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Diese Bergroman-Serie stillt die Sehnsucht des modernen Stadtbewohners nach einer Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und natürlichem Leben in einer verzaubernden Gebirgswelt. "Toni, der Hüttenwirt" aus den Bergen verliebt sich in Anna, die Bankerin aus Hamburg. Anna zieht hoch hinauf in seine wunderschöne Hütte – und eine der zärtlichsten Romanzen nimmt ihren Anfang. Hemdsärmeligkeit, sprachliche Virtuosität, großartig geschilderter Gebirgszauber – Friederike von Buchner trifft in ihren bereits über 400 Romanen den Puls ihrer faszinierten Leser. Bürgermeister Fritz Fellbacher stand am Fenster seines Amtszimmers im Rathaus von Waldkogel. Er lächelte und rieb sich die Hände. »Beeilt euch«, rief er aus dem Fenster und winkte Toni und Förster Hofer zu, die nebeneinander ihre Autos auf dem Marktplatz parkten. Augenblicke später saßen sie in seinem Büro mit ihm am Besprechungstisch. »Danke, dass ihr so schnell gekommen seid. Des, was ich gehört habe, des wollte ich euch persönlich sagen. In Marktwasen gibt es massiven Widerstand gegen des Bauvorhaben vom Schwarzer und seinen Bazis. Keiner in der angrenzenden Siedlung hat sich von der Scheckbuchdiplomatie des Ruppert Schwarzer blenden lassen. Er ist ganz schön abgeblitzt. Mei, des ist fast ein Wunder. Aber es zeigt auch, dass den Leuten die Heimat wichtig ist. Jedenfalls wehren sich alle gegen die Zufahrtstraße durch ihre schöne ruhige Wohnsiedlung.« Toni und Hofer grinsten. Fellbacher stand auf und holte eine Flasche mit Obstler. Er schenkte ein. »Trinken wir auf den Erfolg! Trinken wir darauf, dass der Ruppert Schwarzer gescheitert ist. Prosit!« Sie hoben die Gläser und tranken. Toni rieb sich das Kinn. »Fellbacher, mir ist es ein bisserl mulmig bei dem Trinkspruch. Sicher wird sich der Bauantrag jetzt verzögern. Aber so wie ich es sehe, wird der Schwarzer net aufgeben.« »Aber er ist net damit durchgekommen. Ich hab' gehört, er hätte jedem Anwohner, jedem Hausbesitzer, zehntausend Euro geboten, bar auf die Hand, wenn er mit der Durchleitung des Verkehrs zu dem Multizentrum einverstanden sei. Ruppert Schwarzer ging persönlich von Tür zu Tür und hat versucht, mit den Leuten zu reden. Mei, da hat er etwas zu
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Seitenzahl: 132
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Bürgermeister Fritz Fellbacher stand am Fenster seines Amtszimmers im Rathaus von Waldkogel. Er lächelte und rieb sich die Hände.
»Beeilt euch«, rief er aus dem Fenster und winkte Toni und Förster Hofer zu, die nebeneinander ihre Autos auf dem Marktplatz parkten.
Augenblicke später saßen sie in seinem Büro mit ihm am Besprechungstisch.
»Danke, dass ihr so schnell gekommen seid. Des, was ich gehört habe, des wollte ich euch persönlich sagen. In Marktwasen gibt es massiven Widerstand gegen des Bauvorhaben vom Schwarzer und seinen Bazis. Keiner in der angrenzenden Siedlung hat sich von der Scheckbuchdiplomatie des Ruppert Schwarzer blenden lassen. Er ist ganz schön abgeblitzt. Mei, des ist fast ein Wunder. Aber es zeigt auch, dass den Leuten die Heimat wichtig ist. Jedenfalls wehren sich alle gegen die Zufahrtstraße durch ihre schöne ruhige Wohnsiedlung.«
Toni und Hofer grinsten. Fellbacher stand auf und holte eine Flasche mit Obstler. Er schenkte ein.
»Trinken wir auf den Erfolg! Trinken wir darauf, dass der Ruppert Schwarzer gescheitert ist. Prosit!«
Sie hoben die Gläser und tranken.
Toni rieb sich das Kinn.
»Fellbacher, mir ist es ein bisserl mulmig bei dem Trinkspruch. Sicher wird sich der Bauantrag jetzt verzögern. Aber so wie ich es sehe, wird der Schwarzer net aufgeben.«
»Aber er ist net damit durchgekommen. Ich hab’ gehört, er hätte jedem Anwohner, jedem Hausbesitzer, zehntausend Euro geboten, bar auf die Hand, wenn er mit der Durchleitung des Verkehrs zu dem Multizentrum einverstanden sei. Ruppert Schwarzer ging persönlich von Tür zu Tür und hat versucht, mit den Leuten zu reden. Mei, da hat er etwas zu hören bekommen. Keiner will den Verkehr in der schönen ruhigen Straße. Da wäre ich gern dabei gewesen. Die Leut’ sollen richtig wütend geworden sein. Einige sollen ihn von ihrem Grundstück geworfen haben. Ja, jemand drohte sogar mit der Polizei, erzählt man sich.«
»Das hat dem Schwarzer bestimmt nicht geschmeckt«, lachte Toni. »Ich bin gespannt, was er jetzt macht. Er braucht eine Zufahrt.«
»Des ist richtig, Toni, aber dass der ganze Verkehr durch die Siedlung brummt, des wird es nicht geben. Die Anwohner haben sich zusammengeschlossen und wollen einen Verein gründen. Sie werden gemeinsam dagegen vorgehen«, berichtete Fellbacher.
Er schenkte einen weiteren Obstler ein.
»Ich habe gehört, dass der Ruppert Schwarzer sich mit den Investoren getroffen hat. Sie überlegen, wie sie das Bauvorhaben so ändern können, dass sie bauen können, ohne auf das Wohlwollen der Anwohner in der Nachbarschaft angewiesen zu sein. Aber des wird nicht einfach, und es wird sie eine Stange Geld kosten. Des Projekt wird sich sehr verteuern und damit den Profit schmälern. ›Die haben die Rechnung ohne den Wirt gemacht‹, wie man sagt. Sie wollen eine eigene Straße bauen, im südlichen Teil des Geländes.«
»Wo soll die hinmünden?«, fragte Toni.
Bürgermeister Fellbacher grinste.
»Auf Waldkogeler Gebiet. Sie müssten ein Stück Land dazukaufen. Schwarzer soll auch schon in Verhandlung mit zwei Bauern stehen. Ich habe sofort im Grundbuch nachgesehen. Die Brachwiesen gehören den Brüdern Kurt und Klaus Weiler, und des sind zufällig Schulkameraden von mir. Also habe ich schon mit ihnen geredet.«
»Sie verkaufen doch net, Fellbacher?«
»Sie verkaufen net, Toni. Ich habe ihnen geraten, mit den Investoren einen langzeitigen Nutzungsvertrag abzuschließen, bei dem die ganze Mietgebühr zu Beginn fällig wird, und die ist gesalzen, sage ich euch. Die beiden lassen sich, auf meinen Rat hin, die brach liegende Wiesen vergolden. Des wird die Bazis richtig Geld kosten.«
Fellbacher rieb sich genüsslich die Hände. Es war ihm anzusehen, wie viel Spaß ihm die Sache machte. Toni und Hofer schauten den Bürgermeister überrascht an.
»Bist narrisch, Fellbacher«, schrie Toni. »Dann rollt der ganze Verkehr über unsere Landstraße.«
»Ruhig Blut, Toni! ›Noch ist net aller Tage Abend‹, sagt man. Schwarzer und seine Freunde, die werden ganz gierig auf die Wiesen sein und jeden Preis abdrücken. Aber bei mir, also bei der Gemeinde Waldkogel, bekommen sie net die Bauerlaubnis für eine Straße. So einfach ist des. Sicher können sie auf ihrem Grundstück ein Stück Straße anlegen, aber die Einmündung in das öffentliche Straßennetz von Waldkogel, die kriegen sie nie und nimmer. Bin gespannt, was Schwarzer dann macht.«
»Fellbacher, die werden gegen die Gemeinde Waldkogel klagen«, warf Hofer ein.
»Genau darauf habe ich es angelegt. Des geht dann durch alle Instanzen und kann Jahre dauern, vielleicht sogar Jahrzehnte. Da müssen Gutachten erstellt werden und Gegengutachten und das durch alle Instanzen. Bis dorthin können Sie keinen Stein setzen. Mei, werden die kochen! Aber das geschieht ihnen recht. Sie waren eben ein bisserl übereifrig und haben den Kuchen schon verteilt, bevor er gebacken war.«
»Was sagt man im Gemeinderat dazu?«, fragte Toni.
»Nix, Toni! Ich habe noch keine Silbe verlauten lassen. Des wäre doch nur Wasser auf Schwarzers Mühle, wenn sein Bazi etwas davon spitz bekommen würde. Es ist schon ein Kreuz, dass der Schwarzer es geschafft hat, seinen Strohmann in unseren Gemeinderat wählen zu lassen. Aber die Zeit dieser Amtsperiode geht auch vorbei. Ich bin mir sicher, dass, nach dieser dreisten Sache, das nächste Mal niemand mehr dem Franz Huber seine Stimme gibt. Dann ist der Spuk vorbei. Bis es so weit ist, da müssen wir ein bisserl vorsichtig sein. Ich werde mich sehr überrascht geben, wenn mir der Antrag vorgelegt wird und empfehlen, die Sache erst einmal prüfen zu lassen.«
»Wer soll die prüfen?«, fragte Toni. »Willst ein Verkehrsgutachten erstellen lassen?«
»Das auch, Toni, aber es könnte doch sein, dass Flora und Fauna der Wiesen so kostbar sind, dass da nix zubetoniert werden darf«, blinzelte Fellbacher seinen beiden Gesprächspartner zu.
»Vielleicht leben dort seltene Kröten, eine Schmetterlingsart, von der man annahm, sie sei bereits ausgestorben oder es wachsen Pflanzen, die unter Naturschutz stehen«, lachte Fellbacher. »Was kann ich dafür? Wer lange genug sucht, der wird die Stecknadel im Heuhaufen finden, das sage ich euch und wenn ich die Stecknadel selbst verstecken muss.«
Sie grinsten sich an.
»Bist mir schon ein Schlawiner, Fellbacher«, lachte Toni.
»In meinem Beruf muss man gelegentlich etwas trickreich sein, Toni. Das gehört zum Handwerkszeug eines Bürgermeisters. Solange des für einen guten Zweck ist, kann ich auch nix dabei finden. Ein schlechtes Gewissen habe ich jedenfalls nicht. Außerdem habe ich versprochen, dass ich nur zum Wohle der Gemeinde Waldkogel handele. Die Waldkogeler legen Wert auf Ruhe und dass es weiter so friedlich bleibt wie bisher. Manche finden, wir seien ein bisserl rückständig und nennen uns die ewig Gestrigen. Aber des sind dumme Rindviehcher. Sie haben noch net verstanden, dass Lebensqualität ganz verschiedene Facetten haben kann. Wisst ihr«, fügte Bürgermeister Fellbacher hinzu, »mit der Tradition ist es so eine Sache. Das Leben geht weiter, alles entwickelt sich. Da bleibt es net aus, dass die Tradition an sich von übereifrigen Zeitgenossen infrage gestellt wird. Aber die werden es auch noch lernen, ehrfurchtsvoll mit der Tradition umzugehen. Man muss net gleich alles abschaffen. Tradition ist auch nix, was für immer und ewig fest ist, sie lebt. Des heißt für mich, dass man über die Folgen nachdenkt, falls man etwas abschafft, und auf der anderen Seite auch die Chance einer Veränderung einbezieht. Man kann es doch auf einen einfachen Nenner bringen: Die Tradition ist so etwas wie ein geistiges Heimatfundament für die Leute. Aber wie bei einem alten Hof müssen irgendwann das Dach neu gedeckt und die Fenster gestrichen werden. Früher gab es in den Häusern kein Badezimmer, heut’ ist des nimmer so. Trotzdem sind es schöne alte Bauernhäusern, in denen unsere Waldkogeler gerne leben. Es ist eine Gratwanderung. Wirft man die Tradition ganz über Bord, dann kann man abstürzen. Des ist so, als würde das alte Hanfseil einer Seilschaft brüchig werden und reißen. Also ist es besser, die schadhaften Teile durch ein neues Seil zu ersetzen. Weil des alte Seil kaputt ist, wird niemand auf die Idee kommen, jede Seilschaft abzulehnen.«
»Des hast schön gesagt, Fellbacher«, nickte ihm Toni zu. »Genauso ist es. Wir hier in Waldkogel sind eben ein bisserl traditioneller als andere Gemeinden. Bisher sind wir damit immer gut gefahren. Ich erinnere mich, wie ich und Anna ausgelacht wurden, als wir gesagt haben, dass wir die Berghütte nicht modernisieren, sondern sie in dem einfachen Stil weiterführen, wie es einst der Alois gemacht hat. Der Tourismusverband drohte sogar damit, uns aus der Liste der Berghütten zu streichen, weil wir net zeitgemäß seien. Aber die echten Bergliebhaber, die wollen es so, wie wir es machen. Jedes Jahr werden es mehr, die verstehen, dass die Bewahrung der Natur wichtig ist, und sie nehmen gern die damit verbundenen Einschränkungen auf sich. Sie lieben die Ursprünglichkeit und wären sehr enttäuscht, wenn es plötzlich modern wäre bei uns auf der Berghütte.«
»Du sagst es, Toni«, sagte Bürgermeister Fellbacher. »Damals wollte der Schwarzer die Berghütte haben, eine Straße hinaufbauen und alles modernisieren und vergrößern, inklusive Hubschrauber-Landeplatz. Er hat bis heute nicht verwunden, dass er sie nicht bekommen hat, deshalb will er wohl des Multizentrum bauen, direkt vor unserer Nase. Aber damit ist er noch nicht durch.«
Die Männer redeten noch eine Weile. Dann verabschiedeten sie sich. Hofer würde über seinen Kollegen in Kirchwalden auf dem Laufenden gehalten werden, denn der Kollege wohnte auch in der Siedlung.
*
In der großen Halle waren die zu versteigernden Gegenstände aufgebaut. Es gab alte Möbel, Geschirr und wunderschöne alte Reisekoffer. Unter dem Glas der langen Vitrinentische lagen kleinere Gegenstände und kostbare Dokumente.
Marius Heilmann war früh gekommen. Er wollte sich in Ruhe umsehen, bevor das Gedränge begann und sich die Interessierten alles ansahen, um sich Auktionsnummern der Sachen zu notieren, bei denen sie mitbieten wollten. Eigentlich interessierten Marius die alten Dinge wenig, obwohl er wusste, dass sie unter Umständen ein Schnäppchen waren und in einigen Jahrzehnten eine beträchtliche Wertsteigerung erfahren konnten. Marius war auf Bitten seines Onkels Thilo Heilmann unterwegs und sollte für ihn einen Patenbrief ersteigern. Der älteste Bruder von Marius’ Mutter war schon sehr betagt. Er hatte seinen Lieblingsneffen in München angerufen und ihn gebeten, für ihn zur Versteigerung zu gehen. Marius konnte ihm die Bitte nicht abschlagen. Er mochte seinen alten Onkel, der trotz seines ganz enormen Reichtums ein sehr liebenswerter, freundlicher Mensch war, ohne jede Eitelkeit und Prahlerei. Er lebte sehr zurückgezogen auf einem alten Gutshof in Norddeutschland und beschäftigte sich den ganzen Tag mit Literatur. Er sammelte mit Leidenschaft alte Dokumente und Bücher. Weil ihm vor vielen Jahrzehnten die Liebe seines Lebens einen Korb gegeben hatte, war er Junggeselle geblieben. Marius war nach seinem Studium in die Anlagefirma des Onkels eingetreten. Nach fünf Jahren machte ihn Onkel Thilo zum Chef. Er fand, dass sein Lebenswerk bei Marius in guten Händen war.
Marius eilte durch die langen Gänge zwischen den Tischvitrinen und suchte nach dem Patenbrief, der nicht im Auktionskatalog abgebildet war, sondern nur mit einer kleinen Textbeschreibung und einer Nummer aufgelistet.
Plötzlich blieb Marius stehen. Eine junge Frau im hellblauen Kostüm zog seine Blicke an. Sie trug flache Schuhe, was sehr ungewöhnlich war bei ihrer eleganten Kleidung, die von einem großen Hut und Handschuhen ergänzt wurde. Sie drückte ihre grifflose Unterarmtasche vor sich an den Körper und stand, den Kopf leicht geneigt, ganz ruhig vor der Vitrine.
Marius spürte, wie sein Herz klopfte. Welch ein Anblick, dachte er, wie ein kostbares Gemälde! Fast überwältigt von dem Anblick trat er einige Schritte zurück und lehnte sich an eine der dicken runden Marmorsäulen, welche die hohe Kassettendecke des riesigen Raumes stützte. Marius vergrub die Hände in die Taschen seines leichten Sommermantels. Er konnte den Blick nicht von ihr lösen. Am liebsten hätte er seinen digitalen Fotoapparat gezückt und ein Bild gemacht. Aber er scheute sich. Marius, der schon viele Versteigerungen im Auftrag seines Onkels besucht hatte, war diese junge Frau noch nie aufgefallen. Viele Interessenten kannte er. Es waren immer dieselben Bieter, die man bei solchen Versteigerungen sah. Selten waren junge Frauen darunter.
Marius forschte in seinem Gedächtnis. Habe ich sie nicht doch schon einmal gesehen?
Nach einer Weile angestrengten Nachdenkens gab er auf. Sie war ihm unbekannt.
Doch was zog ihn so magisch an ihr an?
War es ihr Anblick?
Marius war Anfang dreißig, Junggeselle und hatte einen Blick für schöne Frauen. Doch diese schöne Unbekannte löste nicht nur Neugierde und den Jagdtrieb des jungen Mannes aus. Es war Magie, die es ihm unmöglich machte, seine Blicke von ihr zu lösen. Tausend Gedanken schossen Marius durch den Kopf.
Wie soll ich sie ansprechen?
Einfach Hallo sagen und die Floskel anhängen, ›Sie kommen mir so bekannt vor? Kann es sein, dass wir uns schon einmal irgendwo gesehen haben?‹. Marius wusste sofort, dass es so nicht ging, nicht bei dieser Frau. Das wäre billig gewesen. Er überlegte und überlegte und behielt sie dabei im Auge.
Der Raum füllte sich mit Bietern. Auf dem eigens aufgebauten Podest nahmen einige Herren und eine Frau Platz. Sofort verstummte das Gemurmel im Raum. Die Menge ging nach vorne und setzte sich. Marius schaute auf die Uhr. Es war über eine Stunde vergangen. So lange hatte er sie beobachtet. Die ganze Zeit hatte sie nur ruhig an ein und derselben Stelle gestanden und etwas in der Tischvitrine betrachtet.
Jetzt drehte sie sich um, ging zur hinteren Stuhlreihe und setzte sich. Marius beeilte sich, nach vorne zu laufen. Zu spät, alle Stühle, auch die neben der schönen jungen Frau, waren besetzt. So blieb er stehen und betrachtete sie von hinten. Die Versteigerung bekam er nur wie aus weiter Ferne mit. Wichtig war nur sie. Er wünschte sich, dass sie sich umdrehen und ihn ansehen würde.
Plötzlich ging ihr Arm nach oben.
Marius löste sich ruckartig aus seiner Erstarrung. Die Nummer siebenundachtzig war aufgerufen worden. Marius blätterte schnell im Auktionskatalog und bot mit. Jedes Mal, wenn er bot, wurde er zuerst von einigen anderen Interessenten überboten, dann bot nur noch die junge Frau mit dem großen Hut. Bei jedem Gebot, das er abgab, hoffte er, dass sie sich umdrehen würde, um zu sehen, wer sie überbot. Die Summe kletterte und kletterte. Marius und die junge Frau hatten jetzt die ganze Aufmerksamkeit. Es war ein Duell. Als Marius wieder ein Gebot abgab, steigerte sie nicht mehr mit.
»Zum Ersten, zum Zweiten und zum Dritten! Der Patenbrief geht an den Herrn dort hinten«, sagte der Auktionator.
Die junge Frau wandte sich kurz um. Die Blicke ihrer Augen trafen sich für einen kurzen Augenblick.
Es standen nur noch zwei Positionen zur Versteigerung. In wenigen Minuten war alles vorbei.
Marius musste sich in die Schlange der Warteten einreihen, die zahlen wollten. Kleinere Gegenstände wurden sofort ausgehändigt, für größere wurde ein Termin für die Abholung oder die Lieferung vereinbart. Marius sah, wie die junge Frau den Raum verließ.
Ich werde sie nie wiedersehen, schoss es ihm durch den Kopf und sein Herz schmerzte. Marius, sei nicht albern, rief er sich selbst zur Ordnung und kämpfte gegen seine Gefühle und Gedanken, die nur um die junge Frau kreisten.
Marius zahlte und ging hinaus. Während er die Vorhalle durchquerte, rief er seinen Onkel an.
»Hallo, Onkel Thilo, ich bin es!«
»Wie war es, mein Junge?«
»Gut war es. Es ist etwas teuer geworden, ziemlich überteuert sogar. Das muss ich dir gestehen. Aber ich konnte ihr den Patenbrief nicht überlassen. Sie gab spät auf.«
»Das habe ich auch schon erlebt. Es gibt viele alte Frauen, die sich auf Versteigerungen herumtreiben und Geld ausgeben. Sie wissen oft nicht, wann sie Schluss machen sollen.«
»Sie war nicht alt, Onkel Thilo. Sie war jung und hübsch.«
»Oh, war sie das, interessant. Marius, dann hat sie dich mehr interessiert als die Versteigerung?«
Marius räusperte sich verlegen.
»Wie kommst du auf die Idee?«, fragte er mit gespieltem Desinteresse. »Das ist Unsinn, Onkel Thilo!«
Thilo Heilmann lachte am anderen Ende der Telefonleitung.