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Phillip Modl

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Beschreibung

"Du bist ein Mörder, Red, ein erbarmungsloser Killer. Jemand wie du achtet das Leben nicht." Als sein Schiff auf einen fremden Planeten abstürzt, ist Red gezwungen, sich zusammen mit seinem Begleiter Alek durch eine ihm fremde Welt zu kämpfen. Die Gefahr ist allgegenwärtig und schon bald sind Illusion und Realität kaum mehr voneinander zu trennen. Der bitterste Feind aber kommt von unerwarteter Seite und Red muss sich diesem Wesen stellen. Das ist die einzige Möglichkeit, dieser Hölle zu entkommen, auch wenn der Schmerz zur Qual wird.

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Seitenzahl: 311

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Phillip Modl

Der Planet Nummer 17

Mein Dank gilt vor allem Kerstin, die sich tatsächlich die Zeit genommen hat, sich mit meiner schrägen Phantasie auseinanderzusetzen.BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Prolog

 

In den Chroniken jener Menschen, die als erste die Erde dauerhaft verließen, um andere Welten zu kolonialisieren, steht geschrieben, das All wäre ein toter Ort. Es sei eine dermaßen tiefe Leere, dass kein menschlicher Verstand in der Lage ist, auch nur einen kleinen Teil davon geistig zu erfassen. Der Mensch stehe nun vor einer ausschlaggebenden Wahl. Entweder beschreitet er den Weg seiner Ahnen und geht unzweifelhaft dem eigenen Niedergang entgegen oder aber er ist bereit, den größten Schnitt seit seiner Entstehung zuzulassen. Nur dadurch wäre es möglich, zu einer neuen Form des Lebens aufzusteigen.

Am Ende jener Chroniken heißt es abschließend, dass der Fluch der Menschheit nie gebrochen werden kann, wenn der Gedanke sich auch weiterhin blind stellt und die stärkste Macht im Universum nicht anerkennt, denn nur die Realität vermag es, den Menschen aus seiner Welt der Illusionen zu reißen.

 

> 1

 

Feuer umfing ihn, brannte mörderisch in seinen Lungen und versenkte seine Haut und sein Haar. Etwas prallte gegen seine Seite und schleuderte ihn mit voller Wucht gegen eine Wand. Der Schmerz explodierte und sein Körper war kurz davor in Stücke gerissen zu werden. Jemand schrie auf eine Art, wie man es nur einmal machte, doch das schien weit entfernt. Vielleicht war es auch nur ein Trugschluss, vielleicht gebar seine eigene Kehle diesen entsetzlichen Laut. Red wusste es nicht und es war ihm auch egal. Zu groß war die Qual, zu verworren seine gepeinigten Gedanken.

Metall knirschte und barst unter einer Urgewalt. Heiße Luft strömte in den Innenraum und ließ ihn ächzen. Am Boden liegend, versuchte er instinktiv seine Arme schützend vors Gesicht zu halten, aber das verursachte nur noch mehr Schmerzen. Ironischerweise war es sein eigenes Blut, das ihm einen winzigen Hauch von Linderung brachte, als es aus seinen unzähligen Wunden strömte und ihn wie einen nassen Umhang vor den züngelnden Flammen schützte. Der Raum brach mit einem unerträglichen Knall vollends auseinander, was fast die gesamte Inneneinrichtung zum herumwirbeln brachte, ganz so, als bestände sie lediglich aus Spielzeug. Ein wahrer Regen von glühenden Metallstücken prasselte auf ihn nieder, bevor eine Metallplatte ihm vollends das Bewusstsein raubte.

Als er wieder aufwachte, glaubte er endlich tot zu sein. Seine Schmerzen waren wie weggeblasen und ein Gefühl von sanfter Schwerelosigkeit umfing ihn. Im Bewusstsein, sich nun auf der anderen Seite zu befinden, schlug er seine Augen wieder auf und zuckte zusammen. Er sah… nichts, außer rot-schwarze und verschwommene Schlieren auf einem blauen Hintergrund. Dann stach das Brennen wieder zu und es war, als würde eine scharfe Klinge langsam in sein Hirn gestoßen, nur um ihn noch weiter zu martern. Das schlimmste aber war nicht diese physische Folter, sondern die psychische. Er verstand nicht was geschah, warum es geschah und wo er sich gerade befand. Lange Zeit darüber Nachzudenken, was er in seinem Zustand sowieso nicht zustande brachte, hatte er nicht, denn plötzlich, von einem Moment zum anderen, verschwand die Welt um ihn herum und eine große schwarze Leere breitete sich erneut aus.

Nachdem Red das zweite Mal sein Bewusstsein wiedererlangte, lag er auf dem Bauch. Noch immer umschlang ihn die eisige Hand des Schmerzes und noch immer hatte er das Gefühl, dass es noch schlimmer werden würde. Aber nichts geschah. Sein Kopf dröhnte in ungeahnten Höhen und sein Körper war größtenteils taub, was ihm nur zugute kam, denn es verringert die Qual. Ein widerlicher Geschmack aus blutiger Erde zusammen mit Erbrochenem lag ihm auf seiner Zunge. Stöhnend regte er sich, ließ es aber schnell wieder bleiben. War er etwa doch in der Hölle gelandet?

Es dauerte eine Weile, als ein kleiner, noch unverhohlen schwächlicher Funke Kraft in seine Glieder zurückkehrte und er sich teils robbend, teils kriechend von der Stelle, wo er gelegen hatte, entfernen konnte. Es war nicht der üble Geruch und die unbequeme Lage, welche nebenbei unzweifelhaft dafür gesorgt hatte, dass er nicht an seinen eigenem Blut erstickt war, die ihn dazu trieb, sondern seine Ausbildung. Er war Soldat. Ein Soldat der größten Republik dieses Universums und als solcher hatte er einen Ruf zu verlieren.

Mit einem Mal drehte er sich auf den Rücken und obwohl es ihm die Tränen in die Augen trieb, musste er lachen und zwar so laut er konnte. Es hörte sich eher wie ein verzweifeltes Krächzen an und klang wenig menschlich, aber das störte ihn nicht. Red war sich seiner eigenen Gedanken bewusst geworden und konnte nichts anderes mehr tun, als einfach nur zu lachen. So lag er da, verletzt, verbrannt, voll von seinem eigenen Erbrochenen. Zu allem Übel war sein Anzug an einer markanten Stelle nass, was ihm deutlich sagte, dass er sich selbst vollgepisst haben musste und das einzige woran er dachte, war sein Ruf. Wenigstens war es ein Beweis dafür, dass noch ein wenig Leben in ihm steckte.

Dann drang ein leises Plätschern an sein Ohr und erst jetzt bemerkte er das kleine Bächlein nur ein paar Meter neben ihm. Eigentlich hatte es die Bezeichnung Bächlein nicht verdient, eher ging es als ein Rinnsal durch. Das aber war unwichtig, meldete sich doch sein Durst mit so heftigen Schüben, dass seine trockene Kehle ihm mehr Leid zuzufügen schien, als seine vielen Wunden. Dennoch brauchte er eine gewisse Zeitspanne um überhaupt bis zum kühlen Nass zu gelangen und seine aufgeplatzten Lippen benetzen zu können. Dabei war sein Kopf so schwer, dass er zu tun hatte, ihn nicht einfach auf den Boden fallen zu lassen und am Ende wohl noch in der plätschernden Pfütze jämmerlich zu ertrinken. Trotz allem war das klare Wasser ein Genuss und er wiederstand der Versuchung zu viel davon zu trinken. Durchfall war das letzte, was er jetzt noch brauchte.

Da an Aufstehen nicht einmal zu denken war, drehte er sich abermals auf den Rücken und blieb einfach ausgestreckt liegen. Sein Blick klärte sich mit jedem Atemzug und trotzdem dauerte es lange, ehe Red das grüne Blätterdach über sich wahrnahm. Darüber lag ein so unschuldig blauer Himmel, dass es den Anschein hatte, als wäre alles in Ordnung. Unter anderen Umständen hätte ihm dieser Anblick Frieden schenken können, aber das unerträgliche Pochen in seinem Kopf ließ ihn nicht zur Ruhe kommen.

Irgendwo kreischte ein Tier, ein Vogel, dachte er und fügte bitter hinzu, dass er wohl dessen nächste Mahlzeit werden würde. Man musste kein Arzt sein, um zu erkennen, dass er keine Chance mehr hatte. Halbtot irgendwo im Urwald irgendeines fremden Planeten liegend, weder fähig zu laufen, noch überhaupt aufzustehen. Ohne fremde Hilfe war ihm sein Tod mehr als gewiss.

Seelenruhig und mit fahrigen Bewegungen tastete er über seinen Anzug und stöhnte auf. Der Mittelfinger seiner linken Hand war gebrochen, oder zumindest… Mit einem Ruck renkte er ihn wieder ein, wonach er mit schmerzverzehrter Miene zu allen Göttern betete, dass der Finger doch nicht gebrochen war. Daraufhin lenkte er die Hand wieder über den zerfetzten Anzug. Die meisten Taschen waren kaputt und leer, doch in einer fand er noch eine zerdrückte Zigarettenschachtel. Wieder betete er dankbar zu den Göttern, verfluchte sie allerdings, nachdem er feststellte, dass er kein Feuerzeug mehr bei sich trug.

„Geh doch zur Armee“, hatte seine Mutter gesagt. „Dann hast du einen halbwegs anständigen Job und ich muss dich nicht noch länger ertragen.“

Oh, wie er diese Frau hasste. Dabei hatte er im Grunde realistische Aussichten auf einen wirklich anständigen Job gehabt. Reiche Eltern, hohes Familienansehen, ältere Geschwister, die es bereits geschafft hatten und er… er war immer das schwarze Schaf gewesen. Gut, der einfachste Sohn war er nie, aber das kommt nun mal davon, wenn man versucht einem Kind etwas aufzubürden, was es nicht zu tragen bereit ist. Wie gern würde er all diesen hochtrabenden Blendern jetzt eine unanständige Geste zeigen und ihnen seine Wahrheit über sie ins Gesicht speien, aber dafür war es ja nun zu spät.

Mit der Zeit wurden seine Gedanken zäher und so dickflüssig wie Sirup. War dies der Tod, der durch Reds massiven Blutverlust bereits an der Tür klopfte und sich langsam in seinen Geist schlich? Er vermochte keine Antwort darauf zu geben und es war ihm auch gleich wie er sterben würde. Hauptsache, es dauerte nicht zu lange. Als Soldat hatte er oft genug schon Männer gesehen, die Stunden, wenn nicht sogar Tage gebraucht hatten, um ihren Körper endlich zu verlassen. Wer wollte das schon? Schlussendlich blieb ihm nichts anderes übrig, als zu warten, zu warten, dass die Schwäche seines geschundenen Körpers ihn übermannte und es zu Ende brachte.

 

> 2

 

Es war als würde er in ein unglaublich tiefes Loch fallen, immer weiter, immer tiefer. Red schrie, aber es waren lautlose Schreie des Entsetzens und der Verzweiflung. Er war allein und niemand würde ihn auffangen. Die Hitze der Luft steigerte sich ins kaum mehr Erträgliche. Es schien nun endlich soweit zu sein.

Dann drangen Stimmen an sein Ohr, fremde Laute, so schneidend, als würde jemand sein verbranntes Fleisch mit einer verbalen Klinge in Stücke teilen wollen. Doch so sehr er sich auch anstrengte das Bild vor seinen Augen klarer werden zu lassen, es gelang ihm nicht. Wie wehrte man sich gegen etwas, für das man keine Worte fand und man es nicht sehen konnte? Wären doch nur nicht dieser pochende Schmerz und das schwarze Loch, in das er unablässig fiel…

Jemand musste ihn erhört haben, denn auch wenn noch immer kleine Lichtblitze vor seinen Augen tanzten, teilte sich die schwarze Masse unter ihm und wich einer weiten grünen Fläche. Noch bevor Red begreifen konnte, schlug er auf dem Boden auf, sodass alle sein Organe zwangsläufig zerschmettertet wurden. Der sichere Tod, aber etwas stimmte nicht.

Mit einem erstickendem Laut trat er unmittelbar in die Realität zurück und lag wieder zitternd auf der Lichtung, auf der er dachte gestorben zu sein. Aber das war er nicht. Er hatte nur geschlafen und war nun durch seine eigenen Schmerzensschreie aufgewacht. Die Finger seiner beiden Hände krallten sich an der modrigen Erde fest und seine Füße bewegten sich scheinbar willkürlich hin und her. Red riss die Augen auf. Wenn seine Verletzungen ihn auch nach wie vor folterten, so spürte er wieder jede Zelle seines Körpers. Das brachte zwar nur noch mehr Schmerzen, aber immerhin war er nicht gelähmt.

Trotzdem mahnte er sich selbst zur Vorsicht, als er sich langsam auf den Bauch drehte und versuchte seinen Oberkörper durch die Arme in die Höhe zu stemmen. Es sollte erst beim vierten Anlauf funktionieren und selbst dann benötigte er noch einmal soviel Zeit, um seine Beine anzuwinkeln. Eine geraume Zeitspanne verharrte er in dieser Position und kämpfte gegen ein starkes Schwindelgefühl, wobei sich Speichel in seinem offenen Mund sammelte und in klebrigen Fäden zu Boden tropfte. Die Minuten verstrichen wie Stunden und erst als Red wieder annähernd klar denken konnte, versuchte er aufzustehen und es gelang ihm auf Anhieb.

Er stand sogar recht sicher, was ihm selbst ein breites Grinsen wert war. Zwar lag nach wie vor eine bleierne Schwere auf seinem gesamten Körper, aber er stand. Angesichts seines erbärmlichen Zustandes ein Wunder. Seine Kleidung war an unzählbar vielen Stellen gerissen, verbrannt und aufgerieben. Eingetrocknetes Blut klebte an der ehemals komplett schwarzen Uniform, zusammen mit einigen anderen Körperflüssigkeiten. Die freigelegte Haut sah nicht besser aus. Zumindest schien es, als wäre nichts gebrochen, jedenfalls nichts, was er in diesem Moment spürte. Das war nicht einfach nur Glück, das ging schon als Vergewaltigung von Fortuna höchstpersönlich durch.

Schließlich ließ er sich noch einmal neben dem Wasser führenden Rinnsal nieder, um seinen Durst zu löschen und den schlechten Geschmack in seinem Mund zu beseitigen. Es war ein zum Scheitern verurteilter Versuch. Kraftlos mit dem Kopf schüttelnd, versuchte er sich zu orientieren, was ebenfalls nichts brachte. Red befand sich am unterem Ende eines Hangs auf einer winzigen Lichtung. Dafür waren die Bäume umso gewaltiger und wuchsen in Höhen, wie er sie von Pflanzen nie für möglich gehalten hatte. Der mit vielen gelbroten Blättern übersäte Boden war von hellbrauner Farbe und wirkte schlammig, obwohl er an manchen Stellen steinhart war. Auffällig war das Fehlen von niedrigen Pflanzen, wie Sträuchern und Gras. Nichts, um ihn herum standen nur Bäume.

Seit über tausend Jahren, so schätzt man, bevölkert die Menschheit das Universum interstellar. Seitdem wurden viele Planeten besiedelt und mächtige Reiche gegründet. Weil man jedoch noch nirgendwo andersartiges Leben gefunden hatte, brachten die Menschen ihre eigene Pflanzen- und Tierwelt mit. So war es auch nicht verwunderlich, dass hier nur Bäume standen. Vielleicht hatte das Volk, welches hier lebte, kein Interesse an Unkraut. Im Prinzip war es für ihn auch völlig bedeutungslos. Das Einzige, was wichtig erschien, war, dass hier auf diesem Planeten irgendwo menschliche Siedlungen vorhanden sein mussten. Niemand pflanzte etwas auf einen Planeten, den er nicht auch bevölkern möchte. Es wäre ein zu großer Aufwand.

Wenn er noch lange hier herum stand, dann würde er wohl ebenso Wurzeln schlagen wie die Bäume um ihn herum, sinnierte er fade und entdeckte zur gleichen Zeit am Gefälle des Hangs eine merkwürdige Schleifspur. Bei genauerem Hinsehen wurde ihm bewusst, dass er es gewesen war, der hier über die Erde gerutscht ist, wobei er deutliche Spuren hinterlassen hatte. Nicht nur, dass Red einen Großteil der Blätter mit der Hilfe seines bewusstlosen Körpers zur Seite gefegt hatte, er hatte auch die harte Erde am Ende der unfreiwilligen Rutsche aufgebrochen. Ihm wurde übel, als er sich vorzustellen versuchte, wie das ausgesehen haben musste.

Mit einem resignierten Seufzer auf den Lippen lief er los. Dabei hoffte er am Anfang der Spur etwas Nützliches zu finden und sei es nur ein funktionierendes Feuerzeug für seine Zigaretten. Das und die vage Zuversicht auf überlebende Kameraden zu treffen, waren sein Antrieb, denn ein schmerzhaftes Ziehen begleitete jeden seiner Schritte.

Auch wenn es seiner harten Ausbildung widersprach, ließ Red sich von seiner Umgebung mehr und mehr ablenken. Diese Bäume, sie faszinierten ihn nicht wirklich, aber er bewunderte sie trotzdem. Nie hatte er sich für so etwas wie Botanik interessiert, viel zu langweilig, fand er, aber diese Gewächse waren anders… Einige waren so hoch und der Stamm so mächtig, dass man sie aushöhlen könnte und locker mehrere Großfamilien genug Platz zum Leben hätten, wie in einem mehrstöckigem Haus.

Es war einsam und plötzlich fiel ihm die Stille in diesem Wald auf. Außer seines rasselnden Atems und seiner teilweise sehr unbeholfenen Schritte, war da nichts, was Geräusche von sich gab. Obwohl die Wipfel dort oben sichtbar vom Wind gepeitscht wurden, waren sie zu weit weg, als das man das Rascheln der Blätter hören könnte. Diese Stille, sie machte ihm tief in seinem Innern mehr zu schaffen, als seine Wunden, denn sie wirkte nicht nur unnatürlich, sondern auch feindlich. Es war seltsam und kaum in Worte zu fassen und so fragte er sich, welche Menschen freiwillig in einem solchen Wald lebten.

Zu einer Antwort kam Red nicht mehr, denn in diesem Moment erreichte er sein Ziel und stellte ein weiteres Mal sein enormes Glück fest. Die Spur begann knapp am oberen Ende des Hanges. Wäre er nur einen Meter weiter entfernt gelandet, würde sein zerfetzter Körper hier überall verstreut herum liegen, da und dort und… „Geh doch zur Armee“ Er brachte es nur unter vollem Einsatz einer noch in ihm vorhanden Quelle der Ruhe zustande, nicht einfach laut los zu fluchen.

Stattdessen neigte er seinen Kopf wortlos und mit beinahe stoischer Gelassenheit in alle Richtungen und entdeckte, wenn auch mit Überraschung, was er gesucht hatte. Das Wrack des Raumschiffes Ostraka, jenes Schlachtschiffes, auf dem er bis zuletzt gedient hatte. Wie konnte sich ein Name nur so wörtlich bewahrheiten? Vor ihm eröffnete sich ein grausiges Bild der Verwüstung. Überall lag verbogenes Metall, das einer solch unglaublichen Hitze ausgeliefert gewesen war, die es an manchen Stellen geschmolzen hatte. Die gesamte rechte Flanke des Raumgefährts war aufgerissen, zumal die vordere Hälfte zur Gänze fehlte. Auf der Fläche um das Wrack herum lagen neben Teilen des Schiffes selbst auch Stücke der Inneneinrichtung und Leichen.

Gute Männer, dachte Red. Zwar konnte er keinen seiner Kameraden identifizieren, wie auch, waren es lediglich bis zu Unkenntlichkeit verkohlte Körperteile, aber er wusste, dass nur ehrenwehrte Männer auf der Ostraka ihren Militärdienst geleistet hatten. Fünfhundert Mann und keiner hatte den Tod verdient. Er fühlte sich unwohl bei dem Gedanken, dass er gekommen war, um die Überreste des Schlachtschiffes zu plündern und es damit zu entehren. Aber welche Wahl hatte er schon, wenn er überleben wollte?

Zunächst begnügte er sich allerdings mit dem Versuch, das Ausmaß der Zerstörung zu begreifen, aber etwas stimmte nicht. Die Schäden waren verheerender, als sie sein sollten. Er kannte sich mit Waffen sehr gut aus. Als ehemaliger verantwortlicher Offizier für zwanzig Plasmakanonen war das sein Job und so brauchte er nicht lange, um zu dem Schluss zu kommen, dass dieser Schaden nicht allein von einem 34iger Ionengeschütz stammen konnte. Das war unmöglich und vollkommen ausgeschlossen, aber sie waren nur einmal getroffen worden und das eben von einem solchen Geschütz. Normalerweise hätte es einem Schiff wie die Ostraka kaum etwas anhaben können, selbst bei einem Volltreffer. Das war nicht der alleinige Punkt seines Zweifels. So wie das Wrack dalag, musste es fast lotrecht vom Himmel gefallen sein. Nicht einen Baum hatte es beschädigt, keine längliche Furche in der Erde hinterlassen, nur einen der Form angepassten Krater geschaffen. Red hatte schon viele Unglücke mit Raumschiffen gesehen, aber noch nie eines, dass so unnatürlich abgestürzt wäre.

Viel Zeit darüber nachzudenken hatte er nicht, denn sein Magen meldete sich mit einem Knurren zu Wort und seine Lunge pfiff auch schon auf dem letzten Loch. Mit hastigen Bewegungen durchsuchte er die verbeulten Metallschränke und überhaupt alle Behälter die er finden konnte. Tatsächlich fand er einen heil gebliebenen und verschlossenen Topf mit Suppe, in der ein paar einzelne Fleischbrocken und andere undefinierbare Dinge schwammen. Sie schmeckte nicht im Mindesten und war kalt, aber er hatte schon bedeutend schlechtere Mahlzeiten zu sich genommen. Außerdem war er zu diesem Zeitpunkt nicht in der Position sich zu beschweren und konnte froh sein, dass diese Suppe das Feuer überhaupt überstanden hatte.

Nachdem das Essen restlos vertilgt war, setzte er seine Suche nach nützlichen Dingen fort. Es waren erschreckend wenige. Neben einer Taschenlampe, zwei weiteren Zigarettenschachteln, aber keinem Feuerzeug und ein paar Essensrationen, war da nichts Brauchbares mehr. Red verzog unwillig die Mundwinkel, als er sich nach dem Durchwühlen einer sehr in Mitleidenschaft gezogenen Metallkiste erhob. Wieder waren die Dinge im Innern durch die Hitze nicht mehr zu gebrauchen.

Etwas nachdenklich verließ er das Schiff und drehte sich noch einmal um, um es erneut zu mustern. Jedoch kamen dadurch nur noch mehr unbeantwortete Fragen auf. Diese lösten sich allerdings so rasch auf wie Butterstücke im Zentrum einer Sonne, als etwas Kaltes seinen Nacken berührte, was er zweifelsfrei als den Lauf einer Waffe identifizierte.

„Ganz ruhig jetzt“, sprach eine männliche Stimme mit einem schwachen und sehr weichen Akzent.

Red musste nicht lange überlegen, um diesen Akzent einer bestimmten Gruppe Menschen zuzuordnen. Melvénen, das Volk oder besser ein Volk, mit denen sie seit Jahrzehnten im Krieg standen. Mutterlos und ohne jegliches Ehrgefühl waren sie. „Seit wann wird man von euch so herzlich begrüßt?“

„Klappe! Ich sollte…“

In diesem Moment ergriff Red den bewaffneten Arm des Mannes und warf diesen mit einer oft geübten Bewegung wie ein Spielzeug über die Schulter, wobei er ihn gleichzeitig entwaffnete. Schwindel erfasste sein Bewusstsein, doch er zwang sich mit einem routinierten Blick die Umgebung nach weiteren Angreifern abzusuchen, aber da war niemand außer dem Mann, der sich nun stöhnten vor ihm auf den Boden wand. Zu seiner Überraschung war er in noch schlechterer Verfassung als Red selbst. Schweiß lief über die bronzefarbene Haut des Mannes, obwohl es nicht einmal lauwarm war. Wunden waren wieder aufgeplatzt und bluteten und sein linker Arm war blau angelaufen. Er schien gebrochen zu sein und das schon eine Weile.

„Woher kommst du?“, fragte Red aufgrund der Verletzungen des Mannes mit einem beinahe höhnischen Tonfall. Als der Melvéne aber nur lachte und zwei- dreimal Blut und Speichel ausspuckte, drückte er ihm die Waffe an die Stirn. „Hast du mich nicht verstanden oder willst du mich nicht verstehen?“

„Mach nur, drück ruhig ab, aber es wird dir nichts bringen, Larde.“

Larde war die schimpfwortähnliche Bezeichnung für einen Bürger der Larämeiischen Republik, die aus mehr als 25 bewohnten Planeten bestand und damit bei weitem die größte war. „Du irrst dich. Ich würde mit dir einen weiteren Mann zur Hölle schicken, der es verdient hat. Und glaub nicht, ich würde dich nicht erschießen, nur weil du momentan ein Krüppel bist.“

Der Melvéne lachte erneut. „Du hast keine Ahnung wo wir hier sind, oder?“ Als er keine Antwort bekam, fuhr er fort, „Wenn ihr nicht so verdammt überheblich wärt, dann wärt ihr auch nicht so blind.“

Das genügte ihm. Er griff nach dem Arm des Liegenden und drückte seine Finger auf eine Wunde, die sich daraufhin wieder öffnete. Der Mann schrie vor Schmerz und sein gepeinigter Körper zuckte unkontrolliert. Red hatte keinen Spaß dabei, aber er fühlte auch nicht, dass es falsch wäre, denn Völker, die nicht der großen Republik angehörten, waren wenig mehr als Barbaren. So war es und so wird es immer bleiben. Erst nachdem der Melvéne aufgehört hatte zu schreien und kurz davor stand das Bewusstsein zu verlieren, ließ er den Arm fallen. Die Waffe hatte ihre Position die gesamte Zeit jedoch nicht verändert und tat es auch jetzt nicht.

„Also, ich frage noch ein letztes Mal. Woher kommst du?“

„Gena!“, rief der Mann, während seine Lider flatterten. „Das Schiff, das euch angegriffen hat, bevor…“

„Bevor was? Rede, oder ich bringe dich dazu.“ Wieder streckte Red seine Hand aus.

Doch offenbar wollte der Melvéne, abgesehen vom wankenden Trotz in seinen Augen, nicht den Helden spielen und sagte unablässig auf die drohende Hand starrend, „Bevor unsere Schiffe in ein schwarzes Loch gesogen wurden.“

Zugegeben, er wusste nicht, was er erwartet hatte, aber das hier klang so aberwitzig, dass es eigentlich nur einer kranken Fieberfantasie entspringen konnte. Dennoch war er sich nicht sicher, ob er Lachen oder diesen Verwirrten einfach erlösen sollte. „Ich habe schon über zehn Jahre auf vielen Schiffen gedient und wir sind nicht ein einziges Mal einem schwarzen Loch auch nur nahe gekommen. So etwas ist vollkommen unmöglich. Zudem war da kein interstellarer Körper weit und breit und große schwarze Löcher tun sich nicht einfach so auf.“

„Aber es ist so, wie ich es sage. Du musst es akzeptieren oder sterben, Larde. Töte mich ruhig, aber irgendwann wirst auch du hier einsam verrecken, denn allein stehen deine Chancen noch schlechter.“

„Unsinn“, blaffte Red und erhob sich. Der Mann stellte für ihn keine Gefahr mehr da. „Ich werde mich nicht mit einem wie dir zusammentun, nur weil du etwas behauptest, wofür dir jeder Wissenschaftler wahrscheinlich die Haut in Streifen abziehen würde. Ein schwarzes Loch hätte uns sofort getötet.“

„Ach ja und wer sagt dir das? Etwa diese hochintelligenten Wissenschaftler, die schon einmal in einem waren?“

Er blickte hasserfüllt auf den Mann, der sich mit endlos langsamen Bewegungen in eine sitzende Position brachte. Ein kleiner, verschwindend geringer Teil bewunderte ihn auch, aber das war schnell vergessen. „Bist du der einzige Überlebende?“

Der Melvéne nickte knapp.

„Dein Name?“

„Alek.“

Red sah auf ihn herab, bevor er aufblickte und abweichend die Umgebung musterte, wobei er ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter machte. Der Melvéne hatte recht, als er sagte, dass es zu zweit eine größere Lebenschance gab. Das war logisch, aber konnte man ihm auch trauen? Wie gesagt, dieses Volk besaß nichts, was einem Ehrgefühl auch nur annähernd gleichkam. Nach einem relativ langen und unangenehmen Schweigen, lenkte er seine Augen wieder auf den Sitzenden. Dieser beachtete ihn nicht weiter und prüfte penibel seine Verletzungen, die nun kaum noch bluteten. „Red“, sagte er schließlich und suchte vergeblich eine dritte Person. Es wäre geradezu peinlich, wenn das hier ein Kamerad mitbekam, der den Absturz der Ostraka ebenfalls überlebt hatte. Dem war nicht so und nur Alek sandte ihm einen fragenden Blick. „Das ist mein Name. Ich heiße Red.“

Der Mann lachte verhalten mit einer Spur Spott. „Ich bin ernsthaft erstaunt. Von dir als Larde hätte ich eigentlich nicht damit gerechnet, dass du mit Bedacht handelst.“

„Spar dir die Luft lieber. Das hier klappt nur, wenn du dich an ein paar Grundregeln hältst. Erstens, ich heiße Red und nicht Larde und zweitens, bleib mir mit deinem abstrusen Gefasel von irgendwelchen schwarzen Löchern, die sich aus dem Nichts einfach auftun und alles um sie herum verschlingen vom Leib. Haben wir uns verstanden?“

„Wie du es wünschst… Red. Der Wahrheit kannst du sowieso nicht entrinnen.“

 

> 3

 

Seit mehr als zwei Stunden folgten sie nun schon dem Rinnsal, neben dem er erwacht war. Zuvor aber hatten sie noch ihre Wunden gesäubert, die größten verbunden und Aleks gebrochenen Arm notdürftig geschient. Außerdem stellte sich heraus, dass der Melvéne die Gena ebenso nach Brauchbarem durchwühlt hatte, wie er die Ostraka und beschämenderweise hatte er auch mehr hilfreiche Dinge gefunden und sie alle in einen Stoffsack von der Größe eines kleinen Kindes verstaut. Dem Gewicht nach, musste das halbe Schiff darin enthalten sein, doch tatsächlich waren es größtenteils Mahlzeiten für Soldaten in genormten Verpackungen, ein Seil und drei Feuerzeuge.

Letzteres war der wahre Segen für Red gewesen und so zog er genüsslich an einer seiner Zigaretten, während sie nebeneinander herliefen und sich nur ab und zu mal um- oder ansahen. Sobald eine menschliche Siedlung erreicht war, würden sie wieder getrennte Wege gehen, doch bis dahin galt es diese Schmach auszuhalten.

„Kippen sind ungesund“, warf Alek plötzlich den ersten Satz seit langem in die Wildnis.

Red zuckte nur mit den Schultern. „Aus abstürzenden Raumschiffen fallen ebenfalls.“ Ihm war klar, dass das nur ein Vorwand des Melvénen war, um ein Gespräch zu beginnen, auf das er selbst keine Lust hatte.

Das schien diesen aber nicht davon abzubringen einfach los zu plappern. „Kommt dir dieser Wald nicht auch unheimlich vor? Ich meine… außer den Bäumen, die ziemlich hoch sind, ist hier nichts. Ich habe noch nie einen Wald gesehen, in dem nur Bäume standen.“

„Irgendwann ist immer das erste Mal.“ Eine bloße Phrase, mit der er zeigen wollte, wie egal ihm das war.

„Meine ich auch und deshalb denke ich, dass wir hier nicht auf Menschen, sondern etwas anderes treffen werden.“

Um ein Haar hätte Red seine Zigarette fallen lassen. Doch es gelang ihm, den Glimmstängel im letzten Moment doch noch festzuhalten und Alek einen Blick zuzuwerfen, in dem beinahe so etwas wie blankes Entsetzen geschrieben stand. „Was ist mit dir los, verdammt? Erst die schwarzen Löcher und jetzt dieser Mist. So etwas wie Aliens oder nichtmenschliche Intelligenz gibt es nicht.“

Auf dem Gesicht des Mannes erschien ein Ausdruck, der nur schwer zu deuten war, aber es sah sehr nach Mitleid aus. „Armer Larde. Armer, armer Larde. Wenn ihr doch nicht so verstockt wärt, dann…“ Er sucht nach Worten, ließ es dann aber bleiben, als er keine fand.

Red gab zu, dass sein rechte Faust sich zu verkrampfen begann. Er lockerte sie nur widerwillig, aber es musste sein. Eine Unterbrechung dieser unfreiwilligen Reise würde sie nur noch in die Länge ziehen und wem von den beiden konnte daran schon gelegen sein?

Mittlerweile war der schmale Wasserlauf neben ihnen mehrere Male mit einem zweiten verschmolzen und zu einem echten Bach angeschwollen, der auf dem besten Wege war, ein Flüsschen zu werden. Auch jetzt stand noch nicht einmal ein einzelner Grashalm an dessen Ufer und der Umgebung, was umso verwunderlicher war, war das Wasser doch das klarste und reinste, das er jemals zu Gesicht bekommen hatte. Abgesehen von dem einen oder anderen Blatt, das stromabwärts trieb. Es war trotz allem ein verstörendes Bild. Nicht ein größerer Stein zerschnitt das Wasser, das durch ein geringes Gefälle sehr, sehr langsam zu fließen schien und unnatürlich leise war. Dieser Ort war nur zum meditieren geeignet und nicht zum Leben, dachte er düster.

An der nächsten Biegung des Gewässers ließ Alek sich mit einem erschöpften Seufzer auf einer der dicken Wurzeln nieder und legte alles was er trug neben sich ab. Eine Pause zu machen gefiel Red nicht, aber er spürte deutlich, dass auch er sie bitter nötig hatte und setzte sich dazu. Den Stoffsack postierte er direkt zwischen sich und Alek, was diesem nicht entging, wozu er aber schwieg.

Nachdem einige Zeit verstrichen war und jeder einen der Essenspakete verspeist hatte, mit mehr oder weniger würgenden Lauten, gähnte Red und trat an das Bächlein, um seinen Durst zu stillen. Kalt war das Wasser nicht, aber auch nicht warm. Es war einfach nur… nass. Das war irritierend, gehörte jedoch zu seinen momentan geringsten Sorgen.

„Wir sollten diesen Wald verlassen und zwar so schnell wie möglich“, sagte der Melvéne nach kurzem Zögern.

„Erzähl mir etwas, das ich noch nicht weiß.“

„Ich meine es ernst, Red. Wenn uns die Nahrung ausgeht und wir noch immer in diesem verfluchten Wald sind, dann ist es ganz schnell aus mit uns.“

Ungeachtet des warnenden Untertons in der Stimme, blieb er ruhig und wusch sich ausgiebig. Das trug nicht wirklich zu einem besseren Erscheinungsbild bei, aber er fühlte sich besser. „Mach dir doch nicht gleich ins Hemd. Offenbar ist es in eurer Armee mit dem Optimismus nicht weit her. Aber angesichts der Tatsache, dass ihr uns als Feinde habt, ist das verständlich.“

Alek fluchte leise in seiner Muttersprache. „Wird man denn vom Optimismus satt? Das müssten wir nämlich, denn ich habe seitdem ich in diesem Wald bin nicht ein Tier gesehen, nicht einen Fisch, der in diesem Bach dort schwamm und erst recht keinen Strauch an dem essbare Früchte hingen.“

„Und was soll ich deiner Meinung nun machen? Zaubern, göttliche Kräfte walten lassen?“, fragte Red bissig.

„Nein.“ Aleks Mundwinkel schienen sich plötzlich von einem Ohr zum anderen zu ziehen, aber das Lächeln wirkte nicht freundlich, eher hämisch. Dann deutete er mit dem Finger nach oben.

Red verstand die Absicht des Melvénen sofort, was es nicht besser machte. „Vergiss es. Da steige ich nicht hoch.“

„Aber du musst. Es bringt nichts, wenn wir weiterhin einem Bach folgen, der uns ins Nichts führt. Ich würde es ja selber machen, aber…“ Er hob seinen geschienten Arm.

„Niemals. Das hättest du wohl gern. Während ich dort oben bin und höchstwahrscheinlich in den Tod stürzen werde, machst du dich hier heimlich mit dem Essen aus dem Staub.“

„Braucht ein Toter denn noch etwas zum Essen?“

„Leg dich lieber ein wenig hin und versuch zu schlafen. Wir brauchen eine größere Pause und gehen morgen weiter“, sagte Red und murmelte, „Außerdem gehst du mir schlafend weniger auf die Nerven.“ Wie zur Demonstration legte er sich auf den harten Boden und bettete sein Kopf auf eine der Wurzeln. Es würde kein ruhiger Schlaf werden, nicht hier und nicht mit dem Melvénen in der Nähe.

„Schlafen? Es dämmert noch nicht einmal“, protestierte Alek.

„Auf wie vielen Planeten warst du in deinem Leben schon? Warte, lass mich raten. Einer, vielleicht zwei…“

„Drei und…“

„Dann solltest du es besser wissen.“ Er sprach mit geschlossenen Augen und einem knurrenden Unterton in der Stimme. „Sieh nach oben und sag was du dort erkennst.“

„Was soll dieser…“

„Sieh nach oben!“

Alek fügte sich und blinzelte in die Höhe. „Jede Menge Baumkronen, eine Sonne die direkt über uns steht und einen wunderbaren blauen Himmel. Jedenfalls sehe ich nichts, was auf eine kommende Nacht hindeutet, Larde.“

Mit einem zufriedenen, leisen Lachen ließ sich Red seinen kleinen Triumph schmecken. „Hättest nur ein paar Mal mehr nach oben gesehen, dann hättest du festgestellt, dass die Sonne sich nicht ein einziges Mal bewegt hat. Entweder gibt es auf diesem Planeten keine Nacht oder sie kommt nur in sehr großen Abständen. Und jetzt halt deine Klappe und schlaf endlich.“

„Sollte nicht einer Wache halten?“

„Dann mach doch.“

Den Geräuschen nach nickte Alek, doch es konnte auch nur eine Täuschung sein. „Und wann soll ich dich zur Ablösung wecken?“

„Gar nicht.“

 

> 4

 

Wieder wurde Red von einem Albtraum heimgesucht, doch dieser war anders, als der davor. Er wusste, dass er träumte, aber das bewahrte ihn nicht vor dem Schmerz und der Einsamkeit. Wie auch im ersten Traum, bewegte er sich auf eine schwarze Wand hin, unerbittlich und unabwendbar. Doch jetzt fiel er nicht, er lief. Vor ihm tat sich das Schwarz wie ein böser und wispernder Abgrund auf. Im Traum hatte er keine Sinne, jedenfalls waren sie nicht zu spüren und dennoch war klar, dass es falsch war in die Richtung des Nichts zu laufen. Aber was tun, wenn die Beine taten, was sie nicht sollten, wenn sie einfach liefen, ohne dass er es wollte?

Da erklangen sie wieder, irgendwo hinter, vor oder sogar über ihm. Diese Stimmen, sie waren nicht menschlich. Diese Laute, sie schmerzten und quälten ihn. Red fürchtete, dass Blut aus seinen Ohren floss, und er versuchte zu schreien, damit sie leiser wurden oder er endlich aufwachte, aber seine Stimme war fort. Stumme Schreie, die niemand hören konnte. Eine grausige Parallele zum ersten Traum.

Es war auf eine Art eine Erleichterung, als sich der dunkle Vorhang hob, zugleich war es auch ein abgrundtiefer Schrecken, denn er sah sich selbst dahinter, zusammen mit seinen Kameraden von der Ostraka. Sie waren seine Freunde, wenn nicht sogar so etwas wie eine Ersatzfamilie für ihn gewesen und mit einem Mal begriff er, dass es nie wieder so sein würde. Nie wieder würde er mit ihnen auf etwas anstoßen und nie wieder würde er auch nur ein Wort mit ihnen wechseln können. Was hast du getan? Ein Satz erklang in seinen wirren Gedanken und er fegte alles wie ein vernichtender Sturm hinfort. Was hast du nur getan? Warum…

„…machst du so etwas? Ich dachte, man könnte sich wenigsten ein wenig auf euch verlassen, aber wie konnte ich nur? Wie konnte ich nur?“

Er wischte sich mit einer Hand über die Augen, bevor er sie endlich aufschlug und in das verärgerte Gesicht Aleks blickte. Dieser kam aus dem Fluchen gar nicht mehr raus und tat es mit einer solchen Inbrunst, dass sein Kopf wie ein überhitztes Stück Draht dunkelrot anlief. Mehr schlecht als recht gelang es Red, ihn mit ein paar quälend langsamen Gesten zum Schweigen zu bringen. „Hör auf zu keifen wie ein elendes Weib. Was ist denn überhaupt los, gottverdammt?“

Alek weitete die Augen so sehr, dass er insgeheim fürchtete, sie würden gleich aus den Höhlen treten und auf den Boden fallen. „Was los ist?“ Der Melvéne zog scharf die Luft ein. „Erst frisst du die Hälfte unserer Vorräte auf und dann fragst du mich was los ist, Larde?“

Von dem Gehabe des Mannes ließ sich Red nicht beeindrucken. Es handelte sich zwar um echte Wut, aber er kannte die Körpersprache eines Menschen gut genug, um zu erkennen, dass sein Begleiter es nicht wirklich auf eine körperliche Auseinandersetzung anlegte. Was ihn jedoch beunruhigte, war das, was Alek sagte und was sich mit einem Blick bestätigen ließ.

Der Stoffsack war dermaßen zerfetzt, dass er in Zukunft unbrauchbar sein würde, sowie auch das meiste, was sich in ihm befunden hatte. Fast alle Nahrungspakete waren aufgerissen und der Inhalt hatte sich mit einem ganz und gar unappetitlichen Anblick über die braune Erde ausgebreitet. Das ein oder andere Paket war auch einfach nur leer, was darauf hindeutete, dass sich jemand daran gütig getan hatte. Alles in allem reichte der Vorrat nun kaum noch bis zu nächsten Rast.

„Warum hast du das getan?“, fragte der Melvéne nun in einem gefährlich ruhigen Tonfall.