0,99 €
Sven Elvestads Krimi "Der Mann im Mond" entführt in die frühe Morgendämmerung eines entlegenen norwegischen Fischerdorfes, in dem sich ein rätselhafter Fall abspielt. Der scharfsinnige Detektiv Asbjörn Krag und sein Begleiter, ein Telegrapheningenieur, machen sich auf den Weg zu einem mysteriösen Einsiedler, der hoch oben auf dem sogenannten „Mondfelsen“ lebt und von den Dorfbewohnern als unheimlicher „Mann im Monde“ gefürchtet wird. Bereits die Atmosphäre fesselt: kalter Nebel, das Knacken von Eisschollen und das gelegentliche Zischen eines fernen Lichtes auf dem Fels – alles wirkt suggestiv und fast surreal. Krag bewegt sich in einer Landschaft, in der Naturgewalt, Aberglaube und Wissenschaft auf ungewöhnliche Weise kollidieren. Der Bau der einsamen Hütte, der rauchende Schornstein und das ferne Flackern aus dem Felsen nähren Fragen nach Identität, Isolation und potentieller Bedrohung. Elvestad schichtet die Spannung schrittweise auf. Statt actionreicher Jagd setzt der Roman auf psychologische Tiefe, beklemmende Stimmung und die Macht ungesagter Ängste. "Der Mann im Mond" ist weniger unmittelbarer Krimi als intensives Stimmungsstück: ein stiller, aber intensiver Pakt zwischen Mensch und Wildnis. Er lässt den Leser spüren, wie dünn das Band zwischen rationaler Untersuchung und ehrfürchtigem Schaudern sein kann – ein früher, atmosphärisch dichter Beitrag der skandinavischen Kriminalliteratur. Ein weiterer Fall für den norwegischen Detektiv Asbjörn Krag. Spannende und kurzweilige Unterhaltung für alle Freunde von Retrokrimis. Mysteriöse Kriminalfälle in einer Zeit ohne Smartphones und Internet.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 155
Veröffentlichungsjahr: 2025
Sven Elvestad
Der Mann im Mond
Retrokrimi
DER MANN IM MOND wurde in der vorliegenden Fassung zuerst veröffentlicht im Georg Müller Verlag, München 1923.
Diese Ausgabe wurde aufbereitet und herausgegeben von
© apebook Verlag, Essen (Germany)
www.apebook.de
2025
V 1.0
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-96130-677-0
Buchgestaltung: SKRIPTART, www.skriptart.de
Übersetzung: Marie Franzos
Books made in Germany with
Bleibe auf dem Laufenden über Angebote und Neuheiten aus dem Verlag mit dem lesenden Affen und
abonniere den kostenlosen apebook Newsletter!
Du kannst auch unsere eBook Flatrate abonnieren.
Dann erhältst Du alle neuen eBooks aus unserem Verlag (Klassiker und Gegenwartsliteratur)
für einen kleinen monatlichen Beitrag (Zahlung per Paypal oder Bankeinzug).
Hier erhältst Du mehr Informationen dazu.
Follow apebook!
ROMANE von JANE AUSTEN
im apebook Verlag
Verstand und Gefühl
Stolz und Vorurteil
Mansfield Park
Northanger Abbey
Emma
*
* *
HISTORISCHE ROMANREIHEN
im apebook Verlag
Der erste Band jeder Reihe ist kostenlos!
Die Geheimnisse von Paris. Band 1
Mit Feuer und Schwert. Band 1: Der Aufstand
Quo Vadis? Band 1
Bleak House. Band 1
Am Ende des Buches findest du weitere Buchtipps und kostenlose eBooks.
Und falls unsere Bücher mal nicht bei dem Online-Händler deiner Wahl verfügbar sein sollten: Auf unserer Website sind natürlich alle eBooks aus unserem Verlag (auch die kostenlosen) in den gängigen Formaten EPUB (Tolino etc.) und MOBI (Kindle) erhältlich!
Inhaltsverzeichnis
Der Mann im Mond
Impressum
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
Eine kleine Bitte
Buchtipps für dich
A p e B o o k C l a s s i c s
N e w s l e t t e r
F o l l o w
Links
Zu guter Letzt
Es ist gegen vier Uhr morgens. Die Dunkelheit beginnt so allmählich dem anbrechenden Tage zu weichen. Aus einem Hause in der Ackersgasse hört man plötzlich ein lautes Summen, so als ob mehrere Maschinen gleichzeitig in Gang gesetzt würden. Ein ähnlicher Lärm dringt aus einigen anderen Häusern in der Nähe. Das sind die Maschinen der Zeitungsdruckereien, die ihre Tagesarbeit beginnen. Alles ist jetzt aus der Hand der Redaktion fertig und in die Presse gegangen. In einigen Minuten werden die ersten feuchten Exemplare hervorgenommen und ausgebreitet. Gibt es etwas Neues? Was ist draußen in der großen Welt vorgefallen?
Zu dieser Zeit trat eine vermummte Gestalt aus einem der Häuser, in dem der Druckereilärm am stärksten war. Mit aufgestelltem Rockkragen, denn der Morgen war kalt und ein leichter Sprühregen fiel. Offenbar eilte er jetzt nach einer Nacht der Arbeit in seiner Zeitung heimwärts. An der Ecke der Karl-Johann- und Ackersgasse stieß er auf eine ähnliche vermummte Gestalt, die aus einem andern Tor und einer andern Zeitung kam.
»Guten Morgen!«
»Guten Morgen!«
Da sie denselben Weg hatten, gingen sie miteinander und begannen nicht lebhaft, sondern rein automatisch zu plaudern.
»Heute nacht ist etwas Merkwürdiges passiert,« sagte der erste.
»Na, was denn?«
»Wir hatten ein langes Privattelegramm von mehreren tausend Worten aus London im Gange. Seltsame Geschichte. Bekamen es wie gewöhnlich stückweise vom Telegraphenamt. Plötzlich ist die Leitung unterbrochen, eine ganze Stunde. Endlich bekommen wir gegen zwei Uhr den Schluß. Aber das Mittelstück ist und bleibt fort.«
Der andere Journalist zuckte zusammen.
»Ganz wie bei uns!« rief er. »Wir haben heute unsere Privattelegramme aus London überhaupt nicht bekommen! Und sie sollten ganz bestimmt zwischen zwölf und zwei Uhr eintreffen.«
»Unser langes Telegramm ist durch diese Katastrophe so gut wie ruiniert. Verstehe nicht, wie das zusammenhängen kann.«
»Auf dem Telegraphenamt nachgefragt?«
»Ja.«
»Wir auch! Das Telegraphenamt konnte nichts tun. Man meinte, der Fehler müsse anderswo stecken.«
»Dieselbe Antwort haben wir auch bekommen. Merkwürdiger Zufall. Aber haben Sie nicht eine nähere Erklärung verlangt, wie eine solche Kalamität eintreffen kann?«
»Ja freilich. Aber das Telegraphenamt konnte oder wollte vorläufig keine nähere Erklärung geben. Jetzt sei ja alles in Ordnung und die Telegramme kämen ohne Hindernisse. Aber unser Mann, der unten war, hatte den Eindruck einer wilden Verwirrung über dieses merkwürdige Vorkommnis: Unterbrechung auf der Linie eine Stunde lang, und dann alles wieder in Ordnung. Aber da war es schon zu spät, sich die Telegramme repetieren zu lassen oder sie sich auf anderm Wege zu verschaffen.«
»Ganz wie bei uns.«
Die beiden Journalisten blieben bei einer Straßenecke stehen.
»Ich muß das morgen untersuchen,« sagte der eine. »Wer weiß, ob da nicht etwas Besonderes dahintersteckt.«
Damit trennten sich die beiden mit einem Händedruck, und jeder ging seinen Weg nach Hause.
Am nächsten Tage wurde in Journalistenkreisen allerlei über die Geschichte mit den ausgebliebenen Telegrammen gesprochen. Es zeigte sich, daß fast sämtliche Morgenblätter in der einen oder anderen Weise durch die Störung berührt waren. Aber es war nicht möglich, das Telegraphenamt zu einer Erklärung zu bringen. Alles ist jetzt in Ordnung, war die einzige Antwort, die man auf seine Anfragen erhielt. Aber um die Mittagszeit nahm die Sache plötzlich eine unerwartete und höchst ernste Wendung.
Die Börsentelegramme aus London, die bisher viele Jahre hindurch mit der Genauigkeit eines Uhrwerks eingelaufen waren, hörten plötzlich auf! Zwischen elf und zwölf Uhr kam keine einzige Londoner Notierung an. Es kam überhaupt kein Telegramm aus London. Offenbar war eine Unterbrechung auf der Linie oder sonst irgendwo. Aber wo? Das Telegraphenamt konnte auch weiter keine Aufklärungen geben. Es konnte nur mitteilen, daß einer der tüchtigsten Linien-Ingenieure in dieser Angelegenheit mit dem ersten Zug abgereist war, und sowie der Vorfall mit den Börsentelegrammen sich ereignet hatte, hatte die Leitung noch einen Mann ausgesandt. Als ein förmliches Wunder kam dann noch um zwölf Uhr fünfzehn ein kleines Londoner Telegramm hereingeplumpst. Es war ein armseliger Nachzügler eines Weizenkurses. Aber damit war die Verbindung wiederhergestellt. Man hatte also ganz dasselbe Spiel vor sich, wie in der vorigen Nacht.
Einige Tage vergingen, und von Zeit zu Zeit wurde die Linie in derselben Weise unterbrochen. Das Telegraphenamt arbeitete Tag und Nacht, um den Fehler zu finden; aber es war nicht möglich, die Ursache herauszubekommen, trotz der wiederholten Klagen der Geschäftswelt über diese unsicheren Verhältnisse.
Wir befinden uns in einem der größeren Geschäftskontore im Zentrum der Stadt. Der Chef hat den Besuch eines seiner Geschäftsfreunde, eines Großhändlers. Sie sprechen miteinander über ihre Interessen und die Preisnotierungen des Tages. Plötzlich sagt der eine:
»Es ist doch fabelhaft, wie die Orangen steigen.«
»Ja, die Ernte ist in großen Landstrichen fehlgeschlagen. Daher kommt es.«
»Was! Hat Ihr Agent Sie nicht von der Preissteigerung, einige Tage bevor sie eintrat, benachrichtigt? Da hätten Sie doch große Partien aufkaufen und viel Geld verdienen können. Jetzt müssen Sie sie also mit den Tagespreisen bezahlen!«
Der Großhändler antwortete: »Ich glaubte auch, daß mein Agent diesmal seine Pflicht versäumt hätte. Aber es zeigt sich, daß dies nicht der Fall war. Ich habe heute einen Brief von ihm, in dem er mir mitteilt, daß er mir am Zwölften dieses folgendes Telegramm gesandt hat: ›Orangen kaufen, kaufen, kaufen!‹ Gerade seine Art, eine plötzliche Preissteigerung anzukündigen.«
»Na, also! Warum haben Sie dann nicht gekauft?«
»Weil ich dieses Telegramm gar nicht bekommen habe.«
Die Herren sahen einander an.
»Meinen Sie, daß das Telegramm auf diesen verflixten Linien verlorengegangen ist? So wie kürzlich die Pressetelegramme und die Börsentelegramme?«
»Ja, das meine ich. Aber gleichzeitig ist mir noch etwas anderes klar!«
»Und?«
»Daß die vielen Linienunterbrechungen einem Manne zu danken sind, der mit Geschäftstelegrammen operiert.«
»Stützen Sie Ihren Verdacht auf etwas Bestimmtes?«
»Ja, ich bin nämlich überzeugt, daß das Telegramm meines Agenten in unrechte Hände gekommen ist, daß es, mit anderen Worten, aufgeschnappt wurde. Denn gerade am Zwölften, wo das Telegramm in meinem Besitz hätte sein sollen, wurden hier in Christiania ungeheure Partien Orangen von einem Manne aufgekauft! Der hat mein Telegramm bekommen!«
»Das ist ja schrecklich. Kann so etwas passieren?«
»Niemand weiß, was für Mittel einem tüchtigen und schlauen Telegrapheningenieur zur Verfügung stehen.«
»Haben Sie die Sache dem Telegraphenamt gemeldet?«
»Ich war eben im Begriff, es zu tun, als Sie eintraten.«
Er ging zum Telephon, rief das Telegraphenamt an und erklärte einem der Chefs die Sache.
»Ich wünsche außerdem die Angelegenheit der Polizei anzumelden,« sagte der Geschäftsmann.
»Das ist auch schon von hier aus besorgt,« erwiderte der Telegraphenbeamte. »Wir sind uns schon längst klar darüber, daß sich ein dreister Schwindler an den Telegraphendrähten zu tun macht. Wir haben schon den geschicktesten Detektiv Christianias abgeschickt, um ihn zu erwischen.«
Asbjörn Krag bekam gleichzeitig drei Anmeldungen in der Angelegenheit der Telegramme. Die eine direkt vom Telegraphenamt, das meinte, daß irgend jemand in verbrecherischer Absicht einzelne Telegramme aufzuhalten suchte. Die zweite von dem Großhändler in Apfelsinen und die dritte von der Börse. Sämtliche verlangten die rasche Abfassung und Bestrafung des Verbrechers.
Zugleich begann auch die Presse sich mit dieser wunderlichen Sache zu beschäftigen und verlangte in redaktionellen Artikeln ein rasches und energisches Vorgehen, bevor noch unser Geschäftsleben durch diese »mystischen« Wiederholungen zuviel Schaden nahm.
Asbjörn Krag saß lange da und grübelte über die Sache nach. Er hatte zwischen zwei Möglichkeiten zu wählen. Entweder waren diese Unterbrechungen der Linie durch einen mehr oder weniger gelegentlichen Experimentator verursacht, der irgendwo saß und sich mit Erfindungen beschäftigte – oder es war auch ein Verbrechen im Spiel. In beiden Fällen war das Vorgehen ungesetzlich, und der Täter mußte gefaßt werden. Krag ließ umfassende Untersuchungen auf dem Telegraphenamt vornehmen, er arbeitete sich selbst in alle Details der Technik ein und ließ Proben mit den Maschinen anstellen, deren der Betreffende sich bedient haben konnte. Sämtliche Telegraphenfunktionäre, mit denen der Detektiv sprach, waren darüber einig, daß der Verbrecher ein ungewöhnlich tüchtiger Bursche sein mußte und bis in die geringsten Einzelheiten in die Technik der Telegraphie eingeweiht.
Man mußte davon ausgehen, daß der Verbrecher die Linie gerade da mit Beschlag belegt hatte, wo das Nordseekabel ans Land ging. Er mußte sich ganz genau in den verschiedenen Linien und Linienrichtungen auskennen. Ferner mußte er im Besitz eines besonders konstruierten Apparates sein, einer neuen Erfindung, deren er sich bediente, und mit der er jederzeit das Telegraphieren abbrechen und die Telegramme aufschnappen konnte. Vielleicht war sein Apparat so eingerichtet, daß er die ganze Telegrammkorrespondenz der Linie ablesen konnte, ohne den Gang der Telegramme zu stören, so daß er nur den richtigen Augenblick wahrzunehmen brauchte, um selbst das aufzuschnappen, was für ihn von besonderer Wichtigkeit war.
Während der Detektiv noch mit diesen seinen vorläufigen Untersuchungen beschäftigt war, lief bei der Direktion ein Telegramm von einem der ausgesandten Ingenieure ein. Das Telegramm kam aus einem der kleinen Küstendörfchen Norwegens und lautete:
»Den Fehler gefunden. Der Urheber zweifellos ein Betrüger, warte nähere Order ab.«
Die Leitung konferierte sogleich mit Asbjörn Krag, und auf seinen Rat wurde folgendes Antworttelegramm abgesandt:
»Detektiv unterwegs, nichts vor seiner Ankunft unternehmen!«
Eine halbe Stunde später saß Asbjörn Krag schon im Coupé. Es war am Abend. Gegen Morgen sollte der Zug an seinem Bestimmungsorte sein. Von hier mußte man ein Postboot zu einer größeren Stadt in der Nähe des kleinen Küstendörfchens nehmen, aus dem die Telegramme eingelaufen waren. Der Detektiv hatte also eine lange, anstrengende und langweilige Reise vor sich.
Er konnte nicht schlafen, sondern lag die ganze Zeit da und überdachte die Affäre, die er aufzuhellen hatte, eine der eigentümlichsten, die ihm noch in seiner Praxis vorgekommen waren.
An der Dampfschiffbrücke erwartete der Telegrapheningenieur den Detektiv. Krag wußte, daß der Ingenieur Holst hieß und ein junger, tüchtiger und energischer Fachmann war, der sich des Vertrauens seiner Vorgesetzten in hohem Grade erfreute.
»Danke, daß Sie mich abgeholt haben,« sagte Krag, nachdem sie sich begrüßt hatten, »es wäre sonst für mich schwierig gewesen, mich zu so früher Stunde an einem unbekannten Orte zurechtzufinden.«
»Ich glaubte, Sie würden ein Interesse daran haben, so rasch als möglich etwas über die Sache zu erfahren,« sagte er, »wie es auch meiner Meinung nach gilt, rasch zu handeln.«
»Ganz richtig,« erwiderte der Polizist. »Ich stimme Ihrem Eifer ganz zu.«
Es war eine Stunde Fahrt zu dem kleinen Küstendörfchen. Die beiden Männer hatten so die beste Gelegenheit zu einem Gespräch, und sie benützten sie, wie sie da auf der hartgefrorenen Landstraße in dem federnlosen, stoßenden Bauernkarren dahinrumpelten.
»Sie haben also mein Telegramm gesehen,« bemerkte der Ingenieur.
»Ja, unmittelbar bevor ich aus Christiania abreiste.«
»Ich habe also den Fehler gefunden. Eines der Kabel geht hier ans Land, und mit diesem hat der Verbrecher manipuliert. Er hat die Drähte nach Christiania herausgefunden und sie einfach jedesmal für seine Bedürfnisse der Londoner Telegramme abgeschnitten, unter denen viele wichtige Geschäftsmeldungen waren.«
»Haben Sie irgendeinen Verdacht, wer dieser Mann ist?«
»Ja.«
»Wohnt er in dem Küstendörfchen?«
»Ja und nein. Sie wissen, daß das kleine Dörfchen überall, wo es nicht ans Meer stößt, von hohen, steilen Felsen umgeben ist. Mitten in diesem Felsenchaos wohnt der Mann, von dem ich spreche. Er hat sich eine kleine Hütte gezimmert, und da hat er sich niedergelassen, um in Ruhe zu experimentieren.«
»Haben Sie ihn gesehen?«
»Nein, aber die Leute im Orte sprechen viel von ihm. Sie glauben, daß er oben nicht ganz richtig ist. Er kam vor einem halben Jahre mit einem der kleinen Boote her. Die erste Nacht verbrachte er im Zollhaus mit verschiedenen größeren und kleineren schweren Kisten. Allem Anschein nach enthielten sie seine Instrumente. Am nächsten Tage nahm er sich Leute und ließ sie auf den Berg hinaufschaffen. Seither hat er mit kleinen Unterbrechungen dort oben gehaust. Die Leute hören oft das Knallen von Schüssen aus seiner Behausung, und hie und da zeigen sich merkwürdige Lichter auf dem Felsen.«
»Welcher Nationalität gehört er an?«
»Vermutlich ein Nordländer. Aber er soll mit englischem Akzent sprechen, behaupten die, die mit ihm gesprochen haben.«
»Warum glauben Sie, daß er der ist, der sich an den Telegraphendrähten zu schaffen macht?« fragte der Detektiv.
»Weil es kaum irgendein anderer sein kann. Ihm ist so etwas schon zuzutrauen.«
»Sie erwähnten, daß die Drähte durchschnitten worden seien. Wie konnte dann die Verbindung wiederhergestellt werden?«
»Sehr leicht. Die Drähte lassen sich schon wieder zusammenflicken.«
»Wie heißt er?«
»Das weiß niemand.«
»Wie sieht er aus?«
»Klein von Gestalt. Er macht eigentlich einen unsauberen Eindruck mit seinem struppigen roten Haar und Bart. Er trägt immer einen staubgrauen Mantel, der ihm bis zu den Knöcheln reicht.«
Asbjörn Krag saß stumm da und dachte lange nach.
»Mir ahnt hier etwas Merkwürdiges, ich glaube, wir stehen vor einer großen, sonderbaren Sache.«
Der Tag begann nun schon zu dämmern, und die zwei Männer hüllten sich enger in ihre Reisemäntel, denn die Kälte war scharf.
Plötzlich zuckte der Ingenieur zusammen und wies auf ein paar kahle Felsen, die aus dem Morgennebel auftauchten.
»Da wohnt er,« rief er. »Sehen Sie das Licht?«
Und wirklich, oben im Gebirge zeigte sich ein recht großes, scharfes, blaues Licht, das unaufhörlich zuckte.
»Das ist aus seinem Laboratorium,« erklärte der Telegraphenbeamte. »Nachts läßt er manchmal mehrere Lichter zugleich flackern. Mit dem Widerschein am Himmel nimmt es sich wie eine Illumination aus. Dann sagen die Leute unten im Dorf, ›der Fels brennt‹.«
Noch eine Viertelstunde Fahrt brachte die zwei Männer in das kleine Lotsen- und Fischerdörfchen, wo der Wagen jetzt vor dem einzigen Logierhause des Ortes stehenblieb. Es brauchte Zeit, den Wirt wachzuklopfen. Eine kleine Banknote aus Asbjörn Krags Hand versetzte ihn in Bewegung und bessere Laune, so daß er den Reisenden sogar ein Glas Branntwein brachte, das ihre starren Glieder ein bißchen wärmte.
Es war nun halb sieben Uhr geworden, und unten am Strande begann so allmählich das Leben zu erwachen. Man hörte scharrende Laute von Segeln, die gehißt wurden, das Knacken von Eisschollen, die Strömung und Wind aneinandertrieben, und hie und da eine tiefe Männerstimme, einen Kommandoruf, eine rostige Ankerkette, die rasselte.
Der Detektiv schlug die kleine rotgewürfelte Gardine zurück und sah hinaus. Das Logierhaus lag dicht an der Meeresbucht, er konnte gerade in die Felsen hineinsehen, die sich riesenhaft schwarz und drohend über den kleinen roten Häuschen auftürmten.
»Aber hier ist es wirklich schön und großartig,« sagte er.
Der Telegrapheningenieur wies hinauf:
»Dort oben auf der höchsten Spitze, dem sogenannten Mondfelsen, haust er, der ›Mann im Monde‹, wie der Volksmund ihn auch schon getauft hat. Seine Hütte ist gerade unter dem Hut, der Felsspitze, die so gefährlich darüberhängt. Sie heißt der Hornstein.«
Der Logierwirt kam jetzt mit Essen und dampfendem Kaffee herein. Man stillte rasch den ersten Hunger.
Krag hatte Lust auf ein Gespräch mit dem Wirt, diesem ortsbekannten Mann, und leitete es ein, indem er sich interessiert nach seinen Geschäften und Einnahmequellen erkundigte.
»Es wohnen wohl wesentlich nur Fischer hier?« fuhr er dann fort.
»Ja, nur Lotsen, Fischer und Seeleute. Dort drüben in den kleinen roten Häuschen an der Felswand wohnen meistens die Witwen von Seeleuten. Es ist dies der ärmere Stadtteil.«
Asbjörn Krag unterdrückte mit Mühe ein Lächeln über die Würde, mit der der Wirt das Wort Stadtteil ausgesprochen hatte.
»Aber wir haben auch feine Leute da,« fuhr der Logierwirt fort. »Schullehrer und Pfarrer, und im Sommer haben wir viele Badegäste.«
»So jetzt gegen Winter sind natürlich keine Fremden hier,« warf Krag hin.
»Na, wir haben den ›Mann im Mond‹,« lachte der Wirt. »Haben Sie von dem noch nicht gehört?«
»Ja richtig, mein Freund hier hat mir erzählt,« erwiderte Krag. »Der wohnt ja oben auf dem Felsen, nicht?«
»Freilich, gerade unter dem Hut, der über seiner Holzhütte hängt. Der ist gewiß nicht ganz richtig im Kopfe. Und wir mögen ihn nicht.«
»Haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Ach wo! Der gibt keinem eine Antwort.«
»Redet er denn selbst mit niemandem?«
»Ja, ab und zu einmal schwatzt er mit dem Schullehrer. Das ist noch der einzige, den er hier ausstehen kann. Er muß übrigens unmenschlich reich sein. Kürzlich, als er von hier fort war, hat er sich einen Extradampfer von Christiania hierher gemietet.«
»Wann war das denn?«
»Es wird so acht Tage her sein.«
Asbjörn Krag wechselte einen Blick mit dem Telegrapheningenieur. Die Zeit stimmte.
»Wir möchten den Mann im Mond gerne besuchen,« fuhr der Detektiv fort. »Glauben Sie, daß er uns empfängt?«
»Nein, das tut er gewiß nicht.«
»Wollen Sie uns den Weg zur Hütte hinauf zeigen?«
»Nicht um alles in der Welt.«
»Warum nicht?«
»Weil er in Frieden gelassen werden will, der Mann im Mond,« erwiderte der Wirt ernst. »Und ich finde, es ist am besten, man läßt ihm seinen Willen.«
»Hat er sich denn zu jemandem darüber ausgesprochen?«