DER NEBEL WIRD DICHTER - Thomas Andresen - E-Book

DER NEBEL WIRD DICHTER E-Book

Thomas Andresen

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Ein riesiger Schatten tauchte im Nebel auf. Peter Brockmann duckte sich hinter den Grabstein. Würde der Schatten das Geldpäckchen aus der steinernen Vase herausholen? Der Kies knirschte, eine Hand, durch den Nebel ins Gespenstische vergrößert, griff nach oben - Peter Brockmann schoss...   "Dieser Autor kann sich mit international bekannten Namen messen." (Abendzeitung, München)   Der Roman DER NEBEL WIRD DICHTER des Schriftstellers und Arztes Thomas Andresen (* 19. September 1934 in Flensburg; † 20. Januar oder 20. Oktober 1989 ebenda) erschien erstmals im Jahr 1970. Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der deutschen Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

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THOMAS ANDRESEN

 

 

Der Nebel wird dichter

 

Roman

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DER NEBEL WIRD DICHTER 

ERSTER TEIL 

ZWEITER TEIL 

DRITTER TEIL 

 

 

Das Buch

 

Ein riesiger Schatten tauchte im Nebel auf. Peter Brockmann duckte sich hinter den Grabstein.

Würde der Schatten das Geldpäckchen aus der steinernen Vase herausholen?

Der Kies knirschte, eine Hand, durch den Nebel ins Gespenstische vergrößert, griff nach oben - Peter Brockmann schoss...

 

»Dieser Autor kann sich mit international bekannten Namen messen.«

(Abendzeitung, München)

 

Der Roman Der Nebel wird dichter des Schriftstellers und Arztes Thomas Andresen (* 19. September 1934 in Flensburg; † 20. Januar oder 20. Oktober 1989 ebenda) erschien erstmals im Jahr 1970.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der deutschen Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

  DER NEBEL WIRD DICHTER

 

 

 

 

 

 

 

  ERSTER TEIL

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Jemand hat bei einem Unfall den Tod eines Radfahrers verschuldet und ist der Polizei entkommen.

Aber jemand weiß davon und wird zum Erpresser.

Jemand will sich durch einen Mord retten.

Und ein Mord ist das Ende. So einfach ist das.

Irrtum! Die Fäden der Geschichte haben tückische Knoten. Alle fünf Menschen, die in diese Fäden verwickelt sind, irren sich.

Es sind vier Männer und ein Mädchen.

Das Mädchen heißt Gisela Remming. Und Remming ist einer der besten Namen in dieser Stadt. Eine Remming gehörte mit zwanzig Jahren schon weggeheiratet, ob sie nun hässlich ist oder dumm oder beides und dazu noch auf schönen Männern besteht. Es passt nicht, dass Gisela mit sechsundzwanzig Jahren noch frei herumläuft. Es passt nicht, dass sie mehr Verstand hat als Vernunft. Ihr Verstand ist eine Herausforderung. Und überhaupt ist sie für jeden Mann, dem die Frauen das Wichtigste im Leben sind, eine Herausforderung. Die Herausforderung aus Fleisch und Blut. Das Rot ihrer Haare scheint scharfe Würze zu versprechen. Aber ihre dunkelgrauen Augen sind kein Spiegel für einfältige Casanova-Blicke. Sie ist keine Frau für Frauenhelden. Dann hat sie also keine Fehler? Nun ja, wenn man nicht gerade abwartet... Eine Hauptperson ist sie auf jeden Fall. Sie hat etwas dafür getan. Und sie tut es noch.

Peter Brockmann hat seine Ehe ein paarmal mit ihr gebrochen. Und er zählt weiter auf sie. Er ist der erste im Glied, wenn die vier Männer als Kameraden strammstehen, denn er ist mit ein Meter sechsundachtzig der Größte. Er ist so stark wie seine Planierraupen. Und so ebnet er sich auch seinen Weg in die goldene Zukunft. Er ebnet den Weg auch im Nebel. Aber am Tag nach seinem dreiundvierzigsten Geburtstag verirrt er sich im Nebel.

Knut Remming, Giselas Bruder, ist rund zehn Zentimeter kleiner als Peter Brockmann und rund zehn Millionen Mark reicher. Er ist erst siebenunddreißig Jahre alt, aber er hat schon einen Konsul-Titel und einen Wahlspruch. Er ist der Chef der Clique. Ein Chef hat keine Schuld, weil er ja nichts selbst tut. Und er trägt immer die Schuld. Weil er ja nichts tut.

Moment! Knut Remming tut ja etwas!

Eben.

Gerd Fischer erinnert an den Schlager »Man müsste Klavier spielen können...« Aber er ist auch bei den Männern beliebt. Er ist ebenso unverheiratet. Und darum so gerne gesehen. Und darum bleibt er auch unverheiratet. Denn sonst würde er nicht mehr dazuzählen. Trotzdem verzählt er sich.

Jürgen Lorck, Jurastudent mit reicher Witwe als Mutter, ist mit sechsundzwanzig Jahren der jüngste der vier Männer. Aber nicht der unwichtigste. Er schien auf einem so guten Weg zu sein. Aber dann kam die Prüfung. Eine Prüfung ist nie der Anfang einer Geschichte. Und hier ist sie auch nicht das Ende.

Jürgen Lorcks Prüfung wird auch eine Prüfung für die anderen: für Gisela Remming, Peter Brockmann, Knut Remming und Gerd Fischer.

 

Gerd Fischer war nicht nur am Flügel eine Künstlernatur. Er war wirklich feinnervig. Er hat das Schicksal gespürt. Es war nicht Pech, wie es schien. Es war nicht bloß gespenstisch. Es hatte einen Sinn. Ein Bluthund folgte der Spur der Schuld. Es war eine tödliche Fährte.

Pech ist eine oberflächliche Erklärung.

Na klar, es war einfach Pech, dass ich den Radfahrer totfuhr, konnte er sich sagen, und was war die Fahrerflucht anders als Pech? Ich kann mich an den Unfall und an die Flucht ja gar nicht erinnern. Schuld ist höchstens der Alkohol!

Er war so betrunken gewesen, dass er sich nicht einmal erinnern konnte, ins Auto gestiegen zu sein. Er konnte sich noch erinnern, wie Jürgen Lorck aus der Rolle fiel. Doch da begann das Gedächtnis schon die Kraft zu verlieren. Und viele Stunden später weckte ihn die Kälte des Morgens.

Die Kälte des Morgens war eine klare Erinnerung. Aber die Einzelheiten der Szene waren verschwommen. Er löste seinen schlafenden Freund - Peter Brockmann - aus den Sicherheitsgurten und zerrte ihn vom Beifahrersitz. Er schleppte ihn zur Tür. Und dann stand er wieder vor dem Wagen, vor Peter Brockmanns Mercedes, und sah den zerbrochenen Scheinwerfer, das Blut, den Stofffetzen. Er erstarrte in Schreck und im Grauen. Und dann zerbrach die Erstarrung, und er lief in Panik vom Auto fort.

Blut am Mercedes von Peter Brockmann! Und ein Stofffetzen. Es musste also ein Mensch gewesen sein, der von Peter Brockmanns Mercedes überfahren worden war. Und er, Gerd Fischer, musste den Wagen gefahren haben.

Scheußliches Pech! Aber was hätte ich tun sollen, als ich es entdeckte?, sagte er sich immer wieder.

Erst am übernächsten Morgen las er es in der Zeitung. Zu schnell gefahren, eine unübersichtliche Kurve geschnitten, und ein entgegenkommender Radfahrer hatte nicht mehr ausweichen können. Bremsspuren auf der Straße. Nach der Spurweite könnte es ein Mercedes gewesen sein, stand in der Zeitung.

Ja, diese Straße fuhr man, wenn man von der Villa der Lorcks kam. Das war es also gewesen. Jetzt wusste Gerd Fischer, was er getan hatte.

Und gerade an dem Unglücksabend hatte er etwas wirklich Gutes tun wollen. Die Idee war von Peter Brockmann gekommen, aber er hatte sofort mitgemacht.

»Hast du gehört, was Jürgen passiert ist?«, hatte Peter Brockmann gesagt, »komm, wir dürfen den Jungen jetzt nicht allein lassen. Wir helfen ihm schon darüber hinweg!«

In Brockmanns Mercedes waren sie hinausgefahren. Sie wollten Jürgen Lorck nicht nur mit einer Flasche Schnaps helfen. Kameradschaft! Nächstenliebe! Jawohl, Nächstenliebe, Herr Pastor, auch wenn Sie mich noch nie in Ihrer Kirche gesehen haben!, dachte Gerd Fischer erbittert.

Und sie waren richtig nett gewesen. Aber es war schiefgegangen. Da kommt man und will helfen, und dann wird man... Na gut, vergeben und vergessen, Jürgen ist nicht immer ernst zu nehmen. Aber ist solch ein Fehlschlag nicht Grund genug, sich zu betrinken? Auch Peter Brockmann ist es schließlich nicht anders ergangen. Er muss noch betrunkener gewesen sein als ich, sonst hätte er mich nicht sein Auto fahren lassen.

Zu Hause hatte Gerd Fischer sich unter seiner Bettdecke verkrochen. Blut am Mercedes! Er war trotzdem eingeschlafen. Aber Angst hatte ihn früh geweckt. Er hatte sieh wieder unter die Bettdecke verkrochen, aber er konnte nicht mehr zurück in den Schlaf fliehen.

Er war schon über eine Stunde wach. Die Wirklichkeit raste auf ihn zu, und er kam nicht vom Fleck. Als es an der Tür klingelte, war es neun Uhr. Da musste er unter der Bettdecke hervor.

Es war Peter Brockmann.

Jetzt war es soweit. Was wollte Peter Brockmann? Wie wollte er es?

»Ich wollte nur mal sehen, wie es dir geht, Gerd.«

Unsicherheit.

»Na, Kopfschmerzen. Ich weiß gar nicht, wie ich nach Hause gekommen bin.«

»Ich weiß es auch kaum. Du - äh... Ich wollte eigentlich nur... äh... Hauptsache, dass wir gut nach Hause gekommen sind...«

Da hatte Gerd Fischer es schon begriffen. Ja, er hatte nicht nur für die schönen Dinge des Lebens feine Nerven! Diese tastende Verschlossenheit Peter Brockmanns...

Peter Brockmann, den er schlafend vom Beifahrersitz gezerrt hatte, war bei dem Unfall nicht wach geworden. Er wusste nicht mehr, dass Gerd Fischer den Wagen gefahren hatte. Er hatte inzwischen den Schaden an seinem Auto entdeckt. Er konnte sich an nichts erinnern. Er musste ja glauben, er hätte seinen eigenen Wagen selbst gefahren. Er hielt sich für schuldig. Und jetzt wollte er aus Gerd Fischer herauslocken, ob er etwas von dem Unfall wusste.

Gerd Fischer wandte sich ab und sagte: »Mein Gott, muss ich gesoffen haben! Wer hat mich eigentlich nach Hause gebracht? Du?«

Zugegeben, das war nicht fair. Einen Kameraden wie Peter Brockmann alleine mit der Schuld sitzenzulassen!

Aber wenn er es ihm gesagt hätte? Das hätte doch nur ihre Freundschaft zerstört! Die Freundschaft blieb. Peter Brockmann und Gerd Fischer, schon vor siebenundzwanzig Jahren in Fähnlein sieben Schulter an Schulter, sie waren Kameraden fürs Leben.

Peter Brockmann würde es schon schaffen!

Er schaffte es wirklich. Clever. Ja, einen Kerl wie Peter Brockmann zum Freund zu haben, das gibt einem selbst Kraft.

Peter Brockmann vertuschte die Spuren. Die Ermittlungen der Polizei nahmen nicht mehr als die Gestalt einer Akte an.

Die Welt war wieder wie vorher. Wie es sich gehört.

So schien es.

Es war ein trügerisches Glück. Und gerade im Glücksrausch ahnte Gerd Fischer den Trug. Wenn er die Triumphe seiner Art feierte - von alten und neuen Freunden ermuntert und schließlich angebettelt, dann von der Dame des Hauses an den Flügel geleitet zur Ungarischen Rhapsodie Nr. 2 -, konnte es geschehen, dass er sich fallen spürte. Nur für eine winzige Zeit, wenn in der Erwartung seines Spiels die vorletzte störende Stimme schon still geworden war und er nur noch auf das Verstummen des letzten Schwätzers zu warten hatte. Dann konnten seine Hände in die Tasten greifen, und das Fallen war vorbei. Aber der tonlose Schrei des Fallens hallte nach. Der höhnische Klang der Wahrheit. Dies hier war falsch. Falsch wie der ehrliche, peinlich polternde Beifall, der ihn am Ende erwartete, die ahnungslosen Vergleiche mit Rubinstein. Er hatte es nicht geschafft, und er würde es nicht mehr schaffen. Er war es nicht losgeworden, es verfolgte ihn noch. Ja, ganz fern war diese Ahnung da: Hier, unter seinen wunderbaren Freunden, hier war er in seinem Kreis. Hier war er eingekreist.

Er gehörte dazu. Das war sein Erfolg. Beruflich hatte er es nicht weitergebracht als zum Vertreter für Puddingpulver, und dennoch gehörte er zu den wenigen. Konsul Remming hatte ihn mit auserwählt, als es im vorigen Jahr galt, auf seiner Yacht die Transatlantik-Regatta zu segeln. Teilzunehmen an einem Weltereignis! Und Peter Brockmann war immer noch sein bester Freund.

Nur drei schwarze Kugeln, nur drei Neinstimmen hatte es gegeben, als im Holm-Verein über Gerd Fischers Aufnahme abgestimmt wurde. Der Holm-Verein zählte zu den höchsten Gesellschaftskreisen dieser Stadt.

Vor fünfzehn Jahren hatte man für den reichen Nils Lorck, Jürgens Vater, siebenundzwanzig schwarze Kugeln gezählt. Ein überwältigendes Nein des Holm-Vereins. Und Jürgen Lorck, der junge Freund, reich und studiert, hatte Gerd Fischer anflehen müssen, ihm die Tür zum Holm-Verein zu öffnen.

Das hatte Gerd Fischer erreicht. Und er hatte es nicht nur erreicht, weil er so gut Klavier spielen konnte. Oder weil ihn die Frauen so mochten.

Der Unfall, der Tod des Radfahrers, war im Juli gewesen, als die Nächte noch wärmer wurden, aber die Tage schon kürzer.

Die Kälte und die Dunkelheit des Herbstes hatte Gerd Fischer in diesem Jahr kommen gefühlt wie noch nie. Als der erste Nebel in dünnen Schwaden in seinen Weg zog, hatte ihn Furcht gepackt. Sein Weg ging in diesen Nebel hinein. Und der Nebel wurde dichter.

Gerd Fischer war kein Hellseher. Klugheit und Empfindsamkeit ließen ihn begreifen, dass das Unheimliche an der Geschichte Absicht war. Seine feinen Nerven spürten die Fäden, spürten, dass sie enger wurden und zu einem Knoten zusammenliefen.

Der Knoten. Die tragische Nacht zu Novemberbeginn.

Welche Frage war wichtig? Was seine Schuld war? Oder was sein Fehler war?

Ich hätte Peter Brockmann sagen sollen, dass er unschuldig ist. Dass ich den Radfahrer überfahren habe!

Ja.

 

 

 

Zweites Kapitel

 

 

Es war November geworden.

Peter Brockmann hielt es so nicht länger aus. Er hatte sich entschlossen zu handeln. Die Tat war schon immer seine Stärke gewesen.

Seit dem dritten August wurde er erpresst. Ein Brief in Blockbuchstaben war der Anfang:

 

ES GIBT EINEN ZEUGEN FÜR IHREN UNFALL. DER POLIZEI GENÜGT EIN ANONYMER BRIEF. WENN SIE BEI IHNEN SUCHT, WIRD SIE GENUG SPUREN FINDEN. DER ZEUGE IST IN GELDNOT. STECKEN SIE FÜNFHUNDERT MARK IN EINEN PLASTIKBEUTEL. WICKELN SIE UM DAS GELD VORHER EINE ZEITUNG. FAHREN SIE AM 8. AUGUST ZUM FRIEDHOF VON GOTTRUPEL. UM PUNKT MITTERNACHT MÜSSEN SIE DORT SEIN. NEHMEN SIE EINE TASCHENLAMPE UND EINE KLEINE SCHAUFEL MIT. SUCHEN SIE MIT DER TASCHENLAMPE DAS GRAB VON NIS KETELSEN, GEB. AM 21. 3. 1872, GESTORBEN AM II. 6. 1914. HEBEN SIE DEN RECHTEN ECKSTEIN VON DER GRABUMRANDUNG HERAUS UND SCHAUFELN SIE DARUNTER EIN LOCH. LEGEN SIE DORT IHR GELDPAKET HINEIN UND SETZEN SIE DEN STEIN WIEDER DARÜBER. UM HALB EINS MÜSSEN SIE FERTIG SEIN. VERLASSEN SIE DEN FRIEDHOF UND FAHREN SIE WIEDER NACH HAUSE. WERFEN SIE KEINEN BLICK ZURÜCK. DANN HABEN SIE IHRE RUHE.

DER ZEUGE

 

Der Brief zitterte nicht in Peter Brockmanns Hand. Damals noch nicht. Er empfand die Wucht dieses Schlages, aber er wankte nicht. Ruhig bleiben! Klaren Kopf bewahren!

Was konnte die Polizei bei ihm finden?

Gab es noch Spuren an seinem Mercedes? Den Stofffetzen hatte er sofort beseitigt, gleich am Morgen, als er es entdeckte. Er hatte dann den Mercedes schnell in die Garage gefahren. Da hatte er das Blut mit dem Schwamm abgewaschen. Er war mit dem Volkswagen seiner Frau ins Geschäft gefahren. Er hatte beide Schlüssel für das Garagentor an sich genommen.

Er war immer einer der ersten im Geschäft, ganz gleich, wann und wie er in der Nacht ins Bett gekommen war. Immer Vorbild für seine Angestellten, wenn er auch manchmal mit Sonnenbrille und Pfefferminzbonbon Augen und Atem tarnen musste.

Auch an diesem Morgen war er zeitig gewesen, vielleicht zehn Minuten später als sonst, aber wem sollte das aufgefallen sein?

Er hatte eine Beule an der Stirn. Da war die Haut gesprungen und ein wenig Blut verkrustet. Das hatte er schon im Badezimmer gemerkt, ganz früh, ganz allein. Erika hatte sich schlafend gestellt, hatte getan, als hätte sie den Wecker nicht gehört. Sie war ihm böse, weil er erst gegen Morgen nach Hause gekommen war, betrunken.

»Woher habe ich die Beule?«, hatte er in den Spiegel gefragt. Das war der erste Gedanke gewesen, der wach wurde. Bis dahin war er nur wach für die Befehle der Pflicht gewesen: aufstehen, waschen, an die Arbeit! Er hatte den Wecker abgestellt und war ins Badezimmer getaumelt.

Wo hatte er sich die Beule geholt?

Das Erschrecken kam, bevor er die Antwort richtig im Griff hatte. War es ein Bild aus einem Traum von heute Nacht, oder war es Wirklichkeit gewesen?

Ein Radfahrer im Scheinwerferlicht. Kreischende Bremsen.

Ein Radfahrer im Scheinwerferlicht, kreischende Bremsen - da riss es ab.

Die Beule hatte man im Geschäft bemerkt. Er war der Chef. Man fragt einen Chef nicht, wie eine Beule an seine Stirn kommt. Man guckt und verbirgt sein Grinsen und lässt seine schlechte Phantasie spielen.

»Ich bin im Dunkeln gegen die offenstehende Kellertür gerannt«, könnte er der Polizei sagen.

Ob jemand im Geschäft sich erinnern konnte, dass er an diesem Morgen nicht mit seinem Mercedes gekommen war?

»Mein Mercedes sprang an diesem Morgen nicht an«, könnte er der Polizei sagen.

Er hatte das Geschäft um zwanzig Minuten vor neun verlassen. Vielleicht konnte sich auch daran noch jemand erinnern.

Da könnte er die Wahrheit sagen; es war klug, das zu tun, denn vielleicht hatte jemand gesehen, wie er Gerd Fischers Haus betrat.

Auf Gerd Fischer war Verlass. Er war ein guter Kamerad. Er würde nichts verraten. Außerdem wusste er ja gar nichts.

»Wann sind Sie in dieser Nacht nach Hause gekommen? Und wo waren Sie?« würde die Polizei fragen.

»Bei Jürgen Lorck.« Das musste er zugeben. Das würden sie sowieso herausfinden.

»Und wann sind Sie dort weggefahren?«

Vielleicht würde Jürgen ihm ein Alibi verschaffen. Jürgen war ein feiner Kerl. »So um elf bis halb zwölf«, könnte Jürgen sagen. Da konnte er dem Radfahrer nicht begegnet sein. Aber das konnte auch schiefgehen. Knut Renaming, der junge Konsul, war womöglich zu vornehm, um für einen Kameraden zu lügen. Und Gisela Remming, seine Schwester? Gisela. Das prickelte noch immer. Würde sie noch einmal für ihn lügen? Vielleicht. Oder vielleicht gerade nicht. »Mein Bruder und ich sind erst um eins gefahren, und da waren Peter Brockmann und Gerd Fischer noch da.«

Die Polizei würde sagen: »Interessant, dass der Radfahrer kaum dreihundert Meter von der Villa der Lorcks entfernt getötet wurde. Auf der Straße, auf der Sie heimgefahren sein müssen. Wir dürfen uns Ihren Mercedes doch einmal ansehen?«

Auf den ersten Blick war der Mercedes unauffällig. Den zerbrochenen Scheinwerfer hatte Peter Brockmann selbst ausgetauscht. Er war in der folgenden Nacht gegen Morgen aus dem Haus geschlichen. In einem ganz anderen Stadtteil hatte er von einem fremden Mercedes des gleichen Typs den Scheinwerfer abgeschraubt. Den hatte er dann an seinen eigenen Mercedes geschraubt.

Ja, auf den ersten Blick war an seinem Mercedes nichts mehr von dem Unfall zu sehen. Aber wehe, wenn die Spezialisten ganz genau hinguckten!

Und wenn er ein Geständnis ablegte?

»Möglich, dass ich es war. Aber ich kann mich an nichts erinnern!«

»Aber den zerbrochenen Scheinwerfer haben Sie doch am nächsten Morgen bemerkt! Es liegt uns da eine Anzeige vor, dass in der nächsten Nacht von einem im Südergraben parkenden Mercedes der linke Scheinwerfer abgeschraubt wurde. Haben Sie das getan?«

Vernichtend.

Man war ein unbescholtener Mann. Gestern noch. Man hatte nie etwas Unrechtes getan. »Peter Brockmann ist ein feiner Kerl«, würden alle bezeugen. Oder würden sie jetzt sagen: »Wir hielten ihn für einen feinen Kerl.«

Er hatte sich ein Leben aufgebaut, das etwas wert war. Vor elf Jahren hatte er mit einer Planierraupe angefangen. Mit einer einzigen Planierraupe! Wie viele waren es heute? »Über das Zählen bin ich hinaus, meine Herren. Man kennt mein Tiefbauunternehmen, jawohl.«

Das hatte er geleistet. Er hatte eine Frau und drei Kinder.

»Und sie lieben mich!«

Er sah sich von der Anklagebank auf springen und brüllen: »Denken Sie doch an meine Kinder!«

Mildernde Umstände. Mehr durfte er nicht erwarten. Dafür hatte er nun sein Leben lang geschuftet!

Denk daran, dass auch dir das passieren kann, mahnte er sinnend alle, alle anderen.

Er faltete den Erpresserbrief zusammen und steckte ihn in die Brusttasche. Ein Erpresser, der nur fünfhundert Mark von ihm verlangte, war immer noch besser als ein Gericht, das ihm mildernde Umstände zubilligte.

Er war am 8. August bei Konsul Remming eingeladen. Um halb zwölf fuhr er mit der Hand über die Stirn und flüsterte Knut Remming zu: »Ich werde die Kopfschmerzen heute Abend nicht los! Ich gehe mal ein Viertelstündchen an die frische Luft.«

Erika bemerkte nicht einmal, dass er ging. Er sah sie am Flügel lehnen, an dem Gerd Fischer präludierte.

Eine halbe Stunde später schlich er im Regen mit einer Taschenlampe von Grab zu Grab. Die Kirchturmuhr schlug gerade zwölf. Es war fast schon zum Lachen gruselig.

Aber der Gedanke an das Lachen war ihm fern wie die Kindheit. Nur Kinder lachen auf einem Friedhof. Ein Mann von zweiundvierzig Jahren benimmt sich vor einem Grab nicht daneben. Auch, wenn der Tote schon lange tot war. Nis Ketelsen, geb. am 21. 3. 1872, gestorben am 11. 6. 1914. Er war auch nur zweiundvierzig Jahre alt geworden.

Wieso auch? Blödsinn!

Er versteckte das Geld unter den Stein und lief davon. Er lief, weil es regnete. Er warf keinen Blick zurück.

Dann haben Sie Ruhe, hatte der Erpresser im Brief versprochen. Würde er Wort halten? Oder würde er, wie viele Erpresser, nicht ablassen?

Peter Brockmann konnte erschrecken, wenn das Telefon läutete. War das der Erpresser? Wollte er mehr Geld?

Wenn ihm die Sekretärin morgens die Post brachte, durchfuhr er unruhig den Stapel. War wieder ein Brief mit Blockbuchstaben dabei?

 

HERRN PETER BROCKMANN - PERSÖNLICH

 

Die Unruhe hielt noch über das Wochenende an, dann, über Dienstag und Mittwoch, verlor sie sich schon. Nur die paar Sekunden des Bangens am Vormittag, wenn er die Post durchstöberte, blieb. Aber sonst war das Leben auch innerlich wieder normal, und der Spaß machte wirklich wieder Spaß.

Am 1. September war unter der Post wieder ein Brief mit Blockbuchstaben.

Wieder ein Brief vom Zeugen.

Der Erpresser war wieder in Geldnot. Dieses Mal verlangte er sechshundert Mark. Wieder sollte es Mitternacht sein, wieder ein Friedhof, der Friedhof von Unaften.

Vierzehn Tage später verlangte der Erpresser siebenhundert Mark, im nächsten Brief schon achthundert. Immer sollte es Mitternacht sein, immer war der Ort ein Friedhof.

Die Summen konnte Peter Brockmann ertragen. Er konnte auch sonst allerhand ertragen. Es machte ihm nichts aus, nachts zum Friedhof zu fahren, im Finstern zwischen den Gräbern die Kirchturmuhr schlagen zu hören, sich beobachtet zu fühlen. Jedenfalls redete er sich das ein: »Es macht mir nichts aus.« Gegen Kriegsende hatte er an der Front in der Nacht gefährlichere Situationen gemeistert. Er dachte an die Spähtrupps gegen die Amerikaner. Da lauerte der Tod.

Hier, zwischen den Toten, mochte der Erpresser lauern, aber nicht der Tod.

Noch war es erträglich. Peter Brockmann wägte ab. Eines war klar: Die Geschichte musste ein Ende nehmen. Er würde sich nicht bis an sein Lebensende erpressen lassen. Es gab eine Grenze. Er konnte zur Polizei gehen - noch heute! Oder morgen. Oder nach dem nächsten Brief. Falls der Erpresser noch einen Brief schrieb, denn auch der Erpresser musste doch wissen, dass er nicht zu weit gehen durfte!

Peter Brockmann war nicht ein Mann, der schnell aufgab. Noch war der Preis nicht zu hoch. Einige Hunderter, zwei, drei Fahrten in die Nacht, ein paar Gruselminuten auf Friedhöfen - da machte er noch nicht schlapp.

Mit den Tagen, die es traf, hatte er Pech. In seinem ausgefüllten Leben gab es wenig freie Abende. Er wurde eben oft eingeladen. Schon beim ersten Mal hatte er sich ja von Konsul Remming fortstehlen müssen. Und der zweite Termin fiel wieder mit einer Einladung zusammen, diesmal bei einem wichtigen Geschäftsfreund. Er sagte ab und log etwas von einer kurzfristig angesetzten, wichtigen Konferenz in Hamburg.

Es war wie verhext: Auch beim dritten Mal traf es mit einer Einladung zusammen. Er sagte sie wenige Stunden vorher ab. Er röchelte ins Telefon, er hätte Fieber und Halsschmerzen. Er spielte auch vor Erika krank. Er rieb das Thermometer auf 39,4. Wie als Schüler, wenn er vor den Lateinarbeiten kniff. Er erinnerte sich nicht gerne daran, im Leben schon mal gekniffen zu haben, auch, wenn es nun schon fast dreißig Jahre her war. Aber es war eine Parallele: die angeblichen Halsschmerzen, das vorgetäuschte Fieber.

Dreißig Jahre Abstand änderten nichts daran, dass das eine Parallele war (in Geometrie war er besser gewesen als in Latein). Zur Not konnte er das Schwänzen einer Lateinarbeit als Ehrensache ansehen. Die Römer waren ihm nur ein Beispiel für Verfall und Untergang. Ach, überhaupt alles dumme Gedanken! Er grübelte zu viel! Das hatte er früher nicht getan.

Erika glaubte ihm das Fieber und die Halsschmerzen, aber sie war ihm gram. Früher, meinte sie, hätte er sich zusammengerissen. Sie hatte sich auf diesen Abend gefreut.

Zum Glück! Er konnte sie überreden, allein zu gehen. Gerd Fischer, der Junggeselle, nahm sie in seinem Wagen mit. Peter Brockmann konnte unauffällig zum Friedhof von Munkbrarup fahren.

Als er um halb eins zurückkam, war Erika schon zu Hause. Schlagfertig hatte er eine Ausrede. Er sei zu einer Apotheke gefahren, um sich Schmerztabletten zu holen.

Warum war Erika so früh nach Hause gekommen?

»Ich fühlte mich nicht wohl«, sagte sie. Es klang wie eine Lüge. Warum log sie? Er ließ es offen. Er hatte schon zu viel auf der Seele.

Als ihn der Erpresser zum Friedhof von Eggebek bestellte, passte es gut. Erika war mit den Kindern für ein paar Tage bei ihren Eltern. Er war ganz alleine. Er brauchte für niemand eine Ausrede.

Um neun Uhr erhielt er überraschend Besuch. Jürgen Lorck. Verdammt! Er hätte die Tür nicht öffnen sollen! Gewiss, es brannte Licht im Wohnzimmer. Aber vielleicht hätte Jürgen Lorck trotzdem gedacht, er sei nicht zu Hause.

Warum hatte Jürgen Lorck ausgerechnet an diesem Abend so viel Zeit für nichtiges Geschwätz? Warum saß er nicht über seinen Büchern und lernte? Hatte er schon aufgegeben? Hatte er eingesehen, dass er einfach nicht die Nerven hatte, es zu schaffen? Denn bei Jürgen Lorck musste es an den Nerven liegen. Er war klug und fleißig. Er war sogar ein netter Kerl. Aber er war ein Versager. Peter Brockmann an seiner Stelle hätte die Prüfung mühelos bestanden - alles andere natürlich vorausgesetzt.

Um elf Uhr sagte Peter Brockmann endlich: »Tut mir leid, aber ich bin hundemüde. Ich habe morgen einen schweren Tag. Ich muss jetzt ins Bett.«

»Das habe ich ja noch nie von dir gehört!«, sagte Jürgen erstaunt.

Er gab keine Antwort. Jürgen blieb sitzen und schaute ihn fast schon besorgt an. Und Peter Brockmann stand wortlos auf und räumte die Flasche fort. Peinlich. Er hätte doch einfach sagen können: »Ja, ich habe in letzter Zeit sehr viel Arbeit gehabt. Das Geschäft...« Aber ihm fehlte mit einem Mal die Kraft, eine Ausrede zu finden.

Erst an der Tür fand er wieder ein paar Worte: »Komm doch morgen wieder, Jürgen. Ich würde mich freuen!«

Jürgen kam am nächsten Abend nicht. Schade. Er hätte sich an diesem Abend wirklich gefreut. Eine Weile hatte er sogar mit der wahnwitzigen Idee gespielt, Jürgen einzuweihen. Und vielleicht hätte er es getan, wenn Jürgen gekommen wäre. Gerd Fischer war der intimere Freund, zugegeben. Er war ein furchtbar netter Kerl. Aber er taugte nicht viel. Jürgen Lorck war menschlich wertvoller, meinte Peter Brockmann.

Beim nächsten Termin hatte er wieder Pech. »Als ob der Erpresser meinen Terminkalender kennt und mich absichtlich in Schwulitäten bringt!«, fluchte er. Er hatte für diesen Abend eine Einladung zum Oberbürgermeister. Die konnte er nicht absagen.

Wie bei Konsul Remmings Fest täuschte er um halb zwölf Kopfschmerzen vor und bat, ein paar Minuten an die frische Luft gehen zu dürfen.

»Du solltest mal zum Arzt gehen!«, sagte Knut Remming am nächsten Tag.

»Unsinn!«, sagte Peter Brockmann schroff. Ob Knut Remming gemerkt hatte, wie er erschrak? Erika hatte schon längst einmal gefragt: »Was ist eigentlich mit dir los? Geht das Geschäft schlecht?«

»Nein. Unsinn!«, hatte er gesagt. Aber das Geschäft ging wirklich schlechter. Er hatte nicht mehr das Glück wie früher. Wenn es auf den letzten Stich ankam, ging es oft schief. Oder schien das nur so?

Er konnte minutenlang seinen Planierraupen nachsehen. Wie sie planierten! Er sehnte sich nach ihrer Kraft. Er und seine Planierraupen! Ihre gemeinsame Kraft!

Aber es war zwischen ihm und seinen Planierraupen nicht mehr wie am Anfang. Sie waren ihm fremd geworden. Sie planierten etwas Fremdes, nicht mehr seine Sache.

An jedem Morgen wieder hatte er Angst vor der Post. Der Zeitpunkt bekam Gewicht. Es wurde ihm zum Zwang, auf die Uhr zu schauen. Halb zehn vorbei? Da müsste doch die Post längst da sein! Oder bekam er heute gar nichts?

Wenn ihm seine Sekretärin dann die Briefe brachte, erstarrte er in einer Pose: Ein Marin, der so konzentriert arbeitet, dass er nicht einmal aufguckt. Aber unter den gesenkten Augenbrauen verrenkte sich sein Blick schon abschätzend auf den Stapel. War wieder einer von den billigen, blauen Briefumschlägen dabei, ein Brief vom Erpresser?

Einmal kehrte seine Sekretärin beim Fortgehen noch einmal um. Er hatte den Briefstapel schon in die Hand genommen. Er zuckte zusammen und legte im Reflex die Briefe beiseite, versuchte zurückzuflüchten in die Pose des konzentrierten Arbeiters, den die Post gar nicht interessiert, oder allenfalls in einer halben Stunde, wenn Wichtigeres erledigt war.

»Verzeihung!«, sagte seine Sekretärin.

Täuschte er sich? Oder legte sie in den nächsten Tagen wirklich mütterliches Gehabe für ihn an den Tag?

Nach außen war er heiter, ungebrochen, ganz der alte. Vielleicht übertrieb er das sogar ein wenig. Es gab Augenblicke, in denen ihm das Spiel entglitt. Dann hatte er nicht zugehört oder versprach sich oder stierte vor sich hin. Immer öfter musste er sich erniedrigende Freundlichkeiten gefallen lassen. »Ja, Sie haben auch zu viel am Hals, Herr Brockmann. Sie sollten mal anfangen, an Ihre Gesundheit zu denken!« Oder: »Ja, Herr Brockmann, wir sind eben nicht mehr die Jüngsten.« Oder: »Nun ruhen Sie sich mal über das Wochenende aus, und Montag reden wir dann noch einmal über die Sache.«

Seinen großen Hausball, den er im Oktober zu geben pflegte, hatte er hinausgeschoben. Am liebsten hätte er ihn in diesem Herbst ausfallen lassen. Aber das war unmöglich! Es hatte sogar eine Szene mit Erika gegeben. Sie warf ihm vor, er wolle wohl nicht. Ärger, Verstimmung, beleidigtes Schweigen. Endlich hatte er sich für einen Tag entschieden: den zweiten November. Das war sein Geburtstag. Er würde diesmal den Hausball mit seiner Geburtstagsfeier verbinden.

Am 29. Oktober traf wieder ein Brief vom Erpresser ein.

 

TAUSEND MARK... FRIEDHOF VON NEUKIRCHEN...

2. NOVEMBER, MITTERNACHT

 

Zum ersten Mal nahm Peter Brockmann wahr, dass seine Hand zitterte. Der 2. November! Das konnte doch nicht mehr mit rechten Dingen zugehen!

Peter Brockmann war ein Mann, der entscheiden konnte. Und er war ein Mann, der sich nicht zu schnell entschied. Ein Entschluss entglitt ihm nicht. Sein Verstand behielt seinen Willen im Griff, auch, wenn es nach unten gehen musste. Man kann in die Tiefe steigen, klettern, springen. Fallen lässt sich nur ein Schwächling.

Diesmal ließ er sich fallen. Er nahm sich nicht die Zeit abzuwägen. Er griff zum Telefon und sagte seinen Gästen ab, einem nach dem anderen. Der Erpresserbrief lag dabei vor ihm auf dem Schreibtisch.

Er sagte: »Ich muss es leider um eine Woche auf den neunten November verschieben. Es tut mir sehr leid, aber es geht nicht anders.« Er nannte keinen Grund. Eine gute Ausrede hatte er sich nicht zurechtlegen können. Wenn ihn jemand gefragt hätte, wäre ihm schon etwas eingefallen. Eine gequetschte, im Gemurmel abbrechende Geschichte von einer erkrankten Tante oder irgendetwas anderes von dieser Art.

Aber niemand fragte nach dem Grund. Ahnten sie etwa, dass sie ihn damit in Verlegenheit gebracht hätten? Ja, sie mussten spüren, dass im Leben von Peter Brockmann nicht mehr alles stimmte. Ehekrach, dachten sie wahrscheinlich.

Ehekrach! Wie sollte er Erika beibringen, dass er den Ball auf den neunten November verschoben hatte?

Und wenn ihn der Erpresser auch für den 9. November auf einen Friedhof bestellte?