DER NACHMITTAG EINES MÖRDERS - John Paddy Carstairs - E-Book

DER NACHMITTAG EINES MÖRDERS E-Book

John Paddy Carstairs

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Nichts lief so, wie es sich der bekannte Schriftsteller Garway Trenton vorgestellt hatte: Seine Freundin war bei Nacht und Nebel mit einem Cowboy-Darsteller durchgebrannt. Und er selbst folgte einer neuen Flamme nach Korsika, wo ihn Freunde, Schmuggler, Künstler und – ein Mörder erwarteten. Aber davon abgesehen war das Leben auf Korsika die Ruhe selbst... Der Roman DER NACHMITTAG EINES MÖRDERS des britischen Schriftstellers, Filmregisseurs und Drehbuchautors John Paddy Carstairs (* 11. Mai 1910 in London; † 12. Dezember 1970 in Lingston; eigentlich John Keys) erschien erstmals im Jahr 1962; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1971. Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

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JOHN PADDY CARSTAIRS

 

 

Der Nachmittag

eines Mörders

 

Roman

 

 

 

 

Apex Crime, Band 67

 

 

Apex-Verlag 

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DER NACHMITTAG EINES MÖRDERS 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

Achtzehntes Kapitel 

Neunzehntes Kapitel 

 

 

Das Buch

 

Nichts lief so, wie es sich der bekannte Schriftsteller Garway Trenton vorgestellt hatte: Seine Freundin war bei Nacht und Nebel mit einem Cowboy-Darsteller durchgebrannt.

Und er selbst folgte einer neuen Flamme nach Korsika, wo ihn Freunde, Schmuggler, Künstler und – ein Mörder erwarteten.

Aber davon abgesehen war das Leben auf Korsika die Ruhe selbst...

 

Der Roman Der Nachmittag eines Mörders des britischen Schriftstellers, Filmregisseurs und Drehbuchautors John Paddy Carstairs (* 11. Mai 1910 in London; † 12. Dezember 1970 in Lingston; eigentlich John Keys) erschien erstmals im Jahr 1962; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1971.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

   DER NACHMITTAG EINES MÖRDERS

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Wahrscheinlich hätte sich nichts von allem ereignet, wenn meine liebe Te in London geblieben wäre.

Es war Sommer und mitten in der Ferienzeit. Ich habe mich nie darum gekümmert, was man während der Ferien zu unternehmen hat - selbst in Eton war ich schon ein wenig nonkonformistisch -, und wäre bestimmt in London geblieben, ob das nun der Jahreszeit entsprach oder nicht. Der Grund dafür war nicht zuletzt wiederum Te: Wir hatten größtes Vergnügen daran, die Fonteyn in der Royal Opera tanzen zu sehen, wenn nicht gerade tout London im Parkett saß, wir beehrten The Fourth mit unserer Gegenwart und bestellten riesige Beefsteaks im Grillroom des Carlton. - Te hatte an einer Reihe typisch männlicher Vergnügungen ihren Spaß, denen die meisten Frauen nichts abgewinnen können. »Abgesehen von den unbeschreiblichen amerikanischen Barbareien wie den T- Bone-Steaks, finde ich es dort fabelhaft«, sagte sie einmal. »Es ist James Bond in Reinkultur.« - Wir speisten auch gelegentlich bei Ray Parkes am Beauchamp Place - wenn man sein London kennt, kann man dort fast so gut essen wie in jeder anderen Weltstadt. Und dann gab es natürlich die Wimbledon-Saison, die Glyndebourne-Saison und die Rennen in Silverstone. Oder ich fuhr mit meinem Aston hinunter nach Maidenhead, hinauf in mein altes College - nach Oxford selbstverständlich.

Vermutlich erschien mir Te nur umso reizvoller, weil sie eigentlich über keinen der landläufig bekannten Reize verfügte. Damit will ich sagen, dass ihr Busen zum Beispiel so gut wie nicht vorhanden war. Wir erklärten ihr manchmal, sie sei gar kein Mädchen, sondern ein etwas femininer Chorknabe. Ihre Beine waren keineswegs überwältigend, deren oberes Ende fand ich für meinen Geschmack zu breit. Ihre riesigen Augen konnte man nicht anders als ausdruckslos bezeichnen, und an ihrem Gesicht war nicht zu erkennen, ob sie in der nächsten Sekunde lachen oder weinen würde. Aber merkwürdig - das alles machte sie im Grunde nur anziehender. Trotz dieser eindeutigen Mängel besaß sie eine Art Magnetismus. Und dazu kam noch ein ganz bedeutender Faktor: Sie lebte mit einem anderen Mann. Einem kleinen, lebhaften Burschen, der versuchte, jeden an seinen vielfältigen Begeisterungen teilhaben zu lassen.

Er hieß Roger Stanton und war ein einflussreicher Werbeagent, der ständig hinter Seifenbaronen her war, sich Gedanken über Das Produkt machte und seinen ganzen Charme in die Waagschale warf, wenn es galt, eine bedeutsame Unterschrift unter einen Vertrag für den neuesten Fernsehspot zu ergattern. Kein Wunder, dass dieses grandiose, überwältigende Make-up - wenn man es so nennen will - aus Vitalität, Charme und vagen Versicherungen bei den Frauen ankam. Mich wunderte nur, dass er nicht eine Sekunde lang bei seinen Siegeszügen dadurch behindert wurde, dass er nun einmal zu klein war. Mit meinen einsachtzig fand ich das unglaublich und fast ein wenig geschmacklos. Das - und die nicht zu übersehende Tatsache, dass er mit Te auf vertrautem Fuße stand. Ich habe mir oft eingeredet, er könne Te gar nicht so gut kennen wie ich, und wenn er noch so oft mit ihr ins Bett ging, er würde sie niemals besitzen. Aber dann musste ich mich fragen, ob es denn überhaupt jemanden gab, der Te besitzen konnte.

Wenn Roger verreist war, um irgendeinen widerlichen Film über die beste Fußbodenpflege zu drehen oder sich mit den Leuten vom kommerziellen Fernsehen in Manchester zu treffen, kam Te regelmäßig zu mir und verbrachte die Nacht in meiner hübschen kleinen Wohnung in Chelsea. Nicht, dass Te die Promiskuität liebte, im Gegenteil, sie hatte eine Art von Jungfräulichkeit, mit deren Hilfe sie alle diese Dinge als eher uninteressant und, wenn überhaupt, dann nur für die Erhaltung der Gesundheit nötig erachtete. Das hielt sie allerdings nicht davon ab, gelegentlich Sachen zu unternehmen, die einem die Haare zu Berge trieben. So war sie durchaus dazu imstande, von einem der elegantesten Londoner Hotels aus anzurufen und mitzuteilen, sie habe soeben dort mit - sagen wir, mit Miguel Cadiz, dem berühmten Stierkämpfer, geschlafen, den sie angeblich eine Stunde zuvor in einem Blumenladen am Berkeley Square kennengelernt hatte. Ein andermal sah man sie mit dem berühmtesten amerikanischen Popsänger stockbetrunken gegen Morgengrauen durch die Pubs rund um das Marktviertel am Covent Garden ziehen.

Meine Tägliche, die gute Lily Mertens, gab keinerlei Kommen- tare, wenn ich ihr bei diesen Besuchen stets abends einen Zettel in die Küche legte mit der Bemerkung, sie solle Frühstück für zwei servieren, aber sie enthielt sich dennoch nicht ihrer Kritik, sondern verlegte sie auf die Art, wie sie beim Servieren durch die Nase schnob.

Man kann nicht sagen, dass Lily Mertens prüde gewesen wäre, oder dass sie der Ansicht war, ich gehe nicht mit den zu mir passenden Frauen ins Bett. Ihr behagte es einfach nicht, wenn eine Frau im Haus war, denn das bedeutete stets Reklamationen über den zu salzigen Schinken und das nicht gerade steril saubere Badezimmer - Nuancen aus dem Reich der Frauen, auf die es diesen beklagenswerten Geschöpfen immer wieder ankommt. Wenn ich etwas Derartiges überhaupt bemerkt hätte, so würde ich es auf keinen Fall gewagt haben, mich darüber zu beklagen. Andererseits fanden auch meine sämtlichen Damen, die so gnädig waren, mir eine Nacht lang Gesellschaft zu leisten, Lilys frühmorgendliche Elvis-Presley-Imitationen einfach zu viel des Guten.

Eines Morgens, nachdem ich mein Arbeitspensum an dem neuen Roman hinter mir hatte - ich pflege immer sehr früh am Morgen zu arbeiten, was mich allerdings dazu zwingt, auf die altmodische Weise mit Papier und Bleistift zu schreiben, denn welche Stenotypistin wäre schon bereit, vor neun mit der Arbeit zu beginnen -, an einem solchen Morgen also rief ich Te an, erreichte aber nur Roger, der eigentlich bei einer Konferenz von Werbemanagern in Scarborough hätte sein müssen.

»Oh, hallo - Trenton hier«, sagte ich und war enttäuscht wie immer, wenn ich seine Stimme statt der erwarteten hörte, »meinen Sie, Ihre Buhlin wäre bereit, mit mir zu lunchen?«

»Das möchte ich bezweifeln«, antwortete Roger trocken. »Meine Buhlin ist mir nämlich durchgegangen.«

»Wie bitte?«

»Durchgebrannt, ja! Nach Italien.«

»Für immer?«

»Mein Gott, nein.« Rogers Antwort kam wie aus der Kanone geschossen, dann schien er es sich aber zu überlegen und fügte hinzu: »Nein, das nehme ich nicht an.«

»Sie hätte es mir ja wenigstens sagen können«, knurrte ich.

»Und mir auch«, ergänzte Stanton. Er war offenbar in äußerst schlechter Laune.

»Was war denn los?«, fragte ich.

»Keine Ahnung, alter Junge - aber Sie kennen ja Te.«

Natürlich kannte keiner von uns beiden Te, wie sie wirklich war. Wir standen nur wie zwei Schutzengel an ihrem Firmament, immer bereit, ihr zu jeder Zeit zu helfen. Wozu? Sich selbst zu finden, wie es so schön heißt? Oder sich zu verlieren?

Ich brummte noch ein paar Worte und verabschiedete mich so schnell wie möglich von Roger.

Lily kam aus der Küche mit der Post. Vor der Tür brach ihr Gesang ab. Wenn es nicht ein Lied aus der neuesten Langspielplatte von Elvis war, dann konnte sie mir sogar mit quasireligiösen Schnulzen in der Art von In Jerusalem oder Little Light a Candle auf die Nerven gehen. Ich wünschte mir sehnlichst, sie würde gerade heute davon absehen.

»Postkarte«, sagte sie. »Mit der zweiten gekommen.«

Ich hatte so eine Ahnung, dass sie von Te sein musste, und riss sie Lily aus-den Fingern.

»Nanana! Nur nicht so eilig! Wir wissen doch alle, woher sie kommt«, erklärte Lily kabbalistisch.

Ja, tatsächlich. Eine Postkarte von Te. Sie trug eine italienische Briefmarke und den Stempel Express. Auf der Rückseite stand: Wir verbringen eine herrliche Zeit. An der Stelle mit dem X ist unser Schlafzimmer. T. Excelsior Hotel, Rom. Sie hatte das Wort unser unterstrichen, und ich war empört.

»Sehr charmant«, brummte ich und drehte die Karte um. Auf der Vorderseite war ein Foto der Schimpansenkäfige im römischen Zoo zu bewundern. Einer von Tes kleinen Scherzen.

»Sehr komisch!«, sagte ich laut.

»Find’ ich auch«, bestätigte Lily Mertens.

»Freut mich. Vielleicht wollen Sie sie auch gleich beantworten?«

»Wir sind wohl ein bisschen schlecht gelaunt heute Morgen, was?«

Ich ging gar nicht darauf ein, sondern begab mich in mein Studio und schickte Te ein Telegramm ins Excelsior.

»Ich muss den Wagen zum Ölwechseln bringen und gehe zum Essen in die Ziege«, sagte ich zu Lily.

»Die Ziege? Wo ist das denn wieder? Neben dem Schimpansenkäfig?« Lily musste so sehr über ihren Scherz lachen, dass sie eine Lunge voll Rauch aus ihrer unvermeidlichen, stets in ihrem Mundwinkel hängenden Zigarette erwischte und fast einem Hustenanfall erlag.

»Geschieht Ihnen ganz recht, schließlich wissen Sie so gut wie ich, dass die Ziege...«

Hustend und lachend beendete Lily meinen Satz: »...mein Marineclub ist.«

»Alle Anrufe und Besuche...«

»Ich weiß, ich weiß«, unterbrach mich Lily und fügte hinzu: »Möchte schon gern mal wissen, was die ehemaligen Mariner dort tun. Das tät’ mich interessieren.«

»Bis später, Lily. Besorgen Sie bitte Lachs für das Frühstück von morgen.« Ich blieb ganz förmlich.

»Lachs? Warum - haben wir Gesellschaft?«

Das wir war eine Unverschämtheit. Ich übersah es und schlug die Tür hinter mir zu.

Auf dem Weg in die Garage entschied ich mich gegen einen Lunch in der nur männlichen Umgebung meines Clubs, rief stattdessen Daphne Farquharson an und bat sie zum Essen in den White Elephant. Dort gab es immer eine Menge berühmter Leute aus der Welt von Bühne, Film und Fernsehen, und deshalb brauchte ich mich auch nicht zu wundern, dass Daphne ohne weitere Überlegungen zusagte. Daphne war eine hübsche Puppe, wenn man den Typ der jungen englischen Rosenknospen mag und sich nicht an ihrer narzisstischen Selbstbespiegelung stößt. Sie sagte, sie habe mich ohnehin anrufen wollen, weil sie eine Einladung für mich habe. Bei Daphne konnte das alles und gar nichts bedeuten.

Ich ließ Ming - wie ich meinen Wagen getauft hatte - in meiner Werkstatt, ging zur Curzon Street über den Shepherd Market - ein Stadtteil von London, den ich sehr liebe - und wartete dann, wie immer, zehn Minuten vor dem Restaurant auf Daphne, um sie hineinführen zu können. Ich muss zugeben, ihr »Darling!«, mit dem sie mich begrüßte, war dazu bestimmt, mich für die Wartezeit zu entschädigen.

Daphnes Einladung kam in Wirklichkeit von den Mountjoys, unglaublich reichen Leuten, die vermutlich sogar die Brotrinden mit frischer Landbutter bestreichen ließen, ehe sie sie den Vögeln vorwarfen. Unter anderen kleinen Annehmlichkeiten wie einem Rolls Royce und einem Bentley, Champagner aus den Kellern Helene Cordets mit eigens für sie gedruckten Aufklebern, einem Landhaus in Berkshire, einem Schloß in Spanien und einem privaten Golfplatz besaßen die Mountjoys auch eine Hochseejacht von Onassis- Ausmaßen. Nein, nicht die Art von Jacht, auf der man sich Rheumatismus holt. Wenn man sich an Bord begab, brauchte man keinen Rollkragenpullover, sondern ein maßgeschneidertes Dinnerjackett.

»Darling«, sagte Daphne, »denk einmal, die Mountjoys!« Ihre Stimme wurde ganz sexy. »Sie sind mit der Ladybird in Korsika. Sie haben mich gebeten - hörst du, gebeten! – dorthin zu fliegen und an Bord zu kommen, und sie sind geradezu scharf darauf, dich ebenfalls empfangen zu dürfen, und, Darling, ich bin es auch...«

»Oh, wirklich?«, fragte ich und konnte einen gewissen Verdacht nicht verhehlen. »Und wo ist dein Kricket - Champion?« Daphne liebte es, mich gegen ihre anderen Liebhaber auszuspielen.

»In Trent Bridge, Schatz, er muss gegen die bösen Australier spielen.«

Ich verzichtete darauf, eine Bemerkung über Kricket zu machen, und fragte stattdessen: »Wieso eigentlich ausgerechnet du und ich - auf einer Jacht in Korsika?«

»Nun, Darling - ich meine... Ich finde, das ist doch wahnsinnig romantisch. Bitte, bitte, sag ja!«

»Wo in Korsika? Bastia?«

»Sie sind heute in Cannes abgefahren und wollen abends in Ajaccio ankommen. Dort fliege ich morgen hin. Sie bleiben mindestens einen Monat. Verstehst du, sie können nur in einem Hafen bleiben, der nicht weit von einem Flugplatz entfernt ist. Denk doch einmal, sie müssen nun eben Rücksicht auf ihre Gäste nehmen.«

Ich sagte ihr wohlweislich nicht, dass ich eigentlich vorhatte, noch am gleichen Abend nach Rom zu fliegen.

»Ich muss meinen Roman zu Ende bringen«, erklärte ich.

»Puh!«, sagte sie kurz und bündig. »Wo könntest du deine gute, alte Schreibmaschine besser auf Touren bringen als in der subtropischen Vegetation von Ajaccio?«

»Ich bringe keine alten Schreibmaschinen auf Touren«, verbesserte ich sie.

»Na schön«, fauchte Daphne, »aber ich nehme an, es gibt auch in Korsika Papier und Bleistift.«

»Komm, Schätzchen, nimm noch ein paar Scampi und lass den Dampf ab«, empfahl ich ihr, aber Daphne blieb stur, und ich ließ sie in diesem Zustand. Glücklicherweise saßen die Monkhouses mit den Nobles am Nebentisch und baten uns zum Kaffee hinüber. Dadurch konnte ich Daphne den Damen überlassen, die sie sogleich in Einkaufsdiskussionen verstrickten. Aber während ich mich dann verabschiedete, besaß sie doch noch die nicht gerade überwältigende Dezenz, laut zu verkünden: »Also dann, wie besprochen. Ich erwarte dich, Schatz.«

Als ich nach Hause kam, war Lily schon gegangen und hatte eine Notiz zurückgelassen. Telegramm-Aufnahme hat wie wild geklingelt.

Ich hielt den- Zettel mit der Nachricht noch in der Hand, als das Telefon läutete. Das Mädchen von der Vermittlung sagte: »Die Telegramm-Aufnahme wünscht Sie persönlich zu sprechen, Sir.« Ich wusste, was das zu bedeuten hatte.

Die Vergangenheit wiederholte sich. Werden Frauen jemals aus ihren Fehlern klug? Bestimmt nicht dieses Exemplar weiblichen Starrsinns. Das letzte Mal war Te nach Monte Carlo abgehauen. Ihr langer Brief aus Monaco damals steckte voller Melancholie. Sie war einsam, fühlte sich zumindest so, denn ein Mädchen wie Te ist nirgends einsam, wird ständig zu Partys und Ausflügen eingeladen. Natürlich hatte ich ihr sofort ein Telegramm geschickt, um sie aufzumuntern, und ebenso natürlich war das Telegramm zurückgekommen. Te war in ein anderes Hotel oder weiß der Himmel wohin gezogen und hatte keine Nachsendeadresse angegeben. Das war ganz typisch - sie hatte nie eine Nachsendeadresse. Und jetzt war es vermutlich wieder so.

Der Mann von der Telegramm-Aufnahme bedauerte, dass mein Telegramm ans Excelsior in Rom seine Empfängerin nicht erreicht hatte. Die Dame sei abgereist und habe keine Nachsendeadresse hinterlassen. Na schön! Dann eben nicht. Ich legte auf und hob sofort wieder ab. Jetzt wählte ich die Nummer von Frank Allmand im Reisebüro Albany.

»Frank«, sagte ich, »seien Sie so nett und besorgen Sie mir eine Überfahrt nach Frankreich mit der Lydd-Fähre.«

»Für wann, Mr. Trenton?«

Ich schaute auf die Uhr.

»Wenn es geht, heute Abend. Und dann noch eine Fähre von Nizza nach Ajaccio für den siebten.«

»Das dürfte möglich sein. Nehmen Sie Ihren Wagen mit auf die Fähre?«

»Selbstverständlich.«

»Okay, ich rufe zurück.«

Während ich wartete, rief ich rasch meine Bank an und ließ mir etwas französisches Geld schicken, dann warf ich einen Blick in meinen Pass. Gott sei Dank, er war noch nicht abgelaufen!

 

Auf der Straße nach Lydd gab es den üblichen Ausflugsverkehr, und die Zollabfertigung war wie ein Hühnerhof, aber für mich stand glücklicherweise ein Beauftragter des Albany-Reisebüros bereit und zelebrierte die Verladung meines Aston auf die Fähre, als sei ich ein berühmter, exzentrischer Filmstar. Filmstars werden eben doch in allem bevorzugt, und in meinem Fall regte sich keiner darüber auf. Es dauerte zwanzig Minuten, da waren wir schon -auf der französischen Seite, und zehn Minuten später befand ich mich auf der Straße nach Le Touquet.

Natürlich konnte ich damit rechnen, dass der kleine Ort an der Kanalküste sehr belebt und laut war. Schließlich war die Feriensaison auf ihrem Höhepunkt angelangt, und die Leute hatten ihre liebe Not, alles zu tun, was man tat, um gesehen zu werden. Die sogenannte Society gab alle Abende rauschende Feste, aber ich fuhr daran vorbei, hielt nicht einmal, um ein paar Pennys an den Spieltischen loszuwerden - das konnte warten, bis ich an der Cote d’Azur angekommen war.

Ich kannte und hasste die Route Nationale Nummer sieben, aber wenn ich die Nacht über am Steuer meines Wagens blieb, konnte ich mir eine weitere Nacht sparen und die Mittelmeerküste im Lauf des nächsten Tages erreichen. Deshalb fuhr ich wie die Feuerwehr und schaute nur auf die von meinen Scheinwerfern mäßig erleuchtete Straße und die gelben Augen der entgegenkommenden Autos.

Gegen Nachmittag erreichte ich Nizza und fuhr über die mittlere Corniche in Richtung Monaco, verließ sie bei Mayolle, schlängelte mich hinunter bis zum Hotel Clapotis und saß auch schon auf der Terrasse beim Aperitif. Ich war immer ganz aufgekratzt, wenn ich hierher in den Süden Frankreichs kam, und ich wünschte, Te wäre bei mir gewesen, anstatt in Rom nach dem Maeterlinck'schen blauen Vogel zu suchen an der Seite eines schmalhüftigen, sattelfesten Cowboystars, der vermutlich einen großartigen Körper und einen minimalen Geist zu bieten hatte. Michel, einer der langjährigen Ober im Clapotis, erschien auf der Terrasse, den Drink auf einem Tablett.

»Wie schön, Sie wieder bei uns zu sehen, Sir. Ich habe Ihnen Ihren Trenton Spezial zur Begrüßung gemixt.«

»Wie aufmerksam, Michel! Mein Gott, was müssen Sie für ein unwahrscheinliches Gedächtnis haben!«

Ich nippte an meinem Trenton Spezial - ein Drittel Aprikosengeist, ein Drittel frischgepresster Orangensaft, ein Drittel Hennessey - und schaute hinaus auf die Fischerboote, die leise auf dem durchsichtig-klaren Wasser schaukelten. Ich überlegte mir, wie sie wohl ihren Namen erhalten hatten. Ein kindischer Einfall? Erinnerung? Der Vorschlag eines Touristen? Das reichte vom üblichen Bonne Tour, Franjoise, Nicole bis zu ausgefallenen Namen wie Tarzan und Jimmy-Boy. Die Namen der Schiffe standen alle auf der Steuerbordseite des Bugs, die Backbordseite trug den Namen des Küstendistrikts, meistens Nice.

Es war angenehm, hier zu sitzen; die Nachmittagssonne lächelte von einem wolkenlosen Himmel - man liest ja ständig von der sonnengetränkten Riviera, aber in Wirklichkeit gibt es hier auch manche trüben Tage das Meer rauschte dezent und erholsam, und eine sanfte Brise trug den würzigen Duft der Pinien herüber.

Zum Teufel mit Te, dachte ich. Jetzt werde ich noch einen Trenton Spezial trinken und dann nach Monte Carlo fahren, um bis zu meiner Abfahrt nach Ajaccio ein kleines Spielchen zu machen. Aber eigentlich hatte ich gar keine Lust, vom guten alten Mayolle schon wieder Abschied zu nehmen. Ich schaute mich um.

Hinter dem Hafen und den Cafés und Bars entlang der Uferstraße erhob sich der Ort, schon ein wenig verkommen und vom Zahn der Zeit benagt; Kaskaden übereinander angeordneter, schachtelartiger Häuser in schmutzigem Rosa und ausgeblichenem Dotterblumengelb - ein architektonischer Fötus, der wie ein Pilz die Felswände hinauf wucherte, fast die Corniche erreichte, welche den Ort mit Monte Carlo auf der einen und mit Nizza auf der anderen Seite verband. Ein Städtchen mit schlechter Kanalisation, schlechter Luft und unmöglichen sanitären Einrichtungen, aber für mich noch immer ein aufregender Ort, der mich stimulierte, eine bunte, abenteuerliche Welt. Als sollte ich meine Gedanken bestätigt finden, fiel mein Blick auf eine Gruppe von Leuten, die zwar auch ihre Ferien hier verbrachten, aber den Bilderbuchurlaubern, vor allem denen aus Großbritannien, so wenig glichen wie der Tschad Mahal dem House of Parliament. Die meisten waren sportlich angezogen, aber irgendwie abenteuerlich und viel bunter als gewöhnlich - künstlerisch, wenn Sie verstehen, was ich damit sagen will. Ein paar hatten große Skizzenblöcke unter dem Arm, andere kamen sogar mit Staffeleien die steile Treppe zum Strand herunter, und alle schienen munter und vergnügt. Die Rucksäcke, die sie trugen, enthielten vermutlich ihre Malutensilien. Und auf den Rucksäcken stand gepinselt: Yumley Art School.

Zu meiner Überraschung kannte ich den Führer der Herde, J. G. Tessier-Axworthie. Er war, glaube ich, im Milligan College in Eton gewesen und hatte dort den Kunstpreis gewonnen. Schon damals, in seinen ausgesprochenen Jugendjahren, galt er als ziemlich verdreht - man wusste nicht, war er ein wirklicher Künstler, oder war er nur exzentrisch. Ich hoffte, er würde mich nicht erkennen, deshalb drehte ich mich hastig zur Seite und verschanzte mich hinter meinem Nice Matin. Dabei dachte ich über die verrückte Aufmachung des Mannes nach: Samtbarett à la Richard Wagner, ein wildwachsender Bart, der ein Doppel- und Dreifachkinn verbarg, und ein langer, verwegen bunter Kaftan. Verdammt noch mal: Tessier-Axworthie war doch Künstler, da brauchte er nicht die Unterstützung der Kleidung, des Bartes oder des Baretts! Heutzutage sind es nur die Herrenfriseure, die ihren Kunden noch einreden wollen, sie seien keine Handwerker, sondern Künstler, und die vor keinem äußeren Mittel zurückschrecken, um ihr Künstlertum zu unterstreichen. Die wenigen wirklichen Künstler, die ich kenne, sehen eher wie Bankbeamte aus. War es nicht Degas, der einmal zu einem bizarr gekleideten jungen Maler gesagt haben soll: Sie haben doch Talent, mein Freund, Sie können es ohne weiteres riskieren, sich ganz normal zu kleiden.

Dann wurde mir aber klar, dass Tessier-Axworthie natürlich ein bisschen auf Schau machen musste, denn seine Klasse erwartete das vermutlich von ihm. Man brauchte es, um ihn als Künstler zu identifizieren, wie man den weißen Mantel und die Gummihandschuhe zur Identifikation eines Filmchirurgen braucht.

Ich gab vor, tief in einen Artikel mit der Überschrift Lehrerin wird Hula-Tänzerin versunken zu sein. Es ging darin um einen jungen Bandleader, der eine Lehrerin hatte Tango tanzen sehen und sie an Ort und Stelle zu einer sechsmonatigen Tournee mit seiner Band einlud. Während die Lehrerin sich auf ihre Karriere als Hula-Hula-Girl vorbereitete, erklärte sie dem Reporter: »Ich bin wahnsinnig aufgeregt, aber es tut mir leid, meine Klasse im Stich lassen zu müssen.«

Ich übersetzte den französischen Text und hörte zugleich mit einem Ohr den Gesprächsfetzen zu, die von der pittoresken Gruppe zu mir herüberdrangen. Gerade sagte Tessier-Axworthie die Worte: »Nur ein paar Minuten«, und dann kam er in seinen Sandalen herauf auf die Terrasse des Clapotis. Ich versuchte mich leise hinauszustehlen, während er bei Michel bestellte, aber gerade in diesem Augenblick entdeckte er mich.

»Ich möchte sagen, pardonnez-moi, sind Sie nicht Trenton?«, fragte er so aufgeregt, wie man absurderweise selbst die unliebsamsten Bekannten in der Fremde begrüßt. Ich war schon fast so weit, mich zu verleugnen, als Tessier-Axworthie überschwenglich fortfuhr: »Ja, natürlich, Sie sind es! Sie sehen noch genauso aus wie damals, als Sie mit Ihrer grandiosen Elf den Kampf gegen Harrow gewannen!«

Schmeichelei bringt dich nicht weiter, dachte ich.

»Sehr freundlich, dass Sie sich daran erinnern«, sagte ich dann, kippte meinen Cocktail in einem Zug hinunter und stand auf. »Entschuldigen Sie mich, aber ich habe es eilig. Darf ich Ihnen den Nice Matin dalassen?« fügte ich hinzu, um meinen Aufbruch ein wenig freundlicher zu gestalten.

»Vielen Dank, aber mein Französisch ist ein wenig eingerostet.« Er plapperte noch weiter, aber inzwischen fiel mein Blick auf ein atemberaubend schönes Mädchen inmitten der Gruppe von Kunststudenten. Sie trug ein ganz einfaches, scharlachfarbenes Baumwollkleid, bestimmt nicht von Maggy Rouff, aber das machte nichts, denn die Farbe stand ihr gut, und der Stoff schmiegte sich an ihren nackten Körper wie ein gieriger Matrose auf Landurlaub. Ihr Haar war hochgesteckt, blau-schwarz und seidig, und man konnte sich vorstellen, dass es gelöst fast die runden, festen Brüste verdeckte, die sich unter ihrem Kleid verlockend und gefährlich wie Scylla und Charybdis erhoben. Frage an mich selbst: Waren die Mädchen von heute wirklich verlockender als die von ehedem? Es schien so.

Sie erinnerte an die pfirsichblütenhaften Mädchen Israels mit ihren Sternenaugen, und zugleich lauerte neben ihrer Unschuld das Bewusstsein, welche Wirkung sie auf die Männer ausübte. Ihre tiefblauen Augen waren geheimnisvoll - ihr Alter? Ich würde sagen, fünfundzwanzig. Ein Vollweib!

Auf einmal hatte ich es gar nicht mehr so eilig, Tessier-Axworthie loszuwerden. Plötzlich waren diese Künstler und Schüler für mich rasend interessant. Mit anderen Worten: Ich wollte dieses Vollweib in Scharlachrot kennenlernen. Tessier-Axworthie wäre schön beleidigt gewesen, hätte er gewusst, welchem Umstand er meine unerwartete Anteilnahme und meine ebenso plötzliche Höflichkeit zu verdanken hatte. Um ein Gespräch anzuknüpfen, fragte ich ihn: »Entschuldigen Sie, wenn ich indiskret bin, aber lohnt es sich denn für Sie, die Plage mit Ihren Malschülern auf sich zu nehmen?«

»Ach du meine Güte, nein, nicht im Geringsten! Für gewöhnlich erhält der Lehrer die Reise- und Hotelspesen und ungefähr zwanzig Pfund die Woche, nicht mehr«, gab er zu verstehen. Ich wollte nicht weiterfragen, ob er sich denn zu den Für-gewöhnlich-Fällen zählte, und überlegte, wie ich möglichst elegant zu meiner Scharlachroten überleiten konnte, als Axworthie schon fortfuhr: »Sie sehen, der Lehrer macht die Reise nicht des Geldes wegen.«

»Nein, natürlich nicht.«

»Man macht es nur aus Liebe zur Malerei.«

»Sicherlich.«

»Und außerdem bekommt man seinen Urlaub bezahlt, und man

kann seine eigenen Skizzen machen - in der Freizeit, versteht sich«, fügte Axworthie hastig hinzu.

»Sagen Sie«, fragte ich ihn mit strahlendem Lächeln, »kaufen Ihnen die Schüler dann wenigstens gelegentlich die eine oder andere Arbeit ab?«

J. G. Tessier-Axworthie warf mir einen kurzen Blick zu, der mir sagte, dass dies ein unerlaubter Tiefschlag war.

»Manchmal«, erklärte er ein wenig leichthin. Jetzt war ich dran. Ich hatte meine Eröffnung gefunden. Ein Damengambit für den Maler.

»Und die Modelle - gibt es für sie das gleiche Arrangement?«, wollte ich wissen.

Axworthie schaute überrascht drein. »Ich verstehe nicht, was Sie meinen«, erklärte er lapidar.

»Nun, die Modelle...«

Axworthie schaute mich noch immer verständnislos an. »Was für Modelle denn?«

Ich nickte hinüber zu meiner Scarlett O’Hara, die gerade hinter einer streunenden Katze her war und sich unter eines der Boote am Strand bückte, um das Vieh herauszulocken. Axworthie drehte sich um.

»Oh, Sie meinen Miss Branch«, sagte er. »Aber sie ist doch kein Modell! Wir nehmen keine Modelle mit, im Notfall besorgen wir uns das eine oder andere an Ort und Stelle. Nein, Miss Branch gehört zu unseren Gästen.«

»Sie meinen, sie ist Malerin?«

Jetzt war Axworthie der Takt in Person. »Nun, sagen wir einmal, eine Malerin im embryonalen Zustand.«

»Verstehe.« Ich schaute wieder hinüber zu dem Mädchen. Sie beugte sich jetzt herausfordernd weit unter das Boot und war sich sehr wohl bewusst, dass sie mir und den anderen Gästen auf der Hotelterrasse damit einen sehr weitgehenden Einblick verschaffte.