Der Monika H. Sommerland Sammelband - Monika H. Sommerland - E-Book

Der Monika H. Sommerland Sammelband E-Book

Monika H. Sommerland

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Beschreibung

Drei Freundinnen im Liebeschaos Sandra, Laetitia und Martha sind beste Freundinnen und arbeiten in der internationalen Werbeagentur Wincox & Atherton. Sie genießen ihre Unabhängigkeit, Partys und das Großstadtleben. Wären da nicht der Millionenauftrag, der alles gehörig durcheinanderbringt, und der unsympathische, aber verdammt gutaussehende Sohn des neuen Großkunden! Da ist auch noch der nette Kerl von der geplatzten Party und natürlich der Chef der Agentur. Magdalenas Liebesmelodie Die Begegnung im Tunnel eines Zuges führt zwei Menschen zusammen, die fortan nicht mehr voneinander lassen können. Aber diese große Liebe ist mit Hindernissen verbunden, die von den Familien der beiden ausgehen, aber dennoch ein glückliches Ende nicht verhindern können. Eine große, europäisch verbundene Liebe führt den Leser auf eine aufregende Reise durch einige Stationen Europas, bis die beiden endlich den Ort ihres Lebens gefunden haben. Reisegefährten der Liebe Mitten in den schottischen Highlands rettet Ron Liliane. Sie bleiben als "Reisegefährten" zusammen. Schließlich führt sie ihr Weg nach London. Dort, inmitten der Freunde, findet Liane endlich neuen Lebensmut. Aber Rons und Lianes junge Liebe muss noch einige Bewährungsproben bestehen, bis sie endgültig zueinander finden. "Charaktere, die einen sofort in den Bann ziehen, witzige und spritzige Dialoge und Handlungen – ganz im Stil der guten alten Hollywood-Screwball-Komödien."

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Monika H. Sommerland

Der Monika H.

Sommerland Sammelband

Alle drei Liebesromane in einem Band

Roman

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Die Personen und die Handlung sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

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Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2024 by Monika H. Sommerland

Copyright © 2024 by:

Everweard Media & Publishing

Frédéric R. Bürthel

Friedrich-Naumann-Allee 29, 19288 Ludwigslust

www.everweard-publishing.com

Everweard Publishing ist ein Imprint

von

Everweard Media & Publishing

Umschlaggestaltung: FRB

Umschlagabbildungen iStock (Nazarii & Kudryashka)

ISBN 978-3-911352-08-6 (E-Book)

Monika H. Sommerland

Drei Freundinnen im Liebeschaos

Roman

Der Pianist spielte 'As Time Goes By', 'Night and Day' und lauter so alten Kram - schön gefühlvoll wie die musikalische Begleitung zu einer alten Stummfilmromanze. Das Lokal war auch entsprechend abgedunkelt. Auf jedem Tisch standen Kerzen und Kristallkaraffen mit Wasser. Die Kellner in schwarzem Frack und glänzend pomadisiertem Haar standen aufgereiht vor einem langen Büfett, als wollten sie jeden Augenblick anfangen, Operette zu singen.

Laetitia wurde nervös. Ihre Neugierde hatte sie wieder einmal dazu getrieben, viel zu früh zu einem Treffen zu kommen. Welche tolle Neuigkeit hatte Martha dazu veranlasst, sie und Sandra zu einem exklusiven Abendessen einzuladen? Konnte man das nicht zu Hause erledigen, bequem im Sessel, die Beine hochgelegt ohne diese Schuhe, die wieder vorne und hinten drückten? Schließlich wohnten sie alle zusammen und sahen sich jeden Tag.

Eine Zigarette! Ich brauche jetzt eine Zigarette. Sie wühlte in ihrer Tasche. Ganz unten war noch eine angebrochene Schachtel.

Sie wollte sich gerade eine Zigarette in den Mund stecken, da kam auch schon ein Kellner auf sie losgestürzt.

"Verzeihen Sie, gnädige Frau! In unserem Restaurant besteht Rauchverbot. Bitte nehmen Sie darauf Rücksicht. Außerdem ist Nikotin..."

"Noch ein Wort..."

"Ah, da bist du ja!" Sandra ließ sich auf den Stuhl neben ihr fallen. Ihr Kostüm war zu eng, es drückte um die Hüfte. "Ich glaube, ich habe schon wieder zugenommen. Was Martha auch vorhat, ich werde auf keinen Fall etwas essen! Du siehst natürlich wieder scharf aus. Bei deiner Figur brauchst du dir auch keine Gedanken ums Essen zu machen. Ich..."

"Liebe Sandra, sei still! Ich will diesen Kellner mit der Gabel erstechen und dem Pianisten jeden Finger einzeln brechen. Und dann will ich mir eine Zigarette anzünden, damit Feuer an den Gardinen legen, damit es hier endlich etwas hell wird. Dann möchte ich dieses Messer schleifen, um es Martha in die Gedärme zu stoßen, weil sie mir dies alles zugemutet hat!"

Sandra seufzte.

"Du hast ganz recht! Ich kann auf gar keinen Fall ein großes Menü verzehren. Aber vielleicht gibt es hier einen guten Salat. Saison Salat nennen die das, glaube ich. Und Mineralwasser! Das ist aber das Äußerste, was ich heute Abend zu mir nehmen kann. Wenn man essen geht, dann gerät alles außer Kontrolle. Zu Hause weiß ich genau, wie viele Kalorien und Brennwerte und so weiter alles hat. Aber in einem fremden Restaurant, na weißt du!"

"Liebe Sandra, ich bin in einer MORDSstimmung! Deshalb sag ich dir's ins Gesicht. Du spinnst! An deiner Figur ist überhaupt nichts auszusetzen. Du hast kein Pfund zu viel, eher zu wenig. Wenn du Kleider in deiner Größe anziehen würdest, dann könnte es sogar dir dämmern, dass mit deiner Figur alles in bester Ordnung ist."

Ein Kellner trat an den Tisch.

"Kann ich der jungen Dame die Karte bringen oder möchten Sie vorweg etwas trinken?"

Laetitia spielte mit der Gabel. Lichtreflexe wurden von der Kerze auf ihr rotes Haar geworfen. Es sah aus, als würde es jeden Augenblick anfangen zu brennen.

Sandra legte ihre Hand auf Laetitias Arm und sagte zu dem Kellner:

"Bringen Sie mir bitte ein Tafelwasser ohne Kohlensäure. Mit der Karte warten wir noch, bis unsere Gastgeberin eingetroffen ist. Danke!"

Sandra war eine richtige Schönheit, hellbraunes Haar, braune Augen, ein Profil wie eine griechische Göttin und eine Aura von Unerschütterlichkeit, die sie überall zum Mittelpunkt machte, um den sich alles abspielte.

Laetitia dagegen war eine ständige Bedrohung jeder Konvention. Rote Haare und weiße Haut, übersät mit Sommersprossen, ließen sie aussehen, als habe sie ständig Sonnenbrand. Sie konnte nicht längere Zeit ruhig dasitzen, immer musste sie etwas tun, wie jetzt - mit der Gabel auf den Tisch zu klopfen.

"Ist es nicht schön, dass wir einmal aus unserem Trott herauskommen?", sagte Sandra in beruhigendem Tonfall. "Wie lange waren wir schon nicht mehr zusammen ausgegangen!"

"Sandra, ich halt's nicht mehr aus!"

Der Pianist hieb auf die Tasten, die Tonleiter hinauf und hinunter, immer lauter und lauter, dann brach er abrupt ab.

In der plötzlichen Stille trat Martha an den Tisch. Sie strahlte.

"Hallo, Girls! Wir haben es geschafft!"

Martha trug ihr dunkelblaues Chanel Kostüm und diese teuren Schuhe mit den hohen Absätzen, die sie sich ja gar nicht leisten konnte.

"Herr Ober, bringen Sie uns doch gleich die Karte!" Sie setzte sich. "Ein Festessen, meine Lieben, das wir uns verdient haben!"

"Aber Martha, du weißt doch, mein Gewicht..."

"Papperlapapp, Sandra, Ausnahmesituationen erfordern außerordentliche Maßnahmen. Da gibt es kein Kneifen!"

Laetitia war nun wirklich am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Ihre Augenbrauen zuckten. Ohne jede Betonung sagte sie:

"Martha, was zum Teufel ist los?"

"Wir wollen jetzt erst einmal in aller Ruhe dinieren und das alles so richtig genießen..."

"Martha, wenn du die nächsten Sekunden noch erleben willst, sagst du sofort, was los ist!"

Jetzt erst fiel Martha auf, unter welcher Anspannung Laetitia stand. Und auch Sandra sah nicht besonders festlich gestimmt aus.

Ein Kellner brachte Sandra das bestellte Wasser und gab jeder eine Speise- und Getränkekarte.

"Na gut, dann will ich gleich berichten. Zuerst muss ich aber etwas trinken. Ah ja!" Mit einem Zug leerte sie Sandras Mineralwasser. "Jetzt geht's!"

Triumphierend schaute sie ihre beiden Freundinnen an.

"Wir sind jetzt ein Team!"

"Das waren wir doch schon immer", sagte Sandra. "Was ist daran neu?"

"Wir sind jetzt das Super-Spitzen-Team bei Wincox & Atherton! Wir drei machen den Echternach Auftrag!"

"Seit wann weißt du das?", fragte Laetitia.

"Seit heute Nachmittag. Ich habe euch sofort angerufen, damit wir gebührend feiern können. Nun, was sagt ihr dazu?"

Laetitia zündete sich eine Zigarette an.

Sandra öffnete einen Seitenknopf am Rock ihres Kostüms und sagte lässig: "Ja, wir haben es geschafft! Andererseits sind wir ja auch die Besten und es ist nicht mehr als gerecht. Martha, my dear, dann wollen wir ein richtiges Festmenu bestellen."

* * *

Am nächsten Morgen saß Martha in einem kleinen Café am alten Marktplatz und wartete. Die Sonne überlegte noch, ob sie sich wirklich die Mühe machen sollte, diese traurige Ansammlung dilettantisch zusammengezimmerter Verkaufsstände und die mürrischen Gesichter der Händler eines bedeutungslosen Flohmarkts in helles Tageslicht zu rücken. Außerdem nieselte es.

Der Kaffee war bitter und trotz drei Löffel Zucker nicht zu genießen. Heiß war er auch nicht, aber teuer.

Ein junger Mann kam herein. Er trug einen langen, schwarzen Ledermantel und einen breitrandigen Filzhut, Cowboystiefel, ohne Sporen – die musste er sich wohl erst noch verdienen – und einen langen, knallroten Wollschal, den er sich umgelegt hatte wie eine Schärpe. Sein Blick aus hellblauen Augen fiel auf Martha, die der einzige Gast in dem Lokal war. Sie zuckte unwillkürlich zusammen. Es war, als wolle jemand Besitz von ihrer Seele ergreifen. Ärgerlich schüttete sie noch einen Beutel Zucker in den inzwischen eiskalten Kaffee.

Der junge Mann nahm am anderen Ende des Raumes Platz, nachdem er sich überzeugt hatte, dass die Oberfläche des Stuhles der Kehrseite seines Körpers würdig war.

„Gibt es hier eine Bedienung?“, rief er.

Geschirrklappern im Nebenraum, dann kam die Bedienung hinter einer Klapptür hervor. Sie trocknete sich noch die Hände an ihrer Schürze ab, blickte auf den neuen Gast, hielt kurz inne, dann trat sie entschlossen an seinen Tisch.

"Frühstück?", fragte sie mit belegter Stimme. Sie war noch sehr jung, ein Lehrmädchen vielleicht oder Tochter der Besitzer. Die Haare waren kurzgeschnitten. In ihrem rundlich rosigen Gesicht gingen die kleinen Augen ängstlich hin und her.

Der junge Mann sah sie an wie der böse Wolf das Rotkäppchen, so, als wolle er sie gleich auffressen. Aber zuerst wollte er seine Vorspeise. Er bestellte Toast, Butter und Ei, halbweich, und - das geschah im recht - ein Kännchen Kaffee.

Das musste natürlich alles zubereitet werden.

"Wo bleibt mein Frühstück? Was ist das nur für ein Saftladen!", rief er schon nach wenigen Minuten.

Es kam keine Antwort. Dafür wurde das Radio eingeschaltet. Fröhliche Volksmusik lustiger Musikanten ertönte.

"Kann man nicht einmal am frühen Morgen seine Ruhe haben! Schalten Sie sofort dieses primitive Gedudel ab! Und wo bleibt mein Kaffee?"

Die Musik verstummte. Die Klapptür wurde aufgestoßen. Das Frühstück kam auf einem Plastiktablett in leicht zitternden Händen. Mit einem "Guten Appetit!" landete es mit etwas zu viel Schwung auf dem Tisch. Der Eierbecher kippte um, das Kaffeekännchen legte sich nach einiger Überlegung ebenfalls zur Seite. Braune Brühe ergoss sich über Toast und Ei.

Der junge Mann sagte kein Wort. Sein Blick hätte eine Legion römischer Söldner zur Umkehr gezwungen. Die junge Dame, die gerade die Funktion einer Kellnerin ausübte, nahm das überflutete Tablett und trug es vorsichtig zur Küche. Dabei versuchte sie, ein Grinsen zu unterdrücken. Dieser Anblick versöhnte Martha ein wenig. Vielleicht wird es doch noch ein unterhaltsamer Tag, dachte sie.

Der junge Mann war wohl total ausgehungert. Er schlug mit der Hand auf den Tisch.

"Wo bleibt mein Frühstück?"

Jetzt fiel ihm ein, dass da noch ein Gast im Lokal war. Zum Gruß klopfte er mit den Fingerspitzen an den Rand seines Hutes. Bin ich nicht ein gutaussehender, fescher Kerl, sollte diese Geste wohl bedeuten. Martha hatte wirklich genug. Das war der Augenblick, in dem sie am liebsten aufgesprungen wäre, um nach Hause zu gehen und unter die Bettdecke zu schlüpfen. Es war gestern doch etwas spät geworden. Aber sie hatte Marianne ein Versprechen gegeben. Es half nichts, sie musste warten.

Die Klapptür klapperte. Ein Frühstück schwebte herein und wurde behutsam abgestellt. Diesmal gab es keine Katastrophe, aber auch kein "Guten Appetit!".

Nachdem er das Besteck gründlich untersucht hatte, bestrich der junge Mann eine Toastscheibe mit Butter. Entweder war er sehr geübt oder der Toast nicht knusprig genug, auf jeden Fall zerbröckelte das Brot nicht. Mit Messer und Gabel zerlegte er die Scheibe in neun kleine Quadrate. Dann spießte er ein Quadrat auf und führte es zum Mund. Das macht der alles nur, um vor mir anzugeben, dachte Martha angewidert. Das Brotstückchen war kaum im Mund angekommen, da wurde es schon wieder herausgenommen.

"Bedienung! Das ist doch wirklich die Höhe! Die Butter ist ranzig!"

Der junge Mann nahm nun einen kräftigen Schluck Kaffee. Jetzt konnte Martha wahres Entsetzen auf seinem Gesicht sehen. Es war ein wunderschöner Anblick.

"Bedienung! Gift! Wollen Sie mich vergiften?"

Vorwurfsvoll starrte er Martha an, als sei sie Teil einer Verschwörung gegen die körperliche Unversehrtheit von Herrn Wohlgeboren.

Aus der Küche kam kein Laut. Die Klapptür klapperte nicht.

"Mir reicht’s!"

Der junge Mann stand auf und verließ das Lokal. Die Tür ließ er sperrangelweit offenstehen. Draußen hämmerten seine Stiefel auf dem Kopfsteinpflaster. Den roten Schal hatte er jetzt um den Hals geschwungen. Welch ein aufgeblasener Gockel, dachte Martha, ein Gockel mit rotem, geschwollenem Kamm!

* * *

Dann kam endlich Marianne. Mit einem lauten Seufzer ließ sie sich auf den Stuhl neben Martha fallen.

"Das wird ein einziger Reinfall! Ich spüre das. Schön, dass du gekommen bist, Martha, aber das wird nichts. Wie konnte ich mich auch nur auf so etwas einlassen!"

Rosaroter Regenmantel, roter Regenhut, rote Gummistiefel, Marianne war für die Sintflut gerüstet.

"Gehen wir!", sagte Martha und stand auf. Etwas zu unternehmen, war die einzige Möglichkeit, nicht dem Trübsal zu verfallen.

Marianne zog sie wieder zurück auf den Stuhl.

"Ich habe noch keinen Kaffee gehabt. Ohne Kaffee bin ich zu nichts zu gebrauchen!"

"Diesen Kaffee willst du bestimmt nicht."

Aber Marianne hatte schon die Bedienung herbeigewunken, die zaghaft den Kopf die Tür herausgestreckt hatte.

"Bringen Sie mir bitte ein Kännchen Kaffee, schwarz und ohne Zucker. Danke!"

Wenn ich es recht bedenke, dachte Martha, so gut kann ich Marianne auch wieder nicht leiden. Schließlich habe ich es ihr zu verdanken, dass ich jetzt hier sitze, statt in meinem warmen Bett zu liegen.

"Wo hast du deine Sachen?"

"Es ist noch alles im Kofferraum meines Bienchens." Bienchen war Mariannes Auto und gelb gestrichen mit weißen Streifen. "Ich habe die ganze Nacht nicht schlafen können. Das muss ich mir doch gar nicht antun, Martha! Ich lasse alles im Auto. Wir trinken gemütlich einen Kaffee. Dann gehen wir wieder nach Hause. So machen wir's! Jetzt bin ich wirklich erleichtert."

Der Kaffee kam. Marianne schenkte sich eine Tasse ein. Sie schaute hinaus auf den Marktplatz. Bewegungen waren zu sehen, schemenhaft wie ein Schattenspiel hinter einem grauen Schleier. Der Kaffee war heiß. Sie merkte nicht, wie ihr Magen sich zusammenzog, so sehr war sie in Gedanken versunken. Ich bin die Chefsekretärin von Wincox & Atherton. Ich habe hier überhaupt nichts verloren. Das ist nicht meine Welt.

"Ich bewundere dich," sagte Martha, "wie du dieses ekelhafte Zeug vertragen kannst!"

In diesem Augenblick kam die Botschaft ihres Magens in Mariannes Gehirn an. Sie wurde blass.

"Entschuldige mich einen Augenblick!", murmelte sie. Dann eilte sie zur Toilette.

Martha stand auf und ging zur Küche. Sie öffnete die Klapptür. Die junge Bedienung saß an einem kleinen Tisch, eine Zigarette im Mund und las die Horoskopseite der Tageszeitung.

"Ich möchte Sie nicht stören ..." Die junge Dame zuckte zusammen. "Ich bin halt etwas neugierig. Sagen Sie mir, wie bringen Sie es fertig, einen solchen Kaffee zu produzieren?"

"Er schmeckt nicht!" Die Bedienung drückte ihre Zigarette aus. "Ich weiß! Aber was soll ich machen? Ich verabscheue Kaffee. Ich trinke nur Tee. Da kenne ich mich aus. Ist es wirklich so schlimm?"

Martha setzte sich auf einen Stuhl. Die junge Dame war keine Schönheit, hatte aber eine gewinnende Ausstrahlung. Sie war der mütterliche Typ, den manche Männer so sehr mochten, und höchstens achtzehn.

"Wie heißen Sie? Ich bin Martha!"

"Ich heiße Giovanna! Meine Eltern hatten dieses Lokal vor zwei Jahren übernommen. Ich gehe aufs Gymnasium. Das ist der ganze Stolz meiner Eltern. Deshalb heißt es immer nur Lernen und Lernen. Ich soll es einmal besser haben. Im Lokal wollten sie mich nie sehen. Aber nun ist eine Schwester meiner Mutter gestorben. Da müssen sie zur Beerdigung nach Bergamo. Das Café wollten sie nicht schließen, soviel verdienen sie ja auch nicht. Da bin ich in die Bresche gesprungen. Das ist mir auf jeden Fall lieber, als auf eine Beerdigung zu gehen."

Marianne erschien in der Tür.

"Ah, da bist du!"

"Marianne, komm her! Darf ich dir Giovanna vorstellen? Giovanna, das ist Marianne."

Marianne nickte.

"Marianne," sagte Martha, "wie wär's, wenn du dieser jungen Dame zeigst, wie man einen richtigen Kaffee macht? Im Kaffeekochen bin ich eine Dilettantin im Vergleich zu dir."

"Nach diesem Schock bleibt mir gar nichts anderes übrig. Das wäre ja unterlassene Hilfeleistung und strafbar, wenn ich das nicht täte! Also, junge Verbrecherin, wo sind die Tatwaffen?"

Giovanna starrte die beiden verblüfft an, dann strahlte sie.

"Kommen Sie, Marianne! Ich zeige Ihnen alles."

Marianne begutachtete die Gastronomie Kaffeemaschine und die Kaffeesorten.

"Sie haben hier alle Voraussetzungen für einen exzellenten Gaumengenuss, junge Dame. Ich frage mich, wie kann das schiefgehen? Führen Sie mir einmal vor, wie Sie Kaffee machen."

Giovanna nahm eine Packung gemahlenen Kaffee und schüttete ihn in den Filterbehälter der Kaffeemaschine. Dann goss sie Wasser darüber und schaltete die Maschine an.

"Stop! Sofort ausschalten!" Marianne war entsetzt.

Giovanna erschrak. Man sah ihr an, dass sie nur mühsam die Tränen zurückhielt.

"Kindchen, Kindchen! Das kann man doch alles lernen. Also, das ist der Filter, da kommt pro Tasse ein Messlöffel gemahlenen Kaffee hinein. Das hier ist der Messlöffel. Hier ist die Kanne, da füllen Sie Wasser hinein. An diesen Markierungen können Sie ablesen, wieviel Wasser Sie für wie viele Tassen brauchen. Alles klar? Dann machen Sie einmal drei Tassen Kaffee!"

Giovanna holte den alten Filter mit aufgequollenem Kaffee heraus. Sie legte eine frische Filtertüte in den Filterbehälter, schüttete drei Messlöffel Kaffee hinein. Dann goss sie Wasser in die Maschine bis zur Markierung für drei Tassen. Nachdem sie Marianne fragend angeschaut hatte, drückte sie auf den Schalter.

Sie saßen zu dritt vor der Kaffeemaschine und schauten gebannt zu, wie langsam brauner Kaffee in die Glaskaraffe tropfte.

"Marianne kann nicht nur exquisiten Kaffee herstellen," sagte Martha, "sie ist auch die genialste Chefsekretärin, die ich kenne, - und zudem eine begnadete Künstlerin!"

"Martha, lass das!"

"Jawohl, eine begnadete Künstlerin! Leider ist sie auch etwas schüchtern."

Giovanna schaute bewundernd von Martha zu Marianne. Das waren zwei besondere Wesen. Solche Frauen kannte sie nur aus Fernsehserien. Sie fühlte sich klein und hässlich. Aber es war ein gutes Gefühl, mit ihnen zusammen in der Küche zu sitzen und zu plaudern, so als gehöre sie dazu.

"Marianne gestaltet Vasen, Krüge, Tassen, Becher und Teller. Alle in den herrlichsten Farben, richtig mediterran."

"Wo kann man die sehen?", fragte Giovanna.

"Eigentlich sollten sie heute Morgen ihre Premiere haben. Marianne hat einen Stand gemietet, da draußen. Ihr Wagen ist bis zum Zerbersten mit den herrlichsten Kunstwerken gefüllt. Aber jetzt hat die große Künstlerin Lampenfieber bekommen. Das lag sicher an diesem misslungenen Kaffee. Ich glaube, Giovanna, Sie können jetzt die Tassen füllen. Wenn der Kaffee gelungen ist, vielleicht versöhnt dies die zarte Künstlerseele und sie fasst neuen Mut."

Giovanna goss die Tassen voll.

Marianne probierte zuerst.

"Ah ja, so muss er sein!"

Giovanna trank einen Schluck.

"Das schmeckt wirklich gut! Vielleicht trinke ich in Zukunft auch Kaffee. Marianne, vielen Dank, dass sie unser Café vor dem Bankrott gerettet haben. Zum Dank schließe ich das Lokal für eine Stunde und helfe, Ihren Stand aufzubauen!"

"Das ist eine Verschwörung! Jetzt kann ich keinen Rückzieher mehr machen."

* * *

Der Stand war aufgebaut. Auf weißer Seide standen Vasen, Becher, Schüsseln und Schalen, alle bemalt in leuchtendem Gelb, Rot und Blau. Ein bestimmtes, etwas zerfranstes Blattmotiv war auf allen Objekten zu sehen. Es zeugte entweder von mutiger Genialität oder von trauriger Unfähigkeit. Schönheit liegt im Auge des Betrachters, heißt es. Das Auge wurde hier sehr herausgefordert.

Giovanna hatte ihnen geholfen. An den Kunstwerken hatte sie die Farben bewundert, war aber dann schnell wieder zu ihrem Café zurückgekehrt.

Martha betrachtete die ausgestellte Ware.

"Marianne, wie bist du zum Töpfern gekommen?"

"Mein Therapeut ... "

"Du hast einen Therapeuten?"

"Ich mag ja ein Ass als Chefsekretärin sein, aber sonst... da hab' ich so meine Probleme. Behalt's für dich! Es geht ja niemanden etwas an. Jedenfalls hat mich mein Therapeut dazu angeregt. Er meinte, ich müsste etwas mit meinen eigenen Händen gestalten. Das würde mir die innere Seelenruhe bringen, die ich brauche, um mit dem Alltagsleben zurecht zu kommen. Das ist alles etwas verzwickt. Ich schäme mich ein bisschen. Er hat mir einen Schubs gegeben, damit ich ins Wasser springe. Nun bin ich hier!"

Martha drückte Marianne spontan an sich.

"Das hast du ganz prima gemacht! Wirst sehen, es war nicht nur eine gute Therapie, im Handumdrehen wirst du noch berühmt und stinkereich!"

Marianne lachte.

"Martha, dir sieht man an, dass du eine besondere Klasse von Frau bist. Ich dagegen bin nur die brave, hart arbeitende Marianne, der man alles zumuten kann. Und dass ich hier sitze und darauf warte, dass wildfremde Menschen ein Urteil über meine Werke fällen, so wie bei einer Schulprüfung, das liegt mir noch schwerer im Magen als dieses Gebräu! Martha, mein Magen brennt, mein Hals ist trocken, mir fällt alles aus der Hand. Ich habe eine Scheißangst!"

Da saß sie, Marianne, Chefsekretärin in einer der größten Werbeagenturen der Welt, inmitten leuchtend bunter Gegenstände in einem rosaroten Regenmantel, bleich und verängstigt wie ein kleines Mädchen, das nicht gesehen werden will, aber mitten im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit steht.

"Ich bin bei dir!", sagte Martha. "Außerdem haben wir nur zwei Stunden, dann müssen wir sowieso ins Büro. Heute Mittag kommt dieser wichtige Kunde!"

Der Nieselregen hörte nicht auf. Auf dem Markt war wirklich alles grau. Die einzigen leuchtenden Farben gab es an Mariannes Stand. Trotzdem gingen alle Passanten nach einem kurzen Blick weiter. Niemand blieb stehen. Marianne war erleichtert. Die Zeit ging vorbei. Bald würde sie alles wieder einpacken - und niemals wiederkommen.

Ein langer, schwarzer Ledermantel, Cowboystiefel ohne Sporen, ein breitrandiger Filzhut und ein roter Wollschal - da stand er, der junge Mann aus dem Café. Er nahm eine Tasse in die Hand und betrachtete sie von allen Seiten. Er stellte sie wieder zurück. Sie wackelte ein wenig. Er nahm einen Becher und drehte ihn nach allen Seiten.

Marianne stand auf.

"Kann ich Ihnen helfen, junger Mann?"

Der junge Mann hielt ihr abwehrend die Hand entgegen. Ich will nicht angesprochen werden, hieß diese Geste. Er blickte Martha kurz an mit einem Blick, der sagte, wie können Sie mir das nur antun!

Jetzt nahm er eine Schüssel. Mit beiden Händen drehte er sie ins Licht. Dann stellte er sie wieder zurück.

"Haben Sie ein Brett?", fragte er.

"Ein Brett?", sagte Marianne verwirrt.

Der junge Mann drehte sich um und ging an einen Stand gegenüber. Er kam zurück mit einem glatten Holzbrett. Das legte er auf einen Stuhl. Dann nahm er eine Tasse und stellte sie auf das Brett. Das heißt, er versuchte es. Die Tasse blieb nicht stehen. Wie auch immer sie aufgesetzt wurde, kippte sie zur Seite.

Der junge Mann schaute Marianne eindringlich an und dann triumphierend Martha.

Als nächstes holte er einen Becher. Dasselbe Spiel, der Becher blieb nicht gerade stehen. Die Schüsseln wackelten, die Vasen neigten sich zur Seite. Eine Tasse blieb stehen, dafür bildete ihre Öffnung eine schiefe Kante.

Er nahm einen Krug, den mit der gelben Sonnenblume, und befeuchtete einen Finger mit der Zunge. Dann rieb er darüber. Die Farbe schmierte. Vorsichtig stellte er die Vase wieder zurück.

Ohne ein Wort zu sagen, drehte er sich um und verschwand in der Menge.

Marianne saß in der Ecke, leichenblass. Ihre Hände zitterten. Es sah aus, als ob sie jeden Augenblick losheulen würde.

"Jetzt hast du das Abscheulichste überstanden, was es an menschlichen Kreaturen gibt. Der Rest kann nicht mehr so schlimm werden!"

Da musste sogar Marianne lachen.

"Martha, ich bin froh, dass du bei mir bist! Komm, wir packen alles wieder ein." Dann fügte sie unerwartet trotzig hinzu. "Und das nächste Mal wird niemand mehr etwas daran herumzumäkeln haben!"

* * *

Martha, Sandra und Laetitia hatten den Fahrstuhl für sich allein.

"Schade, dass wir ‘Le bon père Boudu' nicht mehr betreten dürfen", sagte Sandra ironisch.

"Eine winzige Zigarette und ein klein wenig Asche in einem Wasserglas..."

"Das, meine liebe Laetitia", sagte Martha "hat mich etwas mehr Trinkgeld gekostet, als ich eigentlich bezahlen wollte!"

"Ich hätte doch so gern Feuer gelegt! Mir war so feuerlich zu Mute."

Die Fahrstuhltür öffnete sich zur Chefetage von Wincox & Atherton, einer der weltweit größten Werbeagenturen.

Frank kam ihnen gleich entgegen. Frank war der Chef.

Im Besprechungszimmer saßen noch Herbert, der die Budgets verwaltete, Manfred der Oberobergrafiker und Marianne, die den Kaffee machte und noch andere Sachen, wie alles koordinieren und Termine machen und telefonieren und Leute abwimmeln und den Chef loben und so weiter und so weiter...

...und ein junger Mann, blond, strahlend blaue Augen, dunkelgrüner Nadelstreifenanzug mit Krawattenschal - diesmal ohne Cowboystiefel, Filzhut und rotem Wollschal.

"Das ist Herr Echternach Junior, Adrian Echternach, unser Auftraggeber. Mit ihm müssen Sie klarkommen, meine Damen!"

Adrian gab ihnen die Hand, wobei er jede ernst anschaute. Ich könnte eigentlich alles selbst viel besser machen, sagte dieser Blick, aber ich habe weitaus Wichtigeres zu tun. Marthas Hand hielt er ein wenig länger.

"Adrian, ich stelle dir unser Dream Team vor. Martha führt die Regie, sie entwirft die Projekte und setzt sie in die Planung um. Laetitia schreibt das Drehbuch, sie entwirft die Texte und Exposés. Sandra macht die eigentliche Arbeit, nämlich die graphischen Entwürfe, Layout und Gesamtgestaltung. Damit Sie Hollywood nicht überbieten, sagt Ihnen Herbert von Stufe zu Stufe, was es kosten darf. Ich, ich bin nur da, um auf Papiere, die ich nicht verstehe, meine Unterschrift zu setzen. Und die gute Marianne sorgt dafür, dass die Maschinerie, wenn sie angelaufen ist, nicht ins Stocken kommt. Alles klar? Dann fangen wir an."

Es ging um viel, viel Geld. Es ging um ein Marketingkonzept Echternach national und international, lokal und global. Es ging darum, dass Echternach das Beste ist, das Größte auf dem ganzen Erdenrund, ja, dass alle anderen heimtückische, gewissenlose Betrüger sind und eigentlich nicht wert sind, überhaupt erwähnt zu werden. Es ging um Echternach Tafelwasser, das Martha gestern so nebenbei hinuntergekippt hatte, natürlich nicht um Tafelwasser, sondern um Table Water, Eau de Table oder sonst was Edles. Jeder weiß, Wasser ist Wasser. Diese Tatsache galt es zu verschleiern. Wasser als elitäres Kultgetränk, Echternach Table Water als Jungbrunnen für ein ewiges Leben.

Echternach Junior hatte sich mächtig ins Zeug gelegt, alle zu überzeugen. Das Dream Team schaute sich nur wortlos an. Die Absicht war klar und durchsichtig - eben wie Wasser.

Echternach Junior verabschiedete sich mit dem Hinweis, dass er im Grand Hotel verweile und jederzeit über den Stand der Dinge informiert werden möchte. Außerdem sei er bereit, selbst mit Einfällen und Anregungen behilflich zu sein.

Nachdem er den Raum verlassen hatte, trat erst einmal eine längere Schweigezeit ein. Man war ja einiges gewohnt von seinen Kunden, aber Echternach musste wirklich Weltspitze sein!

"Das schafft ihr doch mit links!", sagte Frank spöttisch.

"Wir wollten schon immer einmal Wasser in Wein verwandeln", antwortete Martha.

* * *

Cola light, Pizza aus der Mikrowelle, dazu die Tagesschau, der niemand so richtig zuhörte. Alles schnell, schnell, schließlich war Freitagabend und der Beginn eines wunderbaren Wochenendes.

Sandra legte Messer und Gabel neben den Teller, von dem sie kaum etwas gegessen hatte. Mit einer rosaroten Serviette tupfte sie sich die Mundwinkel ab.

"Eigentlich ist Essen eine ganz widerliche Angelegenheit. Eine in riesigen Bottichen zusammengerührte Pampe, versehen mit künstlichen Farb- und Aromastoffen, wird auf endlosen Fließbändern zu Pizzaformen zurechtgewalzt, mit ein paar dekorativen Abfallwurstzipfeln und verkohlten Gemüseresten verziert und dann in Verpackungen verschweißt, die verführerische Abbildungen von mit der Hand in Mutters Küche gebackener Pizza tragen. Das Ganze wird in Containern durch ganz Europa geschippert, in Supermärkten auf Paletten gestapelt, in Gefriertruhen aufeinander geschichtet, irgendwann in einen Einkaufswagen gelegt, in einer Einkaufstasche weitertransportiert, in das Gefrierfach eines Kühlschranks gelegt, da wieder herausgeholt, um für ein paar Minuten in einem Mikrowellenherd auf wundersame Weise, nach so vielen Gefrier- und Hitzetoden wieder zum Leben erweckt zu werden. Dann liegt sie erst auf meinem Teller und dann stundenlang und bleischwer in meinem Magen. Pizza Vesuvio nach Großmutter Ginas Geheimrezepten, ha!"

"Jetzt hast du mir schon wieder den Appetit verdorben!", zischte Laetitia. Dabei aß sie ungerührt weiter. "Moderne Zeiten erfordern moderne Nahrung. Der Mensch hat sich Gott sei Dank weiterentwickelt seit der Steinofenzeit. Du solltest dir auf den Packungen nicht nur die bunten Bildchen ansehen. Da stehen auch Texte drauf! Da kannst du lesen, wie nährstoffreich und ausgewogen solch ein modernes Nahrungsmittel ist. Der Beweis: Die Menschen leben länger! Ätsch!"

Martha hatte nicht zugehört. Das abendliche Gezänk kannte sie zur Genüge. Sie musste an eine arrogante, männliche Kreatur denken. Aber das war heilig: In ihrer gemeinsamen Wohnung wurde nicht von der Arbeit gesprochen.

"Welchen Wagen nehmen wir? Oder fahren wir mit der U-Bahn oder nehmen wir ein Taxi?"

Laetitia sprang auf. "Genug gegessen! Das hält uns nur vom Vergnügen ab. Also, ich denke, wir nehmen ein Taxi! Vielleicht wird die Party richtig toll und es dauert länger und keiner will dann noch ein Auto chauffieren. Nicht wahr, ihr Partyhyänen?"

Martha war zwar unausgesprochen der Kopf der Dreierclique, aber wenn es ums Organisieren ging, da galt, was Laetitia vorschlug. Vielleicht auch deshalb, weil sie es einfach machte, während die andern beiden noch am Überlegen waren.

* * *

Die Villa der Diebolds stand in einem Stadtviertel, das üppig begrünt war. Jedes Haus hatte einen großen Garten mit Bäumen, die oft über die Dächer hinausragten. In der Allee vor den Grundstücken standen noch alte Gaslaternen. Hier wohnten Familien, die schon seit Generationen ihre Anwesen pflegten und in Stand hielten. In diese Gegend konnte man nicht so einfach zuziehen. Da musste schon eine ganze Familiendynastie ausgelöscht oder, was dasselbe ist, bankrott gehen, bevor ein Haus zum Verkauf stand.

Es versteht sich, dass hier nur eine gediegene Party stattfinden konnte oder wenigstens geplant war. Sybille Diebold, einzige Tochter des Hauses, hatte sich verlobt mit Heinrich von Ottersfeld, zwanzig Jahre älter, aber dafür von Adel. Im Garten standen lange Tische mit weißen Tischdecken und vollgeladen mit Blumengebinden. Lampions hingen an langen Schnüren zwischen den Bäumen. Auf einer überdachten Empore stand ein üppig gedecktes Büfett direkt neben einer Bühne, auf der eine Band gerade eine Zigarettenpause machte. Es mussten hundert Gäste sein, die auf den Bänken saßen oder sich unter den Bäumen unterhielten.

"Wenn das die Verlobungsfeier ist, wie wird da erst die Hochzeit?", sagte Sandra. "Ah, da kommt ja unser Sybillchen!"

"Da bin ich aber erleichtert, dass ihr doch noch kommen konntet! Mein Heinrich will euch unbedingt kennen lernen."

Sybille Diebold war dürr und groß, so groß, dass sie sich angewöhnt hatte, ihr Rückgrat etwas nach vorne zu knicken, damit sie einigermaßen auf Augenhöhe mit ihren Mitmenschen reden konnte. So konnte man besser ihre strahlend weißen Zähne und ihren großen Mund bewundern.

Sie trug ein langes violettes Kleid und passend dazu hinter dem rechten Ohr eine violette Orchidee.

"Sybille, Sybille, wir freuen uns ja so für dich", sagte Sandra und gab ihr rechts und links einen Kuss auf die Wange. "Um nichts auf der Welt hätten wir uns das entgehen lassen. Nun musst du uns aber auch deinen Märchenprinzen vorstellen!"

"Er wird gleich wieder da sein. Er holt gerade mit seinem Rolls einen Bekannten ab. Aber stürzt euch erst mal in den Trubel. Da gibt es eine Menge netter, wohlerzogener junger Männer! Vielleicht findet ihr den richtigen - auf meiner Verlobungsfeier! Wäre das nicht toll?"

"Aber vor die Verlobung hat der Herrgott das Vergnügen gesetzt!", sagte Laetitia ungeduldig. "Deshalb zeige uns den Weg zur nächsten Whiskey Bar... oh, frage nicht, warum... Dann brauchen wir noch den Mond von Alabama und alles ist perfekt!"

Sybille wusste nicht, was sie sagen sollte, entgeistert schaute sie Laetitia an.

"Nimm das nicht so ernst", griff Martha ein. "Unsere liebe Laetitia ist in bester Partylaune. Da darf man sie auf keinen Fall aufhalten. Wir sehen dich später - und deinen Heinrich!"

In diesem Moment fing die Band an zu spielen. 'Strangers in the Night' geleitete die drei zu einem kleinen offenen Zelt, in dem es im Überfluss alles zu trinken gab, was man normalerweise nur in homöopathischen Mengen zu sich nehmen sollte.

Auf jeden Fall war das die Idee. Tatsächlich wurden die Getränke auf der anderen Seite des Zeltes durch einen Spalt gereicht, denn den eigentlichen Eingang konnte niemand betreten. Da saß eine kleine schwarze Bestie in der Gestalt eines Cairn Terriers, die jeden sofort anfiel, von dem sie annahm, er wolle das Zelt betreten.

Da war nichts zu machen. Außerdem war sie Frau Diebolds Liebling, die alle sooo süß fanden.

"Meine Sissi ist doch ein richtig scharfer Wachhund, findet ihr nicht?" Sie umarmte kurz Martha, Sandra und Laetitia. "Gut, dass ihr gekommen seid. Ich habe extra ein paar fesche Jungs für euch eingeladen, die muss ich euch gleich vorstellen."

"Henriette, stopp!", sagte Laetitia entschieden. "Wenn das eine Verschwörung ist von dir und deiner Tochter, dann gehen wir schnurstracks auf eine richtige Party!"

"Ich meine es doch nur gut mich euch." Henriette Diebold war gekränkt. "Ihr wisst doch, wie ich euch in mein Herz geschlossen habe. Schaut sie euch doch wenigstens einmal an! Das kann doch nicht schaden und vielleicht..."

"Wir sehen uns später!" Laetitia griff ihre Freundinnen am Arm und zog sie weg. "Kann denn niemand ertragen, dass wir frei, ungebunden und dazu noch glücklich sind!"

"Glücklich?", hauchte Sandra. "Bei meinen Gewichtsproblemen?"

"Du hast keine Gewichtsprobleme! Du hast einen Knall! Außerdem bist du glücklich, basta! Martha, sag doch auch einmal etwas!"

"Ach, nein! Das auch noch!" Martha war blass geworden.

Ein Rolls Royce war vorgefahren. Ein älterer Herr, wohl der Verlobte, und sein Bekannter stiegen aus. Es war, in einem hellgrauen Anzug, diesmal mit einer lila Krawatte, Adrian Echternach, blond und unsympathisch wie eh und je.

Ein leichtes Raunen war da und dort zu hören. Der begehrteste Junggeselle des Jahres ließ sich selten auf freier Wildbahn blicken. Das war eine einmalige Gelegenheit! Gleich war er umgeben von einer Schar junger und nicht mehr so junger Damen. Da wurde mit den Augen gezwinkert, die Haare zurechtgerückt und geschnattert und geschnattert.

"Einfach widerlich!", sagte Martha. "Kommt, wir gehen ins Haus und machen uns etwas frisch."

Aber keine der drei rührte sich vom Fleck, denn ein besonderes Ereignis schien sich anzubahnen.

Adrian Echternach wollte sich den Zutritt in das Getränkezelt nicht von einem kleinen Köter verwehren lassen.

Sissi lag gelassen auf dem roten Läufer, der Schwanz ging in ruhigen Bewegungen hin und her. Ab und zu blinzelte sie mal hierhin, mal dorthin, nur nicht in Richtung dieses Alphatieres, das sich jetzt vor ihr aufgestellt hatte.

Oh, raffiniert war er schon.

"Komm, Fresschen, Fresschen!"

So wedelte er mit einer verführerischen Bratwurst vor ihrer Nase.

"Das ist aber ein braves Hündchen! Hmmm, feines Fresschen!"

Sissi kannte sich aus. Sie war ein reinrassiger Cairn Terrier aus erstem Haus. Sie hatte einen echten Stammbaum im Gegensatz zu vielen Zweibeinern, die um sie herumstanden. Außerdem wusste sie genau, wo diese Wurst herstammte. Da gab es noch mehr.

Als sie schließlich gelangweilt gähnte, verlor der Hundebezwinger die Geduld und wollte sie am Hals packen.

Aber solch ein Hund ist im Grunde seines Wesens auf Jagd ausgerichtet. Von einem Augenblick zum andern biss Sissi kräftig in die Hand, die sie packen wollte, und entriss der andern die Wurst. Dann lag sie wieder genau auf der Stelle, auf der sie gelegen hatte. Aber jetzt hatte sie Vorrat, um ihre Belagerung noch lange fortzusetzen.

Bevor er irgendwelche Schmerzen fühlen konnte, sah Adrian das Blut, das von seiner Hand tropfte. Plötzlich drehte sich alles in seinem Kopf und er fiel nach hinten - direkt in Marthas Arme.

Sie sah in seine blauen Augen, die sich zur Seite drehten und sie mitzureißen schienen in einen Meeresstrudel, aus dem es kein Entrinnen gab.

"Dummer, dummer Junge!", fluchte sie und ließ ihn einfach auf den Boden fallen.

Sie drehte sich um und lief davon.

* * *

Stunden später.

Die meisten Gäste waren sittsam nach Hause gegangen. Nur eine kleine Gruppe saß vor dem glühenden Holzkohlegrill, Würstchen oder Steak auf dem Teller mit einem Brötchen und etwas Senf, dazu eine Dose Bier in der Hand.

Die Band war schon lange verstummt. Gesungen wurde auch nicht mehr. Die Gastgeber hatten Fenster und Türen von innen verriegelt, nachdem ein Polizeioberinspektor persönlich doch zu mehr Rücksichtnahme auf die hart arbeitende Nachbarschaft aufgerufen hatte, und Sybille, die Frischverlobte, zwischen Weinkrämpfen zu verstehen gab, dass sie nun keine Freundin mit dem Namen Laetitia mehr habe und mit den andern beiden auch nichts mehr zu tun haben möchte. Ihr Anverlobter, Heinrich von Ottersfeld, stand ihr dabei tatkräftig zur Seite, indem er mit ernster Miene nickte.

Kurzum, es war ein gelungener Abend für Laetitia.

"Was ist eigentlich aus unserem tapferen Helden geworden?"

"Seine Hochwohlgeboren hat ihn persönlich in seiner Luxuslimousine in die Klinik gefahren. Dort wurde er gegen Tetanus, Cholera, Schwindsucht und die Maul- und Klauenseuche geimpft. Vielleicht musste er auch notgeschlachtet werden. Man wird es wohl nie erfahren, denn er ist nicht zurückgekommen!"

Alexander grinste dabei ganz unverschämt, denn er konnte sich nicht genug freuen, dass es diesen eingebildeten Pinkel mal erwischt hatte.

Laetitia hatte Alexander einfach ins Schlepptau genommen und ihn den ganzen Abend über zu immer neuen Dummheiten angestachelt. Da war zum Beispiel das Wetttrinken, das zu ungemein heiteren Ergebnissen führte und auch dazu verhalf, dass die Stimmung etwas weniger weihevoll wurde. Dann der Karaoke-Wettbewerb, der alle Schranken einer leisen Abendgesellschaft sprengte. Und schließlich das improvisierte Feuerwerk mit Restbeständen vergangener Silvesterveranstaltungen, das zum Höhepunkt des Abends wurde.

An seiner Seite saß John, ein G.I., der nicht zur geladenen Gesellschaft gehörte. Ihn hatte die fröhliche Stimmung angelockt. Er wich nicht von Sandras Seite. Aber diese sah ihn nicht an, er war für sie Luft.

"Wir fahren jetzt nach Hause und feiern dort weiter!" Laetitia sprang auf, holte ihr Handy aus der Tasche und rief ein Taxi.

"Dieser Zombie kommt mir nicht in die Wohnung!", sagte Sandra entschieden.

"Na gut, aber Alexander nehmen wir mit!"

Als das Taxi kam, wollte John nicht zurückbleiben. Er versuchte, sich in das Taxi zu schieben. Aber mit vereinten Kräften gelang es, ihn auf das Trottoir zu stoßen. Das hielt ihn nicht davon ab, noch eine Straße lang dem Taxi nachzulaufen.

"Der arme Kerl kann einem direkt leid tun!" Alexander hatte selten soviel Spaß wie an diesem Tag. "Jetzt bin ich Hahn im Korb!"

"Soll das heißen, du hältst uns für dumme Hühner?"

"Nicht doch! Ich halte euch für schmackhafte Hühner!"

Alle mussten lachen, sogar der ortsunkundige Taxifahrer, der schon mehrfach nachgefragt hatte, wo er langfahren solle. "Vielleicht möchten sie doch lieber zum Wienerwald fahren, junger Mann?"

"Meinen Sie, dorthin würden Sie den Weg finden?"

Die Fahrt mit dem Fahrstuhl zur Penthouse-Wohnung enthüllte, dass Alexander doch nicht mehr ganz auf der Höhe war. Er drohte öfter seitlich zu kippen. Laetitia und Martha mussten ihn etwas stützen, bevor sie die Wohnung erreichten.

"Da hilft nur starker Kaffee!", sagte Laetitia. Sie ging in die Küche und schaltete die Kaffeemaschine an.

Als sie zurückkam, saß Alexander auf dem Sofa und starrte auf den Tisch, als wolle er ihn mit seinem Blick auf der Stelle festnageln.

Sandra und Martha betrachteten dieses Musterexemplar eines Mannes. Ingenieur war er, Hoch- und Tiefbau, Tunnel oder Brücken entwarf er. Ein richtiges Ass auf seinem Gebiet sei er, sagte Heinrich von Ottersfeld, der über alles Bescheid wusste.

Immer wieder fielen ihm die Augen zu.

"Ist er nicht süß?", sagte Laetitia.

"Zu was ist eigentlich so ein Mann gut?" Sandra zog sich ihre wieder einmal zu engen Schuhe aus. "Wer braucht so etwas?"

"Schau doch mal die kleinen Löckchen, das Grübchen auf der Stirn... ist er nicht zum Anbeißen?"

"Ich sage euch“, sagte Martha entschieden, “so etwas kann einem das ganze Leben versauen! Ein Augenblick der Schwäche, ein klein bisschen sogenannte Romantik und schon hat man sich etwas ins Haus geholt, das einem vorschreibt, was man zu tun hat und was man auf keinen Fall tun darf. Das ist, als wenn man die heilige Inquisition auffordert, einen zu quälen und zu bespitzeln, bis man selbst das Feuer an dem Scheiterhaufen entzündet, nur um endlich wieder Ruhe zu haben!"

"Aber ist er nicht süß?"

"Nun zugegeben!" Sandra betrachtete den schlafend zur Seite gekippten Jüngling. "Aber zu was ist er zu gebrauchen? Wir kommen hervorragend ohne so etwas aus. Da hast du recht, Martha, niemand redet uns hinein. Wir verstehen uns, auch ohne alles umständlich zu erklären. So etwas würde alles kaputtmachen!"

Laetitia holte den Kaffee und stellte ihn auf den Tisch.

"Ich glaube, den brauchen wir nicht mehr. Vielleicht ist es auch besser so! Ich hole noch eine Decke für ihn. Dann reicht es für heute!"

Martha träumte, sie werde in einen tosenden Strudel hellblauen Wassers hineingezogen, in dessen Zentrum tausend Sonnen strahlten.

* * *

"Alle, sofort zum Chef!"

Marianne, Chefsekretärin von Wincox & Atherton, war sichtlich mit ihren Nerven am Ende. Mehrere Telefone läuteten gleichzeitig. Die neue Hilfskraft war am frühen Montagmorgen nicht erschienen. Sie hatte verschlafen.

"Wo bleibt mein Kaffee?", schrie Frank durch die offene Tür.

"Nehmt ihm das mit!" Sie drückte Martha das Tablett mit Kaffeekanne, Zuckerdose und Tasse in die Hand. "Je weniger ich den heute zu sehen bekomme, desto besser für meine Gesundheit!"

Franks Schreibtisch war vollständig leer. Dort stellte Martha das Tablett ab. Auf dem Boden zur rechten hinteren Ecke hin lagen verstreut Papiere, Notizblöcke, Bleistifte, Lineal, Locher, Scheren, Klebstoff, Briefe und der Bilderrahmen mit der Photographie einer ungerührt weiterlächelnden Sauerstoffblondine, Franks letzter Flamme. Da hatte jemand reinen Tisch gemacht.

"Einen wunderschönen Montagmorgen!", strahlte Laetitia, denn sie witterte Action. "Wir sind angetreten, unsere Pflicht als unterbezahlte Lohnsklaven zu erfüllen."

"Ihr bekommt keinen Lohn, sondern ein Gehalt, für das ich so hart schuften muss, dass mein Privatleben in die Brüche geht. Wie kann man sich auch nur auf Weiber einlassen! Ich werde nur noch Männer einstellen. Aus China lass ich die einfliegen! Die machen, was ich sage, und lächeln noch dabei. Und billiger sind sie auch noch!"

"Aber sie sind nicht so süß!"

"Nehmen Sie bitte Platz, meine Damen!", sagte Frank sarkastisch.

Es gab aber keine intakte Sitzgelegenheit mehr. Alle Stühle lagen zertrümmert über den ganzen Boden zerstreut.

"Nein, danke! Zum Befehlsempfang stehen wir lieber stramm." Laetitia führte eine Hand zum militärischen Gruß an ihre Schläfe.

"Um Gottes Willen, Frank, was ist denn passiert?" Sandra goss ihrem Chef Kaffee ein.

Jedermann wusste, dass Sandra eine Schwäche hatte für diesen Mann, der von einer irregeleiteten Liaison in die nächste katastrophale Beinah-Ehe stolperte. Alle wussten es, außer Frank. Dem war offensichtlich nicht zu helfen.

"Sandra, meine Liebe, das ist mein ganz privater Masochismus, den möchte ich für mich behalten. Kommen wir lieber zu unserer Arbeit. Es kam da ein Anruf von einem gewissen Heinrich von Ottersfeld. Rausschmeißen soll ich euch alle und zwar sofort. Wie findet ihr das?"

"Mit einer dicken, dicken Abfindung!" Laetitia kam in Fahrt. "Mädels, dann machen wir eine eigene Agentur auf. Mit unserem Charme und Genie angeln wir uns alle Kunden von Wincox & Atherton. Da können wir endlich zeigen, was wir draufhaben. Stinkereiche Unternehmer werden wir dann, keine Lohnsklaven. Wenn wir unser ständig wachsendes Vermögen..."

"Danke, Laetitia, das war sehr hilfreich." Martha musste jetzt einschreiten, bevor die Sache ausufern konnte. "Dieser von Ottersfeld fällt in den Bereich Freizeitgestaltung und hat mit unserer Arbeit hier nichts zu tun."

"Das habe ich ihm auch gesagt. Er hatte mir aber heute Morgen gerade noch gefehlt. Also, es geht um Folgendes: Adrian Echternach Junior, bitte vergesst das Junior nicht, das bedeutet nämlich, dass es da noch einen Senior gibt und mit dem ist nicht zu spaßen. Adrian Echternach Junior ist wohl von einem wilden Tier angefallen worden. Er darf auf ärztliche Anordnung seine Suite im Grand Hotel nicht verlassen, da er unter Medikamenten steht und wohl weiterer Beobachtung bedarf. Um unseren Auftrag, mit dem ich, liebe Laetitia, überaus verschwenderisch Gehälter finanziere, endlich in Gang zu bringen, muss jemand von euch... du, Martha, du musst den Burschen besuchen und ihn dazu bewegen, unserem Grobkonzept zuzustimmen oder, wie er drohte, uns seine eigenen Ideen mitzuteilen. Machst du das, bitte, meine Liebste?"

"Soll ich da allein hin?" Martha wurde ganz schwach im Magen bei dem Gedanken, diesem von sich selbst so eingenommenen Stößel ohne Netz und doppelten Boden entgegentreten zu müssen.

"Aber, aber! Wenn ihr zu dritt auftaucht, bekommt der doch Angst. Das geht jedem Mann so. Schaut nur mich an. Ich verliere jedes Mal die Fassung, wenn ich euch zusammen sehe!"

"Martha, du kannst das!" Sandra hatte das Gefühl, sie müsse sich noch etwas um den armen, verlassenen oder was auch immer, unglücklichen Frank kümmern. "Du bist die geborene Diplomatin. Ich bin nur eine bescheidene Künstlerin und Laetitia... nun, Laetitia ist Laetitia."

Damit war alles gesagt.

* * *

Die Suite 107 des Grand Hotels war riesig, sonnendurchflutet und roch nach Veilchen. Es gab aber nirgends Veilchen, nur Sybille Diebold stand wie von der Tarantel gestochen von dem Hocker auf, der neben dem Bett des Kranken stand. Ohne Martha eines Blickes zu würdigen, schwebte sie in einer Parfumwolke aus dem Raum.

"Sie sind meine Rettung! Machen Sie bitte alle Fenster auf."

Die Fenster führten zu einem geräumigen Balkon, der einen ungehinderten Blick auf den Fluss bot.

"Warum liegen Sie im Bett? Sind Sie krank oder wollen Sie sich verstecken?"

"Wie Sie wissen, wurde ich von einem Hund gebissen!"

"Einem kleinen süßen Hündchen, das man ohne Weiteres hätte in Ruhe lassen können."

"Mit heimtückischem Wesen und scharfen Zähnen..."

"Modernste medizinische Versorgung..."

"Aber das ist es doch! Ich habe die Spritze nicht vertragen. Eine Überreaktion auf irgendeinen Stoff im Serum."

"Ach!"

Martha war aus einem ihr unbekannten Grund wütend. Es regte sie alles auf, die großkotzigen Zimmer, das riesige Bett mit den Brokatbommeln und vor allem der käsig blasse Bursche, der darin lag.

"Protziger ging es wohl nicht mehr? Eine ganze Suite im teuersten Hotel der Stadt musste es sein, für eine einzige eingebildete Person ohne Hunde- oder sonstigen Verstand!"

"Ich habe studiert!", sagte Adrian zaghaft.

"Die sind mir die Richtigen, die unsere höheren Bildungseinrichtungen vollstopfen, anderen die Studienplätze wegnehmen, die die Begabung, aber nicht das Geld haben, nur weil Papa Beziehungen hat und seinen Sprössling unbedingt die Karriere hochpeitschen will, obwohl das Bübchen lieber mit seiner Eisenbahn spielen möchte, was auch eher seinem geistigen Niveau entspricht!"

"Das war ein sehr langer Satz!"

"Und dazu noch arrogant und herablassend denen gegenüber, die sich alles selbst und ohne fremde Hilfe erarbeiten müssen, dafür aber die Gewissheit haben, wirklich etwas geleistet zu haben."

"Habe ich etwas verbrochen? Kann ich das je wieder gut machen oder soll ich mich gleich den Balkon hinunterstürzen?"

"Aufschlussreich war diese Sache mit Sissi! Niemand hatte es gestört, dass der süße Hund auch seinen Spaß an der Party haben wollte. Aber nein, da kommt ein aufgeblasener Gockel daher und will all den schnatternden Hennen um ihn herum beweisen, was für ein toller Kerl er doch ist. Und wie will er das anstellen? Dadurch, dass er das Vertrauen eines Wesens, das seit Urzeiten der beste Freund des Menschen ist, heimtückisch missbraucht und ihm vortäuscht, er wolle ihm etwas Gutes tun. Das war der Gipfel an Niedertracht!"

"Das war eine Jagdlist!"

Adrian hatte sie die ganze Zeit angesehen, als beobachte er ein Naturereignis, einen Sonnenaufgang oder einen Vulkanausbruch. Martha hatte das Gefühl, sie rede nur und rede, um nicht etwas ganz anderes sagen zu müssen.

"Wenn Sie so freundlich sein könnten, einen Augenblick auf den Balkon zu gehen, damit ich mich umziehen kann. Dann können wir ganz normal miteinander reden."

"Ha!"

Martha setzte sich auf einen Balkonstuhl. Die Sonne war schon ziemlich warm. Vögel zwitscherten. Auf dem Fluss schrien die Möwen. Grillen zirpten. Alles war so friedlich. Die Augen fielen ihr zu.

Plötzlich schreckte sie auf. Ihr gegenüber saß Adrian Echternach Junior und grinste.

"So was Dummes!", murmelte sie. "Habe ich schon länger geschlafen?"

"Viel zu kurz! Ich habe Sie die ganze Zeit in Ruhe betrachten können. Später werde ich aus der Erinnerung heraus eine Graphik erstellen."

"Unterstehen Sie sich! Das Copyright liegt immer noch bei mir."

"Dann wird es eben eine Raubkopie! Außerdem male ich nicht Sie, sondern die Vorstellung, die in meinem Kopf ist. Ähnlichkeiten sind rein zufällig."

Martha wurde es unbehaglich, als er sie weiterhin so ansah, als sei sie ein Modell, das er gerade Stück für Stück nachzeichnete. Abrupt stand sie auf und trat an die Brüstung.

"Ich habe Ihnen sogar etwas mitgebracht!", sagte sie und ging hinaus zur Garderobe und holte das als Geschenk verpackte Stück Torte, das sie in einer Bäckerei neben dem Hotel gekauft hatte. "Das macht man bei Krankenbesuchen so."

"Prima! Dazu bestellen wir uns Kaffee."

Er ließ Kaffee, Teller und Besteck für zwei kommen.

Er teilte das sowieso schon nicht besonders breit geschnittene Stück Vanillecremetorte in zwei Teile. Die konnten nicht mehr aufrecht stehen und fielen zur Seite.

"Das sieht jetzt wirklich traurig aus!", sagte Martha amüsiert.

"Es ist die Idee, die zählt. Deshalb sage ich: Vielen Dank und Guten Appetit!"

Die Torte schmeckte nach irgendetwas, nur nicht nach Vanille oder gar Vanillecreme.

"So geht das nicht!", sagte Martha entschieden. "Das macht mich ganz nervös, dieses Sie und Ihr und so. Wenn wir nicht auf der gleichen Ebene miteinander reden können, dann sollten wir es ganz sein lassen. Mein Name ist Martha."

"Toll, das gefällt mir! Ich bin Adrian! Adrian und nicht Junior, wie manche fälschlicherweise annehmen. Gibt es einen Freundschaftskuss?"

"Mit Freundschaft hat das nichts zu tun. Ich möchte dir nur ungehindert meine Meinung ins Gesicht schleudern!"

"Nur zu, nur zu! Aber ich fang an. Dieser Kuchen war ein großes, eher kleines Stück Dreck! Der hat nach nichts geschmeckt. Da kann man genauso gut Tapete fressen. Wenn du mal richtigen Kuchen essen willst, dann musst du den von meiner Großmutter probieren. Die macht das alles selbst. Das schmeckt dann wirklich nach Torte!"

"Hat die nichts Besseres zu tun, als Kuchen zu backen?"

"Kuchen, Torten, Gebäck, Kaffeestückchen und Knödel, selbstgemachte Nudeln, Kartoffelsalat, Rinderbraten mit köstlichen Bratensoßen und Pudding, Eis, Marmeladen, frische Salate, Gemüse aus dem Garten, Apfelkompott, Sauerkraut aus dem Fass..."

"Genug, genug! Reden wir vom einundzwanzigsten Jahrhundert oder vom Mittelalter?"

"Wir reden davon, wie es immer noch sein sollte. Das alles nach ökologischen Richtlinien angepflanzt und behandelt, nach alter Tradition zubereitet und serviert werden sollte. Das ist wirklich gesund und gibt Abwehrkräfte."

"Es sei denn, ein kleines unschuldiges Hündchen leckt mit seiner harten Zunge über deine zarte Haut!"

"Das war jetzt unfair! Ich sagte doch, schuld war die Spritze!"

"Den Kuchen hast du trotzdem gegessen."

"Aus reiner Höflichkeit und weil... nun, weil du ihn mitgebracht hast."

"Hoffentlich habe ich dich jetzt endgültig vergiftet!"

Martha wurde ganz kribbelig. Das lief alles nicht gut. Das lief in eine Richtung, die ihr gar nicht gefiel. Dabei schauten diese blauen Augen sie an, als wüssten sie Dinge von ihr, die sie selbst nicht wusste. Das musste ein Ende haben!

"Kommen wir zum Zweck meines Besuchs. Wincox & Atherton..."

"Nichts da von Wincox & Atherton und von Echternach & Echternach und von X und Y. Reden wir von uns! ... Ich liebe dich!"

"Was?"

"Ich liebe dich!"