Der Lumpenadvokat - Hannelore Cayre - E-Book

Der Lumpenadvokat E-Book

Hannelore Cayre

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Christophe Leibowitz ist ein Winkeladvokat, wie er im Buche steht: schlitzohrig, mit großem Herz und immer in Geldnöten. Dass er Karriere gemacht hätte, kann man nicht behaupten, denn als Pflichtverteidiger vertritt er vor allem Zuhälter und Kleinkriminelle aus der Pariser Banlieue. Da bittet ihn sein erfolgreicher Anwaltskollege Lakdar um einen Gefallen: Für eine Million Euro soll er mittels Rollentausch einen üblen Schurken aus dem Knast holen. Der Coup gelingt, Leibowitz sitzt anstelle des Schurken die Strafe ab und freut sich auf den Lohn, der ihn erwartet. Doch Lakdar wird der Mitwisser Leibowitz nach getaner Arbeit lästig. Womit er allerdings nicht gerechnet hat: Leibowitz hat Sinn für Gerechtigkeit und kann ganz schön fies werden.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 173

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch

Christophe Leibowitz tut seinem erfolgreichen Anwaltskollegen Lakdar einen Gefallen: Für eine Million Euro soll er mittels Rollentausch einen üblen Schurken aus dem Knast holen. Der Coup gelingt, Leibowitz sitzt anstelle des Schurken die Strafe ab und freut sich auf den Lohn, der ihn erwartet. Doch Lakdar wird der Mitwisser Leibowitz lästig …

Zur Webseite mit allen Informationen zu diesem Buch.

Hannelore Cayre (*1963) arbeitet in Paris als Strafverteidigerin mit der gleichen Art Klientel wie der Protagonist ihrer Romane. Sie hat Kriminalromane veröffentlicht, Kurzfilme realisiert und mehrere Drehbücher geschrieben.

Zur Webseite von Hannelore Cayre.

Stefan Linster lebte zwischen 1971 und 1983 in Frankreich und studierte Deutsche Philologie, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften und Französisch in Köln. Seit 1989 ist er als Übersetzer tätig.

Zur Webseite von Stefan Linster.

Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Hannelore Cayre

Der Lumpenadvokat

Kriminalroman

Aus dem Französischen von Stefan Linster

Ein Fall für Leibowitz (1)

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

HINWEIS: Ihr Lesegerät arbeitet einer veralteten Software (MOBI). Die Darstellung dieses E-Books ist vermutlich an gewissen Stellen unvollkommen. Der Text des Buches ist davon nicht betroffen.

Impressum

Dieses E-Book enthält als Bonusmaterial im Anhang 2 Dokumente

Die Originalausgabe erschien 2004 unter dem Titel Commis d’office bei Éditions Métailié, Paris.

Originaltitel: Commis d’office (2004)

© by Éditions Métailié 2004

© by Unionsverlag, Zürich 2022

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Martina Heuer

ISBN 978-3-293-30379-9

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

Produziert mit der Software transpect (le-tex, Leipzig)

Version vom 07.06.2022, 12:57h

Transpect-Version: ()

DRM Information: Der Unionsverlag liefert alle E-Books mit Wasserzeichen aus, also ohne harten Kopierschutz. Damit möchten wir Ihnen das Lesen erleichtern. Es kann sein, dass der Händler, von dem Sie dieses E-Book erworben haben, es nachträglich mit hartem Kopierschutz versehen hat.

Bitte beachten Sie die Urheberrechte. Dadurch ermöglichen Sie den Autoren, Bücher zu schreiben, und den Verlagen, Bücher zu verlegen.

http://www.unionsverlag.com

[email protected]

E-Book Service: [email protected]

Unsere Angebote für Sie

Allzeit-Lese-Garantie

Falls Sie ein E-Book aus dem Unionsverlag gekauft haben und nicht mehr in der Lage sind, es zu lesen, ersetzen wir es Ihnen. Dies kann zum Beispiel geschehen, wenn Ihr E-Book-Shop schließt, wenn Sie von einem Anbieter zu einem anderen wechseln oder wenn Sie Ihr Lesegerät wechseln.

Bonus-Dokumente

Viele unserer E-Books enthalten zusätzliche informative Dokumente: Interviews mit den Autorinnen und Autoren, Artikel und Materialien. Dieses Bonus-Material wird laufend ergänzt und erweitert.

Regelmässig erneuert, verbessert, aktualisiert

Durch die datenbankgestütze Produktionweise werden unsere E-Books regelmäßig aktualisiert. Satzfehler (kommen leider vor) werden behoben, die Information zu Autor und Werk wird nachgeführt, Bonus-Dokumente werden erweitert, neue Lesegeräte werden unterstützt. Falls Ihr E-Book-Shop keine Möglichkeit anbietet, Ihr gekauftes E-Book zu aktualisieren, liefern wir es Ihnen direkt.

Wir machen das Beste aus Ihrem Lesegerät

Wir versuchen, das Bestmögliche aus Ihrem Lesegerät oder Ihrer Lese-App herauszuholen. Darum stellen wir jedes E-Book in drei optimierten Ausgaben her:

Standard EPUB: Für Reader von Sony, Tolino, Kobo etc.Kindle: Für Reader von Amazon (E-Ink-Geräte und Tablets)Apple: Für iPad, iPhone und Mac

Modernste Produktionstechnik kombiniert mit klassischer Sorgfalt

E-Books aus dem Unionsverlag werden mit Sorgfalt gestaltet und lebenslang weiter gepflegt. Wir geben uns Mühe, klassisches herstellerisches Handwerk mit modernsten Mitteln der digitalen Produktion zu verbinden.

Wir bitten um Ihre Mithilfe

Machen Sie Vorschläge, was wir verbessern können. Bitte melden Sie uns Satzfehler, Unschönheiten, Ärgernisse. Gerne bedanken wir uns mit einer kostenlosen e-Story Ihrer Wahl.

Informationen dazu auf der E-Book-Startseite des Unionsverlags

Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

Impressum

Unsere Angebote für Sie

Inhaltsverzeichnis

DER LUMPENADVOKAT

1 – Frédéric Moreau, seit Kurzem mit dem Zeugnis der …2 – Meine Karriere war ordentlich in Fahrt gekommen und …3 – So führte ich denn mein Leben recht und …4 – Heute Morgen wache ich mit einem Ständer auf …5 – Zum Marc Dutroux der Pariser Anwaltskammer werden …6 – Die Tage vergehen, einer ist wie der andere7 – Neunzehn Uhr8 – Die Sonne ist aufgegangen, und Aziz der Vergewaltiger …9 – Lakdar war es, der dann ein Kopfgeld auf …10 – Und so entdecke ich nun, Tag um Tag …Epilog

Mehr über dieses Buch

Über Hannelore Cayre

»In diesem Beruf braucht man eine große Klappe.«

Clémence Vasseur: Die Lust, ein Flegel zu sein

Über Stefan Linster

Andere Bücher, die Sie interessieren könnten

Bücher von Hannelore Cayre

Zum Thema Frankreich

Zum Thema Paris

Zum Thema Spannung

Zum Thema Kriminalroman

Zum Thema Großstadt

Den Kärrnern des Strafrechts und für Jean-Christophe

1

Frédéric Moreau, seit Kurzem mit dem Zeugnis der Reife ausgestattet, kehrte heim nach Nogent, wo er zwei lange Monate ausharren sollte, ehe er sein Studium der Rechte antreten würde.

»Erzähl mir.«

Ich versuche, meinem Freund, dem Luden, verständlich zu machen, dass mein Albanisch allzu rudimentär ist, um ihm ein Buch nachzuerzählen, in dem nichts passiert. »Das spielt 1840.«

»Na und?«, erwidert er eingeschnappt.

Er glaubt, dass ich ihm von oben herab komme, und schmollt.

Anhand der ungefähr hundert Wörter, die ich gelernt habe, seitdem ich seine Zelle mit ihm teile, stürze ich mich in eine freie Übersetzung. Ohnehin gibts nichts Besseres zu tun. Heute regnet es so stark, dass man unmöglich für den Hofgang vor die Tür kann.

»Eines Tages sieht ein Mann Frau, die verheiratet ist, und er liebt Frau, die verheiratet ist, und er wartet sein ganzes Leben auf Frau.«

»Wie heißt sie?«

»Madame Arnoux.«

Kopfwackelnd denkt er nach und verdaut die Information. »Und was passiert da?«

»Nichts. Er hat Schmerz sein Leben lang, das vergeht. Er macht nichts.«

Ich werde Augenzeuge einer Begegnung der dritten Art: Dragan Dostom, Zuhälter vom Boulevard Serrurier, dem unter anderem zur Last gelegt wird, ein paar Mädchen, die wie die Faulpelze angeschafft hatten, durchgebläut und verkauft zu haben, versucht sich in einer Regung der Empathie gegenüber Frédéric Moreaus Leid.

»Und der Ehemann?«

»Der ist alt und nicht schön. Der geht mit anderen Frauen schlafen. Der hat Geld, verliert aber Geld.«

»Und warum nimmt sich der andere dann nicht die Frau von dem Alten?«

»Weil er lieber leiden will!«

Er sieht mich mit einer von Unverständnis triefenden Fresse an. »Warum liest du das?«

»Weils auf der Karre aus der Gefängnisbibliothek nichts anderes gab!«

Diesen letzten Satz habe ich auf Französisch gesagt, doch er hats trotzdem verstanden.

»Lies, ich werd schlafen.«

Also beginne ich laut zu lesen, um den dicken Dostom einzulullen, während dieser sich im Bett über mir unter dem infernalischen Ächzen alter Sprungfedern in seine Decke kuschelt.

Mit einem letzten Blick umfasste er die Île Saint-Louis, die Cité, Notre-Dame; und als bald darauf Paris verschwand, stieß er einen tiefen Seufzer aus …

Es ist zwar erst vier Uhr nachmittags, weil aber der Winter naht und wir mieses Wetter haben, ist es draußen schon fast dunkel.

Frédéric Moreau, seit Kurzem mit dem Zeugnis der Reife ausgestattet, kehrte heim nach Nogent, wo er zwei lange Monate ausharren sollte, ehe er sein Studium der Rechte antreten würde.

Er schnarcht.

Auch ich beginne wegzudriften.

Ich bin achtzehn Jahre alt.

Er dachte an das Zimmer, das er in Paris bewohnen würde, an den Entwurf eines Dramas, an Sujets von Bildern, an dereinstige Leidenschaften. Er fand, dass das ob der Vortrefflichkeit seiner Seele verdiente Glück doch auf sich warten ließ.

Stolz wie ein Spanier, mein Abi in der Tasche, lese ich Die Erziehung der Gefühle und fläze mich dabei angeberisch auf die Sitzbank der S-Bahn RER, Linie A, Richtung Boissy-Saint-Léger. Ich fahre ebenfalls nach Nogent, um meinen Eltern zu verkünden, dass ich in Paris eine Bude gefunden habe und ausziehen werde.

Ich gerate schier in Verzückung darüber, dass sich – seit 1840 – nichts gravierend geändert hat.

Wie Frédéric Moreau will ich die Welt verschlingen, und die Halbweltdamen bringen mich zum Fantasieren. Ich träume von einer kleinen gemütlichen Wohnung, von Mädchen, die ich mir darin genehmigen werde, von der Kohle, die ich verdienen, und von dem Schlitten, den ich mir leisten werde.

Doch vor allen Dingen bin ich davon überzeugt, dass das ob der Vortrefflichkeit meiner Seele verdiente Glück so immens wie imminent ist.

Ich bin achtzehn Jahre alt, ich gehe auf die Uni, ich bin ein Ass.

Ich hätte mich vor meiner Schwärmerei für diesen Roman in Acht nehmen sollen. Heute lese ich ihn mit ganz neuem Blick noch einmal und erkenne, dass es sich dabei vor allem um die Geschichte einer Niederlage, um den Bankrott eines Lebens handelt: eine schale Abfolge von Fehlschlägen und Sackgassen.

Macht mich etwa das Umfeld Gefängnis so klarsichtig?

Mein Leben fing schlecht an, weil es ohne Leidenschaft anfing.

Für nichts begabt und zu allem taugend, hatte ich mich auf den Ratschlag meines Vaters hin nach dem Abi an jener Fakultät eingeschrieben, die viel eher eine Fakultät der Rechten war als eine der Rechte.

»Wirst sehen, es gibt nichts Besseres, als mit Faschos Umgang zu haben, damit man vergisst, woher dein Vater kommt.«

Ein Sachverhalt, den vergessen zu machen ihm selbst nie gelungen war, dem Armen, auch nicht nach dreißig Jahren im Cercle interallié, wo er, umgeben von lauter ihn im Grunde verachtenden Bourgeois, die Werte des wahren Frankreich nachgeäfft hatte.

Ist ja nicht so, dass man sie nicht mag, die Juden, aber …

So ging das Lied.

Und dann kam der erste Vorlesungstag.

Ich war damals noch zu jung, um es genau in Worte zu fassen, ich kann aber dennoch sagen, dass ich bereits so was wie einen Bluff, ein böses Omen gewittert habe.

Ein dicker Doktorand, pausbäckig und unverkennbar Altes Frankreich, der auf den Namen Jean-Marie Guillemet hörte, rief uns einzeln auf. »Brunois. Ah … Besteht da eine Verbindung zum Herrn Präsidenten der Pariser Anwaltskammer Brunois? Aha, das ist Ihr Großvater! Ah! … Rippert … Dekan Rippert ist Ihr Onkel! Ah! …«

Und so weiter.

Verflixter Guillemet! Ich sehe ihn vor mir, als wäre es erst gestern gewesen, wie er die Namen von Senatoren, von Räten am Kassationsgerichtshof, von Parlamentariern aufzählt. Ein Verhungernder vor einer Konditorei, hätte man meinen können … Blätterteigteilchen mit Schlagsahne, Saint-Honoré-Windbeutel, Paris-Brest-Mandelcremetorte … Er konnte nicht genug davon kriegen, dieser Guillemet …

Das Ganze verströmte den Wohlgeruch nach Quadersteinfassade in der Avenue Duquesne, Jagdpartien in der Sologne, Ferien im Regen für die Balzac-Lektüre, Bridge und Jesuiten.

An jenem Tag habe ich begriffen, weshalb mein Vater nicht dazugehörte.

Der wahre Bourgeois fährt nicht an die Côte d’Azur in die Sonne. Er lebt in Paris unter Stuckdecken und hat eine Familiengruft in der regnerischen Provinz. Er gehört der herrschenden Klasse seit mindestens fünf Generationen an und bemerkt meine schiere Existenz bloß wegen seiner liberalen Anschauungen.

Auf keinen Fall heißt er Christophe Leibowitz.

An jenem ersten Vorlesungstag hat Guillemet nicht einmal meinen Namen ausgesprochen.

Ich glaube, dies geschah schlichtweg aus Humanismus, denn er hat mir das ganze Jahr über sehr gute Zensuren gegeben.

Und dann habe ich mein Studium der Rechte absolviert, wie Flaubert sagte, und bin Anwalt geworden, doch das ob der Vortrefflichkeit meiner Seele verdiente Glück rückte Schritt um Schritt in die Ferne, bis es schließlich unerreichbar wurde. Nach wie vor hatte ich weder Kohle noch Schlitten noch Puppe, doch vor allem hatte ich die Hoffnung verloren. Mein Studium hatte mir ein Stigma bewusst gemacht, das ich bis dahin nie bemerkt hatte: das Mal des emporgekommenen Kleinbürgers, das vom ersten Tag meines Lebens an da gewesen war, gut sichtbar auf meiner Stirn.

Als Ausbilder für mein Referendariat habe ich einen Typen gewählt, der genau meiner Ernüchterung entsprach: einen jüdischen Strafverteidiger, den Buckel voller Schulden, einen Lügner, Schürzenjäger, polymorph pervers veranlagt, aber mit einem Herz aus Gold.

Ich bewunderte ihn grenzenlos.

Er erinnerte einen an die Karikaturen aus den Vorkriegszeitungen wie Candide oder Gringoire: Der Jude belügt Sie, der Jude beraubt Sie; bringen wir den Juden um!

Klein, mit Hakennase und großen Glupschaugen glich er Yoda aus Krieg der Sterne: Seine Kleidung war nie ganz sauber, und wenn er mit Leuten sprach, fasste er sie immer an.

Ich glaube, er hatte Mitleid mit mir.

Dank meiner Mutter mit ihrem grundfranzösischen Mädchennamen hieß ich zu alledem Christophe Leibowitz-Berthier.

Tatsächlich war ich nicht mal Jude. Ich war ganz einfach nichts. Oder besser gesagt doch: eine Art groteske Nachkriegsmutation.

Ich glaube, das war auch der Grund, weshalb er mich eingestellt hat. Weil er in seinem ganzen Leben selten so gelacht hat. Weil allein die Tatsache, dass in dieser Welt – nachdem man sich nach Kräften bemüht hatte, die Behinderten, Juden, Schwulen und Zigeuner auszurotten – ein Christophe Leibowitz-Berthier geboren wurde, in seinen Augen bewies, dass es dem Leben immer wieder gelang, sich Bahn zu brechen.

Statt mich die Juristerei zu lehren, auf die er sich lediglich auf intuitive Art und Weise verstand, hat er mir beigebracht, wer ich war, oder vielmehr, wer ich nicht war: »Du verplemperst deine Zeit damit, diesen französischen Großbürgern zuzuhören, die ihre Plädoyers im Konjunktiv halten und ihre Siegelringe mit denen der Kammerpräsidenten vergleichen; ausgerechnet die sollte sich ein Christophe Leibowitz-Berthier nicht zum Vorbild nehmen. Wenn du jede Menge Geld verdienen willst, musst du ein dicker, bösartiger Kanake sein und deine Plädoyers halten wie ein bissiger Hund, der vor Hunger krepiert und nach allem schnappt. Du wirst sehen, das kommt mit der Zeit ganz von selbst. Allein dadurch, dass du ärmer als die Ganoven bist. Dass du wie ein armer Schlucker lebst, während man dir gesellschaftliche Hochstapelei vorwirft. Der Luxus, als Rechtsanwalt zu Reichtum zu gelangen und gleichzeitig ein Klassetyp zu bleiben, steht dir nicht zu, es sei denn natürlich, du würdest die überaus hässliche Tochter eines Präsidenten der Anwaltskammer heiraten«, sprach Yoda.

Und er endete stets folgendermaßen: »Auch ich bin ein knurrender Kanake, weil ich aber nicht bösartig bin, na ja, hab ich eben drei Millionen Schulden, allerdings pfeif ich drauf, weil ich meine Klientinnen vögle und die allesamt sehr hübsch sind.«

Und fügte noch hinzu: »Und außerdem kann nicht jeder von sich behaupten, drei Millionen Schulden zu haben!«

All das stimmte wirklich!

Da konnte er noch so klein sein mit seinen Glupschaugen, tatsächlich vögelte er seine gesamten Mandantinnen, aber auch seine juristischen Mitarbeiterinnen, seine Sekretärinnen, die Telefonistinnen, die Gerichtsschreiberinnen … und wäre dies nicht als eine widernatürliche Kopulation betrachtet worden, hätte er sogar die eine oder andere Untersuchungsrichterin haben können. Er bumste auch die Inspektorinnen des Finanzamtes oder die von der Einzugstelle für Sozialversicherungs- und Familienkassenbeiträge, die seine Wege kreuzten. Genau hierin musste man wohl seinen beruflichen Jungbrunnen suchen, den Grund dafür, dass er davonkam und nicht wegen seiner Schulden aus dem Anwaltsregister gelöscht wurde. All diese Frauen, wie viele es auch sein mochten, waren ihm irgendwie verpflichtet und trugen, eine jede auf ihrem Gebiet, dazu bei, ihn vor dem persönlichen Bankrott zu retten.

Er ist an einem 16. Februar an einem Schlaganfall verstorben, auf die gleiche Weise wie Staatspräsident Félix Faure: in den Armen einer Nutte. Wenn das kein Schicksal ist! Zumal für einen Juden, wenn man weiß, dass ausgerechnet Félix Faure sich der Revision des Dreyfus-Prozesses widersetzt hatte.

Daraufhin habe ich mich selbstständig gemacht und seine Klientel von in Tränen aufgelösten Frauen, Stricherinnen und Luden übernommen. Da ich mich nicht darauf verstand, haben mich die Frauen alsbald abserviert. Die Strichbienen und die Luden sind nach und nach regelrecht verbürgerlicht oder an Aids gestorben. Und dann habe ich mich den Zeiten angepasst; ich war einer der Ersten, die in Russe, Lette und Albaner machten. Mancher würde jetzt sogar sagen, dass ich mit denen sogar lebe. Ist schon eigenartig, wenn man darüber nachdenkt, diese ganzen Ähnlichkeiten: Genau wie bei Frédéric Moreau hat sich mein ganzes Leben um Nutten gedreht, und zwar in Ermangelung von Besserem.

2

Meine Karriere war ordentlich in Fahrt gekommen und ließ in nichts meine derzeitige Situation vorausahnen: ein Leben zu zweit mit einem Typ von hundertdreißig Kilo, der über meinem Ohr schnarcht, in einer Bude von neun Quadratmetern mit Gittern, voller Südlage und Promenadenblick – in Fresnes.

Damals lebte ich in einem bezaubernden Zwei-Zimmer-Appartement mit Sichtbalken zu zehntausend Euro der Quadratmeter, das zum Musée Picasso hin lag und mein Erbe vollständig verschlungen hatte.

Ich hatte weder Frau noch Bälger, also weder Sorgen noch Kochtöpfe.

Beruflich bei einem Kollegen untergebracht, hatte ich kein Büro, keine Miete, keine Sekretärin, also keine Belastungen.

Was ich einnahm, diente ausschließlich dazu, meinen persönlichen Komfort zu finanzieren, den ich schön gemütlich haben wollte.

Ich arbeitete immer mit Mobiltelefon. Ich war rund um die Uhr erreichbar und traf meine Mandanten in Bars und Cafés, wenn sie noch nicht verhaftet waren; im Justizpalast oder im Knast, wenn sies waren.

Um die Alltagskost aufzubessern und mit den Realitäten des Berufs auf Tuchfühlung zu bleiben, arbeitete ich auch als Pflichtverteidiger.

Vor zwei Jahren noch bestand meine Kundschaft aus einem nicht abreißenden Strom von Luden. Die reichten sich untereinander meine Visitenkarte weiter, wenn sie sich hatten schnappen lassen, und was den Mehrwert angeht, so sicherten mir gefällige Übereinkommen mit Dolmetschern sogenannter Nicht-Uno-Sprachen ein beständiges Betriebskapital.

Wurde irgendein Lette oder Usbeke verhaftet, so benachrichtigte dessen Botschaft den entsprechenden Dolmetscher, damit der bei der vorläufigen Festnahme übersetzte. Um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, empfahl der Übersetzer seinem Landsmann gleich einen sehr guten Anwalt. Ich wiederum trat diesem gutherzigen und kooperativen Mann zwanzig Prozent sämtlicher Beträge ab, die ich im Laufe des Verfahrens einstrich.

Je grausamer der Zuhälter, desto höher fiel das Strafmaß aus, doch desto zahlreicher zur Stelle und fügsamer waren auch die fleißigen Strichbienen, wenn die Begleichung meiner Honorare anstand.

Nach jeder Festnahme erhielt ich unausweichlich einen Anruf aus Deutschland: Eine Frau fragte mich auf Englisch, wie viel ich denn verlange für die Verteidigung von Rodovan, Milan, Ruslan … Und ich machte mich prompt auf den Weg, um die Knete eine halbe Stunde später in einer Western-Union-Agentur, gegenüber der Notre-Dame, zwischen zwei Touristen bar zu kassieren.

Es war leicht verdientes Geld, vor allem, weil diese Kerle nie Scherereien machten. Eingedenk der Lebensverhältnisse in ihren Ländern betrachteten sie die Haft mehr oder weniger als Zwangsurlaub.

Und außerdem erforderten die Akten derartiger Fälle keinerlei Anstrengung. Hatte man eine gelesen, so hatte man alle gelesen.

Die von Dragan Dostom, dem rotgesichtigen Koloss mit dem kahl rasierten Schädel und den knallblauen Augen, den ich mit meiner Lesung in den Schlaf gewiegt habe, ist topisch.

Dritter Sohn eines Ziegenhirten, hatte er dem Landleben als Vierzehnjähriger den Rücken gekehrt und war seinen Brüdern gefolgt.

Die Dostom-Brüder hatten zunächst sozusagen im Familienverband in einem Hüttenwerk gearbeitet, doch nachdem sie sich ein paar Jahre lang vor den Hochöfen bei lebendigem Leibe hatten grillen lassen, reichte es ihnen und sie versuchten ihr Glück in Tirana.

Die Stadt und der neue Umgang, zu dem sie dort fanden, erweiterte ihren Horizont und machte ihnen bewusst, dass sie lediglich ein Steinwurf vom gut betuchten Europa trennte.

Weil sie hübsche Burschen waren, lernten sie bald Mädchen kennen, die sogar bereit waren, sie zu heiraten, obwohl sie keinen Heller besaßen.

Dragan jedoch hatte das wirklich große Los in der Person der schönen Ilona gezogen, eines intelligenten und ehrgeizigen Miststücks.

Ilona kam nicht von der Straße wie ihre Schwägerinnen. Sie hatte studiert, um Französischpaukerin zu werden, die Uni jedoch abgebrochen, als ihr Vater verunglückte. Um für den Unterhalt der Familie zu sorgen – schließlich war sie die Älteste –, begann sie in einer Bar in Tirana zu malochen, wo sie auch schon mal eine Nummer schieben konnte, damit Butter an den Fisch kam.

Und dort lernte sie auch den dicken Dostom kennen, den sie dann heiratete, obwohl er sechs Jahre jünger war als sie.

Ihr Plan war, in den Westen zu gehen, wo der Strich, so ging die Rede in Albanien, ein lukratives Unternehmen sei, vor allem, wenn man im trauten Familienkreis arbeitete, ohne Luden, mit einem starken Mann als Beschützer.

Dragan und Ilona machten sich also nach Deutschland auf, wohin zwischenzeitlich Dostoms beiden anderen Brüder ausgewandert waren, dann nach Italien und schließlich nach Frankreich.

Von der Verlockung des Geldes getrieben, hatte Ilona ihre Schwestern nachkommen lassen, dann ihre Freundinnen, die Freundinnen ihrer Schwestern, die Freundinnen von Dostoms Brüdern in Italien und Deutschland, die Schwestern der Freundinnen, die Freundinnen der Schwestern, die Brüder und die Vettern der Freundinnen und Schwestern.

Kurzum, dies alles hatte dazu beigetragen, ein regelrechtes internationales Prostitutionsnetz aufzubauen, dessen Mitglieder in den drei Monaten, die ihre Visa ihnen zugestanden, aufs Harmonischste im Schengen-Raum zirkulierten.

Da wurde munter ohne Unterlass angeschafft, in der Kälte wie im Regen, an den Portes des Pariser Périphérique und an den äußeren Boulevards. Das Ganze war himmelweit entfernt von der guten alten gemütlichen Prostitution und dem kleinen lauschigen Möblierten in der Rue Pigalle.

Weil aber nun mal nicht alle Ethnien, so wie die Asiaten, den angeborenen Sinn für die Arbeit im Familienverband besitzen, haute sich dies nette Völkchen schon bald gegenseitig aufs Maul.