Der nächste Redner ist eine Dame -  - E-Book

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Beschreibung

Die Pionierinnen des Deutschen Bundestags.

Als am 7. September 1949 die 410 frisch gewählten Abgeordneten des ersten Deutschen Bundestages zusammenkamen, waren darunter 28 Frauen. Während der Legislaturperiode wuchs deren Zahl auf 38, doch hatten sie es schwer, politisch in Erscheinung zu treten. Dennoch behaupteten sie sich in ihren Fraktionen und in den Ausschüssen. Die Zentrumsabgeordnete Helene Wessel wurde zur ersten weiblichen Partei- und Fraktionsvorsitzenden gewählt, die SPD-Abgeordnete Jeanette Wolff stieß als bekennende Jüdin und Holocaust-Überlebende mit ihren Forderungen nach Entschädigung der jüdischen Opfer im Parlament auf viel Unverständnis, und die Theologin und CDU-Abgeordnete Anne Marie Heiler war eine typische Hinterbänklerin und hielt am 12. Mai 1950 ihre erste Rede. „Der nächste Redner ist eine Dame“, kündigte Bundestagspräsident Erich Köhler sie an.

Mit einem Vorwort von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, 38 Kurzporträts und Texten von Helene Bukowski, Julia Franck, Shelly Kupferberg, Terézia Mora und Juli Zeh.

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Über das Buch

Die Pionierinnen des Deutschen Bundestages

Als am 7. September 1949 die 410 frisch gewählten Abgeordneten des ersten Deutschen Bundestages zusammenkamen, waren darunter 28 Frauen. Während der Legislaturperiode wuchs deren Zahl auf 38, doch hatten sie es schwer, politisch in Erscheinung zu treten. Dennoch behaupteten sie sich in ihren Fraktionen und in den Ausschüssen. Die Zentrumsabgeordnete Helene Wessel wurde zur ersten weiblichen Partei- und Fraktionsvorsitzenden gewählt, die SPD-Abgeordnete Jeanette Wolff stieß als bekennende Jüdin und Holocaust-Überlebende mit ihren Forderungen nach Entschädigung der jüdischen Opfer im Parlament auf viel Unverständnis. Und die Theologin und CDU-Abgeordnete Anne Marie Heiler war eine typische Hinterbänklerin und hielt am 12. Mai 1950 ihre erste Rede. „Der nächste Redner ist eine Dame“, kündigte Bundestagspräsident Erich Köhler sie an.

Mit einem Vorwort von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, 38 Kurzporträts und Texten von Helene Bukowski, Julia Franck, Shelly Kupferberg, Terézia Mora und Juli Zeh

Über die Autoren

Deutscher Bundestag

Am 7. September 1949 konstituierte sich der erste Deutsche Bundestag in Bonn in einem geteilten Land. 1999, zehn Jahre nach der Friedlichen Revolution in der DDR, zog das nun gesamtdeutsche Parlament nach Berlin – vor 25 Jahren. Im Jubiläumsjahr 2023/24 erinnert der Deutsche Bundestag u.a. mit dem Buch »Der nächste Redner ist eine Dame« an den schwierigen Neubeginn auf den materiellen und moralischen Trümmern der NS-Diktatur. Daran, wie sich eine stabile parlamentarische Demokratie etablierte, und an die gestaltende Rolle der weiblichen Abgeordneten dabei.

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Der nächste Redner ist eine Dame

Die Frauen im ersten Deutschen Bundestag

Herausgegeben vom Deutschen Bundestag

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

Vorwort — von Bärbel Bas, Präsidentin des Deutschen Bundestages

»Der nächste Redner ist eine Dame …« Die Frauen im ersten Deutschen Bundestag — Eine Einleitung von Natalie Weis

Politische Pionierinnen in der Trümmergesellschaft

Frauenrechte im Kaiserreich, der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus

Politischer Neuanfang. Die Frauen im Parlamentarischen Rat

Gleichberechtigung und Familienrecht. Der Kampf um die Geschlechterordnung

Wiederbewaffnung, Kalter Krieg, Antikommunismus und Parteienverbote

Herkunft und Prägung. Frauen im politischen Alltag

Literatur meets Politik. Ein Epilog

»Da fehlt noch Salz« — Helene Bukowski über die FDP-Abgeordnete Dr. Friederike Mulert

»Wenn man Demokrat ist, dann muss man misstrauisch sein« — Julia Franck über die SPD-Abgeordnete Jeanette Wolff

»Die erste Europäerin« — Shelly Kupferberg über die CDU-Abgeordnete Dr. Luise Rehling

»Die höchste Frau: ein ganzer Kerl« — Terézia Mora über die CSU-Abgeordnete Dr. Maria Probst

»Straße frei, es wird geschossen!« — Juli Zeh über die KPD-Abgeordnete Grete Thiele

38 Kurzbiografien

Luise Albertz (1901–1979), SPD

Lisa Albrecht (1896–1958), SPD

Maria Ansorge (1880–1955), SPD

Thea Arnold (1882–1966), DZP/FU/fraktionslos

Anna Maria Bieganowski (1906–1986), fraktionslos/WAV/DP

Aenne Brauksiepe (1912–1997), CDU

Else Brökelschen (1890–1976), CDU/CSU

Maria Dietz (1894–1980), CDU

Clara Döhring (1899–1987), SPD

Margarete Gröwel (1899–1979), CDU

Anne Marie Heiler (1889–1979), CDU

Elinor Hubert (1900–1973), SPD

Margarete Hütter (1909–2003), FDP

Herta Ilk (1902–1972), FDP

Elfriede Jaeger (1899–1964), fraktionslos/DKP-DRP

Margot Kalinke (1909–1981), DP/CDU

Irma Keilhack (1908–2001), SPD

Liesel Kipp-Kaule (1906–1992), SPD

Elise (Lisa) Korspeter (1900–1992), SPD

Anni Krahnstöver (1904–1961), SPD

Gertrud Lockmann (1895–1962), SPD

Agnes Maxsein (1904–1991), CDU

Emma (Emmy) Meyer-Laule (1899–1985), SPD

Friederike Mulert (1896–1991), FDP

Frieda Nadig (1897–1970), SPD

Maria Niggemeyer (1888–1968), CDU

Maria Probst (1902–1967), CSU

Luise Rehling (1896–1964), CDU

Julie Rösch (1902–1984), CDU

Marta Schanzenbach (1907–1997), SPD

Louise Schroeder (1887–1957), SPD

Viktoria Steinbiß (1892–1971), CDU

Käte Strobel (1907–1996), SPD

Gertrud Strohbach (1911–2002), KPD

Grete Thiele (1913–1993), KPD

Helene Weber (1881–1962), CDU

Helene Wessel (1898–1969), DZP/GVP/SPD

Jeanette Wolff (1888–1976), SPD

Anhang

Abkürzungen

Ausgewählte Literatur

Dank

Erläuterungen

Impressum

Vorwort

von Bärbel Bas, Präsidentin des Deutschen Bundestages

Von den meisten weiblichen Abgeordneten im ersten Deutschen Bundestag ist nicht einmal der Name einem größeren Publikum bekannt. Das allein macht deutlich, wie nötig und wichtig dieses Buch über wegweisende Pionierinnen unserer parlamentarischen Demokratie ist.

Die Autorinnen und Autoren haben häufig neue Quellen erschlossen und manchmal erst durch langwierige Umwege Informationen gefunden. Das Ergebnis ist eine Grundlagenarbeit zu den Biografien, den Motivationen und dem politischen Engagement der ersten weiblichen Bundestagsabgeordneten. Vielen Dank an die Schriftstellerinnen Helene Bukowski, Julia Franck, Shelly Kupferberg, Terézia Mora und Juli Zeh sowie an die Autorinnen und Autoren der Wissenschaftlichen Dienste in der Bundestagsverwaltung.

Das jetzt vorliegende Bild ist vielfältig: Da sind erfahrene Parlamentarierinnen wie Helene Weber, die schon in der Weimarer Republik ihre Stimme erhoben hatten und es im fortgeschrittenen Alter noch taten. Da sind junge Frauen wie Aenne Brauksiepe, die aus den Trümmern der Nachkriegszeit die neue Republik mitgestalten wollten. Und da sind auch jene Frauen wie Jeanette Wolff oder Grete Thiele, die mit ihren Familien im Nationalsozialismus Verfolgung, Folter und Lagerhaft ausgesetzt waren. Durch ihr Überleben fühlten sie sich verpflichtet, dafür zu sorgen, dass sich solch ein Terror nicht wiederholt. Was sie alle eint: Sie kämpften leidenschaftlich, um im männerdominierten Plenum gehört, ernst genommen und überhaupt zu allen Veranstaltungen eingeladen zu werden.

Im ersten Deutschen Bundestag kamen die Parlamentarierinnen auf einen Anteil von 6,8 Prozent, der am Ende der Legislatur durch Nachrückerinnen auf neun Prozent stieg. Anfang des Jahres 2024 liegt der Frauenanteil bei 36,3 Prozent. Das reicht aber nicht.

Es ist heute besonders spannend zu lesen, wofür sich die Frauen damals eingesetzt haben. Natürlich ging es in den Nachkriegsjahren erst einmal darum, Gefangene zurückzuholen, Opfer zu entschädigen, das Land und die Demokratie wieder aufzubauen. Manches Anliegen der Gleichstellungspolitik kommt uns aber heute wundersam vertraut vor – wie etwa die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit.

Den ersten Frauen im Deutschen Bundestag setzt dieses Buch ein literarisches Denkmal, das an ihre persönlichen Geschichten und ihre Verdienste erinnert. Viel zu lange war beides in Vergessenheit geraten. Diese Frauen haben es verdient, dass wir an sie erinnern. Deshalb würde ich mich freuen, wenn zum Beispiel die Namen dieser Frauen noch stärker als Inspiration bei der Benennung von Straßen oder Plätzen gesehen werden.

»Doch Politikerinnen in den 1950er Jahren können sich nur selten auf weibliche Vorbilder berufen, sie sind überall die ersten und oft die einzigen«, schreibt Natalie Weis in ihrer Einleitung. Die ersten 38 Bundestagsabgeordneten sind genau das für die nachfolgenden Generationen von Parlamentarierinnen geworden: weibliche Vorbilder. Und das ist auch ein Auftrag an uns aktuelle Parlamentarierinnen.

Auf dem Weg zu echter Gleichstellung ist schon vieles gewonnen, aber längst nicht alles erreicht. Wir werden nur vorankommen auf dem Weg zur Parität, wenn wir unsere Erfahrungen weitergeben und uns generationsübergreifend unterstützen.

Die Arbeitsbedingungen für Parlamentarierinnen müssen sich verbessern, damit wir die Parität endlich möglich machen. Parteien und Parlamente müssen dafür sorgen, dass mehr Frauen Zugang in die Politik finden. Es muss möglich sein, Familie und Amt noch besser zu vereinbaren. Und es muss einen Schutz geben vor frauenfeindlichen Beschimpfungen und Drohungen, die männliche Kollegen meist so nicht erleben müssen. Gerade in der ehrenamtlichen Kommunalpolitik.

Viele der weiblichen Abgeordneten des ersten Deutschen Bundestages haben neue Pfade geebnet. So finden wir unter ihnen die erste Oberbürgermeisterin von Berlin, die erste Frau im Parteipräsidium der CDU, die erste Konsulin und die erste Botschafterin der Bundesrepublik Deutschland, die erste Bundesfamilienministerin sowie die erste Bundestagsvizepräsidentin. Ihre Karrieren waren bahnbrechend für die folgenden Generationen von Frauen. Auch für mich persönlich gilt: Diese Frauen waren im wahrsten Sinne des Wortes Wegbereiterinnen. Dafür gebührt ihnen Dank und Respekt.

»Der nächste Redner ist eine Dame …« Die Frauen im ersten Deutschen Bundestag

Eine Einleitung von Natalie Weis

Im ersten Deutschen Bundestag ist es offenbar noch keine Selbstverständlichkeit, dass eine Frau ans Rednerpult tritt. Mit dem Satz »Der nächste Redner ist eine Dame« kündigt Bundestagspräsident Erich Köhler am 12. Mai 1950 während der Haushaltsberatungen die erste Rede der Marburger CDU-Abgeordneten Anne Marie Heiler an. Die 61-jährige Theologin hat 64 Sitzungen gewartet, bis sie erstmals das Wort ergreifen kann. Unter den elf Rednern dieses Tages ist sie die einzige Frau. Eigentlich stehen ihr fünf Minuten Redezeit zu. Doch ihre Fraktionskollegen haben überzogen. Bundestagspräsident Köhler gibt sich großzügig: »Frau Abgeordnete Heiler, bitte! Durch die langen Reden Ihrer Fraktionsfreunde sind Ihnen nur drei Minuten geblieben. Sie werden mich aber loyal genug finden, Ihnen noch eine Minute zuzugeben, also vier Minuten.«

Als acht Monate zuvor, am 7. September 1949, die 410 frisch gewählten Abgeordneten des ersten Deutschen Bundestages erstmals zusammenkamen, waren darunter 28 Frauen. Auf den Aufnahmen aus dem Plenarsaal des gerade neu errichteten Bundeshauses in Bonn sind die Frauen unter den dunkel gekleideten Männern kaum zu erkennen. Auch politisch haben sie es zunächst schwer, in Erscheinung zu treten. Die ersten sechs Sitzungen vergehen, ohne dass eine Frau das Wort ergreift. Im Laufe der Legislaturperiode wächst der Frauenanteil von 6,8 auf neun Prozent, da Frauen meist hintere Listenplätze innehaben und nachrücken, wenn ein Mitglied aus dem Parlament ausscheidet. Nicht selten geschieht dies, weil ein Abgeordneter verstirbt, und so werden die Frauen bald despektierlich »Sarghüpfer« genannt.

Konstituierende Sitzung des ersten Deutschen Bundestages, 7. September 1949, Käte Strobel (SPD).

© Bestand Erna Wagner-Hehmke, Stiftung Haus der Geschichte, Bonn

Im politischen Alltag der jungen Bundesrepublik scheinen die nunmehr 38 Frauen nicht vorgesehen zu sein. Zu Abendveranstaltungen werden sie meist nicht eingeladen. Stattdessen bekommen sie das Angebot, mit der Frau des Bundespräsidenten Tee zu trinken. Dennoch behaupten sie sich in ihren Fraktionen, in den Ausschüssen, im parlamentarischen Alltag. Die Zentrumsabgeordnete Helene Wessel wird zur ersten weiblichen Partei- und Fraktionsvorsitzenden gewählt und bleibt nach zwei Parteiwechseln von 1957 bis zu ihrem Tod 1969 aktive Parlamentarierin. Die SPD-Abgeordnete Jeanette Wolff zieht als bekennende Jüdin und Holocaust-Überlebende ins Parlament ein und stößt dort mit ihren Forderungen nach Entschädigung der jüdischen Opfer auf viel Unverständnis. Die Hinterbänklerin Anne Marie Heiler bleibt zu ihrer Enttäuschung nur eine Wahlperiode im Parlament – wie etwa ein Drittel der weiblichen Abgeordneten.

Die Frauen des ersten Deutschen Bundestages sind Pionierinnen. Der Blick auf sie legt gewissermaßen die Fundamente frei, auf denen die Arbeit von Politikerinnen heute ruht.

Ihre Biografien erzählen von Krieg, Entbehrungen und nicht selten von Verfolgung. Kindheit, Jugend und das Aufwachsen in bestimmten Milieus prägten oft das spätere politische Engagement der Frauen. So machte die spätere Bundesministerin Käte Strobel (SPD) ihre ersten politischen Erfahrungen ab Ende der 1920er Jahre im Vorstand der sozialdemokratischen Kinderfreunde-Bewegung. Die promovierte Historikerin Luise Rehling (CDU) wuchs als Pfarrerstochter auf und unterstützte während der Zeit des Nationalsozialismus gemeinsam mit ihrem Mann die Mitglieder der oppositionellen Bekennenden Kirche. Die Biografien der Frauen beschreiben aber auch die meist besonderen Umstände ihres Einzugs ins Parlament, die Widrigkeiten ihres Alltags, ihre politischen Erfolge und Misserfolge. Es wird deutlich, dass die Frauen keineswegs eine einheitliche Perspektive auf die politischen Probleme der Nachkriegsgesellschaft hatten – jedoch blickten sie mit einem weiblichen Erfahrungshorizont auf die Welt, der sich von dem ihrer männlichen Kollegen unterschied.

Politische Pionierinnen in der Trümmergesellschaft

»Der letzte Krieg hat in der männlichen Bevölkerung ganzer Kontinente große Lücken gerissen. Dadurch sind die Frauen fast überall in der Mehrzahl. In den vergangenen Jahren hatten sie den Preis für das Versagen einer Generation zu zahlen, wie noch niemals in der Geschichte. […] Das alles hat dazu geführt, daß mehr und mehr Frauen am politischen Geschehen, das der Grund war für jene schmerzlichen Veränderungen ihrer Lebensumstände, aktiven Anteil zu nehmen scheinen.«

Frauen beim Schuttverladen in Berlin, 1947.

Bundesarchiv (SAPMO), Bild Y 1-1384-884-76

Aus den Zeilen des 1947 veröffentlichten Artikels »Frauen in Parlamenten und Kabinetten« spricht trotz einer schonungslosen Bestandsaufnahme der Kriegsfolgen eine gewisse Aufbruchsstimmung, was die politischen Gestaltungsmöglichkeiten von Frauen angeht. Der Artikel erschien in dem von der späteren SPD-Bundestagsabgeordneten Lisa Albrecht herausgegebenen Frauenbuch, das »Mut zum Bekenntnis der Frauenleistung« machen soll, da »die Frauen heute und im wachsenden Umfange in Zukunft das ganze gesellschaftliche Leben mitzuformen haben«. Ursprünglich sollte das Frauenbuch, in dem es um Politik, Erziehungsfragen und Alltag der Frauen geht, jedes Jahr erscheinen. Doch die erste Ausgabe blieb auch die letzte.

Die Frauen sind im Nachkriegsdeutschland zumindest zahlenmäßig zu einem ernst zu nehmenden politischen Faktor geworden: In den vier Besatzungszonen gibt es sieben Millionen mehr Frauen als Männer; die Zahl der wahlberechtigten Frauen liegt zwischen neun und zehn Prozent höher als die der Männer. In Berlin kommen auf 100 Männer 170 Frauen, in Sachsen auf zwei Millionen Männer drei Millionen Frauen.

Rund elf Millionen Wehrmachts- und SS-Soldaten sind in Kriegsgefangenschaft geraten und werden, falls sie überleben, erst in den nächsten Jahren nach und nach zurückkehren, ebenso wie die traumatisierten Männer, Frauen und Kinder, die aus den Konzentrationslagern und Gefängnissen entlassen worden sind. Die seelischen Verwundungen hinterlassen in vielen Familien eine Spur der Verwüstung. Die Sprachlosigkeit ist allgegenwärtig, das Leid der Opfer immens, die Schuld der Täterinnen und Täter groß.

Viele Frauen haben zu Kriegsende Vergewaltigungen und Demütigungen erlitten, vorsichtige Schätzungen gehen von etwa 900 000 Vergewaltigungsopfern aus. Im Nachkriegsjahr werden doppelt so viele uneheliche Kinder geboren wie vor dem Krieg, ein möglicher Hinweis auf die Verbrechen, aber in jedem Fall ein fortbestehendes soziales Stigma für die Mütter und ihre Kinder. Viele Ehen zerbrechen: 1948 beträgt die Zahl der Scheidungen gut 87 000, rund dreimal so viel wie vor dem Krieg.

Die Nachkriegsgesellschaft ist jedoch nicht nur von massivem emotionalen Elend geprägt, sondern entsteht buchstäblich aus Trümmern: Bei Kriegsende sind fast die Hälfte der Häuser und Wohnungen in den vier Besatzungszonen zerstört; die Wohnverhältnisse sind katastrophal. Neben Kriegsheimkehrern müssen etwa 16 Millionen Flüchtlinge untergebracht werden. Vielerorts leben ganze Familien in nur einem Zimmer. In vielen Städten wird die Belegung von Wohnungen reglementiert, um den verfügbaren Wohnraum möglichst effektiv zu nutzen.

Die Versorgung mit Nahrungsmitteln ist ebenfalls rationiert. Hausfrauen bekommen die geringste Lebensmittelzuteilung. Die rund 2,5 Millionen sogenannten Kriegerwitwen mit Kindern sind – anders als während des Krieges – ohnehin gezwungen, eine Arbeit aufzunehmen, da die Alliierten die zuvor auskömmliche Kriegsrente drastisch gekürzt haben. Viele Frauen kümmern sich als alleinerziehende Mütter nicht nur um ihre Kinder, sondern darüber hinaus um Kriegsversehrte, Waisen, Alte, Kranke und sonstige Hilfsbedürftige, da viele Heime und Pflegestätten zerstört sind.

Erst mit der Währungsreform 1948 bessert sich die Lage zumindest in den drei westlichen Besatzungszonen. Die Nahrungsmittelversorgung entspannt sich, erste staatliche Strukturen sind entstanden. Die sozialen Probleme bleiben jedoch in allen vier Zonen unübersehbar. An vielen Orten kümmern sich Frauen daher nicht nur um ihr unmittelbares Umfeld, sondern bilden sogenannte Frauenausschüsse, die helfen, die größte Not zu lindern, Suppenküchen aufbauen, Kleiderkammern eröffnen und medizinische Hilfe leisten.

Die Frauen in den bald 5000 überparteilichen Ausschüssen belassen es nicht dabei, praktische Hilfe zu organisieren, sondern werden bald auch zu einem ernst zu nehmenden wirtschaftlichen und politischen Faktor. Der Charlottenburger Frauenausschuss in Berlin verabschiedet am 1. Oktober 1946 eine Resolution: »Deutschland ist ohne die Arbeitskraft der Frau nicht wieder zu einem lebensfähigen Staat zu erwecken. Durch die Kriegsfolgen sind wir gezwungen, die Arbeit der Männer zu ersetzen. Wir sind doppelt belastet in der Funktion als Ernährer und Hausfrau und Mütter der Kinder. Wir verlangen, wie es einer gerechten, freien Demokratie würdig ist, gerechte Verteilung zwischen Mann und Frau an den gemeinsam geschaffenen Produkten und damit eine wirkliche Gleichstellung der Geschlechter.«

In der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) unterwandert die im April 1946 nach der Zwangsvereinigung von SPD und KPD entstandene Sozialistische Einheitspartei (SED) die sich formierenden Frauenausschüsse und instrumentalisiert sie in ihrem Sinne. In den drei westlichen Zonen schaut man ebenfalls skeptisch auf die parteiübergreifende Unabhängigkeit der Frauenausschüsse: Der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher warnt im Juni 1947 vor »Sonderorganisationen« von »Madames«, die »politisch nicht so ohne weiteres formbar« seien, um für die Parteiarbeit der SPD nützlich zu sein.

Dennoch bilden die Frauenausschüsse wichtige Erfahrungs- und Begegnungsorte für die politische Gründerinnengeneration der Nachkriegszeit. Viele der späteren Abgeordneten machen hier ihre ersten politischen Gehversuche oder bringen ihre bereits in der Weimarer Republik oder gar in der Kaiserzeit erworbenen politischen Erfahrungen ein. Hier ist der Ort, wo die Frauen erleben, wie lebensnah und wirksam Politik gestaltet werden kann. Es entstehen Freundschaften und Verbindungen, manche sogar über bisherige Lebensanschauungen, Prägungen und soziale Milieus hinweg.

Doch schon bald verlieren die Frauenausschüsse ihre Bedeutung. Die sich formierenden Parteien in den Westzonen verabschieden Unvereinbarkeitsbeschlüsse, sodass sich die parteipolitisch aktiven Frauen entscheiden müssen, zu welcher Organisation sie gehören wollen. Insbesondere die Erfahrenen unter ihnen wissen: Das neu erwachte politische Selbstbewusstsein der Frauen steht im scharfen Kontrast zu ihrer realen wirtschaftlichen und rechtlichen Lage. Diese jedoch kann zumindest im westlichen Teil Deutschlands nur im Rahmen von Parteien und in den Strukturen der neu entstehenden parlamentarischen Demokratie entscheidend beeinflusst werden.

Hier (wie anfangs auch noch in der SBZ) gilt das Bürgerliche Gesetzbuch in der Fassung von 1900, das insbesondere die Lebensbedingungen verheirateter Frauen reglementiert: So benötigen sie die Zustimmung ihres Mannes, wenn sie berufstätig sein oder ein Bankkonto eröffnen wollen. Selbst gewählte Bundestagsabgeordnete können ihr Mandat nur antreten, wenn es ihre Ehemänner erlauben. Diese tun es, mal widerwillig, mal unausgesprochen oder auch mit tatkräftiger Unterstützung. So schlägt Anne Marie Heilers Ehemann, der Marburger Theologieprofessor Friedrich Heiler, ein Angebot aus, die örtliche CDU mitzugestalten, und ermutigt stattdessen seine Frau, in der Partei aktiv zu werden und ein Bundestagsmandat anzustreben.

Das Bürgerliche Gesetzbuch regelt jedoch, dass allein der Mann das Vermögen der Familie verwaltet und darüber verfügen darf, wozu auch das in die Ehe eingebrachte Vermögen der Frau gehört. Bei der Eheschließung bekommt sie automatisch den Familiennamen des Mannes. Er bestimmt über den Wohnort und die Wohnung. Bei der Haushaltsführung hat er die oberste Entscheidungsgewalt. In Erziehungsangelegenheiten gilt der sogenannte Stichentscheid, das heißt, bei strittigen Fragen hat er das letzte Wort.

Auch unverheiratete Frauen haben insbesondere in der Berufswelt Nachteile: So droht ihnen oftmals die Kündigung, wenn ein Mann sich auf ihren Posten bewirbt, denn er gilt automatisch als der Ernährer einer Familie und ist damit zu bevorzugen. Verheiratete berufstätige Frauen hingegen werden »Doppelverdienerinnen« genannt und skeptisch betrachtet. Für Lehrerinnen gilt ohnehin das Gebot der Ehelosigkeit, das sogenannte Lehrerinnenzölibat: Sobald sie heiraten, verlieren sie ihre Anstellung. In anderen Berufen, besonders in den unteren Lohnklassen, sind sogenannte Frauenlöhne weit verbreitet, was bedeutet, dass Frauen bei gleicher Qualifikation und Tätigkeit niedriger entlohnt werden als Männer.

Frauenrechte im Kaiserreich, der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus

Die Forderung nach mehr Frauenrechten und insbesondere nach Anpassung des Bürgerlichen Gesetzbuches an die Nachkriegsrealitäten erscheint vielen Menschen überfällig und ist keineswegs neu. Seitdem die Frauen ab 1908 politischen Vereinen und Parteien beitreten konnten und etwa zur gleichen Zeit Schritt für Schritt Zugang zu höherer universitärer Bildung bekamen, nutzten sie die neuen Gestaltungsmöglichkeiten für ihre persönliche, berufliche und politische Entwicklung. Sowohl dem linken Spektrum zugehörige Frauen in der Sozialdemokratischen und in der Kommunistischen Partei als auch die christlich-bürgerlich geprägten Frauen, die der Zentrumspartei nahestanden, erlebten die Einführung des aktiven und passiven Frauenwahlrechts 1919 als Durchbruch: Erstmals war es Frauen möglich, in Parlamenten und politischen Gremien ihre Stimme zu erheben und ihre Sichtweise einzubringen. Die Wahlbeteiligung zur Nationalversammlung 1919 war entsprechend hoch: 82 Prozent der Frauen (wie der Männer) gaben bei der Wahl ihre Stimmen ab. Der Frauenanteil in der Nationalversammlung betrug etwas mehr als acht Prozent.

In der Weimarer Republik unternahmen weibliche Abgeordneten wie Marie Juchacz (SPD) oder Helene Weber (Zentrum) nicht nur ihre ersten parlamentarischen Gehversuche, sondern waren auch außerhalb der Volksvertretung aktiv: Weber gehörte bereits 1916 zu den Mitgründerinnen des Berufsverbands deutscher katholischer Sozialbeamtinnen, Juchacz gründete 1919 die Arbeiterwohlfahrt (AWO) als »Hauptausschuss für Arbeiterwohlfahrt« in der SPD. Doch der Frauenanteil im Reichstag blieb marginal: Er schwankte zwischen fünf und acht Prozent, bis er schließlich 1933, im Jahr der Machtübertragung an die Nationalsozialisten, bei nicht einmal vier Prozent lag. Während der NS-Zeit war es Frauen verboten, sich zur Wahl zu stellen; sie wurden stattdessen auf ihre Rolle als Ehefrau und Mutter festgelegt. Auch der Zugang zu höherer Bildung und zu leitenden Posten wurde wieder eingeschränkt beziehungsweise verboten: »Das Ziel der weiblichen Erziehung hat unverrückbar die kommende Mutter zu sein«, lautete hierzu das Diktum Adolf Hitlers. Linientreue Frauen konnten allerdings in Frauenorganisationen wie der NS-Frauenschaft (NSF) und dem Bund Deutscher Mädel (BDM) Leitungsfunktionen erlangen und sich im nationalsozialistischen Sinne politisch betätigen.

Helene Weber (CDU) bespricht sich vor einer Fraktionssitzung im Parlamentarischen Rat mit ihrem Kollegen Gerhard Kroll (CSU). Auf der anderen Seite des Tisches Albert Finck und Carl Schröter (beide CDU), 1949. © Bestand Erna Wagner-Hehmke, Stiftung Haus der Geschichte, Bonn

Dennoch hatte sich in den 14 Jahren von der Einführung des Frauenwahlrechts bis zum Ende der Weimarer Republik die gesellschaftliche Teilhabe von Frauen grundlegend verändert. Vielerorts waren regionale und überregionale Frauenverbände entstanden. In den Parteien hatten sich Frauenausschüsse und -räte gebildet. Überhaupt war der politische Beitrag von Frauen zumindest in den linken und bürgerlichen Parteien, wenn nicht selbstverständlich, so doch allgemein akzeptiert. Insbesondere in den Frauenverbänden waren Netzwerke gewachsen, teils politisch und milieubedingt eingegrenzt, teils auch über parteipolitische Grenzen hinaus. Die Nationalsozialisten zerschlugen zwar ab 1933 diese Strukturen beziehungsweise schalteten sie gleich und schufen mit der NSF und dem BDM eigene Frauenorganisationen, doch können die demokratisch aktiven Frauen nach dem Krieg nicht selten auf die alten, manchmal informellen Verbindungen zurückgreifen. Die Verfolgungen, die nicht wenige politisch engagierte Frauen während der nationalsozialistischen Diktatur erlitten, haben teils auch die Verbindungen untereinander vertieft. Einige wurden von den Nationalsozialisten inhaftiert; es traf insbesondere jüdische, sozialdemokratische und kommunistische Politikerinnen wie Jeanette Wolff oder Grete Thiele. Auch Frauen aus dem katholischen Zentrumsmilieu wie die spätere CDU-Abgeordnete Margarete Gröwel wurden wegen ihrer Kontakte zu oppositionellen Politikern kurzzeitig verhaftet. Viele Frauen zogen sich jedoch zurück, suchten sich ihre Nischen oder arrangierten sich mit dem neuen politischen Regime. Andere traten bereits 1933 der NS-Frauenschaft bei, wie die spätere Abgeordnete der Deutschen Partei Margot Kalinke, die nach dem Krieg als Vertriebene der Landsmannschaft Westpreußen angehört.

Politischer Neuanfang. Die Frauen im Parlamentarischen Rat

Ein Teil der Frauen, die bereits in der Kaiserzeit und in der Weimarer Republik in Vereinen, Parteien und Parlamenten politisch aktiv waren, steht 1945 bereit, um den Neuanfang zu gestalten. Aber auch die jüngeren politisch interessierten Frauen schauen im August 1948 gespannt auf den Verfassungskonvent, der auf der Herreninsel im Chiemsee stattfindet, wo der Entwurf eines Grundgesetzes erarbeitet wird. Hier sind die Männer unter sich; unter den 30 Teilnehmern findet sich keine einzige Frau. Fragen zur Stellung der Frau spielen eine untergeordnete Rolle. Hieß es 1919 in der Weimarer Reichsverfassung noch, dass Frauen »grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten« zustehen, steht im Entwurf von Herrenchiemsee allgemein: »Vor dem Gesetz sind alle gleich.«

Als jedoch im September 1948 in Bonn die Beratungen zum Grundgesetz in dem von den elf Länderparlamenten der Westzonen gewählten Parlamentarischen Rat beginnen, sind vier der 65 Mitglieder Frauen, einige davon politisch sehr erfahren und gut vernetzt. Darunter die Juristin und SPD-Politikerin Elisabeth Selbert. Sie setzt sich gemeinsam mit ihrer Parteikollegin Frieda Nadig dafür ein, die Gleichberechtigung der Geschlechter in dem schlichten Satz zusammenzufassen: »Männer und Frauen sind gleichberechtigt.« Damit stoßen sie im Parlamentarischen Rat auf Widerstand, nicht nur von Männern. Auch die beiden bürgerlichen Frauen im Parlamentarischen Rat, Helene Weber (CDU) und Helene Wessel (DZP), sind zunächst skeptisch. Insbesondere die 67-jährige Helene Weber, die bereits 1919 Mitglied der verfassunggebenden Weimarer Nationalversammlung war, spielt bei den Beratungen innerhalb der CDU eine gewichtige Rolle. Die Frauenrechtlerin der ersten Stunde und enge Vertraute Konrad Adenauers ist zutiefst geprägt von naturrechtlich-katholischen Prinzipien, nach denen Mann und Frau zwar gleichberechtigt, jedoch von Natur aus unterschiedlich sind. Jeglicher »Gleichmacherei« begegnet sie daher mit Vorbehalten. Zudem vertritt sie in dieser Frage die Vorstellungen der katholischen Kirche, der sie eng verbunden ist.

So heißt es im Entwurf zunächst: »Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Das Gesetz muß Gleiches gleich, es kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln. Jedoch dürfen die Grundrechte nicht angetastet werden.« Elisabeth Selbert weiß aus ihrer juristischen Praxis, dass sich die Rahmenbedingungen für Frauen mit dieser Formulierung, wenn nicht verschlechtern, so doch nicht verbessern werden. Auch der Vorsitzende des Hauptausschusses Carlo Schmid (SPD) führt ins Feld, dass »die Frau den Anspruch erheben kann, daß ihr zugetraut wird, mit der gleichen Verantwortlichkeit und der gleichen Fähigkeit für ihre Interessen zu sorgen und durch das Leben zu schreiten«.

Schließlich, unter anderem nachdem Elisabeth Selbert für Protest aus den Frauenorganisationen gesorgt hat, setzt sich ihre Formulierung doch durch. Der schlichte Satz »Männer und Frauen sind gleichberechtigt« steht noch heute als Artikel 3 Absatz 2 im Grundgesetz. Ihre Partei, die SPD, dankt es ihr nicht. Bei den Wahlen zum ersten Deutschen Bundestag erhält sie nur einen der hinteren Listenplätze, und so schafft sie es nicht, ins Parlament einzuziehen. Bis 1958 bleibt sie politisch tätig und zieht sich dann aus der Politik zurück.

Gleichberechtigung und Familienrecht. Der Kampf um die Geschlechterordnung

Es ist Elisabeth Selberts Parteifreundin Frieda Nadig, die bei der ersten Debatte um die Neuordnung des Familienrechts am 1. Dezember 1949 als erste Rednerin das Wort ergreift: »Meine Herren und Damen! In dem Artikel 3 des Grundgesetzes ist verfassungsmäßig die Gleichstellung von Mann und Frau verankert. Damit hat endlich die Frau die volle rechtliche Mündigkeit erhalten. Ein langer Kampf ist hier vorausgegangen. Wurde doch der erste Antrag auf Gleichberechtigung schon 1895 im alten Reichstag gestellt. Das Hohe Haus hat jetzt die Aufgabe – bis zum 31. März 1953 läuft die Frist nach dem Grundgesetz –, den Gleichheitssatz Wirklichkeit werden zu lassen, ihm Leben und Inhalt zu geben, das heißt die Gleichberechtigung der Frau auf allen Gebieten des zivilen, des Privatrechts und des gesamten wirtschaftlichen und sozialen Lebens zu vollziehen. Eine sehr große Aufgabe!«

Die Regierung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer zeigt allerdings keine große Eile, die gesetzlichen Änderungen, die sich aus dem neuen »Gleichheitssatz« im Grundgesetz ergeben, in Angriff zu nehmen. Die Regierungskoalition aus CDU/CSU, FDP und Deutscher Partei (DP) macht schnell deutlich, dass sie keineswegs beabsichtigt, die bisherigen Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu ändern. Erneut ist es Helene Weber, die sich beispielsweise für die Beibehaltung des »Stichentscheids« des Mannes in Erziehungsfragen einsetzt. Es gibt allerdings auch Stimmen in der Union, insbesondere von liberal-evangelischen Abgeordneten, die sich beim Eherecht für die sogenannte Partnerschaftsehe aussprechen, in der beiden Partnern gleiche Rechte zustehen sollen. Auch außerhalb des Parlaments, in Verbänden, Kirchen und Gewerkschaften, werden Fragen der Gleichberechtigung lebhaft diskutiert.

Die Regierung bringt schließlich am 23. Oktober 1952, vier Monate vor Ablauf der im Grundgesetz festgelegten Übergangsfrist, einen Gesetzentwurf zur Reform des Familienrechts in den Deutschen Bundestag ein. Doch die Reaktionen sowohl im parlamentarischen Verfahren als auch in der Öffentlichkeit zeigen, dass der Entwurf von allen Seiten Kritik erfährt und nicht mehrheitsfähig ist. So endet die erste Wahlperiode, ohne dass es zu einer Neuregelung kommt.

Erst zum Ende der nächsten Legislatur, am 3. Mai 1957, beschließt der Deutsche Bundestag das »Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts«, das Gleichberechtigungsgesetz. Vorangegangen sind zahlreiche Diskussionen, Verfahrenstricks und parlamentarische Debatten. Im Ergebnis ist das Gesetz, wie es in einem Kommentar heißt, »vom Geist der vorsichtigen Anpassung an den Gleichberechtigungsgrundsatz erfüllt«. Im Klartext: Es ändert sich zunächst nicht viel. Der Mann entscheidet weiterhin im Zweifelsfall allein, wenn es bei der Kindererziehung Streit gibt. Die verheiratete Frau darf nur einem Beruf nachgehen, wenn dies »mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar« ist. Erst nach einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht im Juli 1959 wird Männern der »Stichentscheid« entzogen. Noch bis weit in die 1970er Jahre hinein ist es beispielsweise im öffentlichen Dienst keine Seltenheit, dass Frauen nach der Heirat gekündigt wird. Die Debatte um die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der jungen Bundesrepublik ist mit dem neuen Gesetz nicht beendet. Sie hat gerade erst begonnen.

Wiederbewaffnung, Kalter Krieg, Antikommunismus und Parteienverbote

Viele Frauen im Parlament – wie die CDU-Abgeordnete Else Brökelschen – warnen ihre Kolleginnen davor, sich auf sogenannte Frauenthemen wie Gleichberechtigung oder Soziales reduzieren zu lassen. Man müsse sich vielmehr in alle Bereiche der parlamentarischen Arbeit hineinbegeben, so die promovierte Historikerin. Dies gilt auch für das große Thema der ersten Wahlperiode: die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik. Das Thema ist in der Bevölkerung hoch umstritten, und auch die Abgeordneten im ersten Deutschen Bundestag führen hierzu im Plenum lange kontroverse und emotionale Debatten. Einige weibliche Abgeordnete beteiligen sich daran. Dabei zeigen sich große politische Unterschiede, denn Frauen wie Männer blicken – je nach politischem Lager – aus sehr unterschiedlichen Perspektiven auf die weltpolitische Lage: Die Duisburger CDU-Abgeordnete Aenne Brauksiepe beklagt in ihrer Rede im Plenum am 8. Februar 1952, dass man es versäumt habe, »früh genug und klar genug der Infiltration der Angstpropaganda von der anderen Seite ein kontinuierliches und gelassenes Aufklären entgegenzusetzen«. Der Fraktionsvorsitzenden der Föderalistischen Union (vormals Zentrum) Helene Wessel wirft sie vor, dem Volk mit ihrem Eintreten gegen die Wiederbewaffnung »einen schlechten Dienst erwiesen« zu haben: »Fast bin ich versucht zu sagen, verehrte Frau Kollegin: wenn Sie Ihren Standpunkt und Ihre Zukunftsillusionen hier am Pulte klarmachen wollen, dann müßten Sie schon beinahe mit Flügeln hier herüberfliegen; denn ihre Füße erreichen schon gar nicht mehr den Boden der konkreten Wirklichkeit.«

Helene Wessel hält dagegen, dass ein wiederbewaffnetes Deutschland dem Frieden in der Welt nicht dienlich und zudem ein Hindernis für die ersehnte Wiedervereinigung Deutschlands sei: »Werden nicht vielmehr die Russen – und diese Frage müssen wir uns doch auch einmal stellen – aus Angst vor einem aufgerüsteten Westdeutschland die Ostzone als Faustpfand behalten und ihrerseits nun in weit verstärktem Maße als bisher aufrüsten?«

Es ist der Beginn einer Auseinandersetzung, die sich durch die gesamte Anfangsgeschichte der Bundesrepublik ziehen wird und eng verflochten ist mit den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges, dessen Schrecken in die Gründungsjahre eingeschrieben sind. Das Bedrohungsgefühl in der Bevölkerung beruht jedoch nicht nur auf möglichen Angriffen eines äußeren Feindes, sondern immer auch auf Aktivitäten möglicher Feinde der Demokratie selbst. So prägen der Systemkonflikt mit der Sowjetunion und die zunehmende Propagandatätigkeit der sozialistischen Machthaber in der DDR die deutsche Politik der frühen 1950er Jahre. Die Präsenz der KPD im Bundestag wird zur Nagelprobe. In den Debatten über die Wiederbewaffnung, die von den kommunistischen Abgeordneten stets »Remilitarisierung« genannt wird, kommen die unversöhnlichen Standpunkte zum Vorschein. Die KPD-Abgeordnete Grete Thiele bezeichnet in ihren Reden die Adenauer-Regierung als »Kriegstreiber« und »Kriegsvorbereiter«, während sie vonseiten der bürgerlichen Abgeordneten als »kremlhörig« tituliert wird. Zunehmend wird deutlich, dass die KPD-Fraktion von Ost-Berlin aus gesteuert wird und das im Entstehen begriffene parlamentarische System der Bundesrepublik unterwandern soll. Nach und nach werden die politischen Möglichkeiten der Partei beschnitten, die meisten Abgeordneten siedeln in die DDR über, wie die Stuttgarter KPD-Abgeordnete Gertrud Strohbach mit ihren beiden Kindern. Im August 1956 wird die KPD schließlich in der Bundesrepublik Deutschland verboten.

Es ist bereits das zweite Parteienverbot in der Geschichte der jungen Bundesrepublik. Im Oktober 1952 ist die von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern gegründete Sozialistische Reichspartei (SRP) vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuft und verboten worden. Zu ihren Gründungsmitgliedern gehörte die spätere Bundestagsabgeordnete Elfriede Jaeger, die im Februar 1952 für Fritz Rößler nachrückt. Rößler hat sich unter falschem Namen in den Bundestag wählen lassen, um seine NS-Vergangenheit zu verschleiern, und wird aufgedeckt. Da es im ersten Deutschen Bundestag noch keine Fünfprozentklausel gibt, kann die SRP bei den Wahlen 1949 mit 1,8 Prozent der Stimmen und fünf Mandaten einziehen. Es sind offen antisemitisch und nationalsozialistisch eingestellte Abgeordnete, die mit ihren oft aggressiven Wortbeiträgen im Plenum provozieren. Auch hiergegen wehrt sich die junge Demokratie mit juristischen und politischen Mitteln.

Trotz aller Widrigkeiten, Kämpfe und Anlaufschwierigkeiten erweist sich der erste Deutsche Bundestag als überaus fleißiges und effektives Arbeitsparlament: Insgesamt 545 Gesetze verabschieden die Abgeordneten, so viel wie kein zweites Mal innerhalb einer Wahlperiode. Es sind Gesetze, die Grundlagen für ein erfolgreiches und sich auch in Krisen als resilient erweisendes Staatswesen schaffen. Die Gesetze gestalten die innere Ordnung und den weiteren politischen Weg der jungen Republik entscheidend mit, so das Wohnungsbaugesetz oder das Lastenausgleichsgesetz zugunsten von Vertriebenen und Flüchtlingen. Für die Frauen sind die Neuordnung des Mutterschutzes, das Bundesversorgungsrecht sowie neue Regelungen im Rentenrecht besonders wichtig. Der erste Bundestag ratifiziert zudem wichtige grundlegende internationale Verträge wie den über die Montanunion, die mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl den ersten wichtigen Schritt hin zu einer Europäischen Gemeinschaft ebnet.

Herkunft und Prägung. Frauen im politischen Alltag

Die Frauen des ersten Deutschen Bundestages kommen nicht aus dem politischen Nichts. Zwei Drittel von ihnen verfügen über politische Erfahrungen aus der Weimarer Zeit, einige waren schon in der Kaiserzeit politisch aktiv. Die Mehrheit ist zwischen 45 und 60 Jahre alt, hat eine Ausbildung oder ein Studium absolviert und lebte während der Zeit des Nationalsozialismus eher zurückgezogen. Die weiblichen Abgeordneten sind zutiefst geprägt von der Not und den Entbehrungen des Krieges. Das politische Engagement wurde ihnen oft bereits in die Wiege gelegt, viele hatten einen politisch aktiven Vater und manchmal eine politisch zumindest interessierte Mutter. Ob aus dem linken oder dem bürgerlichen Lager stammend: Sie wuchsen in bestimmten Milieus auf, in denen Menschen ihnen soziales Engagement und gesellschaftliche Mitwirkung von klein auf vorlebten.

Doch Politikerinnen in den 1950er Jahren können sich nur selten auf weibliche Vorbilder berufen, sie sind überall die ersten und oft die einzigen. Im Studium gehörten sie zu den wenigen weiblichen Studenten. Für die älteren unter ihnen wie Helene Weber oder Thea Arnold war der Beruf der Lehrerin Beginn ihres beruflichen Aufstiegs, und das damals übliche Lehrerinnenzölibat hat zur Folge, dass sie kaum familiäre Verpflichtungen haben und sich auf Beruf, Politik und Ehrenamt konzentrieren können. Lediglich etwas mehr als die Hälfte der weiblichen Abgeordneten im ersten Bundestag ist verheiratet, ein Viertel ledig, jeweils gut zehn Prozent verwitwet oder geschieden.

Ebenfalls ein Viertel der weiblichen Abgeordneten gibt an, von Beruf Hausfrau zu sein, auch wenn sie über einen erlernten Beruf verfügen oder sogar ein Studium absolviert haben. Über die Gründe dafür lässt sich nur spekulieren. Wollen sie damit ihre Weiblichkeit betonen, die ihnen als Frau in der Politik nicht selten abgesprochen wird? Politik gilt vielen als männliche Sphäre, und Frauen in der Politik werden als unweiblich, als »zu kurz gekommen« und als schlechte Mütter wahrgenommen. Im parlamentarischen Alltag spüren sie stets, dass sie sich in einer männlich geprägten Welt befinden. Die Ärztin, Journalistin und CDU-Politikerin Gabriele Strecker bemerkt im Wahlkampf 1949 eine gewisse Unsicherheit im Miteinander: »Der Versammlungsstil ist rein männlich, die Männerkameraderie nicht auf Frauen zugeschnitten, die politischen Umgangsformen wenig verfeinert, die Männer selbst schwanken, ob sie die politischen Kolleginnen wie Männer oder als Damen behandeln sollen. Eine gewisse Unsicherheit des Tones bei beiden Geschlechtern legt Zeugnis ab für die immer noch neue Situation und Beziehung, die noch keine Konventionen, welche Zusammenarbeit und -leben erleichtern, entwickeln konnte.«

Parlamentarischer Rat: die vier »Mütter des Grundgesetzes« Helene Wessel (Zentrumspartei), Helene Weber (CDU), Friederike Nadig (SPD) und Elisabeth Selbert (SPD) (von links) im Plenarsaal, 1948/49.

© Bestand Erna Wagner-Hehmke, Stiftung Haus der Geschichte, Bonn

Manchmal schlägt die Unsicherheit in Verachtung um. So bemerkt der CSU-Politiker Michael Horlacher, Mitglied des Parlamentarischen Rates und Präsident des Bayerischen Landtages 1949: »Als Einzelne wirkt die Frau wie eine Blume im Parlament, aber in der Masse wie Unkraut.« Frauen werden mancherorts als unliebsame Konkurrenz betrachtet, wie Gabriele Strecker bei den Delegiertenversammlungen zur Bundestagswahl 1949 beobachtet: »Der überwiegend männlich besetzte Saal weiß, daß der Geist der Zeit mit den Frauen ist und daß man die Konkurrenz der Frauen – leider – wird ertragen müssen, hat man sich doch öffentlich nie anders als lobend und begeistert über die ›Mit‹-Arbeit der Frauen ausgesprochen, wobei insgeheim vielleicht nur an die treue CDU-Wählerin gedacht wurde und weniger an die Konkurrentin um ein Mandat.«

Die zunächst 28, am Ende der Legislaturperiode 38 Frauen im Deutschen Bundestag müssen um ihren Platz kämpfen. Sie tun es, jede auf ihre Weise. Bereits beim Kampf um den Gleichheitsparagrafen im Parlamentarischen Rat ist deutlich geworden, dass die christlich-bürgerlich geprägten Frauen anders auf die Gleichberechtigung blicken als die Sozialdemokratinnen. Diese Spannung setzt sich im ersten Deutschen Bundestag fort. Zu den großen Themen der ersten Wahlperiode nehmen die 38 weiblichen Abgeordneten höchst unterschiedliche politische Positionen ein. Frau zu sein ist weder im ersten Bundestag noch in den folgenden Jahrzehnten im Parlament das vorrangig verbindende Element. Sie treten für konkurrierende Parteien an und sind gemäß Artikel 38 des Grundgesetzes Vertreterinnen »des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen«.

In seltenen Fällen arbeiten Frauen jedoch fraktionsübergreifend zusammen. Als es beispielsweise um die Neuregelung des Mutterschutzes geht, sorgen die CDU-Frauen dafür, dass ihre Fraktion den von den Frauen der oppositionellen SPD eingebrachten Entwurf unterstützt. Zuvor haben wiederum die SPD-Frauen in den Ausschussberatungen grundlegenden Änderungsvorschlägen der CDU zugestimmt.

Konstituierende Sitzung des ersten Deutschen Bundestages, 7. September 1949: Elinor Hubert und Lisa Albrecht (beide SPD).

© Bestand Erna Wagner-Hehmke, Stiftung Haus der Geschichte, Bonn

Einige der Frauen im ersten Deutschen Bundestag sind bald überall im Land bekannt: Helene Wessel als Fraktionsvorsitzende des Zentrums, Louise Schroeder (SPD) als ehemalige Berliner Bürgermeisterin, später Käte Strobel (SPD) als Gesundheitsministerin und Aenne Brauksiepe (CDU) als Gesundheits- und Familienministerin. Helene Weber (CDU) wird zur geachteten und zugleich gefürchteten »Grande Dame des Parlaments«.

Literatur meets Politik. Ein Epilog

Die Biografien der ersten Frauen im Parlament, ihre politische Arbeit und nicht selten auch ihre Namen sind einem größeren Publikum weithin unbekannt. Bislang gibt es keine Veröffentlichung, die sie als Gruppe in den Blick nimmt. Nur vereinzelt existieren Biografien von Parlamentarierinnen. Von vielen fehlen aussagekräftige Quellen und Nachlässe. Die wissenschaftliche Erforschung des Wirkens dieser Frauen steht noch aus.