Der Nachlass der Kunsthistorikerin Dr. Gisela Hopp und das Bild >Mühlenbarbeck< von Heinrich Stegemannn - Manuel Hopp - E-Book

Der Nachlass der Kunsthistorikerin Dr. Gisela Hopp und das Bild >Mühlenbarbeck< von Heinrich Stegemannn E-Book

Manuel Hopp

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Beschreibung

Durch das Dokumentationsprojekt zum Hamburger Architekturbüro von Bernhard Hopp und Rudolf Jäger ist auch der Nachlass der Hopp-Tochter von Interesse, da sich darin u.a. Korrespondenzen des Vaters vornehmlich aus der Nachkriegszeit finden (jetzt im Hamburgischen Architekturarchiv). Aber darüber hinaus ist eine Kunstsammlung erhalten, aus der speziell eines der Bilder von Heinrich Stegemann als historisches Dokument von Interesse ist. Es ist von Stegemann selbst mit dem Ortsnamen >Mühlenbarbeck< bezeichnet und 1917 während des ersten Weltkrieges gezeichnet worden. Dieser Ort hat einige Bekanntheit als Geburtsort des Dichters Johann Hinrich Fehrs erlangt, der im Jahr zuvor gestorben war. Zu dessen Gedenken und zur Verbreitung seiner Dichtungen wurde kurz nach seinem Tod bereits 1916 die Fehrs-Gilde von Jacob Bödewadt, Christian Boeck und dem Sohn Karl C. Fehrs gegründet. In der Propaganda für den Dichter sowie für die niederdeutsche Sprache und dörflich gebundene Heimatliteratur spielte dessen Geburtshaus zur Veranschaulichung der Bindung an dieses Milieu eine nicht unwesentliche Rolle. - Das zufällig erhaltene Stegemann-Bild zeigt, dass ein anderes für die Werbung immer wieder reproduzierte Bild des Geburtshauses regelmäßig seitenverkehrt dargestellt wurde. Die Spuren aus Archivalien mit den Briefwechseln der damals Beteiligten machen das Auffinden der Indizien fast zu einem kleinen historischen Krimi ... Zahlreiche Bilder und Hinweise auf die Quellen dokumentieren die neu zusammengetragenen Informationen.

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Zum Inhalt:

Vielfältige Informationen sind teils zufällig zusammen gekommen, teils neu zu sammeln gewesen, um etwas Licht in einen Sachverhalt zu bringen, für den über 100 Jahre ein unrichtiges Bild geprägt und überliefert wurde. Die Aufarbeitung würde nicht zum Projekt zu Kirchbauten der Architekten Hopp und Jäger gezählt haben, wenn nicht durch den Zufallsfund in der Kunstsammlung der Tochter und Kunsthistorikerin Dr. Gisela Hopp eine Zeichnung neu an den Tag gekommen wäre. Dieses Bild von 1917 dokumentiert einen Sachverhalt, der knapp zehn Jahre zuvor erst versehentlich, aber dann wohl wider besseren Wissens und systematisch fehlerhaft kolportiert wurde. Bis in die Gegenwart wird für das bäuerliche Geburtshaus des Heimatdichters etwas tradiert, was im Rahmen der 'frühen Fehrs-Propaganda' gezielt zur Werbung für den Dichter des Dorfromans 'Maren' und dessen Inszenierung als Teil der Heimatliteratur geschaffen wurde.

Alte Fotos, Wissen um die Fotografie-Geschichte sowie diverse Korrespondenzen, die in der Asservatenkammer aufbewahrt werden, bringen jedoch Licht in die Sache, wozu auch eine bildliche Zusammenstellung u.a. von weiteren Nachlass-Bildern der Künstler Heinrich Stegemann, Bernhard Hopp, Hans Gottfried von Stockhausen u.a. gehört.

Wie in einem Kriminalfall lassen sich über die damaligen Akteure zahlreiche Indizien aus den Archiven zusammentragen. Wobei zwei Personen auch für die spätere Fehrs-Propaganda und ihre völkische Umprägung den Weg in die NS-Zeit bereitet haben: der erste Vorsitzende der Fehrs-Gilde Jacob Bödewadt sowie Pastor Christian Boeck, der von 1916-1937 als deren Schriftführer und danach als deren Vorsitzender gewirkt hat.

Als geistiger Vater ist Boeck auch für den Bau der Wellingsbütteler Kirche eine mit prägende Figur gewesen, wodurch sich der weite Kreis zum H&J-Projekt schließt.

Beitrag zu

‚Hopp und Jäger -

Kirchenbauten von einem Hamburger Architekturbüro

(1930 bis 1962/80)

Ein Projekt zur Dokumentation‘

[www.huj-projekt.de]

Uwe Gleßmer

unter Mitwirkung und mit ergänzendem Material von

Manuel Hopp

Inhaltsverzeichnis

Vorwort und Kontext der Rückfrage

1.1 Anfangsverdacht

1.2 Fehrs-Propaganda

Means: Mittel der Geburtshaus-Darstellung

2.1 Zufällig zusammenkommende Informationen

2.1.1 Die Stegemann-Bilder von Dr. Gisela Hopp

2.1.2 Das Bild ‚Mühlenbarbeck‘ von Heinrich Stegemann

2.1.3 Die Fehrs-Geburtshaus-Lorbeerkranz-Postkarte

2.1.4 Der Fehrs-Geburtsort Mühlenbarbek

2.1.5 Die Stegemann-Zeichnung des Bauernhauses

2.1.6 Die Foto-Vorlage der Lorbeerkranz-Postkarte

2.1.7 Seitenverkehrte Darstellung der Foto-Vorlage

2.1.8 Das als Vergleich genannte Gemälde

2.1.9 Mühlenbarbek-Fotos von Detlev Vahlendick

2.2 Julius Nielsen und das Geburtshaus-Ölbild

2.2.1 Erwähnungen einer Bauernhaus-Zeichnung von Nielsen

2.2.2 Eine Nielsen-Zeichnung zum Fehrs-Geburtshaus

2.2.3 Das Ölbild von Nielsen zum Fehrs-Geburtshaus

Motives: Das Geburtshaus – ‚frühe Fehrs-Propaganda‘

3.1 … bis zum 70. Fehrs-Geburtstag 1908

3.1.1 Das Elternhaus in Fehrs autobiografischen Schriften

3.1.2 Ehrungen zum 70. Fehrs-Geburtstag

3.2 … bis ungefähr zum 75. Fehrs-Geburtstag 1913

3.2.1 Fehrs-Lesebuch der Lehrervereinigung und Karl Möller

3.2.2 Jacob Bödewadt als weiterer Fehrs-Propagandist

3.2.3 Ehrungen zum 75. Geburtstag

3.2.4 Nach der Feier zum 75. Geburtstag

3.2.5 Gesammelte Dichtungen und Bödewadts Monografie

3.3 … bis zum Tod des Dichters 1916

3.3.1 Fehrs-Gedenken im Ersten Weltkrieg

3.3.2 Fotos von Detlev Vahlendick

3.3.3 Zum zeitlichen Hintergrund des Stegemann-Bildes

Opportunity: Propagandisten Boeck und Bödewadt

4.1 Die Lorbeerkranz-Geburtshaus-Postkarte 1908

4.1.1 J.H. Fehrs: Movens hinter der Geburtshaus-Karte?

4.1.2 Fehrs-Texte zur Heimat und zum Geburtshaus

4.1.3 Der Hamburger Quickborn: E. Boehden und C. Boeck

4.1.4 Stellungnahmen zu Frenssens ‘Jörn Uhl’

4.1.5 Parodie auf Frenssen-Propaganda?

4.1.6 Boeck als Motor der frühen Fehrs-Propaganda?

4.2 Das Ölgemälde 1913

4.2.1 Julius Nielsen und die Fotovorlage des Ölbildes

4.2.2 Die Umstände der Produkion des Ölbildes

4.3 Fehrs-Propaganda im Ersten Weltkrieg

4.3.1 Stegemanns Zeichnung Mühlenbarbeck

Zusammenführung der Indizien

5.1 Die Lorbeerkranz-Geburtshaus-Postkarte 1908

5.2 Das Ölgemälde 1913

5.3 Stegemanns Zeichnung ‚Mühlenbarbeck‘

5.4 Was bleibt an Erkenntnis?

Anhang 1 : Asservatenkammer – Hintergrundmaterial

6.1 Zur Kunsthistorikerin Dr. Gisela Hopp

6.1.1 Materialien aus dem Nachlass

6.1.2 Trauerfeier am 2.10.2015

6.1.3 Bilder-Sammlungen im Nachlass

6.2 Zum Maler Heinrich Stegemann

6.2.1 Die Stegemann-Kurzbiografie von Elisabeth Detlefs

6.2.2 Stegemann-Sammlungen

6.3 Zu Johann Hinrich Fehrs und der Gedächtnisstätte

6.4 Zu Christian Boeck

6.5 Zu Jacob Bödewadt

6.6 Zu Erwin August Boehden

6.7 Zu Gustav Frenssen

6.8 Zur Fotografie-Geschichte

6.8.1 Einige der Entwicklungsstufen der Fotografie

6.8.2 Ausgewählte Beispiele aus Hamburg

6.8.3 Einige Fotografen der norddeutschen Region

6.9 Zur Reformpädagogik am Ende des 19. Jahrhunderts

6.9.1 Lehrervereinigung

6.9.2 Karl Möller

6.9.3 Eine 1911/12 geplante Fehrs-Auswahl durch Karl Möller

Anhang 2 : Briefe der ‚frühen Fehrs-Propaganda‘

7.1 Briefe von Fehrs

7.1.1 Johann Hinrich Fehrs an J. Bödewadt (= JHF2JB)

7.1.2 Johann Hinrich Fehrs an T. Kröger (JHF2TK)

7.1.3 Johann Hinrich Fehrs an Lühr&Dircks (=JHF2L&D)

7.1.4 Johann Hinrich Fehrs an Quickborn (=JHF2Qu)

7.1.5 Johann Hinrich Fehrs an J. Campe/Erben (=JHF2JC)

7.1.6 Johann Hinrich Fehrs an Bruno Salomon (=JHF2BS)

7.2 Briefe von Christian Boeck

7.2.1 Christian Boeck an J.H. Fehrs (=CB2JHF)

7.2.2 Christian Boeck an Lühr&Dircks (=CB2L&D)

7.3 Briefe von Lühr&Dircks

7.3.1 Lühr & Dircks an J.H. Fehrs (=L&D2JHF)

7.3.2 Lühr&Dircks an C. Boeck (=L&D2CB)

7.4 Briefe von Bödewadt

7.4.1 Jacob Bödewadt an J.H. Fehrs (=JB2JHF)

7.4.2 Jacob Bödewadt an Timm Kröger (=JB2TK)

7.4.3 Jacob Bödewadt an Lühr&Dircks (=JB2L&D)

7.4.4 Jacob Bödewadt an Alfred Janssen

7.4.5 Jacob Bödewadt an B. Salomon (=JB2BS)

7.5 Briefe von Julius Nielsen

7.5.1 Julius Nielsen an Lühr & Dircks (=JN2L&D)

7.6 Briefe von Karl Möller

7.6.1 Karl Möller an A. Janssen

Abkürzungen, Archivalien, Literatur und Indices

8.1 Abkürzungen

8.2 Archivalien

8.3 Kurztitel und Literatur

8.4 Personen-Index

8.5 Orts-, Straßen- und geografische Nezeichnungen

8.6 Themen-Index

8.7 Abbildungsverzeichnis

Beiträge zum Hopp-und-Jäger-Projekt

Die Mitwirkenden an diesem Band

Danksagungen

Die Arbeit an dem hier zusammengestellten Material wäre nicht ohne die Institutionen und Archive möglich gewesen, die freundlicherweise Unterstützung bei der Recherche und beim Zugang zu ihren Schätzen geboten haben:

Gemeinsames Kreis- und Stadtarchiv Itzehoe (Birgit Struck, Andrea Hahn)

Kreismuseum Prinzesshof, Itzehoe (Dr. Anita Chmielewski)

Kreisarchiv Nordfriesland, Husum (Dr. Almut Ueck)

Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek, Kiel (Dr. Maike Manske, Sabine Schulze)

Landesarchiv Schleswig-Holstein, Schleswig (Prof. Dr. Dr. Rainer Hering, Bettina Dioum)

Niederdeutsche Bibliothek der Carl-Toepfer-Stiftung, Hamburg (Dr. Ulrike Möller)

Museum Kellinghusen (Hans-Georg Bluhm, M.A.)

Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg (Ulrich Hagenah)

Hamburger Kunsthalle (Andrea Joosten, Ursula Sdunnus)

Maike Bruhns und das von ihr dem Warburghaus übergebene Archivmaterial

Hamburgisches Architektur-Archiv (HAA: Karl-Heinz Hoffmann, Norbert Baues)

Private Archivmaterialien der Familie Hopp (Dr. Gisela Hopp, Ilse Hopp, Manuel Hopp)

sowie vielen Einzelpersonen, deren dankbare Erwähnung das Register erkennen lässt.

Ganz besonderer Dank gilt vor allem Kay Dohnke, der nicht nur durch seine vielen und gründlichen Publikationen ab den 1980-er Jahren so viel Material bereits aufgearbeitet und zugänglich gemacht hat, sondern auch einen umfangreichen Fundus von weiteren Hintergrund-Informationen als Kopien dem Gemeinsamen Kreis- und Stadtarchiv Itzehoe zur Verwahrung überlassen hat, der für meine eigenen Recherchen eine unschätzbare Quelle und Ausgangspunkt weiterer historischer Fragen gebildet hat. Zudem hat er mir auch die Originale seiner Negative zugänglich gemacht, die er von den im Museum Kellinghusen von 1915 aufbewahrten Glasplatten des Fotografen Detlev Vahlendick mit Mühlenbarbek-Bildern gemacht hatte. Eigentlich hätte er als Mitautor genannt sein müssen, denn an sehr vielen weiteren Stellen gehen Informationen auf seine Arbeiten zurück.

Auch Manuel Hopp hat durch sehr viel bessere Fotos der Kunstwerke aus dem Nachlass seiner Tante, als ich sie selbst 1 ½ Jahre zuvor zu ihren Lebzeiten bei meinen Besuchen hätte machen können, beigetragen.

Der wichtigste Dank gilt allerdings meiner lieben Frau, die sowohl in den verschiedenen Textversionen, die im Laufe des letzten Jahres gewachsen sind, mit Korrekturen und Anregungen zur Darstellung sowie Hilfe bei den z.T. unleserlichen Sütterlin-Briefen Wesentliches beigesteuert hat. Für die zwar verbliebenen Fehler und Unvollständigkeiten trage ich natürlich selbst die Verantwortung – und auch dafür, dass die Materialien so enorm ‚ausgeufert‘ sind. Da jedoch die Mühen der Transkription und Recherchen bereits investiert waren, hätte es auch keinen Sinn gemacht, diese nicht mit zugänglich zu machen. Auf jeden Fall gebührt meiner Frau auch dafür Dank, dass Sie diese lange Zeit (mit scheinbar unwichtigen Dingen, denen andere wichtige zum Opfer gefallen sind) unterstützend mit ertragen hat!

Uwe Gleßmer, im November 2017

1 Vorwort und Kontext der Rückfrage

Der Titel zu diesem Büchlein mag auf den ersten Blick verwirrend sein:

„Der Nachlass der Kunsthistorikerin Dr. Gisela Hopp und das Bild >Mühlenbarbeck< von Heinrich Stegemann: das Geburtshaus von J.H. Fehrs und die >frühe Fehrs-Propaganda<“.

„Was hat das alles in einem ‚Beitrag zum Hopp-und-Jäger-Projekt‘ zu suchen, wo es eigentlich um ein Dokumentationsprojekt zum Architekturbüro gehen soll,1 das die beiden Hamburger Kirchenbauer, Bernhard Hopp und Rudolf Jäger, in den 1930-er Jahren begonnen haben?“, könnte man sich fragen. Der Name von Gisela Hopp gibt immerhin einen ersten Anhalt. Wie jedoch aus der Spurensuche über den Kontakt zur Tochter des Architekten Bernhard Hopp sich auch eine ganz andere Fährte zum weiteren Themenbereich um den Dichter Johann Hinrich Fehrs sowie den Maler Heinrich Stegemann entwickelt hat, das ist sicher erklärungsbedürftig – ebenso wie der Sprachgebrauch um das Wort ‚Propaganda‘.

Wie immer, wenn es um historische Rekonstruktionen geht, ist man auf sekundäre Informationen angewiesen, wenn man nicht selbst Zeitzeuge war. Aber auch ‚Zeugen‘ können nicht immer Sachverhalte so beschreiben, dass sie sofort ein Bild von der vergangenen ‚Wirklichkeit‘ bieten. Realität und Fakten sind nicht erst in der post-faktischen Gegenwart Probleme, die nahezu kriminalistische Bemühungen erfordern. Wie Im öffentlichen Raum ‚investigativer Journalismus‘ zunehmend an Bedeutung gewinnt, so scheint sich auch historische Rückfrage viel stärker darauf richten zu müssen, wie gewisse Desinformationen auch gezielt in die Welt gesetzt worden sind, um ein Bild von ‚Wirklichkeit‘ zu erzeugen.

Dieses Phänomen ist mir natürlich als Exeget biblischer und anderer historischer Texte lange bekannt. Bereits bei den Rückfragen zum ersten ‚Beitrag zum Hopp- und-Jäger-Projekt‘ zur Kirche St. Nikolaus in HH-Alsterdorf ist mir diese Dimension ganz deutlich begegnet. Ein Freund riet damals, als sich abzeichnete, wie schwierig es war, an verlässliche Informationen über die Umbauzeit 1938 durch die gegenwärtigen ‚Hüter des Alsterdorfer Geschichtsbildes‘ zu kommen, darüber einen Krimi zu schreiben. – Allerdings war gerade ein Krimi zum Thema der NS-Vergangenheit der Alsterdorfer Anstalten erschienen, der allerdings trotz angeblicher ‚investigativer Bemühung‘ keineswegs neues Licht in die Sache gebracht hat, sondern genau dieser Kategorie der ‚virtual reality‘ bzw. Desinformation zuzuordnen war.2 Also lieber doch keinen Krimi daraus machen, damit nicht Fiktion und nachprüfbare Quelleninformationen verschwimmen?

Wie beim Krimi sind jedoch die Vielfalt von zusammen zu bringenden Informationen etwas, was Menschen abschreckt, wenn nicht die Verschränkungen der Details spannend genug – sowie trotz der vielfältigen Verstrickungen zielgerichtet – in einem Plot aufbereitet werden und schließlich zur eindeutigen Auflösung des Falles hinführen. Da es sich jedoch im vorliegenden Fall nicht um einen Mord oder großangelegten Betrug handelt, auch keine Sex-Affären sondern wohl eher persönlicher Ehrgeiz und vielleicht wirtschaftliche Interessen im Hintergrund treibende Kräfte bilden, ist nicht an eine Sensationsstory zu denken. Trotzdem erscheint es als sinnvoll, ähnlich wie bei den englisch-sprachigen Krimis für die Untersuchung die drei Frageebenen „means, motives and opportunity“ zu scheiden, um eine Sichtung der Indizien vorzunehmen:

die Hilfsmittel und Medien, die als „Tat-Instrumentarien“ von dem Fall erhalten sind;

die Motive von Beteiligten zu sichten;

die Klärung der Möglichkeiten der Tatbeteiligten.

Wie bei der komplexen Situation, um die es unten gehen soll, ist es notwendig sowohl für die Anfänge, die über 100 Jahre zurückliegen, als auch für die neueren Kontexte die notwendigen Quelleninformationen aufzubereiten. Dieses soll z.T. in Anhangselementen geschehen. Wer also einen Blick in die ‚Asservatenkammer‘ tun will, kann diesen spannenden Blick riskieren und sich weiter in die Details eindenken, die zur ‚Lösung des Falles‘ notwendig sind.

1.1 Anfangsverdacht

Angefangen hat die Rückfrage durch gewisse Zufälle, in die ich quasi hineingestolpert bin, wie es häufig auch bei Krimis der Fall ist. Und Zufälle sind ja gelegentlich verblüffend – besonders, wenn sie mit dazu beitragen, etwas neu sehen zu lehren. So ist es auch mit der Kenntnis eines der Bilder des Hamburger Malers Heinrich Stegemann (1888-19453). Es fand sich bei der Kunsthistorikerin Dr. Gisela Hopp (1926-2015) in einem Nachlass, der über Jahrzehnte bei ihr verwahrt war. Ihr Vater, der Architekt Bernhard Hopp (1893-1962), hatte in den 1950-er Jahren von der verehrten und befreundeten ehemaligen Klavierlehrerin seiner Kinder, Frl. Elisabeth Detlefs, eine Anzahl von ca. 35 Stegemann-Bildern erworben, um ihr aus einer wirtschaftlichen Notlage zu helfen. Um eines davon, das von Stegemann mit „Mühlenbarbeck“ beschriftete Bild, soll es unten hauptsächlich gehen.

Die zu schildernde und neu gesehene ‚Entdeckung‘ beinhaltet zahlreiche Informationen, die ich quasi in der Aufbereitung der Indizien erst zusammenzubringen hatte. Vom Ende her gesehen lässt sich das vordergründige Ergebnis relativ leicht etwa wie folgt zusammenfassen: Heinrich Stegemann hat 1917 von einem Bauernhaus eine Bleistiftzeichnung angefertigt. Bei dem dargestellten Gebäude handelt es sich um eines der Häuser, die auch 1915 vom Fotografen Detlef Vahlendick (1866-1946) in dem Ort Mühlenbarbek in einem ähnlichen Erhaltungszustand aufgenommen wurden, um sie ggf. als Illustration zu Schriften des Autors Johann Hinrich Fehrs (1838-1916) kommerziell zu nutzen. – Das Besondere ist nun: Das Gebäude wurde 1908 bereits einmal zum 70. Geburtstag dieses niederdeutschen Dichters auf einer Postkarte abgebildet, die neben seinem Portrait, Namen und den Jahreszahlen 1838 und 1908 als Hauptmotiv eine Bauernhaus-Szene darstellt. Die Ansichtskarte ist beschriftet: „Geburtshaus des Dichters J. H. Fehrs in Mühlenbarbek“.

Der genauere Vergleich des letztgenannten Bildes mit dem von Stegemann gezeichneten zeigt, dass es sich um dasselbe Haus handelt – allerdings in seitenvertauschter Darstellung. Als einfachste Erklärung bietet sich die Annahme an, dass bei der Produktion der „Geburtshaus-Postkarte“ die zugrundeliegende fotografische Vorlage versehentlich seitenverkehrt wiedergegeben wurde.

Soweit stellt sich die Zusammenfassung als ‚vordergründiges Ergebnis‘ zur Lösung des Falles als recht einfach dar. – Die simple Erklärung ist für das Nebeneinander einerseits zwar hinreichend. Aber was nicht erklärt wird, ist der Sachverhalt, dass die seitenverkehrte Darstellung über 100 Jahre nicht korrigiert wurde. Denn zumindest zu Lebzeiten des Dichters existierten auch die oben erwähnten Fotos von 1915, die das Haus in der Weise darstellen, wie sie 1917 von Stegemann gemalt wurde. Stattdessen wurde die schwarz-weiße Foto-Vorlage der „Geburtshaus-Postkarte“ nicht nur mehrfach reproduziert sondern auch mit dieser Seitenvertauschung ein Öl-Gemälde angefertigt, das bis in die Gegenwart im „Fehrs-Zimmer“ des Kreismuseums Prinzesshof ausgestellt ist.

Abb. 1: Fehrstorte mit Geburtshaus und Fehrs-Bild

Bei den touristisch aufbereiteten Events der Itzehoer Stadtrundgänge mit „Marie Amalie Fehrs“ wird z.T. das Fehrs-Geburtshaus auf einer durch Zuckerguss und Marzipan veredelten Fehrs-Torte abgebildet (wie im Bild links)

Und damit kommt ein historischer Aspekt in den Fragehorizont, der über die rein physische Erklärung der Glasplatten-Drehung weit hinausreicht – und bisher so nicht im Zusammenhang der Beschäftigung mit dem Dichter Johann Hinrich Fehrs bearbeitet wurde – nämlich die ‚frühe Fehrs-Propaganda‘.

1.2 Fehrs-Propaganda

Es ist jedoch natürlich nicht so, dass es keine wissenschaftliche Beschäftigung mit der Propaganda für den niederdeutschen Autor J.H. Fehrs gäbe. Im Gegenteil: im Zusammenhang meiner Ausarbeitung zur Biografie des ehemaligen Wellingsbütteler Pastors Christian Boeck (1875-1964) habe ich mich recht intensiv sowohl mit dem Schrifttum von Fehrs als auch der umfangreichen Literatur über ihn auseinandergesetzt.4 Denn Chr. Boeck war bereits in einigen der Beiträge ausgemacht worden als einer der wichtigsten „Propagandisten“, die das Andenken an diesen Autor zu ihrer Sache gemacht haben.5 Der Fehrs-Sohn, Pastor Karl C. Fehrs (1873-1941), und Pastor Christian Boeck, die seit Studienzeiten in den späten 1890-er Jahren mit einander befreundet waren, haben zusammen mit dem etwas jüngeren Jacob Bödewadt (1883-1946) kurz nach dem Tod des Dichters noch im Herbst 1916 die „Fehrs-Gilde“ gegründet. Dieser Verein wurde die Plattform der späteren Fehrs-Propaganda. Von Boeck und Bödewadt stammen jedoch auch schon die ersten Monografien zu Fehrs, die noch zu dessen Lebzeiten erschienen sind:

„Beide haben als unermüdliche Propagandisten für Fehrs gewirkt und wurden von ihm als verständnisvolle Interpreten akzeptiert. … Boeck und Bödewadt haben mit einer Vielzahl von Artikeln und mit der Fehrs-Gilde als institutionalisierter Sachwalterin des Erbes das Bild des Dichters nachhaltig geprägt…“6

Die künstlerisch-ideologischen sowie ökonomischen Zusammenhänge unterschieden sich in der früheren Zeit jedoch beträchtlich von denen nach dem Tod des Dichters und der Gründung der „Fehrs-Gilde“ 1916, die sich in vielen Aspekten änderten. Verschiedentlich ist die Tendenz als völkisch sowie zunehmend als nationalsozialistisch (und besonders durch den Schriftwart Boeck auch die Rasse-Propaganda unterstützend) beschrieben worden. Zitiert wird als Spitzenaussage eine Formulierung, die Kay Dohnke – als m.E. bestem Kenner der damaligen Fehrs-Forschung in dem oben7 genannten Beitrag von 1985 - niedergeschrieben hat:

„Ganz offenkundig nimmt Boeck im Vergleich zu anderen Funktionären, die sich in ihren Schriften an der Selbstinterpretation der Niederdeutschen Bewegung beteiligten, insofern eine Sonderstellung ein, als ihm attestiert werden muß, daß sich seine ‚Einstellungen […] hart an der Grenze der völkisch-konservativen Weltanschauung‘ bewegten und ‚bereits eindeutig faschistoide Züge‘ aufwiesen (Dohnke 1985, S. 91)“8

Das ist allerdings nur die eine Seite der Beurteilung, die Dohnke in Bezug auf das Lebenswerk von Boeck abgibt. Er blickt auch auf dessen Wirken nach der NS-Zeit und speziell auf den 1949 von ihm gegründeten ‚Verlag der Fehrs-Gilde‘ und dessen offenere verlegerische Ausrichtung.9 – Insofern haben Boeck und auch die Fehrs-Gilde im Laufe der Epochen ihr Gesicht gewandelt, so dass inzwischen auch die Rückfrage nach dem Wirken in der NS-Zeit offen geführt werden kann.

Im Fragehorizont nach dem Geburtshaus-Bild soll es jedoch um einen Aspekt gehen, der bisher nur sporadisch betrachtet wurde. Dabei ist eine Bemerkung von Michael Töteberg sicher als zutreffend zu berücksichtigen:

„Das oft entworfene Bild des still und abseits vom literarischen Markttreiben wirkenden Dichters – Boeck: Fehrs >machte keine Reklame und ließ keine Reklame für sich machen< – entspricht nicht der Wirklichkeit. Freunde wurden angeschrieben und ihnen die Rezension der jeweiligen Neuerscheinung nahegelegt…“10

Dass Boeck in der zitierten Grabrede nicht gerade die durchaus wahrnehmbare Eitelkeit und Bemühungen um den dem Dichter ‚zustehenden‘ Ruhm herausgestrichen hat, wird u.a. der Textgattung zuzuschreiben sein – und einer möglicherweise auch beim Redner durch die persönliche Beziehung zum väterlichen Freund beeinflussten Wahrnehmung. Sicher ist jedoch, dass eine ‚frühe Fehrs-Propaganda‘ bereits zu Lebzeiten von J.H. Fehrs praktiziert wurde. Dabei ist zu bedenken, dass der Sprachgebrauch ‚Propaganda‘ zu dieser Zeit noch nicht durch die Pervertierung der NS-Propaganda und den späteren ‚Minister für Volksaufklärung und Propaganda‘ den Beiklang politischer Indoktrination hatte. Vielmehr geht es im damaligen Sprachgebrauch um Werbung und Maßnahmen, die zwar zur Beeinflussung des Konsumenten-Verhaltens beitragen, die jedoch – vergleichbar zur Werbung für auch andere kommerzielle Warenangebote oder Dienstleistungen – offen für die Entscheidung der Adressaten bleibt.

Die beiden bereits genannten ‚Propagandisten‘, Jacob Bödewadt und Christian Boeck, gilt es im Zusammenhang dieses ‚Krimis‘ in ihrem Zusammenwirken mit dem Dichter Johann Hinrich Fehrs hauptsächlich in dessen letztem Lebensjahrzehnt wahrzunehmen. In dieser Zeit konnte Fehrs sich seinen schriftstellerischen Aktivitäten in ungleich intensiverer Weise widmen, als es ihm die wenigen Mußestunden ermöglichten, während er hauptberuflich bis 1903 noch als Leiter der privaten Töchterschule tätig war. Diese konnte er an die Stadt Itzehoe im Alter von 65 Jahren abgeben und erhielt eine kleine städtische Pension. Nach einem längeren Kuraufenthalt begann er in dem neuen Lebensabschnitt, das seit langem begonnene Vorhaben des Romans „Maren“ zum Abschluss zu bringen. Nach 20-jähriger Arbeit am Text konnte er diesen niederdeutschen „Dörp-Roman“, wie er im Untertitel benannt wurde, im Frühjahr 1907 fertigstellen. Fehrs nimmt in diesem von ihm als Hauptwerk angesehenen Text in zahlreichen Details Elemente auf, die er zuvor bereits in einzelnen Novellen und Erzählungen veröffentlicht hatte. Vielfach werden Personennamen und Beschreibungen wieder aufgenommen, die das Geschehen in dem als ‚Ilenbek‘ benannten Dorf prägen.

Die Phasen und Hintergründe des literarischen Werdens der Fehrs’schen Texte sind in der fünfbändigen großen Werkausgabe von 1986ff durch Kay Dohnke und Jürgen Ruge gründlichst erarbeitet und dargestellt worden.11 Dabei sind auch zahlreiche Briefwechsel bereits ausgewertet, die zwischen J.H. Fehrs sowie seinen Bekannten und Verwandten über den Stand seiner Arbeiten berichten. Auch der Wunsch nach der ihm eigentlich ‚zustehenden Anerkennung‘ für sein dichterisches Schaffen kommt darin zum Ausdruck – ebenso wie konstatiert wird, dass ihm diese in der Großstadt sicher schon zuteil geworden wäre.

Allerdings finden sich zahlreiche weitere Korrespondenzen und Materialien, die noch nicht entsprechend für die ‚frühe Fehrs-Propaganda‘ ausgewertet worden sind. Sie machen nachvollziehbar, wie schrittweise die ersehnte Anerkennung für Fehrs zustande gekommen ist – und wie Werbung dafür betrieben wurde. An diesen Bemühungen ist der persönliche Anteil des Dichters nicht zu unterschätzen, denn er wäre keineswegs ohne solches Streben nach Anerkennung angemessen zu verstehen. Er selbst hat dazu beigetragen, dass die Dechiffrierung des fiktiven Dorfnamens ‚Ilenbek‘ als Deckname für sein Heimatdorf „Mühlenbarbek“ sich verbreitet hat und damit das fiktive Element der Erzählungen zugunsten der stärker auf Authentizität gerichteten Ebene eigenen Erlebens verschoben wurde. Dieser Vorgang im Zusammenspiel mit den Aktivitäten und Beiträgen der beiden schon genannten ‚Propagandisten‘ ist wesentlicher Teil der ‚frühen Fehrs-Propaganda‘. Auf diesem Hintergrund ist die besondere Rolle des Bildes vom Geburtshaus in Mühlenbarbek zu sehen, um die es unten im Weiteren gehen wird – und auf dessen Probleme ich erst durch Zufall aufmerksam wurde.

1 Siehe dazu www.huj-projekt.de/downloads/hopp_u_jaeger-flyer.pdf sowie die gedruckten Projektberichte Nr. 1 und Nr. 2.

2 Siehe dazu Gleßmer / Lampe (20162) S. 115f.

3 Eine Kurzübersicht zu Stegemann bietet Maike Bruhns: Der neue Rump.- 2. Aufl. Hamburg 2013, S. 444. Ausführliche Informationen zu diesem Künstler finden sich u.a. in dem Sammelband von Maike Bruhns / Ruth Dunkelmann / Marianne Risch-Stolz: Heinrich Stegemann 1888–1945. Annäherungen.- Hamburg 1999 sowie u.a. in zwei Bänden zu Stegemann-Ausstellungen: „Bilder vom Krieg“ (2015) und „Malerei und Plastik in Deutschland 1936“ (2016) jeweils herausgegeben von der Kunststiftung Heinrich Stegemann.

4 Gleßmer (2016).

5 Insbesondere die Beiträge von Dohnke (1985) SB und Töteberg (1987) SB sind hier zu nennen..

6 Töteberg (1987) SB S. 253.

7 Siehe in Anm. 5.

8Hopster / Wirrer (1994) SB S. 102.

9 Siehe dazu das ausführliche Zitat aus Dohnke (1985) FS S. 97f bei Gleßmer (2016) S. 177 bei Anm. 548.

10 Wichtige Elemente, die zum Verfolgen der Spuren beigetragen haben, finden sich ebenfalls in dem in Anm. 5 genannten Beitrag von Töteberg (1987) SB 254ff in seiner Betrachtung zu Jacob Bödewadt, hier das Zitat von S. 256, das sich auf „Christian Boeck, Johann Hinrich Fehrs, in: Mitteilungen aus dem Quikborn 10 (1916/17) Nr. 1 S. 8“ bezieht.

2 Means: Mittel der Geburtshaus-Darstellung

Im Unterschied zum Stand, den die musterhafte, kritische Textedition von K. Dohnke und J. Ruge von 1986ff in fünf Bänden bietet, existiert eine systematische Zusammenstellung des Bildmaterials um den Dichter J.H. Fehrs z.Z. noch nicht. Gerade die große Menge der erhaltenen Porträt-Aufnahmen sowie der von ihm angefertigten Büsten belegt, dass die anschauliche Präsentation des Autors neben seinen Texten als wichtiger Faktor für seine Popularität eingeschätzt worden ist. In der Zeit am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind durch die neuen technischen Möglichkeiten der Fotografie (z.B. bebilderte Visiten- und Ansichtskarten) fotografische Darstellungen zu wichtigen Kommunikationsmitteln geworden.

Die Möglichkeiten, fotografische Bilder auch in den gedruckten Textmedien zu verwenden, sind parallel dazu deutlich größer geworden, so dass sie Teil der Massenkommunikation wurden, wie u.a. auch die vielfältige Produktion von diversen Ansichtskarten, Bildkalendern und Zeitschriften-Abbildungen in dieser Zeit zeigt. Die Nutzung von Postkarten für eine personen-bezogene Werbung für einen Dichter ist dabei etwas, was nicht erst bei der Postkarte mit dem Geburtshaus von Fehrs in Mühlenbarbek zu seinem 70. Geburtstag 1908 beginnt. Die Nutzung dieses Medium hat vielmehr eine gewisse Parallele wenige Jahre zuvor bereits etwa bei dem Autor Gustav Frenssen, wie unten weiter zu beschreiben sein wird.

2.1 Zufällig zusammenkommende Informationen

Der oben erwähnte ‚Zufall‘ liegt nun darin, dass ich 2015 im Zusammenhang des Dokumentationsprojektes zum Architekturbüro der beiden Kirchenbaumeister, Bernhard Hopp & Rudolf Jäger (= H&J)12 die damals 89-jährige Gisela Hopp mehrfach in ihrer Privatwohnung in Reinbek besuchen konnte.13 Sie gewährte mir Einblick auch in den von ihr übernommenen Nachlass ihres Vaters aus Korrespondenzen sowie in ihre umfangreiche Kunstsammlung, die ich für die Nutzung des Projektes auch fotografieren durfte. (Eine Übersicht bieten einige Abschnitte im Anhang).14 Dazu gehören auch zahlreiche Bilder von Heinrich Stegemann. Inzwischen ist im Rahmen des H&J-Projektes u.a. ein erster Teil der Biografie ihres Vaters publiziert, der durch das genannte und weiteres Material aus dem Familien-Nachlass deshalb inhaltlich bereichert werden konnte, weil ich nach dem 2015 erfolgten Tod von Gisela Hopp von der Familie gebeten wurde, die Trauerfeier zu halten. (Auch dazu sind dokumentierende Informationen im Anhang festgehalten). Im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Trauerfeier sind mir bzw. dem H&J-Projekt weitere, sehr umfangreiche Informations-Materialien von der Familie zur Verfügung gestellt worden.

Vor allem ist daraus auch die Projekt-Mitarbeit eines Enkels von Bernhard Hopp bzw. eines der Neffen der Verstorbenen erwachsen, der über den Nachlass der Familie verfügt.15 So bin ich seit dem 14.1.2017 durch die Schenkung des Originals des eingangs erwähnten Stegemann-Bildes „Mühlenbarbeck“ durch diesen Neffen und Erben der Bildersammlung, durch den Architekten und Künstler Manuel Hopp, in den Besitz dieser unten abgebildeten, schönen Bleistift-Zeichnung gekommen.16

Durch den H&J-Kirchbau in Hamburg-Wellingsbüttel und dessen Vorgeschichte ist zudem die eingehende Beschäftigung mit der Person von Pastor Christian Boeck wichtig geworden. Daraus entstand 2016 dann zur 100-Jahr-Feier der Fehrs-Gilde die Veröffentlichung: „Zur Biografie von Pastor Christian Boeck (1875-1964) – Viele Jahre im Dienste der Kirche und der Fehrs-Gilde“.17 Damit ergab sich – wie bereits geschildert – ein intensives Studium des Fehrs-Schrifttums, weiten Teilen der in den letzten 35 Jahren erarbeiteten kritischen Sekundärliteratur sowie Beschäftigung mit biografischen Details des niederdeutschen Dichters Johann Hinrich Fehrs (1838-1916). Insbesondere auch das weitere Fehrs-Bildmaterial, das sich im Nachlass von Pastor Boeck fand und das zu einer eigenen Zuordnung zu den bereits bekannten Fehrs-Bildern herausforderte, gehört zu den Elementen des ‚neuen Sehens‘. – Allerdings waren zum Zeitpunkt des 100-jährigen Jubiläums der Fehrs-Gilde im Oktober 2016, zu dem auch die Biografie über ihren langjährigen Schriftwart und von 1938-1964 Vorsitzenden, Christian Boeck, fertig gestellt sein sollte, die Hintergründe des Geburtshaus-Bildes nur zum Teil bekannt.18 Also hat es nachlaufend – auch durch die dort entstandenen Kontakte zu Mitgliedern der großen Fehrs-Familie unterstützt – eine weitere Sammlung von Indizien und Studien der Archivmaterialien gegeben. Daraus ist dann die vorliegende Zusammenstellung entstanden.

2.1.1 Die Stegemann-Bilder von Dr. Gisela Hopp

Im Nachlass von Gisela Hopp sind zahlreiche Bilder, Drucke und Zeichnungen des Hamburger Malers Heinrich Stegemann (1888-1945)19 erhalten, bei denen es sich z.T. um Unikate handelt. Sie hatte mir dazu 2015 erläutert, dass es sich beim Erwerb dieser Kunstwerke um eine Unterstützung gehandelt hat, um der in finanzieller Notlage befindlichen Besitzerin zu helfen. Über den Kontakt zu der früheren Besitzerin Elisabeth Detlefs – im früheren Sprachgebrauch für unverheiratete Frauen als ‚Frl. Detlefs‘ benannt und hier quasi als Eigenname beibehalten – existieren mehrere Dokumentationen in der privaten Korrespondenz des Architekten Bernhard Hopp sowie auch ein Eintrag in seinen Notiz-Tagebüchern. Frl. Detlefs war lange Jahre hindurch die verehrte Musiklehrerin der Hopp-Kinder (geboren: 1926 Gisela, 1928 Asmus, 1929 Hans-Jürgen und 1938 Christian). Die spätere Kunsthistorikerin, Dr. Gisela Hopp, hat vor ihrem Tod 2015 noch davon berichtet, dass Frl. Detlefs zu den Klavierstunden regelmäßig auch nach Fuhlsbüttel kam, wo sie mehrere Schüler ‚vor Ort‘ unterrichten konnte, so dass diese nicht zu ihrer Wohnung (im Erlenkamp nahe der Mundsburger Brücke) zu fahren brauchten.

Abb. 2: Klavierlehrerin E. Detlefs mit Schülern

Auf dem Foto20 (ca. 1939) ist ganz links Gisela und vor ihr ihr Bruder Asmus zu sehen, während Frl. Detlefs in der Mitte der Schülergruppe steht. [Für die Identifizierung danke ich Frau Marianne Klinkenberg].

Außer der indirekten Beziehung über Elisabeth Detlefs kannte Bernhard Hopp vermutlich auch persönlich den fünf Jahre älteren Heinrich Stegemann, der wie er selbst über eine Malerlehre sich zum Kunstmaler fortgebildet hatte. Zumindest 1935 haben sie auf einer Ausstellung im Kunstverein gemeinsam ausgestellt, wie aus dem Heft „Maler, Bildhauer, Architekten stellen aus im Kunstverein Neue Rabenstraße 25 (Oktober – November 1935)“ hervorgeht. Hopp firmiert allerdings zu diesem Zeitpunkt zusammen mit Jäger in der Sparte Architekten.21

Auf diesem Hintergrund erscheint es als denkbar, dass Bernhard Hopp auch unter denjenigen Personen gewesen ist, die nach den frühen Bombenangriffen auf Hamburg 1941 und der ersten Teilzerstörung im Atelier von Stegemann ihm einige der verbliebenen Bildern abgekauft haben. Von diesem Vorgang hat Stegemann in einem Brief an Karl Henke Weihnachten 1942 berichtet:

„Bei mir waren in den letzten 14 Tagen nacheinander Architekten, ein Anwalt, ein Arzt, Musiker, also lauter Menschen mit gutem Kunstverständnis und –Bedürfnis und haben Aquarelle und Lithos (Logenblätter und Kriegsblätter) gekauft. …“22

Explizit finden sich aber erst aus der Nachkriegszeit und nach dem Tod Stegemanns im Kontext der Korrespondenzen Hopps Hinweise auf den Erwerb von Stegemann-Bildern. Und zwar wird in einer Briefkarte von Elisabeth Detlefs23 an Bernhard Hopp zu Pfingsten 1953 auf die Übergabe von einem Geldbetrag (200 DM) Bezug genommen ebenso wie auf die Weggabe von Stegemann-Bildern an Familie Hopp – speziell wegen Giselas Wunsch:

„… dann fiel mir ein, dass ich ja noch kein Stegemann-Blatt fortgeben darf, bevor wir die Sachen sortiert, taxiert und das Resultat irgendwie festgelegt haben. Und den Dürer und Aldyrares (?) als Ersatz von der eigentlichen St.-Sammlung anzubieten, schien mir etwas paradox.

Immerhin klingen mir Giselas Worte in den Ohren: die möchte ich schon sehen. Also, wenn Sie mit dieser Vorweg-Lösung einverstanden sind, u. Gisela die Blätter Freude bringen, soll sie sich melden. Sonst warte ich, bis Sie persönlich mit der Beratung der Herrn? … u. wir schriftlich alles geordnet haben. Ich freue mich, dass die von mir sehr geliebten Dinge in Ihre u. Ihrer Familie Hände kommen werden und danke Ihnen von Herzen für die grosse Zusendung (200-).

Ihrer lieben Frau und Ihnen - sowie Gisela u. Christian – herzliche Grüsse Ihre Elisabeth Detlefs“

Vorausgesetzt ist die Taxierung eines Nachlasses – vielleicht von der Witwe Ingeborg Stegemann (geb. Krause) – die wohl ihrerseits mit Frl. Elisabeth Detlefs verschwägert bzw. indirekt verwandt war.24 Neben den Bildern aus dem Stegemann-Nachlass25 ist Elisabeth Detlefs auch selbst im Besitz von zahlreichen ihr von H. Stegemann geschenkten und persönlich gewidmeten Zeichnungen gewesen, die sich dann noch 2015 im Besitz von Dr. Gisela Hopp befanden.

Von Stegemann ist auf mehreren datierten Bildern vermerkt: „Frl. Detlefs zum Geburtstag 1924“26, „Mühlenbarbek Febr. 17“ - „Frl. Detlefs zum Geburtstag 1925“27, „Frl. Detlefs zu Weihnachten 1927“28.

Von mehreren solchen Schenkungen ist auch in einem dreiseitigen, maschinenschriftlichen Dokument die Rede, das sich ebenfalls im Nachlass Gisela Hopps befindet und das – wie als Überschrift gestaltet – beginnt: „Begegnung und freundschaftliche Bindung mit einer Künstlerpersönlichkeit, wie die Heinrich Stegemanns, zeichnen sich tief ein.“29 Die Autorin dieses Textes muss Elisabeth Detlefs sein, die u.a. bei Besuchen in der nahegelegenen Wohnung Stegemanns und seiner Frau Ingeborg ihn bei Arien und Schubert-Liedern als Pianistin begleitet hat.30 Sie berichtet auch davon, dass sie im Atelier für Stegemann als Model gesessen habe sowie von ihm auch am Klavier gemalt wurde.

In dieser Beschreibung, die sich primär auf die 1920er Jahre bezieht, jedoch bis zu Stegemanns Tod 1945 reicht, ist u.a. von ihrem Schwager die Rede, der von Stegemann porträtiert wird. Zwar ist klar, dass ihre Schwester ebenfalls eine geborene Detlefs sein muss. Es ist jedoch noch nicht gelungen, ihren Schwager bzw. seinen Namen zu identifizieren. Die Rede ist auch von ihrem einen Bruder, der in Ohlstedt ein Haus hatte.31 Ebenso ist von einem zweiten Schwager im Zusammenhang mit einem Gartenfest. Auch ein zweiter Bruder von Elisabeth bekommt bei einem Familienfest von Stegemann eine „allseits begehrte Oelstudie“. Beide Familien waren in regelmäßiger freundschaftlicher Beziehung. Wie in ihrem berichtenden Text die Bezugnahme Stegemanns auf (s)eine (?) „Judenbraut“ zu deuten ist, bleibt bisher leider undeutlich.

Abb. 3: Brücke in Paris (H. Stegemann)

Eines der im Bericht genannten Bilder, „das herrliche Brückenbild aus Paris (1925)“, das besonders erwähnt wird, weil es früher den Musikraum von Elisabeth Detlefs geschmückt hat, hat auch bei Gisela Hopp bis zuletzt über ihrem Bett an der Wand gehangen.32

Bei einem anderen, ebenfalls (am Schluss des Berichts) genannten Bild wird es sich wohl um das folgende handeln:

Abb. 4: Elly Ney (H. Stegemann)

„Im Herbst 45 bringt mir Frau Inge eine Lithographie ‚Elly Ney am Flügel‘ als letzten Gruß des toten Freundes“.33 – Damit kommt dieser Bericht über Stegemann an sein Ende. Wann genau seine Frau Ingeborg (nach 1962) gestorben und wie die Wege der verschiedenen Teile des Nachlasses und aller Begünstigten genau zu rekonstruieren sind, ist mir z.Z. noch nicht erkennbar. Ingeborg hat ihren Teil an den Museumsberg in Flensburg gegeben.

Sicher ist auch, dass es ein Treffen zwischen Frl. Detlefs und ihrer Schwester einerseits sowie Bernhard und Gisela Hopp andererseits gegeben hat, wie es die Notiz im Tagebuch Bernhards Hopps am 10.7.1954 ausweist:

“3° Frl. Detlefs Wohng. mit Gisela + der Schwester

Frl. Detlefs die Blätter Stegemann nach Listen ausgewählt und mitgenommen.“34

Zu diesem Zeitpunkt muss die Taxierung abgeschlossen gewesen sein. Es scheint auch eine Art Vertrag gegeben zu haben, denn in einem kurzen Brief vom 11.4.1956 schreibt Frl. Detlefs als Antwort auf einen (nicht erhaltenen) Hopp-Brief:

„Lieber Herr Hopp,

entschuldigen Sie, dass ich erst heute Ihr Schreiben vom 9. März 56 beantworte. Ich unterschreibe nun also, und habe das gleiche Vertrauen wie vor Jahren am Anfang unseres Gesprächs. Mögen Sie und Ihre Familie Freude an den Bildern haben. Sie wissen, dass mir mit möglichst baldiger, regelmäßiger Zahlung am meisten geholfen wird. Ich grüsse Sie und Ihre Familie (bis zum Manuel!) herzlich Ihre Elisabeth Detlefs.“

Hier ist bereits der erste und gerade geborene Hopp-Enkel, der Sohn von Asmus und Ilse Hopp, Manuel Hopp, erwähnt: dieses zeigt die andauernde enge und freundschftliche Beziehung zur Familie an, wie sie auch von Gisela 2015 noch liebevoll erwähnt wurde.

Eine Liste der Fotos, die für das Hopp-und-Jäger-Projekt 2015 mit Zustimmung von von Dr. Gisela Hopp zur Verwendung im Projekt von den in ihrem Besitz befindlichen Stegemann-Werke gemacht werden konnten, ist nach ihrem Tod an ihren Bruder Christian gegangen.35 Er war testamentarisch als Erbe eingesetzt, war jedoch bereits sehr krank. Leider ist er am 8. Januar 2016 gestorben, und die jetzige, beurkundete Situation ist nicht ganz klar. Die Originale sind auf jeden Fall in die Verfügung des o.g. Neffen von Gisela, Manuel Hopp, gekommen.36

2.1.2 Das Bild ‚Mühlenbarbeck‘ von Heinrich Stegemann

Bei dem o.g. Mühlenbarbeck-Bild, das Stegemann 1917 produziert hat, handelt es sich um eine Bleistiftzeichnung im Din-A4-Format. Stegemann hatte sie mit ‚Febr. 17‘ datiert und bei seiner Signatur notiert, dass er das Bild „Frl. Detlefs zum Geburtstag 1925“ zum Geschenk gemacht hatte. Es zeigt ein Bauernhaus und ist – wie erwähnt – beschriftet mit ‚Mühlenbarbeck‘. - Der Ortsname ‚Mühlenbarbeck‘ (bzw. teils und später meist auch ‚Mühlenbarbek‘ geschrieben) bezeichnet ein kleines Dorf an der Straße zwischen Itzehoe und Kellinghusen, wie es das ‚Messtischblatt des Deutschen Reiches bis 1919‘ zeigt.

Abb. 5: Kartenausschnitt: Mühlenbarbek

Dieses Dorf hat jedoch eine gewisse Bekanntheit dadurch erhalten, dass es der Geburtsort des erwähnten Heimatdichters Johann Hinrich Fehrs ist. Er hat an diesem Ort jedoch nicht als Erwachsener gelebt, sondern sein Lebensmittelpunkt lag seit 1865 in Itzehoe, wie Fehrs in seiner 1906 geschriebenen Selbst-Biografie angibt:

„… ich … war einige Jahre Hülfslehrer und übernahm dann im Herbst 1865 die Leitung einer höheren Privatmädchenschule in Itzehoe…“37

In den Texten des Dichters begegnet mehrfach der Ort ‚Ilenbek‘, der jedoch bereits von den Zeitgenossen als Entsprechung zu Fehrs‘ Heimatort entschlüsselt wurde, der den Hauptschauplatz u.a. auch für den 1907 fertiggestellten Roman „Maren“ darstellt.38 – Mit diesem Ortsnamen ist auch das Bauernhaus-Bild von 1917 bezeichnet, das Stegemann „Frl. Detlefs zum Geburtstag 1925“ geschenkt hat:

Abb. 6: Die Zeichnung „Mühlenbarbeck Febr. 17 Stegemann“

2.1.3 Die Fehrs-Geburtshaus-Lorbeerkranz-Postkarte

Seit seinem 70. Geburtstag im Jahr 1908 gab es zu Fehrs‘ Ehren besondere Postkarten. Sie zeigen Fehrs mit Lorbeerkranz und wurden durch den „Verlag: Hugo Gosau, Itzehoe“ vertrieben, wie jeweils die Rückseite ausweist.39 Eines der Postkarten-Exemplare findet sich im Kreismuseum Prinzesshof in Itzehoe, aus dem der folgende Ausschnitt entnommen ist:40

Abb. 7: Ausschnitt Lorbeerkranz auf der Geburtshaus-Postkarte

Kreismuseum

Prinzesshof;

Fehrs_Mühlenbarbek_1997-366.

Beschriftung der Vorderseite:

„Geburtshaus des Dichters J. H. Fehrs in Mühlenbarbek“

10. April

1838 1908

J.H. Fehrs

Die genaue Vorgeschichte zum Druckauftrag dieser Karten ist in der Fehrs-Literatur nicht diskutiert worden und lag bisher ganz im Dunklen. Durch eines der fünf mir (bisher) bekannten Postkarten-Exemplare, das 1909 verwendet und abgestempelt worden ist, ist sicher, dass die Karten immerhin 1909 – aber wohl auch zum Geburtstag 1908 – existiert haben. Ein anderes Exemplar wurde noch 1916 verwendet, wie unten bei der Abbildung der Karte geschildert wird, und zeigt damit die große Verbreitung über einen längeren Zeitraum an.

Der Hintergrund zur Herstellung ist vermutlich darin zu suchen, dass der ab 1872 mit gedruckten hochdeutschen und niederdeutschen Werken literarisch präsente Dichter inzwischen über die Region hinaus bekannt geworden war.

Abb. 8: Urkunde Ehrenmitgliedschaft in der Hamburger Vereinigung Quickborn

So wurde Fehrs im Jahr 1907 zum Ehrenmitglied der plattdeutschen Vereinigung Quickborn in Hamburg ernannt, wie die auf den 1. März 1907 datierte Urkunde links ausweist, die im Kreismuseum in Itzehoe aufbewahrt wird:

Der ‚Quickborn‘, Vereinigung von Freunden der niederdeutschen Sprache u. Literatur, Hamburg, ernannte in seiner Sitzung am Dienstag, d. 12. Februar 1907, Herrn

Johann Hinrich Fehrs, Itzehoe,

den bedeutendsten lebenden Vertreter niederdeutschen Schrifttums, den gemütvollen und herzgewinnenden plattdeutschen Dichter und Erzähler, den eifrigen Förderer der neuplattdeutschen Bewegung in Anerkennung und Würdigung seiner Lebensarbeit einstimmig zum

ersten Ehrenmitgliede der Vereinigung.

Hamburg, den 1. März 1907.“

Unterzeichnet ist diese Urkunde von fünf Personen mit den Unterschriften:

„Stuhlmann Paul Wriede H.E. Müller

Julius Broszinsky E. A. Boehden“

Kurz vor dem Datum der Urkunde hatte Fehrs im Jahr 1907 das Manuskript des niederdeutschen Romans „Maren“ nach langer Vorarbeit von ca. 20 Jahren zum Abschluss gebracht. Er erschien nach einer drucktechnischen Verzögerung dann im Herbst 1907 in einer ersten Auflage und wird von dem letzten der o.g. Unterzeichner der Quickborn-Ehrenmitgliedschafts-Urkunde, Erwin Boehden, als zentraler Text in seinem Gratulationsartikel in den ‚Mitteilungen aus dem Quickborn“ beschrieben:

„…ein Bild des dörflichen Lebens in Ilenbeck … Organisch zusammengefasst sehen wir erst die Fülle der Menschengestalten, die ein kleines Geestdorf enthät, in dem soeben bei Lühr & Dircks herausgekommenen großen Roman ‚Maren, en Dörp-Roman ut de Tid von 1848 – 1851‘. … Hier zeigt Fehrs, … daß er es … versteht, den umfangreichen Stoff eines großen Romans zu meistern. Der Roman wie auch die Erzählungen sind in der Sprache seiner engeren Heimat geschrieben; … unser geliebtes Plattdeutsch … gehandhabt von einem Dichter, der diese Sprache kennt und beherrscht wie wenige!“41

Nach dem dreiseitigen Lob zu Fehrs‘ „Jubeltage“ schließt sich ein ähnlicher und noch persönlicher gehaltener Beitrag von Christian Boeck an: „Die Bedeutung des Dichters Fehrs“.

Die erste kurze monografische Darstellung des bis dahin geschaffenen Gesamtwerkes von J.H. Fehrs setzt den Abschluss des Romans voraus. Pastor Christian Boeck – als Freund der Familie und als ein sich literarisch betätigender Kritiker in Zeitschriften und deren Feuilleton-Teilen – hatte zum Dichter-Geburtstag 1908 ihn geradezu ‚glorifiziert‘ und den bedingten Superlativ der Vereinigung Quickborn, die ihn ‚nur‘ als „bedeutendsten lebenden Vertreter niederdeutschen Schrifttums“ bezeichnet hatte, nochmals überboten:

„Es ist in der deutschen Literatur nur einer, mit dem Fehrs als Charakteristiker verglichen werden kann, wenn man ihm seinen Rang anweisen will, und dieser eine ist Goethe.“42

Im Vorwort beschreibt Boeck auf der Seite 1 in seiner parallel 1908 erschienenen Monografie über Fehrs den besonderen ‚Verehrungs-Kontext‘, dass diese Schrift nämlich

„ungefährt zu der Zeit, da der Mann, dem sie gewidmet ist, 70 Jahre alt wird“

Erscheint, und er fügt in einer rückblickenden Fußnote hinzu:

„Johann Hinrich Fehrs wurde am 10. April 1838 zu Mühlenbarbeck in Holstein, dem Ilenbeck seiner Dichtungen, geboren. Er lebt jetzt in Itzehoe, wo er bis vor kurzem eine Privat-Töchterschule leitete.“

Die bereits erwähnte Postkarte bietet außer dem Bild des Jubilars mit dem oben im Ausschnitt gezeigten Lorbeerkranz im Hintergrund ein Bild mit einer dörflichen Szene. Darauf ist ein Kind beim Hühnerfüttern vor einer Bauernkate zu sehen und, wie die Beschriftung angibt, sei damit das „Geburtshaus des Dichters J.H. Fehrs in Mühlenbarbek“ abgebildet. Das folgende Karten-Exemplar, das ich selbst im Zusammenhang der Vorbereitung des Buches zur 100-Jahr-Feier der Fehrs-Gilde43 im Postkarten-Handel erworben habe, ist am 23.9.1909 an Frl. Else Dietrich, in Itzehoe, Friedrichstraße zum Geburtstag gerichtet:

Abb. 9: Geburtshaus-Lorbeerkranz-Postkarte zum 70. Fehrs-Geburtstag

Die Postkarte, die zu Ehren des 70. Geburtstags von 1908 und vor allem zur Würdigung der Person von J.H. Fehrs mit der Lorbeerkranz-Gestaltung entworfen wurde, bildete einen wichtigen Schritt für die lokale und überregionale Verehrung des Dichters.

An seinem Wirkungsort, der Stadt Itzehoe, war Fehrs zwar ein sehr angesehener Bürger und auch von Seiten der ‚niederdeutschen Community‘ wurde 1908 bereits die Produktion einer Büste am Ort erwähnt:

„Eine Fehrs-Büste hat Heinrich Mißfeldt jüngst in Itzehoe modelliert. Verkleinerungen dieser und seiner Büsten von Klaus Groth und Johann Meyer wird Mißfeldt auf dem nächsten im Kunstgewerbehaus Hulbe stattfindenden Quickborn-Abend ausstellen…“44

In und durch die Stadt Itzehoe wurden jedoch Johann Hinrich Fehrs als Dichter erst in den auf 1908 folgenden Jahren verschiedene weitere, öffentliche Ehrungen zuteil – wie die Pflanzung der Fehrs-Eiche 191245 und der heutzutage im Kreismuseum ausgestellte Ehrenbürgerbrief zum 75. Geburtstag vom 10.4.1913 (siehe dazu unten46).

Die besondere Herausstellung des Geburtsortes Mühlenbarbek ist durch die in den „Mitteilungen des Quickborn“ 1913/14 bekanntgegebene Meldung deutlich:

„Ehrungen für Fehrs. Der Kaiser hat dem schleswig-holsteinischen Dichter den roten Adlerorden vierter Klasse verliehen. – In Mühlenbarbeck, dem Geburtsort des Dichters, soll ihm ein Denkmal errichtet werden in Gestalt eines Findlings mit Bronzetafel und Reliefbild. (Die Absicht zu einem Fehrsdenkmal bestand in Mühlenbarbeck schon vor Jahren. Als Fehrs davon erfuhr, meinte er gemütlich: „Dat lat man ünnerwegs. – Wenn Ji mi sehn wüllt, denn sett ik mi mal en paar Stunn’n op’n Brink hen, denn könt Ji mi ja bekieken“.)“47

Allerdings konnte Fehrs diese Ehrung nicht mehr vor seinem Tod 1916 erleben, und die Planung war noch weitere Jahre bis 1922 „ünnerwegs“,48 da der Kaiser den Krieg 1914-1918 vom Zaune brechen ließ. – Insofern kommt der Gründung der „Fehrs-Gilde“ kurz nach dem Tod des Dichters im Herbst 1916 besondere Bedeutung zu, weil durch diese ihm zu Ehren und zur Weiterführung der Bemühungen um niederdeutsche Sprache weitere ‚Fehrs-Propaganda‘ betrieben wurde. Hier soll es jedoch unten primär um die frühe Fehrs-Propaganda zu Lebzeiten des Dichters gehen. Dafür spielt ‚Mühlenbarbek‘ eine wichtige Rolle, weil dieses Dorf und sein Milieu die Inhalte der damals propagierten Heimatkunst veranschaulichen konnte.49

2.1.4 Der Fehrs-Geburtsort Mühlenbarbek

Der eingangs erwähnte Zufall besteht nun im Besonderen darin, dass mir einerseits das unveröffentlichte Bild von Heinrich Stegemann und – durch die Beschäftigung mit dem Pastor Christian Boeck in Hamburg-Wellingsbüttel zugleich langjährigem Vorsitzenden der Fehrs-Gilde – andererseits auch der Ortsname Mühlenbarbek als Fehrs-Geburtsort begegnet ist. Allerdings kannte ich zwar so manche Details der Fehrs-Überlieferung und seinen Roman, aber noch nicht die mehrfachen Exemplare der Lorbeerkranz-Geburtshaus-Karte und das ähnliche Geburtshaus-Ölbild im Fehrs-Raum des Kreismuseums in Itzehoe.

Auf dem Hintergrund der Kenntnis des Ortsnamens lag es nahe zu fragen, ob das vom Maler Stegemann gezeichnete Bild ‚Mühlenbarbeck‘ möglicherweise mit Fehrs in einem Zusammenhang stünde. Allerdings konnten mir die befragten Fehrs-Experten bei meiner Rückfrage nach einem möglichen Zusammenhang des Stegemann-Bildes mir 2015 nicht weiterhelfen. Ihnen war das dargestellte Bildmotiv leider nicht bekannt. Und auch mir selbst blieb der Zusammenhang zunächst

verborgen, obgleich ich bereits in dem Band von Kay Dohnke / Alexander Ritter „Johann Hinrich Fehrs – ein Erzähler der Provinz“ (1987) eine Schwarz-Weiß-Reproduktion (in der dortigen Abbildung Nr. 3) gesehen hatte. Diese ist unterschrieben mit „Johann Hinrich Fehrs‘ Geburtshaus in Mühlenbarbek, gemalt von Julius Nielsen“.50 Erst nach der Einladung durch die erste Vorsitzende der Fehrs-Gilde zum Besuch der Fehrs-Stätten am 17.8.2016, dem 100-jährigen Fehrs-Todestag, mit direktem Erleben von Mühlenbarbek,51 Itzehoer Fehrs-Gedenk-Orten und der Ausstellung im Kreismuseum Prinzesshof, ist mir das Problem der Geburtshaus-Überlieferung klarer geworden und hat mich die darauf folgende Zeit intensiv beschäftigt.

Das erwähnte Original des Ölbildes im Kreismuseum und besonders die Kopien, die mir freundlicherweise dessen Leiterin, Frau Dr. Anita Chmielewski, digital zur Verfügung stellte, ebenso wie die wenige Tage später erworbene Lorbeerkranz-Postkarte ermöglichten u.a. die Spiegelung der Ansichten (siehe dazu unten die Abbildungen). Dadurch wird deutlich, dass das Gebäude auf dem Stegemann-Bild ebenfalls das als Fehrs-Geburtshaus bezeichnete Bauernhaus darstellt. Dass es das tatsächlich tut, hat zu mehreren weiteren Fragen an die Fehrs-Überlieferungen geführt.

Um das bisherige Wissen zu diesem Teilaspekt nachvollziehbar zu machen, soll zunächst die Entwicklung der sich um das Bild rankenden Seite der „Fehrs-Propaganda“ geschildert werden. Am Beispiel des Geburtshauses in Mühlenbarbek und anhand von mehreren Abbildungen in einer zeitlichen Abfolge soll dargestellt werden, wie sich die Überlieferung derzeit erkennen bzw. nachvollziehen lässt.

2.1.5 Die Stegemann-Zeichnung des Bauernhauses

Da Bilder leider nicht immer datiert sind, jedoch für die genannte Postkarte das Datum vor der bezeugten Nutzung am 23.9.1909 für 1908 als höchst wahrscheinlich zu erschließen ist, so ist damit das bisher älteste datierte und mit der Stegemann-Zeichnung vergleichbare Bild des Bauernhauses gegeben. Dass es sich um dasselbe Gebäude wie in der Stegemann-Zeichnung handelt, ist deutlich, sobald man eine Spiegelung bei einem der Bilder vornimmt. In diesem Fall ist ein Ausschnitt aus dem Postkarten-Foto für die Spiegelung verwendet, um auch an der Aufschrift den Spiegelungsvorgang ausdrücklich zu verdeutlichen. Die digitalen Bilder zeigen Folgendes:

Abb. 10: „Mühlenbarbeck“ (Stegemann)

Abb. 11: Postkarte gespiegelt

Während die Stegemann-Zeichnung (links) das Bauernhaus umgeben von unbelaubten Bäumen zeigt und entsprechend der Datumsangabe „Febr. 17“ das Winterhalbjahr abbildet, hält die Postkarte mit ihrem Grauton-Druck sowie grün- und braungelber Kolorierung eine Szene im Sommerhalbjahr fest (rechts). Die Perspektive auf das Haus ist zwar geringfügig anders und auch der Baumbestand setzt eine um Jahre unterschiedene Wachstumssituation voraus. Es stellt sich jedoch vor allem die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass es zwei solche seitenverschiedene Darstellungen gibt.

Die auf der Postkarte gedruckte Abbildung mit dem hinzugefügten Lorbeerkranz und den Jahreszahlen wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch zum 70. Geburtstag des Dichters gestaltet worden sein. Wie sich unten aus jüngeren Schwarz-Weiß-Abbildungen ergibt, beruht die dargestellte Szene auf einem Foto, das also auch bereits 1908 vorgelegen haben muss. Dessen genaues Aufnahme-Datum ließ sich bisher nicht ermitteln und auch das urspüngliche Glasplatten-Negativ ist (wohl?) nicht mehr erhalten. Zum Fotografen gibt es bei einer der späteren Reproduktionen von 1912 zwar eine Angabe, doch stellt diese vor weitere Unsicherheiten, die unten besprochen werden sollen.52

2.1.6 Die Foto-Vorlage der Lorbeerkranz-Postkarte

Deutlich ist, dass eine schwarz-weiße Foto-Vorlage in den folgenden Jahren noch mehrfach vor allem durch Jacob Bödewadt auch in Zeitschriften und Büchern 1912, 1912f, 1913, 1914 und 1918 reproduziert worden ist. Aber auch bereits 1910 hatte K. Jungclaus in einem Zeitschriftenaufsatz in der Zeitschrift „Die Heimat“ ein solches Foto verwendet, das auch für die Herstellung des Ehrenbürgerbriefes der Stadt Itzehoe 1913 als Vorlage genannt wurde. Ebenso wurde bereits eine entsprechende Schwarz-Weiß-Darstellung einem autobiografischen Fehrs-Aufsatz in der Sammlung „Bilder aus der Heimat“ von 1911 hinzugefügt. U.a. hat später C. Boeck 1958 in den Norddeutschen Nachrichten einen Gedenk-Artikel mit einem solchen Bild veröffentlicht.

Abb. 12: Geburtshaus-Foto (MQu 1912f S. 110)

Online zugänglich ist der Beitrag zum 75. Fehrs-Geburtstag, den Jacob Bödewadt 1912f in der Zeitschrift ‚Mitteilungen aus dem Quickborn‘53 reproduziert hat und der diese Szene mit der entsprechenden Unterschrift versehen abdruckt (jedoch ohne Angabe zum Fotografen).

Das Schwarz-Weiß-Foto zeigt ebenfalls belaubte Bäume und lässt dort Schatten erkennen, wo in die Kolorierung z.T. dunkle Grüntöne eingesetzt wurden.

Dass es sich bei dem verwendeten Schwarz-Weiß-Foto um eine Vorlage zur Lorbeerkranz-Postkarte handelt, ist sofort deutlich, wenn man das kolorierte Bild der Postkarte auf den Grauwerten des gedruckten Fotos im Hintergrund darstellt:

Abb. 13: Vordergrund: farbige Lorbeerkranz-Postkarte vor dem SW-Geburtshaus-Foto

Der für die Herstellung der Postkarte gewählte Bildausschnitt nutzt einige kleinere Randbereiche der Vorlage nicht und zeigt auch den Henkelkorb am unteren Bildrand nur teilweise. Der umgekehrte Vorgang der Entstehung wäre kaum plausibel, da bei einer späteren Erweiterung die Zweige, Korb und Buschteile am Wegesrand nachträglich hätten hinzugefügt werden müssen. So bleibt nur die Folgerung: es handelt sich beim Schwarz-Weiß-Foto um eine Vorlage zur Postkarte.

Ein Bild des Geburtshauses ist textlich auch in der Zeitschrift „De Eekbom“ (Berlin) von 1912 im Zusammenhang des (am 15.9.1912 durch Fritz Wischer übergebenen) Fehrs-Diploms als Ehrenvorsitzender erwähnt.54 Im Text der Zeitschrift, der unten abgebildet ist, heißt es:

„Dat Diplom is sihr schön utführt. De irst Sid‘ wis’t midden mank hoge Eeken Fehrs sin Geburtshus in Mühlenbarbek. …“

Ob mit dieser Bemerkung das oben dargestellte Bild gemeint ist, das hohe Eichen nur im Hintergrund erkennen lässt? Oder schildert der Berichterstatter mit seiner Formulierung „midden mank hoge Eeken“ mit einer besonderen „Eekbom“-Brille?55

Abb. 14: Ausschnitt „De Eekbom“ (GKuS-Archiv Iz Sammlung Dohnke)

1912 waren außer der Geburtshaus-Lorbeerkranz-Postkarte bereits mehrere Fotos der Kate veröffentlicht, so dass das erwähnte Bild auf einer dieser Vorlage beruhen wird. Ein gewissenr Zusammenhang lässt sich zu der etwas später, ebenfalls künstlerisch gestalteten Fehrs-Ehrenbürgerurkunde von 1913 erkennen, die dieses Gebäude ebenfalls als bildlichen Schmuck verwendet und die im Kreismuseum Prinzesshof in Itzehoe ausgestellt ist. Letztere zeigt im unteren Teil ein koloriertes Geburtshausbild sowie rechts daneben die alte Situation des Itzehoer Rathauses:56

Abb. 15: Ausschnitt aus der Ehrenbürger-Urkunde (Geburtshaus u. Rathaus IZ)

Allerdings ist die Fotovorlage (oder Postkarte?) nicht vollständig mit dem szenischen Motiv übernommen worden. Es war „die ‚Graph. Kunstanstalt L. Handorff‘ aus Kiel an der Gestaltung des Ehrenbürgerbriefes für J. H. Fehrs beteiligt“, wie es der „Akte des Stadtarchivs (IZ1950-0706)“ zu entnehmen ist.57 Zwar stimmen die Perspektiven, Schatten und Bewuchs weitestgehend mit der Vorlage überein, es ist jedoch – wohl wegen der Entsprechung zur Sicht auf das Rathausdach – auch bei dem Bauernhaus das Dach in der Nachbearbeitung um ca. 1/3 verlängert worden. War vielleicht zu diesem Zeitpunkt der Fotograf des zuerst 1908 verwendeten Bildes noch bekannt, und eine direkte Übernahme der Vorlage sollte vermieden werden?

Für das oben abgebildete und von Jacob Bödewadt für die Mitteilungen aus dem Quickborn 1912/13 genutzte Foto werden keine Angaben über den Fotografen mitgeliefert, ähnlich wie er es auch bei den für Fehrs herausgegebenen „Gesammelten Dichtungen“ 1913 nochmals verwendet, allerdings dann bei der Nutzung 1914 in Bödewadts Fehrs-Biografie mit einer irreführenden Angabe; – dazu unten mehr. Ebenso ist die Fotovorlage für die Einladung zum Gedächtnis des 1916 verstorbenen J.H. Fehrs zu dessen 80. Geburtstag am 10. April 1918 genutzt worden. Von dem Einladungsflugblatt der kurz nach Fehrs‘ Tod gegründeten Fehrs-Gilde, deren Vorsitzender J. Bödewadt bis 1921 war, findet sich sowohl eine Kopie im Kreisarchiv Itzehoe in der Sammlung Dohnke 2.22 als auch im Kreismuseum Prinzesshof:

Abb. 16: Geburtshaus JHF-Gedächtnisfeier 1918; (IZ Sammlung Dohnke 2.22)

Auch hier ist eine Bildunterschrift gesetzt worden, die sich von der oben gezeigten Abbildung in den ‚Mitteilungen aus dem Quickborn‘ jedoch geringfügig unterscheidet und nur lautet „Das Geburtshaus des Dichters in Mühlenbarbeck“, wobei also der auf dem Blatt bereits in der Überschift genannte Name nicht wiederholt wird. Die Ortsnamenschreibung verwendet zudem „ck“.

Die Reproduktionen bezeugen ein nicht durch Kolorierung bearbeitetes Schwarz-Weiß-Foto, wie es auch schon zur Herstellung der Postkarte von 1908 verwendet wurde.

Abb. 17: Foto-Rückseite (H. Mehlert) Sammlung Dohnke 2 (=IZ 43496)

Aus der Fotografen-Familie Mehlert sind mehrere Fehrs-Fotos erhalten, die meist Portraits des Dichters oder seiner verstorbenen Frau zeigen.59

Allerdings wurden sonst auch gegenständliche Aufnahmen und Postkarten produziert. Eines der von Familie Mehlert in ihrer Kundenwerbung verwendeten Elemente bildete neben den Hinweisen auf Auszeichnungen in Wien 1875 und Flensburg 1878 der Hinweis: „Platten werden aufbewahrt für Nachbestellung“.60

Bei dem als Macher des Fotos benannten „H.G. Mehlert“ muss es sich um den sonst z.T. als „Georg Mehlert d.Ä.“ bezeichneten Sohn handeln, von dem ein Werbefoto mit seinen vier Söhnen erhalten ist, auf dem er sein Geschäft, das fotografische Arbeiten „jeglicher Art“ ausführt, als „H.G. Mehlert“ kennzeichnet.61

Zurück zu Bödewadts Verwendung von Fotos: Bei einem auf der nächsten Seite des Beitrags von Bödewadt abgebildeten Portrait des Dichters ist es mit vollem Namen „Johann Hinrich Fehrs“ untertitelt und enthält hier den Hinweis „Phot. Heinrich Kaack, Itzehoe“. Dieses eigenartige Nebeneinander der beiden Angaben „Fec.“ bzw. „Phot.“ lässt als sehr wahrscheinlich annehmen, dass das „fecit“ allein die Reproduktion des Bildes andeutet, während der eigentliche Fotograf unbenannt bleibt und möglicherweise ihm auch der Urheber unbekannt gewesen ist. Unten wird im Zusammenhang des Abschnittes „frühe Fehrs-Propaganda“ versucht, den Hintergrund weiter zu beleuchten, soweit er sich aus den archivierten Briefen von

Fehrs, Bödewadt und anderen Beteiligten erkennen lässt. Deutlich ist daraus, dass Fehrs dem ihn verlagstechnisch unterstützenden Bödewadt einige Bilder zur Verfügung gestellt hat. Allerdings geht daraus auch hervor, dass Bödewadt es mit korrekten Angaben bei Bedarf absichtlich nicht genau nahm.62

2.1.7 Seitenverkehrte Darstellung der Foto-Vorlage

Das Problem, das sich aus dem Vergleich mit der Stegemann-Zeichnung ergibt, erklärt sich am leichtesten dadurch, dass in der damaligen Zeit Glasplatten die Träger von Foto-Negativen bildeten. Die Frage der seitenunterschiedlichen Darstellung könnte einerseits am leichtesten durch eine Drehung der Glasplatte beim Belichten für eine Reproduktion zustande gekommen sein, andererseits könnte auch eine der älteren fotografischen Techniken den Hintergrund bilden, die unten im Abschnitt 6.8 „Zur Fotografie-Geschichte“ skizziert werden. Die Verwendung einer solchen gespiegelten Darstellung auf einer Postkarte, die in größerer Stückzahl gedruckt wurde und bereits im Umlauf weitere Verbreitung gefunden hatte, stellte vermutlich vor ein kaum ohne Prestigeverlust zu lösendes Problem. Rückrufaktionen in die Werkstätte für Gewährleistungsarbeiten gab es wahrscheinlich damals nicht…

Möglicherweise ist der hier vermutete ‚Fehler in der Überlieferung‘ Johann Hinrich Fehrs und Jacob Bödewadt selbst aufgefallen. Denn in der 1914 gedruckten Biografie „Johann Hinrich Fehrs. Sein Werk und sein Wert“ wird zwar von Bödewadt das Schwarz-Weiß-Foto ebenfalls verwendet. Allerdings wird dort der Sachverhalt nicht aufgeklärt, sondern – wie es scheint – durch mehrere Textinformationen ‚vernebelt‘ – möglicherweise um auch die Urheberrechte am Foto im Dunklen zu lassen. Im Unterschied zu seiner Publikation von 191263 wird keine Detailangabe zur Herstellung der fotografischen Vorlage gemacht. Die Bildunterschrift auf S. 26 gibt an:

„Geburtshaus des Dichters in Mühlenbarbeck (Nach einem Gemälde von H. Nielsen in Itzehoe)“

In dieser Angabe finden sich mehrere besondere Informationen, die in Spannung zu dem stehen, was – zumindest aus späterer Sicht – einer Überprüfung nicht standhält: Erstens ist der Name des Malers hier mit „H. Nielsen“ angegeben, während in den modernen Angaben durchgängig ‚Julius Nielsen‘ als Hersteller eines Ölbildes bezeichnet wird, das sich z.Z. im Kreismuseum Prinzesshof in Itzehoe befindet. Dieser Maler, um den es weiter unten gehen soll, hatte auch bereits für Fehrs – ab der 3. Auflage von „Lüttj Hinnerk“ 1905 – Illustrationen gezeichnet. Bödewadt kam selbst nicht aus Itzehoe, und möglicherweise ist ihm gegenüber immer nur von dem Gemälde von ‚Herrn Nielsen‘ die Rede gewesen, so dass ‚H. Nielsen‘ gar nicht den Vornamen abkürzt. Andererseits muss Bödewadt die bebilderte „Lüttj Hinnerk“-Ausgabe gekannt haben, in der der Untertitel „… De Biller von Julius Nielsen“ ausdrücklich den vollen Namen nennt.64 Zweitens: Die Angabe zur Herkunft seines Bildes

„nach (Hervorhebung UG) einem Gemälde von … Nielsen in Itzehoe“

ist wohl so zu verstehen, dass er selbst vorgibt, das von ihm verwendete Foto sei nach der Vorlage vom „Gemälde von … Nielsen“ angefertigt worden. Das Foto enthält jedoch (ähnlich wie die Postkarte oben) an den Rändern Bildelemente, die im hier als Quelle genannten Ölbild gar nicht vorhanden sind. Die Abhängigkeit muss also genau entgegengesetzt angenommen werden.

2.1.8 Das als Vergleich genannte Gemälde

Dieser Sachverhalt wird evident, wenn man das Schwarz-Weiß-Foto, das Bödewadt erstmalig in einem Zeitschriftenaufsatz 1912 verwendet hatte, vergleicht. (Dieses Foto ist heutzutage auch in der Online-Version des Bödewadt-Beitrages im Quickborn von 1912/13 verfügbar.65) Das Gemälde ist unten über das als Hintergrund gewählte SW-Foto als Vordergrund mit gestricheltem Rand kopiert:

Abb. 18: Vordergrund mit Kopie des Ölbildes vor SW-Foto-Vorlage

Es wird durch den Vergleich sofort deutlich: Das Ölbild nutzt als Vorlage nur einen Ausschnitt aus dem Foto. Die umgekehrte Entstehungsrichtung, die Bödewadt in seiner Fehrs-Monografie 1914 angibt, kann diesen Sachverhalt nicht erklären.

In dem zugehörigen Textabschnitt wird von ihm über einen Mühlenbarbek-Besuch beim Geburtshaus (wohl vor Abschluss der Biografie, deren Vorwort auf den Herbst 1913 datiert ist)66 berichtet, bei dem auch der 75-jährige J.H. Fehrs dabei war und man gemeinsam wohl über das Haus angibt:

„Aber vielfache An- und Umbauten haben es so verändert, daß wir das … Gemälde H. Nielsens … kaum wiedererkennen.“67

Dieser Mühlenbarbek-Besuch wird auch in einem Brief von Fehrs an Bödewadt vom 25.10.1913 erwähnt, aus dem M. Töteberg die folgende Passage zitiert hat:

„… denn die Scholle, auf der ein Dichter geboren ist, […] ist immerhin ein wichtig Ding, wenns gilt, den Kerl in seiner Eigenart zu erklären“.68

Die Mühlenbarbek-Besucher werden als Vergleich allerdings nicht das Ölgemäde dabei gehabt haben, sondern entweder eine der kolorierten Postkarten von 1908, die in der stark mit Grüntönen versehenen Version ja auch eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Ölgemälde und vor allem dieselbe Seitenorientierung aufweist. Oder eine Schwarz-Weiß-Fotografie, wie sie Bödewadt im Sommer 1912 und für den Beitrag zum 75. Fehrs-Geburtstag genutzt hatte.69 Dass selbst Fehrs sein Geburtshaus nicht in der Abbildung wiedererkennen konnte, ist in einer Hinsicht nicht verwunderlich. – Wie bereits geschildert, habe ich selbst auch die oben abgebildete Zeichnung von Heinrich Stegemann einigen Personen gezeigt, die die Fehrs-Tradition und auch das überlieferte Geburtshaus-Bild kannten. Auch sie konnten das Stegemann-Bild nicht zuordnen, obwohl es die Aufschrift ‚Mühlenbarbeck‘ trägt. Das änderte sich aber, sobald ich wie oben beim Nebeneinander zweier Bilder bei einem eine horizontale Seitenvertauschung vorgenommen hatte.

Neben dem oben erwähnten Besuch von 1913 war Fehrs durchaus häufiger in Mühlenbarbek, so dass er sein Geburtshaus häufiger gesehen hat – ebenso wie die Veränderungen daran.70

2.1.9 Mühlenbarbek-Fotos von Detlev Vahlendick

1915 ist vom Fotografen Detlev Vahlendick (1866-1946) aus Kellinghusen eine Serie von Mühlenbarbek-Bildern hergestellt worden, über die Bettina Roggmann 1990 berichtet hat:

„Für das Werk von Johann Hinrich Fehrs hat sich Vahlendick in besonderem Maße interessiert: 1915 fertigte er mindestens siebzig Aufnahmen zur Illustration von Fehrs Mühlenbarbeker Geschichten ‚Ut Ilenbek‘ an. Ein Brief von Fehrs an Timm Kröger, Itzehoe, gibt darüber Auskunft: ‚Als ich wohlbehalten heimkam, sah ich das Paket von Photographien durch, das mir aus Kellinghusen zugeschickt war: 70 Stück u. eitel Bilder von ‚Ilenbeck‘ u. seiner Umgebung, die ein Photogr. Vahlendick entwickelt hat; sie sind als Illustrationen zu meinen Ilenbeker Geschichten gedacht u. sollen zunächst verwendet werden zu einer kleinen Ausstellung, deren Ertrag dem Roten Kreuz zugute kommen soll. Hernach soll eine Auswahl getroffen werden für den Vertrieb als Postkarten pp. Der Mann hat ein Künstlerauge u. versteht sein Handwerk dazu, die Bilder sind größtenteils ganz vortrefflich. Und doch! Das alte Ilenbek ist und bleibt versunken für das leibliche Auge. Daher konnte ich mich auch nicht herbei lassen, die Bilder mit einem ‚passenden‘ Wort aus meinen Werken zu bedenken, wie man wünschte…‘19. Zu der erwähnten Ausstellung ist es zumindest 1915 nicht mehr gekommen. Ohne die gewünschten passenden Worte von Fehrs ist eine Postkartenserie und eine Photomappe entstanden.“71

Kay Dohnke hat mich auf diesen Aufsatz sowie darauf hingewiesen, dass tatsächlich im Museum Kellinghusen noch die originalen Glas-Fotoplatten von Vahlendick existieren. Dohnke hatte selbst davon Reproduktionen hergestellt, deren Negative er mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat (und von denen Abzüge sich auch in der ‚Sammlung Dohnke‘ im Gemeinsamen Kreis- und Stadtarchiv Itzehoe befinden).72 Insbesondere eines der Vahlendick-Fotos hätte Fehrs besonders zu einem ‚passenden Wort‘ veranlasst und interessiert haben müssen. Denn es zeigt dasselbe Haus, das auch auf den Postkarten mit dem Lorbeerkranz-Geburtshaus zu sehen ist. Wegen der Schnee-bedingten zu kontraststarken Belichtung ist es zwar nicht optimal gelungen, aber dafür zeigt es die seitenrichtige Darstellung:

Im linken Vordergrund ist eine Person beim Schneeschaufeln zu erkennen, die ebenfalls auf einem weiteren Foto in besserer Qualität und vor dem großen Tor des Hauses zu sehen ist. Es handelt sich möglicherweise um den Vetter Hans Fehrs, der auch in einer Korrespondenz im Zusammenhang mit einem Winterbild erwähnt wird:73

Abb. 20: Foto D. Vahlendick (Negativ K. Dohnke)

Abb. 21