Der Mann, der einen Wald niederbrannte - Samuel Wallander - E-Book

Der Mann, der einen Wald niederbrannte E-Book

Samuel Wallander

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Beschreibung

Ob alte Nannys, die mit dem Teufel paktieren, Flitterwöchner auf Zombiejagd oder mobbende Raumfahrer – die Protagonisten dieser Geschichten sind immer außergewöhnlich. Wallander schreibt sehr unterhaltsam, spannend und kurzweilig. Seine Geschichten haben nicht selten einen Twist, der den Leser dazu bringt, den Text gleich noch mal zu lesen. Auf die Frage, wie er denn zu seinen Ideen käme, antwortete der Autor: im Schlaf. Zitat eines Lesers: "… man muss alle Geschichten bis zum Ende lesen …" – Was kann sich ein Autor mehr wünschen? Null Papier Verlag

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Samuel Wallander

Der Mann, der einen Wald niederbrannte

Kurzgeschichten

Samuel Wallander

Der Mann, der einen Wald niederbrannte

Kurzgeschichten

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019 3. Auflage, ISBN 978-3-962815-35-6

null-papier.de/633

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Grabräu­ber

Das Ge­spräch

Eure Ma­je­stät

Mis­si­on zum Ro­ten Pla­ne­ten

Ein 50 Jah­re al­tes Ver­bre­chen

Pac­ta sunt ser­van­da

Sams­tag

Os­wald

Der Mann, der einen Wald nie­der­brann­te

Die Ren­te

Flit­ter­wo­chen mit Zom­bies

Wahr­heit und Traum

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie die­ses E-Book aus mei­nem Ver­lag er­wor­ben ha­ben.

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Ihr Jür­gen Schul­ze, Ver­le­ger, js@­null-pa­pier.de

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Ein Dank des Autors

Als mein Ver­le­ger Jür­gen Schul­ze mich auf die Idee brach­te, mei­ne Kurz­ge­schich­ten von ei­ni­gen Test­le­sern be­ur­tei­len, ja gleich­sam kor­ri­gie­ren zu las­sen, war ich skep­tisch. Aber Herr Schul­ze be­ru­hig­te mich mit dem Ver­spre­chen, dass alle Kor­rek­tur­vor­schlä­ge eben zu­al­ler­erst ei­nes wä­ren: Vor­schlä­ge, und dass ich kei­ne von ih­nen an­neh­men müs­se.

In mei­nem Grö­ßen­wahn set­ze ich vor­aus, dass „schon nicht so­viel zu kor­ri­gie­ren sei“ – konn­te man noch falscher lie­gen? Kein Satz (mit Aus­nah­me der Ti­tel) blieb von mei­nen em­si­gen Hel­fern un­an­ge­tas­tet. Nicht sel­ten ent­wi­ckel­te sich über meh­re­re li­te­ra­ri­sche Ball­wech­sel hin­weg ein sym­pa­thi­sches Ne­cken zwi­schen Au­tor und Le­ser: Soll­te man nicht bes­ser ein an­de­res Wort wäh­len? Wür­de ein Be­trof­fe­ner in die­sem Mo­ment wirk­lich schwei­gen? Wa­rum soll­te ein Ver­bre­cher aus­ge­rech­net die­ses oder je­nes tun? Und (schon pro­fa­ner, aber nicht we­ni­ger wich­tig) wenn die Haupt­per­son zwei Stun­den war­tet, wie­so ist es auf ein­mal sie­ben Uhr und nicht schon acht? Und wie­so rückt eine Per­son der an­de­ren wie­der zu nahe, wenn sie sich zu­vor doch noch gar nicht be­wegt hat­te?

Ich bin Anet­te Kar­le und Ge­org Kreysch wirk­lich sehr, sehr dank­bar für ihre Ge­duld, ih­ren Fleiß, ihre Ide­en und ihre Be­reit­schaft, ei­nem li­te­ra­ri­schen No­bo­dy ihre Zeit zu op­fern. Ich hof­fe, ich kann mich ir­gend­wann ir­gend­wie re­van­chie­ren.

Noch­mals: dan­ke, Leu­te!

S. W. 9/18 ir­gend­wo im Mit­tel­meer

Grabräuber

Rick be­sah sich den al­ten Mann, der in sei­nem Di­ner nun schon seit ei­ner Stun­de an ei­ner Tas­se Kaf­fee schlürf­te und mit gleich­gül­ti­gem Blick mal die Gäs­te, mal Rick, meis­tens aber das kar­ge Ge­sche­hen drau­ßen auf der Stra­ße mus­ter­te.

Der Mann roch nach Knast.

Nicht dass Rick in sei­nem Le­ben schon vie­len Knas­tin­sas­sen be­geg­net wäre, aber die­ser war ein­deu­tig ei­ner. Er war so sehr ei­ner, als wäre er ei­nem Dreh­buch für eine TV-Se­rie ent­schlüpft. Was tat der Mann hier? War er nur ein Kun­de un­ter vie­len oder kund­schaf­te­te er den La­den aus?

Rick über­schlug im Kopf die Ein­nah­men des heu­ti­gen Ta­ges. Die Kas­se wür­de nicht sehr voll sein. Aber was scher­te das einen Be­rufs­ver­bre­cher schon? Auch die an­we­sen­den Gäs­te ver­spra­chen be­stimmt kei­nen er­gie­bi­gen Fisch­zug.

Rick ging hin­ter den Tre­sen und stell­te die lee­re Kan­ne ab, um neu­en Kaf­fee auf­zu­set­zen. Er über­leg­te, ob es wirk­lich sinn­voll war, dem Frem­den den Rücken zu­zu­dre­hen, aber in­ner­lich schmun­zel­te er über sei­ne über­trie­be­ne Vor­sicht. Die­ser alte Mann wür­de Ricks tris­ten All­tag nicht durch­ein­an­der­brin­gen, nicht zum Gu­ten und nicht zum Schlech­ten. Die­ser alte Ex-Sträf­ling – was ja noch zu be­wei­sen wäre – wür­de nur da­sit­zen, sei­ne Tas­se lee­ren und ir­gend­wann ver­schwun­den sein. Er wür­de ver­schwun­den sein wie ein Geist, wie alle Gäs­te, die es kein wei­te­res Mal hier­her ver­schlug. Er wür­de nichts hin­ter­las­sen au­ßer ei­nem Dol­lar Trink­geld, ei­nem Ge­säß­ab­druck auf den al­ten Kunst­le­der­pols­tern und viel­leicht noch ei­ner Note sei­nes muf­fi­gen Ex-Knacki-Ge­ruchs.

Rick be­trach­te­te die ka­put­te Es­pres­so-Ma­schi­ne, von der er noch im­mer nicht wuss­te, wie sie rich­tig zu be­die­nen war; sei­ne letz­te In­ves­ti­ti­on in die­sen ver­damm­ten La­den, der ihn mit sei­nen arm­se­li­gen Ein­nah­men so ge­ra­de eben über­le­ben ließ. Die Rech­nun­gen müs­sen be­zahlt wer­den, hat­te sein Va­ter im­mer ge­sagt, und dann guckst du, was am Ende des Mo­nats für dich üb­rig bleibt. – Nicht viel, so­viel war mal klar.

Als Rick den al­ten Mann mög­lichst un­auf­fäl­lig un­ter die Lupe nahm, ver­stand er zum ers­ten Mal in sei­nem le­ben, was »asch­grau« be­deu­te­te. Denn ge­nau so sah das Ge­sicht des Man­nes aus: Es hat­te die Far­be von kal­ter La­ger­feu­er­a­sche. Wenn es eine Ge­sichts­far­be gab, die dem jah­re­lan­gen Auf­ent­halt hin­ter Git­tern ge­schul­det war, dann war es die­ser Farb­ton, die­se Mi­schung aus Spucke­weiß und Herbst­grau. Er hat­te kur­ze, eben­falls grau­wei­ße Bart­stop­peln, die so aus­sa­hen, als wür­de man mit ih­nen Holz schlei­fen kön­nen. Sei­ne Kopf­haa­re wa­ren dünn und braun, aber im Ge­gen­satz zum Bart nur von we­ni­gen wei­ßen Fä­den durch­zo­gen, da­für wa­ren sie fet­tig und sa­hen aus wie selbst ge­schnit­ten. Der Mann hat­te di­cke Trä­nen­sä­cke un­ter den Au­gen. Im­mer wenn er die Tas­se mit bei­den Hän­den zum Mund hob, um einen Schluck zu trin­ken, sah man sei­ne schmut­zi­gen Fin­ger­nä­gel. Sei­ne Fin­ger wie­sen ver­schie­de­ne, grob ge­sto­che­ne Tat­toos auf. So wie bei Schul­kin­dern, die sich wäh­rend des Un­ter­richts aus Lan­ge­wei­le die Hän­de mit ob­szö­nen Kra­ke­lei­en be­mal­ten. Eine be­mit­lei­dens­wer­te Fi­gur, vor der man aber den­noch in­stink­tiv auf der Hut war. Nicht so sehr wie vor ei­nem bru­ta­len Schlä­ger, son­dern mehr wie vor ei­nem hus­ten­den und schnie­fen­den Fahr­gast in ei­nem vol­len Rei­se­bus.

Auch wenn der Mann nicht ge­walt­tä­tig wer­den wür­de, fan­ta­sier­te Rick, konn­te er einen be­stimmt al­lein durch eine List oder einen plum­pen Zu­fall sei­nes Gel­des be­rau­ben. Der Mann roch nach Pro­ble­men. Wie­der dach­te Rick an die paar Schei­ne in der Kas­se. Nein, lie­ber Ga­no­ve, raub uns nicht aus. Am Ende läuft noch was schief, und dann geht ei­ner drauf für eine Sum­me, die nicht ein­mal reicht, um eine Nut­te zu be­zah­len, die noch alle Zäh­ne im Mund hat, eine, die ihre ei­ge­ne Web­si­te be­treibt und of­fi­zi­ell als Es­kort­da­me fun­giert.

Au­ßer dem Ex-Knacki wa­ren nur noch Hut­trä­ger Mike und Fet­tarsch Mur­phy an­we­send, die je­den Diens­tag zu­sam­men zum Hack­bra­ten vor­bei­ka­men. Rick wuss­te nicht, ob sie Mike und Mur­phy hie­ßen, aber sie sa­hen halt so aus wie Mike und Mur­phy. Und die­se Na­men wa­ren wohl so gut wie jede an­de­ren. Mike trug im­mer einen Hut – so einen alt­mo­di­schen, wie Bo­gart ihn ge­tra­gen hat­te und der we­der zur heu­ti­gen Zeit noch zu sei­nem sons­ti­gen Er­schei­nungs­bild pass­te, denn ab­ge­se­hen von sei­nem Hut trug er im­mer die­sel­be spe­cki­ge Le­der­ja­cke und die­sel­ben Bund­fal­ten­ho­sen. Mur­phy hin­ge­gen war so un­glaub­lich fett, dass sei­ne en­gen Jeans nur schwer das an der Tail­le über­quel­len­de Fett bän­di­gen konn­ten. Und je­des Mal, wenn er sich auf die an der Wand fest­ge­schraub­te Sitz­flä­che quetsch­te, ver­krampf­te sich Rick, wenn er an die Kos­ten ei­ner Neu­an­schaf­fung dach­te. Mike und Mur­phy sa­ßen im­mer am sel­ben Tisch, vor­aus­ge­setzt dass er frei war, was meist der Fall war, und kau­ten sto­isch ih­ren Hack­bra­ten; Mike im­mer mit ei­nem Glas Gra­tis­was­ser und Mur­phy mit al­ko­hol­frei­em Bier.

Rick über­leg­te, was wohl pas­sie­ren wür­de, wenn er den Mitt­woch zum Hack­bra­ten­tag mach­te. Wür­den Mike und Mur­phy dann ein­fach den Tag wech­seln oder nur das Ge­richt? Oder wür­den sie gar nicht mehr kom­men, weil sie das Hüh­ner­fri­kas­see ei­nes an­de­ren Di­ners am Mitt­woch mehr moch­ten als sei­nen Hack­bra­ten? Rick war aber zu trä­ge und auch ein we­nig zu mut­los, um die Menü­kar­te, an der er seit Jah­ren nur die Prei­se an­pass­te, zu über­ar­bei­ten.

So­eben ka­men Mike und Mur­phy vor­bei­ge­schlurft, sie hat­ten ihr Mahl be­en­det. Hut­trä­ger Mike nick­te zum Ab­schied kurz in Rich­tung ei­ner Stel­le, die ir­gend­wo knapp hin­ter Ricks lin­ker Schul­ter lag. Mur­phy tat und sag­te über­haupt nichts.

Dann wa­ren sie ver­schwun­den und Rick war mit dem Ex-Knacki al­lein. Ricks Er­fah­rung nach wür­de es jetzt bis in den frü­hen Nach­mit­tag kei­ne Kund­schaft mehr ge­ben, bis die ers­ten Schü­ler ir­gend­wann auf einen bil­li­gen Bur­ger mit Cola ein­tru­del­ten. Die­se Leer­zeit nutz­te er meist, um die Ti­sche zu säu­bern, die Grill­plat­te ab­zu­krat­zen und sich auf dem Klo einen run­ter­zu­ho­len.

Aber sein letz­ter Gast schi­en mit sei­nem Kaf­fee so zu­frie­den zu sein, dass Rick wohl sei­ne Verab­re­dung mit Miss Juli auf den Abend ver­schie­ben muss­te. Rick po­lier­te ei­ni­ge der Glä­ser, die griff­be­reit auf ei­nem sau­be­ren Tuch war­te­ten. Dann seufz­te er kurz und nahm ein we­nig Tem­po aus der Ar­beit raus, um nicht zu früh fer­tig zu sein, denn es wür­de sonst schnell nichts mehr für ihn zu tun ge­ben.

Jetzt schau­te sich der Ex-Knacki um und er­blick­te Rick. Sei­ne Au­gen ruh­ten da­bei den Bruch­teil ei­ner Se­kun­de län­ger als not­wen­dig auf ihm. Es war Zeit, Kaf­fee nach­zu­schen­ken.

Rick griff die Kan­ne, die jetzt wie­der rand­voll war, und schlen­der­te zu sei­nem Gast hin­über. Wort­los goss er nach und hat­te sich schon halb wie­der ab­ge­wen­det, als er eine Stim­me ver­nahm.

»Ei­nen Au­gen­blick, Jün­gel­chen!«

Hat­te die­ser Halb­mensch, die­ser Mann ohne Zu­kunft, die­ser alte Voll­zeit­ga­no­ve ihn wirk­lich ge­ra­de Jün­gel­chen ge­nannt? Er muss­te es ge­tan ha­ben, nie­mand an­de­res war an­we­send, und die Stim­me war aus sei­ner Rich­tung ge­kom­men. Den­noch hat­te Rick das kur­ze Ge­fühl, sich ver­hört zu ha­ben, und dass sein Gast nur et­was Harm­lo­ses, zur Si­tua­ti­on Pas­sen­des ge­sagt ha­ben muss­te, wie: »Was ist das Ta­ges­ge­richt?«, oder noch bes­ser: »Ich möch­te zah­len.«

Er blick­te den Mann an, schau­te auf sein grau­es Ge­sicht, roch sei­ne muf­fi­ge Klei­dung und war­te­te. Soll­te er wü­tend sein, soll­te er gleich­gül­tig sein? Ja, gleich­gül­tig wäre bes­ser. Bloß nicht be­ach­ten – so einen Spin­ner. Bloß zu­se­hen, dass er ver­schwand, und gut!

»Is’ ja schon gut, Jün­gel­chen, nun guck nicht so … sei froh, dass dich noch ei­ner Jün­gel­chen nennt.« Er blick­te Rick di­rekt an, so teil­nahms­los, wie er zu­vor die Menü­kar­te ge­mus­tert hat­te. Rick hielt dem Blick nicht stand, son­dern räus­per­te sich kurz und tat, als gäbe es auf sei­nem Hand­ge­lenk ir­gen­det­was Span­nen­des zu se­hen.

»Ja?«, sag­te Rick schließ­lich und ver­such­te da­mit vor­zutäu­schen, dass es ihm voll­kom­men scheißegal war, ob man ihn Jün­gel­chen, Kell­ner oder Ar­sch­loch nann­te.

»Ihr habt doch si­cher­lich Bur­ger. Hmm, oder? So ein rich­tig le­cke­rer Bur­ger, biss­chen blu­tig, mit fri­schen Ge­mü­se­zwie­beln, aber ohne Senf, denn Senf, weißt du, Jün­gel­chen, hab’ ich noch nie ge­mocht.«

Rick wuss­te es, sol­che Ge­stal­ten mach­ten im­mer mehr Ar­beit, als sie er­wirt­schaf­te­ten. Er be­vor­zug­te die Gäs­te, die still da­sa­ßen, nicht die Sit­ze über Ge­bühr voll­furz­ten und – den letz­ten Bis­sen noch im Mund – still ihre Rech­nung be­zahl­ten. Aber der Kna­be hier, die­ser Ex-Knacki, war ei­ner, der eine Sitze­cke mit vier Plät­zen drei Stun­den für eine Tas­se Kaf­fee be­setzt hielt und im­mer wie­der an­deu­te­te, dass er ja noch auf je­man­den war­ten wür­de, wor­auf dann schon die große Be­stel­lung käme, nur um dann un­ter Zu­rück­las­sen des ge­ra­de mal pas­sen­den Rech­nungs­be­tra­ges heim­lich zu ver­schwin­den. Ja, er be­vor­zug­te Ty­pen wie Mike und Mur­phy, Ty­pen, die so re­gel­mä­ßig ka­men wie die staat­li­che Ren­ten­zah­lung, und die im­mer das­sel­be be­stell­ten und ihre Por­tio­nen zü­gig aufa­ßen.

»Also, machst Du mir einen Bur­ger oder nicht, Jün­gel­chen?«

Der Ex-Knacki wur­de un­ge­dul­dig, wäh­rend Rick ab­wäg­te, was mehr Stress ver­sprach: Wenn er den Al­ten ohne großes Ge­tue ein­fach raus­warf und das »Ge­schlos­sen-Schild« vor die Tür häng­te, oder wenn er die Ofen­plat­te wie­der an­heiz­te, um einen Bur­ger zu bra­ten? Er schiel­te zur Uhr über der Ein­gangs­tür. Sei­ne Pau­se war schon ge­lau­fen, und in ei­ner hal­b­en Stun­de wür­den die Schü­ler kom­men.

Rick seufz­te deut­lich. »Ei­nen Bur­ger. Gur­ken drauf?«

»Aber si­cher doch. Wer isst denn schon sei­nen Bur­ger ohne Gur­ken?« frag­te der Alte ent­rüs­tet.

Un­ge­fähr die Hälf­te mei­ner Gäs­te, du Idi­ot, dach­te Rick, dann dreh­te er sich um und ging wie­der zu­rück hin­ter den Tre­sen. Dort band er sich er­neut die Schür­ze um, dreh­te die Plat­te auf die zweit­höchs­te Stu­fe und bück­te sich hin­ab zum Kühl­schrank, um die fer­tig ge­schnit­te­nen Zwie­bel­rin­ge vom Vor­tag und das Fleisch her­vor­zu­ho­len. Als er sich mit ei­nem Zwi­cken im Kreuz wie­der auf­rich­te­te, er­schrak er: Der Ex-Knacki hat­te sich in der Zwi­schen­zeit von sei­nem Platz er­ho­ben und sich laut­los an den Tre­sen ge­setzt, di­rekt vor sei­ne Brat­sta­ti­on.

»Ich mag den Ge­ruch beim Bra­ten so gern«, sag­te er mit ei­nem über­trie­ben ge­nie­ße­ri­schen Aus­druck in den Au­gen. Dann hielt er Rick sei­ne lee­re Tas­se hin. »Kann ich noch einen ha­ben, Jün­gel­chen?«

Das wird böse en­den, dach­te Rick, das kann nur böse en­den. Er warf ein Stück Brat­fett auf die lang­sam warm wer­den­de Plat­te, griff sich die noch fast vol­le Kan­ne Kaf­fee und füll­te nach.

Die­sem Ty­pen wür­de er heu­te nicht mehr ent­kom­men. Wa­rum hat­te er nicht einen Knopf zu ei­ner Fall­tür, in der man sol­che Ar­sch­loch-Gäs­te ein­fach – wie in ei­nem Bugs-Bun­ny-Car­toon – ver­schwin­den las­sen konn­te? Oder einen Raum­schiff-En­ter­pri­se-La­ser, der sie ein­fach ver­dampf­te? Hun­dert Gäs­te las­sen dich ein­fach in Ruhe, da sie selbst in Ruhe ge­las­sen wer­den wol­len. Und der eine, ja, der eine, macht dir einen kur­z­en Ab­schnitt dei­nes Le­bens un­nö­tig zur Qual – wie eine ent­täusch­te Ehe­frau.

»Oh, Mann, ich sag dir …«

Rick wuss­te nicht, wann er und sein Gast sich auf die ver­trau­te Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ebe­ne ge­ei­nigt hat­ten. Aber schließ­lich durf­te man je­den Skla­ven in der Ga­stro­no­mie wie einen gu­ten Be­kann­ten be­han­deln, ge­nau wie einen Fri­seur oder Tank­wart.

»… zig Jah­re habe ich kei­ne Bur­ger ge­habt, zig Jah­re. Und jetzt, weißt Du, esse ich sie nur noch.«

Rick nahm nicht an, dass der Ex-Knacki le­dig­lich zig Jah­re mit ei­ner mi­li­tan­ten Ve­ge­ta­ri­e­rin ver­hei­ra­tet ge­we­sen war.

»Ach, was soll’s! Dir kann ich’s ja sa­gen, Jün­gel­chen, was?« Und bei die­sen Wor­ten schau­te er sich ver­schwö­re­risch im Di­ner um und grins­te Rick an. »Ich mei­ne, wir sind ja hier un­ter uns, oder?« Er lach­te.

»Ich bin Tre­vor, Tre­vor Mi­chaels, ich bin 52 Jah­re alt. Und von den 52 Jah­ren habe ich die letz­ten 30 Jah­re im Bau ver­bracht.«

Ach was, dach­te Rick, nein, das hät­te ich jetzt gar nicht ge­dacht! Er leg­te das Fleisch auf die Plat­te. Erst jetzt konn­te er das künst­li­che Ge­biss sei­nes Gas­tes be­wun­dern. Es sah aus wie der Mund­schutz ei­nes Bo­xers, zwei blen­dend-wei­ße Leis­ten mit ex­akt spie­gel­bild­lich ver­leim­ten, naht­lo­sen Zahn­rei­hen. Rick ver­mu­te­te, dass die­ses Mo­dell von den meis­ten Knackis in die­sem Staat ge­tra­gen wer­den muss­te. Hat­te er nicht mal ge­le­sen, dass Ge­fäng­nis­zahn­ärz­te den län­ger ein­sit­zen­den so­fort alle Zäh­ne zo­gen und durch ein Ge­biss er­setz­ten, weil das dem Staat lang­fris­tig bil­li­ger kam? Oder bil­de­te er sich die­se Schlag­zei­le nur ein, weil sie jetzt so na­he­lie­gend schi­en?

»Aha«, sag­te Rick, denn all­zu un­höf­lich woll­te er nicht sein. Am Ende nahm es ei­nem der Ex-Knacki Tre­vor noch krumm, wenn man sei­ner Le­bens­ge­schich­te nicht mit dem ge­büh­ren­den Re­spekt und ei­ner gu­ten Por­ti­on Neu­gier be­geg­ne­te. Rick sprach sich selbst wie in ei­nem Man­tra im­mer wie­der die drei Zif­fern der Not­ruf­num­mer vor, um sie im Fall der Fäl­le auch si­cher pa­rat zu ha­ben: Bloß nicht ver­ges­sen, bloß nicht ver­ges­sen, bloß nicht ver­ges­sen. Und: Das Te­le­fon hängt an der Wand ne­ben dem Fla­schen­re­gal, an der Wand ne­ben dem Fla­schen­re­gal, ne­ben dem Fla­schen­re­gal.

»Ja, hät­t’s du nie ge­dacht, was?« Ex-Knacki Tre­vor beug­te sich zur Sei­te, um Be­steck aus dem Korb am Tre­sen zu fi­schen. Rick leg­te noch wort­los ei­ni­ge Ser­vi­et­ten dazu. Ser­vi­et­ten soll­te er ha­ben, so vie­le er woll­te. An Ser­vi­et­ten soll­te es heu­te nicht man­geln.

»Dan­ke«, sag­te Tre­vor. »Komm, ich er­zähl dir was. Ich er­zähl dir, warum ich ein­ge­ses­sen hab. Willst es wis­sen? Klar willst du, je­der will es wis­sen.«

Rick er­wi­der­te nichts. Soll­te der Ex-Knacki die Er­zäh­lung nur schnell hin­ter sich brin­gen. Wo­für saß man so lan­ge ein? Mord? Raub­über­fall? Min­des­tens. Wie lan­ge moch­te die Er­zäh­lung schon dau­ern? Das Fleisch brauch­te noch sechs Mi­nu­ten. Dann wür­de Tre­vor hof­fent­lich Ruhe ge­ben, wenn er sei­nen heiß ge­lieb­ten Bur­ger nicht kalt es­sen woll­te.

»Ei­gent­lich hat ja al­les ganz harm­los an­ge­fan­gen …«

Oh Gott, dach­te Rick, es wird die lan­ge Va­ri­an­te.

»Klar, si­cher, ich war nie so ein an­ge­neh­mer Bur­sche. Hab im­mer schon Är­ger ge­habt, im­mer schon. Aber es hät­te auch klap­pen kön­nen: Schu­le, Job, Fa­mi­lie und so. Du weißt schon, was ich mei­ne, Jün­gel­chen?« Da­bei mach­te er eine gön­ner­haf­te Hand­be­we­gung durch den hal­b­en Di­ner, so als wäre es der Traum ei­nes je­den, ein­mal eine ab­ge­wrack­te Im­biss­stu­be zu be­trei­ben.

»Ich wet­te, du bist so ei­ner. Im­mer flei­ßig in der Schu­le. Hast Mama die Ein­käu­fe ge­tra­gen. Und be­stimmt hast du dei­ne ers­te Schul­freun­din gleich ge­hei­ra­tet, was?«

Wie­der lach­te er. Rick nahm nicht an, dass sein Ge­gen­über eine ech­te Un­ter­hal­tung woll­te, da­her schwieg er wei­ter­hin, zuck­te nur kurz mit ei­ner Au­gen­braue und schnitt stumm ein Bröt­chen auf. Dann warf er die bei­den Hälf­ten mit der Schnitt­flä­che nach un­ten ne­ben das Fleisch auf die Plat­te.

»Ver­dammt! Ne, du, lass das mal!« Er­schro­cken zeig­te er auf die Plat­te. »Ich mag es nicht, wenn das Brot so hart ge­ba­cken wird, mag es lie­ber schön weich, weißt Du?«

Rick nahm die Hälf­ten von der Plat­te und woll­te sie ge­ra­de in den Müll wer­fen.

»Ne, du, weg­wer­fen brauchst du die auch nicht. Ist schon okay. So lang war’s ja nicht.«

Rick stopp­te sei­ne Weg­werf­be­we­gung ge­ra­de noch recht­zei­tig und leg­te die Hälf­ten auf einen Tel­ler.

»Mit Käse?«, frag­te er, be­reit sich wie­der hin­ab zum Kühl­schrank zu bücken.

»Hab ich einen Chee­se­bur­ger be­stellt, oder was?« Tre­vor starr­te ihn mit erns­ten, schon an der Gren­ze zur klei­nen Wut ent­langspa­zie­ren­den Au­gen an, nur um dann so­fort wie­der in ein kur­z­es, ke­ckern­des La­chen aus­zu­bre­chen.

»Nur Spaß, nur Spaß, Jün­gel­chen! Ne, kei­nen Käse, da­von be­kom­me ich im­mer …« Und um es zu ver­deut­li­chen leg­te er sei­ne fla­che Hand auf den Ma­gen.

Sieh an, dach­te Rick, so­gar Knackis bil­de­ten sich ein, an Lak­to­se zu kre­pie­ren. Of­fen­sicht­lich mach­ten Mo­de­krank­hei­ten nicht ein­mal vor schwe­di­schen Gar­di­nen halt.

»Ach, was …« Tre­vor streck­te sich, so­dass sei­ne Kno­chen hör­bar knack­ten. »Ich sag es dir, al­les hat mit der Tank­stel­le an­ge­fan­gen. Aber nein, wenn ich so rich­tig drü­ber nach­den­ke, dann war es doch schon die Schu­le. Weißt du, ich war kein gu­ter Schü­ler. Aber wahr­schein­lich hät­te ich den Ab­schluss trotz­dem noch ge­schafft. Doch … si­cher … ir­gend­wie. Un­se­re Schu­le woll­te je­den durch­brin­gen. Nur, lei­der bin ich ei­nes nachts be­trun­ken dort ein­ge­bro­chen, zu­sam­men mit Ste­ve Wa­gner. Weiß auch nicht, was wir da woll­ten. Am Ende ha­ben wir nur einen Pa­pier­korb an­ge­zün­det. Und dann ging die Sprink­ler­an­la­ge an und …« Tre­vor mach­te eine Be­we­gung mit den Hän­den, die eine wahr­haf­ti­ge Spring­flut vom Him­mel an­deu­ten soll­te. »Ich sag dir, da war wirk­lich Land un­ter, wie in der Bi­bel. Was wir aber nicht wuss­ten, war, dass uns der Nacht­wäch­ter er­kannt hat­te. Der war näm­lich ein ehe­ma­li­ger Schü­ler ge­we­sen, den hat­te ich mal ver­prü­gelt. Ha, der hat sich mein Ge­sicht ge­merkt, Jün­gel­chen. Und da war’s na­tür­lich aus mit der Schu­le. Am nächs­ten Tag schon tauch­ten die Bul­len – zum ers­ten Mal in mei­nem Le­ben üb­ri­gens – bei mei­nen El­tern auf. Mein Al­ter war meist be­sof­fen und ar­beits­los, mei­ne Mut­ter meist trau­rig und ar­beits­los. Ich schät­ze, da­mit kommt man nicht weit im Le­ben, was?«

Tre­vor mach­te ganz kurz ein be­trüb­tes Ge­sicht. Aber Rick be­zwei­fel­te, dass sein Ge­gen­über wirk­lich we­gen sei­ner schlech­ten Start­chan­cen ins Le­ben so be­trübt war. Viel­mehr wirk­te er, als wäre er stolz dar­auf, einen Le­bens­lauf der we­ni­ger schmei­chel­haf­ten Art prä­sen­tie­ren zu kön­nen.

»Ja, Jün­gel­chen, da bin ich dann in ein Er­zie­hungs­la­ger ge­kom­men. So eine Art Som­mer­camp mit Sta­chel­draht. Die woll­ten uns alle im Schnell­durch­gang wie­der auf die rich­ti­ge Spur brin­gen.« Tre­vor mach­te eine Lenk­be­we­gung, die einen Sch­lin­ger­kurs dar­stel­len soll­te.

»Aber weißt du was«, fuhr er fort, »dort ha­ben wir erst recht ge­lernt, wor­auf es an­kommt im Le­ben: Näm­lich kei­nen zu ver­pfei­fen. Wir ha­ben zu al­lem Ja und Amen ge­brüllt. Dort habe ich Hock­ney ge­trof­fen. Sei­nen rich­ti­gen Na­men habe ich erst spä­ter vor Ge­richt er­fah­ren. Der hat mir er­zählt, wie ein­fach es wäre, Tank­stel­len zu über­fal­len. Dass die im­mer was in der Kas­se hät­ten, vor al­lem nachts und am Wo­che­n­en­de. Und dass die Kas­sie­rer da be­stimmt kei­ne Hel­den sei­en. Weißt du, da­mals gab es auch noch nicht über­all Ka­me­ras. Da konn­te man so­gar in al­ler Ruhe mit sei­nem ei­ge­nen Auto vor­fah­ren und Ben­zin klau­en.« Wie­der lach­te er.

»Wir hat­ten nur eine Ka­no­ne, einen al­ten Po­li­zei­re­vol­ver. Weiß nicht mal, ob der funk­tio­nier­te. Ach, ich weiß nicht mal, ob der ge­la­den war. Hock­ney hat­te den die gan­ze Zeit. Ich soll­te nur mit ei­nem Ba­se­ball­schlä­ger an der Tür ste­hen und die Kun­den ver­scheu­chen. Und ich guck noch so zu Hock­ney rü­ber, ich war so auf­ge­regt, ver­dammt! Ich schau, was er macht. Er brüllt, kei­ne Ah­nung mehr, was. Ir­gend­was von we­gen ›Geld her!‹ und so. Weißt schon, was man so brüllt, wenn man eine Tan­ke über­fällt. So, wie man es halt im Fern­se­hen sieht. Der Typ am Tre­sen war echt die Ruhe selbst. Der rühr­te sich gar nicht. Dem war das völ­lig egal. Und Hock­ney brüllt und brüllt. Aber nichts, der Typ, völ­lig kalt. So als wür­de er nur ein al­tes Müt­ter­chen be­die­nen. Und Hock­ney im­mer noch am Brül­len und mit der Ka­no­ne am Fuch­teln. Und da bückt sich der Typ hin­ter den Tre­sen. Ich denk noch, Schei­ße, der will in De­ckung ge­hen. Da kommt er wie­der hoch mit ei­ner rie­si­gen – ich sag dir – scheiß rie­si­gen Schrot­flin­te im An­schlag. Die ist so groß, dass er einen Schritt zu­rück­macht, weil der Lauf so lang ist. Ehr­lich! Und dann … Bumm! … kippt Hock­ney um, ohne Kopf, oder bes­ser: nur noch mit hal­b­em Kopf. Der Typ hat­te ihm ein­fach so in den Kopf ge­bal­lert. Ein Schuss war ge­nug. Ich bin nur noch raus, bin ge­rannt wie ein Ir­rer, wie nie wie­der in mei­nem Le­ben. Bin so ge­rannt, bis ich um­ge­fal­len bin. Ir­gend­wo­hin, nur weit weg von der Tank­stel­le und von Hock­ney-ohne-Kopf. Und als ich wie­der so ein biss­chen Luft hat­te, da stand da ein Bul­le vor mir. Auch mit ge­zück­ter Ka­no­ne, ein ganz jun­ger, nicht viel äl­ter als ich. Tja, und der hat mich dann ver­haf­tet. Ich weiß noch, dass ich völ­lig im Arsch war. Ich hat­te mir in die Ho­sen ge­pisst und al­les. Und als mir der Bul­le mit zitt­ri­gen Hän­den die Hand­schel­len an­leg­te, habe ich mir auch noch selbst auf die Füße ge­kotzt. Toll was!«

Rick wen­de­te das Fleisch und stell­te Ketch­up und Senf auf den Tre­sen. Dann nahm er nach ei­nem vor­wurfs­vol­len Blick Tre­vors den Senf wie­der weg, was die­ser mit ei­nem wohl­wol­len­den Lä­cheln quit­tier­te. Rick muss­te schon zu­ge­ben, dass das die bes­te Ge­schich­te war, die ein Gast bis­her von sich ge­ge­ben hat­te. Zu­min­dest die bes­te Ge­schich­te, in der tat­säch­lich auch ein Körn­chen Wahr­heit lie­gen konn­te.

»Da­für gab es zehn Jah­re, Jün­gel­chen. Und ich hat­te ge­ra­de mal mei­nen Füh­rer­schein ge­macht. Zehn Jah­re ver­schärf­ten Knast. Es wä­ren noch mehr ge­wor­den, hät­te ich auch eine Ka­no­ne ge­habt. Zehn Jah­re mit den übels­ten Bur­schen, die du dir vor­stel­len kannst. Da musst du mit­ma­chen und selbst so ein Schwei­ne­hund wer­den, sonst gehst du drauf. Die rie­chen, wenn du kei­ne Eier in der Hose hast. Und dann bist du nur das Püpp­chen für die, dann bist du am Arsch. Ich hab mir im­mer wie­der ge­sagt, ne, Tre­vor, du wirst nie­man­des Püpp­chen, ganz si­cher nicht. Selbst wenn ich da­für noch län­ger ein­sit­zen muss. Also habe ich di­rekt dem Ers­ten, der mir dumm kam, mit ei­ner spitz zu­ge­feil­ten Zahn­bürs­te in den Hals ge­sto­chen. Der Typ hat’s noch bis in die Kran­ken­sta­ti­on ge­schafft, da ha­ben sie ihn wie­der zu­sam­men­ge­flickt.« Tre­vor zuck­te mit den Schul­tern, und Rick fühl­te sich zum ers­ten Mal nicht nur un­be­hag­lich, son­dern auch ängst­lich.

»Aber hey, die an­de­ren ha­ben alle dicht ge­hal­ten. Kei­ner hat ge­re­det, nicht mal der Typ selbst. Von da an hat­te ich mei­ne Ruhe. Kei­ner nahm mir was weg, kei­ner woll­te mir an den Arsch. Ver­dammt, ich hät­te was än­dern kön­nen in mei­nem Le­ben. War doch noch kei­ne zwan­zig. Aber da war es schon zu spät. Ne, du, ehr­lich. Ei­nen fau­len Ap­fel be­kommst du nicht mehr glatt po­liert. – Warst du schon mal im Knast?« Tre­vor ant­wor­te­te selbst, be­vor Rick zu Ende ge­grü­belt hat­te, ob die Fra­ge ernst ge­meint war. »Nein, na­tür­lich nicht. Im­mer brav ge­we­sen im Le­ben. Hab ich recht? Ist auch bes­ser so. Wirk­lich, ist auch bes­ser so.«

Tre­vor hol­te kurz Luft und starr­te an die De­cke. Er über­leg­te, ob er wei­ter­er­zäh­len soll­te. Aber na­tür­lich, was blieb ihm denn jetzt noch an­de­res üb­rig? Es fehl­ten ja noch zwan­zig Jah­re. Eine gute Ge­schich­te muss im­mer zu Ende er­zählt wer­den. Kein Mensch braucht eine nur halb zu Ende er­zähl­te Ge­schich­te.

»Dort ging es erst rich­tig los, da war der Ju­gend­bau wie ein Lu­xus­ho­tel. Nur Ab­schaum, wo­hin du auch ge­schaut hast. Alle lie­fen wie Raub­tie­re in ih­ren Kä­fi­gen, im­mer auf und ab. Du durf­test nie je­man­dem in die Au­gen schau­en, sonst war gleich der Teu­fel los. Jede Ge­le­gen­heit war gut ge­nug, um Dampf ab­zu­las­sen. Du guckst zu lan­ge? – Bamm, hast gleich eine auf Mauls be­kom­men!« Und da­bei schlug er sich mit der Faust klat­schend in die Hand­flä­che.

»Aber Ro­nal­do, der war okay. Zu­min­dest dach­te ich das da­mals noch. Der war mein Zell­kum­pan. Biss­chen äl­ter, auch be­waff­ne­ter Raub­über­fall. Er hat­te schon ein paar Jah­re run­ter, als ich da­zu­kam. Er hat­te schon mit­be­kom­men, wie ich den an­de­ren platt­ge­macht hat­te. Da wa­ren die Fron­ten klar, du fickst mich nicht und ich fick dich nicht.« – Rick wuss­te jetzt gar nicht, ob das mit dem »fi­cken« buch­stäb­lich ge­meint war oder nur sinn­bild­lich … gut mög­lich, dass es bei­des war.

»Weißt du, Jün­gel­chen, was wirk­lich das Schlimms­te ist?«

Tre­vor war­te­te die Ant­wort nicht ab.

»Wirk­lich schlimm ist, dass du im Scheiß­haus ei­nes an­de­ren lebst. Ehr­lich.«

Rick mach­te ein fra­gen­des Ge­sicht.

»Klar, hast ja kei­ne Ah­nung, was ich mei­ne! Das Scheiß­haus ist in der Zel­le, nur hin­ter ei­nem Vor­hang. Jetzt ka­piert? Der an­de­re geht ka­cken, wäh­rend du ge­ra­de eine Zeit­schrift liest. Ich sag dir, das ist wirk­lich das Schlim­me am Knast. Nicht die Mau­ern oder der Zoff mit den an­de­ren oder die Lan­ge­wei­le, ne, die Tage be­kommt man schon rum. Nein, schlimm ist, dass du nach ei­nem Tag weißt, wie die Schei­ße von dei­nem Zell­kum­pan riecht. Toll was?« Tre­vor ver­zog an­ge­ekelt das Ge­sicht.

»Ro­nal­do, ich sag dir, das war ein ko­mi­scher Vo­gel. Der kämm­te sich je­den Tag stun­den­lang die Haa­re vor dem Spie­gel, rich­tig ei­tel der Bur­sche. Da­bei sah er ei­gent­lich ganz nor­mal aus. Nicht schwul oder so, nur to­tal ei­tel. Stun­den­lang fum­mel­te er überm Wasch­be­cken an sei­nen Haa­ren her­um. Mal den Schei­tel nach links, mal nach rechts. Dann hielt er sich einen Hand­spie­gel in den Na­cken, um sich von hin­ten noch bes­ser ab­zuch­e­cken. Und da­bei summ­te er im­mer – kei­ne Ah­nung – was. Es war kein Lied, das ich kann­te, nur so eine öde Me­lo­die. Wer weiß, viel­leicht hör ich die ei­nes Ta­ges im Ra­dio, Jün­gel­chen, dann geb ich dir be­scheid.« Und er lach­te wie­der.

Rick nahm das Fleisch von der Grill­plat­te und leg­te es auf eine Bröt­chen­hälf­te. Dann leg­te er noch Gur­ken oben­auf.