene Delphine und dann noch dieser Minikampfdelphin waren ernstzunehmende Gegner. Schnell rammte Papa Hai seine Schnauze in den Meeresboden unter seinem Sohn, hob ihn hoch und rollte ihn auch gleich auf den Bauch. »Au, Uh, Ah, Vorsicht, Autsch«, ächzte der Junghai. »Auf Wiedersehen, schönen Tag noch«, presste Papa Hai noch zwischen den Zähnen hervor. Dann stupste er seinen Sohn vor sich her Richtung Haigebiet.

Ignazius hatte Herrn Mondschein und die anderen gleich beim ersten ‚Soso‘ von Herrn Mondschein bemerkt, aber es war natürlich zu spät. Ignazius war jetzt auch bei den Delphinen aufgeflogen. Er schielte verlegen in alle Richtungen und versuchte jetzt auch unschuldig auszusehen. Er grinste mit hochgezogenen Lippen und zusammengebissenen Zähnen ebenso dümmlich wie der Hai zuvor, »Also, ähhh. Ich war gerade im Korallenwald ….. was ja nicht verboten ist, uuuund ….. sah da diesen Hai mit offensichtlich bösen Absichten uuuuund dann bin ihm nachgeschwommen, um ihn zu bitten …. die Menschen in Ruhe zu lassen uuuund dann ist das irgendwie aus dem Ruder gelaufen uuuuund jetzt muss ich auch heim Abendessen.« So schnell er geendet hatte, machte er auf der Stelle kehrt und raste mit unglaublicher Geschwindigkeit Richtung Korallenwald davon.

»Soso«, meinte Herr Mondschein nachdenklich. »Die Ausreden von seinem Vater waren nie so gut, wenn wir ihn wieder einmal erwischt hatten.« »Nachschwimmen?«, fragte der jüngere der beiden Wächterdelphine. »Den erwischt niemand. Setzt einfach eure Patrouille fort und ich schwimme mit den Azubis zurück zum Wächterposten. Jetzt wird gebüffelt, damit mir kein Jungwächter morgen durch die Prüfung fällt.« So löste sich alles ohne viel Schaden doch noch in Wohlgefallen auf. Bob und die anderen stellten fest, dass es erstaunlich schwer fiel sich zu konzentrieren, wenn man einen so aufregenden Nachmittag miterlebt hatte. Doch die Prüfung haben sie trotzdem alle bestanden.

Ignazius raste in Höchstgeschwindigkeit zum Korallenwald, schon halb durch den Wald wurde ihm plötzlich schwindlig. War er verletzt? War er zu aufgeregt? Aber das Gefühl kam ihm bekannt vor, vor lauter Aufregung hatte er das Atmen vergessen. Zum Glück war Papa Seestern ein Versorgerdelphin und da er immer gerne von seiner Arbeit berichtete, auch wenn diese für Ignazius langweilig war, wusste Ignazius, wo die beiden Unterwasserhöhlen im nördlichen Korallenwald waren. Er schaffte es zur nächstgelegenen, brach im Inneren der Höhle durch die Wasseroberfläche und japste nach Luft.

Die Meermenschen

Nachdem sich das Schwindelgefühl gelegt hatte, wurde auch seine Atmung ruhiger. Endlich konnte sich Ignazius wieder auf seine Umgebung konzentrieren und er sah eine Seemuschel direkt vor seinem Schnabel. Und links von der Muschel war ja noch eine Muschel. Ignazius schwenkte den Kopf. Und wieder zurück. Was machten zwei Muscheln hier mitten in der Luft? »Es gilt bei uns Meermenschen als unhöflich, auf die Muscheln zu starren oder auf den Busen«, ertönte eine helle Stimme über dem Kopf des Delphins. Ignazius wich ein wenig zurück und schaute nochmal genauer hin. Die Muscheln waren durch eine goldene Kette verbunden und bedeckten die Beulen einer korpulenten Meerjungfrau. Sie hatte schwarzes, lockiges Haar und ein sehr freundliches Gesicht. Ihre untere Hälfte mit der Schwanzflosse war unter Wasser und nur der Oberkörper war an der Luft. Die Luftblase in der Höhle war riesig, hier konnte sicher auch ein Mensch auf dem Boden, der sich außerhalb des Wassers befand, aufrecht stehen.

Ignazius starrte die Meerjungfrau neugierig an. »’tschuldigung. Ich habe noch nie eine Meerjungfrau oder einen Meermann aus der Nähe gesehen. Diese Beulen heißen also Busen. Ist das bei den Menschen genauso?«, fragte der junge Delphin neugierig und glupschte sie mit großen, unschuldigen Augen an. Die Meerjungfrau blickte fragend nach links, dort war ja noch eine Meerjungfrau, doch diese war schlank und blond. Sie hatte wesentlich kleinere Muscheln, welche ihre deutlich kleineren Beulen bedeckten. Beide sahen sich an und zuckten mit den Schultern. »Ja, bei den Menschen ist das genauso.« »Super«, erwiderte Ignazius. »Hoffentlich bekomme ich das als Prüfungsfrage in Menschenkunde, da schlafe ich leider öfters mal ein.« Die beiden Meerjungfrauen sahen ihn zuerst erstaunt und dann amüsiert an.

Eine Hand legte sich von der Seite sanft um seinen Körper. Ein Meermann mit einem Dreizack in der anderen Hand lächelte ihn freundlich an. »Wenn du noch zur Schule gehst, dann bist du ja noch sehr jung«, bemerkte er. »Ich gehe doch schon in die zweite Klasse, sooo jung bin ich auch nicht mehr«, antwortete Ignazius kichernd. »Wir haben deinen Kampf gesehen. Du bist ein tapferer kleiner Delphin. Wir sind sehr froh, dass du keinen Schaden genommen hast«, ertönte die helle, freundliche Stimme der blonden Meerjungfrau. »Der Schnabel tut mir ordentlich weh, aber ansonsten ist alles heil geblieben«, freute sich Ignazius. Die blonde Meerjungfrau rieb an einem seltsamen leuchtenden Stein in ihrer rechten Hand, den der Delphin bei der Flut an neuen Eindrücken noch gar nicht bemerkt hatte. Der Stein leuchtete immer heller und leuchtete die Höhle jetzt halbwegs aus. Vor lauter Staunen über die Höhle fiel Ignazius nicht auf, dass er gerade von den Meermenschen regelrecht umzingelt wurde. Der Meermann hielt ihn auch noch immer sanft umschlungen, »Lass uns mal deinen Schnabel genau untersuchen, vielleicht können wir dir ja helfen.«

Ignazius schielte jetzt selbst auch auf den eigenen Schnabel und da waren ein paar üble Schrammen. Die Schnauze vorn war auch verbeult und tat weh. Die schwarzhaarige Meerjungfrau nahm seinen Schnabel sanft in beide Hände und die blonde Meerjungfrau kramte mit der linken Hand etwas aus einem Beutel an ihrer Hüfte. Während sie ihn verarztete erzählte sie, »Weißt du eigentlich, das kann jetzt etwas brennen, dass wir den Hai auch kommen sahen. Es stimmt. Diese Drescherhaie sind aber auch sehr gefährlich und daher haben wir hier in der Höhle Schutz gesucht. Heb doch kurz den Schnabel. Wir kommen öfters hierher, weil uns der Wald und diese Höhle so gut gefallen. Vor allem beim hellen Mondlicht ist es hier einfach nur wunderschön. Fertig. Du warst ein sehr braver und tapferer Patient.« Die blonde Meerjungfrau küsste Ignazius zum Abschluss noch sanft auf die Stirn. Auf seinem Schnabel und seiner verbeulten Schnauze waren jetzt mehrere Seetangpflaster zu sehen. Vorher hatte die Meerjungfrau alle wunden Stellen mit einer Heilpaste bestrichen. Die Behandlung ging so schnell und war so schmerzlos, dass es Ignazius sehr wunderte, nichts bemerkt zu haben. Er war ja auch gut abgelenkt gewesen.

»Morgen, wenn du aufwachst, sollten alle Wunden gut verheilt sein«, sagte die schwarzhaarige Meerjungfrau, bevor sie ihn auch sanft auf die Stirn küsste. Der Meermann hielt Ignazius immer noch fest und drehte den Delphin jetzt Richtung Höhlenausgang, »Ich hoffe, du weißt, dass es schon spät geworden ist. Ein junger Delphin wie du sollte nicht zu lange von daheim fort sein, sonst machen sich deine Eltern noch Sorgen.« Ignazius wollte nicht als schlimmer Delphin gelten und den Meermenschen beichten, dass er praktisch sturmfreie Höhle hatte und dies gehörig ausnutzte. Daher bedankte er sich höflich und schwamm beschwingt nach Hause. ‚Meermenschen getroffen, Hai verkloppt, Meermenschen getroffen, Hai …..‘, dachte Ignazius. Sein Hirn war mit den heutigen Abenteuern so überlastet, dass er schon wieder nicht richtig einschlafen konnte.

Ein ganz normaler Schultag

Müde aber zufrieden schwamm Ignazius am nächsten Morgen in die Schule. Die Seetangpflaster hatte er entfernt und die Salbe der Meermenschen hatte wahre Wunder gewirkt. Es war tatsächlich alles abgeheilt und nichts tat mehr weh. Es war schön, so nette Meermenschen getroffen zu haben. Grinsend und mit stolz geschwellter Brust schwamm er durch die lange und breite Eingangshöhle. Die Eingangshöhle verlief parallel zur Außenwand und vor langer Zeit hatten Meermenschen längliche Fenster angelegt, durch die während des Tages immer ausreichend Licht drang. Drei der vier großen Höhlen, die ins Innere der Felsenformation führten und an ihren Enden sogar mehrere größere Fenster hatten, wurden für die drei Schulklassen genutzt. Die vierte Höhle war nur für die Verwaltung. Kleine Abteile zweigten auch noch ab, denn die Delphine mussten sich ja auch irgendwo erleichtern und in anderen Abteilen konnten sie ihre Lunchpakete zwischenlagern.

Überall in der Eingangshöhle waren Gespräche im Gange. Irgendein Jungdelphin hatte sich ein Duell mit einem Hai geliefert, aber keiner wusste wer es war. Neugierig wurden von allen vorbei schwimmenden Delphinen die Schnäbel inspiziert und nach Auffälligkeiten gesucht. Wie gut, dass die Wunden von Ignazius schon verschwunden waren. Nur Frau Mondschein musste Bescheid wissen, denn schließlich würde es Herr Mondschein daheim erzählt haben. Ignazius fürchtete sich nicht vor Frau Mondschein. Er hatte sie sehr gern, denn die Mondscheins waren immer schon seine liebsten Nachbarn gewesen.

Er würde hier auch nicht mit seinen Taten angeben, denn für Ignazius war es nur wichtig, geholfen zu haben. Diesen Ruhm wollte er auch gar nicht, denn sonst würden ja auch seine Eltern erfahren, dass er in verbotenen Gebieten herumschwamm. Papa Seestern würde ihm sicher zum ersten Mal in seinem Leben die Schwanzflosse versohlen und darauf konnte Ignazius gut verzichten.

Vor dem Höhleneingang zur zweiten Klasse waren Izadora und Margit gerade damit beschäftigt, Roberta zu hänseln. »So eine magere Gräte wie du war das sicher nicht, du könntest ja nicht einmal einen Katzenhai verkloppen. Hihi« Doch Roberta reagierte gelassen, wie immer, »Naja, ihr werdet es sicher auch nicht gewesen sein. Ihr seid ja zu doof, um einen Katzenhai von einem Zitteraal zu unterscheiden. Wie war doch gleich eure Note in Meerestierarten?« »Lasst doch Roberta endlich in Ruhe. Sie ist immerhin superklug und außerdem noch die zweitschnellste Schwimmerin der ganzen Schule«, verteidigte Ignazius Roberta, wie er es schon oft getan hatte. Aber Roberta hatte das wie üblich auch wieder missverstanden und nörgelte Ignazius gleich an, »Du musst nicht immer erwähnen, dass du schneller schwimmst als ich. Und ich will auch nicht immer von einem Blödfisch verteidigt werden. Das kann ich schon selbst! Verbessere doch erst einmal deine Noten, bevor du mich anquatschst!« Mit kurzen aber kräftigen Schwanzflossenschlägen verschwand Roberta in die Klassenhöhle.

Frau Mondschein, die gerade herausschwamm, geriet in den Sog der rasenden Roberta und musste gleich schimpfen, »Kein Schnellschwimmen in den Höhlen, junges Fräulein Nordstrom!« Um Missverständnisse zu vermeiden gab Frau Mondschein ihre Schelte immer mit dem Familiennamen. Schon im ersten Schuljahr wussten daher alle, dass der junge Herr Seestern eigentlich Ignazius war. Seine gute Laune ließ sich Ignazius heute aber nicht so leicht verderben. Auch, wenn ihm durch den Sog fast sein Lunchpaket aus dem Schnabel gefallen wäre. Das üppige Lunchpaket hatte er selbst gemacht, da seine Eltern ja nicht da waren.

Izadora und Margit verschwanden ebenfalls in die Klassenhöhle, denn der Unterricht fing bald an. Frau Mondschein blickte erstaunt auf Ignazius. Hatte Herr Mondschein geschwindelt? Ignazius wies nicht einen Kratzer auf. Frau Mondschein schwamm zu Ignazius und hielt ganz knapp Schnabel an Schnabel bei ihm an. Sie erkannte sofort den leichten Geruch von Meermenschenmedizin. »Ach, die Meermenschen kennst du wohl auch schon?« Ignazius nickte leicht und freute sich, dass Frau Mondschein offensichtlich nichts an die große Glocke hängen wollte, denn sie sprach so leise, dass nur er es hören konnte. »Dann schwimm mal rein. Der Unterricht beginnt gleich. Heute haben wir in der ersten Stunde ja Menschenkunde.«

Ignazius schlief natürlich fast sofort wieder ein. Roberta und die anderen wunderten sich, warum Frau Mondschein ihn schon wieder schlafen ließ. Doch heute gab es den Rätseldelphin Wettbewerb. Bei diesem Wettbewerb schwebten die Delphine über ihrer üblichen Raststelle, von der aus sie dem Unterricht folgten und wessen Antwort richtig oder eindeutig besser war, durfte weiter schwebend bleiben. Der andere Delphin musste sich auf die Raststelle sinken lassen. Irgendwann waren nur noch die zwei besten Delphine im Duell und der Sieger bekam immer eine Eins, welche auch in die Gesamtnote einfloss.

Doch konnte ein schlafender Delphin nicht gut daran teilnehmen. Als nur noch Roberta schwebte, wie es gewöhnlich der Fall war, denn sie war ja die beste Schülerin der Klasse, bestand Roberta darauf, dass sie jetzt gegen Ignazius antreten musste. Frau Mondschein war das zwar nicht recht, aber sie wusste auch, dass sie Ignazius gestern und heute bevorzugt behandelt hatte. Frau Mondschein schlug vor, dass sich Roberta die Frage ausdachte, während sie Ignazius weckte. Ignazius schwebte hoch, sah sich um und fragte, »Huch, nur noch Roberta und ich sind übrig? Wie habe ich das denn angestellt?« Die anderen Jungdelphine lachten. Ignazius hatte wirklich tief und fest geschlafen und gar nichts mitbekommen.

»Seid etwas netter zu Ignazius. Seine Eltern sind auf einer Dienstreise und Ignazius ist ganz allein daheim und ohne Aufpasser, da er ja schon in die zweite Klasse geht. Bis seine Eltern wieder da sind, erwarte ich mir von euch allen ein wenig Rücksichtnahme«, sagte Frau Mondschein. Die Jungdelphine staunten, denn ohne Aufpasser oder Elternteil daheim, würden die meisten hier selbst nicht klarkommen und vor allem würden sie sich fürchten. Es war toll, dass ein Zweitklässler schon so erwachsen und eigenständig war. Naja, ganz erwachsen war er sicher nicht, ansonsten würde er im Unterricht ja nicht schlafen.

Roberta fand trotzdem, dass die Bevorzugung zu weit ging. Selbst Robertas Mutter schien seit zwei Tagen Ignazius in Schutz zu nehmen und das war auch unerhört. Mama und Papa waren Wächterdelphine und kannten den Blödfisch ja gar nicht, dachte sie. Also hatte sich Roberta eine schwierige Frage ausgedacht, denn alle anderen schienen ja plötzlich zu einem Ignazius Fanclub zu gehören. Abgesehen davon wollte sie ja auch gewinnen und wieder eine Eins bekommen.

»Wie kann man Menschenweibchen von Menschenmännchen unterscheiden, Ignazius?«, fragte sie und lächelte siegessicher. Die Unterscheidungsmerkmale hatten sie erst gestern gelernt, als Ignazius ebenfalls gut und fest geschlafen hatte. Für eine Eins tat Roberta beinahe alles und der Blödfisch sollte nur sehen, dass es Konsequenzen gab, wenn man im Unterricht nicht aufpasste. Frau Mondschein und die meisten Jungdelphine fanden die Frage jetzt etwas garstig, denn sie wussten ja nun, warum Frau Mondschein so rücksichtsvoll war. »Da gibt es einige. Die Weibchen haben zwei Beulen am Oberkörper, die man Busen nennt. Die Menschen verstecken sie hinter Stofffetzen und die Meerjungfrauen hinter Muscheln, aber das machen beide nicht besonders gut. Die Männchen haben oft eine starke Behaarung und erinnern eher an die anderen Affenarten aus dem Oberflächentiere Unterricht. Und dann machen die Weibchen auch noch helle Ugh-Laute, während die Männchen eher dumpfe Ugh-Laute machen.«