Der Quantenbeat des Lebens - Jim Al-Khalili - E-Book

Der Quantenbeat des Lebens E-Book

Jim Al-Khalili

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Beschreibung

WORUM GEHT ES? Leben ist das faszinierendste Phänomen des Universums. Aber wie entsteht es? Wie funktioniert es? Und wieso verändert es sich ständig? Die noch junge Wissenschaft der Quantenbiologie liefert bahnbrechende Erklärungen für diese bislang ungelösten Rätsel. Jim Al-Khalili und Johnjoe McFadden zeigen, wie die unglaublich kleinen Ereignisse in der Quantenwelt eine große Wirkung auf alles Leben haben. Genau wie Richard Dawkins' Das egoistische Gen kann dieses Buch unser Verständnis von Evolution grundlegend verändern. WAS IST BESONDERS? Dieses Buch eröffnet uns eine völlig neue Sichtweise darauf, wie Leben entsteht und sich erhält. Die Autoren verbinden aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse mit großartigen Erzählungen über das Faszinosum Leben. WER LIEST? • Jeder, der sich für neue Wissensgebiete interessiert • Die Leser von Richard Dawkins und Stephen Hawking

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JIM AL-KHALILI UND JOHNJOE MCFADDEN

Der Quantenbeat des Lebens

Wie Quantenbiologie die Welt neu erklärt

Aus dem Englischen von Sebastian Vogel

Ullstein

Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel Life on the Edge bei Bantam Press, London, einem Imprint von Transworld Publishers.

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ISBN 978-3-8437-1188-3

© 2015 © der deutschsprachigen Ausgabe 2015 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Umschlaggestaltung: Rudolf Linn, Köln nach einer Vorlage von R. Shailer

E-Book: L42 Media Solutions Ltd., Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

Für Penny und Ollie

1. Einleitung

Der winterliche Frost ist dieses Jahr früh gekommen in Europa. In der Abendluft liegt eine durchdringende Kälte. Tief im Inneren eines jungen Rotkehlchens nimmt ein zunächst vages Gefühl von Zielstrebigkeit und Entschlossenheit immer mehr an Stärke zu. In den letzten Wochen hat das Vogelweibchen weit mehr Insekten, Spinnen, Würmer und Beeren gefressen als normal. Jetzt ist es fast doppelt so schwer wie im August, als seine Jungen das Nest verlassen haben. Das zusätzliche Gewicht stammt vor allem von Fettreserven, und die wird es brauchen: Sie sind der Brennstoff für die anstrengende Reise, auf die es sich in Kürze begeben wird.

Dann wird das Rotkehlchen den mittelschwedischen Kiefernwald zum ersten Mal verlassen. Den Wald, der während seines kurzen bisherigen Lebens sein Zuhause war und wo es noch vor wenigen Monaten seine Jungen großgezogen hat. Zum Glück war der vorige Winter nicht allzu streng gewesen, denn damals ist es noch nicht ganz ausgewachsen und deshalb nicht kräftig genug für eine so lange Reise. Aber jetzt, da es seiner Elternpflichten bis zum nächsten Frühjahr ledig ist, braucht es sich nur um sich selbst zu kümmern. Es ist bereit, sich nach Süden aufzumachen und nach wärmeren Gefilden zu suchen, um dem kommenden Winter zu entfliehen.

Die Sonne ist schon vor einigen Stunden untergegangen, aber statt sich für die Nacht zur Ruhe zu begeben, hüpft das Rotkehlchen im Dämmerlicht an die Spitze eines der unteren Äste des gewaltigen Baumes, in dem es seit dem Frühjahr wohnt. Es schüttelt sich wie ein Marathonläufer, der vor dem Rennen die Muskeln lockert. Die orangefarbene Brust glänzt im Mondlicht. Die Mühe und die Sorgfalt, die es in den Bau seines Nestes gesteckt hat – es ist nur einen knappen Meter entfernt und teilweise hinter der moosbedeckten Rinde des Baumstammes verborgen –, verblassen in der Erinnerung.

Es ist nicht der einzige Vogel, der sich auf die Abreise vorbereitet. Auch andere Rotkehlchen, Männchen und Weibchen, sind zu dem Entschluss gelangt, dass dies die richtige Nacht ist, um die lange Wanderung nach Süden in Angriff zu nehmen. In den Bäumen um sich herum hört es deren durchdringende Rufe, die die üblichen Geräusche anderer nächtlicher Waldbewohner übertönen. Es ist, als fühlten die Vögel sich genötigt, ihre Abreise bekannt zu geben und den anderen Waldbewohnern gleichzeitig mitzuteilen, dass sie es sich genau überlegen sollten, ob sie die Reviere und die leeren Nester der Rotkehlchen in Besitz nehmen, während deren Besitzer fort sind. Denn ganz ohne Zweifel wollen diese im Frühjahr zurückkehren.

Noch einmal wendet das junge Weibchen den Kopf schnell nach der einen und anderen Seite und vergewissert sich, dass die Luft rein ist. Dann erhebt es sich in den Abendhimmel. Die Nächte sind mit dem Heranrücken des Winters länger geworden; bis es sich das erste Mal ausruhen kann, hat es rund zehn Stunden Flug vor sich.

Das Rotkehlchen schlägt einen Kurs von 195 Grad ein, 15 Grad westlich von der genauen Südrichtung. In den nächsten Tagen wird es mehr oder weniger immer in der gleichen Richtung fliegen und dabei, wenn alles gut geht, täglich mehr als 300 Kilometer hinter sich bringen. Es hat keine Ahnung, was ihm unterwegs bevorsteht, und kein Gefühl dafür, wie lange es dauern wird. Das Gelände rund um den Kiefernwald war ihm vertraut, aber schon nach wenigen Kilometern fliegt es jetzt über einer fremdartigen, mondbeschienenen Landschaft mit Seen, Tälern und Ortschaften.

Irgendwo, nicht weit vom Mittelmeer, wird es sein Ziel erreichen. Es hat sich nicht zu einem bestimmten Ort auf den Weg gemacht, aber wenn es an einer günstigen Stelle ankommt, wird es dort bleiben und sich die Charakteristika der Landschaft einprägen, so dass es in den nächsten Jahren hierher zurückkehren kann. Wenn es genügend Kraft hat, fliegt es vielleicht sogar bis an die nordafrikanische Küste. Aber dies ist seine erste Wanderung, und vorerst geht es nur darum, der schneidenden Kälte des herannahenden skandinavischen Winters zu entkommen.

Es scheint die anderen Rotkehlchen gar nicht zu beachten, die alle in etwa die gleiche Richtung fliegen und von denen manche die Reise schon viele Male unternommen haben. Es kann nachts hervorragend sehen, hält aber – anders als wir es auf einer solchen Reise tun würden – nicht Ausschau nach Orientierungsmarken. Es gleicht auch die Position der Sterne am klaren Nachthimmel nicht mit einer inneren Himmelskarte ab, wie andere nachtaktive Zugvögel es tun, vielmehr verfügt es über eine andere bemerkenswerte Fähigkeit. Mehreren Millionen Jahren der Evolution hat es das Rotkehlchen zu verdanken, dass es von nun an jedes Jahr im Herbst nach Süden ziehen und dabei mehr als 3.000 Kilometer zurücklegen kann.

Wanderungen sind im Tierreich gang und gäbe. Lachse laichen beispielsweise jeden Winter in den Flüssen und Seen Nordeuropas, die jungen Lachse folgen nach dem Schlüpfen dem Verlauf ihres Flusses bis ins Meer und in den Nordatlantik. Dort wachsen sie heran und kehren drei Jahre später – wenn sie geschlechtsreif sind – in die Flüsse und Seen ihrer Geburt zurück, um sich dort zu paaren. Amerikanische Monarchfalter wandern im Herbst Tausende von Kilometern über die gesamten Vereinigten Staaten nach Süden. Später kehren sie (oder ihre Nachkommen, denn sie paaren sich unterwegs) nach Norden in dieselben Bäume zurück, auf denen sie sich im Frühjahr verpuppt haben. Grüne Schildkröten, die an den Küsten der Insel Ascension im Südatlantik geschlüpft sind, schwimmen Tausende von Kilometern durch den Ozean, kehren aber alle drei Jahre zurück und paaren sich genau an demselben, von Eierschalen übersäten Strand, von dem sie stammen. Die Liste ließe sich beliebig verlängern: Viele Arten von Vögeln, Walen, Karibus, Langusten, Fröschen, Salamandern und sogar Bienen können Reisen unternehmen, die selbst für die größten Entdecker unter den Menschen eine Herausforderung darstellen würden.

Wie Tiere es schaffen, ihren Weg um die ganze Welt zu finden, war jahrhundertelang ein Rätsel. Heute wissen wir, dass sie sich verschiedener Methoden bedienen: Manche orientieren sich tagsüber an der Sonne und nachts am Sternenhimmel, manche prägen sich Merkmale der Landschaft ein, wieder andere können ihren Weg rund um den Planeten sogar riechen. Aber den rätselhaftesten Orientierungssinn von allen besitzt das Rotkehlchen: Es nimmt Richtung und Stärke des Erdmagnetfeldes wahr, eine Eigenschaft, die man Magnetsinn nennt. Und auch wenn wir mittlerweile eine ganze Reihe anderer Tiere kennen, die ebenfalls über diese Fähigkeit verfügen, so ist doch vor allem die Art und Weise, wie das Rotkehlchen (Erithacus rubecula) seinen Weg um den Globus findet, für unsere Geschichte von Interesse.

Diese besondere Fähigkeit ist in der DNA codiert, die das Rotkehlchen von seinen Eltern geerbt hat. Es ist tatsächlich eine Art sechster Sinn, mit dem der Vogel seinen Kurs bestimmt. Wie viele andere Vögel, Insekten und Meerestiere ist das Rotkehlchen in der Lage, das schwache Magnetfeld der Erde wahrzunehmen und daraus mit einem inneren Orientierungssinn Informationen über die Richtung zu beziehen; im Fall des Rotkehlchens ist dazu ein ungewöhnlicher chemischer Kompass erforderlich.

Der Magnetsinn ist ein Rätsel. Das Erdmagnetfeld ist nämlich mit 30 bis 70 Mikrotesla an der Oberfläche sehr schwach; es reicht aus, um eine fein und nahezu ohne Reibung aufgehängte Kompassnadel abzulenken, hat aber nur ein Hundertstel der Stärke eines typischen Kühlschranktürmagneten. Das wirft eine Frage auf: Damit ein Tier das Erdmagnetfeld wahrnehmen kann, muss dieses irgendwo im Organismus eine chemische Reaktion beeinflussen – nur auf diesem Weg nehmen alle Lebewesen, einschließlich des Menschen, äußere Signale wahr. Aber die Wechselwirkungen zwischen dem Erdmagnetfeld und den Molekülen in lebenden Zellen liefern weniger als ein Milliardstel der Energie, die notwendig ist, um eine chemische Bindung aufzulösen oder herzustellen. Wie also kann das Magnetfeld für das Rotkehlchen wahrzunehmen sein?

Rätsel, und seien sie auch noch so klein, sind faszinierend: Bergen sie doch die Möglichkeit, dass ihre Lösung zu einem grundsätzlichen Wandel in unserem Verständnis der Welt führt. Kopernikus hatte im 16. Jahrhundert über ein relativ unbedeutendes geometrisches Problem im Zusammenhang mit dem ptolemäisch-geozentrischen Modell des Sonnensystems nachgedacht, doch am Ende verschob er den Mittelpunkt des ganzen Universums – weit weg von der Menschheit. Darwins intensive Beschäftigung mit der geographischen Verteilung von Tierarten und die Frage, warum Finken und Spottdrosseln auf abgelegenen Inseln in extrem spezialisierten Formen vorkommen, führte ihn schließlich zu seiner Evolutionstheorie. Und als der deutsche Physiker Max Planck das Rätsel der Schwarzkörperstrahlung löste, die mit der Wärmeabstrahlung heißer Objekte zu tun hat, gelangte er zu der Vermutung, dass die Energie in abgegrenzten Paketen oder »Quanten« vorliegt, womit im Jahr 1900 die Quantentheorie geboren war. Könnte also eine Antwort auf die Frage, wie Vögel ihren Weg rund um die Welt finden, auch zu einer Revolution der Biologie führen? Die Antwort lautet »Ja«, so seltsam dies zunächst auch erscheinen mag.

Aber Rätsel wie dieses ziehen auch Pseudowissenschaftler und Mystiker magisch an. Der Chemiker Peter Atkins aus Oxford stellte 1976 fest: »Die Untersuchung der Wirkung von Magnetfeldern auf chemische Reaktionen war lange ein Tummelplatz für Scharlatane.«1 Tatsächlich wurden alle möglichen exotischen Phänomene – von der Telepathie und alten Verbindungslinien (»Ley-Lines«: unsichtbare Wege, die angeblich mit spiritueller Energie ausgestattete archäologische Stätten oder Landmarken verbinden) bis hin zum Konzept der »morphischen Resonanz«, das auf den umstrittenen Parapsychologen Rupert Sheldrake zurückgeht – irgendwann einmal als Mechanismen genannt, von denen sich Zugvögel auf ihren Wanderungen leiten lassen. Deshalb war es verständlich, dass Atkins in den 1970er Jahren solche Vorbehalte hatte: In ihnen spiegelte sich die Skepsis der meisten Wissenschaftler wider, die sich zu jener Zeit mit dem Gedanken beschäftigten, Tiere könnten möglicherweise das Erdmagnetfeld wahrnehmen. Es schien einfach keinen molekularen Mechanismus zu geben, der ein Tier dazu in die Lage versetzen sollte – zumindest keinen aus dem Bereich der konventionellen Biochemie.

Aber im selben Jahr, in dem Peter Atkins seine Skepsis zum Ausdruck brachte, veröffentlichte das deutsche Ornithologenehepaar Wolfgang und Roswitha Wiltschko aus Frankfurt einen bahnbrechenden Artikel in Science, einer der weltweit führenden wissenschaftlichen Zeitschriften. Darin wiesen sie zweifelsfrei nach, dass Rotkehlchen tatsächlich das Erdmagnetfeld wahrnehmen.2 Und was noch bemerkenswerter war: Sie konnten zeigen, dass der Magnetsinn der Vögel nicht wie ein normaler Kompass funktioniert. Während nämlich ein Kompass auf den Unterschied zwischen dem magnetischen Nord- und Südpol anspricht, kann ein Rotkehlchen nur zwischen Pol und Äquator unterscheiden.

Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie ein solcher Kompass funktionieren könnte, müssen wir uns mit den magnetischen Feldlinien beschäftigen, jenen unsichtbaren Spuren, die die Richtung eines Magnetfeldes definieren und an denen eine Kompassnadel sich ausrichtet, wenn man sie an irgendeiner Stelle in das Feld bringt. Am bekanntesten sind sie uns als Linienmuster, das Eisenfeilspäne auf einem Blatt Papier bilden, wenn man dieses über einen Stabmagneten legt. Man kann sich die Erde als riesigen Stabmagneten vorstellen, dessen Feldlinien aus dem Südpol entspringen, von dort nach außen verlaufen, einen Bogen machen und in den Nordpol eintreten (Abbildung 1.1). Solche Feldlinien verlaufen in der Nähe der beiden Pole fast im rechten Winkel zum Boden, aber in der Nähe des Äquators werden sie flacher und verlaufen nahezu parallel zur Oberfläche. Ein Kompass, der den Winkel zwischen den magnetischen Feldlinien und der Erdoberfläche misst – ein solches Gerät könnte man als Neigungskompass bezeichnen –, kann also zwischen der Richtung zum Pol und der Richtung zum Äquator unterscheiden. Eine Unterscheidung zwischen Nord- und Südpol ist dagegen nicht möglich, denn die Feldlinien verlaufen auf beiden Seiten des Globus im gleichen Winkel zur Erdoberfläche. Das Ehepaar Wiltschko wies 1976 in seiner Studie nach, dass der Magnetsinn des Rotkehlchens genau wie ein solcher Neigungskompass funktioniert. Das Problem war nur, dass niemand eine Ahnung hatte, wie ein biologischer Neigungskompass arbeiten könnte: Zu jener Zeit war einfach kein Mechanismus bekannt oder auch nur vorstellbar, mit dem sich erklären ließ, wie der Neigungswinkel des Erdmagnetfeldes im Organismus eines Tieres wahrgenommen werden könnte. Die Antwort war, wie sich herausstellte, in einer der erstaunlichsten wissenschaftlichen Theorien unserer Zeit zu finden: der Quantenmechanik.

Abb. 1.1: Das Magnetfeld der Erde.

Eine verborgene, gespenstische Realität

Würde man heute unter Wissenschaftlern eine Umfrage veranstalten und sich erkundigen, welche Theorie sie für die erfolgreichste, weitreichendste und wichtigste der gesamten Naturwissenschaft halten, hinge die Antwort vermutlich stark davon ab, ob man Vertreter der Physik oder der Biowissenschaften befragt. Die meisten Biologen würden wohl Darwins Theorie der Evolution durch natürliche Selektion anführen. Ein Physiker dagegen wird wahrscheinlich die Ansicht vertreten, dass diese Ehrenbezeichnung der Quantenmechanik gebührt – schließlich ist sie die Grundlage, auf der große Teile der Physik und der Chemie aufbauen. Die Quantenmechanik vermittelt uns ein bemerkenswert vollständiges Bild von den Bausteinen des gesamten Universums; ohne ihre Erklärungskraft würde sich ein großer Teil unserer heutigen Kenntnisse über die Funktionsweise der Welt in Luft auflösen.

Das Wort »Quantenmechanik« hat fast jeder schon einmal gehört, und auch die Vorstellung, dass es sich dabei um ein schwieriges Fachgebiet handelt, von dem nur sehr wenige, sehr schlaue Menschen etwas verstehen, ist weit verbreitet. In Wirklichkeit gehört die Quantenmechanik aber seit Beginn des 20. Jahrhunderts für uns alle zum Leben. Ihre wissenschaftliche Seite wurde Mitte der 1920er Jahre als mathematische Theorie entwickelt, mit der man die Welt des Allerkleinsten (auch Mikrokosmos genannt) verstehen wollte: das Verhalten der Atome, aus denen alles um uns herum besteht, und auch die Eigenschaften der noch kleineren Teilchen, aus denen sich die Atome zusammensetzen. Die Quantenmechanik beschreibt zum Beispiel, welchen Regeln die Elektronen gehorchen und wie sie sich innerhalb der Atome anordnen; damit ist sie die Grundlage für die gesamte Chemie, die Materialwissenschaften und auch die Elektronik. Und ihre mathematischen Gesetzmäßigkeiten bilden das Kernstück der meisten technischen Fortschritte des letzten halben Jahrhunderts. Würde die Quantenmechanik nicht erklären, wie sich Elektronen durch die Materie bewegen, wir hätten das Verhalten der Halbleiter – die Fundamente der modernen Elektronik – nie verstanden, und ohne Wissen über Halbleiter hätten wir weder den Siliziumtransistor noch später den Mikrochip und den modernen Computer erfinden können. Die Liste lässt sich beliebig verlängern: Ohne wissenschaftliche Fortschritte, die wir der Quantenmechanik verdanken, würde kein Laser existieren (und damit auch weder CDs noch DVDs oder Blu-ray-Player). Ohne Quantenmechanik gäbe es keine Smartphones, keine Satellitennavigation und keine MRT-Scanner. Schätzungen zufolge hängt über ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts der Industrieländer von Anwendungen ab, die ohne ein Verständnis der Quantenwelt schlicht nicht vorhanden wären.

Und das ist nur der Anfang. Wir können uns – aller Wahrscheinlichkeit nach noch zu unseren Lebzeiten – auf eine Quantenzukunft freuen: Uns werden dank laserbetriebener Kernfusion nahezu unbegrenzte Mengen elektrischer Energie zur Verfügung stehen, molekulare Maschinen werden eine Fülle biochemischer, medizinischer und technischer Aufgaben erledigen, Quantencomputer werden künstliche Intelligenz zur Verfügung stellen, und vielleicht wird man sogar die Teleportation, die heute noch Science-Fiction ist, regelmäßig zur Informationsübermittlung nutzen. Die Quantenrevolution des 20. Jahrhunderts gewinnt im 21. an Fahrt und wird unser Leben auf eine Weise verändern, die wir uns noch gar nicht vorstellen können.

Aber was ist Quantenmechanik eigentlich? Mit dieser Frage werden wir uns in dem vorliegenden Buch befassen, und um einen kleinen Vorgeschmack zu bekommen, wollen wir an ein paar Beispielen die verborgene Quantenrealität aufzeigen, die sich durch unser Leben zieht.

In unserem ersten Beispiel geht es um eine merkwürdige Besonderheit der Quantenwelt (genau genommen ist es die charakteristische Eigenschaft, über die man sie definiert): die Dualität von Welle und Teilchen. Wie wir alle wissen, bestehen wir selbst und die Dinge um uns herum aus einer riesigen Zahl winziger Teilchen, wie Atomen, Elektronen, Protonen und Neutronen. Manch einer weiß vielleicht auch, dass Energie, beispielsweise Licht oder Schall, in Wellenform auftritt und nicht in einzelnen Teilchen. Wellen sind nicht »portioniert«, sondern »am Stück«, und sie bewegen sich durch den Raum als – nun, eben als Wellen mit Bergen und Tälern wie die Wogen auf dem Meer. Die Quantenmechanik wurde geboren, als man in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts entdeckte, dass sich subatomare Teilchen wie Wellen verhalten können; umgekehrt können sich Lichtwellen auch wie Teilchen verhalten.

An die Dualität von Wellen und Teilchen braucht man zwar nicht jeden Tag zu denken, sie ist aber das Grundprinzip vieler sehr wichtiger Maschinen, so beispielsweise der Elektronenmikroskope, mit denen Ärzte und Wissenschaftler winzige Objekte, die so klein sind, dass sie unter herkömmlichen Lichtmikroskopen unsichtbar bleiben, identifizieren und studieren können, beispielsweise die Viren, die AIDS oder die gewöhnliche Erkältung verursachen. Die Entdeckung, dass Elektronen wellenartige Eigenschaften haben, gab die Anregung zur Erfindung des Elektronenmikroskops. Da solche Elektronenwellen eine viel kürzere Wellenlänge (der Abstand zwischen aufeinanderfolgenden Wellenbergen oder -tälern) haben als sichtbares Licht, zogen die deutschen Wissenschaftler Max Knoll und Ernst Ruszka den Schluss, dass man mit einem Mikroskop auf Elektronenbasis viel feinere Details darstellen können sollte als mit einem Lichtmikroskop. Der Grund: Jedes winzige Objekt oder Detail, dessen Abmessungen kleiner sind als die der Welle, die darauf fällt, hat auf diese Welle keinen Einfluss oder Effekt. Denken wir beispielsweise an Meereswellen mit Wellenlängen von mehreren Metern, die auf die Kiesel am Strand treffen. Durch Untersuchung der Wellen würde man nichts über die Form oder Größe eines einzelnen Kieselsteins erfahren. Dazu braucht man viel kürzere Wellenlängen, wie man sie beispielsweise in einem Wellentank erzeugen kann, den Sie vielleicht noch aus Ihrem Schulunterricht kennen: Mit seiner Hilfe kann man einen Kiesel daran »erkennen«, wie die Wellen von ihm abprallen oder um ihn herum abgelenkt werden. Im Jahr 1931 bauten Knoll und Ruszka das erste Elektronenmikroskop und nahmen damit die allerersten Bilder von Viren auf; Ernst Ruska erhielt dafür – ein bisschen spät vielleicht – 1986, zwei Jahre vor seinem Tod, den Nobelpreis.

Unser zweites Beispiel ist noch grundsätzlicherer Natur. Warum scheint eigentlich die Sonne? Den meisten Menschen ist wahrscheinlich klar, dass die Sonne eigentlich ein Kernfusionsreaktor ist: Durch Verbrennung von Wasserstoffgas werden Wärme und Sonnenlicht freigesetzt, die das Leben auf der Erde erst möglich machen. Weniger bekannt ist aber, dass die Sonne überhaupt nicht scheinen würde, wenn es nicht eine bemerkenswerte Quanteneigenschaft gäbe, die es Teilchen ermöglicht, »durch Wände zu gehen«. Die Sonne ist – ebenso wie alle anderen Sterne im Universum – in der Lage, so gewaltige Energiemengen abzugeben, weil die Kerne der Wasserstoffatome, die jeweils nur aus einem einzigen positiv geladenen Teilchen (dem Proton) bestehen, verschmelzen können. Dies hat zur Folge, dass Energie in Form von elektromagnetischer Strahlung frei wird, die wir Sonnenlicht nennen. Damit zwei Wasserstoffkerne verschmelzen können, müssen sie sich einander sehr stark annähern. Je näher sie sich aber kommen, desto stärker wird die Abstoßungskraft zwischen ihnen, weil jeder von ihnen eine positive elektrische Ladung trägt – und gleiche Ladungen stoßen sich ab. Damit sie nahe genug zusammenkommen und verschmelzen können, müssen die Teilchen die subatomare Entsprechung zu einer Backsteinwand durchstoßen – eine scheinbar undurchdringliche Energiebarriere. Die klassische Physik[1] – die auf Isaac Newtons Bewegungsgesetzen sowie auf Mechanik und Gravitation aufbaut und die Alltagswelt der Kugeln, Federn, Dampfmaschinen (und auch Planeten) sehr gut beschreibt – sagt, dass so etwas nicht möglich ist: Teilchen sollten keine Wände durchdringen, und deshalb dürfte auch die Sonne eigentlich nicht scheinen.

Aber Atomkerne und andere Teilchen, die den Regeln der Quantenmechanik gehorchen, haben einen netten Trick auf Lager: Sie können solche Barrieren ganz leicht überwinden – durch einen Vorgang, den man als »Quanten-Tunneleffekt« bezeichnet. Diese Fähigkeit verdanken sie im Wesentlichen ihrer Welle-Teilchen-Dualität. Wellen können nicht nur um Objekte wie die Kieselsteine am Strand herumfließen, sondern auch Objekte durchdringen wie die Schallwellen das Mauerwerk, wenn wir den Fernseher unseres Nachbarn hören. Natürlich dringt die Luft, die solche Schallwellen überträgt, selbst nicht durch die Wand: Vielmehr bringen ihre Schwingungen – die Schallwellen – die gemeinsame Wand zum Schwingen, dadurch wird die Luft in unserem Zimmer in Bewegung versetzt, so dass sie die Schwingungen aufnimmt und als Schallwellen bis zu unseren Ohren trägt. Könnten wir uns aber wie ein Atomkern verhalten, wären wir manchmal in der Lage, wie ein Gespenst geradewegs durch eine feste Wand zu gehen.[2] Genau das Gleiche gelingt einem Wasserstoff-Atomkern im Inneren der Sonne: Er kann sich ausbreiten und durch die Energiebarriere »schlüpfen« wie ein Phantom; dann kommt er seinem Partner auf der anderen Seite der Wand so nahe, dass beide verschmelzen können. Wenn wir also das nächste Mal am Strand ein Sonnenbad nehmen und zusehen, wie die Wellen an den Strand schwappen, sollten wir einen Gedanken auf die geisterhaften Wellenbewegungen der Quantenteilchen verwenden, die es uns nicht nur ermöglichen, den Sonnenschein zu genießen, sondern überhaupt alles Leben auf unserem Planeten erst möglich machen.

Das dritte Beispiel ist ähnlich, verdeutlicht aber einen anderen, noch seltsameren Aspekt der Quantenwelt: Durch ein Phänomen namens Superposition können Partikel zwei – oder hundert oder eine Million – Dinge gleichzeitig tun. Diese Eigenschaft ist der Grund, warum unser Universum so ungeheuer komplex und interessant ist. Nicht lange nach dem Urknall, durch den unser Universum ins Dasein trat, war der Raum nur mit Atomen eines einzigen Typs angefüllt: mit Wasserstoff, der in seiner Struktur am einfachsten ist, weil er nur aus einem positiv geladenen Proton und einem negativ geladenen Elektron besteht. Dieses Universum war ein recht langweiliger Ort – es gab weder Sterne noch Planeten und erst recht keine Lebewesen, weil die Grundbausteine von allem, was uns umgibt, einschließlich unserer selbst, nicht nur aus Wasserstoff bestehen, sondern auch aus schwereren Elementen wie Kohlenstoff, Sauerstoff und Eisen. Glücklicherweise wurden diese schwereren Elemente im Inneren der mit Wasserstoff gefüllten Sterne zusammengekocht, und ihr Ausgangsmaterial, eine Form des Wasserstoffs namens Deuterium, verdankt seine Existenz einem kleinen Stück Quantenzauberei.

Den ersten Schritt in dem Rezept haben wir gerade beschrieben: Zwei Wasserstoffkerne – Protonen – kommen sich durch den Quanten-Tunneleffekt so nahe, dass ein Teil der Energie frei wird, sich in Sonnenlicht verwandelt und unseren Planeten erwärmt. Als Nächstes müssen die beiden Protonen aneinander binden; das ist nicht einfach, denn die Kräfte zwischen ihnen sorgen für keinen ausreichend starken Zusammenhalt. Alle Atomkerne bestehen aus zweierlei Teilchen: den Protonen und ihren elektrisch neutralen Partnern, den Neutronen. Enthält ein Atomkern von dem einen oder anderen zu viel, verlangen die Regeln der Quantenmechanik, dass das Gleichgewicht wiederhergestellt wird. Dann verwandeln sich die überzähligen Teilchen in die andere Form: Durch einen Prozess, den man Beta-Zerfall nennt, werden Protonen zu Neutronen oder Neutronen zu Protonen. Genau das geschieht, wenn zwei Protonen aufeinandertreffen: Die Verbindung aus zwei Protonen kann nicht existieren, sondern eines von beiden verwandelt sich durch den Beta-Zerfall in ein Neutron. Das verbleibende Proton und das neu gebildete Neutron können aneinander binden und bilden ein sogenanntes Deuteron – den Kern eines Atoms des schweren Wasserstoff-Isotops[3] Deuterium. Danach sorgen weitere Kernreaktionen für den Aufbau der komplizierteren Atomkerne anderer Elemente, die schwerer sind als Wasserstoff – vom Helium (mit zwei Protonen und einem oder zwei Neutronen) bis hin zum Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff und so weiter.

Entscheidend ist dabei, dass das Deuteron sein Dasein der Fähigkeit verdankt, durch Quanten-Superposition in zwei Zuständen gleichzeitig zu existieren. Das Proton und das Neutron können nämlich auf zwei Arten, die sich durch ihren Spin unterscheiden, aneinanderkleben bleiben. Wie wir später noch genauer erfahren werden, ist der »Quantenspin« etwas anderes als der allgemein bekannte Spin eines großen Objekts, beispielsweise eines Tennisballs. Vorerst bleiben wir aber bei unserer klassischen Vorstellung von einem Teilchen, das sich dreht, und malen uns aus, dass sowohl das Proton als auch das Neutron innerhalb des Deuterons in einer sorgfältig choreographierten Kombination aus einem langsamen Walzer und einem schnelleren Jive rotieren. Wie man Ende der 1930er Jahre entdeckte, tanzen die beiden Teilchen innerhalb des Deuterons nicht gemeinsam entweder in dem einen oder dem anderen dieser beiden Zustände, sondern in beiden Zuständen gleichzeitig – sie befinden sich zur gleichen Zeit in einem Wirbel aus Walzer und Jive; das versetzt sie in die Lage, aneinanderzubinden.[4]

Eine naheliegende Reaktion auf solche Behauptungen lautet: »Woher wissen wir das?« Natürlich sind Atomkerne so klein, dass man sie nicht sehen kann, wäre es demnach nicht vernünftiger anzunehmen, dass unser Wissen über die Kräfte im Atomkern lückenhaft ist? Die Antwort lautet Nein: In vielen Labors wurde immer und immer wieder bestätigt, dass ein Proton und ein Neutron, die die Entsprechung entweder zu einem Quantenwalzer oder einem Quantenjive aufführen, nicht aneinanderbinden könnten, weil der Atomkern-»Klebstoff« zwischen ihnen nicht stark genug wäre. Nur wenn diese beiden Zustände einander überlagert sind – wenn beide Realitäten gleichzeitig existieren –, reicht die Bindungskraft aus. Man kann sich die beiden überlagerten Realitäten ein wenig so vorstellen, als würde man zwei Farben – beispielsweise Blau und Gelb – so mischen, dass die neue Farbe Grün entsteht. Wir wissen zwar, dass das Grün aus den beiden Primärfarben besteht, es ist aber weder die eine noch die andere. Und unterschiedliche Anteile von Blau und Gelb lassen unterschiedliche Grüntöne entstehen. Ähnlich das Deuteron: Es hält zusammen, wenn das Proton und das Neutron vorwiegend in einem Walzer gefangen sind, dem nur eine winzige Menge Jive aufgesetzt wird.

Könnten also Teilchen nicht Jive und Walzer zur gleichen Zeit tanzen, unser Universum wäre noch heute eine Suppe aus Wasserstoffgas und nichts anderem – es gäbe keine Sterne, die leuchten, keines der anderen Elemente hätte sich gebildet, und wir würden diese Worte nicht lesen. Wir existieren, weil sich Protonen und Neutronen so quantenmäßig gegen alle Intuition verhalten können.

Unser letztes Beispiel führt uns wieder in die Welt der Technik. Das Wesen der Quantenwelt kann man nicht nur ausnutzen, um Viren und andere winzige Objekte sichtbar zu machen, sondern auch um in unseren Körper hineinzublicken. Die Magnetresonanztomographie (MRT) ist ein bildgebendes Verfahren aus der Medizin, das wunderbar detaillierte Bilder von weichem Gewebe liefert. MRT-Aufnahmen dienen routinemäßig dazu, Krankheiten zu diagnostizieren und insbesondere Tumore in inneren Organen aufzuspüren. Die meisten nicht für Fachleute bestimmten Beschreibungen der MRT verzichten auf die Erwähnung der Tatsache, dass das Verfahren von einer seltsamen Eigenart der Quantenwelt abhängt. Bei der MRT werden die Achsen der rotierenden Kerne von Wasserstoffatomen im Körper des Patienten mit starken Magneten in einer Richtung ausgerichtet. Diese Atome setzt man dann einem Puls aus Radiowellen aus, der die gleichmäßig angeordneten Atomkerne zwingt, in einem irren Quantenzustand zu existieren: Sie drehen sich in beide Richtungen zugleich! Der Versuch, sich das bildlich vorzustellen, ist zum Scheitern verurteilt – dazu ist es von unseren Alltagserfahrungen zu weit entfernt! Wichtig ist: Wenn sich die Atomkerne »entspannen« und in den ursprünglichen Zustand zurückkehren – in den Zustand, in dem sie sich befanden, bevor sie durch den Energiepuls in die Quanten-Superposition gestoßen wurden –, geben sie die Energie wieder ab; diese wird dann von der Elektronik des MRT-Scanners aufgenommen und erzeugt die wunderschön detaillierten Bilder unserer inneren Organe.

Sollten Sie also irgendwann einmal in einem MRT-Scanner liegen (und vielleicht der Musik lauschen, die durch die Kopfhörer eingespielt wird), dann verschwenden Sie auch einen kurzen Gedanken auf das der Intuition widersprechende Verhalten der subatomaren Teilchen, das diese Technologie möglich macht.

Quantenbiologie

Was haben alle diese Merkwürdigkeiten der Quantenwelt mit dem Flug des Rotkehlchens zu tun, das seinen Weg um den Globus findet? Nun, wie bereits erwähnt, wiesen die Wiltschkos Anfang der 1970er Jahre mit ihren Forschungsarbeiten nach, dass der Magnetsinn des Rotkehlchens genauso funktioniert wie ein Neigungskompass. Das war außerordentlich rätselhaft, denn zu jener Zeit hatte niemand eine Ahnung, wie ein biologischer Neigungskompass funktionieren könnte. Ungefähr zur gleichen Zeit interessierte sich aber der deutsche Wissenschaftler Klaus Schulten für die Frage, wie Elektronen in chemischen Reaktionen, an denen freie Radikale beteiligt sind, übertragen werden. Freie Radikale sind Moleküle, in deren äußerer Elektronenhülle sich einsame Elektronen befinden – normalerweise sind die meisten Elektronen in den Atomorbitalen paarweise angeordnet. Das ist wichtig, wenn man an die seltsame Quanteneigenschaft des Spins denkt: Paarweise angeordnete Elektronen rotieren normalerweise in entgegengesetzte Richtungen, so dass sich ihr Gesamtspin zu null neutralisiert. Den einsamen Elektronen der freien Radikale dagegen fehlt der Zwilling, der den Spin aufhebt, und so haben sie einen negativen Spin, der ihnen eine magnetische Eigenschaft verleiht: Ihr Spin kann sich in einem Magnetfeld ausrichten.

Schulten äußerte die Vermutung, dass die Elektronen in Paaren freier Radikale, die durch einen Prozess namens schnelle Triplettreaktion entstehen, »quantenverschränkt« sein könnten. Aus bestimmten Gründen, von denen später noch die Rede sein wird, reagiert ein solcher empfindlicher Quantenzustand der beiden getrennten Elektronen höchst sensibel auf die Richtung jedes äußeren Magnetfeldes. Womöglich, so Schultens Überlegung, hat der rätselhafte Kompass der Vögel irgendwie mit dieser Quantenverschränkung zu tun.

Wir haben die Quantenverschränkung bisher nicht erwähnt, denn sie ist vermutlich der allerseltsamste Aspekt der Quantenmechanik. Sie erlaubt es Teilchen, die früher zusammen waren, selbst dann in einer simultanen, fast magischen Kommunikation miteinander zu verbleiben, wenn riesige Entfernungen zwischen ihnen liegen. Beispielsweise können Teilchen, die früher nahe zusammen waren und sich jetzt an den entgegengesetzten Enden des Universums befinden, zumindest im Prinzip immer noch in Verbindung stehen. Stieße man ein solches Teilchen an, würde dies dazu führen, dass sein weit entfernter Partner im gleichen Augenblick einen Hüpfer macht.[5] Die Pioniere der Quantenmechanik konnten nachweisen, dass sich die Verschränkung ganz natürlich aus ihren Gleichungen ergibt, aber die Folgerungen waren so ungewöhnlich, dass selbst Einstein, der uns die Schwarzen Löcher und die gekrümmte Raumzeit geschenkt hat, sie nicht akzeptieren mochte, sondern sie als »gespenstische Fernwirkung« lächerlich machte. Tatsächlich fasziniert gerade diese gespenstische Fernwirkung häufig die »Quantenmystiker«, die die Quantenverschränkung beispielsweise für paranormale »Phänomene« wie die Telepathie verantwortlich machen wollen. Einstein war skeptisch, weil die Verschränkung seine Relativitätstheorie zu verletzen schien – die besagt nämlich, dass kein Einfluss und kein Signal schneller als mit Lichtgeschwindigkeit durch den Raum wandern kann. Gleichzeitige, gespenstische Verbindungen zwischen weit entfernten Teilchen sollte es Einstein zufolge nicht geben. In dieser Hinsicht hatte er unrecht: Heute verfügen wir über empirische Befunde, wonach Quantenteilchen tatsächlich simultane Verbindungen über große Entfernungen haben können. Aber nur falls jemand die Frage stellt: Man kann sich nicht auf die Quantenverschränkung berufen, um damit die Telepathie glaubwürdiger zu machen.

Der Gedanke, die seltsame Quantenverschränkung könne für gewöhnliche chemische Reaktionen eine Rolle spielen, galt Anfang der 1970er Jahre als völlig exotisch. Wie Einstein bezweifelten damals viele Wissenschaftler, dass verschränkte Teilchen überhaupt existieren, denn nachgewiesen hatte sie noch niemand. In den nachfolgenden Jahrzehnten jedoch konnte man die Existenz dieser gespenstischen Verbindungen mit vielen klugen Laborexperimenten bestätigen; das berühmteste stellte eine Arbeitsgruppe französischer Physiker unter Leitung von Alain Aspect schon 1982 an der Universität Paris-Süd an.

Aspects Team erzeugte Paare von Photonen (Lichtteilchen) mit verschränkten Polarisationszuständen. Die Polarisation von Licht ist den meisten wahrscheinlich am ehesten von den polarisierenden Sonnenbrillen ein Begriff. Jedes Lichtphoton hat eine bestimmte Richtung, den Polarisationswinkel, der ein wenig der zuvor erläuterten Eigenschaft des Spins ähnelt.[6] Die Photonen im Sonnenlicht haben alle möglichen Polarisationswinkel, eine polarisierende Sonnenbrille filtert sie jedoch und lässt nur diejenigen Photonen durch, die einen ganz bestimmten Polarisationswinkel haben. Aspect erzeugte Photonenpaare, in denen die beiden Partner nicht nur unterschiedliche Polarisationsrichtungen hatten – beispielsweise der eine nach oben, der andere nach unten –, sondern auch verschränkt waren, und wie die Tanzpartner in unserem vorherigen Beispiel zeigte in Wirklichkeit keiner der verschränkten Partner tatsächlich in die eine oder andere Richtung: Sie wiesen vielmehr gleichzeitig in beide Richtungen, bis sie gemessen wurden.

Die Messung ist einer der rätselhaftesten Aspekte der Quantenmechanik und sicherlich der am heftigsten umstrittene, denn sie wirft eine Frage auf, die sich sicher der eine oder andere schon gestellt hat: Warum tun nicht alle Gegenstände, die wir sehen, diese seltsamen, wunderbaren Dinge, zu denen Quantenteilchen in der Lage sind? Die Antwort: In der mikroskopischen Quantenwelt können sich Teilchen nur dann so seltsam verhalten und beispielsweise zwei Dinge gleichzeitig tun, durch Wände gehen oder gespenstische Verbindungen aufrechterhalten, wenn niemand zusieht. Sobald man sie beobachtet oder in irgendeiner Weise misst, verlieren sie ihre seltsamen Eigenschaften und verhalten sich wie die klassischen Objekte, von denen wir umgeben sind. Das aber wirft natürlich eine weitere Frage auf: Welche besondere Eigenschaft der Messungen ist der Grund, dass sich das Quantenverhalten in klassisches Verhalten verwandelt?[7] Die Antwort auf diese Frage ist für unsere Geschichte von entscheidender Bedeutung, denn die Messung steht auf der Grenze zwischen Quantenwelt und klassischer Welt, auf der Quantengrenze, wo unserer Meinung nach – wie der Originaltitel des Buches (Life on the Edge) andeutet – auch unser Leben angesiedelt ist.

Mit dem Thema der Quantenmessungen werden wir uns in diesem Buch immer wieder beschäftigen, und wir hoffen, dass dabei allmählich die Feinheiten dieses rätselhaften Prozesses verständlich werden. Vorerst wollen wir nur die einfachste Interpretation des Phänomens betrachten: Wenn eine Eigenschaft, beispielsweise der Polarisationszustand, mit einem wissenschaftlichen Instrument gemessen wird, ist er augenblicklich gezwungen, seine Quantenfähigkeiten – beispielsweise in mehrere Richtungen gleichzeitig zu zeigen – zu vergessen und eine herkömmliche, klassische Eigenschaft anzunehmen, beispielsweise indem er nur in eine Richtung weist. Wenn Aspect also den Polarisationszustand eines Photons aus einem beliebigen Paar maß, indem er beobachtete, ob es durch eine Polarisationslinse fallen konnte, verlor es sofort die gespenstische Verbindung zu seinem Partner und nahm nur eine einzige Polarisationsrichtung an. Das Gleiche geschah im selben Augenblick mit seinem Partner, ganz gleich, wie weit er entfernt war; das jedenfalls sagten die Gleichungen der Quantenmechanik voraus, und das war natürlich genau der Grund, warum Einstein ein bisschen mulmig war.

Aspect und sein Team stellten ihr berühmtes Experiment mit Paaren von Photonen an, die in seinem Labor mehrere Meter voneinander getrennt waren, weit genug, dass nicht einmal ein Einfluss, der sich mit Lichtgeschwindigkeit fortgepflanzt hätte – und die Relativitätstheorie sagt uns, dass nichts schneller sein kann als das Licht –, ihre Polarisationswinkel hätte koordinieren können. Und doch bestand zwischen den Messwerten an den Teilchenpaaren eine Korrelation: Wenn die Polarisation des einen Photons nach oben zeigte, wies die andere nach unten. Seit 1982 hat man das Experiment mit Teilchen wiederholt, die Hunderte von Kilometern voneinander entfernt waren, und doch bestand zwischen ihnen stets diese gespenstische, verschränkte Verbindung, mit der Einstein sich nicht abfinden konnte.

Als Schulten die Vermutung äußerte, die Verschränkung könne für den Kompass der Vögel eine Rolle spielen, lag Aspects Experiment noch einige Jahre in der Zukunft, und das Phänomen war umstritten. Außerdem hatte Schulten keine Ahnung, wie eine solche rätselhafte chemische Reaktion ein Rotkehlchen in die Lage versetzen könnte, das Magnetfeld der Erde zu sehen. Wir sagen »sehen«, weil die Wiltschkos noch eine weitere Eigentümlichkeit entdeckten. Obwohl das Rotkehlchen nachts fliegt, erfordert die Aktivierung seines Magnetkompasses eine geringe Menge Licht (das am blauen Ende des sichtbaren Spektrums liegt) – ein Hinweis, dass die Augen des Vogels für seine Funktion eine bedeutsame Rolle spielen. Aber wie konnten die Augen nicht nur sehen, sondern auch zu einem Magnetsinn beitragen? Radikalpaarmechanismus hin oder her, dies war ein völliges Rätsel.

Die Theorie, der Kompass der Vögel könne auf einem Quantenmechanismus beruhen, lag über 20 Jahre in den untersten Schubladen der Wissenschaft. Schulten zog wieder in die Vereinigten Staaten und baute an der University of Illinois in Urbana-Champaign eine sehr erfolgreiche Arbeitsgruppe für theoretische physikalische Chemie auf. Er vergaß seine exotische Theorie aber nie und arbeitete immer weiter an einem Artikel, in dem er potentielle Biomoleküle (Moleküle, die von lebenden Zellen produziert werden) benannte, von denen die Radikalpaare, die für die schnelle Triplettreaktion notwendig waren, stammen könnten. Aber keines passte wirklich: Entweder konnten die Moleküle keine Radikalpaare erzeugen, oder sie kamen in den Augen der Vögel nicht vor. Im Jahr 1998 schließlich las Schulten, man habe in den Augen von Tieren einen rätselhaften Lichtrezeptor namens Cryptochrom gefunden. Das ließ sofort seine wissenschaftlichen Alarmglocken schrillen, denn beim Cryptochrom handelte es sich bekanntermaßen um ein Protein, das potentiell Radikalpaare erzeugen konnte.

Kurz zuvor war mit Thorsten Ritz ein begabter Doktorand zu Schultens Arbeitsgruppe gestoßen. Als Studienanfänger hatte er an der Universität Frankfurt einen Vortrag von Schulten über den Kompass der Vögel gehört und war sofort fasziniert. Als sich die Möglichkeit ergab, ergriff er die Gelegenheit und promovierte in Schultens Institut, wo er zunächst an der Photosynthese arbeitete. Als die Geschichte mit dem Cryptochrom aufkam, schwenkte er um zur Erforschung der Magnetwahrnehmung, und im Jahr 2000 schrieb er zusammen mit Schulten einen Artikel mit dem Titel »A model for photoreceptor-based magnetoreception in birds« (»Modell für eine auf Photorezeptoren beruhende Magnetwahrnehmung bei Vögeln«). Darin beschrieben die beiden, wie das Cryptochrom die Augen von Vögeln mit einem Quantenkompass ausstatten könnte. (Ausführlicher werden wir auf das Thema in Kapitel 6 zurückkommen.) Vier Jahre später tat Ritz sich mit den Wiltschkos zusammen und führte mit ihnen eine Studie an Rotkehlchen durch; dabei lieferten sie die ersten experimentellen Belege für die Theorie, dass Vögel mit Hilfe der Quantenverschränkung rund um den Globus fliegen. Schulten, so schien es, hatte die ganze Zeit recht gehabt. Ihr Artikel, der 2004 in dem angesehenen britischen Wissenschaftsblatt Nature erschien, weckte überall großes Interesse, und der Quantenkompass der Vögel wurde sofort zum Aushängeschild für das neue Wissenschaftsgebiet der Quantenbiologie.

Wenn die Quantenmechanik etwas Normales ist – warum sollen wir Quantenbiologie spannend finden?

Vom Tunneleffekt und der Quanten-Superposition im Inneren der Sonne sowie in technischen Geräten wie Elektronenmikroskopen und MRT-Scannern war bereits die Rede. Warum sollte es uns also überraschen, wenn Quantenphänomene auch in der Biologie auftauchen? Schließlich ist die Biologie eine Art angewandte Chemie, und Chemie ist eine Art angewandte Physik. Ist demnach nicht alles, einschließlich unserer selbst und anderer Lebewesen, eigentlich nur Physik, wenn man ganz nach unten zu den Fundamenten hinabsteigt? Tatsächlich erkennen viele Wissenschaftler an, dass die Quantenmechanik auf einer grundlegenden Ebene in der Biologie eine Rolle spielen muss, aber sie beharren darauf, es sei eine triviale Rolle. Was sie damit meinen? Da die Regeln der Quantenmechanik über das Verhalten der Atome bestimmen und Biologie letztlich aus den Wechselbeziehungen zwischen Atomen besteht, müssen die Regeln der Quantenmechanik im kleinsten Maßstab auch in der Biologie gelten – aber eben nur in diesem kleinen Maßstab; entsprechend haben sie im größeren Maßstab auf die Prozesse, die für das Leben wichtig sind, wenige oder gar keine Auswirkungen.

Zum Teil haben diese Wissenschaftler natürlich recht. DNA, Enzyme und alle anderen Biomoleküle bestehen aus Elementarteilchen wie Protonen und Elektronen, über deren Wechselwirkungen die Quantenmechanik bestimmt. Das Gleiche gilt aber auch für den Aufbau dieses Buches oder für den Stuhl, auf dem wir sitzen. Wie wir gehen, sprechen, essen, schlafen oder sogar denken, muss letztlich von quantenmechanischen Kräften abhängen, die über Elektronen, Protonen und andere Teilchen bestimmen, genau wie auch die Funktionsweise unseres Autos oder unseres Toasters letztlich von der Quantenmechanik abhängig ist. Aber im Großen und Ganzen brauchen wir das nicht zu wissen. Automechaniker müssen keine Vorlesungen über Quantenmechanik besuchen, und auch in den meisten biologischen Studiengängen kommen Tunneleffekt, Quantenverschränkung oder Superposition nicht vor. Die meisten Menschen kommen zurecht, ohne zu wissen, dass die Welt auf einer grundsätzlichen Ebene nach ganz anderen Regeln funktioniert als denen, die uns vertraut sind. Die seltsamen Quantenprozesse, die sich auf der Ebene des sehr Kleinen abspielen, machen sich in der Regel bei großen Dingen wie Autos oder Toastern, die wir jeden Tag sehen und benutzen, nicht bemerkbar.

Warum nicht? Ein Fußball fliegt nicht durch Mauern, Menschen haben (allen Behauptungen über Telepathie zum Trotz) keine gespenstischen Verbindungen, und leider können wir auch nicht zur gleichen Zeit im Büro und zu Hause sein. Dennoch sind die Elementarteilchen in einem Fußball oder in einem Menschen zu allen diesen Dingen in der Lage. Warum gibt es eine Bruchlinie, eine Grenze zwischen der Welt, die wir sehen, und jener, von der die Physiker wissen, dass sie unter der Oberfläche tatsächlich existiert? Das ist eine der tiefgründigsten Fragen in der gesamten Physik, und sie hat mit dem Phänomen der Quantenmessungen zu tun, das wir bereits erörtert haben. Wenn ein Quantensystem in Wechselbeziehung zu einem klassischen Messinstrument tritt, beispielsweise mit der Polarisationslinse in dem Experiment von Alain Aspect, verliert es seine seltsamen Quanteneigenschaften und verhält sich wie ein klassischer Gegenstand. Aber die Messungen, die von Physikern vorgenommen werden, können nicht der Grund dafür sein, dass die Welt um uns herum so und nicht anders aussieht. Woher stammt also die entsprechende Funktion, die außerhalb des physikalischen Labors das Quantenverhalten zerstört?

Die Antwort hat damit zu tun, wie Teilchen in großen (makroskopischen) Objekten angeordnet sind und sich in ihnen bewegen. Atome und Moleküle sind in der Regel zufällig verteilt und schwingen in unbelebten Festkörpern unregelmäßig hin und her; auch in Flüssigkeiten und Gasen unterliegen sie – in Abhängigkeit von der Temperatur – Zufallsbewegungen. Diese Zufallsfaktoren (Verteilung, Schwingungen und Bewegungen) sorgen dafür, dass sich die Welleneigenschaften der Teilchen sehr schnell auflösen. Die kombinierte Wirkung aller Quantenbestandteile eines Körpers besteht also darin, dass an jedem einzelnen davon die »Quantenmessung« vorgenommen wird, und deshalb sieht die Welt um uns herum normal aus. Wenn man die seltsamen Quanteneigenschaften beobachten will, muss man sich entweder an ungewöhnliche Orte begeben (beispielsweise ins Innere der Sonne), tief in die Welt des Allerkleinsten hineinblicken (beispielsweise mit Elektronenmikroskopen und ähnlichen Instrumenten) oder die Quantenteilchen sorgfältig so aufreihen, dass sie im Gleichschritt marschieren (das geschieht mit dem Spin der Wasserstoffatomkerne in unserem Organismus, wenn er sich in einem MRT-Scanner befindet – aber wenn der Magnet abgeschaltet wird, orientiert sich der Spin der Atomkerne wieder nach dem Zufallsprinzip, und damit ist die Quantenkohärenz neutralisiert). Eine ganz ähnliche molekulare Zufallsverteilung ist dafür verantwortlich, dass wir meistens ohne Quantenmechanik zurechtkommen: Die seltsamen Quanteneigenschaften werden in dem zufällig ausgerichteten, ständig in Bewegung befindlichen Inneren der Moleküle aller sichtbaren, unbelebten Objekte um uns herum gewissermaßen weggespült.

Jedenfalls meistens … Aber nicht immer. Wie Schulten entdeckte, kann man die Geschwindigkeit der schnellen chemischen Triplettreaktion nur dann ausmachen, wenn die spezielle Quanteneigenschaft der Verschränkung mitwirkt. Aber die schnelle Triplettreaktion ist eben genau das: schnell. Und an ihr sind nur wenige Moleküle beteiligt. Für den Orientierungssinn der Vögel kann sie nur dann verantwortlich sein, wenn sie auf das ganze Rotkehlchen einen dauerhaften Effekt ausübt. Deshalb war die Behauptung, der Magnetkompass der Vögel unterliege der Quantenverschränkung, auf einer ganz anderen Ebene angesiedelt als die Aussage, die Verschränkung sei von Bedeutung für eine exotische chemische Reaktion, an der nur wenige Teilchen mitwirken; deshalb wurde sie mit erheblicher Skepsis aufgenommen. Lebende Zellen, so hieß es, bestehen doch vorwiegend aus Wasser und Biomolekülen, die sich in einem Zustand der ständigen molekularen Unruhe befinden und damit die seltsamen Quanteneffekte voraussichtlich sofort messen und zerstreuen. Mit »messen« meinen wir hier natürlich nicht, dass Wasser- oder Biomoleküle eine Messung in dem Sinn durchführen, wie wir das Gewicht oder die Temperatur eines Gegenstandes messen und diesen Wert dann auf Papier, auf der Festplatte unseres Computers oder auch nur in unserem Kopf festhalten. Gemeint ist vielmehr das, was geschieht, wenn ein Wassermolekül mit einem Paar verschränkter Teilchen zusammenstößt: Seine nachfolgende Bewegung wird vom Zustand des Teilchens beeinflusst, und wenn wir die nachfolgende Bewegung des Wassermoleküls untersuchen würden, könnten wir daraus einige Rückschlüsse über die Eigenschaften des Teilchens ziehen, mit dem es zusammengestoßen ist. So betrachtet, hat das Wassermolekül also eine »Messung« vorgenommen, weil seine Bewegung den Zustand des verschränkten Paares wiedergibt, ganz gleich, ob jemand da ist und ihn untersucht. Eine solche zufällige Messung reicht in der Regel aus, um verschränkte Zustände zu zerstören. Die Behauptung, die wenig stabilen, verschränkten Quantenzustände könnten in dem warmen, komplizierten Inneren lebender Zellen erhalten bleiben, war deshalb in den Augen vieler eine ziemlich weit hergeholte Idee, die geradezu an Verrücktheit grenzte.

In den letzten Jahren jedoch haben wir eine Menge über solche Dinge dazugelernt – und das nicht nur im Zusammenhang mit Vögeln. Quantenphänomene wie die Superposition und den Tunneleffekt hat man in zahlreichen biologischen Phänomenen entdeckt, von den Mechanismen, mit denen Pflanzen das Sonnenlicht einfangen, bis zur Produktion von Biomolekülen in unseren Zellen. Selbst unser Geruchssinn oder die Gene, die wir von unseren Eltern erben, dürften von der seltsamen Quantenwelt abhängig sein. Forschungsberichte über quantenbiologische Themen erscheinen mittlerweile regelmäßig in den angesehensten wissenschaftlichen Fachzeitschriften der Welt, und eine kleine, aber wachsende Zahl von Wissenschaftlern ist überzeugt, dass Aspekte der Quantenmechanik für das Phänomen des Lebens tatsächlich eine keineswegs triviale, sondern womöglich sogar eine entscheidende Rolle spielen und dass sich das Lebendige auf einzigartige Weise dazu eignet, die seltsamen Quanteneigenschaften an der Grenze zwischen Quanten- und klassischer Welt aufrechtzuerhalten.

Dass es sich dabei tatsächlich nur um wenige Wissenschaftler handelt, wurde uns klar, als wir im September 2012 an der University of Surrey einen internationalen Workshop über Quantenbiologie veranstalteten. An ihm nahmen die meisten Wissenschaftler teil, die auf dem Fachgebiet arbeiten, und doch passten alle in einen kleinen Hörsaal (Abbildung 1.2). Aber das Gebiet wächst rapide; vorangetrieben wird es von der spannenden Aussicht, das Wirken der Quantenmechanik in alltäglichen biologischen Phänomenen nachzuweisen. Und eines der spannendsten Forschungsgebiete, das auch große Bedeutung für die Entwicklung einer neuen Quantentechnologie haben könnte, war in jüngster Zeit die Erforschung der Frage, wie die seltsamen Quanteneigenschaften in einem warmen, feuchten, chaotischen Lebewesen erhalten bleiben können.

Abb. 1.2: Die Teilnehmer des Quantenbiologie-Workshops in Surrey 2012. Von links nach rechts: die Autoren Jim Al-Khalili und Johnjoe McFadden, Vlatko Vedral, Greg Engel, Nigel Scrutton, Thorsten Ritz, Paul Davies, Jennifer Brookes und Greg Scholes.

Aber um die Bedeutung solcher Erkenntnisse in vollem Umfang einschätzen zu können, müssen wir zunächst eine nur scheinbar einfache Frage beantworten: Was ist Leben?

2. Was ist Leben?

Am 20. August 1977 begann eines der bis heute erfolgreichsten wissenschaftlichen Projekte: Die Raumsonde Voyager 2 erhob sich in den Himmel von Florida, zwei Wochen später gefolgt von ihrem Schwesterschiff Voyager 1. Nach zwei Jahren erreichte Voyager 1 ihr erstes Ziel, den Jupiter. Die Sonde photographierte die wirbelnden Wolken des Gasriesen und den berühmten roten Fleck, anschließend flog sie über die vereiste Oberfläche des Jupitermondes Ganymed und beobachtete auf einem anderen, Io, einen Vulkanausbruch. Die Sonde Voyager 2, die einen anderen Kurs eingeschlagen hatte, erreichte im August 1981 den Saturn und schickte nun atemberaubend schöne Photos von den Ringen des Planeten zur Erde. Bilder, die zeigten, dass es sich dabei um fein gewirkte Bänder aus Millionen kleinen Felsbrocken und winzigen Monden handelt. Danach verging fast ein Jahrzehnt, bevor Voyager 1 am 14. Februar 1990 eines der bemerkenswertesten Photos aller Zeiten aufnehmen konnte: Es zeigt einen winzigen blauen Fleck vor einem körnig-grauen Hintergrund.

Während der letzten 50 Jahre haben es die Voyager-Missionen und die anderen Forschungssonden den Menschen ermöglicht, auf dem Mond herumzuspazieren, ferngesteuert die Täler des Mars zu erkunden, auf die sengend heißen Wüsten der Venus zu blicken und sogar zuzusehen, wie ein Komet in die Gasatmosphäre des Jupiter eintaucht. Vor allem aber haben sie Gestein entdeckt – eine Menge Gestein. Man kann sogar mit Fug und Recht behaupten, dass die Erkundung der anderen Himmelskörper in unserem Planetensystem vorwiegend eine Erkundung von Gestein war, von der rund einen Tonne Mineralien, die die Apollo-Astronauten vom Mond holten, über die mikroskopisch kleinen Kometenbruchstücke, die von der NASA-Mission »Stardust« gesammelt wurden, bis hin zur Begegnung der Sonde »Rosetta« mit einem Kometen im Jahr 2014 oder der Analyse der Marsoberfläche durch das Fahrzeug »Curiosity«: Gestein, immer wieder Gestein.

Steine aus dem Weltraum sind etwas Faszinierendes. Ihre Struktur und ihre Zusammensetzung liefern Hinweise auf den Ursprung des Sonnensystems, auf die Entstehung der Planeten und sogar auf die kosmischen Ereignisse, die sich noch vor der Geburt unserer Sonne abgespielt haben. Aber für die meisten geologischen Laien sieht ein Chondrit (ein Meteoritentyp, der nicht aus Metall, sondern aus Gestein besteht) nicht wesentlich anders aus als ein Troktolith (ein eisen- und magnesiumreicher Meteorit) vom Mond. An einem Ort in unserem Sonnensystem jedoch haben sich die Grundbestandteile von Felsen und Steinen zu so vielfältigen Formen, Funktionen und chemischen Eigenschaften zusammengefügt, dass ein Gramm des dabei entstandenen Materials vielgestaltiger ist als alle Materie, die man sonst im Universum findet. Dieser Ort ist natürlich jener blassblaue Fleck, den Voyager 1 photographierte: der Planet, den wir Erde nennen. Bemerkenswerterweise sind die verschiedenen Rohmaterialien, die unserem Planeten eine so einzigartige Oberfläche verleihen, in einer Art und Weise zusammengekommen, dass Leben entstehen konnte.

Leben ist etwas ganz Besonderes. Von dem erstaunlichen Magnetsinn des Rotkehlchens war bereits die Rede, aber diese besondere Eigenschaft ist nur eine seiner vielen verschiedenen Fähigkeiten. Das Rotkehlchen kann sehen, riechen, hören und Fliegen fangen; es kann über den Boden oder in einem Baum von Ast zu Ast hüpfen; es kann sich in die Luft erheben und Hunderte von Kilometern fliegen. Und was am bemerkenswertesten ist: Mit ein wenig Hilfe des Partners kann es aus den gleichen Stoffen, aus denen auch das Gestein besteht, eine ganze Handvoll ähnlicher Tiere machen. Außerdem ist unser Rotkehlchen nur eines von Billionen Lebewesen, die eine Fülle dieser und vieler anderer, gleichermaßen verblüffender Leistungen vollbringen.

Auch jeder von uns ist natürlich ein bemerkenswertes Lebewesen. Wenn wir zum Nachthimmel aufblicken, treten Lichtphotonen in unsere Augen ein und werden vom Gewebe der Netzhaut in winzige elektrische Ströme umgewandelt, die durch den Sehnerv wandern und das Nervengewebe des Gehirns erreichen. Dort erzeugen sie ein flimmerndes Muster von Nervenimpulsen, das wir als blinkende Sterne am Himmel über uns wahrnehmen. Gleichzeitig nimmt das Gewebe der Haarzellen in unserem Innenohr winzige Druckunterschiede von weniger als einer Milliardstel Atmosphäre wahr und erzeugt akustische Nervensignale, die uns darüber in Kenntnis setzen, dass der Wind in den Bäumen rauscht. Eine Handvoll Moleküle schwebt in unsere Nase und wird von spezialisierten Geruchsrezeptoren aufgenommen, die ihre chemische Identität an das Gehirn übermitteln und uns sagen, dass es Sommer ist und das Geißblatt (Jelängerjelieber) blüht. Und während wir die Sterne beobachten, dem Wind zuhören und die Luft schnuppern, wird jede winzige Bewegung unseres Körpers durch die koordinierte Tätigkeit Hunderter von Muskeln erzeugt.

Aber selbst solche außergewöhnlichen physischen Leistungen, die von unseren eigenen Körpergeweben vollbracht werden, verblassen im Vergleich zu denen, die viele unserer Mitlebewesen zustande bringen. Die Blattschneiderameise kann eine Last schleppen, die 30-mal so viel wiegt wie sie selbst – das wäre, als würden wir ein Auto auf dem Rücken tragen. Und die Schnappkieferameise kann ihre Kiefer in nur 0,13 Millisekunden von null auf 230 Stundenkilometer beschleunigen – ein Formel-1-Rennwagen braucht ungefähr 40.000-mal so lange (nämlich rund fünf Sekunden), bis er die gleiche Geschwindigkeit erreicht hat. Der im Amazonas heimische Zitteraal erzeugt einen potentiell tödlichen elektrischen Strom von 600 Volt. Vögel können fliegen, Fische können schwimmen, Würmer können sich durch den Boden graben, und Affen schwingen sich durch die Bäume. Und viele Tiere, darunter auch unser Rotkehlchen, finden mit Hilfe des Erdmagnetfeldes über Tausende von Kilometern ihren Weg. Was die Fähigkeit zur Biosynthese angeht, reicht nichts an die grüne Vielfalt des Lebens auf der Erde heran, die Moleküle aus Luft und Wasser mit ein paar Mineralstoffen zusammenfügen und daraus Gras, Eichen, Seetang, Gänseblümchen, Mammutbäume und Flechten entstehen lässt.

Jedes Lebewesen hat seine eigenen Fähigkeiten und Besonderheiten wie den Magnetsinn des Rotkehlchens oder das schnelle Zuschnappen der Schnappkieferameise, aber wir Menschen verfügen über ein Organ, das in seiner Leistung nicht seinesgleichen hat. Die Rechenkapazität des grauen Gewebes, das in unseren Schädelknochen eingeschlossen ist, geht über die jedes Computers auf unserem Planeten hinaus und hat die Pyramiden ebenso erschaffen wie die allgemeine Relativitätstheorie, Schwanensee, den Rigveda, Hamlet, die Keramik der Ming-Zeit und Donald Duck. Und was vielleicht am bemerkenswertesten ist: Das Gehirn des Menschen besitzt die Fähigkeit, zu wissen, dass es existiert.

Und doch besteht die gesamte Vielfalt des Lebendigen mit ihren unzähligen Ausformungen und Funktionsvarianten im Wesentlichen aus den gleichen Atomen, die man auch in den Chondritenklumpen vom Mars findet.

Die größte Frage der Wissenschaft steht auch im Mittelpunkt dieses Buches: Wie verwandeln sich die trägen Atome und Moleküle, die man im Gestein findet, Tag für Tag in laufende, springende, fliegende, sich orientierende, schwimmende, wachsende, liebende, reisende, wollüstige, ängstliche, denkende, lachende, weinende, lebendige Gebilde? Diese außergewöhnliche Verwandlung ist uns so vertraut, dass sie uns nicht bemerkenswert erscheint. Aber man sollte daran denken, dass selbst im Zeitalter von Gentechnik und synthetischer Biologie noch nie etwas Lebendiges von Menschen ausschließlich aus nicht lebendem Material hergestellt wurde. Mit keiner unserer Technologien ist es bisher gelungen, eine Verwandlung vorzunehmen, die schon der einfachste Mikroorganismus auf unserem Planeten mühelos vollzieht. Daraus können wir schließen, dass wir nur über unvollständige Kenntnisse verfügen, welche Voraussetzungen für das Leben notwendig sind. Haben wir einen Lebensfunken übersehen, der das Lebendige belebt und im Unbelebten fehlt?

Damit wollen wir keineswegs behaupten, es gebe eine Art Lebenskraft, einen Geist oder eine magische Zutat, die das Lebendige lebendig macht. Unsere Geschichte ist viel interessanter. Wir werden uns mit Forschungsergebnissen aus jüngster Zeit beschäftigen, in denen gezeigt wird, dass zumindest einer der fehlenden Puzzlesteine des Lebens in der Welt der Quantenmechanik zu finden ist, wo Objekte an zwei Orten zugleich sein können, miteinander in gespenstischer Verbindung stehen und durch scheinbar undurchdringliche Barrieren wandern. Das Leben, so scheint es, hat ein Bein in der klassischen Welt der Alltagsobjekte und das andere in den eigenartigen, seltsamen Tiefen der Quantenwelt. Das Leben, so unsere These, steht auf der Quantengrenze.

Aber können Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen tatsächlich Naturgesetzen unterliegen, von denen wir bisher geglaubt haben, mit ihnen lasse sich nur das Verhalten der Elementarteilchen beschreiben? Lebewesen, die aus Billiarden Teilchen bestehen, sind immerhin makroskopische Objekte wie Fußbälle oder Autos oder Dampflokomotiven. Daher sollten sie sich mit klassischen Regeln angemessen beschreiben lassen, etwa mit Newtons Gesetzen der Mechanik oder der Wissenschaft der Thermodynamik. Um herauszufinden, warum wir die verborgene Welt der Quantenmechanik brauchen, um die verblüffenden Eigenschaften lebender Materie zu beschreiben, müssen wir uns zunächst auf eine kurze Rundreise durch die Wissenschaft begeben und uns ansehen, was man unternommen hat, um das Besondere am Lebendigen zu verstehen.

Die »Lebenskraft«

Das zentrale Rätsel des Lebendigen lautet: Warum verhält sich Materie, die ein Lebewesen bildet, so ganz anders als die eines Steins? Zu den Ersten, die sich mit dieser Frage auseinandersetzten, gehörten die alten Griechen. Der Philosoph Aristoteles, vielleicht der erste große Naturwissenschaftler der Welt, erkannte in unbelebter Materie bestimmte zuverlässig vorhersagbare Eigenschaften, beispielsweise die Neigung fester Gegenstände, nach unten zu fallen, während Feuer und Dämpfe in der Regel aufsteigen, und die Tatsache, dass sich die Himmelskörper auf Kreisbahnen um die Erde zu bewegen scheinen. Mit den Lebewesen war es anders: Viele Tiere fallen zwar ebenfalls, sie laufen aber auch, Pflanzen wachsen aufwärts, und Vögel fliegen sogar um die Erde. Warum unterschieden sie sich so stark von allem anderen? Sokrates, ein griechischer Denker aus noch früherer Zeit, gab eine Antwort, die von seinem Schüler Platon aufgeschrieben wurde (in einem fiktiven Dialog zwischen den Philosophen Sokrates und Kratylos und ihrem Freund Hermogenes): »Was sonst hält und trägt wohl die Natur des ganzen Leibes, dass er leben und umherwandeln kann, als die Seele?« Aristoteles war wie Sokrates der Meinung, dass Lebewesen eine Seele haben, aber er behauptete, diese gebe es in unterschiedlichen Abstufungen. Die niedrigste Form wohnte in Pflanzen und versetzte sie in die Lage, zu wachsen und Nahrung aufzunehmen. Eine Stufe höher standen die Seelen der Tiere, die ihre Besitzer mit Gefühlen und Bewegungen ausstatten. Aber nur die Seele des Menschen, so Aristoteles, verleiht Vernunft und Intellekt. Etwas ganz Ähnliches glaubten auch die alten Chinesen: Danach waren Lebewesen von einer körperlosen Lebenskraft namens Qi (ausgesprochen »chi«) beseelt, die durch sie hindurchströmte. Die Vorstellung von einer Seele floss später in alle großen Weltreligionen ein. Was die Seele aber eigentlich ist und wie ihre Verbindung mit dem Körper aussieht, blieb rätselhaft.

Ein weiteres Rätsel war die Sterblichkeit. Die Seele galt allgemein als unsterblich, aber warum ist das Leben dann so vergänglich? Die meisten Kulturkreise geben darauf mehr oder weniger die gleiche Antwort: Mit dem Tod verlässt die belebende Seele den Körper. Noch 1907 behauptete der amerikanische Arzt Duncan MacDougall, er könne die Seele messen, indem er seine sterbenden Patienten unmittelbar vor und nach dem Tod wog. Aufgrund seiner Experimente war er überzeugt, dass die Seele ungefähr 21 Gramm wiegt. Aber warum die Seele den Körper nach den 70 Jahren, die ihr zugestanden waren, verlassen musste, blieb ein Rätsel.

Der Begriff der Seele kommt in der modernen Wissenschaft zwar nicht mehr vor, zumindest führte er aber dazu, dass man die wissenschaftliche Erforschung von unbelebter und belebter Materie trennte. Nun konnten Wissenschaftler die Ursachen der Bewegung unbelebter Objekte untersuchen, ohne sich mit den philosophischen und theologischen Fragen herumschlagen zu müssen, die das Studium der Lebewesen immer so kompliziert machten. Die Erforschung der Bewegung hat eine lange, faszinierende und alles andere als einfache Geschichte, doch in diesem Kapitel wollen wir sie so kurz wie möglich abhandeln. Wie bereits erwähnt, war Aristoteles der Ansicht, dass Objekte die Neigung haben, sich in Richtung der Erde, von der Erde weg oder um die Erde herum zu bewegen, und all das hielt er für natürliche Bewegungen. Er erkannte auch, dass man feste Objekte schieben, ziehen und werfen kann, alles Bewegungen, die er als »gewaltsam« bezeichnete; denn sie wurden nach seiner Überzeugung stets von einer Kraft angestoßen, die von einem anderen Objekt ausging, beispielsweise von dem werfenden Menschen. Aber was erzeugte die Wurfbewegung – oder den Flug eines Vogels? Es schien dafür keine äußere Ursache zu geben. Aristoteles behauptete, Lebewesen seien im Gegensatz zu unbelebten Objekten in der Lage, ihre eigene Bewegung in Gang zu setzen, und die Ursache dieser Art von Bewegung sei die Seele.

Aristoteles’ Ansichten über die Ursachen der Bewegung beherrschten das Denken bis ins Mittelalter, dann aber ereignete sich etwas Bemerkenswertes. Wissenschaftler (die sich zu jener Zeit selbst als »Naturphilosophen« bezeichnet hätten) begannen, in der Sprache von Logik und Mathematik neue Theorien über die Bewegung unbelebter Gegenstände zu formulieren. Man kann darüber streiten, wer für diesen außerordentlich produktiven Wandel im Denken der Menschen verantwortlich war, arabische und persische Gelehrte des Mittelalters wie Alhazen und Avicenna spielten sicher eine Rolle, und der Trend wurde dann in den neu entstehenden gelehrten Institutionen Europas wie den Universitäten von Paris und Oxford aufgegriffen. Ihre ersten großen Früchte trug die neue Art, die Welt zu beschreiben, vermutlich an der Universität im italienischen Padua, wo Galilei einfache Bewegungsgesetze in mathematische Formeln fasste. In dessen Todesjahr (1642) kam Isaac Newton in der englischen Grafschaft Lincolnshire zur Welt. Er erklärte später mit seiner außerordentlich erfolgreichen mathematischen Beschreibung, wie die Bewegung unbelebter Gegenstände durch Kräfte verändert werden kann – ein System, das bis heute als Newton’sche Mechanik bezeichnet wird.

Newtons Kräfte waren anfangs ziemlich rätselhafte Phänomene, aber im Laufe der folgenden Jahrhunderte wurden sie immer stärker mit dem Begriff der Energie in Verbindung gebracht. Bewegte Objekte, so sagte man jetzt, besitzen Energie, die sie auf ruhende Objekte, an die sie stoßen, übertragen können, so dass diese sich ebenfalls bewegen. Kräfte können aber auch zwischen entfernten Objekten übertragen werden: Beispiele sind die Schwerkraft der Erde, die Newtons Apfel zu Boden zieht, oder die magnetischen Kräfte, die eine Kompassnadel ablenken.

Die unglaublichen wissenschaftlichen Fortschritte, die mit Galilei und Newton ihren Anfang nahmen, gewannen im 18. Jahrhundert an Tempo, und gegen Ende des 19. Jahrhunderts war das Grundgerüst der klassischen Physik, wie man sie später nannte, im Wesentlichen gefestigt. Zu jener Zeit wusste man, dass auch andere Formen der Energie, beispielsweise Wärme und Licht, mit den Bestandteilen der Materie – den Atomen und Molekülen – interagieren können und dafür sorgen, dass diese wärmer werden, Licht aussenden oder ihre Farbe verändern. Objekte, so glaubte man nun, bestehen aus Teilchen, deren Bewegungen durch die Kräfte der Gravitation oder des Elektromagnetismus gelenkt werden.[1] Nun konnte man die materielle Welt – oder zumindest alle unbelebten Objekte – in zwei abgegrenzte Bereiche unterteilen: einerseits die sichtbare Materie, die aus Teilchen besteht, und andererseits die unsichtbaren Kräfte, die zwischen den Teilchen auf zunächst nur unvollständig geklärte Weise wirken, nämlich entweder als Energiewellen, die sich durch den Raum fortpflanzen, oder in Form von Kraftfeldern. Wie aber stand es mit der belebten Materie, aus der die Lebewesen bestehen? Woraus bestand sie, und wie bewegte sie sich?

Der Triumph der Maschinen