Der Pfaffenspiegel - Otto von Corvin - E-Book

Der Pfaffenspiegel E-Book

Otto von Corvin

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Beschreibung

In 'Der Pfaffenspiegel' von Otto von Corvin wird die Kontroverse zwischen Kirche und Staat im Deutschland des 19. Jahrhunderts detailliert untersucht. Das Buch präsentiert eine kritische Analyse der Machtstrukturen innerhalb der katholischen Kirche und stellt die Rolle der Geistlichkeit in Frage. Von Corvin adoptiert einen klaren und prägnanten Stil, der es dem Leser ermöglicht, komplexe Themen zu verstehen. Sein Werk kann als Satire auf die kirchliche Autorität und die damit verbundenen Missbräuche betrachtet werden, die zur damaligen Zeit präsent waren. 'Der Pfaffenspiegel' ist ein einflussreiches Werk, das den literarischen Kontext des 19. Jahrhunderts in Deutschland herausfordert und eine alternative Perspektive auf religiöse Institutionen bietet. Otto von Corvin, als politischer Aktivist und Schriftsteller bekannt, war ein Gegner der katholischen Kirche und nutzte sein Schreiben als Mittel, um gegen die Unterdrückung und den Dogmatismus der Geistlichkeit anzukämpfen. Seine persönlichen Erfahrungen und politischen Überzeugungen spiegeln sich deutlich in 'Der Pfaffenspiegel' wider, was zu einem leidenschaftlichen und provokanten Werk führt. Der Leser, der an historischer und politischer Literatur interessiert ist, wird von der tiefsinnigen Analyse und der kritischen Reflexion in diesem Buch profitieren. Es bietet sowohl intellektuelle Anregung als auch historische Einsichten, die zur weiteren Auseinandersetzung mit religiösen Themen anregen.

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Otto von Corvin

Der Pfaffenspiegel

Historische Denkmale des christlichen Fanatismus, Ein Klassiker der Religionskritik
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Inhaltsverzeichnis

Einleitung
I. Wie die Pfaffen entstanden sind
II. Die lieben, guten Heiligen
III. Reliquienverehrung
IV. Die Statthalterei Gottes in Rom
V. Sodom und Gomorrha
VI. Die Möncherei
VII. Der Beichtstuhl

Pio Nono! »Sollte Dir, heiligster Vater, dieses Büchlein gefallen und Du mir solches öffentlich zu erkennen geben, so will ich mich bemühen, mit

Einleitung

Inhaltsverzeichnis

Je erhabener göttliche Dinge sind, je ferner sie von der Sinnenwelt abliegen, desto mehr muß sich das Streben unserer Vernunft nach ihnen richten; der Mensch wird wegen der ihn auszeichnenden Vernunft mit dem Bilde Gottes verglichen; daher soll der Mensch sie auf nichts lieber richten als auf den, dessen Bild er durch sie vorstellt.«

Abélard

Wenn der schwache Mensch sich unter den Schlägen des Unglücks erliegen fühlt und weder in sich selbst noch in andern, noch überhaupt irgendwo auf Erden Trost und Hilfe für seine Leiden findet, dann treibt ihn ein natürlicher Hang dazu, sich mit der in Gefühlen, Gedanken oder Worten ausgedrückten Bitte an die von jedem geahnte, wenn auch nicht begriffene Macht zu wenden, welcher er den Ursprung und die Erhaltung alles Bestehenden, der Welt, zuschreibt und die wir mit dem allgemeinen Namen Gott bezeichnen.

Es kann nur eine Weltursache, einen Gott geben, aber das Wesen – die Beschaffenheit und Art dieser schaffenden und erhaltenden Kraft ist das große Weltgeheimnis, welches nie ergründet wurde, nie ergründet werden wird und nie ergründet werden kann.

Jeder Mensch, der überhaupt eines Gedankens fähig ist, macht sich indessen von diesem Wesen eine Vorstellung, welche dem Grade der Ausbildung der ihm mit der Geburt gegebenen Vernunft angemessen ist. Diese Vorstellung ist sein Gott und somit jeder Mensch der Schöpfer seines Gottes.

Die Vernunft entwickelt sich infolge sehr mannigfaltiger Einflüsse sehr verschieden, und wie es kaum zwei Menschen gibt, die durchaus körperlich gleich sind, so gibt es auch nicht zwei, deren geistige Ausbildung oder Entwicklung genau dieselbe ist. Daraus folgt, daß es, streng genommen, ebenso viele Götter als Menschen gibt – das heißt Vorstellungen von Gott.

Was verschiedene Menschen für eine Ansicht über die Natur der Sonne haben, ändert die Sonne nicht, und Gott bleibt derselbe, wie verschieden sich auch die Vorstellung der Menschen gestalten mag. Der Neger, der vor dem von ihm selbst geschnitzten Fetisch kniet, welcher der verkörperte Ausdruck seiner Gott-Vorstellung ist, wie der Inder, der Feueranbeter, der Mohammedaner, Jude oder Christ – alle beten zu demselben Gott, und die sogenannten Materialisten und Atheisten, die nicht beten, haben nur eine von der mehr allgemeinen abweichende Ansicht. Die sogenannten Gottesverleugner verneinen nicht eigentlich das Vorhandensein Gottes, was eine absolute Dummheit wäre, sondern erklären sich nur gegen die Vorstellung von einem persönlichen Gott.

Alle Gottvorstellungen sind zwar aus ein und derselben Urquelle geschöpft; allein je nach den Einfluß übenden verschiedenen Verhältnissen bildeteten sie sich verschieden und oft zu so seltsam und wunderlich erscheinenden Formen aus, daß es selbst dem kundigen, denkenden Forscher schwer wird, den gemeinschaftlichen Ursprung nachzuweisen.

Da nun die Gottvorstellung die Grundlage jeder Religion ist, so erklärt sich einerseits das Vorhandensein so vieler verschiedener Religionen und andrerseits wieder der Umstand, daß Völker, die sich unter denselben oder ähnlichen Verhältnissen entwickelten, dieselbe Religion haben.

Das Nachweisen des gemeinschaftlichen Ursprunges der verschiedenen Religionen würde ein eigenes Werk erfordern, und da es für den mir vorliegenden Zweck genügt, so beschränke ich mich darauf, eine Skizze von dem allgemeinen Entwicklungsgange aller Religionen zu geben.

Als die Erde in ihrer Entwicklung auf dem dazu geeigneten Punkte angelangt war, entstanden Menschen. Diese empfanden die angenehmen und unangenehmen Wirkungen der verschiedenen Naturerscheinungen zum erstenmal, und da sie mit Vernunft begabt waren, so forschten sie bald, oder vielmehr machten sich Gedanken über deren Ursprung.

Die unmittelbarsten Eindrücke empfanden sie von der Witterung, und Regen, Wind, Gewitter, Hitze und Kälte waren um so mehr geeignet, ihre Neugierde zu erregen, als deren Urheber ihren Augen verborgen waren.

Die Veränderungen, welche vor Regen und Gewitter am Himmel vorgingen, konnten sie indessen sehen, und da der Regen und der Blitz aus den Wolken kamen, so lag es sehr nahe, die verborgenen Urheber »im Himmel«, das heißt in den Wolken zu suchen.

Die Sonne, von welcher Tag und Nacht, Hitze und Kälte mit ihren Wirkungen abhängen, mußte natürlich ebenfalls ein hauptsächlicher Gegenstand ihrer verwunderten Betrachtung werden.

Auch der Wechsel der Jahreszeiten mit seinen Annehmlichkeiten und Unannehmlichkeiten mußte die Frage nach dessen Ursache erzeugen.

Da die Erfahrung, die Mutter aller Wissenschaft, noch in der Kindheit war, so bewegte sich die Phantasie, das ungeregelte Spiel der Vernunft, nur in dem sehr beschränkten Kreise des Sichtbaren und knüpfte daran ihre Schlüsse in bezug auf das Verborgene. Als handelnde Wesen kannte man nur Tiere und Menschen, und die Geschöpfe der Phantasie, die man als die Urheber der genannten Naturerscheinungen dachte, konnten nur tier- oder menschenähnliche Wesen sein.

In manchen Menschen ist die Phantasie reger als in andern, und sie teilten mit, was sie über die Handlungen und Verhältnisse dieser Wesen zueinander dachten und aus den Äußerungen der ihnen zugeschriebenen Tätigkeit erfanden. So entstanden Märchen und Sagen, welche durch die mit besonders lebhafter Phantasie begabten Menschen, Dichter, immer weiter ausgesponnen, in mehr oder minder vernünftigen Zusammenhang gebracht und mit Personen bevölkert wurden.

Solche in der Kinderstube des Menschengeschlechts entstandene Märchen pflanzten sich als wirklich geschehen von Geschlecht zu Geschlecht fort, und ihre Spuren sind noch nach Jahrtausenden selbst unter den am weitesten entwickelten Völkern nachzuweisen und üben noch heute einen gewissen Einfluß. Das wird einem jeden begreiflich sein, der sich über seine eigenen Gefühle und Empfindungen Rechenschaft gibt. Selbst der aufgeklärteste und gebildetste Mann wird noch am Ende seines Lebens Anklänge der Eindrücke entdecken, die er in seiner Kinderstube empfing; es wird keinem gelingen, sich absolut von dem Ammenmärchen loszumachen.

Da sich die Urmenschen die in den Wolken oder an andern ihnen unzulänglichen Orten vermuteten Urheber der Naturerscheinungen – »Götter« – nur als mächtigere Tiere oder Menschen dachten, so schrieb man ihnen natürlich auch dieser Vorstellung angemessene Empfindungen zu, wie Zorn, Haß, Rache, Wohlwollen, Güte usw. Da sich nun der Zorn von Menschen besänftigen und dessen Äußerung abwenden läßt, so lag der Gedanke nahe, dies auch mit den Göttern zu versuchen, und so entstanden die Opfer.

Diese Opfer bestanden in Gegenständen, die Menschen angenehm waren, und da die Götter im Himmel wohnten und diese Opfer nicht abholten, so mußte man sie ihnen in den Himmel senden, was in keiner andern Weise geschehen konnte als dadurch, daß man sie verbrannte, da doch wenigstens der Geruch und Rauch zum Himmel aufstiegen.

Die geschäftige Phantasie bildete sich bald eine Theorie über die Wirkung dieser Opfer, und da man dabei nie den menschlichen oder rein sinnlichen Standpunkt verließ, so kam man natürlich zu dem Schluß, daß das, was Menschen ganz besonders angenehm, was selten und daher schwer zu verschaffen, was ihnen vorzüglich lieb war, den Göttern das angenehmste Opfer sein müsse.

Da nun aber auch der Zorn der Götter schwer zu besänftigen war, das heißt da unangenehme Naturerscheinungen oft lange dauerten und man viele Opfer gebrauchte, bis sie mit ihren Wirkungen aufhörten, solche seltene den Göttern besonders angenehme Opfer aber schwer zu verschaffen waren und dem einzelnen oft fehlten, so vereinigten sich viele, den Bedarf für die Götter herbeizuschaffen, da alle den Wunsch haben mußten, sie zu versöhnen. So bildeten sich Opfervereine, die wohl als der Anfang der Religion bezeichnet werden können.

Die herbeigeschafften Opfervorräte mußten aufbewahrt und endlich den Göttern dargebracht werden, und es wurden bald besondere Personen mit diesem Geschäft beauftragt. So entstanden Priester.

Da diese Priester diejenigen Personen waren, welche den Göttern, die man sich stets als mehr oder weniger idealisierte Menschen dachte, die Opfer darbrachten, also mit ihnen in unmittelbare Verbindung traten, so lag der Gedanke nahe, daß die Götter ihnen als den wirklichen Spendern besonders günstig seien und ihnen zunächst ihre Wünsche mitteilten. Daraus folgte wieder, daß man ihnen einen gewissen Einfluß auf die Entschlüsse der Götter zuschrieb und sich um ihre Gunst bemühte, damit sie diesen vorausgesetzten Einfluß für diejenigen anwendeten, welche sich ihre Zuneigung zu erwerben verstanden.

Herrschsucht liegt aber in der Natur jedes Menschen, und es ist begreiflich, daß den Priestern der von ihnen erlangte Einfluß angenehm war und sie denselben zu erhalten und zu vermehren trachteten. Sie wußten freilich, daß die in bezug auf ihr Verhältnis zu den Göttern gehegten Voraussetzungen irrtümliche waren; allein der Irrtum hatte dieselbe Wirkung wie ihn die Wahrheit gehabt haben würde, und es lag in ihrem Interesse, denselben zu erhalten und zu vermehren.

Die Priester in dieser Kinderperiode der Menschheit glaubten übrigens selbst an die Götter und hatten von ihrer Natur im Hauptsächlichen dieselbe Vorstellung wie die übrigen Menschen; sie hielten daher eine unmittelbare Verbindung mit denselben für keineswegs unerhört oder unmöglich, und Träume und Visionen, über deren Ursprung und Natur die Erfahrungen noch gering waren, mochten sie darin bestärken, daß ein solcher Verkehr mit den Göttern nicht nur möglich sei, sondern auch wirklich stattfinde.

So entstand denn allmählich infolge unabsichtlicher und absichtlicher Täuschung über die Beziehung zwischen Göttern, Priestern und den anderen Menschen ein System, welches auf dem Glauben beruhte, den das Volk den Aussagen der Priester schenkte. Diese, die vertraut mit den Göttern waren, wußten, was diesen angenehm und unangenehm war, und sie verstanden es, die Sprache zu deuten, durch welche sie sich den Erdenkindern mitteilten. Die Priester ordneten die Art und Weise an, wie die Opfer gebracht werden sollten, und daß sie bei all diesen Anordnungen sich selbst nicht vergaßen, versteht sich wohl von selbst. So wuchs das Ansehen der Priester von einem Menschenalter zum andern immer mehr, und sie waren die eigentlichen Herrscher des Volkes.

Außer den im Himmel, das heißt in den Wolken, wohnenden Göttern gab es aber auch auf der Erde dem Menschen mehr oder weniger furchtbare Gewalten; zunächst starke und reißende Tiere und endlich Menschen, die ihre größere körperliche Kraft zum Nachteil anderer anwandten. Gegen diese mußte man sich schützen, und es ist begreiflich, daß diejenigen, welche vermöge größerer Kraft, größeren Mutes und Geschicklichkeit sich bei der Jagd und im Kriege auszeichneten, Einfluß und Macht unter ihren Mitmenschen erwarben. Sie wurden Häuptlinge, – Fürsten.

Verstand und Körperkraft sind nur selten in gleichem Maße in denselben Menschen vereinigt, und als im Laufe der Zeit die Verhältnisse der Gesellschaft verwickelter wurden, ward auch das Herrschen schwieriger, und Fürsten und Priester fanden es zweckmäßig, sich gegenseitig zu unterstützen, wobei je nach den Umständen bald die Gewalt der Fürsten, bald die der Priester überwog.

Die Religion wurde daher die Stütze der Despotie und umgekehrt.

Viele sind stärker als Einer, und da sich die Interessen des Einen nicht immer mit denen der Vielen vertragen, so würde es noch häufiger vorkommen, als es der Fall war und ist, daß die Vielen den Einen zwingen, nach ihrem Willen zu regieren, wenn nicht die Religion, die auf die Furcht vor den verborgenen, mächtigen Göttern gegründet war, ein solches Auflehnen durch den Mund ihrer anerkannten Vertreter, der Priester, als ein Verbrechen gegen diese Macht schon deshalb gestempelt hätte, weil durch die Verminderung der Macht der Despoten die der Priester gefährdet wurde, indem diese sie dazu gebrauchten, den gefährlichsten Feind der von ihnen erfundenen Religion zu bekämpfen.

Dieser Feind ist die Vernunft, das Denken und die daraus folgende Erkenntnis, die Wissenschaft.

Die Macht der Priester und alle Religion beruhte auf der Phantasie, welche in der Kinderperiode der Menschheit die Götter erschuf. Die Spekulation der Priester bildete diesen traditionellen Glauben zu einem komplizierten System aus, welches aus Täuschungen und Erdichtungen zusammengesetzt und von vornherein auf Einbildungen erbaut war.

Je mehr sich in den Menschen die Vernunft entwickelte und sie anfingen zu beobachten und zu denken, das heißt aus Erfahrungen Schlüsse zu ziehen, desto häufiger entdeckten sie, daß manche von den Priestern als positive Wahrheiten ausgegebene Dinge gerade das Gegenteil waren, was natürlich Mißtrauen gegen andere Behauptungen erzeugte, auf denen die Priestergewalt hauptsächlich gestützt war. Jeder Schritt, den die Wissenschaft vorwärts tat, trat irgendeiner Priesterlüge auf den Kopf.

Es war daher eine Lebensfrage für das Ansehen der Priester, oder was sie mit sich selbst zu identifizieren verstanden, der Religion, die Entwicklung der Vernunft nach Kräften zu hemmen und die Verbreitung der unvertilgbaren Resultate der Wissenschaft zu verhindern, was zunächst durch die despotische Macht geschehen konnte.

Da nun aber häufig Konflikte zwischen der Herrschsucht der Priester und derjenigen der Fürsten entstanden, so waren die ersteren darauf bedacht, für ihre Macht eine noch festere Begründung zu schaffen, als sie das sie mit den Despoten verbindende gemeinschaftliche Interesse darbot, welches nur bis zu einergewissen Grenze gemeinschaftlich war. Das Verfahren der Priester, um diesen selbstsüchtigen Zweck zu erreichen, war ebenso praktisch als für die Menschheit und deren geistige Entwicklung verderblich; der menschliche Geist mußte der Aufklärung möglichst unzugänglich und schon von Kindheit an in eine Form gezwängt werden, welche ihn nötigte, sich in der gewünschten Weise zu entwickeln. Zu diesem Ende bemächtigten sie sich der Erziehung der Jugend.

Das genügte indessen ihrer Vorsicht noch nicht. Dieses Lehrerverhältnis mußte für das ganze Leben beibehalten und die Herrschaft der Priester über die Seele der Menschen in solcher Weise ausgedehnt werden, daß diese von der Wiege bis zum Tode keinen Gedanken denken konnten, von dem die Priester nicht Kenntnis erhielten.

Das Mittel, dies vollkommen zu erreichen, war, in den Menschen die Furcht zu pflanzen vor entsetzlichen Gefahren (die einzig in dem Gehirn der Priester ihren Ursprung fanden) und gegen welche allein die Priester die Mittel zu vergeben hatten.

Es ist hier keineswegs gesagt, daß alle Priester bewußte Betrüger waren. Das wohlersonnene und konsequent durchgeführte System verfehlte seine Wirkung auf die Priester selbst nicht, welche aus dem Volke hervorgingen und nach der als zweckmäßig und notwendig erkannten Art erzogen worden waren. Ein großer Teil der Priester glaubte wirklich, was sie lehrten, und diejenigen, die nicht glaubten, begriffen bald den Vorteil, den es ihnen brachte, den Glauben im Volke zu erhalten.

Der Glaube war der Hauptpfeiler des ganzen von den Priestern erbauten Religionsgebäudes, und da mit seiner Zerstörung dasselbe durchaus fallen mußte, so war es die Hauptsorge aller Priester, diesen Glauben als das Heiligste und Unantastbarste hinzustellen und schon den bloßen Zweifel, welcher der Vernunft den Weg bahnte, als ein Verbrechen darzustellen, welches die Götter als das schrecklichste von allen bestraften.

Dieser Gedanke, welcher schon seit Jahrtausenden von Priestern aller Religionen den Kindern eingeprägt wurde und sich von Generation zu Generation forterbte, behauptete sich unter den Menschen mit solcher Gewalt, daß noch heute, nachdem die Vernunft und die trotz aller Hemmnisse unaufhaltsam fortschreitende Wissenschaft die Abgeschmacktheit aller auf den Glauben gegründeten Religionen erkannt hatte, selbst Nichtgläubige es nicht wagen dürfen zu sagen: ich glaube nicht an Gott, ohne unter Millionen Entsetzen zu erregen, obwohl mit diesen Worten doch weiter nichts ausgedrückt ist als: die Vorstellung, welche ich, ein Kind des neunzehnten Jahrhunderts, von der Weltursache, von Gott habe, ist eine durchaus andere als diejenige, welche die Mehrzahl der Menschen vor Jahrtausenden hatte und welche noch die Basis der heutigen herrschenden Religion bildet.

Da nun der Glaube sich als der Hauptfeind des menschlichen Fortschritts erwies und noch erweist und es Zweck dieses Buches ist, zu der Wegräumung dieses mächtigen Hindernisses beizutragen, so wird es nötig sein, die Natur desselben zu untersuchen.

Was ich aus eigener Erfahrung kenne, brauche ich nicht zu glauben, das weiß ich; ich kann nur glauben oder nicht glauben, was ich aus dieser Erfahrung schließe oder was mir andere als ihre Erfahrung, oder als Schlüsse, die aus derselben gezogen sind, mitteilen.

Es gibt zwei Arten von Glauben: der vernünftige und der unvernünftige, und ihre Erklärung liegt schon im Beiwort. Was meine Vernunft als möglich annimmt, kann ich glauben ohne unvernünftig zu sein, selbst wenn das mir als Faktum Mitgeteilte nicht wahr sein sollte; glaube ich aber an das Geschehensein einer Handlung, welche meine Vernunft als unmöglich erkennen muß, so ist mein Glaube ein unvernünftiger.

Der Maßstab, den die Vernunft für die Möglichkeit einer Sache hat, ist ursprünglich einzig und allein die Erfahrung. Beispiele werden meine Ansicht klarer machen als Definitionen.

Erzählt mir jemand, er habe im Oktober einen Kastanienbaum blühen gesehen, und ich glaube ihm, so ist mein Glaube ein vernünftiger, selbst wenn derjenige, der mir die Sache erzählt, eine Unwahrheit sagen sollte. Ich selbst habe Kastanienbäume oder andere Pflanzen um diese Zeit blühen gesehen, welche sonst nur im Frühjahr zu blühen pflegen, und dasselbe ist mir von vielen Personen bekannt, von denen ich keinen Grund habe anzunehmen, daß sie eine Unwahrheit sagen.

Man sagt, die Sonne sei einundzwanzig Millionen Meilen entfernt. Ich glaube es, und mein Glaube ist kein unvernünftiger, obwohl ich die Entfernung nicht gemessen habe, da mir dazu die Mittel, das heißt die nötigen Kenntnisse fehlen. Ich habe aber Kenntnisse genug, um durch Berechnung die Entfernung von mir zu Punkten zu messen, zu denen ich nicht mit dem Maßstab gelangen kann, und habe die Richtigkeit meiner Rechnung durch Abschreiten oder mit dem Maßstab nicht selten geprüft, wenn das Hindernis, welches mich von dem Gegenstand trennte, vielleicht später hinweggeräumt wurde. Ich weiß daher, daß die Wissenschaft Mittel bietet, die Entfernung von Punkten zu messen, zu denen man nicht gelangen kann. Mein Glaube ist daher auf Erfahrung begründet, also vernünftig.

Es teilt mir jemand mit, ein Mensch sei von Liverpool nach New York durch die Luft geflogen. Wenn ich es glaube, so mag man mich leichtgläubig nennen, allein mein Glaube ist kein absolut unvernünftiger, denn ich weiß aus Erfahrung, daß der Unterschied zwischen der Schwere des Körpers und der Luft durch verschiedene Mittel ausgeglichen werden kann, und sehe Vögel fliegen mit Hilfe einer mechanischen Vorrichtung, der Flügel.

Sagt man mir aber, es habe ein Mensch durch sein Wort einen Körper geschaffen, das heißt ohne andere vorhandene Stoffe zur Hilfe zu nehmen, aus dem Nichts hervorgerufen, und ich glaube es, so ist mein Glaube ein unvernünftiger, denn ich selbst kann durch meinen Willen nicht einmal ein Staubkorn schaffen, noch ist es jemals bewiesen worden, daß es von einem Menschen geschehen ist.

Glaubt man, daß ein Gemälde oder ein Steinbild geredet oder eine willkürliche Bewegung gemacht habe, so ist dieser Glaube ein unvernünftiger, da eine solche Tat allen Erfahrungen widerspricht. Trotzdem mögen Personen, welche behaupten, Ähnliches erlebt zu haben, nicht absolut Lügner zu nennen sein, da die Erfahrung lehrt, daß es Seelenzustände gibt, in denen sich Menschen so fest einbilden, Dinge zu sehen oder zu hören, daß sie dieselben für Wahrheit halten, während sie in der Tat nur auf Sinnestäuschung beruhen.

Der Kreis unserer persönlichen Erfahrung kann wegen der Kürze unseres Lebens selbst bei dem Gebildetsten nur beschränkt sein, und wir würden uns gewissermaßen in die hilflose Lage der ersten Menschen versetzen, wenn wir allein das als wahr annehmen oder glauben wollten, was wir von unsern eigenen Erfahrungen und den daraus gefolgerten Möglichkeiten auf dem Wege des vernünftigen Denkens ableiten. Die wirklich festgestellten Erfahrungen vor uns lebender Beobachter sind das kostbarste, nie wieder zu verlierende Erbteil des lebenden Geschlechts.

Die Vernünftigkeit des Glaubens an diese die Erfahrung begründenden Tatsachen hängt von den Gründen ab, welche wir haben, an die Wahrhaftigkeit der Personen zu glauben, von welchen sie uns mitgeteilt wurden, wie auch von dem Grad ihrer geistigen Ausbildung, ihrem Charakter und ob sie fähig sind, eine absichtliche Unwahrheit zu sagen, wenn es ihrem Interesse dienen kann; ferner, ob die berichtete Tatsache isoliert dasteht, ob gleichartige von andern beobachtet wurden, ob sie ganz bekannten Naturgesetzen in bestimmter Weise zuwider sind und von vielen andern Gründen. Die Glaubwürdigkeit einer mitgeteilten Tatsache beruht daher zunächst auf der Autorität der Person, von welcher sie berichtet wird, und ob sie wirklich als selbst gesehen oder erfahren, oder als geglaubt, von Hörensagen angegeben wird.

Auf Erfahrung beruht die Wissenschaft; die Tatsachen sind die Sprossen der Leiter, welche unsere Vernunft zur Erkenntnis der Wahrheit führen, und daher ist die Wissenschaft der Todfeind des unvernünftigen Glaubens, da sie ihn als solchen erkennen lehrt und mit dieser Erkenntnis vernichtet.

Unvernünftigen Glauben nennt man gewöhnlich Aberglauben, und nach der Erklärung, die ich von der Entstehung der Religion gegeben habe, kann ich ohne alles Bedenken den religiösen Glauben als unvernünftigen oder Aberglauben bezeichnen. Dies gilt nicht nur von den Religionen der ersten Menschen, sondern von allen noch jetzt auf der Erde bestehenden Religionen, von denen sich ohne Schwierigkeit nachweisen läßt, daß sie nur eine in der Form veränderte Erweiterung der »vom Himmel«, das heißt aus den Wolken gekommenen Urreligion sind.

»Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.«

Wenn wir die vergangenen und bestehenden Religionen untersuchen, so finden wir, daß sie alle, ohne Ausnahme, auf Wunder gegründet sind, welche der Dichter sehr richtig als das Kind des (religiösen) Glaubens bezeichnet.

Im allgemeinen nennt man Wunder jede Erscheinung, Handlung oder Tatsache, deren Ursprung die Wissenschaft nicht angeben und nachweisen kann; ja, wir dehnen den Begriff dieses Wortes auch auf solche Erscheinungen aus, deren Ursachen wir wohl kennen, die uns aber als ungewöhnlich oder besonders merkwürdig auffallen, und in diesem Sinne reden wir zum Beispiel von Naturwundern.

Obwohl nun auch die Religion, das heißt die Priester, solche natürliche Wunder zu ihren Zwecken benutzte, als deren Ursachen dem Volk noch unbekannt waren, so ist doch das eigentlich religiöse Wunder ganz anderer Art und charakterisiert sich dadurch, daß es gegen die Natur ist, das heißt eine Aufhebung der bekannten Naturgesetze voraussetzt.

Den Völkern früherer Zeiten erschien eine Sonnen- oder Mondfinsternis oder ein Komet als ein Wunder, und derselbe Fall war es mit einer Menge von Erscheinungen, deren Ursprung die jetzige Wissenschaft nicht nur ganz klar nachweist, sondern auch ganz genau im voraus berechnet. – Manchen wilden Völkern ist ein Streichhölzchen noch ein Wunder, und selbst unsern eigenen niedern Volksklassen erscheint manches als Wunder, was dem Gebildeten eine alltägliche Erscheinung ist.

Die Priester, welche hauptsächlich mit den Göttern zu verkehren und ihren Willen zu erforschen hatten, der sich, wie wir gesehen haben, für sie in Naturerscheinungen äußerte, mußten durch Beobachtung wohl zunächst mit der Tatsache bekannt werden, daß es bestimmte Naturgesetze gebe. Indem sie ihre Erfahrungen von Priestergeschlecht zu Priestergeschlecht fortpflanzten, kamen sie auf dem Wege der Wissenschaft allmählich zur Kenntnis von Dingen, die sie für sich behielten, da sie diese Kenntnis zur Erhöhung ihres Ansehens im Volke äußerst brauchbar fanden. Einen Beweis dafür finden wir in dem Verhalten der alten ägyptischen Priester, die in der Erkenntnis der Natur und der Eigenschaft vorhandener Dinge sehr weit vorgeschritten waren und Erfindungen und Entdeckungen machten, die erst nach sehr vielen Jahrhunderten auf anderen Wegen ebenfalls entdeckt und allgemein bekannt wurden. Man fand z.B. in ägyptischen Gräbern metallene Gegenstände, deren Hervorbringung man sich gar nicht erklären konnte, bis man erst in diesem Jahrhundert durch die Erfindung der Galvanoplastik in den Stand gesetzt wurde, zu erkennen, daß sie auf galvanoplastischem Wege gemacht waren. Diese Kunst setzt aber schon bedeutende andere Erfahrungen und Entdeckungen in bezug auf die Eigenschaften natürlicher Substanzen voraus.

Daß die ägyptischen Priester die Wissenschaft zu dem eben angeführten Zwecke benutzten, wissen wir mit Bestimmtheit. Sie verrichteten Handlungen, welche die übrigen Menschen als Wunder betrachteten, und viele Schriftsteller der alten Zeit berichten von ägyptischen Künsten und ägyptischer Wissenschaft.

Ich erwähne diese ägyptische Wissenschaft insbesondere deshalb, weil sie die Mutter der in der Bibel erzählten Wunder ist, die wieder die Veranlassung zu den Wundern der römisch-katholischen Kirche wurden, welche jedoch meistens keineswegs mit Hilfe der Wissenschaften hervorgebracht, sondern von den Priestern erfunden wurden. Wunder, wie sie die Ägypter taten, setzten Kenntnisse voraus, die schwer zu erlangen waren; allein die römischen Priester fanden, daß sich noch wunderbarere Dinge erfinden ließen, die mit Rücksicht auf ihren Zweck ganz dieselbe Wirkung hervorbrachten, da sie geglaubt wurden; geglaubt, weil sie als Tatsachen von Männern erzählt wurden, an deren Autorität man nicht zweifelte und die zum Teil selbst glaubten.

Eigentliche Wunder, das heißt Dinge, welche gegen die Naturgesetze sind, kann es nicht geben; was geschieht, geschieht auf natürliche Weise und entspringt aus natürlichen Ursachen, und wenn wir diese Ursachen nicht erkennen können, da unsere Kenntnis von den Eigenschaften und Kräften der Natur noch beschränkt ist, so ist die Annahme doch eine durchaus vernünftige, wie aus den folgenden Auseinandersetzungen hervorgehen wird.

Viele gebildete Leser werden sich darüber wundern, daß ich mich bei den Wundern so lange aufhalte, da dies, um eine Modephrase zu gebrauchen, »ein längst überwundener Standpunkt« ist; allein wenn dies auch in bezug auf den Gebildeten der Fall sein mag, so hat doch das Volk im allgemeinen diesen Standpunkt noch keineswegs überwunden, und selbst der größte Teil derer, die sich zu den Gebildeten zählen, werden aus den folgenden Beweisen erkennen, daß sie an Wunder glauben.

Die Verteidiger des Wunderglaubens sagen zum Beispiel: Gott ist allmächtig, aus Nichts hat Gott die Welt gemacht; und Millionen nehmen das als eine so unumstößliche Wahrheit an, daß sie es mit Abscheu als ein Verbrechen betrachten, wenn jemand sagt: »Gott ist nicht allmächtig, Gott hat nicht die Welt aus Nichts gemacht, denn ein solcher Glaube ist unvernünftig.«

Daß das Weltall, welches aus getrennten Körpern besteht, die nach bestimmten Gesetzen zusammengesetzt und vermöge der jedem Körper innewohnenden Eigenschaften miteinander zu dem großen Ganzen vereinigt sind, einen Ursprung, eine Ursache haben muß, muß jeder mit Vernunft begabte Mensch zugeben. Die Ursache oder Macht, welche das, was ist, bewegt und erhält, ist Gott; und was ich in dem hier Folgenden sage, bezieht sich durchaus auf diesen Begriff und auf keine subjektive Vorstellung der Weltursache, wie sie irgendeiner der bestehenden oder vergangenen Religionen zugrunde liegt.

Ich rede auch nicht von der Vorstellung, die ich mir selbst von Gott mache, denn diese, so vernünftig sie auch sein oder erscheinen mag, hat doch immer nur einen subjektiven Wert wie jede andere Gottvorstellung; ich untersuchte mit meiner Vernunft einfach, inwieweit sich die Idee der Allmacht und einer Erschaffung aus dem Nichts mit dem von mir oben definierten Begriff Gott verträgt. Ein Streben, das Wesen Gottes zu erkennen, ist gewiß der erhabenste Gebrauch, den der Mensch von dieser ihm von Gott gegebenen Vernunft machen kann.

Wir erkennen die Beschaffenheit einer Ursache einzig aus ihrer Wirkung, und zunächst erscheint uns als eine solche das Weltall mit den Gesetzen, die es erhalten und bewegen. Wir haben keinen anderen Anhaltspunkt für die Beurteilung dieser Kraft, welche den Stoff zu organischen Körpern vereinigt, als unsern eigenen Gedanken, kraft dessen wir imstande sind, aus vorhandenem Material, dessen Eigenschaften wir aus Erfahrung kennen, Zusammensetzungen herzustellen, durch deren Aufeinanderwirken ein bestimmter Zweck erreicht wird, wie es durch eine Maschine oder durch ein chemisches Präparat geschieht.

Vergleichen wir eine Sperlingsfalle, die sich ein Kind aus Ziegelsteinen erbaut, mit einer Dampfmaschine, die ein Schiff bewegt, so ist es klar, daß ein bedeutend mehr ausgebildeter Geist dazu gehörte, diese letztere zu erdenken, allein die Tätigkeit oder Kraft, durch die beide hervorgebracht wurden, die Ursache aber, ist gleichartig.

Vergleichen wir indessen den gewöhnlichsten Organismus, der einen Teil des großen Ganzen, der Welt, bildet, zum Beispiel eine Blume oder einen Baum, mit der allervollkommensten Maschine, welche der menschliche Gedanke hervorbrachte, so sieht auch der oberflächliche Beobachter, daß beide in bezug auf Vollkommenheit noch unendlich verschiedener sind als die Falle des Kindes und die Dampfmaschine; allein trotzdem ist der Schluß vernünftig, daß der Organismus, den wir bewundern, seinen Ursprung einer geistigen Tätigkeit verdankt, die derjenigen ähnlich ist, welche die Sperlingsfalle und die Dampfmaschine zusammensetzte.

Wenn wir aber den wunderbaren Organismus der ganzen Welt betrachten, soweit wir denselben erkennen können, so schließen wir aus der Vollkommenheit, die wir überall entdecken, daß der Geist, welchem dieser Organismus seinen Ursprung verdankt, die höchste Potenz geistiger Vollkommenheit sein müsse.

Manches in der Welt erscheint dem Beobachter allerdings unzweckmäßig und unvernünftig, also unvollkommen; allein die Erfahrung lehrt uns, daß eine unendliche Menge von Einrichtungen und Dingen, die früher den Menschen so erschienen, später als bewunderungswürdig und vollkommen erkannt wurden, nachdem man den Zweck entdeckt hatte. Diese Erfahrung ist so häufig gemacht, und die Menschen sind so oft von ihrem Irrtum überführt worden, daß es vollkommen vernünftig ist anzunehmen, daß der Weltorganismus vollkommen, daß er der angewandte Gedanke der höchsten Vernunft und daß alles, was ist, vernünftig ist.

Wir sind zu dem Schluß gekommen, daß die geistige Ursache der Weltorganisation, von der wir selbst einen Teil bilden, also Gott, dem menschlichen Geiste ähnlich sei, und sind daher vernunftgemäß berechtigt, von diesem Anhaltspunkt weiterzuschließen.

Der menschliche Geist kann vorhandenen Stoff zu bestimmten Zwecken zusammensetzen, allein er kann durch seinen Gedanken oder Willen keinen Körper aus dem Nichts hervorrufen oder schaffen, auch nicht einmal das kleinste Sandkörnchen. Da nun unser Geist der einzige Anhaltspunkt für das Verständnis geistiger Kraft ist und wir aus der erkannten Gleichartigkeit des menschlichen Geistes mit Gott auf die Eigenschaften Gottes nur von denen schließen, die wir selbst besitzen, so kommen wir zu dem logischen Schluß, daß Gott die Welt, das heißt den Stoff, nicht geschaffen haben kann.

Da wir aber wissen, daß alles, was innerlich dieser Welt – von einem darüber Hinausliegenden können wir überhaupt gar keinen Begriff haben – geschieht und ist, eine Ursache hat, so fragen wir natürlich: welches ist die Ursache des Stoffes? – und um sie zu lösen, sind wir wieder auf unsere Erfahrung und Vernunft angewiesen, die jedes Urteil überhaupt begründen.

Kein Mensch kann einen Körper aus dem Nichts schaffen, allein ebensowenig vermag er es, den Stoff zu vernichten. Die Form, in welcher sich der Stoff zeitweilig darstellt, sehen wir täglich zerstören, und wir vermögen das ebenfalls; allein von dem Stoff selbst, aus dem irgendein Körper zusammengesetzt ist, geht auch nicht das kleinste Teilchen verloren, wie jeder Chemiker am besten weiß, der sich täglich damit beschäftigt, Körper in ihre verschiedenen Bestandteile zu zersetzen.

Unser eigener Körper kehrt nach dem Tode »zur Erde zurück«. Das heißt, die Bestandteile, aus denen er besteht, zersetzen sich und werden wieder Bestandteile anderer Körper. Legen wir Silber in Salpetersäure, so löst dieselbe das Metall auf und verwandelt dasselbe in eine Flüssigkeit, in der das Silber durch das Auge nicht zu erkennen ist; allein wir wissen, daß es darin steckt, und haben Mittel, es wieder in seiner Gestalt als Metall herzustellen. – Verbrennen wir einen Körper; das heißt zerstören wir seine Form durch Feuer, so zersetzt er sich in Asche, Rauch und Gase, in andere Körper; denn wenn auch das Gas unsichtbar ist, so ist es doch anderen Sinnen wahrnehmbar, zum Beispiel dem Geruch, und wir können es messen und wiegen und aus der Verbindung von Gasen sogar wieder sichtbare Körper herstellen, wovon das Wasser das bekannteste Beispiel ist.

Da unsere Erfahrung keinen aus dem Nichts entstandenen Körper kennt und ebensowenig von der absoluten Vernichtung eines solchen weiß, so kommen wir zu dem Schluß, daß der Stoff, das Körperliche, die Materie, weder geschaffen wurde noch vernichtet werden kann, also vorwärts und rückwärts ewig ist.

Der Begriff Ewigkeit ist für uns unfaßbar, weil wir zu ihrer Beurteilung nur die Zeit haben, welche ein endlicher Begriff ist. Ob wir zu der Ewigkeit eine Minute oder eine Million Jahrhunderte hinzutun oder davon hinwegtun, ist gleichgültig, denn es bleibt immer Ewigkeit.

Noch unfaßbarer, weil wir dafür auch nicht den Schein eines Anhaltspunktes haben, ist für uns ein absoluter Geist oder absolute geistige Kraft; denn jeder Geist und jede geistige Äußerung, die wir kennen, steht in Verbindung mit der Körperwelt, und ebenso ist uns ein Körper undenkbar ohne geistige Beeinflussung, denn selbst der Stein ist gewissen Gesetzen unterworfen.

Wir kommen daher zu dem Schluß, daß der Stoff und der ihn belebende Geist ewig verbunden waren und daß ein von der Welt abgesonderter Gott undenkbar und unmöglich ist.

Da Gott die höchste Potenz der Vernunft und der zur Welt zusammengesetzte Stoff das Werk derselben ist, so ist alles, was ist, vernünftig, vollkommen und keiner Verbesserung fähig, wie auch keiner Änderung, die nicht nach den ewigen, absolut vollkommenen Gesetzen vor sich geht. Da nun ein Wunder nach der früher gegebenen Erklärung eine Handlung oder ein Ereignis ist, welches den Naturgesetzen widerspricht, so ist ein solches selbst Gott unmöglich, denn die höchste Vernunft kann nicht irren.

Gott kann also kein Wunder tun und kann keinen Stoff aus dem Nichts erschaffen, ist also nicht allmächtig, und die Vorstellung von einem wundertuenden, allmächtigen Gott ist eine in sich selbst zerfallende. Diejenigen, welche damit ihrer Verehrung vor dem höchsten Wesen den höchstmöglichen Ausdruck gegeben zu haben meinen, sind im Irrtum, da, wie eben gezeigt wurde, diese Vorstellung von Gott eine zu geringe ist.

Sie würde für die Welt im allgemeinen keine größere Bedeutung haben wie irgendwelche andere, wenn sie nicht einer Religion zugrunde läge, welche als Hauptstütze des Despotismus gilt und seit Jahrhunderten zu diesem Zwecke benutzt wurde.

Die Regierungen selbst der als aufgeklärt geltenden Staaten gehen noch immer von der Idee aus, welche ursprünglich Priester und Despoten verband, daß nur Furcht vor der unsichtbaren Macht, welche doch der Hauptfaktor der Religion der Religiösen ist, imstande sei, die Achtung vor dem Gesetz und dem Fürsten zu erhalten. Aus diesem Grunde wird die Erziehung der Jugend auf das strengste vom Staat überwacht und der Kontrolle der Priester überlassen, damit diese die Kinderseele bereits mit dem Glauben vergiften, welcher zur Erhaltung der Religion absolut nötig ist.

Den Grund dieser Religionspflege, dieser Sorge für den religiösen Sinn von seiten der Regierungen ist eine mehr oder weniger bewußte Maßregel despotischer Gelüste und Tendenzen, und das Vorgeben, daß der religiöse Sinn zum individuellen Wohl der Untertanen mit solcher Strenge aufrechterhalten werde, eine offenbare Heuchelei und handgreifliche Lüge.

Königin Christine von Schweden, die Tochter Gustav Adolfs, war katholisch geworden und hielt sich viel in Rom auf. Als sie den alten Oxenstierna einlud, dorthin zu kommen, entsetzte sich der orthodoxe Protestant bei dem Gedanken, daß der Papst es auf seine Seele abgesehen habe. Christine, die den Papst und seine Absichten besser kannte, antwortete lachend: »Glaubt mir, der Papst gibt nicht vier Taler für Eure Seele.« Ich glaube kaum, daß irgendeine Regierung aus bloßer väterlicher Teilnahme für das Schicksal einer Seele, nachdem deren Inhaber durch den Tod aus dem Untertanenverband ausgeschieden ist, vier Silbergroschen geben würde.

Ich habe nicht nötig, über diesen Vorwand für den ausgeübten Religionszwang noch ein Wort zu sagen, und darf dreist behaupten: je sorgfältiger eine Regierung die Religion durch Zwangsmaßregeln unterstützt, je ängstlicher sie darauf bedacht ist, die Erziehung in der Hand der Priester zu lassen, desto despotischer sind ihre Neigungen.

Die Behauptung, daß der Religionszwang zur Erreichung des vernünftigen Staatszwecks noch immer notwendig sei, daß ohne denselben die Gesetze nicht hinreichen würden, Verbrechen zu verhindern, ist eine falsche, welche durch die Erfahrung widerlegt wird. Diese lehrt, daß in denjenigen Ländern, in welchen durch die Reformation ein Teil des religiösen Glaubenswulstes hinweggeräumt und der durch die Wissenschaft verbreiteten Aufklärung mehr Spielraum gewährt wurde, weit weniger Verbrechen begangen werden als in den katholischen. Wilberforce beweist uns, daß bereits dreißig Jahre nach der Reformation die Zahl der in England hingerichteten Verbrecher sich von 2000 auf 200 jährlich verminderte.

Seit die Reformation der »Freiheit eine Gasse« bahnte, sind aber über drei Jahrhunderte vergangen, und wenn auch die reformierten Fürsten und Priester über die Nützlichkeit des Religionszwanges ganz dieselben Ansichten haben wie die katholischen, so ist die Organisation der reformierten Kirche doch nicht so geeignet wie die der katholischen, der Entwicklung der Wissenschaft hindernd in den Weg zu treten, obwohl es an dem aufrichtigen Willen hierzu besonders bei den Geistlichen wahrhaftig nicht fehlte. Die Wissenschaft hat der Tat nach den Aberglauben vollständig überwunden, und trotz aller Bemühungen der Finsterlinge, trotz aller Hausmittel der Despoten, wie Zensur, Lehrzwang usw., gewinnt sie täglich mehr und mehr Einfluß im Volk, und dasselbe sieht täglich klarer, daß es seit Jahrhunderten das Opfer des grandiosesten Schwindels war, den die Geschichte kennt; und daß der Eigennutz der Priester und Despoten an der Menschheit ein Verbrechen beging, welches an Schlechtigkeit und Gemeinschädlichkeit jedes andere übertrifft.

Wäre die Ansicht richtig, daß der kirchliche Glaube nötig sei, die Achtung vor dem Gesetz zu erhalten, dann müßte die größte Zahl der Verbrecher aus den gebildeten Ständen kommen, die, wenn sie sich aufrichtig prüfen, gestehen müssen, daß sie von dem, was im Katechismus gelehrt wird, sehr wenig oder gar nichts so glauben, wie es die Kirche verlangt.

Der wirkliche Gebildete verletzt nicht das Gesetz, weil er sich vor irgendwelcher Strafe fürchtet, die ihn hier oder nach dem Tode treffen könne, sondern einfach, weil das Gefühl für Recht und Unrecht in ihm Fleisch und Blut geworden ist. Je ausgebildeter der Verstand eines Menschen ist, desto weniger wird er selbst der Versuchung ausgesetzt sein, ein Verbrechen zu begehen, und durch ein Befördern der Mittel, welche die Bildung erzeugen, würde die Regierung am besten dazu gelangen, in bezug auf die zur Erreichung des vernünftigen Staatszweckes nötigen Gesetze einen Zustand herzustellen, wie er bereits faktisch in bezug auf die Anstandsgesetze besteht. Selbst wenn die Polizei es gestattete, würde es doch unter tausend Menschen kaum einem einfallen, entblößt durch die Straßen zu gehen, und wenn es jemand tut, so bedarf es meistens nicht der gesetzlichen Gewalt, ihn daran zu verhindern oder dafür zu bestrafen, denn es geschieht durch die Gesellschaft selbst.

Mag die Religion auch in früheren Jahrhunderten einen guten Einfluß geübt und nicht allein zur Unterdrückung der Despotie, sondern überhaupt der gesellschaftlichen Ordnung gedient haben; im gegenwärtigen Jahrhundert ist sie für den Staatszweck nicht nur durchaus unnütz, sondern geradezu schädlich, da sie der Entwicklung der Wissenschaft und der durch sie erzeugten Bildung hinderlich ist.

Die tägliche Erfahrung lehrt, daß heutzutage die Menschen, selbst der ungebildeten Klassen, nicht durch religiöse Furcht von Verbrechen abgehalten werden. Man frage nur einen Polizei- oder Kriminalbeamten auf sein Gewissen, und jeder wird gestehen müssen, daß – mit äußerst seltenen Ausnahmen – selbst der dümmste Bauer einen Gendarmen, also das Gesetz und die durch dasselbe diktierte Strafe mehr fürchtet als Gott oder den Teufel. Alles, was die Regierungen durch ihre Zwangsmaßregeln in bezug auf Religion erzeugen, ist einerseits Gleichgültigkeit dagegen, wenn nicht Haß und Verachtung gegen die bornierte oder despotische Zwecke verfolgende Regierung, oder eine zur Gewohnheit gewordene, alle Schichten der Gesellschaft durchdringende und sie demoralisierende Heuchelei.

Was wir von unseren Regierungen verlangen, ist, daß sie als solche von der Religion gar keine Notiz nehmen und sie nicht, wie es jetzt fast noch überall der Fall ist, den Aberglauben aussäen und sein Wachstum befördern zu können glauben. Wer das Bedürfnis der Religion fühlt, mag dieselbe ausüben und sich mit andern zu diesem Zwecke vereinigen; das Gesetz wird ihn in dieser Ausübung beschützen und sich erst dann hindernd einmischen, wenn durch diese Ausübung die gesetzlichen Rechte anderer beeinträchtigt werden. Ist die Religion durch sie selbst stark, so braucht sie keine Unterstützung und Begünstigung von seiten der Regierung; hat sie aber Grund, die Wissenschaft zu fürchten, so beruht sie auf Aberglauben, und je eher sie dem Feinde desselben unterliegt, desto besser ist es für die Menschheit.

Wie wir allmählich die Fürsten gezwungen haben, den Despotismus aufzugeben oder wenigstens seine Unberechtigung dadurch anzuerkennen, daß sie ihn unter konstitutionellen und andern Masken verstecken, so werden sie auch durch die Macht der öffentlichen Meinung gezwungen werden, ihre schützende Hand von dem Aberglauben abzuziehen und seine Ausrottung der Wissenschaft zu überlassen. Wir wissen sehr wohl, daß die Trennung von Kirche und Staat nicht ohne Schwierigkeiten vonstatten geht, und können die Natur derselben nach denen beurteilen, mit welchen in diesem Augenblick die österreichische Regierung nur deshalb zu kämpfen hat, weil sie die zu anmaßend gewordene Dienstmagd in ihre Schranken zurückzuweisen gezwungen wurde. Der Widerstand geht nicht allein von den Pfaffen aus, sondern er wird durch das von ihnen im Aberglauben erzogene und erhaltene Volk teilweise unterstützt. Nun rächt sich »der Fluch der bösen Tat« an der Regierung, welche, als sie es noch wagen durfte, despotisch zu sein, mit allem Eifer den Pfaffen die Waffen schmieden half, welche dieselben nun gegen sie anwenden.

Der Kampf gegen die Anmaßungen der in ihren Ansprüchen durchaus logischen römischen Kirche würde ohne besondere Schwierigkeiten zu Ende geführt werden können, wenn die Regierungen sich entschließen könnten, ehrlich mit dem Aberglauben zu brechen; allein sie wünschen von demselben zu behalten, was den despotischen Tendenzen ihrer Leiter nützt, welche freiere Institutionen meistens nicht deshalb bewilligen, weil sie von der Berechtigung des Volkes zur Freiheit und Selbstregierung überzeugt, sondern einfach, weil sie zu Konzessionen und Aufgabe eines Teils ihrer Macht gezwungen sind, um nicht alles zu verlieren. Sie fühlen, daß der religiöse und politische Aberglaube Zweige desselben Stammes sind, deshalb hüten sie sorgfältig die Wurzel.

Die Erfahrung lehrt, daß das Wissen den Aberglauben jeder Art zerstört und daß es unmöglich ist, seiner Verbreitung gänzlich Einhalt zu tun, denn wie Luft und Licht dringt das Wissen durch kaum wahrnehmbare Poren in den geistigen Körper des Volks und entwickelt in ihm die latenten, natürlichen Kräfte, welche den Aberglauben zersetzen und ausscheiden.

Es hat Zeiten gegeben, wo der dem Eindringen des Wissens entgegengesetzte Widerstand bedeutend stärker war, als es jetzt der Fall ist, und wo die Männer, die sich seine Verbreitung zur Lebensaufgabe stellten, ihr Streben mit Leben und Freiheit zu bezahlen hatten; dennoch ließen sie nicht ab, und das Wissen schritt fort. Es wäre törichte Feigheit, den Kampf nicht kräftiger fortzuführen, da der endliche Sieg des Wissens über den Aberglauben von keinem mit gesundem Sinne begabten Menschen mehr bezweifelt werden kann.

Obwohl jeder allgemein für die Verbreitung des Wissens wirken kann, so ist es doch zweckmäßig, wenn die Kämpfer ihre Wirksamkeit auf besondere Punkte in der Schlachtlinie richten, welche andere Situationen beherrschen.

Einer der Schlüsselpunkte der feindlichen Stellung ist der persönliche Einfluß der römischen Priester auf das Volk, denn der Aberglaube desselben wurzelt ursprünglich in Autoritätenglauben. Das Volk glaubt, daß die Männer, welche ihm die Lehre der römischen Kirche erklären, achtungswerte Männer sind, die nicht allein selbst glauben was sie sagen, sondern auch einzig und allein das Wohl der Menschen im Auge haben, wenn sie von ihnen unbedingten Glauben und ein Befolgen der von der römischen Kirche verlangten Handlungen fordern. Es wird daher ein verdienstliches Werk sein, dem Volke zu beweisen, soweit dies durch die Geschichte möglich ist, daß die ehrlichen Priester, das heißt diejenigen, die selbst glauben, von unehrlichen Priestern betrogen wurden; daß Aussagen und Fakta, die als wirklich geschehene berichtet werden, zu diesem oder jenem selbstsüchtigen Zwecke erfunden wurden, und daß das ganze Gebäude der Kirche auf einem Fundament von greifbaren Lügen erbaut wurde. Es wird daher verdienstlich sein, historisch nachzuweisen, daß die größte Zahl der Päpste und ihrer Priester bewußte Betrüger waren, welche nicht entfernt das Wohl des Menschen, sondern einzig und allein ihren eigenen Vorteil im Auge hatten und zur Erreichung dieses nichtswürdigen Zweckes die allernichtswürdigsten Mittel anwendeten.

Dieses historisch nachzuweisen, ist der spezielle Zweck des nachfolgenden Buches. Mich treibt dazu kein eigennütziger Zweck, denn welcher persönliche Vorteil ließe sich dadurch erzielen? Mich treibt einzig die Liebe zur Wahrheit und der Wunsch, vielleicht einige Menschen, die sich von den Fesseln des Aberglaubens bedrückt fühlen, davon zu befreien, indem ich ihnen zeige, daß diese Fesseln Einbildungen sind; mit dieser Erkenntnis wird der Geist frei.

Da ich nun keine eigennützigen Zwecke mit der Verbreitung der Wahrheit verbinden kann, so dürfte ich gewiß ebensoviel Anspruch auf Glaubwürdigkeit machen wie irgendein Priester, der, so ehrlich er auch sein mag, doch immer zu derjenigen Klasse gehört, welche von dem, was ich als Lüge bloßlege, Nutzen zieht; allein ich verlange gar keinen Glauben; es stehen ja jedem dieselben Quellen zu Gebot, aus denen ich diejenigen Tatsachen schöpfte, die mir als Beweise dienen und denen ich Glauben schenke, weil ich keinen vernünftigen Grund habe, ihnen zu mißtrauen; wer meint, daß ich imstande sei, irgendwelche Aussagen einem Heiligen oder hochgeachteten katholischen Kirchenlehrer unterzuschieben, kann sich ja leicht davon überzeugen, indem er die von der Kirche selbst anerkannten und veröffentlichten Werke dieser Männer nachliest.

Katholische Priester, welche von Leuten befragt werden, die dieses Buch lesen, werden höchstwahrscheinlich alle oder viele von mir gemachten Angaben als Lügen bezeichnen, und viele werden ihnen glauben, wie sie ihnen andere Dinge glauben. Viele Priester werden meine Angaben wirklich für Lügen halten, weil sie eben unwissend sind. Wenn sie imstande sind, ihre Faulheit zu überwinden und ihnen an der Wahrheit liegt, so mögen sie sich belehren. Dies Buch, welches unendliche Mühe und großen Fleiß erforderte, ist ebensowohl für ehrlich strebende unwissende Priester wie für diejenigen geschrieben, welche von ihnen ebenso betrogen werden, wie sie selbst es von Unwissenden oder von bewußten Lügnern wurden.

Das in Rom sich vorbereitende Konzil könnte den Glauben erwecken, als sei es die Absicht des Papstes, die römisch-katholische Religion den Erfordernissen der Gegenwart anzupassen. Es wird sich diese Ansicht jedoch sehr bald als eine irrtümliche herausstellen. Die ganze Handlungsweise sowohl des vorigen wie des jetzigen Papstes liefert den klaren Beweis, daß beide im Gegenteil danach streben, die Glaubensherrlichkeit des Mittelalters wiederherzustellen, und daß sogar die Hoffnung gehegt wird, sämtliche Protestanten in den Schoß der »alleinseligmachenden« Kirche zurückzuführen. Es liegt dieser Zuversicht eine wunderbare Verblendung, ein gänzliches Verkennen des Zeitgeistes zugrunde, und wir hegen die wohlbegründete Erwartung, daß diese Kirchenversammlung, welche die Aufmerksamkeit selbst der Gleichgültigen auf religiöse Gegenstände lenken muß, durch die von ihr zutage geförderten Glaubensdummheiten der römisch-katholischen Kirche einen härteren Stoß versetzen wird, als es in den letzten hundert Jahren selbst durch die Wissenschaft geschehen ist.

Wie die Pfaffen entstanden sind

Inhaltsverzeichnis

Hüte dich vor dem Hinterteil des Maultiers, vor dem Vorderteil des Weibes, vor den Seiten des Wagens und vor allen Seiten eines Pfaffen.

Altes Sprichwort

Zur Zeit, als Augustus sich zum römischen Kaiser gemacht hatte, schmachtete die ganze damals bekannte Welt unter dem Joch der Römerherrschaft. Geldgierige und gewalttätige Statthalter des Kaisers sogen die Länder des Orients aus und nahmen den Bewohnern noch das wenige, was ihnen von ihren einheimischen Fürsten gelassen wurde, welche die Römer aus Gründen einer klugen Politik nicht überall abschafften. Freiheit, Leben und Eigentum der Menschen waren der Willkür der Herrschenden preisgegeben: ihr Zustand war ein trostloser, und der unterdrückte Orient seufzte nach Erlösung von dem harten Joch.

Alle unterdrückten Völker hoffen auf einen Helden, welcher sie aus der Knechtschaft erlösen wird, und die Dichter schaffen eine Sage und werden Propheten. Die aus dem Gefühl und Bedürfnis des Volkes hervorgegangene Prophezeiung wird häufig Ursache ihrer Erfüllung.

Die geknechteten Völker des Orients hofften auf einen solchen Befreiungshelden, den Messias, unter welchem sie sich eine Art von Washington oder Garibaldi dachten, der sie von dem verhaßten Römerjoche befreien sollte.

An diese Messiashoffnung klammerten sich die Menschen jener Zeit um so fester und inbrünstiger, als sie sonst keine Hoffnung und keinen Trost nach irgendeiner Richtung hin hatten und von ihrer eigenen Ohnmacht, sich selbst zu helfen, vollständig überzeugt waren. Sogar außerhalb der Erde fanden ihre trostlosen Herzen keinen Stützpunkt. Die Götter hatten ihren Kredit verloren, und der Glaube an ihre Hilfe und unparteiische Gerechtigkeit war niemals besonders groß gewesen. Der Olymp verkehrte wenig mit dem Plebs, sondern hielt sich zur Aristokratie. Die von Homer und Hesiod erfundenen Götter, denen die Griechen und ihre Geistesvasallen Tempel erbauten, waren der gebildeteren Klasse ein Spott geworden. Der Glaube des Volkes an ihre Hilfe erstreckte sich vielleicht ungefähr so weit als der norddeutscher Katholiken an die der Heiligen.

Die Hoffnung auf den Messias war unter den Juden noch lebhafter und ungeduldiger, weil ihnen die Herrschaft der Römer noch verhaßter war als anderen Völkern. Sie hatten eine Vergangenheit, auf welche sie mit Stolz zurückblickten; sie glaubten das auserwählte Volk Jehovas zu sein, welcher als ihr unsichtbarer König galt, der stets seit Moses durch die Propheten mit ihnen verkehrte. Die Knechtschaft, in welche sie verfielen, betrachteten sie als eine für ihren Ungehorsam von Jehova über sie verhängte Strafe, und da diese schon lange dauerte und hart empfunden wurde, so war es natürlich, daß ihre Dichter, die Stimmen des Volksherzens, an Prophezeiungen reich waren. Die Römer waren den Juden als Heiden ein besonderer Greuel; sie meinten, ihre Not und Demütigung könne keinen höhern Grad erreichen und die Zeit des Erscheinens des Messias müsse nahe sein. David und sein Sohn waren ihre größten Könige gewesen, und die Propheten hatten verkündet, daß der Messias aus dem Geschlechte Davids entstehen solle. Die Religion der Juden, die schon von Anbeginn hauptsächlich in der Beobachtung von bestimmten Vorschriften bestand, die Moses mit klugem Sinn für die Regenerierung des jüdischen Volkes gab und als unmittelbare Gebote Jehovas darzustellen für zweckmäßig fand, war im Laufe der Jahrhunderte zu einem leeren Zeremoniendienst ausgeartet. Die Zeit war reif für das Erscheinen des Messias. Der Erlöser erschien; allein er erschien in einer andern Gestalt, als ihn das Volk träumte; das Volk erkannte ihn nicht an, und die Aristokratie verachtete, verfolgte und kreuzigte ihn; denn kamen seine Grundsätze zur Geltung, so zerstörten sie nicht sowohl die Herrschaft der Römer, sondern machten der ihrigen ein Ende. Jesus war ein Revolutionär, der auch in unserer Zeit, wenn nicht gekreuzigt, doch standrechtlich erschossen oder in ein Zuchthaus gesperrt werden würde.

Der als der von den Propheten verheißene Messias auftretende Jesus, der Sohn eines kleinen Handwerkers aus einem Landflecken, lehrte: »Es gibt nur einen Gott, er ist ein Gott der Liebe und kein zorniges, rachedurstiges Wesen, sondern ein gütiger Vater aller Menschen. Das Leben auf dieser Erde ist nur eine Vorbereitung für ein ewiges Leben mit Gott, und es ist in die Hand eines jeden gegeben, dasselbe zu einem freudenreichen zu machen. Könige und Sklaven sind vor Gott gleich, und er richtet und belohnt die Menschen nicht nach ihrem Ansehen auf Erden, sondern nach ihren Handlungen und Absichten. Die Letzten und Geringsten, die ihre Leiden und Entbehrungen am geduldigsten tragen und tugendhaft bleiben, werden im ewigen Leben die Ersten, die Glücklichsten sein.«

Diese Lehre war Balsam für die verzweifelnden Herzen der Armen; wer an sie glaubte, fest und innig glaubte, dem gab sie Kraft, alle und selbst die herbsten Leiden nicht nur zu ertragen, sondern selbst mit Freuden zu tragen und dem Tod ohne Furcht entgegenzugehen, denn derselbe war eine Erlösung, die Pforte zu einem ewigen Leben voll Glück. Der Glaube an diese Lehre raubte in der Tat »dem Tod den Stachel«, er erlöste die Menschheit.

So trostreich diese Verheißung auch klang, so wenig ließ sich ihre Wahrheit beweisen; denn vor der prüfenden Vernunft besteht sie ebensowenig wie irgendeine andere, die über den Tod hinausreicht. Jesus substituierte nur eine Behauptung durch eine andere; da aber der Glaube an seine Behauptung die Menschheit glücklicher machte als jeder andere, da er sie von den Leiden der Erde und der Furcht vor dem Tode erlöste, so war es ein sehr verdienstliches Werk, denselben zu erzeugen. Der in der Lehre enthaltene Trost machte die Menschheit diesem Glauben sehr geneigt; allein der alte Glaube der Juden beruhte auf der Autorität von Männern, die als Propheten galten, mit Gott in direktem Verkehr zu stehen vorgegeben und dieses Vorgeben durch wunderbare Handlungen unterstützt hatten.

Aller Glaube ist Autoritätenglaube; wollte der Sohn des Zimmermanns aus Nazareth, dessen Eltern und Geschwister man kannte, Glauben an seine Autorität gewinnen und als Prophet, als der Messias anerkannt werden, so mußte er Handlungen verrichten, wie sie die Propheten verrichtet hatten. Alle Propheten von Moses an hatten »Wunder« getan; also mußte Jesus Wunder verrichten und verrichtete sie.

Selbst eine auf dem Wege vernünftiger Untersuchung gefundene Wahrheit kommt noch heutigen Tages nicht zur Geltung, wenn sie nicht durch äußere Umstände unterstützt wird und nicht in zeitgemäßem Gewände auftritt, besonders wenn sie viele Interessen verletzt, und selbst Aberglauben hat weit größere Aussicht auf augenblicklichen Erfolg, wenn er diesen Interessen schmeichelt. Der Glaube, den Jesus erzeugen wollte, obwohl dem Armen und Unterdrückten Heil verheißend, verletzte die Interessen der herrschenden Klasse. Auf ihre Mithilfe konnte Jesus nicht rechnen, und durch Wunder waren sie nicht zum Glauben zu bringen; denn die Wissenden und Eingeweihten wußten, was sie von Wundern zu halten hatten. Die Heilsamkeit des Glaubens für das Volk, den Jesus predigte, konnte sie nicht bewegen, ihn zu unterstützen, selbst wenn sie ihn einsahen; ihr Egoismus veranlaßte sie vielmehr, diesen Glauben womöglich im Keim zu unterdrücken und dessen Urheber zu vernichten. Die heutigen Hohenpriester und Pharisäer handeln ebenso wie die unter den Juden in jener Zeit.

Jesus mußte sich also gänzlich auf das Volk stützen. Er verfuhr dabei auf durchaus praktische, ich möchte sagen mathematische Weise, die zwar keinen augenblicklichen, aber einen sichern Erfolg haben mußte. Er wählte sich als »Jünger« zwölf schlichte, ungebildete Leute aus dem Volk, welchen er durch Beobachtung seines Handelns und seines reinen Wandelns persönliche Liebe und Anhänglichkeit und unbegrenztes Vertrauen einzuflößen verstand, woraus der feste Glaube an alles, was er sagte und verhieß, in ihnen erzeugt wurde. Wenn jeder von diesen Jüngern auf ähnliche Weise verfuhr und dieses System fortgesetzt wurde, so mußte sich die Zahl der Gläubigen nach einer bestimmten Progression vermehren.

Diese Jünger sahen die Wunder Jesu; sie glaubten an ihn und deshalb an seine Verheißung und lebten nach seiner Vorschrift. Seine Lehre war so einfach, daß Jesus es nicht für nötig hielt, sie niederzuschreiben; er vertraute dem lebendigen Worte der Jünger, in deren Herzen er diese Lehre niederlegte.

Derselbe Weg, den Jesus zur Ausbreitung seiner Lehre einschlug, hatte sich schon sechs Jahrhunderte vor dem Auftreten Jesu als praktisch bewährt; Buddha, der Reformator der indischen Religion, hatte ihn angewandt. Der Erfolg war derselbe und, wie wir jetzt beurteilen können, sogar in seinen Ausartungen und deren Folgen. Europäer, welche zum erstenmal in einen modernen buddhistischen Tempel in China treten, sind erstaunt über die Ähnlichkeit, die sie überall in den Gebräuchen mit denen der römischen Kirche finden. Die Buddhisten haben ihre Rosenkränze, Reliquien und Klöster so gut wie die römischen Katholiken.

Buddha war jedoch der Sohn eines Königs, Jesus der Sohn eines Handwerkers, und diese Verschiedenheit bedingte schon eine Verschiedenheit der Handlungsweise. Während dem Prinzen ein tugendhaftes Leben genügte, den Brahminen gegenüber seine revolutionären, den Kastenunterschied aufhebenden Lehre Erfolg zu sichern, mußte der unter den Juden als Prophet auftretende Handwerkerssohn außerdem »Wunder« tun und, damit »die Prophezeiungen der Propheten erfüllt würden«, für seine Lehre sterben.

Dieser Opfertod erschien Jesus als eine Notwendigkeit; er war eine reiflicher Überlegung entsprungene Handlung. Daß dieses Opfer ein sehr schweres war und Jesus unter Herzensangst darüber nachdachte, ob sich nicht ein anderer Weg finden lasse, geht aus den Evangelien ganz klar hervor. Am Ölberg betete er: »Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe.«

Wir sind es gewohnt, wenn wir an Jesus denken, ihn uns mit der Glorie vorzustellen, mit der ihn der Erfolg und neunzehn Jahrhunderte bekleideten; allein wenn er auch die Aufmerksamkeit seiner Zeitgenossen, das heißt der Juden und der in ihrem Lande befindlichen Römer, erregte, so war er doch vom Volke sehr bald vergessen, und sein Andenken lebte nur in dem sehr beschränkten Kreise seiner Jünger und deren Anhänger. Philo, der ungefähr zwanzig Jahre nach dem Tode Jesu starb, erwähnt ihn gar nicht. Josephus, der einige Jahre später geboren wurde und sein Geschichtswerk in den letzten Jahren des ersten Jahrhunderts schrieb, erwähnt ganz beiläufig mit wenigen Worten seine Hinrichtung; allein die Zahl der Anhänger seiner Lehre war noch so gering und unbedeutend, daß dieser Geschichtsschreiber, der alle Sekten aufzählt, die zu seiner Zeit bestanden, die Christen gar nicht mitnennt. Erst in den Schriften späterer Jahrhunderte wird Jesus als der Stifter der christlichen Religion genannt.

Alles, was wir von Jesus wissen, wissen wir durch die Schriften seiner Jünger, die aus der Erinnerung aufzeichneten, was sich das Volk von der Jugend Jesu erzählte und was sie mit ihm erlebt und er bei dieser oder jener Gelegenheit gesagt hatte. Diese Jünger waren Leute aus dem Volk, ohne besondere Bildung und Talent, die Jesus liebten und an ihn glaubten, ihn aber nur sehr unvollkommen verstanden und von seiner Seelengröße keinen Begriff hatten. Die Evangelien wurden viele Jahre nach dem Tode Jesu niedergeschrieben, und selbst das des Matthäus, welches das älteste ist, entstand erst etwa vierzehn Jahre danach. Es ist daher sehr begreiflich, daß die Reden Christi nicht so wiederholt werden konnten, wie er sie sprach, sondern meist in der Weise wiedergegeben wurden, wie sie von den Jüngern verstanden wurden. Die natürliche Folge davon ist, daß die verschiedenen Erzählungen nicht nur voneinander abweichen, sondern auch Irrtümer und Widersinnigkeiten enthalten, welche späterhin zu den wahnwitzigsten Auslegungen und Folgerungen Veranlassung gaben, wovon wir im Verlaufe dieses Werkes zahlreiche Beispiele finden werden.

Hier wollen wir nur zwei Hauptmomente in Betracht ziehen, auf welche die römische Kirche den allergrößten Wert legt, indem sie weit mehr auf diese als auf die Lehre Jesu selbst basiert ist. Es sind dies die ihm zugeschriebene Göttlichkeit und die von ihm verrichteten Wunder.

In der Einleitung haben wir uns über die Wunder ausgesprochen. Sind die dort ausgeführten Folgerungen richtig, so konnte Jesu keine Wunder verrichten, und die ihm zugeschriebenen wunderbaren Handlungen geschahen auf natürliche Weise. Die Jünger, welche darüber als Augenzeugen berichten, sprachen die Wahrheit, das heißt, sie erzählten, was sie sahen, wie sie es verstanden. Sie kannten die Mittel nicht, durch welche diese Handlungen bewirkt wurden, denn wäre dies der Fall gewesen, so würden die Wunder ihnen nicht als solche erschienen sein und gerade die damit bezweckte Absicht, Glauben an Jesus zu erwecken, verfehlt haben. Was nun die Art der Erzählung der Jünger von dem Geschehenen selbst anbetrifft, so wird man sie leicht begreifen und beurteilen können, wenn man die Erzählung eines ungebildeten Mannes, zum Beispiel eines in sein Dorf zurückgekehrten Bauern, anhört, der in der Residenz den Vorstellungen eines »Zauberers« beiwohnte, welcher sein Publikum durch geschickte und sinnreiche Anwendung von mehr oder weniger bekannten natürlichen Kräften in Erstaunen versetzt.

Die Hinweisung auf sogenannte Taschenspielerkünste in Verbindung mit den von Jesus verrichteten Wundern hat für Christen etwas Widerwärtiges und Abstoßendes; allein das liegt mehr in der besonderen Ansicht, die sich in bezug auf die Person Jesu Geltung verschafft hat, und in der verhältnismäßig geringen Achtung, in welcher moderne Zauberer in einer Zeit stehen, in welcher die Wissenschaft schon so weit vorgeschritten ist, daß ihre Resultate zu Spielereien und zur bloßen Unterhaltung des Publikums benutzt werden können, ohne dasselbe wirklich zu täuschen.

Was den Enkeln kindisch und trivial erscheint, wurde aber oft von unseren Großeltern mit dem größten und furchtbarsten Ernst behandelt, wovon zum Beispiel das Hexenwesen einen betrübenden Beweis liefert, da diesem Aberglauben Hunderttausende unschuldiger Menschen zum Opfer fielen.

Wenn wir als wahr annehmen, daß Jesus wunderbare Handlungen verrichtete, und zu dem vernünftigen Schluß gekommen sind, daß sie keine Wunder waren, so müssen wir auch erstlich zugeben, daß sie zu einem bestimmten Zweck verrichtet wurden, und andererseits, daß sie »mit natürlichen Dingen« zugingen.

Der Zweck war offenbar der, die Jünger und andere zu überzeugen, daß Jesus mit höheren Kräften begabt sei als die gewöhnlichen Menschen, was durchaus nötig war, um ihn als Propheten, als den verheißenen Messias zu legitimieren und Glauben an seine göttliche Sendung zu erwecken, ohne welchen das große, die Menschheit erlösende Werk absolut nicht zu vollbringen war und zu welchem erhabenen Zweck Jesus selbst sein Leben opferte.

Gingen die Wunder aber mit »natürlichen Dingen« zu, so mußte Jesus eine Kenntnis dieser natürlichen Dinge und diese auf irgendeine natürliche Weise erworben haben, da es auf eine wunderbare, das heißt naturwidrige Weise, nicht geschehen sein konnte. Diese Kenntnisse verborgener natürlicher Kräfte sind Resultate der forschenden Wissenschaft, und es drängt sich uns natürlich die Frage auf: wo erwarb der Sohn eines Handwerkers diese Kenntnisse, welche selbst den Gebildetsten unter den Juden verborgen waren?

Ein römischer Schriftsteller, welcher beiläufig sagt, daß in Judäa ein Mann namens Jesu hingerichtet worden sei, welcher wunderbare Handlungen verrichtete, die er in Ägypten erlernte, gibt uns einen Anhaltspunkt, da die Evangelien über die Erziehungsperiode Jesu gänzlich schweigen und uns über sein Leben von seinem zwölften bis zu seinem dreißigsten Jahr gänzlich im Dunklen lassen.

Schon in der Einleitung haben wir erwähnt, daß die ägyptischen Priester in den Naturwissenschaften weit vorgeschritten waren und ihre Kenntnisse für sich behielten, da die Wissenschaft ihnen die Herrschaft über das Volk sicherte. Diese Wissenschaft gab ihnen natürlich auch andere Anschauungen über das Wesen Gottes und die Religion, und diejenige, welche sie selbst hatten, war sehr verschieden von derjenigen, welche sie für das Volk für zweckmäßig hielten und demselben lehrten.