Der Musterknabe: Ein Roman aus den Masuren - Fritz Skowronnek - E-Book

Der Musterknabe: Ein Roman aus den Masuren E-Book

Fritz Skowronnek

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Beschreibung

In "Der Musterknabe: Ein Roman aus den Masuren" entführt Fritz Skowronnek die Leser in das faszinierende und oft konfliktbeladene Leben einer kleinen Gemeinde in den Masuren, einer Region, die von historischen Umwälzungen geprägt ist. Der Roman ist in einem klaren, bildhaften Stil verfasst, der es dem Leser ermöglicht, tief in die Emotionen und Konflikte der Protagonisten einzutauchen. Skowronnek gelingt es, die Komplexität zwischenmenschlicher Beziehungen und die Herausforderungen des Erwachsenwerdens in einem kulturell vielschichtigen Umfeld meisterhaft zu erfassen, indem er sowohl skurrile als auch ernste Elemente miteinander verwebt. Fritz Skowronnek, als professioneller Schriftsteller und Kenner der Masurischen Kultur, bringt persönliche Erfahrungen und regionalhistorisches Wissen in seine Erzählung ein. Aufgewachsen in dieser einzigartigen Landschaft, reflektiert er in seinem Werk die Sehnsüchte und Ängste seiner Mitmenschen, was dem Roman eine authentische Stimme verleiht. Seine Fähigkeit, die Vergangenheit lebendig werden zu lassen, zeugt von einer tiefen Verbundenheit mit den Traditionen und Geschichten der Region. Dieses Werk empfiehlt sich für Leser, die an fesselnden Geschichten interessiert sind, die sowohl soziale als auch psychologische Aspekte beleuchten. "Der Musterknabe" ist nicht nur eine Coming-of-Age-Geschichte, sondern auch ein Spiegel, der die Leser dazu einlädt, über die eigenen Wurzeln und die Dynamiken von Gemeinschaften nachzudenken. Ein unvergessliches Leseerlebnis, das lange nachverhallt. In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen: - Sorgfältig ausgewählte unvergessliche Zitate heben Momente literarischer Brillanz hervor. - Interaktive Fußnoten erklären ungewöhnliche Referenzen, historische Anspielungen und veraltete Ausdrücke für eine mühelose, besser informierte Lektüre.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Fritz Skowronnek

Der Musterknabe: Ein Roman aus den Masuren

Bereicherte Ausgabe. Ein Roman voller Traditionen und Konflikte in den masurischen Landschaften
In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen
Bearbeitet und veröffentlicht von Good Press, 2023
EAN 4066339519213

Inhaltsverzeichnis

Der Musterknabe: Ein Roman aus den Masuren
Unvergessliche Zitate
Notizen

Der Musterknabe: Ein Roman aus den Masuren

Hauptinhaltsverzeichnis
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel

1. Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Langsam senkte sich der Abend hernieder. Die Sonne stand tief im Westen, von starken Dunstmassen so verschleiert, daß man ungeblendet in die große, brandrote Scheibe blicken konnte. Von Osten her war ein schwacher Wind aufgesprungen, der etwas Kühlung brachte. Seine Kraft reichte jedoch kaum hin, die Oberfläche des Sees zu kräuseln. Strichweise nur liefen winzige Wellen, vom Volksmund „Katzenpfoten[1]“ genannt, über den glatten Spiegel. Dazwischen lagen weite Strecken des mächtigen Sees so glatt da, als hätte sich Öl über seine Oberfläche gebreitet.

Zahllose kleine Kreise, die fortwährend aufsprangen und spurlos verzitterten, wenn sie die Größe eines Tellers erreicht hatten, zeigten, welch’ reiches Leben das Gewässer barg. Myriaden kleiner Fischlein schossen blitzschnell dicht unter der Oberfläche durch das klare Wasser und schnappten nach den langbeinigen Mücken, die sorglos im Abendsonnenschein tanzten. Ab und zu schoß ein Raubfisch von unten zwischen die Menge. Dann sprangen die Geängstigten zu Hunderten mit einem jähen Ruck aus dem Wasser empor, um dem Verderben zu entrinnen.

In dem dichten Schilf, das im Windhauch hin und her wogte, stand ein kleiner Kahn. Nur seine Spitze ragte in das freie Wasser hinaus. Darin saß ein großer, starker Mann, der fleißig die Angelruten handhabte. Ein breitrandiger Basthut saß auf dem vollen, leichtergrauten Haar. In dem freundlichen Gesicht blitzten lustig die klugen Augen, die unablässig von einer Angel zur anderen wanderten. Da — — jetzt versank langsam einer der Korkschwimmer. „Das Raubzeug ist heute gefräßig,“ murmelte der Angler vor sich hin, „aber mein Vorrat an Würmern neigt sich zum Ende, ihr werdet fortan, wie ich euch kenne, auch mit kleineren Happen vorlieb nehmen.“ Mit starkem Ruck zog er die Angel in die Höhe, der Fisch saß am haken, ein starker Barsch, der sich heftig im Wasser sträubte, bis er an den Kahn gezogen und mit dem Käscher hineingehoben wurde.

Vom Dorf her kam schwatzend und lachend eine ganze Schar kleiner Knaben und Mädchen. Im Nu hatten sie ihre Kleidung, die bei manchem nur aus einem Hemdchen bestand, abgeworfen und sprangen in das laue Wasser, bespritzten sich und lachten unbändig, wenn ein Ungeschickter bei dem Kampf vornüber ins Wasser schoß. Jetzt hörten sie den Wurf der Angel und horchten auf. „Der Herr Pfarrer angelt“, flüsterten sie sich zu. Dann riefen sie im Chor: „Guten Abend, Herr Pfarrer.“ Die kleinen Mädchen knixten dabei.

„Guten Abend, Kinder.“

„Onkel Uwis,“ rief ein kleiner, blonder Krauskopf mit lebhaften Augen, „verjagen wir dir nicht die Fische?“

„Nein, mein Junge, die kümmern sich nicht um euch.“

„Fängst du viel heute?“

„Ich danke, mein Sohn, für gütige Nachfrage. Es geht.“

Einen Augenblick zögerte der Knabe, dann watete er mutig durch das Röhricht, dem Kahn zu. Das Wasser stieg ihm fast bis an die Nase, als er das hintere Ende des Kahnes erreichte. Ein Griff, ein kurzer Schwung, jetzt saß er drin. „Oho, Onkel, du sagst: ‚es geht‘.“ Er wies auf einen Hecht, der in einem ganzen Haufen gefangener Barsche lag.

Der Angler nickte vergnügt. „Es hat sich heute gut gefangen. Doch nun muß ich aufhören, die Würmer sind zu Ende.“

„Ich hole gleich einen ganzen Topf voll.“

„Laß nur, mein Kerlchen, man muß des Guten nicht zuviel genießen. Für heute habe ich auch genug.“ Er wickelte sorgfältig die Angeln auf. „Wie geht es dir in der Schule, Franz?“

„Sehr gut, Onkel“, antwortete der Kleine eifrig. „Der Herr Lehrer hat gesagt, ich werde ein schöner Schreiber werden.“

„Das ist erfreulich, denn er meinte wohl: Schönschreiber. Aber lernst du auch fleißig?“

„Lernen, Onkel? Nein, das brauche ich nicht. Ich weiß ja alles, was der Herr Lehrer vorerzählt, auswendig. Auch das Einmaleins. Und Liederverse, die lese ich mir nur einmal durch.“

„Dann lies sie künftig zweimal, mein Junge. Doch nun pascholl aus dem Kahn! Beeil’ dich und lauf hinauf zu Tante, sie möchte Dora mit einem Korb an den See schicken. Noch eins: sag’ Vater und Mutter, ich käme heut Abend nach dem Essen auf ein Plauderstündchen zu euch.“

Wie ein Pfeil schoß der Junge neben ihm aus dem Kahn kopfüber in die dunkle Flut. Im nächsten Moment tauchte er empor, schüttelte das Wasser aus den krausen Haaren und schwamm am Rohr entlang, bis er durch eine Lücke das Ufer gewann. Eine Minute später sprang er mit hellem Jauchzen das Ufer empor dem Dorf zu.

Vater Rosumek, der Dorfschulze, rüstete sich gerade zum Gang in den Dorfkrug, wo er nach des heißen Tages Arbeit einen kühlen Trunk zu gewinnen dachte, als sein Junge den Besuch ankündigte. Erfreut ließ er sofort den Tisch in der großen Laube am Giebel des Hauses mit weißen Linnen decken und schickte die flinke Jette mit einem Korb nach Bier.

Pfarrer Uwis ließ nicht lange auf sich warten. Würdevoll kam er in langem schwarzen Rock die Dorfstraße angewandelt, seine rundliche Gattin am Arm. Hier und dort blieb er vor einem Hoftor stehen und sprach freundliche Worte zu den Leuten, die in der Abendkühle für die müden Glieder Erfrischung suchten. Vergnügt dankte er den Männern, die sich nach dem Erfolg seiner Angelfahrt erkundigten.

Der Schulze erwartete das Ehepaar am Hoftor, um es nach der Laube zu geleiten, aus der ein heller Lampenschein durch die dichten Ranken des wilden Weins strahlte. „Ein behagliches Plätzchen“, lobte der Pfarrer, während er sich niederließ. „Ich fürchte nur, Vetter Christoph, wir werden Mühe haben, die kleinen Blutsauger zu scheuchen. Meine Hausehre habe ich mitgebracht, sie hat mich schon den ganzen Nachmittag entbehrt, weil ich den Räubern im See nachstellte.“

„Den Erfolg deiner Fahrt habe ich schon gesehen, meine Frau ist noch dabei, die schönen Barsche zu schuppen, die Dora uns gebracht. Schönen Dank dafür!“

„Keine Ursache, Freund, wir hätten die Menge allein nicht bezwungen.“

Behaglich ging das Gespräch hin und her, über das Wetter, über die Ernteaussichten und die Neuigkeiten des Dorfes, bis Frau Rosumek erschien und die Gäste herzlich begrüßte.

Nach dieser Unterbrechung begann der Pfarrer: „Vetter Christoph und liebe Frau Minna, ich habe heute etwas Besonderes auf dem Herzen, was euch beide angeht. Ich möchte mit euch über den Jungen, den Franz, sprechen. Es ist nichts Schlimmes,“ fuhr er lächelnd fort, als er die gespannten Mienen der Eltern sah, „im Gegenteil etwas Gutes. Grigo hat mir schon mehrmals gesagt, der Junge wäre ganz außerordentlich begabt und es wäre nicht recht, solch ein Pfund zu vergraben, anstatt damit zu wuchern. Der Meinung bin ich auch. Ein heller Kopf ist ein Geschenk Gottes, das darf man nicht verkümmern lassen. Drum mache ich dir den Vorschlag: gib ihn auf’s Gymnasium und schlägt er ein, dann laß ihn studieren. Die Mittel dazu habt ihr.“

Frau Rosumek sah den Pfarrer freundlich und dankbar an. „Mir hat es der Lehrer auch schon gesagt. Ach, es wäre das größte Glück für mich, wenn ich meinen Franzel auf der Kanzel sehen könnte.“

Der Vater schien, nach seiner Miene zu urteilen, mit dem Vorschlag des Pfarrers nicht ganz einverstanden zu sein. Er antwortete bedächtig: „Pastor, du meinst es gut mit dem Jungen, das wissen wir. Aber bedenk’: es ist mein Einziger außer dem Mädel, der Emma. Und der Schulzenhof ist seit Jahrhunderten in meiner Familie immer vom Vater auf den Sohn vererbt. Soll ich der Letzte in der Reihe sein? Nein, das geht nicht, lieber Pastor, daß nach mir sich ein Fremder hier hineinsetzt.“

„Das ist ein Grund, der sich hören läßt, Christoph. Es ist was Schönes, wenn Familien in ihrem Besitz dauern. Doch ich wiederhole trotzdem meinen Rat. Denn immer von Neuem müssen frische Kräfte unter die geistigen Führer des Volkes emporsteigen. Frisches Blut muß gerade aus dem Bauernstande den oberen Kreisen zugeführt werden.“

„Ich dächte, lieber Freund, tüchtige Kräfte täten jetzt vor allem der Landwirtschaft not“, erwiderte der Schulze eifrig. „Immer schwerer wird es uns Landwirten, die schlechten Zeiten zu überwinden. Ich stehe ja, Gott sei Dank, noch fest in den Sielen, aber manchmal wünsche ich sehr, ich hätte mehr gelernt. Drum möchte ich gern aus meinem Jungen einen klugen Landwirt machen, der seinen Beruf aus dem Grund versteht und mit dem Fortschritt der Zeit mitgeht.“

„Es ist schwer, dir darauf zu erwidern,“ meinte der Pfarrer, indem er graue Dampfwolken nach einem Nachtfalter blies, der die Lampe umschwirrte, „denn das sind vernünftige Worte. Natürlich, keinem Stand gereicht ein kluger Kopf, ein tüchtiger Mann zur Unehre. Es ist jedoch in unserm Fall ein Aber dabei. Ich meine nämlich, bei Kindern von ungewöhnlicher Begabung müßten die Eltern doppelt vorsichtig sein, daß sie sie nicht auf einen falschen Weg leiten, auf dem sie keine innere Befriedigung finden. Deshalb ist es auch voreilig — nimm mir das Wort nicht übel, liebe Minna, schon jetzt zu wünschen, daß der Junge Theologie studieren soll. Den Wunsch begreife ich, den haben viele Mütter, — meine hat ihn ja auch gehabt — aber wenn die Kinder groß werden, dann bekommen sie das Recht, sich ihren Beruf selbst zu wählen .... Laß mich noch ein Wort sagen, Vetter Christoph, es wäre gar nicht ausgeschlossen, daß dir der Junge von dem Wege abbiegt, den du ihm vorschreiben willst. Deshalb möchte ich einen vermittelnden Vorschlag machen: bring’ Franz, wenn er so weit ist, aufs Gymnasium. Die Stadt ist so nahe, daß er mit einem tüchtigen Kunter morgens hinfahren und nachmittags nach Hause kommen kann. So bleibt der Junge im Elternhause und in Fühlung mit der Landwirtschaft und wir behalten ihn unter den Augen. Zeigt er Sinn für deinen Beruf, so wollen wir ihn darin bestärken. Wenn nicht — so mußt du dich darin fügen und ihn seinen Weg allein gehen lassen.“

Eine lange Pause entstand, bis der Pastor noch einmal das Wort nahm. „Es braucht nicht heute oder morgen der Entschluß gefaßt zu werden, die Sache eilt nicht. Noch ein Jahr oder zwei kann er zu Grigo in die Dorfschule gehen; er lernt hier ebensoviel, wie in der Vorschule des Gymnasiums.“

Er stand auf und bot Rosumek die Hand. „Überschlaft euch die Sache, Vetter Christoph, wir sprechen später wieder einmal darüber. Gute Nacht, gute Nacht, meine Lieben. Es ist spät geworden und für euch ist beim ersten Morgengrauen die Nacht zu Ende.“

Pastor Uwis bot seiner Ehehälfte den Arm und wandelte mit ihr langsam und nachdenklich durch die helle Mondnacht dem Pfarrerhof zu. Erst als er daheim das Licht anzündete, brach er das Schweigen. „Ich glaube zu bemerken, mein liebes Weib, daß du mit mir nicht ganz derselben Meinung bist?“

„Ich wollte dir nicht widersprechen, aber nun will ich es dir offen sagen: ich würde mich an deiner Stelle vor der Verantwortung scheuen, die aus solch einem Rat entspringen kann. Wenn zum Beispiel der Junge auf der Hochschule verbummelt?“

Pastor Uwis lachte laut auf. „Der Junge, der Franz soll verbummeln? Nein, meine gute Amalie, du bist eine gute und auch eine kluge Frau, aber eine Herzenskündigerin bist du nicht. Sonst müßtest du das Gold in dem Charakter dieses kleinen Buben sehen.“ Nach einer kleinen Pause fuhr er fort: „Weißt du, Frau, es ist mir ja manchmal schwer angekommen, daß unsere Ehe kinderlos blieb, aber seit der Franz da ist, habe ich mich getröstet. Der soll, wie Frau Jeanette Groterjahn seggt, mein Erziehungssubstrat werden. Für den Erfolg stehe ich ein!“

2. Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Im Schatten der alten Linde, auf grünem Rasen hatten die beiden an Jahren so ungleichen Freunde ihre Schulstube aufgeschlagen. Franz saß am Tisch, der Pfarrer ging vor ihm auf und ab und blies in den Pausen seines Vortrages starke Wolken aus seiner langen Pfeife in die frische Morgenluft. Er erzählte seinem Zögling von den alten Preußen und geriet dabei immer mehr in Eifer, besonders wenn er auf seine engere Heimat, Masuren, zu sprechen kam. Dort hatten die Bewohner, die Sudauer, dem deutschen Ritterorden am längsten Widerstand geleistet.

„Vergeblich habe ich nach einer Spur der Erinnerung in unserem sangesfrohen Volksstamm geforscht. Hätten nicht die deutschen Eroberer die Kunde davon bewahrt, dann wüßten wir nicht einmal, wo die Burg des letzten Masurenhelden Skomand gestanden hat. Wie wär’s, mi fili[2], wenn wir morgen bei Sonnenaufgang den Marsch nach Skomenten unternähmen? Abends kehren wir müde aber vergnügt nach Hause zurück. Der Tag soll uns trotzdem nicht verloren gehen, denn als überzeugungstreue Peripatetiker werden wir uns den Weg durch belehrende Gespräche kürzen.“

Wie ein Sturmwind flog der Knabe hinter dem Tisch hervor, wirbelte seinen Lehrmeister ein paarmal rundum und schlug dann vor Freude ein Rad nach dem anderen über den Rasen. Gerührt sah der Pastor eine Weile dem Knaben zu, bis er ihn anrief: „Gib Ruhe, du Wildfang! Meinst wohl, ich könnte meiner Würde in offenem Garten soweit vergessen, deinem Beispiel zu folgen? Denn die Schnellkraft der Glieder sollte mir wohl nicht fehlen. So, nun setz dich und gib acht, was ich dir sagen werde; ich fürchte, deine Lustigkeit wird etwas nachlassen, wenn ich dir sage, daß dieser Marsch für eine Weile der letzte sein wird, den wir miteinander machen! Sieh mich nicht so erschreckt an, mi fili! Du bist jetzt dreizehn Jahre alt und hast die Kenntnisse der Obertertia so ziemlich erreicht. Weiter kann ich dich nicht unterrichten. Es ist dir auch sehr dienlich, daß du unter Altersgenossen kommst und dich an ihnen abschleifst.“

„Grans’ nicht, großer Kerl du“, rief er gleich danach aus, als er sah, daß dem Knaben die Tränen aus den Augen perlten. „Die Stadt ist so nahe, daß du in jeder Woche mehrmals zu Fuß herwandern kannst, wenn dein Vater dich in eine Pension bringt, was ich, unter uns gesagt, nicht für ratsam hielte. Ich sehe, Vernunftgründe sind bei dir nicht angebracht“, fuhr er nach einer Weile fort, als der Knabe still vor sich hinweinte, „da soll dich die Arbeit trösten. Hier,“ er schlug ein Buch auf, „diese beiden Stücke übersetzt du mir ins Französische.“

Er wandte sich schnell ab, der Gute, denn auch ihm war das Herz schwer geworden. Sein eigenes Kind hätte ihm nicht lieber werden können, als der frische Junge, der seine Liebe und Sorgfalt mit der rührendsten Anhänglichkeit vergalt. Wie zwei gute Kameraden hatten sie miteinander gelebt, der erfahrene, in sich gefestigte Mann und der schmiegsame Knabe. Mit verschwenderischer Fülle hatte der Lehrmeister aus dem Born seines Wissens die Samenkörnlein guter Lehren ausgestreut und nicht ein einziges war auf unfruchtbaren Boden gefallen. Früh am Morgen kam Franz mit seiner Mappe nach dem Pfarrhof gewandert. Bei gutem Wetter im Sommer suchte man sich ein behagliches Plätzchen im Garten, im Winter bot das Studierzimmer des Pastors schützendes Obdach. Am Nachmittag machten Lehrer und Schüler große Spaziergänge, sie fuhren gemeinsam angeln, sie wirtschafteten im Garten und im Felde. Mit peinlicher Gewissenhaftigkeit suchte Pfarrer Uwis in seinem kleinen Genossen die Liebe an der Landwirtschaft zu wecken. Er war glücklich, wenn Franz mit Eifer am Morgen Vorfälle aus der väterlichen Wirtschaft berichtete oder in der Erntezeit vom Sattelpferd aus das vierspännige Gespann lenkte.

Und der Junge hatte wirklich Interesse an dem Beruf eines Landwirts gefaßt. Er wußte in Hof und Feld genau Bescheid und beurteilte, wie sein Vater dem Pfarrer mit Stolz erzählt hatte, ganz genau, ob ein zweijähriges Fohlen im nächsten Jahr zur Remonte ausgehoben würde.

Mit dem ersten Hahnenschrei waren die beiden Freunde am nächsten Morgen aus den Betten gefahren und als der erste Sonnenstrahl über dem See aufleuchtete, wanderten sie schon, die wohlgefüllten Ränzel auf dem Rücken, dem Bergwald zu. Die herzerfrischende Kühle eines klaren Sommermorgens umfing sie; hoch im Blau des Himmels jubilierte die Lerche, an den Spitzen der Gräser glitzerten die Tautropfen. Der frisch einsetzende Wind trieb die Nebelschwaden durch die Wipfel der hohen Fichten an den Bergen entlang, bis sie unter den Strahlen der Sonne in Nichts zerrannen.

Aus dem hohen Roggen zu ihrer Rechten kam eilfertig ein Rebhuhnpaar gelaufen, mit ausgebreiteten Flügeln schoß die Schar der Jungen hinterdrein, keines größer als ein Sperling. Kaum waren sie im dichten Kartoffelkraut verschwunden, da setzte im blinden Eifer mit großen Sprüngen der Fuchs auf der frischen Spur hinterdrein. Mit komischem Eifer schleuderte der Pfarrer seinen Wanderstock nach dem Rotrock, der in jähem Schreck wie angewurzelt stehen geblieben war, bis der Wurf ihn zurückscheuchte.

„Sieh, mein Sohn, jetzt wird der Räuber eine Minute warten, bis er uns weggehen hört und dann mit doppeltem Eifer der Spur folgen. Aber warte, du Räuber! Sowie der erste Schnee die Felder deckt, erwische ich dich im Eisen. Nicht umsonst bin ich im Forsthause aufgewachsen.“

„Weshalb bist du nicht Förster geworden, Onkel?“ fragte der Knabe. „Davon hast du mir noch nichts erzählt.“

„Warte, mein Kind, bis wir in den Wald kommen, dann erzähle ich es dir.“

Eine Weile schon schritten sie zur Seite des Weges im Wald dahin, als der Pastor begann: „Du hast gestern geweint, weil du eine kleine halbe Meile von deinem Elternhause ein paar Jahre verleben mußt. Mir ist es viel schlimmer gegangen.“ Und nun erzählte er mit verhaltener Stimme, aus der wehmütige Erinnerung klang, von dem alten Forsthause tief in der Johannisburger Heide, wo er fast eine Meile täglich hin und zurück zur Schule laufen mußte. Wie ihn dann der Vater als achtjährigen Knaben zur Schule nach Johannisburg gebracht und ihn am anderen Morgen vor der Tür des Forsthauses im Grase schlafend gefunden. „So hab’ ich mich gebangt und gesehnt nach dem Wald, dem See und den Bergen, daß ich abends meinen Pensionseltern entwischte und durch die stockfinstere Nacht und den rauschenden Wald der Heimat zuwanderte. Später brachte mich der Vater nach Lyck aufs Gymnasium. Es waren gut acht Meilen nach Hause, aber wenn mich die Sehnsucht faßte, dann bin ich die Nacht vom Sonnabend zu Sonntag gelaufen, um ein paar Stunden am Sonntag zu Hause schlafen zu können. In den Ferien habe ich den Vater auf Schritt und Tritt begleitet, habe mit ihm gejagt und gefischt und wenn ich wieder nach der Stadt zurück mußte, noch als erwachsener Junge geweint. Mein ganzes Dichten und Trachten war nur darauf gerichtet, Förster zu werden und ein ebenso tüchtiger Weidmann wie mein Vater. Aber meine Mutter wollte etwas anderes. Ich sollte Pfarrer werden ..... ich bin es ja auch geworden, doch davon erzähle ich dir später einmal, wenn du älter bist.“

Er schwieg, und der Knabe war feinfühlig genug, seinen väterlichen Freund nicht durch eine Frage in seinem Sinnen zu stören. Erst, als sie von freier Höhe Umschau hielten und ihr Blick freudig über die im Sonnenschein lachende Flur, die dunklen Wälder und die blinkenden Spiegel in die Ferne schweifte, kam eine andere Stimmung über beide. Der Pfarrer nahm die leichte Sommermütze ab und sprach mit bewegter Stimme:

„Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht über die Fluren verstreut, schöner ein froh Gesicht, das den großen Gedanken deiner Schöpfung noch einmal denkt.“

Und dann rief er mit heiterem Mut: „Laß uns unser Heimatlied anstimmen!“ Mit kräftigem Baß setzte er ein:

„Thal, Hügel und Hain!
Da wehen die Lüfte so frei und so kühn,
Möcht immer da sein,
Wo Söhne dem Vaterland kräftig erblühn!
Hold lächelt auf Seen und Höhen
Des Himmel Blau!
Die Wälder, die Seen, der Berge Sand,
Masovia lebe, mein Vaterland!“

„Das war ein prächtiger Mann, der Professor Dewischeit, der dies Lied gedichtet hat,“ sprach er im Weitergehen, „ein vorzüglicher Lehrer, dem allein ich es verdanke, daß ich nicht ein Taugenichts geworden bin.“

Sie hatten den Skomentener See umwandert, waren auf den Berg gestiegen, auf dem vor Zeiten die Burg des Skomand stand und hatten die Gräben, die von Gestrüpp überwucherten Steintrümmer überklettert, eifrig bemüht, sich ein Bild der Veste zusammenzustellen. Jetzt lagen sie unter der mächtigen Eiche, die einsam die spitze Bergkuppe krönt und schauten über den See hinüber nach dem Dorfe Skomenten, dessen schmucke Häuser aus freundlichem Grün hervorlugten. Sie hatten dem Mundvorrat wacker zugesprochen, jetzt war ein behagliches Sinnen über sie gekommen, bis Franz ganz unvermittelt fragte: „Onkel, was soll ich werden?“

Mit jähem Ruck richtete sich der Pastor empor: „Mein Kind, denkst du schon an solche Dinge?“

Der Junge nickte nachdenklich. „Ich weiß, die Mutter will, daß ich Pfarrer werden soll, der Vater möchte am liebsten, daß ich den Hof übernehme, bloß was du willst, weiß ich noch nicht recht; Naturforscher oder Arzt? Was meinst du, Onkel?“

„Merkwürdig,“ brummte der Pastor, „daß solche Dinge dem Kinde zufliegen, wie ein Lufthauch, von dem man nicht weiß, von wannen er kommt.“ Lauter fuhr er fort: „Habe ich dir schon mit einem Worte davon gesprochen, was du werden sollst?“

„Nein, Onkel.“

„Wie kommst du denn zu deiner Annahme?“

Über das Gesicht des Knaben huschte ein Lächeln. „Ja, sieh mal, Onkel, wir haben so viel von Naturbeschreibung und Botanik gelernt, viel mehr als die Gymnasiasten in der Stadt.“

„Na und?“

„Da habe ich mir gedacht, das kann ich doch nur brauchen, wenn ich eins von beiden studiere.“

„Du büst ja gefährlich klook, min Söhn,“ antwortete der Pastor, der oft und gern plattdeutsch sprach, „äwer dit Moal häst vorbidacht, un nimm mi nich äwel, min Jung, dat ick di dat segg, du büst een Schafskopp. Goah du man erscht noch e Johrener fiew to School und dann red’ wi noch mal doräwer.“

Franz schwieg; er wußte, daß der Onkel, wenn er ihm in dieser Mundart Anweisungen erteilte, keine Einwendungen wünschte. Dem Lehrmeister aber schien nach einer Weile, als ob er nicht gut daran getan hätte, das Gespräch so kurz abzubrechen. Deshalb nahm er den Faden wieder auf. „Du weißt schon, wie es mir gegangen ist. Mir wurde der größte Wunsch meiner Jugend versagt, ich bin etwas anderes geworden, als ich wollte, aber ich lebe und bin zufrieden. Du weißt noch nicht einmal, was du werden willst ....“

„O doch,“ warf der Knabe ein, froh, wieder antworten zu dürfen, „ich weiß es schon, ich will studieren, alles lernen, was es bloß zu lernen gibt.“

„Und dann?“

„Ja, was ich schließlich werde, weiß ich noch nicht.“

Erleichtert atmete der Pfarrer auf. „Dann will ich dir einen guten Rat geben, mein Herzensjunge: lern’ und studier’, so viel du willst, deine Eltern werden dir kein Hindernis in den Weg legen, aber vergiß nie, was Vater und was Mutter wünschen. Und wenn deine Mutter auch etwas anderes wünscht, als dein Vater, so wird sie ihm doch gern beistimmen, wenn du dich für die Landwirtschaft entscheidest. Zuviel kann man nie lernen, auch als zukünftiger Landwirt nicht. Und noch eins: gib mir das Versprechen, wenn in dir jemals der Wunsch nach einem bestimmten Beruf auftaucht, laß es mich zuerst wissen, damit wir gemeinsam einen Entschluß fassen.“ Er hielt ihm die Hand hin, der Knabe schlug kräftig ein.

3. Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Das Stadtleben behagte Franz viel besser, als alle angenommen hatten. Sein Vater hatte ihn gegen den Rat des Pastors zu einem entfernten Verwandten, dem Bäckermeister Scharner, in Pension gegeben. Dort fand Franz einen gleichaltrigen Schulkameraden vor, der sich trotz seiner geringen Begabung mit eisernem Fleiß aufwärts rang, Gottlieb Sefczyk, den Sohn eines Steueraufsehers. Sutor — der Name Sefczyk bedeutet verdeutscht Schuster und war natürlich sofort ins Lateinische übersetzt worden — hatte von seinen Eltern so gut wie gar keine Unterstützung. Der Bäckermeister, der mit seinem Vater aus demselben Dorfe stammte, gab ihm freie Wohnung und Frühstück, wohlhabende Bürgersleute gaben ihm Mittag und Abendbrot. Einen Tag der Woche aß er beim Gymnasialdirektor, den zweiten bei einem Konditor, den dritten beim Gefängnisinspektor, den vierten beim Pfarrer usw. War die Woche zu Ende, dann begann er seinen Rundgang von neuem. Das war damals in der kleinen Stadt ein allgemeiner Brauch, arme Knaben in dieser Weise zu unterstützen und mancher wohlhabende Bürger hatte Tag aus Tag ein einen kleinen Gast zu Tisch. Vom Gymnasium, das mit reichen Stiftungen begabt war, erhielt Sutor freie Schule und Bücher, so daß seine Eltern nur die Kleidung zu liefern brauchten.

Wieviel arme Jungen haben sich in jenen Zeiten in dieser Weise zum Studium emporgerungen! Meistens hatte schon ihr Vater eine ähnliche Entwicklung durchgemacht. Ein ehrgeiziger Bauer oder Gutshandwerker hatte seinen begabten Jungen nach der Stadt geschickt. Dort „schrieb“ er auf dem Landratsamt oder bei einem Rechtsanwalt, bis er alt und stark genug war, ins Heer zu treten, um auf Versorgung zu dienen und später einmal einen kleinen Beamtenposten zu bekommen. Die geistige Kraft, mit der solche Leute sich aus dem Bauernstamm herausgearbeitet hatten, ging meistens auch auf ihre Söhne über. Die Eltern darbten und sorgten, um den Jungen aufs Gymnasium zu bringen, damit er Theologie studiere.

Viele Männer in hohen Staatsstellungen können auf einen derartigen Entwicklungsgang zurückblicken .... daß Söhne von reichen Bauern die Universität besuchten, kam eigentlich viel seltener vor. Sie hatten genau wie die Söhne der Großgrundbesitzer nur den Ehrgeiz, sich das Zeugnis zum einjährig-freiwilligen Dienst zu ersitzen ..

Franz machte eine rühmliche Ausnahme.

Er „nahm“ die Klassen, wie ein edler Renner das Hindernis, stets als Erster, gefolgt von seinem treuen Sutor, der mit eisernem Fleiß sich hinüberrang. An schulfreien Nachmittagen packte Franz seinen Tornister und lief hinaus nach Schwentainen. Dann saßen die beiden Freunde wie ehedem in einem schattigen Winkel des Gartens bei ihren Büchern beisammen. Am Sonntag brachte Franz seinen Freund Sutor mit, dann streiften sie nachmittags zu dreien durch die Wälder, bis die Sonne sank.

Die alten Rosumeks hatten wohl manchmal den stillen Wunsch, daß ihr Junge seine freie Zeit mehr im Elternhause verbringen möchte. Trotzdem fanden sie es ganz natürlich, daß er mehr im Pfarrhause saß als zu Hause. Der Pastor war ja nicht nur sein Onkel, sondern auch sein Freund und Lehrmeister. Die Mutter sah in den Jungen wie in einen Spiegel. Und auch der Vater war stolz auf die Fortschritte seines Sohnes. Er war ein ernster, wortkarger Mann, der mit fester Hand das große Dorf nach seinem Willen lenkte. Aber nie konnte er es über sein Herz bringen, mit Franz über seinen zukünftigen Beruf zu sprechen.

Desto öfter tat es die Mutter. Wo irgend die Gelegenheit sich bot, erzählte sie ihrem Liebling, wie sehr sie sich darauf freue, ihn erst als Hilfsprediger bei Onkel Uwis und dann als seinen Nachfolger auf der Kanzel zu sehen. Trotzdem wußten beide Eltern noch nicht, wozu Franz eigentlich recht Neigung hatte. Wenn der kräftige Bursch mit einem Zaum nach dem Roßgarten ging, sich eins der jungen Pferde einfing und nach scharfem Ritt staubbedeckt wiederkehrte, dann freute sich der Vater im stillen, weil er meinte, es sei ein Zeichen für sein Interesse an der Landwirtschaft. Oder er nahm den Jungen und ging mit ihm hinaus aufs Feld, um ihm die neuen Getreidesorten zu zeigen, mit denen er Jahr aus Jahr ein Versuche anstellte.

So verging die Zeit. Franz saß bereits auf Prima. Aus dem frischen Knaben war ein flotter Jüngling geworden, der Liebling der Lehrer und seiner Mitschüler. Damals — heute soll es ja anders sein — gab es ein Sängerkränzchen und einen Fechtklub auf dem Gymnasium. Der Direktor, ein energischer Mann, der strenge Zucht übte, hatte beide Vereinigungen erlaubt, allerdings unter steter Kontrolle. Und sein Prinzip bewährte sich. Die Schüler der beiden oberen Klassen hüteten sich, das Bestehen der Vereine durch unerlaubte Kneipereien zu gefährden. Durften sie doch in jedem Vierteljahr eine offizielle Kneipe abhalten, und die jüngeren Lehrer, die daran teilnahmen, hatten nur den Auftrag, zu verhindern, daß die fröhliche Kneiperei in ein wüstes Gelage ausarte. In beiden Vereinen war Franz an der Spitze. Er focht eine ausgezeichnete Klinge und wurde von den älteren Schulkameraden, die zu den Ferien als Korpsstudenten nach Hause kamen, eifrig umworben.

So kam der Tag des Abiturientenexamens heran. Franz hatte das Schriftliche gut „gebaut“ und sah der mündlichen Prüfung ohne jede Aufregung entgegen. „Ängstige dich nicht,“ meinte er trocken zur Mutter, „wenn ich nicht dispensiert werde, ist es mir umso lieber, denn ich möchte gern sehen, wie es bei dem Mündlichen zugeht. Was da gefragt werden kann, weiß ich alles.“

Am Tage vorher kam er nach Hause und saß mit den Eltern und dem Ehepaar Uwis vergnügt einige Stunden zusammen. Am anderen Morgen stand er zeitig auf, steckte sich eine lange Pfeife an und sah der Mutter zu, die ihm das neue, gestickte Hemd plättete, das er zu seinem Ehrentage anziehen sollte. Dann fuhr er in die schwarzen Kleider, küßte Vater und Mutter und wanderte frohen Muts der Stadt zu. Kurz nach Mittag sollte Ludwig, der alte Großknecht, ihn mit den Trakehner Rappen von Scharners abholen.

Das ganze Dorf war in Aufregung. So lange man sich erinnern konnte, war kein Bauernsohn Student geworden. Und nun hatte der Erbschulze alle Besitzer zu einer großen Festlichkeit eingeladen. Hinter dem Hause im Garten war eine große Tafel aufgestellt, daran saßen die Bauern, schwangen kräftig die Steinkrüge voll Bier und ließen den Herrn Studios hochleben; sie feierten das Ereignis schon als selbstverständlich. Die Mutter stand oben am Fenster der Giebelstube, wo sie den Weg ein Stück übersehen konnte. Die Hände flogen ihr vor Erregung, während sie mechanisch an einem langen Strumpf strickte. Ab und zu mußte sie sich einen Augenblick setzen, die Füße drohten ihr den Dienst zu versagen. Da — oben — wo der Weg vom Berge zum Dorf abbiegt, leuchtet es rot auf ... Sollte Franz zu Fuß kommen? Nein, es ist das Kopftuch eines Weibes, aber die Frau läuft, was die Füße sie tragen, sie bringt Nachricht, sonst würde sie sich nicht so beeilen.

Am Hoftor steht atemlos die Sceska, nur stückweis kann sie die Kunde von sich geben.

„Ich hab ihn gesehen, den jungen Herrn, mit der roten Mütze — — Alle standen sie vor der Tür, die Menschen .... Er mußt’ hier ansprechen und dort ansprechen .... sie lassen ja keinen vorbei, die Menschen! Und bei Scharners hatten sie in der Veranda Wein aufgestellt und Kuchen und da haben sie mit den Gläsern angestoßen und hoch gerufen.“

Der Vater Rosumek drückte dem Weib einen harten Taler in die Hand und faßte seine Frau um, der vor Freude die hellen Tränen über das Gesicht rollten .... Es war eine schöne Sitte in dem kleinen Städtchen anno dazumal, diese freudige Teilnahme an dem Geschick der Gymnasiasten. Noch gab es dort keine Offiziere und schneidige Referendare, unumschränkt herrschte der Primaner in den Herzen der Stadt. Die Bürger kannten jeden einzelnen, der heut im Examen schwitzte. Die Aussichten eines jeden, die Prüfung zu bestehen, waren öffentliches Geheimnis. Und wenn dann die Pforte des stattlichen Gebäudes sich auftat, und die frischen Jünglinge in freudiger Erregung hinausstürmten, dann standen Freunde und Verwandte da, um sie mit den Zeichen der neuen Würde, mit der roten Mütze und einem Albertus[3], einer goldenen Nadel mit dem Bildnis des Stifters der Albertina, zu schmücken.