Der Natürliche Hörgerichtete Ansatz - Gisela Batliner - E-Book

Der Natürliche Hörgerichtete Ansatz E-Book

Gisela Batliner

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Beschreibung

Wie gelingt es, Familien nach der Verunsicherung durch die Diagnose "Hörschädigung" ressourcenorientiert zu begleiten? Der Natürliche Hörgerichtete Ansatz (NHA) ist ein weltweit bewährtes Konzept für die Frühförderung von Kindern mit Hörschädigung. Zentral dafür ist der Spracherwerb im natürlichen Dialog mitten im täglichen Leben. Detailliert und praxisnah stellen die Autorinnen den NHA vor und beschreiben, wie er im Frühförderalltag erfolgreich umgesetzt werden kann. Anhand zahlreicher Beispiele werden häufige Fragen zum NHA beantwortet und mögliche Herausforderungen beschrieben. Außerdem wird dargestellt, wie der NHA durch Morag Clark in Großbritannien entstanden ist und zu einem Umdenken führte - bis hin zu einem familienorientierten Empowerment-Konzept.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 225

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Beiträge zur Frühförderung interdisziplinär – Band 25

Gisela Batliner • Yvonne Seebens

Der Natürliche Hörgerichtete Ansatz

Ein Praxisbuch zur Hörfrühförderung

Mit 4 Abbildungen und 1 Tabelle

Mit Online-Materialien

Ernst Reinhardt Verlag München

Gisela Batliner, München, Hörgeschädigtenpädagogin, Klinische Linguistin (BKL) und Montessori-Heilpädagogin. Nach vielen Jahren in der Hörfrühförderung liegt ihr Fokus nun in der Aus- und Fortbildung, Fall-Supervision und Publikation von Fachliteratur.

Yvonne Seebens, Dr. phil., Friedberg / Hessen, HNO-Audiologie-Assistentin, Audiologische CI-Assistentin (DGA), Hörgeschädigtenpädagogin und MarteMeo®-Therapeutin. Sie ist therapeutische Leiterin des Cochlear Implant Centrum Rhein-Main.

Im Ernst Reinhardt Verlag ebenfalls erschienen:

Batliner, G.: Kinder mit Hörgerät und Cochlea Implantat in der Kita. Ein Ratgeber für den Gruppenalltag (3. Aufl. 2018; ISBN: 978-3-497-02816-0)

Batliner, G.: Hörgeschädigte Kinder spielerisch fördern. Ein Elternbuch zum frühen Hör- und Spracherwerb (5. Aufl. 2022; ISBN: 978-3-497-03154-2)

Bremken, K., Batliner, G.: Praxistipps zu Hörgeräten und Cochlea-Implantaten. Vom Baby bis zum Teenager (1. Aufl. 2021; ISBN: 978-3-497-03023-1)

Hinweis: Soweit in diesem Werk eine Dosierung, Applikation oder Behandlungsweise erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass die Autorinnen große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angabe dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes entspricht. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen oder sonstige Behandlungsempfehlungen kann vom Verlag jedoch keine Gewähr übernommen werden.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnungen nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-497-03317-1 (Print)

ISBN 978-3-497-62016-6 (PDF-E-Book) | barrierefrei nach PDF/UA-Standard)

ISBN 978-3-497-62017-3 (EPUB) | barrierefrei nach WCAG-Standard)

Online-Zusatzmaterial (barrierefrei nach PDF/UA-Standard)

© 2025 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Verlag Ernst Reinhardt GmbH & Co KG behält sich eine Nutzung seiner Inhalte für Text- und Data-Mining i.S.v. § 44b UrhG einschließlich Einspeisung / Nutzung in KI-Systemen ausdrücklich vor.

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Printed in EU

Cover unter Verwendung eines Fotos von MED-EL (Agenturfoto. Mit Models gestellt)

Satz: Katharina Ehle

Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: [email protected]

Inhalt

Einführung

1Wie alles begann: 10 Wörter in der Blechdose

2Grundprinzipien und fachlicher Hintergrund

2.1Natürlich

Was bedeutet natürliche Kommunikation?

Natürliche Kommunikation mit hörgeschädigten Kindern

Natürliche Kommunikation im NHA

2.2Hörgerichtet

Versorgung mit Hörtechnik

Optimierung der Hörbedingungen

Entwicklung von Höraufmerksamkeit und Hörneugier

Rhythmisch-musikalische Aktivitäten

2.3Beziehungsorientiert

Beziehung der Fachkraft zu den Eltern

Beziehung der Eltern zu ihrem Kind

Weitere Beziehungen

2.4Aktualität des NHA und Abgrenzung zu anderen Konzepten

Konzepte mit dem NHA als Grundlage

Konzepte mit Überschneidungen zum NHA

Der NHA in Leitlinien

Vergleich des NHA mit der Auditiv-Verbalen Therapie (AVT)

Der NHA: Therapie oder Förderung?

Benötigt jedes Kind mit Hörbehinderung eine logopädische Therapie?

3Praktische Umsetzung

3.1Alleine oder mit den Eltern?

3.2Erwartungen, Transparenz und Dokumentation

Erwartungen der Frühförderfachkräfte

Erwartungen der Eltern und Transparenz

Dokumentation

3.3Beobachtung der Eltern-Kind-Interaktion und das Feedback

Warum und wie werden Videoaufnahmen gemacht?

Die Atmosphäre

Der Blick auf eine gelingende Kommunikation

Die dialogische Buchbetrachtung

Das Feedback

3.4Stunden planen und Ziele setzen – weniger ist mehr

Rituale und Struktur

Inhalte der ersten Stunden

Raum schaffen für Entwicklungsprozesse bei Kind und Eltern

Ziele setzen – pro und contra

3.5Spiel und Alltag, Raum und Material

Essen, Putzen, Blumen gießen – Alltag in der Förderstunde

Autos, Tiere, Farbwürfel – Spielen in der Förderstunde

Spiel- und Dialogstrategien

3.6Umsetzung des NHA in anderen Settings

NHA im Kindergarten

NHA in der Krippe oder bei der Tagesmutter

NHA in der logopädischen Praxis

NHA in der CI-Rehabilitation

Bedeutung der interdisziplinären Zusammenarbeit

Schlusswort

Literatur

Sachregister

Online-Material:

Das Online-Material zum Buch können Sie auf der Homepage des Ernst Reinhardt Verlags unter https://www.reinhardt-verlag.de herunterladen. Auf der Homepage geben Sie den Buchtitel oder die ISBN in der Suchleiste ein. Hier finden Sie das passwortgeschützte Online-Material unter den Produktanhängen. Das Passwort zum Öffnen der Dateien finden Sie im Buch vor dem Literaturverzeichnis.

Einführung

Eine der größten Herausforderungen in der Hörfrühförderung und damit in unserer täglichen Arbeit ist es, der Vielfalt aller Kinder und ihrer Familien gerecht zu werden. Da nie ein Weg für alle zu jedem Zeitpunkt der richtige sein kann, gelingt dies nur, wenn wir die verschiedenen Arbeitsansätze und Methoden im Detail kennen. Gleichzeitig können wir auch Eltern zu Beginn nur kompetent informieren, wenn wir das entsprechende Wissen haben. Nur so können diese entscheiden, was für sie, ihr soziales Umfeld und ihren Alltag mit dem Kind wirklich passend und hilfreich erscheint.

Dass die Wahl häufig auf eine hörgerichtete Förderung fällt, verwundert nicht. Betrachtet man die Hauptklientel einer Frühförderstelle mit Schwerpunkt Hören und Kommunikation, ist es für die meisten Familien keine Frage, dass sie nach der Diagnose weiter mit ihren Kindern in ihrer vertrauten Lautsprache kommunizieren möchten: Über 90 % aller Kinder mit Hörstörungen wachsen in hörenden Familien auf (Mitchell / Karchmer 2004). Ein Großteil der Kinder ist einseitig, leicht- oder mittelgradig schwerhörig und erwirbt mit der entsprechenden Hörtechnik hörgerichtet Sprache. Kinder mit hochgradiger oder asymmetrischer Schwerhörigkeit werden bimodal mit leistungsstarken Hörgeräten und Cochlea-Implantaten (CI) versorgt, und gehörlos geborene Kinder erhalten im deutschsprachigen Raum in der Regel im ersten Lebensjahr bilateral CI – auch sie alle haben so die Chance, über das Hören Sprache zu erwerben. In der S3-Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF) von 2022 zur Therapie von Sprachentwicklungsstörungen werden ebenfalls hörgerichtete, familienorientierte Ansätze empfohlen, so auch der Natürliche Hörgerichtete Ansatz (NHA). Nach Auskunft der ACIR e. V. (Arbeitsgemeinschaft CI Rehabilitation) orientiert sich der Großteil aller CI-Zentren in Deutschland in der Rehabilitation von Kindern am NHA.

Die Motivation, dieses Buch zu schreiben, war zunächst ganz pragmatisch: Es gibt kein Fachbuch zum NHA auf Deutsch, das die aktuelle Situation der Hörfrühförderung im deutschsprachigen Raum berücksichtigt. Das bisher einzige Buch, die deutsche Übersetzung des Buches von Morag Clark „Interaktion mit hörgeschädigten Kindern – Der Natürliche Hörgerichtete Ansatz in der Praxis“, ist vergriffen. Dazu kommt, dass in dem Buch maßgeblich die Erfahrungen aus ihrer beeindruckenden weltweiten Arbeit aus Ländern beschrieben werden, in denen überwiegend eine frühe Diagnostik sowie die medizinische Versorgung und Anpassung moderner Hörtechnik nur eingeschränkt zur Verfügung standen.

In diesem Buch erfahren Sie daher detailliert und praxisnah, wie der NHA entstanden ist, auf welchen Grundprinzipien er beruht und wie er im Frühförderalltag erfolgreich umsetzbar ist. Grundlage dafür sind einerseits unsere Begegnungen mit Morag Clark, der Mitbegründerin des NHA, und ihre Fortbildungen sowie Anregungen aus den Supervisionsstunden. Hinzu kommt unsere praktische Erfahrung mit dem NHA aus der Arbeit mit den Familien in der Hörfrühförderung vor Ort und im CI-Zentrum. Nicht zuletzt führten unsere eigenen Schulungen zum NHA insbesondere durch die Diskussionen mit den Teilnehmenden immer wieder zu einer Reflexion des Ansatzes. All diese Punkte wurden in die einzelnen Kapitel eingearbeitet. Es würde uns freuen, wenn Sie darin Themen und Fragen aus Ihrer täglichen Frühförderarbeit wiederfinden und das Buch Sie dazu motiviert, dieses altbewährte und gleichzeitig hochaktuelle Konzept zur Unterstützung der Kinder und Familien weiter anzuwenden oder neu auszuprobieren.

Anmerkungen

•Die Namen der Kinder in den Beispielen wurden geändert.

•Zugunsten des Leseflusses wird für Genderformulierungen nur eine Form gewählt. Selbstverständlich sind immer alle Geschlechter gemeint.

•Wenn von Eltern gesprochen wird, sind damit grundsätzlich die Bezugspersonen der Kinder gemeint.

•Das Thema sensible Sprache ist in unserem Fachgebiet gerade stark im Wandel. Nach intensiven Recherchen verwenden wir die Begriffe, wie sie bei Schäfer und Hoffmann definiert werden:

„Die Begriffe Hörschädigung, Hörstörung, Hörbeeinträchtigung und Hörbehinderung werden in der Literatur je nach Fachdisziplin zum Teil synonym verwandt und beziehen sich auf den Entstehungsort („Hörschädigung“), die daraus resultierende Funktionsstörung („Hörstörung“) und die Auswirkungen für das Individuum sowie mögliche Partizipationserschwernisse („Hörbeeinträchtigung“, „Hörbehinderung“). Diese unterschiedlichen Bezeichnungen resultieren z. T. noch aus der ICIDH-Klassifikation und haben bis heute Bestand“ (Schäfer / Hoffmann 2020, 130).

1Wie alles begann: 10 Wörter in der Blechdose

Warum ist der NHA so eng verknüpft mit dem Namen Morag Clark? Dies liegt einerseits daran, dass die gebürtige Schottin zu Beginn der 1980er Jahre in Großbritannien den NHA mitbegründet hat. Andererseits hat sie, nachdem sie früh in Pension ging, von 1986–2013 den NHA weltweit, in über 14 Ländern, gelehrt und Fachleute dabei unterstützt, Programme für Eltern, Kindergärten und Schulen zu etablieren. So konnten auch in Deutschland Eltern und Fachleute insbesondere durch ihre aussagekräftigen Videoaufnahmen praxisnah erleben, wie dieser Arbeitsansatz kulturunabhängig und auch unter schwierigen Lebensumständen funktioniert.

Im Online-Zusatzmaterial finden Sie einen tabellarischen Lebenslauf von Morag Clark.

Im Folgenden werden exemplarisch einige Punkte herausgegriffen, die für die Entwicklung des NHA maßgebend waren.

Morag Clark unterrichtete bereits seit vier Jahren Mathematik, Physik und Chemie an einer allgemeinen Schule, als sie durch einen Aushang am Schwarzen Brett im Lehrerzimmer auf ein Zusatzstudium Teacher for the Deaf an der Manchester University aufmerksam wurde. Sie war offen für Neues, war sportbegeistert, und die Manchester University war bekannt für ihre erfolgreichen Sportmannschaften. Einige Wochen später saßen neben ihr ausschließlich Bewerberinnen für das Auswahlgespräch auf der Wartebank, die bereits Erfahrung mit gehörlosen oder schwerhörigen Kindern hatten. Da sie sich keinerlei Chancen ausrechnete, angenommen zu werden, betonte sie in dem Interview ganz offen, dass sie bisher keinerlei Bezug zu dem Thema habe, jedoch sehr gerne, nicht zuletzt wegen der Sportmannschaften, an dem Zusatzstudium teilnehmen wolle. Zu ihrem großen Erstaunen erhielt sie wenig später einen Brief mit der Zusage. Nach der Begründung gefragt, sagte der Professor später zu ihr: „Wir haben Sie genommen, weil Sie nicht wissen, was Gehörlose nicht können.“ Dieser Satz prägte ihre Arbeit von Anfang an und ermutigte sie zugleich, andere, neue Wege zu gehen.

Nach diesem Zusatzstudium musste sie zwei Pflichtjahre an einer traditionellen Gehörlosenschule absolvieren. Die Direktorin brachte montags immer eine alte Schokoladen-Blechdose mit zehn kleinen Gegenständen bzw. geschriebenen Wörtern darin. Am Freitag wurde geprüft, ob die Schüler das neue Vokabular beherrschten. In Morags Klasse hatten alle Kinder am Ende der Woche einen größeren Wortschatz, jedoch nicht in Form der Wörter aus der Blechdose – dass Spracherwerb nicht über ein isoliertes Sprach- und Sprechtraining funktioniert, war ihr schon damals bewusst. Es ist naheliegend, dass sie sich als Berufsanfängerin damit nicht beliebt machte.

In den 1950er Jahren waren erstmalig genauere Messungen des Hörvermögens möglich, sodass auch in der schulischen Bildung nach dem Grad der Hörschädigung differenziert werden konnte: Schwerhörige Kinder mussten nicht mehr die Gehörlosenschule besuchen. Eine dieser neu gegründeten Schwerhörigenschulen in Großbritannien war die Birkdale School for Hearing Impaired Children in Southport. Diese leitete Morag Clark von 1956 an als Stellvertreterin und von 1976–1986 als Direktorin. Im Laufe der Jahre wurden dort nicht nur schwerhörige, sondern aufgrund der immer besseren Entwicklungsverläufe auch gehörlose Kinder unterrichtet. Neben den genaueren Hörmessungen war ein entscheidender Meilenstein, dass Kinder ab Ende der 1950er Jahre individuelle Hörgeräte bekamen. Dies war auch die Zeit, in der Armin Löwe in Deutschland die erste Pädagogisch-Audiologische Beratungs- und Frühförderstelle gründete.

1980 trafen sich Fachleute aus ganz Großbritannien, die sich für einen natürlichen hörgerichteten Ansatz einsetzten, und gründeten die Natural Aural Group (NAG). Sie waren davon überzeugt, dass auch Kinder mit einer Hörstörung Sprache am besten im natürlichen Dialog im Alltag erwerben und daher die gleichen Bedingungen brauchen wie jedes hörende Kind. Trotz der damals noch viel schlechteren Hörtechnik machten sie die Erfahrung, dass es funktioniert: Anstatt der starren und für alle Beteiligten oft frustrierenden Übungsprogramme wurde die natürliche Kommunikation im Alltag in den Mittelpunkt gestellt. Insbesondere wurde den Eltern die Kompetenz zur Förderung ihrer Kinder zugesprochen, was vorher ausschließlich die akademisch ausgebildeten Fachleute für sich in Anspruch nahmen. Den großen Stellenwert der Eltern-Kind-Interaktion betonten damals zunehmend auch andere Fachleute in anderen Ländern. Wie jedoch die Unterstützung der Eltern konkret aussah, unterscheidet sich bis heute und wird ausführlich in den Kapiteln 2 beschrieben.

Im Laufe der 1980er Jahre veränderte sich dann der Name der Arbeitsgruppe: Unterstützer der Gruppe hatten darauf hingewiesen, dass der Name NAG nicht so geeignet sei, weil das Verb „to nag“ so viel wie „nörgeln, meckern“ bedeutet. Es wurde daher ein neuer Name für die Gruppe gewählt: DELTA – DeafEducation throughListening andTalking. Bis heute ist DELTA eine bedeutende und sehr aktive Vereinigung in Großbritannien. Die Bezeichnung für den Arbeitsansatz lautet seit den frühen 1980er Jahren The Natural Auditory Oral Approach (NAOA).

Unterschiedliche Begriffe, gleicher Inhalt

Im Englischen werden diese Namen synonym verwendet:

The Natural Auditory Oral Approach (NAOA)

und

The Natural Aural Approach (NAA).

Für die deutsche Bezeichnung wurde die Übersetzung der kürzeren Form gewählt:

Der Natürliche Hörgerichtete Ansatz (NHA).

Deaf Education through Listening and Talking (DELTA)

ist die britische Vereinigung zum NHA. In englischen Texten wird der Ansatz auch unter

Natural Auralism

erwähnt.

Zur zeitlichen Einordung lohnt es sich, auch auf andere wichtige Entwicklungen in den 1980er Jahren zu blicken:

•die Qualität der Hörgeräte verbesserte sich,

•FM-Systeme gehörten zunehmend zur Standardversorgung,

•objektive Hörprüfungen über akustisch evozierte Potenziale (Hirnstammaudiometrie, BERA) wurden immer mehr zur Routine und eine wichtige Ergänzung zu den subjektiven Hörtests, und

•1988 erhielt das erste Kind in Deutschland an der Medizinischen Hochschule Hannover ein CI, und 1990 wurde ebenfalls in Hannover das weltweit erste CI-Rehazentrum für Kinder eröffnet (Bertram 2024).

In Zusammenarbeit mit der Manchester University erstellte Morag Clark 1984 eine professionelle VHS-Video-Serie, die auch international Beachtung fand. Daraufhin erhielt sie Einladungen aus aller Welt zu Vorträgen, Schulungen und der Erstellung neuer Förder- und Unterrichtskonzepte. In diesem Videolehrgang wurde die Arbeit in den verschiedenen Altersstufen demonstriert und jede Szene in einem Booklet detailliert beschrieben, inklusive der Audiogramme und Dialog-Transkriptionen.

Dass der NHA international erfolgreich war, zeigte sich auch darin, dass Morag Clark für ihre Arbeit zahlreiche Auszeichnungen erhielt, wie die Verleihung des MBE (Member of the British Empire) durch Queen Elisabeth for international service to the hearing impaired, die Ehrendoktorwürde durch die Anadolu University (Eskişehir, Türkei) und mehrere Auszeichnungen der A. G. Bell Association for the Deaf and Hard of Hearing (USA).

In den Jahren 1986–1990, in denen Morag Clark teilweise in Eskişehir lebte, war sie, neben dem Aufbau eines Elternprogramms, eines Kindergartens und einer Grundschule, maßgeblich an der Etablierung eines vierjährigen Studiengangs zum NHA an der Universität mit dem Abschluss Education of the Children with a Hearing Loss beteiligt. Die pädagogische Fakultät der Anadolu University umfasst aktuell neben der Lehre auch ein eigenes Forschungszentrum zur Förderung von Kindern mit einer Hörschädigung (Research Centre for Education of Hearing Impaired Children).

Das größte Projekt in den letzten Jahren ihrer Berufstätigkeit war eine Modellschule in Pretoria (Südafrika) zur Inklusion von Kindern mit Hörstörungen. EDUPLEX wurde 2002 von Nelson Mandela eröffnet und bietet neben der Schule auch einen audiologischen Service und ein Elternprogramm an. In jeder Klasse haben 20 % der Kinder eine Hörschädigung, sodass kein Lehrer umhinkann, auf die besonderen Bedürfnisse dieser Kinder zu achten. Auch der Garten mit Tieren, Blumen- und Gemüsebeeten wurde bewusst so konzipiert, dass die Sprachkompetenz der Kinder durch konkrete Erlebnisse erweitert werden kann (Clark 2009).

Wie sich der NHA in der heutigen Zeit im deutschsprachigen Raum umsetzen lässt und welche Fragen dabei auftauchen, erfahren Sie in Kapitel 3. Im folgenden Kapitel werden die Grundsätze des NHA im Detail besprochen, und es erfolgt die Einordnung bzw. Abgrenzung zu anderen aktuellen Frühförderprogrammen für Kinder mit Hörstörungen.

Zum Weiterlesen

DELTA:www.deafeducation.org.uk, 02.01.2025

EDUPLEX:www.eduplex.co.za, 02.01.2025

Forschungsabteilung Anadolu University:https://www.anadolu.edu.tr/en/research, 02.01.2025

Nachruf M. Clark vom Britischen Verband der Hörgeschädigtenpädagogen:www.batod.org.uk/information/dr-morag-clark-mbe-1929-2019/, 02.01.2025

2Grundprinzipien und fachlicher Hintergrund

Morag Clark betonte, dass der Begriff Ansatz sehr bewusst gewählt wurde, im Gegensatz zu Methode. Letzteres stand aus ihrer Sicht mehr für ein starres, vorstrukturiertes und übungsorientiertes Konzept sowie ein Co-Therapeuten-Modell in der Elternarbeit. Es ging ihr und ihren Kollegen jedoch in erster Linie um die Haltung, die Fachkräfte den Eltern und dem Kind gegenüber einnehmen. Dazu gehört das Vertrauen in die Kompetenz der Eltern und die Entwicklungspotenziale der Kinder, auch wenn die erste Begegnung zu Hause vielleicht nicht einfach ist, der Fernseher läuft und Drücktasten-Bilderbücher auf dem Sofa liegen. Weiterhin war die Arbeitsgruppe davon überzeugt, dass die Interaktion im Alltag der deutlich effektivere Weg ist, Kinder mit Hörbeeinträchtigung im Spracherwerb und ihrer gesamten Entwicklung zu unterstützen. „Language through Living“ lautete der Titel des ersten Buches von Morag Clark, das 1989 für Aufsehen sorgte und diesen Aspekt treffend beschreibt. Eine deutsche Übersetzung, wie „Spracherwerb im täglichen Leben“, entspricht leider nicht der ursprünglichen Aussage in ihrer klaren, kompakten Form.

Hörstörung – Sprachstörung

Nicht jedes gehörlose oder schwerhörige Kind, das mit Hörtechnik versorgt ist, hat früher oder später auch eine audiogene Sprachentwicklungsstörung.

Bei einem Großteil der Kinder, die ausschließlich eine periphere Hörstörung haben, geht es vielmehr um die Begleitung des Spracherwerbs unter den Bedingungen einer Hörschädigung (

Batliner 2022a

).

Wie der NHA in der immer wiederkehrenden Diskussion über Sprachtherapie versus Sprachförderung einzuordnen ist, wird in Kapitel 2.4 näher erörtert. Sehen wir uns nun die einzelnen Komponenten des NHA genauer an.

2.1Natürlich

„Der Kardinalfehler besteht […] in der Annahme, man könne eine Erstsprache durch systematische Belehrung statt im Dialog erwerben.“ (Butzkamm / Butzkamm 2008, 158)

In diesem Kapitel wird ausgeführt, was unter einer natürlichen Kommunikation verstanden wird und warum sie so enorm wichtig für die Sprachentwicklung ist. Des Weiteren wird darauf eingegangen, wo Stolpersteine in der Kommunikation mit den Kindern entstehen können und wie der NHA hier unterstützend zum Einsatz kommt.

Was bedeutet natürliche Kommunikation?

Wenn wir von natürlicher Kommunikation sprechen, meinen wir damit vor allem die intuitiven – da angeborenen – dialogischen (also sich abwechselnden) Verhaltensweisen. Diese finden sich sowohl bei den Kindern selbst als auch bei den Bezugspersonen. Dabei spielt bereits die gelingende präverbale Kommunikation eine wichtige Rolle: Schließlich werden hier die notwendigen Grundsteine für einen erfolgreichen Spracherwerb gelegt. Mechthild und Hanuš Papoušek (1994) haben mittels Videointeraktionsanalysen insbesondere die frühe Eltern-Kind-Kommunikation sehr genau untersucht und folgende intuitiven elterlichen Merkmale der vorsprachlichen Kommunikation herausgearbeitet:

•Gestaltung des Interaktionskontextes,

•gemeinsames Ausrichten der Aufmerksamkeit auf ein Objekt,

•interaktive Spiele,

•spezielle Strukturen der elterlichen Sprache,

•spezielle Struktur der elterlichen Prosodie (wie z. B. die Sprachmelodie), und

•Responsivität (Antwortverhalten) gegenüber den kindlichen Initiativen.

Bezogen auf die Struktur der elterlichen Sprache werden im Folgenden beispielhaft förderliche Elemente für die kindliche Sprachentwicklung aufgeführt:

•Eine freundliche Mimik und Sprechweise sorgen für eine angenehme Atmosphäre.

•Das Kind wird in seiner Aktion beobachtet und es wird aufmerksam auf eine kindliche Initiative gewartet bzw. Raum dafür geschaffen, z. B. durch Handlungs- und Sprechpausen.

•Kindliche verbale sowie nonverbale Initiativen werden sensitiv wahrgenommen. Dabei wird dem Aufmerksamkeitsfokus des Kindes gefolgt; der Blick wechselt dabei zwischen Kind und Fokus des Kindes.

•Die kindlichen Initiativen werden verbal und / oder nonverbal bestätigt.

•Eigene und kindliche Initiativen werden benannt und / oder imitiert (Doppelrolle, Handlungsbegleitendes Sprechen, in Resonanz gehen). Dies gelingt in der Erstsprache intuitiv und ist somit auch am schnellsten verfügbar. Eine unmittelbare Reaktion ist elementar, damit Säuglinge und Kleinkinder die eigene Initiative und elterliche Reaktion in Zusammenhang bringen können.

BEISPIEL

Der 11 Monate alte Tom sitzt weinend auf dem Boden und zeigt auf seine Trinkflasche, die aus dem Rucksack des Vaters schaut. Dieser sagt mit einer traurigen Miene: „Oh, du bist ganz schön durstig und möchtest deine Flasche? Moment, hier kommt sie.“ Toms Vater lässt die Flasche durch die Luft sausen und vibriert dabei mit den Lippen. Während Tom trinkt, meint er lachend: „Ui, so durstig warst du?“

Toms Vater hat die (non-)verbalen Signale wahrgenommen und interpretiert („du bist ganz schön durstig“). Mit dem traurigen Gesichtsausdruck hat er Toms Gefühle widergespiegelt, um ihm zurückzumelden, dass er Toms Problem verstanden hat. So fühlt sich dieser gesehen und verstanden – Toms Vater „geht in Resonanz“. Verbal übernimmt der Vater an dieser Stelle zunächst Toms Rolle, der noch nicht in der Lage ist, sich lautsprachlich mitzuteilen. Anschließend spricht er wieder für sich selbst („Moment, hier kommt sie.“). Er wechselt somit die Rollen, er „übernimmt eine Doppelrolle“.

•Die Kinder werden durch Turn-öffnende Angebote (z. B. Pausen, offene Fragen, fragender Blick) zum aktiven Dialog eingeladen. Als Turn-Taking bezeichnet man den Sprecherwechsel bzw. die Übernahme der Rede im gemeinsamen Gespräch.

•Das verbale Ankündigen von Ereignissen unterstützt die Höraufmerksamkeit und gibt Sicherheit.

•Das sprachliche Angebot (Lexikon, Syntax) ist passend zum Entwicklungsalter auf der nächsten Stufe der Entwicklung.

•Besonders zu Beginn der Hörentwicklung unterstützt ein kontrastreiches Sprechangebot mit Variationen in:

–Intonation,

–Sprechgeschwindigkeit und

–Lautstärke.

•Ein kongruentes Verhalten in Bezug auf Sprache, Gesichtsausdruck und Körperhaltung geben Sicherheit.

•Kinder werden in ihrem Wunsch nach Kommunikation positiv unterstützt, z. B. durch eine bestätigende sprachliche Reaktion. Grundsätzlich sollten kindliche präverbale Äußerungen im Sinne einer gelingenden Kommunikation als positive und sinnvolle Beiträge interpretiert werden.

Aber nicht nur die Bezugspersonen, sondern auch die Kinder selbst bringen die für eine gelingende Interaktion notwendigen Voraussetzungen mit. Heute wissen wir, dass Kinder bereits zum Zeitpunkt ihrer Geburt über sehr erstaunliche Kompetenzen verfügen (siehe Literaturtipp am Ende des Kapitels). Dazu gehört zum Beispiel die Fähigkeit zur Imitation. Dank des genetisch verankerten Systems der Spiegelneurone bringen bereits Säuglinge dieses Resonanzsystem als entscheidende Voraussetzung für die Sprachentwicklung mit (Bauer 2006). Der Spracherwerb ist in erster Linie ein aktiver Prozess, beruht aber auch auf kindlichen Imitationsversuchen, die von den Bezugspersonen validiert und bei Bedarf positiv korrigiert werden.

Es handelt sich beim Spracherwerb also um einen hoch komplexen Vorgang, der von vielen Einflussfaktoren abhängig und dadurch auch anfällig gegenüber Störungen ist. Zudem kann die Sprachentwicklung nicht losgelöst betrachtet werden von anderen Entwicklungsbereichen wie der Beziehungs- und Bindungsentwicklung.

„Ohne gute zwischenmenschliche Beziehungen fehlt eine der notwendigen Voraussetzungen, um Sprache zu entwickeln.“ (Bauer 2006, 86)

Weitere Einflüsse können zum Beispiel der Bildungsgrad der Eltern oder Mehrsprachigkeit in der Familie sein. Kinder ohne Hörstörung haben hier in der Regel ausreichend Ressourcen, um trotz unterschiedlicher Herausforderungen erfolgreich Sprache zu entwickeln, oder profitieren sogar davon, wie bei einer mehrsprachigen Erziehung.

Im folgenden Abschnitt geht es darum, welche Irritationen durch die Diagnose in der natürlichen Kommunikation mit hörgeschädigten Kindern auftreten können.

Natürliche Kommunikation mit hörgeschädigten Kindern

In der frühen Eltern-Kind-Kommunikation handelt es sich bei vielen Aspekten um intuitive, also angeborene Verhaltensweisen; es ist also davon auszugehen, dass alle Bezugspersonen grundsätzlich in der Lage sind, natürlich mit ihren Kindern zu interagieren. Auch der NHA vertritt die Grundannahme, dass Eltern alle Fähigkeiten besitzen, um sprachförderlich mit ihren hörgeschädigten Kindern zu kommunizieren. Dennoch ist es nicht selten so, dass die Diagnosestellung mit all ihren Konsequenzen Einfluss auf die elterliche Kommunikation hat.

„Die Diagnose einer Hörschädigung beim Kind wird von Umständen begleitet, die maßgeblich den Verlauf der Interaktion zwischen dem Kind und seinen Eltern stören.“ (Jakoniuk-Diallo 2004, 110)

Abb. 1: Einfluss einer Hörbehinderung auf eine gelungene Interaktion

Wie in Abbildung 1 dargestellt, beeinflusst eine Hörbehinderung sowohl das kommunikative Verhalten der Bezugspersonen als auch das der Kinder. Aufgrund der Diagnose „hochgradige Hörschädigung“ fangen Eltern verständlicherweise an, sich große Sorgen um die Entwicklung ihres Kindes zu machen. Das bisherige eigene Verhalten wird auf einmal reflektiert und grundsätzlich hinterfragt. Dadurch wird der Zugang zu den intuitiven Verhaltensweisen unter Umständen verhindert. Folgende Fragen werden uns dazu in der frühen Phase der Begleitung immer wieder von Eltern gestellt:

•Hört mein Kind wirklich mit seinen Hörhilfen?

•Kann ich es mit meiner Stimme erreichen?

•Kann mein Kind auch hören, wenn ich in normaler Lautstärke spreche oder wenn ich flüstere?

•Hört mein Kind Musik, darf ich mit ihm singen?

Jakoniuk-Diallo spricht in diesem Zusammenhang vom „Gefühl der kommunikativen Behinderung“ (Jakoniuk-Diallo 2004, 111). Dabei sind es genau die oben beschriebenen intuitiven elterlichen Verhaltensweisen, die sich förderlich auf die Sprachentwicklung der hörgeschädigten Kinder auswirken.

Morag Clark hat das kommunikative Verhalten von Eltern, aber auch das von Fachkräften mittels Videoanalysen untersucht, die sich alle für den NHA entschieden hatten. Sie ging der Frage nach, ob Kinder mit einer Hörbehinderung dieselben Möglichkeiten in Form von sprachlichem Input erhalten wie gut hörende Kinder (Clark 2007). Hierzu analysierte Clark 300 Interaktionen und kam zu dem Schluss, dass lediglich 63 davon (entspricht 21 %) als natürlich einzustufen waren. Aufgrund von Reaktionen der Kinder, die nicht ihrem Lebensalter entsprachen, zeigten die Bezugspersonen häufig ein Verhalten, das deutlich weniger dem Interessenfokus des Kindes folgte. Außerdem wurde sprachlich reduzierter und wortschatzorientierter mit den Kindern gesprochen. Interessant war in diesem Zusammenhang, dass sich die Bezugspersonen in der Regel nicht über ihr verändertes Interaktionsverhalten bewusst waren – die Fachkräfte übrigens auch nicht! Alle waren vor der Analyse der Meinung, dass sie mit den Kindern natürlich kommunizierten. Daher spielt die videobasierte Arbeit hier eine so tragende Rolle! Auch als Mittel der Selbstreflexion für Fachkräfte, die ihr sprachliches Angebot hinsichtlich folgender Frage fortlaufend reflektieren sollten: Wird das Interaktionsangebot verändert – entweder unbewusst oder bewusst aus Sorge, das Kind könnte nicht verstehen? Dazu einige Beispiele:

•Den Initiativen des Kindes wird weniger gefolgt. Stattdessen wird versucht, die Interaktion mehr zu lenken. Dies ist zu Beginn häufig bei sehr engagierten Eltern und auch bei Fachleuten zu beobachten.

•Sprache wird vereinfacht und weniger komplex angeboten, sowohl in Bezug auf den Wortschatz als auch auf Syntax und Grammatik. Um die Kommunikation zu sichern, verbleiben Eltern in der ersten Spracherwerbsphase häufig genau auf dem Sprachniveau des Kindes. Ein höheres Sprachniveau anzubieten fällt ihnen noch schwer und sie brauchen dafür Unterstützung.

•Die Leistungen des Kindes werden abgefragt im Sinne von Hörreaktionen auf Geräusche oder Ansprache; bereits bekannter Wortschatz wird abgefragt und Sprache eingefordert („Was ist das?“).

•Es werden redundante Informationen z. B. mittels häufiger Wiederholung, übertriebener Mimik, Gestik und / oder Gebärden gegeben.

•Es wird zu laut gesprochen.

Die Diagnose führt sowohl beim Kind als auch bei den Bezugspersonen zu einer Veränderung der Interaktion: Die Qualität nimmt ab, obwohl es gerade das ist, was Kinder mit einer Hörschädigung benötigen. Die frühe und optimale technische Hörversorgung des Kindes ist daher eine der wichtigen Maßnahmen, um dem Kind Zugang zu einer lautsprachlichen Kommunikationsentwicklung zu eröffnen.

Was bietet aber nun der NHA, um auch Eltern wieder den Zugang zu ihren intuitiven sprachentwicklungsförderlichen Verhaltensweisen zu ermöglichen?

Natürliche Kommunikation im NHA

„Die Anhebung des Niveaus der kommunikativen Kompetenz fördert nicht nur eine positive Gestaltung der Beziehung zwischen dem hörgeschädigten Kind und seinen Eltern, sondern trägt auch zu einer Verbesserung der Hörentwicklung und der psychosozialen Entwicklung des Kindes bei.“ (Jakoniuk-Diallo 2004, 118)