Der Regenkönig - Saul Bellow - E-Book

Der Regenkönig E-Book

Saul Bellow

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Beschreibung

Die große Suche nach der eigenen Identität. Eugene Henderson, mehrfacher Millionär und Vater von fünf Kindern, ist ein Mensch voller Widersprüche. Eingesperrt in einem Gefängnis von Verpflichtungen und Sehnsüchten, spürt er einen starken Mangel, ein inneres Vakuum, das er weder zu deuten noch zu füllen vermag. So verschlägt es ihn in einer kompromisslosen Suche nach Freiheit und nach der eigenen Identität in den Urwald Afrikas. Von einem Eingeborenen begleitet, dringt er in das Innere des Landes vor, in die Kultur verschiedener Stämme und in Gegenden, die seit Jahrzehnten kein Weißer mehr betreten hat. Saul Bellow behandelt in diesem Roman die großen Themen der Selbstentfremdung und Selbstfindung auf bis dahin ganz neue und radikale Weise. Ein Klassiker, der die hintergründigsten komischen Szenen der modernen amerikanischen Literatur für den Leser bereithält.

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Seitenzahl: 639

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Saul Bellow

Der Regenkönig

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch von Herbert A. Frenzel

Kurzübersicht

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Titelseite

Über Saul Bellow

Über dieses Buch

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

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Über Saul Bellow

Saul Bellow wurde am 10. Juni 1915 in Lachine/Quebec als Sohn jüdisch-russischer Einwanderer geboren. Seine Kindheit verbrachte er in Montreal, 1924 zog die Familie nach Chicago. Dort besuchte er die Tuley High School und studierte später Anthropologie und Soziologie an der Northwestern University. Bellow übte verschiedene Tätigkeiten aus, bevor er seit 1938 dauerhaft an verschiedenen amerikanischen Universitäten lehrte, unter anderem an Princeton und an der Universität von Chicago. Am 5. April 2005 starb der Schriftsteller in Brookline, Massachusetts, im Alter von 89 Jahren. Bellow war mehrmals verheiratet und hatte vier Kinder. Saul Bellow selbst erhielt für sein umfangreiches literarisches Werk zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Nobelpreis für Literatur 1976.

 

Das gesamte Werk von Saul Bellow ist lieferbar bei Kiepenheuer & Witsch.

 

 

Der Übersetzer

Herbert Alfred Frenzel (1908–1995) war ein deutscher Skandinavist, Journalist, Übersetzer und Theaterwissenschaftler.

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Über dieses Buch

Eugene Henderson, mehrfacher Millionär und Vater von fünf Kindern, ist ein Mensch voller Widersprüche. Eingesperrt in einem Gefängnis von Verpflichtungen und Sehnsüchten, spürt er einen starken Mangel, ein inneres Vakuum, das er weder zu deuten noch zu füllen vermag. So verschlägt es ihn in einer kompromisslosen Suche nach Freiheit und nach der eigenen Identität in den Urwald Afrikas. Von einem Eingeborenen begleitet, dringt er in das Innere des Landes vor, in die Kultur verschiedener Stämme und in Gegenden, die seit Jahrzehnten kein Weißer mehr betreten hat. Saul Bellow behandelt in diesem Roman die großen Themen der Selbstentfremdung und Selbstfindung auf bis dahin ganz neue und radikale Weise. Ein Klassiker, der die hintergründigsten komischen Szenen der modernen amerikanischen Literatur für den Leser bereithält.

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

1

Warum machte ich eigentlich diese Reise nach Afrika? Das lässt sich nicht mit ein paar Worten erklären. Die Schwierigkeiten häuften sich immer mehr, und sehr bald waren sie einfach unlösbar.

Wenn ich an meinen Zustand im Alter von fünfundfünfzig zurückdenke, als ich mir die Flugkarte kaufte, ist es der reine Jammer. Die einzelnen Tatsachen stürzen auf mich ein, und bald spüre ich einen Druck in der Brust. Ein heilloses Durcheinander türmt sich vor mir auf – meine Eltern, meine Frauen, meine Mädchen, meine Kinder, meine Farm, meine Tiere, meine Gewohnheiten, mein Geld, meine Musikstunden, meine Trunkenheit, meine Vorurteile, meine Brutalität, meine Zähne, mein Gesicht, meine Seele! Ich muss schreien: »Nein, nein, weg mit euch, zum Teufel, lasst mich in Frieden!« Aber können sie mich denn in Frieden lassen? Sie gehören zu mir. Sie gehören mir. Und sie gehen von allen Seiten her auf mich los. Es gibt ein Chaos.

Nun – die Welt, die ich für einen so gewaltigen Tyrannen hielt, wütet nicht mehr gegen mich. Wenn ich Ihnen jetzt jedoch Einblick gebe und Ihnen erkläre, weshalb ich nach Afrika ging, muss ich den Tatsachen ins Auge sehen. Lassen Sie mich mit dem Geld beginnen. Ich bin reich. Von meinem alten Herrn erbte ich drei Millionen Dollar nach Abzug der Steuern, aber ich hielt mich für einen Vagabunden und hatte meine Gründe dafür, vor allem den, dass ich mich wie ein Vagabund benahm. Insgeheim jedoch, wenn es ganz schlimm um mich stand, blätterte ich häufig in Büchern, um vielleicht in ihnen ein paar hilfreiche Worte zu finden, und eines Tages las ich: »Die Vergebung der Sünden ist ewig, und der Rechtschaffenheit als Voraussetzung bedarf es nicht.« Das beeindruckte mich so tief, dass ich es ständig vor mich hin sagte. Aber dann vergaß ich, in welchem Buch es stand. Es war eines von Tausenden aus der Hinterlassenschaft meines Vaters, der auch eine Anzahl davon geschrieben hatte. Und ich suchte in Dutzenden von Bänden, aber alles, was zum Vorschein kam, war Geld, denn mein Vater hatte Geldscheine als Lesezeichen benutzt – so wie er sie gerade in seinen Taschen vorfand – Fünf-, Zehn- oder Zwanzigdollarnoten. Ein paar ungültige der Dreißigerjahre, diese großen gelben Lappen, kamen zum Vorschein. Da sie an vergangene Zeiten erinnerten, freute mich das Wiedersehen mit ihnen, ich schloss die Tür zur Bibliothek ab, um vor den Kindern sicher zu sein, und verbrachte den Nachmittag auf einer Leiter mit dem Ausschütteln von Büchern, und das Geld schwebte auf den Fußboden hinunter. Doch jene Äußerung über die Vergebung habe ich nie wiedergefunden.

Nächster Punkt der Tagesordnung: Ich habe eine Efeuliga-Universität absolviert – ich sehe keine Veranlassung, meine Alma Mater durch Nennung ihres Namens in eine peinliche Lage zu bringen. Wäre ich nicht ein Henderson und nicht der Sohn meines Vaters gewesen, hätten sie mich hinausgeworfen. Beim Eintritt ins Leben wog ich vierzehn Pfund, und es war eine schwere Geburt. Ich wuchs heran. Ganze 1,93 m. Ich wiege 104 Kilo. Mein Kopf ist riesig, kantig, mit Haaren wie Persianerpelz. Misstrauische Augen, gewöhnlich leicht zusammengekniffen. Polterndes Benehmen. Große Nase. Ich war eines von drei Kindern und das einzige überlebende. Mein Vater musste alle seine Milde aufbieten, um mir das zu verzeihen, und ich glaube nicht, dass er es je völlig tat. Als ich in das heiratsfähige Alter kam, versuchte ich, ihm Freude zu machen, und entschied mich für ein Mädchen unserer eigenen sozialen Schicht. Eine bemerkenswerte Person, schön, groß, elegant, sehnig, mit langen Armen und goldenem Haar, zurückhaltend, fruchtbar und ruhig. Niemand von ihren Angehörigen kann mir verübeln, wenn ich hinzufüge, dass sie schizophren ist, denn sie ist es wirklich. Ich gelte gleichfalls für verrückt, und mit gutem Grund – ich bin launisch, schroff, tyrannisch und vermutlich übergeschnappt. Nach dem Alter der Kinder gerechnet, waren wir rund zwanzig Jahre lang verheiratet. Da wären zunächst Edward, Ricey, Alice, dann noch zwei weitere – du lieber Himmel, ich habe eine erkleckliche Zahl von Kindern. Der Herr segne den ganzen Haufen.

Auf meine Art habe ich mich abgerackert. Heftig zu leiden, ist Arbeit, und häufig war ich schon vor dem Lunch betrunken. Bald nachdem ich aus dem Krieg zurückgekehrt war (ich war für den Frontdienst zu alt, aber ich ließ mich durch nichts davon abhalten; ich fuhr nach Washington hinunter und bekniete die zuständigen Stellen, bis man mich zur kämpfenden Truppe schickte), wurden Frances und ich geschieden. Es geschah nach der deutschen Kapitulation. War es wirklich gleich damals? Nein, es muss im Jahre 1948 gewesen sein. Wie dem auch sei, Frances lebt jetzt in der Schweiz und hat eines unserer Kinder bei sich. Was sie mit dem Kind will, kann ich Ihnen nicht sagen, aber sie hat eines, na schön! Ich wünsche ihr alles Gute.

Über die Scheidung war ich recht froh. Sie gab mir die Möglichkeit, noch einmal im Leben von vorn anzufangen. Ich hatte bereits eine neue Frau aufgetan, und wir ließen uns bald trauen. Meine zweite Frau heißt Lily (Mädchenname Simmons). Wir haben zwei Buben, Zwillinge.

Ich verspüre jetzt wieder das heillose Durcheinander – ich habe Lily das Leben schwer gemacht, schwerer als Frances. Frances schloss sich ab, und das schützte sie, aber Lily nahm jeden Schlag hin. Vielleicht hat die Verbesserung meiner Lage mich ganz durcheinandergebracht; ich war einfach auf ein elendes Leben eingestellt. Wenn Frances verabscheute, was ich tat – und das geschah häufig –, wandte sie sich von mir ab. Sie war wie Shelleys Mond, zog ohne Begleiter dahin. Lily tat das nicht, und so habe ich mit Lily in der Öffentlichkeit getobt und sie zu Hause verflucht. In den Wirtshäusern rings um meine Farm geriet ich in Händel, und die Gendarmen sperrten mich ein. Ich wollte mit allen zusammen kämpfen, und sie hätten mich verdroschen, wäre ich in der Gegend nicht so prominent gewesen. Lily erschien und holte mich gegen eine Kaution heraus. Dann hatte ich Krach mit dem Tierarzt wegen eines meiner Schweine und ebenso mit dem Fahrer eines Schneepfluges auf der Autostraße, als er mich von der Straße abzudrängen versuchte. Ungefähr vor zwei Jahren fiel ich schließlich betrunken von einem Traktor, überfuhr mich selbst und brach mir ein Bein. Monatelang ging ich an Krücken, schlug jedes Wesen, das meinen Weg kreuzte, gleichgültig ob Mensch oder Tier, und machte Lily das Leben zur Hölle. Ich hatte die Statur eines Fußballspielers und die Hautfarbe eines Zigeuners, fluchte und brüllte, fletschte die Zähne und schüttelte den Kopf – kein Wunder, dass mir die Leute aus dem Wege gingen. Aber das war noch nicht alles.

Lily hat zum Beispiel Damengesellschaft, und ich trete mit meinem schmutzigen Gipsverband und in Schweißsocken ins Zimmer. Ich trage einen roten Velvet-Hausmantel, den ich mir bei Sulka in Paris in der Stimmung zu feiern kaufte, als Frances erklärte, sie wolle sich scheiden lassen. Außerdem trage ich eine rote wollene Jagdmütze. Und ich wische mir Nase und Bart an meinen Fingern ab und schüttele dann den Gästen mit den Worten »Gestatten, Henderson« die Hände. Und ich gehe zu Lily hin und schüttele auch ihr die Hand, als wäre auch sie nur eine geladene Dame, eine Fremde wie alle Übrigen. Und ich sage: »Guten Tag!« Ich denke mir, die Damen sagen sich: »Er kennt sie nicht, in seiner Vorstellung ist er noch immer mit der Ersten verheiratet. Ist das nicht schrecklich?« Diese imaginäre Treue regt sie auf.

Aber sie sind alle im Irrtum. Wie Lily weiß, geschah das alles mit Absicht, und als wir allein sind, ruft sie unter Tränen: »Eugen, was soll das? Worauf willst du hinaus?«

Mit der roten Kordel umgürtet, trete ich ihr in meinem Velvet- Bademantel mit weit herausgestrecktem Hintern entgegen; der fußförmige Gipsverband schabt vernehmlich über den Boden; ich wiege den Kopf hin und her und sage: »Tschu-tschu-tschu!«

Als man mich nämlich in ebendiesem verfluchten schweren Gipsverband aus dem Krankenhaus nach Hause brachte, hörte ich Lily am Telefon erklären: »Es war nur wieder einmal einer seiner Unfälle. Sie reißen bei ihm nicht ab, aber ach, er ist so zäh. Er ist gar nicht umzubringen.« Gar nicht umzubringen! Wie gefällt Ihnen das? Es hat mich sehr verbittert.

Nun, vielleicht sagte Lily es im Scherz. Sie scherzt am Telefon gern. Sie ist eine große, lebhafte Frau. Ihr Gesicht ist reizend, und ihr Charakter stimmt im Allgemeinen mit ihrem Gesicht überein. Wir haben auch manche hübsche Stunde miteinander verlebt. Und dabei fällt mir ein, einige der nettesten ereigneten sich, als Lilys Schwangerschaft schon weit fortgeschritten war. Ehe wir schlafen gingen, rieb ich ihren Bauch stets mit Babyöl gegen die Folgen der Dehnung ein. Lilys rosa Brustwarzen waren rötlich braun geworden, und die beiden kleinen Lebewesen bewegten sich in Lilys Bauch und veränderten seine Rundungen.

Ich rieb ganz leicht und mit größter Behutsamkeit, damit meine großen dicken Finger nicht den geringsten Schaden anrichteten. Ehe ich dann das Licht ausknipste, wischte ich meine Finger an meinem Haar ab. Wir gaben uns einen Gutenachtkuss, und im Duft des Babyöls schliefen wir ein.

Später war dann wieder Krieg zwischen uns, und als ich Lily sagen hörte, ich sei nicht umzubringen, deutete ich diese Äußerung wider besseres Wissen in feindlichem Sinn. Vor den Gästen behandelte ich Lily wie eine Fremde, weil ich es nicht ausstehen konnte, dass sie sich als Dame des Hauses benahm und gebärdete; denn ich, der alleinige Erbe dieses berühmten Namens und Vermögens, bin ein Vagabund, und sie ist keine Dame, sondern nur meine Frau – nur meine Frau.

Da mich die Winter immer unausstehlicher machten, bestimmte Lily, dass wir ein Kurhotel am Golf von Mexiko aufsuchen sollten, wo ich etwas angeln konnte. Ein fürsorglicher Freund hatte jedem der Zwillinge eine Schleuder aus Sperrholz geschenkt; eine dieser Schleudern fand ich beim Auspacken in meinem Koffer, und ich begann mit ihr zu schießen. Ich gab das Angeln auf, saß am Strand und schoss mit Steinen auf Flaschen. Damit die Leute sagen konnten: »Siehst du den großen massigen Kerl dort mit der riesigen Nase und dem Schnurrbart? Sein Urgroßvater war Außenminister, seine Großonkel waren Botschafter in England und Frankreich, und sein Vater war der berühmte Gelehrte Willard Henderson, der das Buch über die Albigenser geschrieben hat, ein Freund von William James und Henry Adams.« Haben sie das nicht gesagt? Verlassen Sie sich darauf, sie haben es gesagt! Da saß ich also in diesem Kurort mit meiner besorgten zweiten Frau, die ein reizendes Gesicht hatte und etwa 1,80 m groß war, und mit unseren Zwillingen. Im Speisesaal goss ich mir aus einer großen Flasche Whisky in meinen Morgenkaffee, und am Strand zertrümmerte ich Flaschen. Die Gäste beschwerten sich bei dem Geschäftsführer über die Glasscherben, und der Geschäftsführer trug den Fall Lily vor; mit mir wollten sie nicht in nähere Berührung kommen. Ein elegantes Etablissement, Juden werden nicht aufgenommen, und dann bekommen sie ausgerechnet mich, E. H. Henderson. Die anderen Kinder spielten nicht mehr mit unseren Zwillingen, und die Damen gingen Lily aus dem Weg.

Lily versuchte mich zur Vernunft zu bringen. Wir waren in unserer Suite, ich in Badehose, und sie eröffnete die Diskussion über die Schleuder und die Scherben sowie über mein Benehmen den übrigen Gästen gegenüber. Nun, Lily ist eine sehr intelligente Frau. Sie schimpft nicht, aber sie predigt gern Moral; sie tut es sogar sehr gern, und wenn sie in Fahrt ist, wird sie kreideweiß und beginnt zu flüstern. Nicht etwa, weil sie Angst vor mir hat, sondern weil es dabei in ihrem eigenen Innern zu einer Krise kommt.

Da die Diskussion mit mir sie jedoch zu keinem Ziel führte, begann Lily zu weinen, und als ich die Tränen sah, verlor ich den Kopf und schrie: »Ich jage mir eine Kugel in die Schläfe! Ich erschieße mich! Ich habe den Revolver nicht zu Hause gelassen. Ich habe ihn bei mir!«

»Ach, Eugen!«, rief Lily weinend, bedeckte ihr Gesicht und lief davon.

Ich will Ihnen sagen, warum.

2

Weil Lilys Vater auf genau die gleiche Art Selbstmord begangen hatte, auch mit einem Revolver.

Eines der Bande zwischen Lily und mir ist die Tatsache, dass wir beide viel Plage mit den Zähnen haben. Lily ist zwanzig Jahre jünger als ich, aber wir tragen beide Brücken. Meine befinden sich an den Seiten, ihre vorn. Lily hat die vier oberen Schneidezähne verloren. Es passierte, als sie noch die Highschool besuchte, beim Golfspielen mit ihrem Vater, den sie vergötterte. Der arme Alte war ein Säufer und an jenem Tage viel zu betrunken, um sich auf einem Golfplatz zu tummeln. Ohne sich umzusehen oder es anzukündigen, spielte er vom ersten Erdhaufen los und traf beim Zurückschwingen seine Tochter. Es bringt mich jedes Mal um, wenn ich an diesen verfluchten juliheißen Golfplatz, diesen Trunkenbold aus dem Klempnerbedarfsgeschäft und an das blutende fünfzehnjährige Mädchen denke. Zum Teufel mit solchen schwächlichen Trunkenbolden! Zum Teufel mit solchen haltlosen Männern! Ich kann diese Hanswürste nicht ausstehen, die immer gleich, wenn sie benebelt sind, hinauslaufen, um ihr gebrochenes Herz zu zeigen. Aber Lily wollte nie ein einziges Wort gegen ihren Vater hören und beweint eher ihn als sich selbst. Sie trägt sein Foto in ihrer Tasche.

Persönlich bin ich dem Alten nie begegnet. Als ich Lily kennenlernte, war er schon seit zehn oder zwölf Jahren tot. Bald nach seinem Tode heiratete Lily einen Mann aus Baltimore; einen recht angesehenen Mann, hat man mir gesagt – allerdings fällt mir ein, dass Lily es mir selber gesagt hat. Die beiden passten dann jedoch nicht zueinander, und während des Krieges erwirkte Lily die Scheidung (ich kämpfte damals in Italien). Als wir uns kennenlernten, war Lily jedenfalls wieder zu Hause und lebte bei ihrer Mutter. Die Familie stammt aus Danbury, der Hutmacherstadt. Eines Abends im Winter waren Frances und ich zufällig auf einer Gesellschaft in Danbury, und Frances war nur halb bei der Sache, weil sie mit irgendeinem Intellektuellen oder so etwas drüben in Europa korrespondierte. Frances liest leidenschaftlich gern, schreibt mit Hingabe Briefe und raucht viel, und sobald sie an irgendetwas Philosophischem oder etwas anderem Feuer fing, sah ich sie wenig. Ich wusste dann nur, dass sie oben in ihrem Zimmer saß, Sobranie-Zigaretten rauchte, hustete und sich Notizen machte, etwas ausarbeitete. Wie gesagt, sie befand sich, als wir zu jener Gesellschaft fuhren, in einer dieser geistigen Krisen, und mitten darin fiel ihr plötzlich etwas ein, das sie sofort erledigen müsse; sie nahm also ihren Wagen und fuhr, ohne jeden Gedanken an mich, davon. Ich war an jenem Abend gleichfalls durcheinander, ich war der einzige Mann im Smoking. Mitternachtsblau. Ich muss in jener Gegend der erste mit einem blauen Smoking gewesen sein. Mir war, als trüge ich eine ganze Breitwand aus diesem blauen Stoff, während Lily, der ich etwa zehn Minuten zuvor vorgestellt worden war und mit der ich mich unterhielt, ein weihnachtlich rot und grün gestreiftes Kleid angezogen hatte. Als Lily sah, was geschehen war, schlug sie vor, mich mitzunehmen, und ich sagte: »In Ordnung!« Wir stapften durch den Schnee zu ihrem Wagen.

Es war eine funkelnde Nacht, und der Schnee knirschte. Lily hatte auf einer Anhöhe geparkt, die vielleicht dreihundert Meter lang und glatt wie ein Bügeleisen war. Sobald der Wagen sich von dem Straßenrand entfernt hatte, geriet er ins Schleudern, und Lily verlor den Kopf und rief: »Eugen!« Sie fiel mir um den Hals. Auf dem ganzen Hügel und auf den gefegten Wegen, ja, so weit ich sehen konnte, in dem ganzen Viertel war sonst keine Seele. Der Wagen drehte sich vollständig um sich selbst. Lilys nackte Arme kamen aus den kurzen Pelzärmeln hervor und hielten meinen Kopf, während ihre großen Augen durch die Windschutzscheibe spähten und der Wagen über das Eis und den Raureif rutschte. Er war noch nicht eingekuppelt, und ich griff nach dem Schlüssel und schaltete die Zündung aus. Wir glitten, wenn auch nicht tief, in eine Schneewehe hinein, und ich setzte mich ans Steuer. Das Mondlicht war sehr grell.

»Woher wussten Sie meinen Namen?«, fragte ich, und sie erklärte: »Nun, jeder weiß doch, dass Sie Eugen Henderson sind.«

Nachdem wir noch einige Worte gewechselt hatten, sagte sie zu mir: »Sie sollten sich von Ihrer Frau scheiden lassen.«

Ich entgegnete: »Was reden Sie da? Sagt man so etwas? Außerdem, ich bin alt genug, um Ihr Vater zu sein.«

Erst im Sommer sahen wir uns wieder. Diesmal machte Lily Einkäufe; sie trug einen Hut und ein weißes Pikeekleid, dazu weiße Schuhe. Es sah nach Regen aus, und sie wollte in dieser Garderobe (die, wie ich bemerkte, bereits beschmutzt war) nicht davon überrascht werden; und sie fragte mich, ob ich sie mitnehmen würde. Ich hatte in Danbury Bauholz für die Scheune gekauft, und der Kombiwagen war damit beladen. Lily wollte mir den Weg zu ihrem Hause zeigen, verlor aber in ihrer Nervosität die Orientierung; sie war sehr schön, jedoch schrecklich nervös. Es war schwül, und dann begann es zu regnen. Lily sagte, ich solle rechts einbiegen, und so kamen wir zu einem grauen Zaun, der sich um einen mit Wasser gefüllten Steinbruch zog – also in eine Sackgasse. Es war so dunkel geworden, dass das Netz des Zaunes weiß wirkte. Lily rief weinerlich: »Oh, drehen Sie um, bitte! Schnell, fahren Sie zurück! Ich weiß die Straßen nicht mehr und muss nach Hause.«

Schließlich, gerade als der Sturm einsetzte, gelangten wir dorthin; es war ein kleines Haus, in dem es wie in geschlossenen Räumen bei heißem Wetter roch.

»Meine Mutter spielt Bridge«, sagte Lily. »Ich muss sie anrufen und ihr sagen, dass sie nicht nach Hause kommen soll. Ich habe einen Apparat in meinem Schlafzimmer.« Also gingen wir hinauf. Lily hatte nichts Leichtsinniges oder Zweideutiges, das können Sie mir glauben. Als sie ihre Kleider auszog, stieß sie mit zitternder Stimme hervor: »Ich liebe dich! Ich liebe dich!« Und als wir uns in den Armen lagen, sagte ich zu mir selbst: »Wie kann sie dich lieben – dich – ausgerechnet dich!« Draußen begann es heftig zu donnern, dann ergoss sich ein Wasserfall auf Straßen, Bäume, Dächer, Scheiben, und es blitzte auch. Alles wurde davon voll und geblendet. Aber ein warmer Geruch wie von frischen Brötchen stieg von Lily auf, als wir in ihren Betttüchern lagen, die von der warmen Finsternis des Sturmes geschwärzt waren. Von Anfang bis Ende hatte Lily immer wieder gesagt: »Ich liebe dich!« Jetzt lagen wir ruhig da, und die frühen Stunden des Abends begannen, ohne dass die Sonne noch einmal wiederkam.

Lilys Mutter wartete im Wohnzimmer. Es war mir nicht sehr lieb. Lily hatte angerufen und ihr gesagt: »Komm vorläufig nicht nach Hause«, und deshalb hatte ihre Mutter sofort die Bridgegesellschaft verlassen und sich durch eins der seit vielen Jahren schlimmsten Sommergewitter hindurchgekämpft. Nein, es gefiel mir nicht. Nicht, dass die alte Dame mich aus der Fassung brachte, aber ich durchschaute die Geschichte. Lily hatte dafür gesorgt, dass sie entdeckt wurde. Ich lief als Erster die Treppe hinunter und sah eine Lampe neben dem Sofa. Und als ich unten auf der Treppe angelangt war und der alten Dame Auge in Auge gegenüberstand, sagte ich: »Mein Name ist Henderson.« Lilys Mutter war eine korpulente, hübsche Frau, die sich für die Bridgegesellschaft ein Porzellanpuppengesicht angeschminkt hatte. Sie trug einen Hut und hatte, als sie jetzt dort saß, eine Lackledertasche auf ihren fülligen Knien. Ich merkte, dass sie im Geiste Lilys Schuldkonto belastete: »In meinem eigenen Hause! Mit einem verheirateten Mann!« Und so weiter. Gleichgültig saß ich in dem Wohnzimmer, unrasiert, mein Bauholz draußen in dem Kombiwagen. Lilys Duft, dieser Brötchenduft, muss um mich herum wahrnehmbar gewesen sein. Und Lily, ausnehmend schön, kam die Treppe herunter, um ihrer Mutter zu zeigen, was sie fertiggebracht hatte. Den Geistesabwesenden mimend, placierte ich meine großen Schuhe ein Stückchen auseinander auf dem Teppich und fuhr mir von Zeit zu Zeit über meinen Schnurrbart. Zwischen den beiden Frauen spürte ich die gewichtige Gegenwart von Simmons, Lilys Vater, dem Klempnerbedarf-Großhändler, der Selbstmord begangen hatte. Er hatte sich tatsächlich in dem Schlafzimmer neben Lilys Zimmer getötet. Lily gab ihrer Mutter die Schuld am Tode des Vaters. Und was war ich, das Instrument ihrer Wut? »Nein, mein Junge«, sagte ich mir, »das ist nichts für dich. Halte dich heraus!«

Es schien, als habe sich die Mutter entschlossen, nett zu sein. Sie wollte sogar besonders nett sein und Lily bei diesem Spiel schlagen. Vielleicht war das ganz natürlich. Mir gegenüber gab sie sich jedenfalls durchaus als Dame, aber dann kam doch der Augenblick, in dem sie es nicht lassen konnte, zu sagen: »Ich kenne Ihren Sohn.«

»So? Einen schlanken jungen Mann? Edward? Er fährt einen roten MG. Man begegnet ihm gelegentlich in Danbury. »

Kurz darauf ging ich. Zu Lily sagte ich: »Du bist ein nett aussehendes großes Mädchen, aber das hättest du deiner Mutter nicht antun sollen.«

Die korpulente alte Dame saß mit gefalteten Händen auf dem Sofa, und durch die Tränen oder den Verdruss bildeten ihre Augen eine durchgehende gerade Linie unter den Brauen.

»Auf Wiedersehen, Eugen«, sagte Lily.

»Auf Wiedersehen, Miss Simmons«, sagte ich.

Wir schieden nicht gerade als Freunde.

Dennoch sahen wir uns bald wieder, aber in New York, denn Lily hatte sich von ihrer Mutter getrennt, Danbury verlassen und sich eine Wohnung ohne Warmwasser in der Hudson Street gemietet, wo die Betrunkenen im Treppenhaus vor dem Wetter Zuflucht suchten. Ich erschien, ein Schwergewicht, ein Riesenschatten auf diesen Treppen, mein Gesicht gezeichnet von Landluft und Alkohol, gelbe schweinslederne Handschuhe an den Händen und in meinem Herzen eine Stimme, die unaufhörlich sagte: Ich darbe, ich darbe, ich darbe, ach, ich darbe – ja, nur weiter so, sagte ich zu mir selbst, Schlag zu, schlag zu, schlag zu, schlag zu! Und in meinem dicken, wattierten Mantel, mit Schweinslederhandschuhen und Schweinslederschuhen, eine Schweinslederbrieftasche in meiner Tasche, stieg ich die Treppe hinauf, siedend von Sinnenlust und siedend vor Seelenschmerz, und ich spürte, wie mein Blick dem obersten Geländer entgegenfunkelte, wo Lily die Tür geöffnet hatte und wartete. Ihr Gesicht war rund, weiß und voll, ihre Augen waren klar und leicht zusammengekniffen.

»Himmel! Wie kannst du bloß in dieser stinkigen Spelunke wohnen? Hier stinkt es doch«, sagte ich. In dem Haus befanden sich die Toiletten auf den Treppenabsätzen, die Ketten zum Ziehen hatten sich grün verfärbt, und die Türen hatten Scheiben aus pflaumenfarbenem Glas.

Lily liebte die Menschen der Elendsviertel, besonders die alten und die Mütter. Sie sagte, sie verstehe, warum diese Leute Fernsehgeräte hätten, obwohl sie Unterstützung bezögen; sie gestattete ihnen, ihre Milch und ihre Butter bei ihr im Kühlschrank aufzubewahren, und sie füllte ihnen ihre Formulare für die Sozialversicherung aus. Ich glaube, sie hatte das Gefühl, sie tue ihnen Gutes und zeige diesen Einwanderern und Italienern, wie nett eine Amerikanerin sein könne. Jedenfalls versuchte sie aufrichtig, ihnen zu helfen, lief, leicht erregbar wie sie war, umher, und äußerte eine Menge zusammenhangloser Dinge.

Die Gerüche dieses Hauses griffen dem Eintretenden geradezu ins Gesicht, und als ich die Treppe heraufkam, sagte ich: »Puh – ich bin am Ende!«

Wir gingen in Lilys Wohnung im obersten Stock. Sie war gleichfalls schmutzig, hatte aber wenigstens Licht. Wir setzten uns hin, um uns zu unterhalten, und Lily sagte zu mir: »Willst du auch noch den Rest deines Lebens vergeuden?«

Mit Frances war es ein hoffnungsloser Fall. Nur einmal, nachdem ich vom Militär zurückgekehrt war, kam es zwischen uns zu etwas Persönlicherem, danach war es aus, daher ließ ich sie mehr oder weniger in Ruhe. Abgesehen davon, dass wir eines Morgens in der Küche eine Unterredung hatten, die uns ein für alle Mal trennte. Es waren nur ein paar Worte. Etwa so:

»Und was möchtest du denn jetzt tun?«

(Ich verlor damals gerade die Lust an der Farm.)

»Ich überlege«, sagte ich, »ob es schon zu spät für mich ist, Arzt zu werden – ob ich noch Medizin studieren könnte.«

Frances öffnete ihren Mund, diesen gewöhnlich so nüchternen, um nicht zu sagen trübseligen und schnurgeraden Mund, und lachte mich aus; und als sie lachte, sah ich nichts als ihren dunklen offenen Mund und nicht einmal Zähne, und das ist gewiss seltsam, denn sie hat Zähne, weiße. Was war mit ihnen passiert? »Schon gut, schon gut«, sagte ich.

Ich merkte also, dass Lily völlig recht hatte mit Frances. Trotzdem kam sie bei mir nicht zum Ziel.

»Ich muss ein Kind haben. Ich kann nicht mehr allzu lange warten«, sagte Lily. »In ein paar Jahren bin ich dreißig.«

»Bin ich dafür verantwortlich?«, sagte ich. »Was ist mit dir los?«

»Du und ich, wir gehören zusammen«, sagte sie.

»Wer sagt das?«

»Wenn wir nicht zusammenbleiben, werden wir sterben«, sagte sie.

 

Es verging etwa ein Jahr, ohne dass es Lily gelang, mich zu überzeugen. Ich glaubte nicht, es könne so einfach sein. Plötzlich heiratete sie dann einen Mann aus New Jersey, er hieß Hazard und war Makler. Dabei fällt mir ein, dass sie von ihm schon ein paarmal gesprochen hatte, aber ich vermutete, es handele sich wieder nur um einen Erpressungsversuch von ihr. Denn Lily war eine Erpresserin. Jedenfalls heiratete sie ihn. Es war ihre zweite Heirat. Ich nahm damals Frances und die beiden Mädchen und reiste auf ein Jahr nach Europa, nach Frankreich.

Ich hatte mehrere Jahre meiner Kindheit im Süden des Landes, in der Nähe der Stadt Albi, verbracht, wo mein alter Herr seinen Forschungen nachging. Vor fünfzig Jahren hatte ich immer wieder ein Kind von gegenüber geneckt: »François, oh, François, ta sœur est constipée«. Mein Vater war ein großer Mann, gediegen und sauber. Seine langen Unterhosen waren aus irischem Leinen, seine Hutschachteln waren mit rotem Velvet gefüttert, seine Schuhe bezog er aus England und seine Handschuhe von Vitale Milano, Rom. Er spielte ziemlich gut Geige. Meine Mutter schrieb in der Backstein-Kathedrale von Albi Gedichte. Sie erzählte mit Vorliebe eine Geschichte von einer sehr affektierten Dame aus Paris. Die beiden Frauen begegneten sich in einer engen Kirchentür, und die Dame sagte: »Voulez-vous que je passasse?« Darauf sagte meine Mutter: »Passassassez, Madame.« Diesen kleinen Scherz erzählte sie jedem, und viele Jahre lang lachte sie bisweilen auf und sprach flüsternd vor sich hin: »Passassassez«. Entschwunden, diese Zeiten. Vorbei, besiegelt, dahin.

Aber Frances und ich fuhren mit den Kindern nicht nach Albi. Frances besuchte das Collège de France, das Hauptquartier aller Philosophen. Wohnungen waren schwer zu bekommen, aber ich mietete eine Suite von einem russischen Fürsten. De Vogué erwähnt des Fürsten Großvater, der unter Nikolaus I. Minister war. Der Fürst war ein hochgewachsener, edler Mann; seine Frau war Spanierin, und seine spanische Schwiegermutter, Senora Guirlandes, zankte ständig mit ihm. Der Gute hatte viel unter ihr zu leiden. Seine Frau und die Kinder wohnten mit der alten Dame zusammen, während er in das Mädchenzimmer in der Mansarde zog. Ich besitze rund drei Millionen Dollar. Ich nehme an, ich hätte etwas tun können, um ihm zu helfen. Aber zu jener Zeit verzehrte sich mein Herz in dem von mir erwähnten Notschrei – ich darbe, ich darbe! Armer Fürst, da oben in der Mansarde! Seine Kinder waren krank, und er sagte mir, wenn sich seine Lage nicht bessere, werde er sich aus dem Fenster stürzen.

Ich antwortete: »Seien Sie doch nicht verrückt, Fürst.«

Mit einem Schuldgefühl bewohnte ich seine Räume, schlief in seinem Bett und badete zweimal täglich in seiner Wanne. Statt sie zu lindern, verschlimmerten diese beiden warmen Bäder nur meine Melancholie. Nachdem Frances über meinen Traum von einer ärztlichen Laufbahn gelacht hatte, besprach ich nie wieder etwas mit ihr. Jeden Tag lief ich straßauf, straßab durch Paris; den ganzen Weg zu den Gobelinfabriken und dem Père-Lachaise-Friedhof und nach St. Cloud ging ich zu Fuß. Die einzige Person, die sich Gedanken über mein Leben machte, war Lily, jetzt Lily Hazard. Beim American-Express fand ich ein paar Zeilen von ihr vor, die sie lange nach dem Datum der Hochzeit auf eine der Heiratsanzeigen geschrieben hatte. Ich barst vor Kummer, und da es in der Gegend um die Madeleine herum von Huren wimmelt, musterte ich einige von ihnen genauer, aber den schrecklichen Kehrreim in meinem Innern – Ich darbe, ich darbe! – brachte keines der Gesichter, die ich sah, zum Schweigen. Und ich sah eine ganze Menge Gesichter.

»Vielleicht kommt Lily‹, dachte ich. Und sie kam. Sie durchkreuzte die Stadt in einem Taxi, hielt Ausschau nach mir, und in der Nähe der Metrostation Vavin holte sie mich ein. Groß und strahlend rief sie mich aus dem Wagen an. Sie öffnete die altmodische Tür und versuchte, auf dem Trittbrett zu stehen. Ja, sie war schön – ein gutes Gesicht, ein klares, reines Gesicht, warm und weiß. Ihr Hals, als sie sich aus der Tür des Taxis herausbeugte, war kräftig und wohlgestaltet. Ihre Oberlippe zitterte vor Freude. Aber so erregt sie auch war, dachte sie doch an ihre Vorderzähne und entblößte sie nicht. Was machten mir in diesem Augenblick neue Porzellanzähne aus. Gepriesen sei Gott für die Gnadenbeweise, die Er mir immer wieder zukommen lässt!

»Lily! Wie geht es dir, Kleines? Wo kommst du her?«

Ich war schrecklich froh. Sie fand, ich sei ein großes Wickelkind, aber dennoch von wirklichem Wert, ich müsse leben und dürfe nicht sterben (noch ein weiteres Jahr wie dieses in Paris, und irgendetwas in mir wäre für immer eingerostet), und dass auch von mir noch etwas Gutes kommen könne. Sie liebe mich.

»Was hast du mit deinem Mann gemacht?«, sagte ich.

Auf dem Wege zurück zu ihrem Hotel, den Boulevard Raspail hinunter, erzählte sie mir: »Ich dachte, ich müsse Kinder haben. Ich würde zu alt.« (Uly war damals siebenundzwanzig.) »Aber auf dem Wege zur Trauung sah ich, dass es ein Irrtum war. Bei einem Stopplicht versuchte ich, in meinem Hochzeitskleid aus dem Wagen zu springen, aber er packte mich und zerrte mich zurück. Er schlug mir ins Auge«, sagte sie, »und es war gut, dass ich einen Schleier trug, denn das Auge wurde blau, und ich weinte während der ganzen Zeremonie. Übrigens, meine Mutter ist tot.«

»Was! Er hat dich geschlagen?«, sagte ich wütend. »Sollte ich ihn je erwischen, werde ich ihn in Stücke reißen. Dass deine Mutter gestorben ist, tut mir leid.«

Ich küsste Lily auf die Augen, und dann kamen wir in ihrem Hotel am Quai Voltaire an und waren, als wir uns umarmt hielten, auf dem Gipfel der Seligkeit. Es folgte eine glückliche Woche; wir gingen überallhin, und Hazards Privatdetektiv folgte uns. Ich mietete deshalb einen Wagen, und wir machten eine Rundreise durch die Städte mit Kathedralen. Und Lily in ihrer wunderbaren Art – sie tut alles wunderbar – begann mich zu quälen. »Du denkst, du kannst ohne mich leben, aber du kannst es ebenso wenig«, sagte sie, »wie ich ohne dich leben kann. Die Schwermut drückt mich einfach zu Boden. Weshalb habe ich mich wohl von Hazard getrennt? Aus Schwermut. Wenn er mich küsste, empfand ich sie ganz besonders. Ich fühlte mich völlig verlassen. Und wenn er …«

»Das genügt. Ich will nichts weiter hören«, sagte ich.

»Es war besser, als er mir ins Auge schlug. Darin lag eine gewisse Wahrheit. Jedenfalls fühlte ich mich nicht so zu Boden gedrückt.«

Ich fing zu trinken an, stärker als je zuvor, und war in jeder der großen Kathedralen betrunken – in Amiens, Chartres, Vézelay und so weiter. Lily musste häufig am Steuer sitzen. Es war ein kleiner Wagen (ein Deux-Cent-Deux décapotable oder Kabriolett), und wir beide ragten bei unserer Größe aus den Sitzen heraus, helle Haut neben dunkler Haut, Schönheit neben Trunkenheit. Meinetwegen war Lily den weiten Weg aus Amerika hergekommen, und ich wollte sie ihre Mission nicht erfolgreich beenden lassen. So fuhren wir die ganze Strecke bis hinauf nach Belgien und wieder zurück zu dem Zentralmassiv, und für jemand, der Frankreich liebt, wäre das prachtvoll gewesen, aber ich liebte Frankreich nicht. Vom ersten bis zum letzten Tage hatte Lily nur dieses eine Thema, sie predigte Moral: man könne nicht für dieses leben, sondern müsse für jenes leben, nicht böse, sondern gut, nicht der Tod, sondern das Leben, nicht Illusion, sondern Wirklichkeit. Lily spricht nicht deutlich; ich nehme an, man hat ihr im Pensionat beigebracht, eine Dame spreche leise, und infolgedessen murmelt sie; ich aber höre auf der rechten Seite schwer, und der Wind, die Reifen und der kleine Motor mischten ihre Geräusche auch noch hinein. Aus der freudigen Erregung von Lilys großem reinem weißem Gesicht entnahm ich jedoch, dass sie noch immer predigte. Mit strahlendem Antlitz und fröhlichen Augen verfolgte sie mich. Ich konnte beobachten, dass Lily in vielem nachlässig und sogar unsauber war. Sie vergaß, ihre Wäsche zu waschen, bis ich es ihr in meiner Betrunkenheit einfach befahl. Vielleicht lag der Grund darin, dass sie es so sehr mit der Moral und dem Denken hatte, denn als ich sagte: »Wasch dir dein Zeug«, begann sie mit mir darüber zu streiten. »Die Schweine auf meiner Farm sind sauberer als du«, sagte ich; und das führte zu einer Debatte. Die Erde selbst ist ähnlich, verrottet. Ja, aber sie ist in ständiger Umgestaltung begriffen. »Ein einzelnes Individuum kann den Stickstoffkreislauf nicht allein besorgen«, sagte ich zu Lily; und sie sagte, das stimme, aber ob ich denn wisse, was Liebe vermöge? Ich schrie sie an:

»Halt den Mund.« Sie wurde darüber nicht wütend. Sie empfand Mitleid mit mir.

Die Rundreise ging weiter, und ich war ein doppelt Gefangener – gefangen von der Religion und der Schönheit der Kirchen, die ich trotz meiner Betrunkenheit durchaus wahrnahm, und ebenso von Lily, ihrem Glühen, ihrem Murmeln, ihren Umarmungen. Hundertmal hat sie zu mir gesagt: »Komm mit mir zurück in die Staaten. Ich bin gekommen, um dich heimzuholen.«

»Nein«, sagte ich, »wenn du eine Spur von Herz hättest, würdest du mich nicht quälen, Lily. Ich habe es satt, vergiss nicht, dass ich Träger des Verwundetenabzeichens bin. Ich habe meinem Lande gedient. Ich bin über fünfzig, und ich habe schon Sorgen genug gehabt.«

»Umso mehr Anlass, dass du jetzt etwas tust«, sagte sie.

Schließlich erklärte ich ihr in Chartres: »Wenn du jetzt nicht damit aufhörst, jage ich mir eine Kugel durch den Kopf.«

Dies war grausam von mir, da ich wusste, was ihr Vater getan hatte. Trotz meiner Betrunkenheit konnte ich selbst die Grausamkeit kaum ertragen. Der alte Mann hatte sich nach einem Familienstreit erschossen. Er war ein reizender Mann gewesen, schwach, mit einem weichen Herzen, zärtlich und sentimental. Mit Whisky vollgetankt kam er nach Hause und sang dann Lily und der Köchin Lieder aus alter Zeit vor; er erzählte in der Küche Witze, führte Stepptänze und freche Varieténummern vor, machte all diese Witze mit seinem Schluckauf – ein schlechter Dienst an seiner Tochter. Lily hat mir alle Einzelheiten erzählt, bis ihr Vater mir so gegenwärtig wurde, dass auch ich den alten Bastard liebte und verabscheute. »He, du alter Schuhplattler, du alter Herzensbrecher, du jämmerlicher Spaßvogel – du Clown!«, sagte ich zu seinem Geist. »Was denkst du dir eigentlich dabei, dergleichen mit deiner Tochter zu tun und sie dann mir zu überlassen?« Als ich in der Kathedrale von Chartres, im Angesicht dieser heiligen Schönheit, mit Selbstmord drohte, hielt Lily den Atem an. Der Glanz in ihrem Gesicht wurde so zart wie der einer Perle. Wortlos verzieh sie mir.

»Es ist mir völlig gleichgültig, ob du mir verzeihst oder nicht«, sagte ich.

In Vézelay kam es zum Eclat. Unser Aufenthalt in diesem Ort war von Anfang an merkwürdig. Als wir am Morgen hinunterkamen, hatte das Deux-Cent-Deux-Kabriolett einen Plattfuß. Da es herrliches Juniwetter war, hatte ich es abgelehnt, den Wagen in einer Garage unterzustellen, und meiner Meinung nach hatte die Hoteldirektion die Luft aus dem Reifen gelassen. Ich beschuldigte das Hotel und schrie in der Gegend herum, bis man im Büro die eisernen Läden herunterließ. Ich wechselte rasch den Reifen, benutzte keinen Wagenheber, sondern hob in meiner Wut den kleinen Wagen selber und schob einen großen Stein unter die Achse. Nach der Auseinandersetzung mit dem Geschäftsführer des Hotels (wobei wir beide nur immer wieder »Pneu, pneu« sagten) war meine Stimmung besser, und wir spazierten um die Kathedrale herum, kauften ein Kilo Erdbeeren in einem Papiertrichter und gingen auf die Wälle hinaus, um uns in die Sonne zu legen. Aus den Lindenbäumen fiel gelber Staub herab, und an den Stämmen der Apfelbäume wuchsen wilde Rosen. Blassrot, sattrot, feurig, schmerzhaft, herb wie Zorn, süß wie berauschende Drogen. Lily zog ihre Bluse aus, damit die Sonne ihre Schultern beschien. Dann zog sie auch ihren Unterrock aus, und nach einer Weile ihren Büstenhalter, und legte sich in meinen Schoß. Verärgert sagte ich: »Woher glaubst du zu wissen, was ich will?« Milder gestimmt dann durch die Rosen an all den Baumstämmen, ihr Drängen, Ranken, Lodern, setzte ich hinzu: »Kannst du dich denn nicht einfach der Schönheit dieses Kirchhofs hingeben?«

»Es ist kein Kirchhof, es ist ein Obstgarten«, sagte sie.

Darauf ich: »Gerade gestern hat deine Periode eingesetzt. Worauf willst du also hinaus?«

Sie sagte, ich hätte doch bisher nie etwas dagegen gehabt, und das stimmte auch. »Aber jetzt habe ich etwas dagegen«, sagte ich, und wir begannen uns zu streiten, und der Streit wurde so hitzig, dass ich ihr erklärte, sie solle mit dem nächsten Zug allein nach Paris zurückfahren.

Lily schwieg. Jetzt habe ich dich, dachte ich. Aber nein, es schien ihr nur zu beweisen, wie sehr ich sie liebte. Ihr verzücktes Gesicht verfinsterte sich unter der Spannung von Liebe und Freude. »Du wirst mich nie umbringen, ich bin viel zu abgehärtet!«, schrie ich sie an. Und dann begann ich zu weinen, von all den unerträglichen Leiden in meinem Herzen. Ich weinte und schluchzte.

»Hinein mit dir, du Hure«, sagte ich unter Tränen. Und ich klopfte das Dach des Kabrioletts auf. Es hat Stangen, die man herausnimmt, und dann rollt man das Verdeck zurück.

Keuchend, bleich vor Angst, aber auch gezeichnet von ihrer verfluchten exaltierten Verklärung stammelte Lily, während ich am Steuer schluchzte, etwas von Stolz und Stärke, von Seele, Liebe und dergleichen.

Ich fuhr sie an: »Scher dich zum Teufel, du bist ja übergeschnappt!«

»Ohne dich – vielleicht! Vielleicht bin ich dann nicht ganz beieinander und schwer von Begriff«, sagte sie. »Aber wenn wir zusammen sind, dann weiß ich es einfach.«

»Einen Dreck weißt du. Wieso weiß ich dann nichts!? Bleib mir vom Halse. Du machst mich völlig kaputt.«

Ich schmiss Lilys albernen Handkoffer mit den ungewaschenen Kleidungsstücken auf den Bahnsteig. Noch immer schluchzend wendete ich auf dem Bahnhof, der rund zwanzig Kilometer von Vézelay entfernt lag, und steuerte auf Südfrankreich zu. Ich fuhr zu einem Ort an der Côte Vermeille mit Namen Banyules. Dort befindet sich eine meeresbiologische Forschungsstelle, und in dem Aquarium hatte ich ein seltsames Erlebnis. Es war Zwielicht. Ich betrachtete einen Tintenfisch, und das Tier schien auch mich zu betrachten und seinen weichen Kopf an das Glas zu pressen, ganz flach, so dass das Fleisch blass wurde und körnig – gebleicht, gesprenkelt. Die Augen sprachen kalt zu mir. Sprechender aber noch, und noch kälter, war der weiche Kopf mit seinen Farbtup- fen und die Brownsche Bewegung in diesen Tupfen, eine kosmische Kälte, in der ich spürbar hinstarb. Die Fangarme pochten und tasteten durch das Glas, die Luftblasen fuhren in die Höhe, und ich dachte: ›Dies ist mein letzter Tag. Der Tod gibt mir ein Zeichen.‹

So viel über meine Selbstmorddrohung Lily gegenüber.

3

Und jetzt ein paar Worte über meine Gründe, nach Afrika zu gehen.

Als ich aus dem Krieg zurückkehrte, hatte ich vor, Schweinezüchter zu werden, und das veranschaulicht vielleicht, was ich vom Leben im Allgemeinen hielt.

Monte Cassino hätte nie bombardiert werden sollen; manche schreiben es der Dummheit der Generale zu. Aber nach dem blutigen Gemetzel, bei dem so viele Männer aus Texas umkamen und später auch mein Haufen zusammengeschossen wurde, waren nur noch Nicky Goldstein und ich von der ursprünglichen Mannschaft übrig, und das war merkwürdig, weil wir die beiden größten Männer in der Einheit waren und die besten Ziele boten. Danach bin auch ich verwundet worden, von einer Landmine. Aber damals lagen Goldstein und ich unter den Olivenbäumen – einige dieser Knorren laufen aus wie Klöppelspitzen und lassen das Licht durch –, und ich fragte ihn, was er nach dem Krieg tun wolle. Er sagte: »Nun, ich und mein Bruder, wenn wir leben bleiben und gesund, werden in den Catskills eine Nerzfarm aufmachen.« Darauf sagte ich, oder mein Dämon sagte für mich: »Ich werde Schweine züchten.« Und nachdem diese Worte gesprochen waren, wusste ich, dass ich, wäre Goldstein nicht Jude gewesen, wahrscheinlich Rinder und nicht Schweine gesagt hätte. Jetzt war es jedenfalls zu spät, einen Rückzieher zu machen. Soweit ich weiß, haben Goldstein und sein Bruder eine Nerzfarm, und ich habe – etwas anderes. Ich nahm all die hübschen alten Bauernhäuser, den Wagenschuppen mit den getäfelten Boxen – in früheren Zeiten wurden die Pferde eines reichen Mannes behandelt wie Opernsänger – und die hübsche alte Scheune mit dem Belvedere über dem Heuboden, ein schönes Stück Architektur, und füllte sie bis an den Rand mit Schweinen, einem ganzen Schweinereich, mit Schweineställen auf dem Rasen und im Blumengarten. Das Gewächshaus ebenfalls – ich ließ die Schweine die alten Knollen herauswühlen. Die Statuen aus Florenz und Salzburg wurden umgelegt. Das ganze Gelände stank nach Speiseabfällen, Schweinen, Schweinefutter und Mist. Wütend jagten mir meine Nachbarn den Amtsarzt auf den Hals. Ich erklärte ihm trotzig, er solle mich doch verklagen. »Die Hendersons«, sagte ich zu diesem Mann, einem gewissen Dr. Bullock, »sitzen seit über zweihundert Jahren auf diesem Gut.«

Meine damalige Frau, Frances, sagte nichts weiter als: »Bitte, halte wenigstens die Auffahrt von ihnen frei.«

»Ich rate dir, keins der Schweine zu überfahren«, sagte ich. »Diese Tiere sind jetzt ein Teil von mir.« Und dem Dr. Bullock sagte ich: »Sie sind von all diesen Zivilisten und Untauglich-Geschriebenen aufgehetzt. Diesen Proleten! Essen die nie Schweinefleisch?« Haben Sie auf der Fahrt von New Jersey nach New York die gegiebelten Ställe und die Koppeln bemerkt, die Modellen von deutschen Schwarzwalddörfern ähneln? Haben Sie (ehe der Zug in den Tunnel unter dem Hudson einfährt) ihren Geruch geschnuppert? Es sind Schweinemästereien. Wenn die Schweine nach ihrer Reise aus Iowa und Nebraska mager und knochig sind, werden sie hier aufgepäppelt. Nun also, ich war Schweinezüchter. Und schon der Prophet Daniel warnte König Nebukadnezar: »Man wird dich von den Leuten stoßen, und musst bei den Tieren auf dem Felde bleiben.« Säue fressen ihre Jungen, weil sie Phosphor brauchen. Sie sind vom Kropf bedroht, genau wie Frauen. Oh, ich habe diese zum Tode verdammten klugen Tiere ziemlich gründlich studiert. Alle Schweinezüchter wissen nämlich, wie klug diese Tiere sind. Die Entdeckung, dass sie so intelligent waren, gab mir eine Art Trauma. Hätte ich aber Frances nicht belogen, und wären diese Tiere tatsächlich ein Teil von mir geworden, dann wäre es doch merkwürdig gewesen, dass ich das Interesse an ihnen verlor.

Aber ich sehe, ich habe immer noch nicht die eigentlichen Gründe für meine Reise nach Afrika dargelegt, und ich beginne wohl lieber an irgendeiner anderen Stelle.

Soll ich mit meinem Vater beginnen? Er war ein berühmter Mann. Er trug einen Bart und spielte Geige, und er …

Nein, nicht das.

Also dann so: Meine Vorfahren haben den Indianern Land gestohlen. Sie bekamen von der Regierung noch mehr dazu und betrogen außerdem andere Siedler, so bin ich der Erbe eines großen Gutes geworden.

Nein, auch so geht’s nicht. Was hat das schon mit der ganzen Sache zu tun?

Dennoch, eine Erklärung ist unerlässlich, denn mir wurde der lebendige Beweis von etwas höchst Bedeutungsvollem zuteil, und so bin ich gezwungen, davon zu sprechen. Und von allen Schwierigkeiten ist es nicht gerade die geringste, dass es wie in einem Traum geschah.

Nun also, es muss ungefähr acht Jahre nach Beendigung des Krieges gewesen sein. Ich war von Frances geschieden und mit Lily verheiratet, und ich hatte das Gefühl, dass irgendetwas unternommen werden müsse. Ich ging mit einem Freunde, mit Charlie Albert, nach Afrika. Auch er ist Millionär.

Mein Temperament ist seit je eher das eines Soldaten als das eines Zivilisten. Als ich beim Militär war und Läuse bekam, wollte ich mir Puder holen. Als ich aber erklärte, was ich hätte, packten mich vier Sanis, und zwar unmittelbar an der Straßenkreuzung, und zogen mich im Freien splitternackt aus. Sie seiften mich gründlich ab und rasierten mir jedes Haar vom Leibe, vorn und hinten, in den Achselhöhlen, die Schamhaare, den Bart, die Augenbrauen, einfach alle. Das war dicht an der Seefront bei Salerno. Lastwagen, vollbepackt mit Soldaten, fuhren vorüber, und Fischer und Bauern, Kinder, Mädchen und Frauen sahen zu. Die GIs scherzten und lachten, die Bauern lachten, die ganze Küste lachte, und sogar ich lachte, während ich die vier Mann am liebsten umgebracht hätte. Sie liefen davon und ließen mich stehen: kahl und fröstelnd, abstoßend, nackt; zwischen den Beinen und unter den Armen juckte es mich, ich tobte, lachte und schwur Rache. Dergleichen vergisst ein Mann nie, und erst später weiß er es richtig zu schätzen. Der wundervolle Himmel, das wahnsinnige Jucken und die Rasiermesser. Das Mittelmeer, die Wiege der Menschheit. Die Milde der Luft oben, die Milde des Wassers unten, in dem Odysseus sich verlor, in dem auch er nackt war, als die Sirenen sangen.

Übrigens – die Läuse fanden in einer Spalte Zuflucht; ich bekam es mit diesen listigen Tierchen hinterher wieder zu tun.

Der Krieg bedeutete für mich viel. Ich wurde verwundet, als ich auf eine Landmine trat, und bekam das Verwundetenabzeichen. Ich habe eine ziemlich lange Zeit in Neapel im Lazarett gelegen. Glauben Sie mir, ich war dankbar, dass ich mit dem Leben davonkam. Das ganze Erlebnis versetzte mein Herz in eine große, echte Erregung. Und diese Erregung brauche ich immer.

Im letzten Winter hackte ich neben meiner Kellertür Brennholz – der Mann, der die Bäume beschnitt, hatte mir ein paar Kiefernäste dagelassen –, und ein Klumpen Holz sprang vom Hauklotz in die Höhe und traf mich an der Nase. Wegen der außergewöhnlichen Kälte bemerkte ich erst, als ich das Blut auf meiner Joppe sah, was geschehen war. Lily schrie: »Du hast dir die Nase gebrochen.« Nein, sie war nicht gebrochen. Sie ist durch eine dicke Fleischschicht geschützt, aber ich hatte an dieser Stelle eine ganze Weile eine Quetschwunde. Als ich den Schlag spürte, war jedoch mein einziger Gedanke: Wahrheit! Kommt Wahrheit mit Schlägen? Dies ist zweifellos eine soldatische Vorstellung. Ich versuchte, Lily etwas davon zu sagen, auch sie hatte die Kraft der Wahrheit gespürt, als ihr zweiter Mann, Hazard, ihr ins Auge schlug.

Nun, ich bin immer so gewesen: als Junge stark und gesund, rüde und angriffslustig und so etwas wie ein Raufbold; auf dem College trug ich goldene Ohrringe, um Streit zu provozieren, und während ich, meinem Vater zuliebe, den M. A. erwarb, benahm ich mich stets wie ein ungehobelter Vagabund. Als ich mit Frances verlobt war, fuhr ich nach Coney Island und ließ mir ihren Namen in purpurnen Lettern auf die Brust tätowieren. Es hat auf sie freilich wenig Eindruck gemacht. Schon im Jahre sechsundvierzig oder siebenundvierzig, als ich nach der Kapitulation in Europa (Donnerstag, den 8. Mai) zurückkehrte, widmete ich mich den Schweinen, und dann vertraute ich Frances an, mich reize das Studium der Medizin, und sie lachte mich aus ; sie dachte daran, wie sehr ich mich mit achtzehn Jahren für Sir Wilfred Grenfell und später für Albert Schweitzer begeistert hatte.

Was tut man mit sich, wenn man ein Temperament hat wie ich? Ein Psychologe erklärte mir einmal, dass man, wenn man seine Wut an leblosen Dingen auslasse, nicht nur alle Lebewesen schone, was ein zivilisierter Mensch tun solle, sondern sich auch von dem üblen Zeug befreie, das man in sich herumträgt. Dies schien mir einleuchtend, und ich versuchte es. Ich versuchte es aus vollem Herzen, durch Holzhauen, Heben, Pflügen, dadurch, dass ich Zementblöcke legte, Beton schüttete, Futter für die Schweine kochte. Auf meinem eigenen Gut, wie ein Sträfling bis zur Taille entblößt, brach ich mit einem Vorschlaghammer Steine. Es half, aber nicht genug. Rohes zeugt Rohes, und jeder Schlag einen Schlag; wenigstens in meinem Falle; beides zeugte nicht nur, sondern vermehrte sich. Zorn vermehrt durch Zorn. Was also tut man mit sich? Über drei Millionen Dollar! Nach Abzug der Steuern, nach Abzug des Unterhaltsbeitrages und aller Unkosten bleiben mir noch immer glatt hundertundzehntausend Dollar Einkommen. Wozu brauche ich es, ein soldatischer Charakter wie ich! Steuerlich waren sogar die Schweine einträglich. Ich konnte kein Geld verlieren. Die Schweine wurden geschlachtet, und sie wurden gegessen. Sie ergaben Schinken, Handschuhe, Gallert und Dünger. Was ergab ich selbst? Nun, eine Art Denkmal, nehme ich an. Ein Mann wie ich kann so etwas wie ein Denkmal werden. Gewaschen, sauber und mit teuren Kleidungsstücken angetan. Unter dem Dach ist Isolierung, in den Fenstern Thermopane, auf den Fußböden Teppichbelag und auf den Teppichen Möbel und auf den Möbeln jeweils ein Bezug und auf jedem Stoffbezug ein Plastikbezug, und ringsherum Tapete und Stoffbespannung! Alles säuberlich gekehrt und ausstaffiert. Und wer befindet sich mitten darin? Wer sitzt dort? Er! Ein Mensch!

Aber es kommt der Tag, es kommt stets der Tag der Tränen und des Wahnsinns.

Ich habe schon erwähnt, dass in meinem Herzen Aufruhr war, eine Stimme, die sich dort vernehmlich machte und sagte: Ichdarbe, ich darbe, ich darbe! Es geschah an jedem Nachmittag, und wenn ich die Stimme zu unterdrücken versuchte, wurde sie nur noch lauter. Sie sagte nur immer dies eine: Ich darbe, ich darbe! Und ich fragte jedes Mal: »Was begehrst du denn?« Aber mehr als das sagte die Stimme mir nie. Sie hat niemals mehr gesagt als: Ich darbe, ich darbe, ich darbe!

Bisweilen behandelte ich sie wie ein kränkliches Kind, dem man ein Lied singt oder Süßigkeiten schenkt. Ich führte sie spazieren, ich ließ sie traben. Ich sang ihr vor, oder ich las ihr vor. Es nützte nichts. Ich schlüpfte in Overalls, stieg auf die Leiter und verschmierte Risse in der Decke; ich hackte Holz, ging hinaus und fuhr einen Traktor, arbeitete im Stall unter den Schweinen. Nein, nein! Alles Mühen, alle Trunkenheit, alle Arbeit wurden von der Stimme übertönt, auf dem Lande, in der Stadt. Keine Anschaffung, auch die kostspieligste nicht, vermochte sie einzuschläfern. Schließlich erklärte ich: »Gut also, sage es mir. Worüber beklagst du dich? Über Lily? Lechzt du nach einer üblen Hure? Bist du geil?« Aber mit dieser Vermutung kam ich der Sache nicht näher als bisher. Das Verlangen meldete sich nur lauter: Ich darbe, ich darbe, ich darbe, ich darbe, ich darbe! Ich heulte, ich flehte: »Ach, so sage es mir doch. Sage mir, wonach du lechzt!« Und am Ende entschied ich: »Gut denn. An einem dieser Tage, du Dummkopf. Warte nur!«

Dies ist die Erklärung für mein Benehmen. Um drei Uhr herum war ich verzweifelt. Erst bei Sonnenuntergang verstummte die Stimme. Und bisweilen meinte ich, dies sei vielleicht mein Beruf, weil es um fünf Uhr von allein aufhörte. Amerika ist so groß, und jeder schuftet, schafft, schaufelt, baggert, karrt, lädt und so weiter, und ich nehme an, die Leidenden leiden im gleichen Maß. Schließlich will jeder am gleichen Strange ziehen. Ich versuchte es mit allen Heilmitteln, die sich denken lassen. Aber in einer Zeit des Wahnsinns zu erwarten, dass man nicht vom Wahnsinn angesteckt werde, ist natürlich selber eine Form von Wahnsinn. Hinter der Vernunft herzulaufen, kann ebenfalls eine Form von Wahnsinn sein.

Unter anderen Mitteln griff ich zur Geige. Als ich eines Tages in einer Rumpelkammer herumstöberte, stieß ich auf den verstaubten Kasten, und ich öffnete ihn: in dem kleinen Sarkophag lag das Instrument, auf dem mein Vater gespielt hatte, mit dem schmalen, verschnörkelten Hals und der eingezogenen Taille. Das Haar des Bogens war gelockert und lag lose herum. Ich zog die Schraube des Bogens an und kratzte über die Saiten. Sie erwachten mit grellem Kreischen. Es war, als sei ein empfindendes Wesen allzu lange vernachlässigt worden. Dann rief ich mir meinen alten Herrn ins Gedächtnis. Er würde es vielleicht voller Unwillen bestreiten, aber wir sind uns sehr ähnlich. Auch er konnte sich nicht mit einem ruhigen Leben abfinden. Zu meiner Mutter war er bisweilen sehr hart; einmal ließ er sie zwei Wochen lang in ihrem Nachthemd vor der Tür seines Zimmers liegen, ehe er bereit war, ihr ein paar törichte Worte zu verzeihen, vielleicht Worte wie Lilys am Telefon, als sie sagte, ich sei nicht umzubringen. Mein Vater war auch ein sehr kräftiger Mann, aber als seine Stärke nachließ, besonders nach dem Tode meines Bruders Dick (wodurch ich zum Erben wurde), schloss er sich ab und geigte mehr und mehr. Dann fiel mir ein, dass sein Rücken gebeugt war, dass seine Hüften unausgeprägt oder lahm gewesen sind und dass sein Bart ein Protest schien, der unmittelbar seiner Seele entströmte – weiß gewaschen vom zittrig schwachen Blut hohen Alters. Sein einst so mächtiger Backenbart verlor seine Kräuselung und wurde von dem Instrument auf sein Schlüsselbein zurückgeschoben, während er mit dem linken Auge auf das Griffbrett blickte, sein dicker, hohler Ellbogen vor- und zurückglitt und die Geige zitterte und weinte.

In diesem Augenblick fasste ich den Entschluss: »Ich will es auch versuchen.« Ich schlug den Deckel zu, schloss die Haken und fuhr geradenwegs nach New York zu einem Instrumentenbauer in der 57. Straße, um mir die Geige wieder instand setzen zu lassen. Sobald sie fertig war, nahm ich Unterricht bei einem alten Ungarn namens Haponyi, der in der Nähe von Barbizon-Plaza wohnte. Ich lebte zu dieser Zeit allein auf dem Lande, war geschieden. Eine alte Dame, Miss Lenox von gegenüber, kam und machte mir mein Frühstück, und mehr als das brauchte ich damals nicht. Frances war drüben in Europa geblieben. Und eines Tages dann, als ich, den Kasten unter dem Arm, zu meiner Stunde in der 57. Straße jagte, traf ich Lily. »Nanu!«, sagte ich. Ich hatte sie seit über einem Jahr nicht gesehen, seit ich sie damals in den Zug nach Paris gesetzt hatte, aber wir waren gleich wieder miteinander so vertraut wie früher. Lilys großes, reines Gesicht war unverändert. Es würde nie ausgeglichen sein, aber es war schön. Allerdings hatte Lily ihr Haar gefärbt. Es war jetzt orangefarben, was nicht nötig war, und es war in der Mitte der Stirn geteilt wie die beiden Hälften eines Vorhangs. Es ist bisweilen der Fluch dieser großen Schönheiten, dass es mit dem Geschmack hapert. Außerdem hatte Lily ihre Augenwimpern getuscht, sodass sie nicht mehr gleichmäßig lang waren. Was tut man, wenn eine solche Person »noch immer dieselbe« ist? Und was soll man denken, wenn diese große Frau von etwa 1,80 m in einer Art von grünem Plüschkostüm, so ein Stoff, wie man ihn früher in Pullman-Wagen verwendete, und auf hohen Absätzen schwankt; trotz stabiler Beine, trotz kräftiger Knie schwankt sie. Und mit einem Blick wirft sie alle Grundsätze über Bord, die für das Benehmen in der 57. Straße gelten, als streute sie das Plüschkostüm, die Bluse, die Strümpfe und den Gürtel in alle Winde und riefe: »Eugen! Ohne dich ist mein Leben eine Misere«?

Das Erste jedoch, was sie wirklich sagte, war: »Ich bin verlobt.«

»Was, schon wieder?«, sagte ich.

»Ja, ich könnte deinen Rat brauchen. Wir sind doch Freunde. Du bist doch mein Freund, das weißt du. Ich glaube, von uns beiden hat wohl keiner irgendwo in der Welt einen besseren Freund. Nimmst du Musikunterricht?«

»Na, wenn’s nicht Musik ist, kommt ja wohl nur noch Raubüberfall infrage«, sagte ich. »Denn dieser Kasten enthält entweder eine Geige oder eine Maschinenpistole.« Ich glaube, ich war ziemlich verlegen. Lily begann mir dann von dem neuen Verlobten zu erzählen, sie murmelte wieder. »Sprich doch nicht so undeutlich«, sagte ich. »Was ist mit dir los? Schnaube dir die Nase! Was soll dieses vornehme Gesäusel? Dieses sanfte Geflüster? Du willst damit doch bloß gewöhnlichen Sterblichen imponieren und sie zwingen, sich vorzubeugen, wenn sie dich verstehen wollen. Du weißt, ich bin ein wenig taub«, sagte ich. »Sprich etwas lauter. Sei nicht so eingebildet. Welche feudale Schule hat dein Verlobter besucht – Choate oder St. Paul’s? Dein letzter Ehemann ging doch auf die von Präsident Roosevelt.«

Lily sprach jetzt deutlicher und sagte: »Meine Mutter ist gestorben.«

»Gestorben?«, sagte ich. »Das ist ja schrecklich. Aber warte einmal, hast du mir nicht schon in Frankreich gesagt, dass sie gestorben sei?«

»Ja«, sagte sie.

»Wann ist sie denn nun eigentlich gestorben?«

»Genau vor zwei Monaten. Damals stimmte es nicht.«

»Und warum hast du es dann gesagt? Das ist doch keine Art. Das kannst du nicht machen. Willst du mit dem Begräbnis deiner Mutter scherzen? Du hast versucht, mich reinzulegen.«

»Ach, es war schlecht von mir, Eugen. Ich habe es nicht böse gemeint. Aber diesmal stimmt es.« Und ich sah die warmen Schatten von Tränen in Lilys Augen. »Sie ist jetzt von mir gegangen. Ich musste ein Flugzeug chartern, um ihre Asche, wie sie es wollte, über dem George-See auszustreuen.«

»Das hast du getan? Gott, das tut mir leid«, sagte ich.

»Ich habe ihr zu viel Kummer gemacht«, sagte Lily. »Wie damals, als ich dich mit in die Wohnung nahm. Aber sie war nun einmal ein Kampfhahn, und ich bin auch einer. Mit meinem Verlobten hattest du recht. Er war auf der Groton-Schule.«

»Haha, da habe ich also richtig getippt, nicht wahr?«

»Er ist ein netter Mann. Nicht, was du denkst. Er ist sehr anständig, und er unterstützt seine Eltern. Aber wenn ich mich frage, ob ich ohne ihn leben könnte, dann ist die Antwort wohl Ja. Ich lerne eben, allein durchzukommen. Das Weltall bleibt einem immer noch. Eine Frau muss nicht heiraten, und es gibt durchaus gute Gründe dafür, weshalb die Menschen einsam bleiben sollen.« Mitleid ist wohl zwecklos; manchmal kommt es mir jedenfalls so vor. Es führt zu Unannehmlichkeiten. Mein Herz litt mit Lily, und sie versuchte mich reinzulegen.

»Nun schön, Kind, und was willst du jetzt tun?«

»Das Haus in Danbury habe ich verkauft. Ich lebe in einer Mietwohnung. Es war da etwas, das ich dir übrigens gern schenken wollte; ich habe es dir geschickt.«

»Ich brauche nichts.«

»Es handelt sich um eine Brücke«, sagte sie. »Hast du sie noch nicht erhalten?«

»Aber was soll ich denn mit deiner vermaledeiten Brücke? Lag sie in deinem Zimmer?«

»Nein.«

»Du lügst. Es ist die Brücke aus deinem Schlafzimmer.«

Lily bestritt es, und als die Brücke auf der Farm ankam, nahm ich sie an; ich hatte das Gefühl, es zu müssen. Sie sah jämmerlich aus und war verschossen, eine Bagdad-Brücke in Mostrich-Farbe, das Gewebe war von den Jahren mitgenommen, und überall schimmerten blaue Stellen durch. Sie war so hässlich, dass ich lachen musste. Dieser elende Lappen. Ich fand ihn urkomisch. Ich legte ihn auf den Fußboden meines Geigenzimmers unten im Keller. Ich hatte den Boden selber betoniert, freilich nicht dick genug, denn die Feuchtigkeit schlägt durch. Jedenfalls dachte ich, die Brücke könne vielleicht die Akustik verbessern.