Der Rabbi von Majdanek - Trutz Hardo - E-Book

Der Rabbi von Majdanek E-Book

Trutz Hardo

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Beschreibung

Der Begründer des Chassidentums, Israel Ben Elieser (um 1700-1760), genannt Bal Schem Tov, hatte seinem Volk versprochen, zurückzukehren, wenn es in großer Not sein würde. Als Heilerrabbi kehrt er 1943 als Häftling ins Konzentrationslager Majdanek zurück. Mit diesem Buch wird eine neue literarische Gattung begründet: das Lese-Drama. Diese ist nicht für die Bühne gedacht, sondern der Leser stellt sich seine eigene Bühne vor, auf der dieses Drama aufgeführt wird. Warnung: Dieses Lese-Drama ist nicht für seelisch instabile Personen geeignet, denn es werden wahrhafte Geschehnisse aus dem Holocaust in Polen geschildert, die nicht für jeden zu verkraften sein dürften. Und trotzdem ist es für ein möglichst großes Publikum bestimmt, denn das grauenvolle Geschehen der Shoa soll nie vergessen werden. Die Namen der Täter sind authentisch, während die Opfer, so, wie sie geschildert und benannt werden, auch gelebt und geheißen haben könnten.

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Seitenzahl: 285

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Impressum:

© 2016 by Trutz Hardo

2. Auflage

Umschlaggestaltung, Bildmaterial: Trutz Hardo

Satz: Angelika Fleckenstein; spotsrock.de

Verlag: tredition GmbH Hamburg

ISBN:

978-3-7345-1258-2 Paperback

978-3-7345-1259-9 Hardcover

978-3-7345-1260-5 eBook

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Trutz Hardo

Der Rabbi von Majdanek

oder

Die Bitte um Vergebung

Lese-Drama in 34 Szenen

Dieses Drama ist dem Andenken all derer gewidmet die durch die Höllen des Naziterrors gingen. Ihre Leiden dürfen nie vergessen werden.

Auch ist es meinem Freund, dem Deutsch-Israeli Dr. med. Eli Lasch 1929 bis 2009, zugeeignet, dessen inneres Anliegen es war, eine Aussöhnung zwischen dem deutschen und dem jüdischen Volk herzustellen.

Außerdem ist es mit seiner Einwilligung Claude Lanzmann gewidmet, der durch seine, in Filmen festgehaltenen, Recherchen auch große Anstrengungen auf sich nahm, um nachträglich das Grauen der Shoa, bei der Millionen von Juden auf grausamste Weise das Leben verloren, aufzuzeigen.

Und ich möchte auch allen tapferen Menschen Dank sagen,

„Ich möchte etwas tun für diejenigen, die nicht überlebt haben. Ich möchte, dass die Erinnerung ihnen zum Andenken und zur Ehre erhalten bleibt.“

Dr. med. Zacheusz Pawlak

1. Szene

Itzak geht mit Ronia durch das Dorf. Es ist Frühling 1943.

Ronia: Ich bin so froh, dass du aus dem deutschen Kriegsgefangenenlager fliehen konntest.

Itzak: Nein, ein Lager war es ganz bestimmt nicht. Wir waren wohl mehrere Zehntausend Gefangene, die auf einem einfachen Feld kampierten, umgeben von Wachsoldaten. Es regnete. Wir hatten kein Dach überm Kopf. Es war kalt. Wir saßen oder lagen gar vor Müdigkeit im Schlamm. Es gab kaum was zu essen. Als einer von uns bei Dunkelheit sich an einen Baum außerhalb des erlaubten Bezirks setzte, um seine Notdurft zu verrichten, liefen zwei Soldaten herbei und schlugen auf ihn ein. Ich benutzte diese Gelegenheit, um zu einem Waldstück zu laufen. Schüsse peitschten hinter mir her. Zwölf Tage blieb ich auf der Flucht. Meist versteckte ich mich tagsüber im Wald. Doch bei Dunkelheit ging ich zu Bauern. Sie gaben mir zu essen. Eine Decke hatte ich auch bekommen. Ich durfte nie lange bleiben, da sie Angst hatten, einen Flüchtigen bei sich zu verstecken, was, wenn man sie verraten hätte, sicherlich Gefängnis – wenn nicht mehr – bedeutete. Doch ein Bauer hielt mich nahezu eineinhalb Jahre lang versteckt. Nachts mistete ich dafür seinen Schweine- und Kuhstall aus. Doch dann hielt ich es nicht länger aus. Ich musste zurück zu dir und unseren Eltern. Wir beide sind zwar offiziell Geschwister, aber ich wurde als blondhaariges Findelkind von unseren Eltern adoptiert. Sie, die selbst keine eigenen Kinder bekommen konnten, gaben uns jeweils einen jüdischen Namen, aber sie haben mich nicht beschneiden lassen.

Ronia: Ich wurde zwei Jahre nach dir als Findelkind unseren Adoptiveltern übergeben. Doch habe ich im Unterschied zu dir schwarze Haare.

Itzak: Ja, anscheinend wollten sie, dass wir später, wenn wir erwachsen wären, selbst entscheiden sollten, ob wir zum Judentum übertreten. Ronia, ich habe dich immer geliebt. Doch erst heute Morgen offenbarten uns die Eltern, dass wir keine richtigen Geschwister und auch keine Juden seien. In der Nachbarstadt sind alle Juden von der SS bereits abtransportiert worden. Die SS und ihre Hilfspolizisten könnten jeden Tag auch zu uns kommen. Wir als Nichtjuden können dann sagen, dass wir keine Juden sind und folglich zu Hause bleiben können. Sie sagen ja, dass alle Juden in ein Arbeitslager kämen. Aber ich traue den Deutschen nicht.

Ronia: Wie gut, dass wir heute erfahren haben, dass wir keine Juden sind. Ich habe dich ebenfalls geliebt, aber du warst ja, wie ich bis heute morgen glaubte, mein leiblicher Bruder. Ich liebe dich. Küss mich!

Sie küssen sich.

Itzak: Du musst so bald wie möglich meine Frau werden. Ich glaube, dass unsere Eltern das auch gerne wünschen.

Ronia: Aber du hattest dich doch noch, bevor du in die Sowjetarmee eingezogen worden bist, mit meiner Freundin Halina verlobt. Du wolltest sie doch nach Beendigung des Krieges heiraten.

Itzak: Ja, ich hatte ihr die Ehe versprochen. Ich wusste ja nicht, dass du nicht wirklich meine Schwester bist. Jetzt werde ich ihr mein Eheversprechen, das ich ihr gestern noch wiederholt gegeben hatte, aufkündigen.

Ronia: Das wird sie nicht verkraften können. Wir hatten jeden Tag bei ihr zu Hause oder in der Synagoge zusammen gebetet, dass du heil zurückkehren würdest. Sie liebt dich wahnsinnig. Sieh, da kommt sie mit dem Milcheimer.

Halina: Was fällt dir eigentlich ein, deine Schwester zu küssen? Und du hast die Unverschämtheit, sie darüber hinaus auch noch in aller Öffentlichkeit an dich zu drücken.

Itzak: Wir haben heute Morgen erfahren, dass wir nicht Geschwister sind. Die Leiners hatten uns adoptiert.

Halina: Deshalb bist du also noch unbeschnitten gewesen. zu Ronia Und jetzt hau ab, du Biest! Und wage es nicht noch einmal, mir meinen Verlobten zu küssen. Und meine Freundin bist du zum letzen Mal gewesen.

Itzak: Halina, ich muss dir etwas erklären. Ronia und ich waren schon als Jugendliche ineinander verliebt. Nun, da wir uns nicht mehr als Schwester und Bruder begegnen müssen, wollen wir für den Rest des Lebens zusammenbleiben. Ich kündige dir hiermit unsere Verlobung.

Halina: Wie? Ich versteh nicht recht. Gestern hattest du mir noch Liebe geschworen und die Ehe sehr bald in Aussicht gestellt. Und jetzt soll alles vorbei sein? Du hast mich nie geliebt.

Itzak: Doch. Aber ich habe Ronia immer mehr geliebt. Wir werden heiraten.

Halina: Du gemeiner Lügner! Sie zieht den Verlobungsring vom Finger und wirft ihn ihm vor die Füße Da! Den kannst du ihr nun an den Finger stecken. Ich verfluche euch! Ich werde alles tun, um eure Liebe zu zerstören.

2. Szene

Man hört das Brummen von herbeifahrenden Lastwagen.

Einige Stimmen: „Die Deutschen kommen! Schnell weg!“

Die Leute auf der Straße ziehen sich eilig in ihre Häuser zurück.

Ronia: Ich ahne Unheil! Ich verstecke mich in unserem Erdloch unter der Treppe.

Itzak: Bleib! Du bist keine Jüdin. Sie werden alle Häuser durchsuchen. Und wer sich versteckt, wird automatisch als Jude vermutet und sofort erschossen.

Ronia: Nein, ich verstecke mich. Erkläre ihnen, dass du kein Jude bist. Ich liebe dich. Pass auf dich auf. Sie gibt ihm noch einen Kuss und eilt davon.

Außer Itzak stehen noch zwei polnische Bauern auf der Straße.

Erster Bauerzum Nachbarn: Jetzt wird unser Ort endlich ebenfalls von Juden gesäubert. Wenn die nie wiederkehren, brauchen wir dem Mendel unsere Schulden nicht mehr zu bezahlen.

Zweiter Bauer: Mir tun die Juden sehr leid. Ich bin mit ihnen immer gut ausgekommen. Sie waren ehrlich und arbeitssam.

Erster Bauer: Aber bedenke doch, wie reich wir jetzt werden können. Ich plündere, sobald alle abgeholt worden sind, dem Mendel alles, was ich wegschleppen kann. Und du machst das Gleiche im Haus des Yudel.

Die Lastwagen halten vor einem Haus. Mehrere Uniformierte mit Gewehren springen ab, verteilen sich und schreien: „Alle Juden herauskommen! Wer sich versteckt hält, wird erschossen!“

Leute mit Kindern kommen heraus. Die SS und Hilfspolizisten schlagen auf jene ein, die ihr Haus nicht verlassen wollen, und schreien weiterhin: „Schnell, schnell! Los, auf den Wagen!“

Sie werden samt Kindern von den Uniformierten auf den Lastwagen geschubst oder von den dann oben Befindlichen hochgezogen.

Eine Frau: Wo bringt ihr uns hin?

Polizist: Ihr kommt in ein Arbeitslager. Dort bekommt ihr gute Arbeit und gut zu essen.

Die Frau: Und was ist mit den Kindern und den Alten?

Polizist: Babys bekommen beste Milch. Alle anderen werden gut verpflegt und behandelt.

Offizierzu den zwei Bauern: Was ist mit euch, die ihr hier herumsteht?

Bauer: Wir sind polnische Bauern. Ja, schafft die Juden fort.

Offizier: Könnt ihr bezeugen, dass ihr keine Juden seid?

Beide Bauernziehen die Hosen runter: Hier, sehen Sie. Wir sind nicht beschnitten.

Offizierdeutet auf Itzak: Und was ist mit dem Blonden da?

Bauer: Der ist Jude.

Offizierzu Itzak: Marsch auf den Wagen. Er schlägt mit der Peitsche auf ihn ein.

Itzak: Nicht schlagen. Ich bin kein Jude. Er zieht ebenfalls die Hosen runter.

Zweiter Offizier: Der, wie man sieht, hat germanisches Blut in sich. Er ist kräftig. Den können wir bestimmt anderweitig gebrauchen.

Erster Offizierzu Itzak: Du kommst mit. Zu einem herbeigewunkenen Soldaten: Setze ihn vorne in das Führerhaus.

Soldat: Jawohl, Herr Oberscharführer!

Itzak wird zum Lastwagen gebracht und muss vorne einsteigen, von wo aus er aus dem Fenster weiterhin das Geschehen beobachten kann

Zwei Soldaten schleppen die sich widersetzende Halina herbei. Sie sieht den aus dem Seitenfenster herausschauenden Itzak. Sie zeigt mit dem Finger auf ihn und ruft: Der dort hat uns alle verraten! Er ist ein Goj, der uns Juden hasst. Bestimmt hat er nicht das Versteck verraten, wo seine Ronia ist. Zum Offizier gewandt: Sie ist dort in dem Haus. Unter der Treppe ist eine Klappe. Darunter hält sie sich verborgen.

Zwei Soldaten eilen, vom Offizier angedeutet, in das Haus.

Itzaks Adoptiveltern und die gebrechliche Großmutter werden herbeigeführt. Er winkt ihnen zu.

Mutterruft: Itzak! Gott beschütze dich, mein Junge!

Itzak: Der Herr beschütze auch euch. Ich liebe euch!

Offizier: Ist das wirklich Ihr Sohn?

Mutter: Nein, wir haben ihn von einer deutschen Mutter adoptiert.

Alle drei werden von jenen auf dem Lastwagen Befindlichen hinaufgezogen.

Die beiden Soldaten bringen Ronia. Sie weint.

Ronia: Lasst mich los! Ich bin keine Jüdin.

Offizier: Wie willst du beweisen, dass du keine Jüdin bist?

Ronia: Ich wurde von einer jüdischen Familie adoptiert. Meine leibliche Mutter ist bestimmt keine Jüdin gewesen.

Halina: Doch! Ihre Mutter ist ganz gewiss eine Jüdin. Seht sie euch an. Sie sieht aus wie ich. 100 Prozent Jüdin.

Offizier: Beide auf den Wagen!

Itzakruft ihr zu: Ronia! Ronia! Ich werde dich beschützen. Ich liebe dich!

Während die Szene wechselt, hört man noch das Motorengebrumm der davonbrausenden Lastwagen.

3. Szene

Im Konzentrations- und Ausbildungslager Trawniki, 40 Kilometer südöstlich von Lublin. Itzak und sein Freund Frederic sind ausgebildete Hilfssoldaten der SS. Sie tragen dunkle Uniformen.

Frederic: Jetzt sind wir schon seit zwei Monaten hier und müssen auf die Häftlinge aufpassen. Einige von uns, die sich als der harte Kern herausstellten, meistens Ukrainer, sind schon nach Treblinka, Belzec und Sobibor abgestellt worden. Ja, als wir hier ankamen, mussten wir zuerst unterschreiben, dass wir allen Befehlen unserer deutschen Vorgesetzten nachzukommen haben. Da wussten wir noch nicht, was auf uns zukommen würde. Jetzt wissen wir es. Wir Hilfssoldaten, die man als Trawniki oder auch als Askari bezeichnet, müssen hauptsächlich Juden bewachen oder töten. Uns wurde angedroht, wer nicht den Befehlen der SS gehorcht, wird erschossen. Du warst Zimmermannsgeselle. Dich braucht man hier noch. Ich bin Schlosser. Wir beide haben Glück, bisher nicht ebenfalls Juden morden zu müssen. Lieber auf Häftlinge vom Wachturm aus aufpassen oder sie als Begleitkommando bewachen, als Menschen auf Befehl zu töten. Doch wer flieht, auf den müssen wir leider schießen.

Itzak: Aber du kannst ja daneben schießen.

Frederic: Das kann leicht als Feindbegünstigung ausgelegt werden. Du weißt, selbst wir können hart bestraft oder gar als Häftlinge in ein KZ gesperrt werden. Denke an unseren Freund Stanislaw. Er hatte sich geweigert, einen vor Erschöpfung niedergefallenen Sträfling zu erschießen. Jetzt ist er einer von ihnen, und wir müssen ihn von unseren Wachtürmen oder auf Arbeitskommandos bewachen.

Itzak: Wenn ich nur wüsste, wo meine Ronia hingebracht worden ist. Alle Juden unseres Dorfes hatte man zu einem Bahnhof gefahren, sie dort von den Lastwagen heruntergetrieben und in Viehwaggons verfrachtet. Ich habe alles von meinem Vordersitz aus mit ansehen können. Ronia konnte ich noch zurufen, dass ich sie befreien werde. Die Mutter meiner Adoptivmutter fiel vom Lastwagen und hatte sich wohl die Beine gebrochen. Sie konnte nicht mehr aufstehen. Dann hatte einer sie vor aller Augen erschossen. Diese verdammte SS! Warum wollen sie alle Juden umbringen?

Frederic: Da musst du den Hitler selbst fragen. Er ist der Oberteufel, der alles in Gang gesetzt hat.

Itzak: Wo sind wohl Ronia und unsere lieben Eltern hingebracht worden? Vielleicht hat man sie nach Belzec, Sobibor oder nach Lublin weiter transportiert.

Frederic: Die beiden ersten Orte sind neben Treblinka Vernichtungslager. Dort wird niemand überleben. Im KZ Lublin hat man die Chance, etwas länger zu leben, bis man dort vor Erschöpfung, Entbehrung oder Totschlag sein Ende findet. Auch dort führt man Vergasungen durch. Doch sollen nur die Arbeitsunfähigen, wie auch die Kinder und Alten sofort getötet werden.

Itzak: Hoffentlich wird Ronia dort hingebracht und als brauchbare Arbeitskraft selektiert, denn sie ist gesund und kräftig. Sie wird man bestimmt beschäftigen wollen. Sie ist gelernte Schneiderin, denn unsere Eltern betrieben eine Schneiderei. Vielleicht ist sie bei dem Sortieren der Kleider eingeteilt, denn die vielen Sachen der Eingelieferten und der Getöteten müssen aussortiert und eventuell ausgebessert werden, wonach alles Brauchbare zur Weiterverwendung ins Reich oder an die Front geschickt wird.

Frederic: Auch bei uns sind die Lagerräume voll mit den Sachen der Eingelieferten und der Toten oder Getöteten. Und jedem Toten schaut man in den Mund, ob da noch Gold in den Zähnen zu finden ist, das man herausschlägt. Doch erzähl mir von deiner Ronia. Ist sie hübsch?

Itzak: Sie ist die schönste junge Frau der ganzen Ukraine.

Fredericlachend: Du übertreibst.

Itzak: Nein, ganz und gar nicht. Sie ist klug. Sie spricht wie ich Jiddisch, Polnisch, Ukrainisch und auch Deutsch. Wir haben auf Deutsch in den Werken von Schiller und Goethe gelesen.

Frederic: Auch meine Eltern, obwohl Letten, sind deutschstämmig und lasen in den deutschen Klassikern. Wenn Goethe und Schiller gewusst hätten, was heute die Deutschen im Namen ihres teuflischen Führers anstellen, würden sie sich im Grabe umdrehen.

Itzak: Die haben sich sicherlich schon längst im Grabe umgedreht.

Frederic: Wie kann ein kultiviertes Volk wie die Deutschen auf solch einen österreichischen Anstreicher hereinfallen und ihm zujubeln? Das ist mir unbegreiflich.

Itzak: Hoffentlich hört uns keiner bei unserem Gespräch. Wir würden sofort wegen Defätismus erschossen werden. Könntest Du einen wehrlosen Juden erschießen?

Frederic: Wenn es darum ginge, er oder ich, dann würde ich ihn erschießen, um mein eigenes Leben zu retten.

Itzak: Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten würde. Erst gestern ist einer von uns aus Belzec zurückgekommen. Er sah ganz verstört aus. Der Arme hat sich letzte Nacht auf der Toilette erhängt.

Frederic: Ich werde mich nicht erhängen. Irgendwann ist der ganze Nazispuk vorbei. Ich will überleben, ganz egal auf welche Weise. Ich bin auch gleich, als die deutschen Soldaten unsere Armee angriffen, übergelaufen und habe mich als Deutschstämmiger ausgegeben. Hätte ich es nicht getan, wäre ich wohl im Kanonengewitter umgekommen oder im Kriegsgefangenenlager verhungert.

Itzak: Auch ich war in deutscher Kriegsgefangenschaft. Doch konnte ich bei Dunkelheit entkommen.

Frederic: Du wusstest, dass auf Flucht die Todesstrafe besteht. Hat man nie herausbekommen, wer eigentlich geflohen war?

Itzak: Wohl nicht. Wir waren noch nicht registriert. Und meinen Wehrpass hatte ich vor der Gefangenschaft vorsorglich verschwinden lassen. Als ich hier von dem Lagerführer gefragt wurde, ob ich nicht wie wir alle ebenfalls in der Sowjetarmee gedient hatte, sagte ich, dass ich auf keinen Deutschen schießen könnte und deshalb desertiert sei. Das hatte ihm sehr gefallen. Sie belügen uns. Warum sollten wir sie nicht belügen? Er sagte auch noch, dass ich es bei den Kameraden der SS gut haben solle.

Frederic: Ja, wir haben es gut. Jeden Tag reichlich Fleisch und auch Bier. Und Schnaps soll es auch für uns Trawnikis reichlich vor Einsatzkommandos geben.

Itzak: Hoffentlich werde ich nie dazu eingeteilt.

Plötzlich erscheint der Schutzhaftlagerführer.

Sturmführer: Alle auf dem Hof aufstellen, und zwar in voller Ausrüstung und mit reichlich Munition!

4. Szene

Etwa zehn Kilometer südöstlich des KZs Lublin, das erst nach dem Krieg als Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek, einem Vorort von Lublin, in die Geschichte eingehen wird, liegt unweit der Hauptstraße nach Zamorsc ein Waldstück mit dem Namen Krepiec. Itzak und Frederic befinden sich in voller Ausrüstung unter den etwa 30 Trawniki-Männern und fünf Männern der SS, von denen der Sturmführer das Kommando gibt.

Sturmführer: Wie ihr seht, sind hier schon die Gräben ausgehoben worden. Gleich kommen drei Lastwagen mit je 100 Juden – Männer, Frauen und Kinder. Unsere Aufgabe ist es, sie von den Wagen herunterzuholen, die Männer und Frauen getrennt sich ausziehen zu lassen und dann, wie schon besprochen, an den jeweiligen Rand der drei Gräben zu führen und sie von hinten durch Kopfschuss zu töten und in den Graben zu stoßen. Ich weiß, dass das für uns alle immer eine schwere Aufgabe ist. Aber wir dürfen keine Sentimentalitäten aufkommen lassen. Schlagt immer zu, gerechtfertigt oder nicht. Vor Schlägen haben alle Angst. Um die zu vermeiden, machen sie alles, was wir befehlen, alles! Ihr seid als harte Männer ausgebildet worden, die jedem Befehl von oben nachzukommen haben. Wie ihr wisst, sind die Juden die inneren und äußeren Feinde unseres germanischen Volkes. Der Bolschewismus und der amerikanische Imperialismus werden von Juden dirigiert, um uns von zwei Seiten zu vernichten. Und alle Juden, die sich in unseren eroberten Gebieten befinden, sympathisieren oder konspirieren mit dem östlichen und westlichen Feind. Wir kämpfen also hier an der inneren Front gegen unsere inneren Feinde. Wir erschaffen nun ein 1.000-jähriges Großgermanisches Reich vom Atlantischen Ozean bis an den Ural. Um das zu erreichen, müssen wir Mut und Entschlossenheit zeigen. Ihr alle, die ihr bei der Erschaffung dieses Vorhabens mitwirkt, werdet später reich belohnt werden. Unsere jetzige Aufgabe ist es, alle Juden, die sich im Generalgouvernement aufhalten, bis Ende des jetzigen Jahres 1943 zu vernichten. Keiner darf überleben. Dies ist ein Befehl des großen Führers Adolf Hitler. Sieg heil!

Alle erheben ihren ausgestreckten Arm und rufen im Chor: „Sieg heil! Sieg heil! Sieg heil!“

Man vernimmt das Gebrumm des ersten ankommenden Lastwagens.

Sturmführer: Nun los! Ihr wisst, was ihr zu tun habt.

Der Lastwagen bleibt stehen. Hinten und von den Vordersitzen springen vier bewaffnete Uniformierte ab und öffnen hinten die Ladeabdeckung. Die übrigen Bewaffneten haben das Gefährt umstellt. Unter vielen Rufen wie „Schnell, schnell!“ und „Beeilung!“ müssen sie sich in drei Gruppen aufstellen. Alle verängstigt. Einige weinen. Die meisten unter ihnen sind erstarrt. Einige haben die Hände auf die Brust gelegt

Eine Mutter: Mein Kind soll bei mir bleiben.

Ein Trawnikilachend: Also los, du Balg. Geh rüber zu deiner Mutter, Mammasöhnchen. Andere Trawniki lachen mit.

Eine Frau: Was haben Sie mit uns vor?

Trawniki und Itzak: Wir befreien euch jetzt alle von eurem Leid.

Frau: Heißt das, dass Sie uns jetzt erschießen?

Sturmführer: Lassen Sie sich nicht in das Geschwätz mit den Juden ein.

Ein Jude: Ja, wir werden jetzt alle erschossen. Wir kommen jetzt zu Gott. Gepriesen sei der Herr!

Sturmführer: Alle Jungen ab zehn und alle Männer stellen sich hier auf die linke Seite auf!

Wer von diesen sich zu langsam nach links begibt, wird von den SS-Leuten und Trawnikis mit Schubsen und auch Schlägen dorthin genötigt.

Sturmführer: Alle Frauen mit Kindern hier in die Mitte!

Diese gruppieren sich dort unter Wehklagen und Schreien der Kinder.

Ein Kind: Oma, bleib bei uns!

Ein Trawniki haut mit einem Stock auf den Kopf des Jungen. Dieser brüllt entsetzt auf.

Sturmführerzu den älteren Frauen: Und ihr tretet nach rechts! Inzwischen haben sich die Soldaten in drei Gruppen aufgeteilt und sich vor jede oder neben diese gestellt

Sturmführerzu seinen Männern: Ihr zwei bleibt hier und wartet auf den nächsten Transport. Sie sollen warten, bis wir zurückgekehrt sind. Zu den anderen: Und nun los!

Während die eine Gruppe mit den Männern nach links hin, die zweite Gruppe mit den Frauen und Kindern nach hinten eskortiert wird, setzt sich die dritte Gruppe mit den Frauen nach rechts in Bewegung. Einer aus der linken Gruppe hat einen Gebetsgesang auf Jiddisch angestimmt. Viele in den drei Gruppen stimmen ein.

5. Szene

Itzak und Frederic befinden sich in der rechten Gruppe, die vom Sturmführer angeführt wird. Sie sind an der länglichen Grube angekommen.

Sturmführer: Alle ausziehen! Aber flott! … Schneller! schneller!

Er, wie auch seine Männer, schlagen auf einige Frauen ein.

Fünf der nun Nackten müssen sich mit dem Gesicht zur Grube niederknien. Die anderen zetern, weinen, einige beten. Dann erfolgt die erste Erschießung in den Hinterkopf. Lautes Lamentieren der Dahinterstehenden.

Eine Fraudrängt sich vor und ruft, indem sie in den Graben springt: Mutter! Ich bleibe bei dir.

Der Sturmführerschießt mit seinem Maschinengewehr in den Graben: Hatte die es aber eilig! Lachen unter seinen Leuten. Los! Die nächsten fünf!

Eine Frau: Itzak, bist du es?

Itzak: Mutter! Er stürzt auf sie zu, wirft das Gewehr hin, fällt vor ihr nieder und hält ihre Beine umschlungen. Sie legt ihre Hände auf seinen Kopf und beide weinen. Wo ist Ronia?

Sie: Sie ist in Lublin im Frauenlager.

Itzak: Und wo ist Vater?

Sie: Er ist vor Entkräftung zusammengebrochen. Man hat ihn vergast.

Itzak schreit wild auf.

Sturmführerzu zwei Trawnikis: Los, zerrt ihn weg!

Itzak: Nein, das ist meine Mutter. Ihr dürft sie nicht erschießen! Nein!

Sie wird mit vier anderen an den Grubenrand geführt, worauf die sich Niederknienden erschossen werden. Itzak weint hemmungslos

Sturmführerzu den zwei Trawnikis: Bringt ihn her! … Du sagst, sie sei deine Mutter. Dann bist du also auch ein Jude.

Itzak: Sie haben mich als kleinen Jungen adoptiert. Ich bin kein Jude. Sie und ihr Mann waren für mich meine Eltern, die mich großzogen und mir sehr viel Liebe schenkten. Ich möchte jetzt auch wieder mit ihr vereint sein. Bitte, Herr Sturmführer, erschießen Sie mich ebenfalls.

Sturmführer: Ich habe nur den Befehl, Juden zu erschießen. Was mit dir geschieht, darüber wird der Lagerkommandant Florstedt im KZ Lublin entscheiden. Aber wie ich weiß, bist du Zimmermann. Dich benötigt man. Ich werde dich als Häftling ins Lager überstellen. Dort kannst du dich bewähren. Abführen!

Und während man weitere Schüsse vernimmt, wird Itzak, von zwei Trawnikis begleitet, zum Lastwagen geführt. Er muss sich in das Führerhaus setzen.

6. Szene

Schutzhaftlagerführer SS-Obersturmführer Thumann liegt im Bett auf der Krankenstation für höhere SS-Beamte im Konzentrationslager Lublin.

Revierarzt: Gleich muss er kommen. Sie können den Heilkräften dieses Rabbis vollkommen vertrauen.

Lagerführer: Mir ist alles egal. Hauptsache mein Nierenleiden hört auf.

Revierarzt: Dieser Rabbi verfügt über enorme Heilkräfte. Er brachte einen von uns, der schon für tot erklärt worden war, wieder ins Leben zurück.

Lagerführer: Warum müssen ausgerechnet einem schmierigen Rabbi solche Wunderkräfte verliehen sein?

Revierarzt: Da müssen Sie Gott fragen.

Lagerführer: Ach, lassen Sie doch diesen albernen Kerl aus dem Spiel. Einen Gott gibt es nicht. Unser heutiger Gott ist Adolf Hitler. Und die Sowjets haben Stalin zu ihrem Gott erhoben.

Revierarzt: Ich glaube, er kommt.

Man hört Klopfen an der Tür. Und der bartlose Rabbi in Sträflingskleidung mit einem Judenstern auf der Herzseite, begleitet von einem Wachmann, betritt das Zimmer. Der Rabbi bleibt an der Tür stehen. DerLagerführer winkt ihm zu, näher zu treten, und mit einer Handbewegung gibt er den beiden anderen zu verstehen, den Raum zu verlassen.

Lagerführer: Du bist ein Heiler, so sagt man. Woher hast du diese Gabe?

Rabbi: Von Gott.

Lagerführer: Von Gott, von Gott. Wenn ich das schon höre. Entweder du hast diese Gabe vererbt bekommen oder sie dir aneignen können.

Rabbi: Ich habe diese Gabe aus einem früheren Leben mit in das heutige gebracht.

Lagerführer: Dass ich nicht lache. Frühere Leben? Pah! lacht Was ihr Juden euch nicht alles so ausdenkt. Am Ende willst du mir wohl weismachen, dass ich ebenfalls ein früheres Leben hatte?

Rabbi: Sie haben sogar schon viele Leben gelebt. In einem Ihrer früheren Leben waren Sie ein Kreuzritter, der einen Speerstich in die linke Lendenseite bekommen hatte und nach grässlichem Leiden starb.

Lagerführer: Ist das etwa der Grund, warum ich genau an dieser Stelle meine Nierenschmerzen habe?

Rabbi: Ja, das wird sicherlich so sein. Schlagen Sie bitte einmal Ihre Decke hoch, damit ich meine Hände über diese Stelle gleiten lassen kann, ohne Ihren Körper dabei zu berühren. … Viele negative Geschehnisse sind in der Aura…

Lagerführer: Was ist das?

Rabbi: So etwas wie ein elektromagnetisches Feld. Alles, was wir im heutigen oder in früheren Leben an körperlichem oder auch seelischem Leid erfahren haben, wird in diesem Feld gespeichert. Ich hole Ihnen diese Programmierung nun durch Ausstreichungen heraus.

Lagerführer: Wenn du nicht gewusst haben würdest, wo ich Schmerzen habe, hättest du es dann auch erspüren können?

Rabbi: Ja, sicherlich. Dieses elektromagnetische Feld oder die Aura, wenn Sie so wollen, zeigt sich in Farben. Wo immer sich eine besonders dunkelrote oder braune Farbe zeigt, bedeutet es, dass dort eine ungute Speicherung vorhanden ist, die auf den Körper ausstrahlt.

Lagerführer: Ich spüre dort nun eine angenehme Wärme.

Rabbi: Das bedeutet, dass der Heilprozess begonnen hat.

Lagerführer: Wo kommen Sie eigentlich her?

Rabbi: Aus Medzhibizh.

Lagerführer: Wo liegt denn das?

Rabbi: Südöstlich von Lwow. Die Deutschen nennen es Lemberg.

Lagerführer: Da gibt es bestimmt keine Juden mehr.

Rabbi: Das stimmt leider. In jener Gegend gab es seit über 400 Jahren viele jüdische Dörfer und Schtetls.

Lagerführer: Wo haben Sie denn ihr exzellentes Deutsch gelernt?

Rabbi: Im heutigen und in früheren Leben bin ich weit herumgekommen. So sind mir die Synagogen in vielen großen Städten in Europa und einige sogar in Amerika vertraut.

Lagerführer: Wie? Sie waren schon in Amerika?

Rabbi: Ja.

Lagerführer: Wie sind Sie denn dorthin gekommen? Mit dem Schiff oder mit dem Flugzeug?

Rabbi: Weder noch. Es gibt Techniken, in Gedanken sofort an jedem beliebigen Ort der Welt zu sein.

Lagerführer: Also, jetzt beginnen Sie aber zu spinnen.

Rabbi: Es gibt so Vieles, das man mit dem Verstand nicht erfassen kann.

Lagerführer: Der Revierarzt erzählte mir, dass Sie auch schon einen Toten wieder zum Leben zurückgebracht hatten.

Rabbi: Das stimmt nicht ganz. Der angeblich Tote hatte zwar keinen Puls- und Herzschlag mehr, aber seine Silberschnur, die den physischen mit dem Astralkörper verbindet, war noch intakt. Somit war es mir noch gestattet, ihn wieder lebendig werden zu lassen. Es war Gottes Kraft, die durch mich wirken durfte.

Lagerführer: Bitte erwähnen Sie Gott in meiner Gegenwart nicht mehr. Sonst muss ich lästern. Übrigens, die Schmerzen sind nun auf einmal weg.

Rabbi: Das freut mich.

Lagerführer: Kann ich Ihnen irgendeinen Gefallen tun? Haben Sie einen Wunsch? Ich werde Ihnen diesen, soweit es in meiner Befugnis steht, gerne erfüllen.

Rabbi: Ich würde gerne in meinem schwarzen Gewand samt meinem schwarzen Hut herumgehen und damit meine leidenden oder sterbenden Brüder und Schwestern besuchen, um ihnen in der höchsten Not beizustehen. Und ich möchte auch meinen Bart wieder wachsen lassen.

Lagerführer: Dann werden Sie hier der erste Sträflingsjude sein, der in voller Rabbimontur mit einem Bart herumlaufen darf. Aber meinetwegen. Ich werde den Feld- und Blockführern und allen Wachmännern Bescheid geben, dass man Ihnen gestattet, als Rabbi mit Bart herumgehen zu dürfen, ohne vor jedem meiner Leute den Hut lüften zu müssen. Und keiner soll Sie deswegen verspotten.

Rabbi: Ganz herzlichen Dank, Herr Lagerführer. Darf ich noch eine kleine Bitte aussprechen?

Lagerführer: Nur zu.

Rabbi: Die Leute in meinem Block haben riesigen Hunger.

Lagerführer: Welcher Block ist es?

Rabbi: Im dritten Feld, Block 7.

Lagerführer: Ich werde veranlassen, dass ihr Block morgens, mittags und abends jeweils eine doppelte Ration erhält.

Rabbi: Ganz herzlichen Dank, Herr Lagerführer. Und wenn Ihnen wieder etwas Schmerzen bereiten sollte, dann lassen Sie mich rufen.

Der Rabbi geht zur Tür, öffnet sie. Der davor stehende Wachmann geleitet ihn.

Der Revierarzt betritt das Zimmer.

Revierarzt: Na, sind Ihre Schmerzen weg?

Lagerführer: Ja. Aber vielleicht kommen sie wieder.

Revierarzt: Wenn ich selbst oder einer meiner Häftlingsärzte Schmerzen hat, dann lassen wir uns auch vom Rabbi behandeln. Und meistens bedarf es keiner Nachbehandlung. Es ist ein Wunder. Selbst bei heftigen Zahnschmerzen zaubert er diese in wenigen Minuten weg.

Lagerführer: Das ist unglaublich. Den müssen wir uns unbedingt erhalten. Dem darf nichts passieren. Und geben Sie ihm nur leichte Arbeit. Auch könnte er sicherlich hin und wieder eine Extraportion Essen vertragen.

Revierarzt: Das haben wir ihm schon oft angeboten. Aber er sagt, er wolle nur das zu sich nehmen, was seine Mithäftlinge täglich zu essen bekommen.

Lagerführer: Heilen mag er können. Aber ansonsten ist er ein schrulliger Kerl mit abwegigen Ideen. Frühere Leben, Astralkörper, Silberschnur. Dass ich nicht lache.

Revierarzt: Ja, die Chassiden, eine große jüdische Sekte, glauben an die Wiedergeburt.

Lagerführer: Solche Spinner. Dann ist er bestimmt auch einer von diesen. Na ja, mit ihrem Tod wird auch dieser Irrglaube ausgestorben sein. Wir erlauben uns den Spaß, ihn in seiner Rabbitracht herumlaufen zu lassen. Übrigens sollten Sie diesen wunderwirkenden Kauz als Hilfssanitäter einstellen. Er kann noch so manchem von uns als Heiler zu Diensten sein.

Revierarzt: Daran habe ich auch schon gedacht.

7. Szene

Hinter dem Lager befindet sich die Gärtnerei mit vielen Beeten, auf denen Gemüse gepflanzt wird. Weiter hinten ist jenes Gartengrundstück zu sehen, in welchem Blumen für die SS blühen. Linker Hand pflanzt eine Gruppe von Häftlingen Setzlinge.

1. Häftlingkauernd: Heute haben wir Glück. Da ist der gute Kapo Yakuv unser Wachmann.

2. Häftling: Ja, Gott sei Dank. Er lässt uns auch während der Arbeit miteinander reden. Die anderen schlagen uns gleich, wenn wir uns während der Arbeit unterhalten. Letzten Monat, als Ekel Emil mich schlug, ging Yakuv dazwischen und sagte: „Den dürfen wir nicht zurichten. Der ist unser wichtigster Mann in der Elektroabteilung. Thumann wird sauer auf Sie sein, wenn er nicht mehr arbeitseinsatzfähig sein sollte.“ Er hat, um mich zu retten, einfach gelogen. Und Ekel Emil hat mich seitdem in Ruhe gelassen.

1. Häftling: Du hast aber ein Glück. Mich hat er schon dreimal derart mit der Peitsche geschlagen und einmal davon nicht nur auf den Rücken, sondern ins Gesicht, sodass die Striemen noch lange zu sehen waren. Doch vor seinem Schäferhund habe ich die größte Angst.

2. Häftling: Ja, gestern noch hetzte er diese Bestie auf einen nach heftigen Schlägen am Boden Liegenden. Diese hatte er dressiert, nicht nur in die Beine, sondern auch in die Kehle zu beißen.

1. Häftling: Der hat es gut. Nun ist alles überstanden. Keine Ängste werden ihn mehr heimsuchen. Manchmal denke ich, dass ich aufgebe und einfach in den Elektrozaun laufe. Entweder werde ich auf dem Weg dahin vom Wachposten vom Turm aus erschossen, oder der Strom zeitigt mein Leben.

2. Häftling: Ich gebe nicht auf. Halte du auch durch. Doch wenn du, wie du sagst, dein Leben zeitigen willst, dann renne sehr schnell in die Stromleitungen. Vom Wachturm aus könntest du nur angeschossen werden und blutend liegen bleiben. Dann schleifen sie dich in die Gaskammer, wo du noch 15 bis 20 Minuten grässlichste Qualen erleidest.

Ich muss leben. Ich will wissen, ob meine Schwester Tinka noch lebt. Sie ist mit mir mit dem Transport aus Radom hierher gebracht worden. Auf der Bahnstation in Lublin wurden wir getrennt. Wie ich in Erfahrung bringen konnte, wurde sie zuerst nach Budzyn transportiert und von dort ins Lager auf dem Flughafen. Mich steckte die SS-Polizei zuerst in das Gefängnis im Lubliner Schloss. Ich wurde gefoltert, weil sie meinten, ich hätte in Radom auf einen Polizisten geschossen. An meinen Armen siehst du noch die Narben. Hier. Er streckt ihm die Arme entgegen. Auch mein Rücken ist voll davon. Als sie nun nichts aus mir herausbekommen konnten, schickten sie mich hierher ins Lager.

1. Häftling: Ich glaube, dass der Yakuv mit uns Juden Mitleid hat.

2. Häftling: Warum hat er wohl einen jüdischen Namen? Und wenn er ein gutes Herz hat, warum ist er aber unter die SS-Verbrecher gegangen?

1. Häftling: Vielleicht hat er dadurch seine Familie retten können? Oder er sucht hier unter den Gefangenen seine Angehörigen. Er war bestimmt unbeschnitten geblieben oder stammt aus einer Mischehe. Sag, Herschel, bist du ein orthodoxer Jude gewesen?

2. Häftling: Eigentlich nicht. Nur den Eltern zuliebe bin ich hin und wieder in die Synagoge gegangen. Ich trieb mich lieber bei den Gojmädchen herum. Weil ich so gut tanzen konnte, war ich sozusagen ihr Schwarm. Damals sah ich noch gut aus. Keine von denen würde mich heute wiedererkennen.

1. Häftling: Wussten sie, dass du Jude bist?

2. Häftling: Einige schon. Aber in der Stadt war man tolerant. Die Nichtjuden ließen uns in Ruhe. Nur die Schuljungen belästigten unsere Jungen und Mädchen und riefen ihnen böse Dinge nach oder bewarfen sie mit Steinen. Doch als die Nazischergen kamen, da hatten uns viele Polen denunziert, sodass wir uns nicht mehr verstecken konnten, bevor wir ins Ghetto kamen. Und? Bist du orthodox erzogen worden?

1. Häftling: Ja. strikt. Am Sabbat durften wir keinen Handschlag ausführen, weder spazieren gehen, außer zur Synagoge, noch zu Hause kochen, nähen, Karten spielen, jedoch viel beten.

2. Häftling: Ja, das kenne ich von anderen jüdischen Familien. Meine Eltern waren mir und Tinka gegenüber sehr tolerant.

1. Häftling: Heute ist Sabbat. Ich dürfte heute eigentlich gar nicht arbeiten.

2. Häftling: Hier sind alle religiösen Gesetze aufgehoben. Die meisten SS-Schergen, wenn sie uns beim Beten erwischen, schlagen gleich zu.

1. Häftling: Soll ich den Yakuv mal fragen, ob wir heute am Sabbat langsamer arbeiten dürfen?

2. Häftling: Versuch es. Mein Rücken tut mir wieder vom Bücken verdammt weh.

1. Häftlingzu dem Wachmann: Herr Yakuv, heute ist unser heiliger Sabbat. Dürfen wir deshalb etwas weniger hart arbeiten?

Yakuv: Tut so, als ob ihr arbeitet. Aber die ersten Beete müssen auf jeden Fall noch heute bepflanzt werden.