Mittwisser eines Verbrechens: Kriminalroman - Thomas Andresen - E-Book

Mittwisser eines Verbrechens: Kriminalroman E-Book

Thomas Andresen

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  • Herausgeber: Alfredbooks
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2017
Beschreibung

Kriminalroman von Thomas Andresen Der Umfang dieses Buchs entspricht 174 Taschenbuchseiten. Auf der Fahrt in den Urlaub wird Dr. Mortensen zu einem Notfall gerufen. Der Notfall entpuppt sich als eine Schusswunde. Statt jedoch einen Rettungswagen zu rufen, wird der Arzt gezwungen, die notwendige Operation selbst auszuführen. Er wird ungewollt zum Mitwisser eines Verbrechens, und vorerst besteht keine Möglichkeit zu fliehen oder Hilfe zu rufen.

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Seitenzahl: 218

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Mittwisser eins Verbrechens: Kriminalroman

Thomas Andresen

Published by Cassiopeiapress/Alfredbooks, 2017.

Inhaltsverzeichnis

Title Page

Mitwisser eines Verbrechens

Copyright

Die Hauptpersonen des Romans sind:

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Further Reading: 10 Morde, 10 Killer - 10 Krimis auf 1400 Seiten: Ermordet und ermittelt

About the Publisher

Mitwisser eines Verbrechens

Kriminalroman von Thomas Andresen

Der Umfang dieses Buchs entspricht 174 Taschenbuchseiten.

Auf der Fahrt in den Urlaub wird Dr. Mortensen zu einem Notfall gerufen. Der Notfall entpuppt sich als eine Schusswunde. Statt jedoch einen Rettungswagen zu rufen, wird der Arzt gezwungen, die notwendige Operation selbst auszuführen. Er wird ungewollt zum Mitwisser eines Verbrechens, und vorerst besteht keine Möglichkeit zu fliehen oder Hilfe zu rufen.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

[email protected]

Die Hauptpersonen des Romans sind:

Jan Frank Mortensen – Arzt

Ursula Loef – Schauspielerin

Walter Haun – Politiker

Knut Haun, Siegfried Haun, Volker Haun – seine Söhne

Uwe Sandersiebel – Politiker

Christiane Sill – Freundin der Familie Haun

Der Roman spielt in Norddeutschland.

1

»Nein, ich höre nichts.«

In meinen Alpträumen ist das der Anfang.

Es ist Nacht. Ursula fährt den Wagen. Ich habe mich neben ihr auf dem Liegesitz ausgestreckt und die Augen geschlossen. Ursula nimmt den Fuß vom Gashebel.

»Hörst du das Geräusch im Motor?«, fragt sie mich.

»Nein, ich höre nichts.«

Ich setze mich auf und lausche. Es ist Nacht.

Das ist der Anfang.

Es war ein erlogener Anfang. In Wahrheit war um diese Zeit schon vieles geschehen, was zur Geschichte gehörte. Ein Anfang ist eine Fiktion. Der Chronist findet hinter dem Anfang Anfänge, Anfänge der Anfänge, und die Geschichte zerrinnt in Vorgeschichten.

Das fremde Geräusch im Motor, das nur Ursula hörte, kommt mir wie mein Stichwort vor. Ich betrete die Szene. Ich bin schon seit einer Stunde angekündigt, bin schon eine Person der Handlung, aber ich weiß es nicht. Ich bin ein argloser Mann, der mit seiner Verlobten in Urlaub fährt.

»Ich halte lieber«, sagte Ursula. Sie fuhr den Wagen auf den Seitenstreifen. Es war etwas geschehen. Ein kleines Ereignis, das nicht in meinem Programm stand. Noch hatte ich nur den Rand der Szene im Blick: den Wagen im Gras neben der Straße, Ursula, einen gelben Wegweiser mit der Aufschrift »Frörup«, die Nacht. Doch das Zentrum der Szene wartete schon auf mich: Christiane Sill und der unaufhaltsam vorwärts kriechende nasse rote Fleck auf dem weißen Laken.

»Ich finde nichts am Motor«, sagte ich. »Ich weiß nicht, was du hast. Lass mich fahren!«

Ursula tat einen Blick an mir vorbei in die Dunkelheit.

»Ist etwas?«, fragte ich.

Die Worte waren schneller als der Gedanke. Sie kamen mir von den Lippen wie eine Frage ohne Sinn. In mein Bewusstsein war der Argwohn noch nicht eingedrungen.

Als ich anfuhr, sprang eine Gestalt in das Scheinwerferlicht, stellte sich in den Weg, die Arme ausgebreitet, das Gesicht zu einem aufgeregten Schrei verzerrt. »Halt!«

Ich bremste und öffnete die Tür.

Es war ein junger Mann, fast noch ein Kind. Sein dunkles Haar war zerzaust. Mein erster Eindruck: Verwöhnter Junge reicher Eltern. Er trug seinen teuren Pullover nicht schon seit gestern, und er wirkte arrogant, ohne sich anstrengen zu müssen.

»Können Sie mich ...«, er war außer Atem, »zum Arzt fahren?«

»Was ist?«, fragte ich.

»Es ist ein Unglück passiert. Wir brauchen sofort einen Arzt!«

Ich spürte Ursulas Griff um mein Handgelenk.

»Ich bin Arzt«, sagte ich zu dem Jungen. »Wie weit ist es?«

»Ungefähr fünf Kilometer.«

»Steigen Sie ein!«

2

Wir hatten Flensburg erst vor einer Viertelstunde verlassen. Es war mein Wunsch gewesen, in der Nacht zu fahren. Das war nicht nur eine Rechnerei mit Stunden. Ich liebe die Fahrten in die Nacht. Ich kann träumen, wie das Licht meiner Scheinwerfer in den Kurven durch die Büsche rast, wie es die gerade Straße aufgeblendet an sich reißt.

Ich hatte Ursula in ihrer kleinen Wohnung abgeholt. Es war halb zehn gewesen, als ich auf den Klingelknopf drückte, oder eine Minute davor. Pünktlichkeit ist kleinlich, übermenschlich, ein kaum liebenswerter Charakterzug. Aber, right or wrong, für den eigenen Charakter zieht man in den Krieg.

Ursula war unpünktlich, sei’s drum. Aber diesmal hatte ich mich geirrt. Sie war bereits frisiert, gepudert und geschminkt. Der Parfümtropfen verduftete auf ihrer Haut. Und der Lederkoffer, sonst nur mit Zauberei und Männerkraft zu bezwingen, hatte sich der Zauberei allein gebeugt.

Das Telefon!

»Ach, schon wieder das Telefon!«, sagte Ursula.

Schon wieder! Aber das Ausrufungszeichen setzte ich erst später, als ich mich erinnerte, als der Argwohn wach geworden war. In jenen Minuten griff mein Verstand nicht zum Rotstift.

Als Ursula ins Wohnzimmer zum Telefon ging, schloss sie die Tür hinter sich. Offenheit ist nicht das erste Kapitel einer Frau, und ich habe es gern, wenn eine Frau eine Frau ist. Natürlich habe ich gelauscht.

Ursula sprach leise. Aber die dünne Tür konnte ihre geschliffene Stimme nicht verwischen.

»Er ist gerade gekommen«, sagte sie, »wir fahren sofort.«

Sie kam aus dem Wohnzimmer und sagte: »Es war eine Kollegin vom Theater. Sie wollte von mir eine Adresse haben.«

Ich hatte Ursula nicht gefragt, wer es war. Nicht einmal mit einem Blick. Ich schaute ihr ins Gesicht. Sie ist schön, dachte ich. Auch in meiner Erinnerung finde ich nichts, was mir in diesem Augenblick an ihr hätte auffallen können. Nur ihre Schönheit. Mir wurde heiß dabei. Ich machte einen Strich durch die Pünktlichkeit und wurde zärtlich. Aber Ursula wehrte ab, geschickt, ohne mich zu verletzen, als hätte sie gar nicht begriffen, was ich wollte.

Ursula war Schauspielerin. Mehr eine kluge als eine gute Schauspielerin. Ein dummer Text hemmte sie. Sie machte sich steif, wenn man steife Worte von ihr verlangte. Intelligentes, kühles Kammerspiel lag ihr. Aber es gab zu viele Rollen, die ihr nicht lagen. Ihr fehlte die Unbekümmertheit und die Begeisterung, um jemals in einer schlechten Rolle gut zu sein.

»Darf ich die erste Stunde fahren?«, fragte Ursula.

Wir hatten abgemacht, dass wir uns alle Stunde im Fahren ablösen wollten. Ursula fuhr mit Leidenschaft Auto.

»Gut«, sagte ich, »und fahr bitte vorsichtig!«

Ursula hatte ein wenig gebebt, als sie sich hinter das Steuer setzte. Gebebt wie ein edel-nervöses Rennpferd.

Das war vor einer Viertelstunde gewesen.

3

Nach links ging es von der Hauptstraße und ihrem Asphalt ab auf steinigen Sand. Gleich zu Beginn eine S-Kurve, so schlängelte es sich ohne Wegweiser ins Ungewisse. Auf diese Straße hatte mich der Junge gewiesen. Der Wagen hüpfte eilig über die Schlaglöcher. Am Anfang standen rechts und links hinter Büschen noch ein paar einzelne Häuser. Doch dann zweigte der Weg ab, schien sich in eine Einöde zu verästeln. Das Buschwerk zu beiden Seiten rückte immer näher. Lärchen, Tannen und Kiefern, dazwischen niedrig gespannter Stacheldraht. Dann verdichtete sich die Silhouette zu schwarzem Wald.

Es kam mir vor wie eine lange Fahrt. Der Weg wurde immer schmaler. Die Büsche begannen den Wagen in die Enge zu nehmen, Zweige schlugen an die Karosserie.

Und plötzlich hatten die Scheinwerfer ein Haus vor sich. Ich nahm den Fuß vom Gashebel. Aber das Scheinwerferlicht fiel durch zerbrochene Scheiben ins Schwarze. Eine halboffene morsche Tür, ein verfallenes Dach, schmutzig-verkommene Tünche. Ein verlassenes, totes Haus.

»Rechts ab!«, sagte der Junge.

Noch ein paar enge Windungen, dann waren wir am Ziel.

Ein prächtig gepflegtes, großes Bauernhaus.

Ein Tor aus weißlackiertem Holz war geöffnet. Neben der schmiedeeisernen Laterne stand ein Mann.

Er war groß und breit. Er hatte nur noch an den Schläfen Haar, doch das war schwarz wie das Haar eines Zwanzigjährigen. Und so ungeduldig wie bei einem Zwanzigjährigen waren auch die Augen. Doch er konnte nicht sehr viel jünger als fünfzig sein.

Er riss die Wagentür auf.

»Sind Sie Arzt?«

»Ja. Wo ist der Patient?«

»Kommen Sie schnell!«

Dieses Gesicht ... Ich hatte es schon einmal gesehen.

Wir sprangen aus dem Wagen. Ein Hund bellte.

»Willst du den Koffer nicht mitnehmen?«, rief Ursula.

Sie meinte meinen kleinen Unfallkoffer, den ich im Auto hatte. Ich holte ihn aus dem Kofferraum.

»Ich bin Walter Haun«, sagte der Mann ungeduldig. »Vielleicht kennen Sie meinen Namen.«

Vielleicht. Das Gesicht kannte ich jedenfalls.

Er eilte voraus. Wir gelangten durch eine aufwendig, stilvoll eingerichtete Diele.

Sie haben ein Fest gefeiert, dachte ich. Da war soviel Rum in der Luft wie bei einer Feier mit Nachbarn und Bekannten. Aber nicht alles passte in diese Vorstellung. Es roch nicht nach Parfüm, und nur wenig Licht war im Haus.

Eine Tür war offen. Ich sah in einem Zimmer einen Flügel stehen. Davor saß ein junger Mann, die schlanken Hände wie zum Spiel auf den Tasten gespreizt, den Kopf auf die Brust gesenkt. Als er uns hörte, drehte er uns den Kopf zu und bewegte die Lippen, als wolle er fluchen.

Walter Haun eilte die Treppe hinauf. Wir folgten.

Aus einem Zimmer fiel Licht in den Flur. In der Tür stand ein Mann, nur wenig jünger als ich, siebenundzwanzig oder achtundzwanzig Jahre alt. Er sah Walter Haun ähnlich. Er musste sein Sohn sein.

»Da kommt der Arzt!«, rief er.

Es war ein Zimmer mit einem Doppelbett. Ein Mädchen lag darin. Eine Frau mit silberblond gefärbtem Haar beugte sich über sie. Ihre streichelnde Hand zitterte. Es war eine faltige Hand.

Walter Haun sagte: »Lass uns bitte mit dem Arzt allein, Gerda!«

Das Mädchen im Bett war jung. Sie hatte die Augen geschlossen. Es war, als läge eine Maske aus weißer Seide über ihrem Gesicht, nass und durchsichtig. Ein Tropfen lief wie eine Träne auf ihrer Wange hinab. Der Schweiß des Zusammenbruchs.

Ein Federbett verhüllte ihren Körper. Aber auf dem weißen Laken streckte sich eine Halbinsel von dunkelroter Farbe aus. Blut.

Ich schlug das Federbett zurück.

Das Mädchen war nackt. Der laienhafte Verband aus Mull und elastischen Binden war von Blut durchtränkt.

»Was ist geschehen?«, fragte ich.

Ein Akkord durchfuhr das Haus wie ein Schrei. Ein Zerbrechen, ein Zerreißen, ein Zusammenstürzen aus Musik.

»Nehmt Knut vom Flügel weg!«, rief Walter Haun.

4

Die Erinnerung regte sich wieder. Walter Hauns Gesicht! Mir war, als hätte ich es in dieser Szene schon einmal gesehen. In einem Zimmer, an einem Bett ... Und im Bett ein Mädchen! Ja, das war es.

»Wir haben sie gleich verbunden«, sagte Walter Haun, »mehr Blut, als Sie hier sehen, hat sie nicht verloren.«

»Was ist geschehen?«, fragte ich.

»Ein Versehen«, sagte Walter Haun, »es sollte nur ein Spiel sein. Niemand wusste, dass der Revolver geladen war.«

Ein Spiel mit einem nackten Mädchen? Ich schaute sie mir genauer an. Eine Kugel hatte ihre rechte Brust gestreift. Auch ihre rechte Hand war verletzt. Ein Schuss durch die Mittelhand. Ich löste den Verband um ihren Bauch. Ein kleines, rundes Loch dicht über dem Nabel. Ich drehte sie behutsam auf die Seite. Die Haut ihres Rückens war unversehrt. Die Kugel musste noch in ihrem Körper stecken. Ein Bauchschuss.

Als ich sie wieder langsam auf den Rücken legte, entdeckte ich die Löcher in der Tapete. Zwei kleine Löcher. Und eine Kugel in ihrem Leib. Mindestens drei Schüsse. Drei Schüsse aus Versehen?

»Schließen Sie die Tür!«, sagte ich.

Jetzt erkannte ich, dass die Tür zerbrochen war.

»Wann ist es geschehen?«, fragte ich.

»Vor ...«, Walter Haun räusperte sich, »vor einer halben Stunde.«

Ich fühlte den Puls des Mädchens. Er war schwach und schnell.

»Sie muss sofort ins Krankenhaus«, sagte ich, »wo ist ein Telefon?«

»Das Telefon ist außer Betrieb. Sie müssen ...«, aus seinen Zähnen glitzerte ein Lächeln. »Sie müssen ohne Hilfe fertig werden.«

»Das Mädchen hat einen Bauchschuss! Sie muss operiert werden! Und sie braucht eine Blutübertragung. Schicken Sie jemanden in meinem Auto zum nächsten Telefon! Ich werde inzwischen eine Infusion anlegen. Ich habe eine Flasche mit Blutersatzflüssigkeit dabei.«

Walter Haun lächelte immer noch. Ein unnachgiebiges Lächeln.

»Nein, wir müssen ihr hier helfen.«

»Unsinn! Ich lasse sie sofort ins Krankenhaus bringen.«

»Das wird Ihnen nicht möglich sein.« Seine Stimme war leise geworden. Aber seine Zähne lächelten immer noch, lächelten wie die Mündung einer Pistole.

Ich trat auf ihn zu und sagte langsam: »Warum nicht?«

Er zog mich am Arm aus dem Zimmer.

»Wir wollen keine Zeit mit Erklärungen vergeuden. Helfen Sie dem Mädchen!«

Ich starrte ihn an. Ich begriff nicht. Ich sagte: »Wollen Sie etwa den Vorfall um jeden Preis geheim halten?«

Ich meinte das nicht als Frage. Ich wollte höhnen. Eine Herausforderung durch eine absurde Unterstellung.

Er antwortete: »Um jeden Preis? Wir haben jetzt keine Zeit, vom Preis zu reden. Wir werden uns hinterher einig sein.«

»Wenn sie nicht bald operiert wird, wird sie sterben!«

»Sie wird nicht sterben, wenn Sie Ihre Pflicht als Arzt tun.«

»Aber sie muss operiert werden!«

»Dann operieren Sie!«

Das war wie ein Schlag. Und dann stand ich starr in lauter Angst. Ich begriff es in der Angst: Walter Haun war betrunken. Er taumelte nicht, er lallte nicht, er glotzte nicht. Er schien eine Menge vertragen zu können und das zu wissen. Vermutlich war er nüchtern gar nicht viel anders. Nur, dass er sich jetzt in einen trunkenen Wahnwitz verrannt hatte.

Ich wagte nicht, ihm zu sagen, dass er betrunken sei. Es war schlimm genug, dass er wahnwitzig war. Ich durfte ihn nicht noch wütend machen.

»Ich kann doch hier nicht operieren«, sagte ich, »es fehlt ja alles.«

»Meine Söhne werden einen ausziehbaren Tisch heraufbringen.«

»Und die Instrumente?«

»Die werden Sie aus Ihrer Praxis holen. Sie brauchen dazu nur eine halbe Stunde.«

»Nein«, sagte ich, »man kann unter diesen Umständen nicht operieren.«

Er stellte sich mir in den Weg. »Doch«, sagte er, »Sie müssen es tun. Ich trage die Verantwortung.«

»Sie können mich nicht zwingen!«

Walter Haun tat, als hätte er sich gerade abgewandt und meine Worte nicht verstanden. Eine Geste, die sagte: Das will ich überhört haben. Eine Peinlichkeit – sagen wir: eine peinliche Sekunde, mit der er routiniert fertig wurde. Sie können mich nicht zwingen – was für eine taktlose Bemerkung! Zwingen tut man die Menschen zum Guten und zu ihrem Glück, dann darf man es zwingen nennen. Aber für das gewöhnliche Zwingen, das Zwingen unter uns, ohne den lieben Gott, hat man doch andere Worte! Man muss sich nicht zwingen lassen. Es gibt für jede Handlung vernünftige Motive genug.

»Ich trage die Verantwortung!«, wiederholte Walter Haun mit engen Augen. Und da begriff ich endgültig, dass er mich zwingen wollte. Mit seiner herrischen Härte, mit seinen Söhnen, vielleicht sogar mit dem Revolver, der den Schaden angerichtet hatte. Auf den verwegenen Serpentinen eines Rausches.

Er sagte: »Sie werden jetzt das Nötige für das Mädchen tun. Geben Sie ihr den Blutersatz, von dem Sie gesprochen haben. Und machen Sie einen neuen Verband. Dann holen Sie aus Ihrer Praxis alles, was Sie für die weitere Behandlung brauchen.«

»Und den Assistenten zum Operieren? Soll ich den auch mitbringen?«

»Ich werde Ihnen assistieren«, sagte Walter Haun.

Ich blickte auf das Mädchen. Sie musste noch sehr jung sein, vielleicht war sie noch keine zwanzig Jahre alt. Sie war schön gebaut und hatte ein edles Gesicht. Ihre Nase hatten einen breiten Rücken und eine zierliche Spitze, eine reizvolle Merkwürdigkeit.

Ich würde ihr helfen. Ich öffnete meinen Koffer und nahm die Flasche mit dem Blutersatz heraus. Ich würde ihr die Infusion anlegen. Ich würde sie verbinden. Zum Schein würde ich Walter Haun zu Willen sein. Aber wenn ich erst in meinem Auto saß, würde ich dem Wahnsinn ein Ende bereiten.

5

Sie sagte mir ihren Namen. Christiane Sill. Mehr fragte ich sie nicht.

Ich entdeckte Blutstropfen auf dem Weg zur Tür.

Was war hier geschehen?

Eine zerbrochene Tür. Man bricht eine Tür nur auf, wenn sie verschlossen ist. Und wenn drinnen niemand öffnet. Und wenn man keine Geduld hat.

Manche Leute schließen sich auch in einem Privathaus ein, wenn sie schlafen gehen. Manche lieben es, nackt zu schlafen. Und manche gehen früh ins Bett.

Ordentlich standen vor dem Bett zwei zierliche silberne Sandalen. Ein Sessel vor dem Fenster war mit ein paar Kleidungsstücken beworfen. Obenauf lag eine seidig glänzende himmelblaue Hose. Das Modell für die sportliche junge Dame auf der Promenade. Die Hosenbeine waren umgestülpt. Darunter lag ein flauschiger dunkelblauer Mädchenpullover. Über der Lehne hing ein Büstenhalter aus schwarzen Spitzen. Das musste der letzte Wurf auf diesen Sessel gewesen sein. Aber dann lag noch ein schlecht gezielter Wurf vor dem Sessel. Eine blau-weiße Seidenkrawatte.

Ich blickte zu Walter Haun hinüber. Ihm fehlte die Krawatte nicht. Der Junge, der mich hergeführt hatte, trug einen Pullover. Der ältere Sohn hatte wie der Vater einen dunkelblauen Anzug angehabt. Es wäre mir aufgefallen, wenn er keine Krawatte getragen hätte. Und der Junge unten am Flügel? Ein greller, gelber Pullover.

»Ich muss den Arm abbinden«, sagte ich, »haben Sie vielleicht irgend etwas da? Eine Krawatte oder etwas Ähnliches?«

Ich ging selbst zum Sessel und hob die blau-weiße Krawatte auf. Ich band sie Christiane um den Arm. Walter Haun konnte nicht merken, dass ich das Firmenetikett las.

»Vielleicht kennen Sie meinen Namen ...«, hatte Walter Haun gesagt.

War er etwa ein berühmter Mann? Woher kannte ich sein Gesicht?

Nein, ich hatte kein Bild von ihm gesehen. Ich war ihm begegnet. Er hatte einen hellen Anzug getragen. Ja, letztes Jahr im Sommer war es gewesen. Damals war ich noch Assistenzarzt im Krankenhaus. In einem Zimmer der Privatstation hatte ich ihn getroffen. Er hatte eine Patientin besucht. Das Zimmer mit der gelben Tapete, warm im Sonnenschein. Eine Wärme, die Knospen sprengte. Und das weiße Bett mit der jungen Frau, mit Ursula Loef.

Das war das Bild meiner Erinnerung. Nein, noch etwas! Ein Strauß roter Nelken. Rote Nelken ... Ich hatte mit leisem Spott eine Frage über ihn gestellt, als er das Zimmer verlassen hatte. Kein frecher Spott, keine dreiste Neugier. Nur eine jener viel geübten, wohlwollenden Neckereien, weich wie Watte und leicht wie Watte. Ein Scherz aus jener dummen Bonbontüte der ärztlichen Visite, ein Tribut an die windige Hoheit zwischenmenschlicher Werte: das Nette. Ein netter Arzt, ein netter Kerl.

Nein, innerlich war es mehr gewesen. Da hatte die Verachtung an der Figur des Besuchers geätzt. Eifersüchtige Verachtung. Rote Nelken!

Eifersucht. Das war das erste Aufhorchen meiner Gefühle gewesen. Es war bis dahin noch nichts zwischen mir und Ursula gewesen. Außer, dass sie eine schöne junge Patientin war und ich ein junger Arzt. Meine Gefühle waren nicht anders, als jeder sie von mir erwartete. Aber jetzt hatte Fräulein Loef von einem anderen Mann rote Nelken bekommen.

Was hatte ich Ursula damals gefragt, und was hatte sie mir geantwortet? Es war mir entfallen.

Ursula Loef war mit einer akuten Blinddarmentzündung eingeliefert worden, und ich hatte bei der Operation assistiert. Acht Tage war sie Patientin gewesen.

Ich war nur Assistenzarzt. Der Professor drückte ihre Hand, der Professor empfing ihr Lächeln, der Professor hatte ihren Dank. Und am Ende hatten wir uns mit dem üblichen »Auf Wiedersehen!  Alles Gute!« – »Und vielen Dank!« die Hände gereicht und gelächelt.

Ein Lächeln von der billigsten Sorte.

Etwa drei Wochen später war ich ins Theater gegangen. Neugier, hatte ich mir gesagt. Aber vielleicht hatte ich das Verlangen, sie wiederzusehen. Sie war gut gewesen in ihrer Rolle. Es war das rechte Spiel für ihre Begabung.

Dass ich sie wiedertraf, war Zufall. Kurz nach jenem Theaterbesuch hatten sich die Chirurgen unseres Hauses in der Wohnung eines Kollegen zu einer Feier ohne Anlass zusammengefunden. Gegen ein Uhr war uns die Wohnung zu eng geworden, und wir waren zum Café Opera aufgebrochen.

Im Theater war eine Premiere gewesen. Eine Gruppe von Schauspielern war in das Café Opera gezogen, um den Erfolg zu feiern. Ursula Loef war dabei.

Sie erkannte mich wieder, und ich forderte sie zum Tanz auf. Ich trat ihr nicht auf die Füße. Mit den Schritten verstanden wir uns auf Anhieb.

Dann saß ich bei den Schauspielern. Ich werde sie nach Haus bringen, dachte ich, sie ist Schauspielerin. Vielleicht stand eine Schauspielerin über den Spielregeln, die entweder zum Verzweifeln umständlich oder abstoßend einfach sind. Vielleicht war bei ihr alles ganz anders? Vielleicht ... Für dumme Gedanken ist es ein Fressen, wenn Alkohol, Musik und Tanz ihren Wirbel machen.

»Mein Wagen steht vor der Tür«, sagte ich zu Ursula, »darf ich Sie nach Haus fahren?«

Und dann drängten sich fünf Personen in meinen Wagen. Als ich vor Ursulas Wohnung hielt, saß auf dem Rücksitz noch immer der Bühnenbildner. Er wohnte in Mürwik. Eine schöne Bescherung! Gewiss, er war eingeschlafen, aber war das eine Chance?

Ich gab Ursula die Hand. Es ist mir erst später aufgefallen, dass bei diesem Abschied etwas anders war als bei dem Auf Wiedersehen im Krankenhaus. Wir lächelten nicht.

Also ein Abend ohne Tat. Nichts war geschehen. Nur die Hexerei des Verliebens hatte begonnen.

Am nächsten Abend hatte ich lachsfarbene Rosen in Ursulas Garderobe geschickt.

Ich hatte auf die roten Nelken geschaut, als ich die spöttische Frage über den Besucher stellte. Wenn mir doch bloß einfiele, was Ursula mir geantwortet hatte!

Ich blickte von Christiane Sill auf und sah Walter Haun ins Gesicht.

»Ist etwas?«, fragte er.

Er war es. Oder konnte ich mich so irren?

Als Ursula aus dem Auto stieg, hatte es keine Geste des Erkennens gegeben, keine Überraschung, keine Begrüßung.

Ursula und Walter Haun waren sich begegnet wie Fremde.

6

»Ich habe Ihnen meine Söhne noch nicht vorgestellt«, sagte Walter Haun. »Das ist Volker, der älteste, und das ist Siegfried, der jüngste. Knut, den mittleren, haben Sie vorhin am Klavier sitzen sehen. Volker und Siegfried werden Sie jetzt in meinem Wagen in die Praxis fahren.«

»Ich kann mit meinem Wagen fahren«, sagte ich, »ich kenne die Strecke besser, und ich kenne meinen Wagen. Es kommt auf jede Minute an.«

»Wir haben den schnelleren Wagen«, sagte Walter Haun, »und Siegfried ist ein halber Rennfahrer.«

Er reichte Volker einen Revolver.

»Der ist am besten bei dir aufgehoben«, sagte er. »Vorsicht! Ich habe ihn wieder geladen!«

»Ist das ...«, ich wollte ironisch sein, aber meiner Stimme glückte das nicht, »ist das für mich?«

»Sie brauchen sich keine Sorge zu machen, Herr Doktor! Sie sind bei meinen Söhnen sicher aufgehoben. Ganz sicher.«

Es war ein Sportwagen.

»Lass unseren Gast zuerst einsteigen!«, sagte Walter Haun freundlich.

Der Notsitz für mich! Da gab es kein Entkommen!

Siegfried war wirklich ein halber Rennfahrer. Die Hälfte, die ihm fehlte, fehlte wirklich, und die Hälfte, die er hatte, war zu viel. Siegfried mit dem Gashebel war schlimmer als Volker mit dem Revolver.

In der Stadt wurde er langsamer. In seinem Rahmen. Als eine Ampel vierzig Meter vor uns auf Gelb sprang, gab er Gas.

Ein Polizeibeamter stand an der Kreuzung. Ich winkte aufgeregt aus dem Fenster. Aber wie hätte er begreifen sollen! Er hat mich, glaube ich, nicht einmal bemerkt.

Ich wartete auf den Pfiff einer Trillerpfeife.

»Ein Polizist! Fahr langsam!«, rief Volker.

Aber dann sah ich das Gesicht des Polizeibeamten und erriet seine Gedanken. Er bewunderte den Wagen.

Vor meiner Praxis sagte ich: »Hier ist es, hier können wir halten!«

»Hier ist Halteverbot«, sagte Volker, »wende und halte gegenüber.«

Sie folgten mir beide in die Praxis.

Ich hatte die Praxis vor einem Vierteljahr übernommen. Dr. Senning, zweiundachtzig Jahre alt, war wider Erwarten doch noch gestorben. Als er jung war, hatte er sich alles zugetraut, und er war dabei gewesen, sich dieses Mutes aufs Neue zu bemächtigen. Da hatte ihn der Schlag getroffen. Er war beliebt gewesen, und viele Patienten folgten seinem Sarg. Ja, er hatte sie nicht alle überlebt.

Dr. Senning hatte keinen Sohn gezeugt. So hatte ich alles übernommen. Das ganze Museum. Ich hatte lange wie verzaubert in dem Schatz gewühlt. Dr. Senning muss ein Liebhaber von Instrumenten gewesen sein. Er hatte nicht nur die chirurgischen Geräte beider Weltkriege gesammelt. Ich hatte auch moderne Sachen gefunden. Jetzt kam es mir zustatten.

Was ich gebrauchen konnte, warf ich in einen Koffer.

»Ich brauche noch Medikamente«, sagte ich, »wir müssen zu einer Apotheke, die Nachtdienst hat.«

»Auf dem Rückweg halten wir an einer Apotheke«, sagte Volker.

»Ich werde Ihnen die Rezepte schon ausschreiben«, sagte ich, »Sie werden ja nicht erlauben, dass ich selbst in die Apotheke gehe.«

Ich schrieb zwei Rezepte aus. Und dann schrieb ich noch ein drittes Rezept: »Ich werde bei Walter Haun mit Gewalt festgehalten, um einem Mädchen zu helfen. Sie wurde bei einem Verbrechen schwer verletzt. Alarmieren Sie die Polizei !«

»Ach nein, wir nehmen lieber etwas anderes!«, sagte ich, als hätte ich es mir überlegt. Ich riss das Rezept mit einer schnellen Bewegung vom Block, knüllte es zusammen und steckte es in die Tasche.

Ich bin kein guter Schauspieler, wenn es einmal wichtig ist. Mein gespieltes Selbstgespräch hatte geradezu nach Aufhorchen geheischt. Und die Bewegung, mit der ich das Rezept vom Block riss, zerknüllte und in die Tasche steckte, hatte sicher nicht gedankenlos ausgesehen. So spielt man, wenn man ein Publikum hat, das es derb und deutlich liebt.

Ich kritzelte das neue Rezept mit wichtigtuerischer Eile. Ein durchsichtiges Ablenkungsmanöver. Ich fühlte mich wie bei der ersten Lüge meines Lebens.

Die beiden Haun-Brüder betrachteten mich argwöhnisch, als ich ihnen das Rezept reichte. Sie hatten gespürt, dass ich aufgeregt war.

Siegfried las das Rezept und fragte misstrauisch: »Was ist das?«

»Tetracyclin. Können Sie das nicht lesen?«

»Und was ist das?«, fragte er verlegen. Sie kamen mir nicht auf die Schliche.

»Lassen Sie mich nachdenken!«, sagte ich. »Habe ich nichts vergessen?«

Mein Blick ruhte auf dem Bücherschrank. Ich hatte noch nie einen Bauchschuss operiert. Ich wusste, dass es in meinem Lehrbuch der Operationstechnik ein Kapitel darüber gab.

Ich starrte auf den Buchrücken und zauderte. Dieses Zaudern verriet mich vor mir selbst. Gewiss, ich wollte ja gar nicht operieren. Ich rechnete damit, dass ich den Haun-Brüdern entkommen würde. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass man mich zu einer Operation zwang.

Aber ich ließ mich ja bereits zwingen. Ich hatte die Instrumente bereits eingepackt. Es fehlte nur das Buch.