Der Mauerknacker - Harald Brück - E-Book

Der Mauerknacker E-Book

Harald Brück

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Beschreibung

Die Lausbubenstreiche hören doch sicher irgendwann auf, denkt man, oder? Nicht so bei Harald Brück: Geboren 1960, nimmt er uns mit auf eine unterhaltsame Zeitreise durch die Jahrzehnte. Schon zu Schulzeiten nur Flausen im Kopf und für jede Dummheit zu haben, kann ihm nicht mal der Ernst des Lebens seinen Humor nehmen. Die ersten 30 Jahre führen uns über die Bundeswehr und die Unterwelt der 1980er bis hin zur Geschichte, warum wirklich die Mauer gefallen ist!

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Inhaltsverzeichnis

Unbekümmerte Kindheit

Grundschule

Im Internat

GBS – gymnasialer Zweig

Lehrjahre

Schlachthof

Beim Barras

Die Bank

Die Kneipe

Angelika

Mary

Harald Brück

Der Mauerknacker

Autobiografie

AUGUST VON GOETHE LITERATURVERLAG

FRANKFURT A.M. • LONDON • NEW YORK

Die neue Literatur, die – in Erinnerung an die Zusammenarbeit Heinrich Heines und Annette von Droste-Hülshoffs mit der Herausgeberin Elise von Hohenhausen – ein Wagnis ist, steht im Mittelpunkt der Verlagsarbeit. Das Lektorat nimmt daher Manuskripte an, um deren Einsendung das gebildete Publikum gebeten wird.

©2019 FRANKFURTER LITERATURVERLAG

Ein Unternehmen der

FRANKFURTER VERLAGSGRUPPE GMBH

Mainstraße 143

D-63065 Offenbach

Tel. 069-40-894-0 ▪ Fax 069-40-894-194

E-Mail [email protected]

Medien- und Buchverlage

DR. VON HÄNSEL-HOHENHAUSEN

seit 1987

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.d-nb.de.

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Lektorat:Gerrit Koehler

ISBN 978-3-8372-2224-1

Für Marion

Unbekümmerte Kindheit

Als ich am 07. Februar 1960 das Licht der Welt erblickte, sah meine Mama das hässlichste Baby der nördlichen Halbkugel, mit obendrein einem solchen Eierkopf, dass meine Mami nicht anders konnte, als mich seitwärts in den Kinderwagen zu betten. Wie eine Mutter so eine „Kreatur“ lieben konnte, ist mir bis heute ein Rätsel; aber versteh einer die Frauen. Gott sei Dank hat sich dieser Anblick doch erheblich gewandelt und es ist ein vorzeigbarer Kerl draus geworden.

Die eigenen frühesten Erinnerungen beziehen sich auf einen Zimmerspringbrunnen mit Beleuchtung aus dem Wasser heraus und Grünzeug von zwei Seiten, und eine Wäschewanne. Man könnte meinen, ich sei in meinen Erinnerungen nur beim Wasser, aber das ist schließlich mein Sternbild – Wassermann. In der Wäschewanne gedachte meine Mama mich vom Schmutz des Alltags zu befreien, den ich mir, zumindest im Sommer, auf meinem „Ansitz“ auf der Fensterbank des Wohnzimmers unserer Dachwohnung einhandelte. Obwohl ich zwei Sommer lang dort saß, schmiss ich nur eine Geranie in den Hof. Eines schönen Tages hatte meine Mama das Wasser so heiß in die Wäschewanne einlaufen lassen, dass ich vor Schmerz laut aufquiekte, als sie mich hineinsetzen wollte. Aber das war ein einmaliger Fauxpas von ihrer Seite. Sonst saß ich immer wieder etwas länger in dieser Wanne, weil meine roten Feuermelder-Haare unter brauner Haarfarbe verschwinden mussten, die ihre Zeit brauchte, um auch richtig zu färben. Ich weiß bis heute nicht, warum? Aber in den Sechzigern waren rote Haare nicht sexy, wie heute, sondern eher etwas zum Hänseln. Wenn ich dann mit nassen und frisch gefärbten Haaren aus dem Badezimmer kam, durfte ich nicht in die Nähe meines Vaters kommen, sonst zerrte er mich zu sich heran, streichelte mir auf dem Kopf herum, wie einem Hund, und sagte: „Mein Strubbs!“ In solchen Momenten hätte ich ihm am liebsten die Augen ausgekratzt. Immerhin gab’s für das Stillhalten in solchen Momenten geile „Fahrzeuge“, die dummerweise nicht voll eingesetzt werden konnten.

Wir wohnten an einer Einfallstraße des Vordertaunus nach dem westlichen Frankfurt, und bei dem doch erheblichen Verkehr durfte ich das Grundstück so bis zum vierten Lebensjahr alleine nicht verlassen. Die einzige Ausnahme bildete das Haus direkt nebenan. Dort zogen irgendwann ein GI, seine deutsche Ehefrau und ihr gemeinsames Kind ein. Die Mutter des Kleinen lud mich zum gemeinsamen Spielen mit ihrem Spross ein und ich kam dem einige Male nach. Nachdem ich mir das Gewohnheitsrecht auf Ami-Kid-Besuche erworben hatte, meinte mein Vater: „Da gehst du nicht mehr hin. Das sind scheiß Besatzer.“ Bis dahin lebte ich in meiner eigenen Welt im Garten des Hauses meiner Großeltern mütterlicherseits und fütterte die Ameisen mit Gummibärchen.

Der Versuch, mich in den Kindergarten zu schicken, misslang; zumindest auf Dauer, weil mein Vater irgendetwas an diesem katholischen Kindergarten auszusetzen hatte. Da ich recht gerne in den Kindergarten gegangen war, nahm ich gleich die nächste Gelegenheit wahr, ihm eins auszuwischen. Ich bekam beim abendlichen Bad Seife ins Auge und die Tränen flossen. Mein Vater wollte mich in dieser blamablen Szene fotografieren, was ich mir unter Beihilfe eines Platzdeckchens verbat. Ich knallte meinem Papa das Platzdeckchen derart geschickt an den Kopf, dass mein Daddy eine leichte und kleine Platzwunde davontrug. Jetzt hatte auch ich das Blut einmal zum Laufen gebracht. Die Freude hielt aber nicht lange an. Ein paar Monate später schiss mein Papa meine Mama zusammen und die war am Heulen. Ich wusste zwar nicht, um was es ging, aber ich wollte meiner Mama irgendwie helfen. Also sprang ich auf und rammte meinem Papa in American-Football-Manier meine Unterarme gegen seine Oberschenkel. Für diese Aktion bekam ich ein unvergessliches Lehrgeld, denn mein Erzeuger schmiss mich vier Meter weit durch die Küche gegen eine Schranktür und begründete das damit, dass ich mich nicht gegen ihn zu stellen hätte. Jedenfalls hatte ich seit dieser Minute Angst vor meinem Vater. In ähnlicher Art wird er wohl auch mit der Regelung der Kindergartenfrage umgegangen sein. Also, ich weiß bis heute nicht, was ihm an dem Kindergarten nicht passte, und heute ist es zu spät, ihn zu fragen, weil er, als alter Waidmann, in den ewigen Jagdgründen zum Halali bläst. Vermutlich war es irgendetwas Religiöses, mit dem mein Daddy sein Lebtag nichts anfangen konnte.

Der Kindergarten-Fehlversuch führte zu einer allmählichen Überlastung meiner Oma, die irgendwann zu ihrer Tochter, sprich meiner Mama, sagte, sie könne nicht mehr. Insbesondere meine stete Weigerung, mit meiner Oma weiter als bis zur Bahnschranke zu gehen und mich lieber auf die Schienen zu legen, bis ein Zug kam, zwangen sie wohl zur Aufgabe. Da meine Mutter lieber arbeiten ging und die Aufzucht ihres Sprosses ihrer Mutti überließ, wurde nach einer anderen Lösung gesucht. Man fragte bei der Schwester des Kindsvaters um Obdach des ehemals hässlichsten Babys der nördlichen Halbkugel und wurde fündig. Dort waren ohnehin schon drei Bälger zu beaufsichtigen, da kam es auf einen mehr oder weniger nicht an. Für ein Jahr erlebte ich Kindheit auf dem Lande, ganz ohne das sonst bei der Verwandtschaft auftretende übliche Asthma. Ich konnte sogar über eine blühende Wiese gehen, ohne Atembeschwerden zu bekommen. Im Sommer plünderten wir die Maisfelder und warfen uns die Maiskolben nach, im Winter stürzten wir uns auf Schlitten Abhänge hinunter, die man als Erwachsener mit sträubenden Haaren betrachtete. Auch im Iglu-Bau übten wir uns. Damals gab es noch richtig Schnee und keiner heulte herum, wenn eine Schneeflocke vom Himmel fiel. Im Sommer hatten meine Cousine und ich auch eine verzinkte Wäschewanne mit ein paar Litern Wasser im Hof stehen und plantschten darin herum. Vermutlich pinkelte eine/r in die Wanne und eine/r putzte sich damit die Zähne. Einmal stach mich eine Wespe in die rechte Augenbraue. Ich konnte mehrere Tage auf dem Auge nichts sehen und lief herum wie Frankenstein. Ich konnte aber immer noch drei Stunden auf dem „Dippchen“ sitzen und nichts passierte. Kaum war ich aber in Windeln, die damals noch nicht „Pampers“ hießen und gewaschen wurden, da roch’s. Scheinbar fühlte ich mich erst dann richtig wohl, wenn ich in irgendeiner Form eingesaut war. Diese schönen Kindertage gingen aber irgendwann zu Ende, die Oma in Frankfurt war wieder fit und ich kehrte nach Hause zurück.

Nachdem ich dann auch alleine auf die Straße hinaustreten durfte, lernte ich meinen ersten Freund Michael kennen und mit ihm eine Spielgenossin namens Astrid. Von Michael lernte ich das Wort „Wasserhäusje“ und was es damit auf sich hatte. Astrid sollte mich später das erste Mal ins Kinder-Kino im Zentrum von Rödelheim mitnehmen. Das Kino gibt es heute nicht mehr, es ist ein Kaufhaus drin. Wir hielten uns abseits der Hauptstraße zwischen den Gärten von unbekannten Eigentümern auf, und nachdem Astrid uns einmal beigebracht hatte, dass Petersilie essbar sei, fraßen wir in den ganzen Gärten die Petersilie von den Beeten.

Nachdem wir die ganze Petersilie vertilgt hatten, besuchten wir Frau Schwarz, die in den frühen Sechzigern immer noch in einer Nachkriegs-Notunterkunft in den von uns unsicher gemachten Gärten wohnte. Die von dem Ehepaar Schwarz bewohnte Bretterbude hatte ihren interessantesten Punkt in der Küche, wo man in einer Ecke der Arbeitsfläche durch die Decke und das Dach den Himmel sehen konnte. Wenn es regnete, musste Frau Schwarz einen Eimer unter das Loch stellen. Die Bewohner des Rödelheimer Wasserturms, das Rödelheimer Wahrzeichen, trauten wir uns aber nie zu besuchen. Wir vermuteten darin einen grantigen Hausmeister, der uns mit einer Mistgabel davonjagen würde, sollten wir es wagen, bei ihm zu klingeln.

Das Jahr ging ins Land und das Gras wuchs langsam so hoch, dass wir uns darin verstecken konnten. Gesagt, getan. Ich versteckte mich zusammen mit Astrid mitten in einer Streuobstwiese und, um auch ganz genau mitzubekommen, ab wann wir gesucht würden, linste ich über das Gras zu demjenigen, der als erster mit Suchen dran war und lauschte seiner Zählerei. Als er rief: „Ich komme“, ließ ich mich auf alle Viere fallen und rammte mir einen Flaschenstumpf in die rechte Hand. Mein Gebrüll beendete diese Runde „Versteck Dich“, weil die ganze Bande, wir waren mittlerweile so acht, neun Kinder, aus ihren Verstecken hochschaute. So handelte ich mir meine erste Narbe ein.

Mit den großzügigeren Ausgangsregelungen nach dem Jahr bei meiner Verwandtschaft seitens des Papas, verschwand auch die Weigerung, weiter als bis zur Bahnschranke zu laufen. Eines Tages kamen wir, also meine Oma und ich, an der Kirche vorbei, als gerade der Organist übte. Da ich ein so klanggewaltiges Musikinstrument noch nicht gehört hatte, wollte ich unbedingt sofort in die Kirche. Ab diesem Ereignis war „Bahnschranke“ kein Thema mehr. Die einzige Schranke, die mich noch aufhalten konnte, war eher ein Gitter an einem Ende eines in die Röhre gezwängten Baches, dessen Durchlaufen meine erste Mutprobe darstellte. Etwas doof war die Sache schon, man musste nämlich unterirdisch hin und zurück, weil das Gitter am oberen Ende des Bachbettes einzementiert war. Das musste wohl so sein, da man sonst auf das Gelände eines Materiallagers der US-Army geriet und die das nicht haben wollte.

Nach dem bestandenen Mutpröbchen übten Michael, Astrid und ich im Spiel „Cowboy und Indianer“, dem ich beim besten Willen nichts abgewinnen konnte. Michael und ich sollten von Indianern überfallene Cowboys darstellen und Astrid die Kavallerie. Michael stöhnte herum, und ich, da ich keinen einzigen Indianer sehen konnte, weigerte mich, einen Verletzten zu mimen.

Einige Wochen später wäre aus dem Spiel beinahe blutiger Ernst geworden. Ich kam mit meinem Papa im Opel Kapitän aus der Innenstadt von Frankfurt und spielte an der Verriegelung und dem Öffnungshebel der rechten vorderen Tür herum. Ich weiß selbst nicht mehr wie, plötzlich war die Tür offen und ich wäre beinahe aus dem fahrenden Auto gefallen. Nur der Geistesgegenwart meines Vaters ist es wahrscheinlich zu verdanken, dass ich noch unter den Lebenden weile. Er griff blitzschnell zu, als ich aus dem Auto zu fallen drohte. Bei der Aktion wurde die Tür des Opels total zerdellt und musste erneuert werden. Ich war auf das höchste zerknirscht und wollte nie wieder in Papas Auto mitfahren.

Im Jahr darauf kam die Verwandtschaft, bei der ich untergekommen war, zu uns nach Frankfurt, um meine Cousine „abzugeben“. Wir beide, meine Cousine und ich, waren nahezu gleichaltrig und wir hatten uns schon immer blendend verstanden. Vorher hatte ich allerdings, zusammen mit meinem jüngeren Cousin, die Aufgabe übernommen, einen am gleichen Tag gelieferten, neuen Kühlschrank auszupacken. Damals gab es noch keine Kunststoffbänder und der Karton des Kühlschranks war mit Metallbändern zusammengehalten. Man brauchte eine spezielle Metallschere, um die Bänder zu durchtrennen. Eine solche Schere habe ich seit zig Jahren nicht mehr gesehen. Wir murksten also beide an der Verpackung des Kühlschranks herum, und der Eine wollte dem Anderen weismachen, dass er es am schlechtesten kann. Es endete mit Blut, weil mein Cousin es endlich gepackt hatte, eines der Bänder zu durchtrennen und dabei auch noch meinen linken Mittelfinger erwischte. Ich brüllte aber nicht, sondern leckte so lange an meinem Finger herum, bis der Blutstrom versiegte. Aufgeflogen sind wir dann trotzdem, weil der Kühlschrank auch etwas Blut abbekommen hatte und dieses beim Aufstellen entdeckt wurde.

Ich weiß gar nicht mehr, wo meine Cousine bei uns nächtigte; als ich bei ihr war, stellte dies kein Problem dar, weil es im Hause meiner Tante genug Betten gab. Aber ich war heilfroh, dass sie bei mir war. Als Erstes zeigte ich ihr meine „Zeltlandschaft“ die ich mit Tisch, Sesseln und Decken in meinem Zimmer aufbaute. Sie fand diese Sache sozusagen „geil“, obwohl es dieses Wort damals noch nicht gab. Wir hockten da so in unserer kleinen heilen Welt, als meine Cousine plötzlich anfing zu plappern. Ich fragte sie, mit wem sie da redet, und sie gab zur Antwort: „Mit meinem unsichtbaren Freund.“ Damals hätte ich sie fast ausgelacht. Heute, über fünfzig Jahre weiter – und belesener – weiß ich, dass sie die Wahrheit gesagt hatte.

Der nächste Unfug, den wir anstellten, hat seine Wurzeln in Grimms Märchen. Wir hockten unter der Eckbank in der Küche und hatten uns „Der Wolf und die sieben Geißlein“ herausgepickt. Einen Wolf in Form eines nigelnagelneuen blauen Balls mit weißen Kringeln hatten wir auch. Meine Cousine hatte irgendwoher ein „Kneipchen“ und schlitzte den Wolf-Ball kurzerhand auf. Dann trauten wir uns nicht mehr unter der Eckbank hervor, bis ich meiner Mama gestand: „Die Dada hat den Ball gekillt!“ Meine Mutter fand das nicht so schlimm und meine Cousine atmete tief durch. Im Winter bauten wir dann den dritten Scheiß, an den ich mich erinnern kann. Mein Vater hatte irgendwo im Feld Weidenkätzchen aufgetrieben und einige Zweige dieser geschützten Art geklaut. Diese standen im Garten in einem Eimer mit Wasser, welches an der Oberfläche gefroren war. Meine Cousine und ich waren einhellig der Meinung, dass es den Kätzchen zu kalt sein muss und wir pickelten sie kurzer Hand von den Zweigen. Als mein Papa dies sah, bekam er sein erstes graues Haar.

Im Frühjahr holte unsere Verwandtschaft ihre Tochter heim. Ich weiß es nicht mehr genau, aber ich glaube, sie bekam noch mit, wie mein Papa seinen ersten Jagdhund von einem Züchter abholte. Er hatte die Jägerprüfung bestanden und wollte nun auch einen Gefährten bei seinem neuen Hobby dabeihaben. Ich weiß nicht, ob es mein Vater nicht besser wusste, es vergessen hatte oder er die Kosten sparen wollte; jedenfalls ließ er den Hund nicht gegen Staupe impfen. Der arme Kerl wurde natürlich prompt krank, winselte nur noch herum und war ein Abbild des Mitleids, bis mein Vater den schweren Gang antrat und seinen Hund erschlug.

So, wie mein Papa mit seinem Spielzeug umging, tat ich es auch. Das erste Spielzeug, eine ineinander steckbare Serie von Würfeln, war mir zu primitiv und ich forderte komplizierteres Spielzeug. Daraufhin erhielt ich als Zweijähriger einen Metallbaukasten für Zwölfjährige, war total überfordert und ließ den Kram liegen. Das nächste Spielzeug, mit dem ich etwas anfangen konnte, war ein Brummkreisel, dem ich so hohe Drehzahlen abforderte, dass er schlichtweg überdrehte und seinen Geist aufgab. Bis dahin hatte ich an den Möbeln meiner Oma so einige Schrammen verursacht. Dabei wollte ich nur die Miniatureisenbahn im Innern des Brummkreisels auf eine vernünftige Geschwindigkeit bringen. Es war mir nicht vergönnt. Das nächste Spielzeug, für das ich Begeisterung empfand, war ein Polizeiauto mit Sirene und Blaulicht an einer Draht-Fernsteuerung. Alles aus Blech und heute vermutlich ein Vermögen wert. Ich fuhr mit dem Auto hin und her und vor und zurück, soweit die „Fernsteuerung“ es zuließ, und ging meiner Oma mit der Sirene gewaltig auf den Geist. Aber ich ließ mich bestechen. Und zwar mit Alkohol. Wenn ich das Likörgläschen meiner Oma, aus dem sie vorher einen Kirschlikör getrunken hatte, auslecken durfte, blieb das Polizeiauto an der Wache stehen und musste nicht zum Einsatz. Dementsprechend länger hielt das Auto meinen Malträtierungen stand. Aber schließlich gab der Draht von der Fernsteuerung zum Auto, der die Radstellung der Vorderachse steuerte, seine Funktion auf und so wanderte das heute so wertvolle Blechspielzeug allem Weltlichen hinterher auf die Müllkippe. Vielleicht ist es total plattgewalzt im Untergrund des „Monte Scherbelino“ zu finden. Aber die ganze Zeit über begleitete mich mein Teddy, der gegen Ende seines Daseins dem Teddy von Mr. Bean immer ähnlicher wurde. Zum Schluss operierte ich ihn noch am offenen Herzen, weil ich wissen wollte, mit was so ein Teddy gefüllt ist. Einige Zeit nach dem Polizeiauto begann die Ära der Lego-Bausteine. Das war eine feine Sache. Man konnte sein Spielzeug selbst entwerfen und die Bauteile waren so primitiv und haltbar, dass selbst so ein Rabauke wie ich die Bausteinchen kaum kaputtkriegen konnte. Ich hatte anfangs nur Mauer- und Dachsteine, sowie ein paar Fenster, sodass ich kaum etwas anderes als Häuser bauen konnte. Bald war ich als zukünftiger Architekt für Einfamilienhäuser abgestempelt. Eines schönen Abends wurde ich zu Bett beordert und mein Rohbau stand noch mitten in der Küche meiner Großeltern. Mein Opa wollte am nächsten Morgen wohl in seinem falschen Geiz Stromkosten sparen und latschte durch eine unbeleuchtete Küche mit Hindernis am Boden. Es kam, wie es kommen musste, nämlich zur Kollision, die meine Lego-Steine besser absorbierten als mein Opa. Der ging in die Knie und handelte sich blaue Flecken ein. Das sollte aber auf längere Sicht der letzte Schaden sein, den herumliegendes Spielzeug von mir verursachen sollte. Michael schaffte es noch, in meinem Beisein eine Kartoffel in den Auspuff eines LKW zu stecken, was der Fahrer aber im Spiegel gesehen hatte. Dann wurde unsere junge Freundschaft, wie auch die zu den anderen Kindern, unsanft auseinandergerissen.

Mein Vater begann sein Haus zu bauen, und das war nicht aus Lego-Steinen. Dabei musste ich mit ran, ob ich wollte, oder nicht. Ein beliebtes Procedere meines Papas war es, seinen Schubkarren viel zu voll zu laden und mich Fünfjährigen quasi als Zugtier vor den Schubkarren zu spannen. Ein voller Schubkarren ist ja an und für sich kein Problem, aber wir mussten auf einer Wegstrecke von 35 Metern Länge etwa eineinhalb Etagen derart bergauf, dass unser beider kumulierte Kraft nicht ausreichte. Mein Papa war aber auch zu stur, um den Schubkarren nur halbvoll zu laden; nein, mit halben Sachen geben wir uns nicht ab. Irgendwann merkte mein Daddy aber, dass er die Kraft meiner fünf Lenze doch nicht so richtig hatte einschätzen können und machte langsamer. Als er dann noch die Baumaschinen sah, mit denen die Baugrube ausgehoben wurde, wusste er, dass wir beide gegen solche Monster keine Chance hatten. Damals wurden Baugruben noch mit Raupen ausgehoben, statt mit Baggern wie heute. Raupen sieht man nur noch ganz selten. Beim Straßenbau vielleicht noch. Während der Bauerei durfte ich einmal ganz kurz in einem LKW sitzen, ein Magirus-Deutz mit Fronthaube. So eine Sache gibt es auch nur noch im Auto- und Technik-Museum. Aber so ein LKW ist Spielzeug für Erwachsene, ich hatte ein Kinderauto mit Tretkurbel-Antrieb und Dank einer Batterie und einiger Drähte konnte ich sogar mit Licht fahren.

Das Auto war das erste von drei Kinder-Fahrzeugen, die an drei aufeinander folgenden Geschenk-Tagen, sprich Geburtstag und Weihnachten, in meinen Besitz gerieten. Das Auto gab’s nun zu Weihnachten und ich bohrte als Erstes mit dem rechten Schlafaugen-Scheinwerfer ein anständiges Loch in die Wohnzimmerwand neben dem Weihnachtsbaum. Es sollte der einzige Unfall bleiben, zumindest mit diesem Auto. Am darauffolgenden Geburtstag wollte mein Papa mich mit einem neuen roten Roller überraschen. Mein alter grüner Roller hatte zwar seine besten Tage hinter sich, aber gegen diesen roten Großkotzroller mit drei statt zwei Rohren wollte ich ihn nun doch nicht eintauschen. Dies teilte ich meinem Vater mit den Worten: „Nö, der gefällt mir nicht!“ mit. Dies erzürnte meinen Papi derart, dass ich eine anständige Tracht Prügel bezog und er mir das Gefallen an dem neuen Roller schlagkräftig eintrichterte. Ich bin aber trotzdem mit dem roten Roller nie gefahren. Es war ja auch bald wieder Weihnachten und das erste Fahrrad, damals noch mit Stützrädern, stand unter dem Christbaum. Ab sofort waren Roller, Auto, ein früheres Dreirad, Roll- und Gleitschuhe, und was weiß ich noch, abgemeldet. Ich bestand auf der sofortigen Entfernung der Stützräder, schleppte das Fahrrad abends um 19 Uhr in den Hof und pflügte durch den Schnee. Darüber vergaß mein Vater sogar meinen Kommentar zu dem roten Roller, als er meine Begeisterung für das Rad sah. Als dann mein Daddy mit dem Hausbau begann und ich nicht mehr als Zugtier eingesetzt wurde, entwickelte sich mein Fahrrad mit mir zum ersten Fahrrad-Kurierdienst in Frankfurt, halt nur für eine Strecke, hin und zurück.

Auf der Baustelle selbst hatte mein Vater auch noch die eine oder andere Arbeit für mich, aber die war ihm noch nicht zehn Pfennige wert. Die Strafe dafür, dass er mich für mein Alter viel zu hart hat schuften lassen, bekam er dann auch noch auf der Baustelle. Der Rohbau stand und in einer Ecke stapelten sich die Äste der früher auf dem Gartengrundstück stehenden Bäume und mein Papa wollte sie verbrennen. Er kippte einige Liter Benzin über den Haufen und warf ein paar brennende Streichhölzer hinterher. Es machte „wouhf“ und der Haufen Geäst stand in Flammen. Allerdings fingen die Äste nicht an zu brennen und das Feuer fiel in sich zusammen, als der Sprit verbraucht war. Mein Papa schüttete nochmals Benzin in den Haufen und hatte nicht bedacht, dass irgendwo noch kleine Flämmchen züngelten. Jedenfalls verbrannte er sich die Schwarte am linken Unterarm recht heftig, ließ den Haufen brennen, wie er wollte und begab sich ins Krankenhaus, wo sie ihn derart gut versorgten, dass von der Verbrennung nach dem Abheilen nichts mehr zu sehen war.

Einige Tage später fuhr ich mit meiner Mama abends in der Dämmerung zur Baustelle, wo die Handwerker just dieser Tage den Estrich gelegt hatten. Wir kamen von hinten durch den zukünftigen Garten auf das Haus zu. Die noch nicht verglasten Balkontüren waren zwar mit gekreuzten Brettern irgendwie als gesperrt kenntlich gemacht, aber meine Mutter stieg mit einem ihrer Pumps über das Kreuz hinweg und bohrte mit dem Pfennigabsatz ein Loch in den noch frischen, nicht ausgehärteten Estrich. Mein Vater fluchte ausgiebig, als er von dem kleinen Loch erfuhr, und hätte mit zunehmender Verkleinerung des Löchleins vermutlich einen Schlaganfall erlitten. Als Strafarbeit für diese Sünde mussten meine Mama und ich beim Belegen des Dachbodens mit Nut- und Federbrettern mitarbeiten. Ich war mir zwar keiner Schuld bewusst, aber mitgegangen, mitgefangen. Die Bretter lagen natürlich in zwei Richtungen falsch herum auf dem Dachboden und mussten demnach zweimal gedreht werden. Irgendwie bekam ich das von Anfang an richtig hin, obwohl ich absolut keine Ahnung hatte, was ich eigentlich machte. Meine Mama war von diesem Glück nicht getroffen und wurde nach einigen Fehlversuchen von meinem Papa fortgeschickt. Dabei trat sie dann noch ein Loch in die Rigipsplatten, die die Dachsparren von unten verkleideten.

Ich arbeitete mit meinem Vater alleine weiter und die bei der Dachbodenbelegung verwandte Glaswolle fing alsbald an zu jucken wie tausend Mückenstiche. Als wir mit dem Dachboden-Boden fertig waren rannte ich das Treppenhaus hinunter, riss mir dabei die Klamotten vom Leib und sprang in die Nidda, die keine hundert Meter vor dem Haus entlangfloss. Nach ein paar Minuten hörte das Jucken der Glaswolle glücklicherweise auf.

Den nächsten Dienst-Tag im Rahmen des Baus erlebte ich in der Möbel-Stadt Kelkheim nicht weit von unserem baldigen Domizil. Meine Eltern suchten ewig herum, verglichen und verwarfen wieder und mir war stinklangweilig. Eigentlich war ich mitgefahren, um auch für mich ein paar passende Möbel zu besichtigen, aber zum Schluss musste ich das nehmen, was mir meine Eltern ins Zimmer stellten. Die alten Möbel waren einer entfernteren, recht ärmlichen Verwandtschaft versprochen worden, die diese auch abholten, als unsere neuen Möbel kamen. Die Schrankwand, die ich ins Zimmer gestellt bekam, ließ keinen Wunsch offen und hatte sogar einen Farbfernseher in einer noch recht schwarz-weißen Zeit. Damals gab es noch keine Fernbedienung, und so musste ich bei jedem Programmwechsel zu dem Gerät vorlaufen und einen, für heutige Verhältnisse riesigen, Knopf drücken.

Den größten Klops meines Kinderzimmers hängte mein Vater über mein Bett. Ein Ölbild mit einer Szene einer Fuchsjagd zu Pferde prangte dort für sage und schreibe 6000 DM. Ich konnte dem Bild absolut nichts abgewinnen, außer, dass es zu teuer eingekauft worden war. Ich hätte das Bild am liebsten abgehängt und zumindest auf den Dachboden gestellt, oder noch besser, gegen eine Märklin-Eisenbahn eingetauscht. Die wünschte ich mir zu jedem Geburtstag und jede Weihnachten und bekam sie nie. Stattdessen kaufte meine Familie ohne Hirn und Verstand der Spielzeugindustrie allen Scheiß ab. Nur ein einziges Mal schaltete da irgendwo ein Hirn auf „Denken“ und kaufte einen Baukasten Fischer-Technik 100. Beim nächsten Fest wünschte ich den 200er Baukasten und bekam noch mehr Mist. Schließlich klaute ich mir 40 DM zusammen und kaufte mir den ersten Rundkurs Märklin-Eisenbahn selbst. Ich bekam zwar eine Tracht Prügel für die Klauerei, aber die Eisenbahn durfte ich behalten und die Anlage wuchs fortan.

Ich hatte also endlich ein Wunsch-Spielzeug für den Winter. Im Sommer stromerte ich draußen herum und durchmaß mit meinem Fahrrad wohl alle Feldwege in der näheren Umgebung. Die Geographie an dem neuen Wohnort war der alten nicht unähnlich. Zunächst ein paar Gärten, in denen ich meiner Mama immer wieder mal Blumen klaute. Danach mussten drei Autobahnbrücken unterquert werden, danach stand man vor der offenen Prairie. Auch dort standen noch Nachkriegs-Notunterkünfte, die allerdings bis heute noch bewohnt sind. Das Ehepaar Schwarz war irgendwann weg und ihre Bude wurde abgerissen. Die Ähnlichen Landschaften waren nicht weiter verwunderlich, da wir ja „nur“ innerhalb eines Frankfurter Stadtteils umgezogen waren. Dem Neubau meines Papas war ein Kinderspielplatz gegenüber, für den ich allerdings meiner Meinung nach schon zu alt war. Aber es war der Treffpunkt der Halbstarken aus Rödelheim, mit denen ich das letzte Jahr vor der Schule verbrachte. Wir machten die Gegend unsicher, nisteten uns in ein ehemaliges Gartenhäuschen eines brachliegenden Grundstücks ein und übten uns im Schellekloppen. Manchmal hockten wir aber einfach nur auf den Bäumen des Spielplatzes und beunruhigten die Mütter der Kinder, die dort im Sandkasten nach vergrabenen Schätzen wühlten.

Im nächsten Winter hatten wir Gelegenheit, aus den Backsteinen eines im Stillstand verharrenden Baus eines Einfamilienhauses mit den dort vorhandenen Backsteinen eine uns genehme Bude aufzuschichten. Als Dach nahmen wir die Plane, die die Bauarbeiter über den Haufen Zementsäcke gelegt hatten. Der Zement war dann nach dem letzten Frost hinüber und keiner war’s gewesen. Auch der beleuchtbare Globus auf meinem Schreibtisch überlebte den Winter nicht, weil ich ihn fallen ließ, als ich ihn in die Steckdose stöpseln wollte.

Im Frühjahr hockten wir wieder auf den Bäumen und mir gelang es, eine junge Blaumeise im Baum auf meinen Finger zu locken. Eine bleibende Erinnerung und ein prägendes Ereignis in Bezug auf meine spätere Sichtweise von Wildtieren. Mein Vater steckte mich in einen Turnverein, in dem ich wohl der schwächste Athlet war und mir nur am Pimmel herumspielte. Mein Papa begutachtete mein Fortkommen in diesem Verein am Elterntag und meldete mich von diesem Verein ab. Er hoffte auf die bald beginnende Schule und den Schulsport, der aus mir einen rechten Sportsmann machen sollte.

Grundschule

Mein erster Schultag ist in Bild und Schrift festgehalten. Ich habe heute noch eine Schwarz-Weiß-Fotographie, die mich mit meiner Schultüte neben einer halbhohen Tafel zeigt, auf der steht: Mein erster Schultag 1966. Das Foto ließen meine Eltern bereits vor der Schule von einem Fotografen schießen, der sich auf sein Handwerk verstand, um nicht nach der Schule lange warten zu müssen, wenn alle Eltern ein Foto machen lassen wollten. Es war ja auch genug Zeit, da der erste Schultag erst um 10 Uhr begann. Außerdem musste ich dann nicht so lange warten, bis ich meine Schultüte plündern konnte. Von Plündern konnte aber kaum eine Rede sein, denn außer grüner „Holzwolle“ war kaum etwas drin. Nach dem Foto-Shooting standen meine Eltern mit mir etwas verloren auf dem Schulhof herum, weil kaum einer so früh angekommen war. Schließlich, der Schulhof war reichlich gefüllt, kam eine Lehrerin, stellte sich als Frau Hecht vor und sagte uns, dass sie „unsere“ Lehrerin sei und wir nun ihr folgen mussten.