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Grunert war ein begeisterter Leser und Verehrer des Vaters der deutschen Zukunftsliteratur Kurd Laßwitz und des Begründers der Zukunftsliteratur, des Franzosen Jules Verne, sowie des Briten Herbert George Wells. Sein Werk wurde zum Teil von diesen Schriftstellern beeinflusst. Im Wesentlichen verfasste er Erzählungen des Genres Zukunftsliteratur, die er selbst Zukunftsnovellen nannte. In diesem Band finden sich die Novellen: Ein Geleitwort Der Marsspion Pierre Maurignacs Abenteuer Das Ei des Urvogels Katalyse Ein verirrter Telephondraht Mr. Vivacius Style Ballon und Eiland Mysis Das Ende der Erde? Heimkehr
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Seitenzahl: 269
Veröffentlichungsjahr: 2012
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Der Marsspion
Novellen
Carl Grunert
Inhalt:
Carl Grunert – Lexikalische Biografie
Ein Geleitwort
Der Marsspion
Pierre Maurignacs Abenteuer
Das Ei des Urvogels
Katalyse
Ein verirrter Telephondraht
Mr. Vivacius Style
Ballon und Eiland
Mysis
Das Ende der Erde?
Heimkehr
Der Marsspion, C. Grunert
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849626587
www.jazzybee-verlag.de
Cover Design: lizenziert unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported basierend auf einem Werk von D Mitriy. Für das Cover gelten die gleichen Bedingungen, nachzulesen unter http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en.
Deutscher Zukunftsschriftsteller, geboren am 2. November 1865 in Naumburg/Saale, starb am 2. April 1918 in Erkner bei Berlin. Über das Leben von Carl Grunert ist nur wenig bekannt. Er wurde in Naumburg an der Saale in Preußen geboren. Hier war er später als Lehrer am Domgymnasium tätig. Er siedelte nach Berlin (in die Nähe des Müggelsees) über, wo er weiterhin als Lehrer beschäftigt war. Grunert war mit Erika Huth verheiratet und hatte mit ihr einen Sohn. Er starb mit 52 Jahren in Erkner bei Berlin an einer Lungenentzündung. Grunert war ein begeisterter Leser und Verehrer des Vaters der deutschen Zukunftsliteratur Kurd Laßwitz und des Begründers der Zukunftsliteratur, des Franzosen Jules Verne, sowie des Briten Herbert George Wells. Sein Werk wurde zum Teil von diesen Schriftstellern beeinflusst. Im Wesentlichen verfasste er Erzählungen des Genres Zukunftsliteratur, die er selbst Zukunftsnovellen nannte. Er zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern auf dem Gebiet der Zukunftsliteratur in Deutschland und wird neben Kurd Laßwitz und Oskar Hoffmann als Begründer dieser Gattung in Deutschland angesehen, obwohl er selbst nie Romane, sondern nur Erzählungen verfasst hat. Jeder seiner Zukunftsnovellen liegt eine originelle wissenschaftliche Zukunftsidee zugrunde. (dieser Text stammt aus wikipedia.de und ist unter der Lizenz „Creative Commons Attribution/Share Alike“ verfügbar).
Wichtige Werke:
Das Unterseetelephon-AmtGefangener SonnenscheinAuf den Schwingen des WeltäthersDie Fern-EheScarlatina (Ein Fiebertraum)Das Gas XUnter den Papuas (Ein Ostermärchen)Die RadiumbremseEin Rätsel der LüfteDas Geschenk des OxygeniusFeinde im Weltall?Nitakerts ErwachenAdam Perennius, der ZeitloseDer FremdeHeimkehrMr. Vivacius StyleIm Fluge zum FriedenDer Mann aus dem MondeDer MarsspionPierre Maurignacs Abenteuer (erschien 1974 in der DDR unter dem Titel "Das Zeitfahrrad")Das Ei des UrvogelsKatalyseDer verwirrte TelephondrahtBallon und EilandMysisDas Ende der Erde?Das weiße RätselMr. Infrangibles ErfindungDer schreibende AffeDie Maschine des Theodulos EnergeiosDer ÄtherseelenmenschGelöste Probleme"Wenn auch Bücher nicht gut oder schlecht machen, besser oder schlechter machen sie doch!" (Jean Paul)
Die Kunst, Märchen zu erfinden, Märchen zu erzählen, ist uns allmählich abhanden gekommen. Sie gehört, in ihrer vollkommenen Reinheit, einer jüngeren Entwicklungsstufe des menschlichen Geistes an und ist trotz gelegentlicher Wiederbelebungen in alter Frische nicht zu erwecken. Es war eine kindliche Kunst, ein naives Sich-tummeln auf den bunten Wiesen der Phantasie. Den Märchenschatz schufen Geschlechter, deren gesamte geistige Habe fast ausschließlich im Märchenhaften und der verwandten Gattung, der Sage, bestand. Das allein, neben ein paar religiösen Formeln und Mythen, ward den Kindern, den Enkeln vererbt. Kindhaft war dieses Menschenalter.
Aber der Geist wuchs, die Kenntnisse kamen und die Wissenschaft. Und den Erwachsenen der reifenden Geschlechter, die immer tiefer in den Apfel der Erkenntnis bissen, schwand langsam der Sinn für das allzu naive Spiel der Phantasie. Den Kindern aber, den geistig Armen und gerade darum allein Glückseligen, wurden die Märchen weiter erzählt. Sie lebten; und kaum merklich änderte der Mund der Erzähler ihren Inhalt, kaum merklich ihre Form. Spät erst wurden sie in der klassischen Form ihrer Unvergänglichkeit aufgeschrieben und gedruckt. Es war der Franzose Charles Perrault, der um die Wende des siebzehnten Jahrhunderts uraltes Kulturgut für seine Kinder unter dem Titel "Les contes de ma mère l'Oye" aufschrieb und drucken ließ. Fast alle Nationen Europas griffen nach dem köstlichen Buch, hörten Heimatsklänge aus fernen Zeiten drin ertönen und boten's in der Muttersprache den eigenen Kleinen dar. In Deutschland schufen so, sich eng an Perrault anschließend, die Gebrüder Grimm, als einen Besitz der Nation für immer, die "Hausmärchen". An Werken der Märchenliteratur von gleicher Bedeutung gibt es für uns nur eins noch: den Schatz aus dem Orient, "1001 Nacht".
Wohl blühte auch hier und da eine zarte Blume, geschickter Pflege bedürftig, das Kunstmärchen. Deutschlands romantische Schule ist sogar überreich daran. Aber die Feuerköpfe, die das wiedererrungene Weben in der Natur, das Mitfühlen aller ihrer Wunder oft zu stammelndem Jubel trieb, geheimnisten doch zu viel in ihre Märchen hinein; sie philosophierten in ihnen und förderten nur selten etwas wirklich Kindliches, für Kinder Genießbares zutage. So E. Th. A. Hoffmann und Brentano, Achim von Arnim und Fouqué. Nicht ganz erspart werden kann der gleiche Vorwurf auch dem Dänen Andersen, dessen eng umgrenztem Talent freilich in seinen Märchen gerade etwas Unvergeßliches gelang.
Was nach ihm produziert wurde, ist wenig. Die Märchendichtung ist, soviel wir sehen, tot oder doch im Sterben. Eine Welt ist versunken, in der Tiere und Pflanzen in der zitternden Glut der Mittagssonne, in der rosigen Frische des Morgens oder der raunenden Mitternacht zum Menschen sprachen. Versunken mit ihr die spukhafte Heimlichkeit der Winkel am Kamin oder am behaglich knisternden Ofen, der schnurrenden Spinnrocken und der Großmutter im Altenteil, die Geschichten, von Generation zu Generation hinübergerettet, sprachlos lauschenden Enkelkindern berichtete.
An des Märchens Stelle trat, von langer Hand vorbereitet, die phantastische Erzählung. Von ihm im Blut geschieden. Ward das Märchen geboren aus dem naiven Staunen vor allem Außerordentlichen, der tastenden Unbefangenheit der Phantasie, so die phantastische Erzählung aus dem ernsthaften, glühenden Ringen des Verstandes mit den Geheimnissen der Natur. Ins Erdinnere drang des Menschen Blick, in die Unendlichkeit des Weltalls spähte er mit künstlichen Gläsern, der Kräfte der Materie ward er, einer nach der anderen, habhaft, ohne doch jemals ein Ende, ein greifbares Ende, zu finden. Über den Besitz, das Erkannte hinaus, drang immer die unfaßbare, uneingeschränkte Kraft der Einbildung, die nicht hart im Raume an die Sachen stieß.
AIs die großen Entdeckungen des Mittelalters, das Pulver, der neue Erdteil und die Buchdruckerkunst unermeßliche Perspektiven eröffneten, die geistigen Schätze des Altertums in nordischer Barbarei neu auflebten, trieb auch die Literatur einen neuen Zweig. Von der Schreibstube aus wagte die Phantasie erschreckliche Fahrten in zauberische Länder, in eine seltsam und gigantisch ausgemalte Zukunft.
Die Entwicklung des Romans in Deutschland beginnt eigentlich mit dieser Tendenz. Der berühmte und berüchtigte Roman "Der neue Amadis", die Abenteurerromane und Robinsonaden (von dem Engländer Daniel Defoe, 1719, ausgehend), die "Insel Felsenburg", berichten von neuen Ländern, unbekannten Errungenschaften ungekannter Fabelvölker, Wunderliches und Wunderbares. Ein großer Teil der halb lehrhaften, halb satirischen "Volksbücher" des sechzehnten Jahrhunderts weist verwandte Züge auf. So etwa das Buch, das die stattliche Reihe der Münchhausiaden eröffnet, der "Finkenritter". Vor allem aber das wichtigste und tiefinnigste, die "Historia von D. Johann Fausten, dem weitbeschreyten Zauberer und Schwartzkünstler" (erste Ausgabe 1587), in dem das Volk seinen Respekt und seine grauliche Furcht vor der Macht und den Wundern der Wissenschaft zusammenfaßte.
Es ist begreiflich, daß diese Phantasie, die der Zeit vorauseilt, um von Ersehntem und Unerreichtem wunderbare Lösung zu erträumen, im Ausgang des neunzehnten, des technischen Jahrhunderts, ungemein befruchtet werden mußte. Bis dahin hatte nichts wesentlich Neues sie gereizt. Nun aber kam die Eisenbahn, die Elektrizität mit Telegraph, Telephon und Grammophon. Es kam das Zerbröckeln uralter chemischer Theorien, die gewaltige Maschinentechnik, das Unterseeboot und die neue Ära der Luftschiffahrt. Ein Niederschlag aller dieser unerhörten Errungenschaften mußte auch in der Literatur erkennbar werden, wieder kam aus Frankreich die letzte, kräftigste Anregung, wie uns von dort das Ritterepos, der Roman, die Aufklärung, der Naturalismus, Impressionismus und schließlich der Symbolismus zum großen Teil gekommen ist. Jules Verne setzte in den sechziger und siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts durch seine phantastischen Romane, in denen ein fabelhaftes technisches Wissen sich mit bizarrer Phantasie und klarem Stil verband, eine Welt in Erstaunen. Ihm vorgearbeitet hatten in seinem Vaterlands Cyrano de Bergerac und Voltaire, in England J. Wilkins und F. Goodwin. Verne schuf das moderne Märchen.
Da dringt der Mensch ins Innere der Erde, zertrümmert das starre Gesetz der Schwerkraft und durcheilt die purpurnen Tiefen des Ozeans, die Luft und selbst den Weltenraum, konstruiert die merkwürdigsten Maschinen und Apparate und waltet in dieser nüchternen Welt, als sei ihm, wie dem Märchenprinzen, das Reich der Geister untertan.
Der Autor der vorliegenden Novellen ist einer der jüngsten Vertreter der phantastischen Erzählung und weist die von Jules Verne überkommene Art unverfälscht auf. Er wurde im Jahre 1865 zu Naumburg a.S. geboren, in dem Jahrzehnt also, in dem Jules Verne zu publizieren begann. In den uns freundlich von ihm selbst zusammengestellten biographischen Notizen finden sich Sätze, die seinen Werdegang klar charakterisieren. "Als ich ein zwölfjähriger Knabe war, fiel mir eines Tages Jules Vernes Erzählung: "Zwanzigtausend Meilen unterm Meer" in die Hände. Noch heute ist in meiner Erinnerung der wunderbare Eindruck lebendig, den das seltsame Buch mit seiner kühnen Phantastik auf mich ausübte.
Seit jenem Tage ist mir die Vorliebe für wissenschaftliche Märchen geblieben; Naturwissenschaft und Poesie, als deren Verschmelzung mir derartige Geistesprodukte erschienen, wurden die Pole, um die meine innere Welt zu rotieren begann." – –
Von deutschen Autoren war es Kurd Laßwitz, der auf den jungen Phantasten bestimmenden Einfluß ausübte. Grunert sagt selbst:
"In der Widmung zu meinem Buche: "Im irdischen Jenseits" habe ich es dankbar aussprechen dürfen, was mir dies Werk ("Auf zwei Planeten") im Verein mit den übrigen Schöpfungen des Großmeisters des naturwissenschaftlichen Romans geworden ist. Es bedeutete für mich eine Wiedergeburt." Und "so entstanden die "Zukunftsnovellen", die in drei Sammlungen vorliegen: "Im irdischen Jenseits", "Menschen von morgen" und "Feinde im Weltall?" – –"
Auch der vorliegende Band, der hier zum ersten Male erscheint, ist ein echter Grunert. Der Universalität und Kühnheit der Jules Verneschen Romane (dessen Phantasie in der Tat manches vorweg nahm, was jetzt greifbare Wirklichkeit werden will) geht hier ein deutscher Autor mit Liebe nach, der immer interessant in der Wahl des Problems, immer spannend in der Ausführung ist.
In unseren Mußestunden machen wir sie gerne mit, diese Flüge in dämmernde Möglichkeiten, da uralte Märchenträume auf der Schneide des wissenschaftlichen Gedankens groteske Tänze vollführen.
Karlernst Knatz
Auf der Sternwarte in Flagstaff in Arizona. –
"Hier ist eine unserer gestrigen Marsphotographieen," sagte Mr. Lampland, einer der Assistenten, trat aus der Dunkelkammer hervor und zeigte Mr. Lowell, dem Leiter der Sternwarte, eine eben entwickelte Platte.
"Die erste oder die zweite?" fragte Mr. Lowell, die noch nasse Glasplatte vorsichtig an den Rändern fassend und gegen das Licht haltend.
"Die erste. – Mit der zweiten wird unser neuer Photograph aber auch bald fertig sein; sie liegt schon im Fixierbad –"
"Er scheint seine Kunst zu verstehen, meinen Sie nicht auch, Mr. Lampland?"
"Ich denke doch. An sein seltsames Wesen wird man sich gewöhnen, um so schneller, je besser seine Leistungen sind –"
"Ich finde die Einzelheiten, namentlich die Feinheiten in den Lichtunterschieden, auf dieser Platte ganz vorzüglich herausgearbeitet – und da ist er ja auch wieder und schärfer und klarer, dächt' ich, als auf unsern früheren Platten –"
"Sie meinen den wandernden Fleck, Mr. Lowell?" fragte der Assistent, der nun auch näher herantrat und die Marsaufnahme betrachtete.
"Ja, Mr. Lampland – der rätselhafte wandernde Fleck auf der Marsoberfläche, der seine Lage zum Südpol fortwährend zu ändern scheint; denn jede unserer bisherigen Aufnahmen zeigt ihn an einer andern Stelle –"
"Ich hoffe, unsere nächsten Aufnahmen sollen uns in den Stand setzen, dies wandernde Rätsel zu lösen, das mir vorläufig noch verschleierter erscheint, als die Frage der vielumstrittenen Kanäle –", entgegnete Lampland.
"Man hat sie abgeleugnet bis heute; nach unseren Photographieen der beiden Kanäle Thot und Astaboras aber wird man sie nun wohl nicht länger anzweifeln. Das menschliche Auge kann sich täuschen, die phantasielose photographische Platte nicht!"
Er reichte dem Assistenten die Platte zurück, der sie sorgfältig auf einem Trockengestell unterbrachte, indessen Mr. Lowell an den riesigen Refraktor trat. –
"Ist die Verbesserung am Objektiv schon angebracht, Mr. Lampland?"
"Gewiß, Mr. Powell – und ich denke, unsere nächsten Aufnahmen sollen beweisen, daß die Einschaltung dieser Lichtfilter für Strahlen bestimmter Wellenlänge zur Erzielung größerer Schärfe und feinerer Einzelheiten von ungeheurem Werte ist –"
"Hoffentlich helfen sie uns auch bei der Enträtselung des wandernden Flecks!" vollendete Lowell.
Der Assistent kehrte in die Dunkelkammer zurück, hier arbeitete beim schwachen Scheine des roten Lichts der seit gestern neuangestellte Photograph, Mr. Ferrum.
Es war eine ungemein zierliche, fast knabenhafte Gestalt. Jetzt, im roten Dämmerlicht, erschien sein Gesicht seltsam alt, die Haut pergamentartig und wie durchscheinend, so daß man das Netz der Adern unter ihr deutlich zu sehen meinte. Eine breite, schwarze Binde, die den oberen Teil der Stirn bedeckte, vollendete den abstoßenden Eindruck des Mannes.
Aber seine Kunst schien er meisterhaft zu verstehen. Der Assistent Lampland nahm die zweite, nun ausfixierte Platte aus dem Bad und schaltete einen Augenblick weißes Licht ein, um sie zu betrachten. Wie wunderbar klar hob sich die Eiskappe des Südpols von dem unbestimmten Grau der Umgebung ab! Deutlicher noch, als auf der ersten Platte markierten sich die gradlinigen Streifen der Kanäle, und da war auch wieder der rätselhafte "wandernde Fleck". Eben wollte Mr. Lampland die Platte etwas näher an die Lampe heranbringen, um genauer sehen zu können, als das Licht plötzlich erlosch! "Was ist das ?" rief der Assistent, "haben Sie versehentlich ausgeschaltet, Mr. Ferrum?"
Mr. Ferrum antwortete nicht, sondern deutete mit allen Zeichen des Erschreckens auf einen bläulich-weißen Funkenstrom, der sich an einer Stelle der Wand plötzlich unter knatterndem Geräusch gebildet hatte.
"Ein Kurzschluß! Schnell! Zum Hauptschalter!"
Beide Männer wandten sich instinktiv zum Ausgang. Dabei stieß Mr. Ferrum im Dunkel an Mr. Lampland, der noch immer die eben fertig gewordene Platte hielt –
Ein Klirren und Knirschen.
"Goddam! Die Platte!" rief der Assistent. – Aber schon schlug züngelnd eine Flamme aus der gefährdeten Wand der Dunkelkammer, und beide eilten hinaus, um den Wechselstrom auszuschalten und den entstandenen Brand im Keime zu ersticken ...
Am nächsten Tage war der Schaden wieder gut gemacht, und auch die zerbrochene Platte war durch mehrere in der Nacht gewonnene Aufnahmen ersetzt, die eben jetzt in der Dunkelkammer entwickelt wurden. Gleich die erste der neuen Aufnahmen zeigte überraschende Einzelheiten. Mr. Lowell hatte die Entwicklung der Platte persönlich überwacht und prüfte sie gerade mit der Lupe. Auch der "wandernde Fleck" war wieder da, und an ihm entdeckte Mr. Lowell zum ersten Male eine Abweichung im Vergleich zu früheren Aufnahmen. Abgesehen davon, daß seine Lage abermals geändert und dem Südpole des Mars noch näher gerückt erschien, zeigte der rätselhafte Fleck deutlich einen ihn begleitenden, dem Sonnenstande entsprechenden Schatten, der sich in der verzerrten Form und in der weniger dunklen Färbung bestimmt von dem Flecke selbst trennen ließ. Eine Hypothese, den wandernden Fleck als einen dritten kleinen, von der Kugelgestalt abweichenden Marsmond zu erklären, schien nach Lage der Dinge völlig unangebracht, und so sah Mr. Lowell mit begreiflicher Spannung der Entwicklung der weiteren Aufnahmen entgegen, mit der Mr. Ferrum und Mr. Lampland noch beschäftigt waren.
Mr. Ferrum zeigte heute eine gewisse nervöse Unruhe, die auch dem Assistenten auffiel, als er die nächste der fertigen Platten ihm aus der Hand nahm, um sie Mr. Lowell vorzulegen.
"Was haben Sie heute, Mr. Ferrum?" fragte er ihn – "ist Ihnen der gestrige kleine Kurzschluß in die Finger gefahren? Sie zittern –"
Mr. Ferrum sagte nichts, sondern klappte den Rahmen der nächsten Plattenkassette auf, um ihr die belichtete Platte zu entnehmen. Mitten in dieser Manipulation hielt er inne, durch einen Ausruf des Assistenten veranlaßt.
"Ah – jetzt endlich scheint sich das Rätsel zu lösen!" rief Mr. Lampland, die kostbare Platte aus dem Dunkelzimmer zu dem Leiter der Sternwarte tragend.
Mr. Ferrum war einen Augenblick allein. Blitzschnell vertauschte er die Platte mit einer unbelichteten, indes er die belichtete, die letzte der heutigen Aufnahmen, mit einem Diamanten in kleine Stücke schnitt, die er bei sich verbarg.
Mr. Lowell betrachtete unterdessen mit seinem Assistenten die neugewonnene Platte. Auch ihm entfuhr unwillkürlich ein Aufschrei der Verwunderung.
"Das ist ja mehr, als wir ahnen konnten, Mr. Lampland!" sagte er dann, die Aufnahme einer genauen Prüfung unterwerfend – "das sieht ja aus, als gehöre der "wandernde Fleck" gar nicht zur Marsoberfläche, als schwebe er frei in der Atmosphäre des Planeten? Aber was kann das sein, da seine Form und die Art seiner ganz willkürlichen Ortsveränderung es völlig ausschließt, ihn etwa als einen neuen Trabanten des Planeten anzusprechen?"
"Nun, Mr. Lowell," entgegnete der Assistent, "was hindert uns anzunehmen, daß der wandernde Fleck das Werk intelligenter Wesen ist? Haben wir durch unsere diesjährigen Marsphotographieen doch einwandfrei bewiesen, daß die "Marskanäle" wirklich existieren, wenn wir sie auch weniger als Wasseradern, wie als Vegetationszonen bezeichnen müssen. Die Regelmäßigkeit ihrer Anlage, die praktische Ausgestaltung des Kanalnetzes spricht jedenfalls für ihre künstliche Entstehung durch denkende Geschöpfe –"
"Nun, und –" unterbrach ihn Mr. Lowell.
"Nun –" fuhr der Assistent lebhaft fort, "sind diese Riesenkanäle das Werk menschenähnlicher Geschöpfe vom Mars, warum kann der seltsam vagabundierende Fleck nicht irgendeine in der Atmosphäre des Mars schwebende Vorrichtung sein, beispielsweise eine nach Art unserer Fesselballons verankerte, meteorologische Station?"
"Die müßte allerdings eine gewaltige Ausdehnung haben, um in unserem Fernrohr als ein Fleck von dieser Größe sichtbar zu werden! Im übrigen glaube ich zu bemerken, daß der Fleck auf den Photographieen immer größer wird, als ob er sich in großer Geschwindigkeit vom Mars entferne –"
"Zugegeben! Ein in der Marsatmosphäre schwebendes, sich bewegendes Etwas muß es sein, das lehrt diese Aufnahme mit hoher Wahrscheinlichkeit, Mr. Lowell. Ich hoffe, die letzte Photographie, die Mr. Ferrum eben entwickelt, wird meine Hypothese noch mehr unterstützen."
Damit wandte sich Mr. Lampland, um in die Dunkelkammer zurückzukehren.
"Nun, Mr. Ferrum," sagte er beim Eintreten, "ist die letzte Aufnahme entwickelt?"
"Ich bin dabei," erwiderte der Angeredete mit eigentümlich abgestimmtem Tonfall – "aber – ich weiß nicht – ist diese Platte nicht zu kurz belichtet worden? Der Entwickler, den ich bei allen übrigen Aufnahmen verwendet habe, bleibt bei ihr wirkungslos! Bitte, überzeugen Sie sich –"
Damit reichte er dem Assistenten die Entwicklerschale, in der die Platte lag.
Mr. Lampland kippte die Schale, so daß die Entwicklungsflüssigkeit von der Platte abfloß –
"Noch keine Spur eines Bildes," sagte er verwundert, aber wie ist denn das möglich? Wir haben doch so lange wie sonst exponiert? Haben Sie schon den Entwickler erneuert, Mr. Ferrum? Vielleicht, daß daran die Verzögerung liegt!"
"Habe ich – ich will noch einen Zusatz von Ammoniak machen –"
"Tun Sie das, Mr. Ferrum; es liegt uns sehr viel gerade an dieser Aufnahme," rief der Assistent; dann, einen Blick auf die Hände des Photographen werfend, setzte er hinzu: "Arbeiten Sie immer mit Gummihandschuhen, Mr. Ferrum? Ich wollte Sie schon gestern deshalb fragen –"
"Immer, Mr. Lampland. Ein langwieriges Fingerleiden, das ich mir in meinem Berufe zugezogen, zwingt mich dazu –"
"So. – Nun – tun Sie Ihr möglichstes, die Platte zu retten, wir sind einer neuen Entdeckung in der Marsatmosphäre auf der Spur, und gerade diese letzte Aufnahme verspricht uns wichtige Aufschlüsse!" – – –
Es war leider nicht gelungen, auf der fraglichen Platte die Spur eines Bildes zu entwickeln. Mit diesem Bescheid trat nach einiger Zeit Mr. Lampland wieder bei dem Leiter der Sternwarte ein. So unangenehm der Mißerfolg war, für den weder Mr. Lowell noch der Assistent vorläufig die zureichende Erklärung fanden, so hatte er doch, wie Mr. Lampland rühmend hervorhob, die wissenschaftlichen Kenntnisse und technischen Fähigkeiten des neuen Photographen in hellem Lichte gezeigt. Wohl ein Dutzend Versuche und Kunstgriffe hatte er angewandt, das latente Bild der "unterbelichteten" Platte hervorzurufen.
Die Sonne näherte sich dem Untergang, und Mr. Lowell ließ alles zu einer Reihe neuer Marsaufnahmen vorbereiten.
Der "wandernde Fleck" war in diesen späten Abendstunden infolge der auf dem Mars herrschenden Lichtverteilung weniger gut sichtbar; doch versprach in Hinsicht auf die früheren photographischen Aufnahmen dieses fraglichen Objekts die Klarheit der Marsatmosphäre für heute nacht die wichtigsten Aufschlüsse.
Mr. Lowell hatte das Observatorium ein Weilchen verlassen; Mr. Lampland war allein und beobachtete durch ein kleineres Fernrohr das Firmament, um einige Ablesungen zu machen.
Es war ganz still und dunkel in der hohen Kuppelhalle; nur die Sekundenuhr tickte mit leisem Schlage. Mr. Lampland richtete sich aus seiner beobachtenden Stellung am Fernrohr auf. Es war ihm, als habe er ein Geräusch gehört. Er blickte scharf ins Dunkel und strengte sein Gehör an; aber es war doch wohl nur Täuschung gewesen. Zur Sicherheit ließ er einen Moment die kleine elektrische Notlampe aufleuchten – er vermochte nichts zu entdecken.
Seltsamerweise glaubte er nach einigen Minuten an einer bestimmten Stelle des dunklen Raumes einen mattleuchtenden Punkt zu sehen, wie das phosphoreszierende Auge eines nächtlichen Raubtieres. Aber als er die Erscheinung fest ins Auge fassen wollte, war sie verschwunden. Ärgerlich über sich selbst, schalt er sich eine Beute seiner aufgeregten Nerven und wandte sich dem großen Refraktor zu, um ihn für die neuen photographischen Aufnahmen des Mars einzustellen.
Er brachte sein Auge an das Okular des riesigen Instruments – ein nebeliger Schleier verhüllte das Gesichtsfeld!
Eben trat Mr. Lowell ein.
"Nun – eingestellt?" fragte er.
"Nein – sehen Sie doch, Mr. Lowell! Das Gesichtsfeld des Refraktors ist völlig verschleiert – die Atmosphäre ist doch völlig klar?"
Mr. Lowell blickte zuerst durch das Okular des großen Refraktors, dann durch das auf demselben Gestell montierte kleinere Sucherfernrohr. Das Gesichtsfeld des letzteren war völlig klar!
"Sollte durch irgendeine Ursache das Objektiv plötzlich getrübt worden sein – irgendein Niederschlag oder Staub von außen die Lichtdurchlässigkeit hindern?" fragte der Assistent.
Mr. Lowell antwortete nicht. Ein seltsamer, scharf säuerlicher Geruch machte sich mit einem Male in der Nähe des Refraktors bemerklich. –
Und eben wollte Mr. Lampland sein Gesicht aufs neue dem Okularende des riesigen Fernrohrs nähern, als ein furchtbarer Knall die beiden Männer zu Boden warf.
In dem Flammenblitz der gewaltigen Explosion aber erschien einen Moment das fleischlose, fahle, jetzt von einem triumphierenden Lachen verzerrte Gesicht – Mr. Ferrums!
Und dieses Gesicht zeigte, von keiner schwarzen Stirnbinde mehr bedeckt, ein auf Erden nie geschautes Phänomen: es besaß – drei Augen, zwei, wie andere Menschenaugen, und das dritte, ein Scheitelauge, mitten auf der Stirn! Und jetzt, da tiefes Dunkel wieder den großen Raum erfüllte, leuchtete das dritte Auge in grünem Phosphoreszenzlichte.
Was war das für ein grauenhaft-rätselvolles Wesen?
Mr. Lowell war der erste, der die Besinnung wiedererlangte. Er sprang auf und tastete nach dem elektrischen Lichtschalter, – da hörte er hinter sich ein Geräusch: auch sein Assistent war nur betäubt worden und richtete sich auf. In demselben Moment aber stürzte er nach einer Ecke des Raumes, aus der ein mattleuchtender Punkt schimmerte.
Mr. Lowell vernahm ein heftiges Ringen und Stöhnen. – Endlich hatte er den Einschalter gefunden und legte den Hebel um – die Beleuchtung versagte!
"Zu Hilfe!" rief Mr. Lampland heiser.
Mr. Lowell eilte nach der Stelle, woher der Ruf kam.
"Hierher – Mr. Lowell, hierher – ich hab' ihn!"
Mr. Lowell packte zu: er faßte einen mit aalglatter Gewandtheit sich drehenden Körper. Ehe er aber mit sicherem Griff zupacken konnte, schrie Mr. Lampland heftig auf –
In demselben Augenblick entschlüpfte ihnen die erhaschte Beute.
Jetzt erst erinnerte sich Mr. Lowell an das kleine, von einem Akkumulator gespeiste Notlicht zur Eintragung der astronomischen Ablesungen.
Mit zwei Schritten war er dort und schaltete es ein. Er war mit seinem Assistenten allein; Mr. Lampland hielt sich die Rechte, die ihm der nächtliche Störenfried aus dem Gelenk gedreht hatte.
Beider Blicke fielen zuerst auf den großen Refraktor. Eine Explosion hatte das untere Ende, den Okularteil, glatt fortgerissen. Zum Glück schien die kostbare Objektivlinse am oberen Ende unbeschädigt geblieben zu sein!
"Wer war der Eindringling? Und wie hat eine Explosion im Innern des Reflektors stattfinden können?" rief Mr. Lowell einmal über das andere.
Nun kamen auch einige Diener, die der Lärm herbeigerufen.
"Bringt Licht!" befahl Mr. Lowell.
"Und ruft Mr. Ferrum!" setzte Mr. Lampland hinzu. – Die Diener kehrten mit Lichtern zurück; einer von ihnen brachte die Meldung, daß Mr. Ferrum nicht mehr auf seinem Zimmer sei – nur seine Gummihandschuhe lägen dort.
"So bringt sie!" sagte Mr. Lampland, unausgesetzt die schmerzende, verstauchte Rechte reibend.
"Und seht, ob ihr Mr. Ferrum irgendwo entdecken könnt!" rief ihnen Mr. Lowell nach.
"Wir werden keine Spur mehr von ihm entdecken," meinte Mr. Lampland. Mr. Lowell sah ihn fragend an.
Der Diener brachte die schwarzen Gummihandschuhe.
"Sehen Sie, Mr. Lowell," sagte der Assistent, "mein Verdacht hat mich nicht getäuscht. Seit heute abend, seit wir den photographischen Apparat von neuem für das Fernrohr herrichteten und ich unseren Mr. Ferrum bei seinen Manipulationen beobachtete, entstand plötzlich – ich wüßte kaum zu sagen, wie! – mein Verdacht; mich überkam ein Gefühl, als sei der Mann nicht der, für den er sich ausgab. Seine glänzenden chemischen und photographischen Kenntnisse machten ihn mir plötzlich nur noch mehr verdächtig; wie ein Blitzstrahl kam mir vorhin, als ich hier allein war, die Erleuchtung, daß alle die Vorkommnisse der letzten Tage sich wie Ringe einer Kette schlossen: der plötzliche Kurzschluß in der Leitung in dem nämlichen Augenblick, als ich gestern die Platte mit dem "wandernden Fleck" mir genauer betrachten wollte, und die in der Dunkelheit und Verwirrung erfolgte Zerstörung der Aufnahme – der Vorfall mit der völlig unbelichteten Platte von heute – und schließlich hier – die Gummihandschuhe, die er fortwährend trug."
Mr. Lampland hob sie empor."Sehen Sie; jeder Handschuh hat fünf richtige Finger – aber der fünfte ist bei beiden ein künstlicher, ausgestopfter!"
Starr vor Überraschung, befühlte Mr. Lowell die Handschuhe –
"Wahrhaftig," rief er, "der kleine Finger an jeder Hand ist falsch!"
"Nun," sagte Mr. Lampland fortfahrend, "vierfingrige Menschen gibt es augenblicklich auf Erden noch nicht; nehmen Sie dazu sein seltsames Aussehen, ein Greisenkopf mit dem Körper eines Kindes, seine eigentümliche Aufregung, die um so höher stieg, je besser uns die Photographieen vom Mars gelangen, – die offenbar von ihm in einem unbewachten Augenblick in unseren Refraktor geschmuggelte Bombe, deren Zündschnur so berechnet war, daß sie heute nacht die Explosion und damit nach seinem Plan die Zertrümmerung des kostbaren Instruments herbeiführen sollte – vielleicht auch Ihre und meine Vernichtung! – so bleibt nur die Annahme übrig, und der alte römische Grundsatz: cui bono! bestätigt sie: Mr. Ferrum war – kein Mensch, sondern – ein Spion vom Mars!"
Mr. Lowell schüttelte den Kopf und wollte eben etwas erwidern, als einer der Diener, derselbe, der die Gummihandschuhe entdeckt hatte, ihm ein Stück eines photographischen Negativs überreichte, das er soeben beim Durchstöbern der Dunkelkammer in einem Winkel des Fußbodens entdeckt hatte.
Nur einen Blick warf der Assistent darauf; dann sagte er: "Dieser Glasscherben, der übriggebliebene Rest jener Aufnahme, die bei dem gestrigen Kurzschluß in Trümmer ging, bildet das Schlußglied meiner Beweisführung! Sehen sie, Mr. Lowell, den "wandernden Fleck"! Ein günstiger Zufall hat es bei dieser einzigen Aufnahme so gefügt, daß die Sonne von dem rätselhaften schwebenden Etwas in der Marsatmosphäre einen ins Riesenhafte vergrößerten Schatten auf die schneeweiße Eiskappe des Pols geworfen hat – und ich glaube, Sie erkennen nun nach allem Vorangegangenen das rätselhafte Objekt – und verstehen, warum jener falsche Mr. Ferrum, offenbar im Auftrage seines Heimatplaneten, alles tat, um unsere Marsbeobachtungen zuerst zu kontrollieren, dann zu erschweren und schließlich für bestimmte Zeit unmöglich zu machen." –
Mr. Lowell nickte und sagte ernst: "Noch bleibt mir manches von dem Geschehenen ein Rätsel; aber das Rätsel des "wandernden Flecks" ist gelöst: der verräterische Schatten zeigt mir die ins Ungeheure verzerrten Konturen eines – Riesenflugschiffes, das sich unausgesetzt einem Ziele nähert: unserer Erde!"
"Guten Tag, Pierre!"
"Ei – guten Tag, meine kleine Jeanne! Wie verläufst du dich hierher in die Schmiede Plutos?"
"Muß ich nicht in die garstige, rußige Höhle hineinkriechen, wenn ich dich einmal sehen will, du Böser! Dein Mütterchen ist schon ganz verzweifelt, weil du seit ein paar Tagen Essen und Trinken vergißt – wegen des alten Ungetüms da!" –
"Dann mußt du eigentlich mit deinem künftigen Schwager, meinem aufmerksamen Bruder André, schelten und schmollen, kleine Jeanne! Er hat mir dies kuriose Mittelding zwischen einem Fahrrad und einem Webstuhl geschickt, weil er meine Vorliebe für allerlei mechanische Kunstwerke und Maschinen kennt. Du solltest übrigens mit ein wenig mehr Respekt von dieser Maschine sprechen; sie stammt geradeswegs vom – – Grunde des Meeres!"
"Vom Grunde des Meeres? Hast du mich auch nicht zum besten, Pierre?"
"Aber, – – liebe Jeanne! Direkt vom Grunde des Ozeans, wo die Seejungfern und Wasserteufel sie benutzt haben!"
"Pfui, Pierre! Mußt du denn immer deinen Spott mit mir treiben – –" Und die zierliche, schlanke, schwarzlockige und dunkeläugige Südfranzösin verzog schmollend den Mund.
"Nun – nun, meine kleine Jeanne – – einen Scherz darf man doch machen!"
Der hochgewachsene, blonde junge Mann sprang hinter der seltsamen Maschine hervor und umfaßte das junge Mädchen, ihr einen Kuß auf die halbabgewandten Lippen drückend. Dann führte er sie aus dem Rahmen der Eingangspforte, wo sie noch immer gestanden, näher an das "alte Ungetüm" heran.
"Sieh dir das Wunderwerk nur erst an, kleine Jeanne! Es ist volle Wahrheit: sie stammt vom Grunde des Meeres. Du weißt, daß mein Bruder André bei den Hebungsversuchen des vor einigen Tagen gesunkenen Kanaldampfers "Juno" in der Straße von Calais beschäftigt ist. Bei diesen Taucherarbeiten fand er in der Nähe des gesunkenen Schiffes, fast völlig im Meeresgrunde vergraben, diese Maschine. Da ihren Zweck niemand enträtseln konnte, auch niemand großes Interesse für sie zeigte, sandte er sie mir und wie du siehst, ist es mir gelungen, sie von dem Schlamm des Meeres und von allerlei sonstigen Unreinigkeiten zu säubern. Sieh einmal, wie ihre Teile nun wieder funkeln und blitzen: diese vernickelten Hebel und Stangen und Schrauben, diese Stangen aus Elfenbein und vor allem diese schöngedrehten Wellen aus einer durchsichtigen Substanz – –"
"Daß die nicht zerbrochen sind! – Es sieht doch aus wie Glas, nicht, Pierre?"
"Ja, es ist aber kein Glas! Sieh doch einmal, wie sie funkeln und flimmern, liebe Jeanne! Man könnte beinahe denken, sie seien aus lauter Licht und Sonnenschein gemacht – und nicht aus einem festen, irdischen Stoffe –"
"Aber – was ist das für eine seltsame Maschine, Pierre?"
"– Ja, Liebste, – wenn ich das wüßte! Dann würde ich ja nicht Stunde für Stunde hier in der uralten Schmiede in der Kalksteinhöhle hocken und grübeln, sondern würde dir heute früh schon längst entgegengeeilt sein. Von Mütterchen wußte ich ja, daß du kommen würdest, und kannte ja auch deinen Weg zu uns – – immer am Ufer der Dordogne entlang, bis an unsere Holzbrücke, nicht wahr, Liebling? – Aber – ich weiß nicht, noch nicht, was diese vertrackte Maschine bedeuten soll! – Ich wollte eine Zeichnung von ihr anfertigen und sie an die Redaktion der "Science" einschicken – vielleicht weiß man da eine Auskunft –"
"Aber sagtest du nicht selbst, sie sähe aus – halb wie ein Fahrrad und –"
"– halb wie ein Webstuhl – freilich. Hier ist ja auch ein Sitz, wie der Sattel eines Fahrrads – aber – die Räder fehlen, sind auch, wie die Konstruktion zeigt, nie vorhanden gewesen."
"Und – du hast noch keinen Versuch gemacht, ob die Maschine geht – ob sie –"
"Nein, Liebste! Eher möchte ich all diese Wellen und Scheiben und Hebel nicht in Bewegung setzen, ehe ich mir nicht im Geiste über die ganze Konstruktion der Maschine klar geworden bin. Sie muß doch einen Zweck gehabt haben, zum Kuckuck! – Ehe du kamst, hatte ich übrigens einen Gedanken: ich glaubte einen Äugenblick, das rätselhafte Ding sei die Gondel irgendeines unserer jetzigen modernen, lenkbaren Luftschiffe. Dafür spricht erstens ihr Fundort – auf dem Grunde des Meeres – wohin sie aus der Luft gestürzt sein mag, zweitens der Sattel und das räderlose Gestell; – dagegen spricht erstens der Mangel eines Motors – aber der könnte ja beim Absturz explodiert und losgerissen sein, obwohl sich an der Maschine nirgends bis auf ein paar verbogene schienen die Spuren äußerer Gewalt zeigten – –"
"Und zweitens, Pierre?" – –
"Zweitens, liebe Jeanne, spricht dagegen die ganze diffizile Konstruktion, diese vielen Finessen in der Mechanik, dies Gewirr von Stangen und Walzen und Rollen und Scheiben – und nicht zuletzt – diese seltsam funkelnden Wellen aus Kristall –"
"Ja – aber, lieber Pierre – dann will ich doch lieber gleich wieder gehen und auf gelegenere Zeit wiederkommen –"
"Aber warum, meine kleine Jeanne?" fragte Pierre, aufs neue den Arm um sie legend.