Der Rosental Plan - Jürgen W. Roos - E-Book

Der Rosental Plan E-Book

Jürgen W. Roos

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Beschreibung

Spätsommer an der kroatischen Adriaküste. In der Marina von Zadar entdeckt Markus Hagen 16 gefälschte israelische Pässe. Schon bald findet er sich verstrickt in den Interessen deutscher und italienischer Geheimdienste, sowie des israelischen Mossad. Der ehemalige Journalist erhofft sich mehr über die Hintergründe am Tod seiner Tochter zu erfahren und lässt sich auf eine Zusammenarbeit ein. Auf der Reise von Dalmatien über Venedig nach Bayern lernen er und die Italienerin Chiara Bertone recht bald den Einfluss rechtsradikaler Organisationen kennen und erfahren in kurzer Zeit, wie brutal die ihre Interessen durchsetzen. Je tiefer sie in die Geschichte verwickelt werden, umso größer wird die Gefahr für beide.

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Seitenzahl: 623

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Jürgen W. Roos

Der Rosental Plan

Politkrimi

© 2020 Jürgen W. Roos

Lektorat, Korrektorat: Tatjana Dörfler

Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

 

Paperback:

978-3-347-01509-8

Hardcover:

978-3-347-01510-4

e-Book:

978-3-347-01511-1

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

1.

Belgrad - Serbien. Die zwei Männer, die sich in einem Zimmer des Hotels Slavija in der Balkanska 1 gegenübersaßen, stammten beide ursprünglich aus Berlin. Doch das war rein zufällig. An dem Tag sahen sie sich zum ersten Mal.

Das einzige Fenster war mit Jalousien abgedunkelt. Hier drinnen war vom Straßenlärm kaum etwas zu hören, doch die ungewöhnlich große Hitze des Septembertages machte sich auch hier bemerkbar.

Aus einem Nebenzimmer drang ab und zu die schrille Stimme einer Frau. Die Antworten der anderen Person waren nicht zu hören. Die zwei Männer achteten nicht weiter darauf. Es war die normale Geräuschkulisse in einem unscheinbaren Hotel, nicht mehr und nicht weniger lästig als die stickige Luft des Zimmers. Die Klimaanlage hatte der größere der beiden Männer beim Eintreten ausgeschaltet. Sie funktionierte nicht richtig, machte dafür viel Lärm. Er war auch der Sprecher. Mit den sorgfältig gekämmten, etwas angegrauten Haaren und der Brille mit Goldumrandung sah er wie ein Geschäftsmann aus. Die hellgraue Jacke seines leichten Anzuges hatte er ausgezogen, akkurat über eine Stuhllehne gehängt und die hellblaue Krawatte gelockert. Die braune Aktenmappe auf dem Tisch zeigte deutlich sichtbare Abnutzungsspuren und passte eigentlich nicht zu seiner Erscheinung.

Sein Gegenüber war das genaue Gegenteil von ihm. Er mochte vielleicht Ende fünfzig sein, war höchstens 160 cm groß, ziemlich beleibt und machte einen ungepflegten Eindruck. Er lag mehr in dem Sessel, als dass er saß. Die schlechte Luft im Zimmer schien ihm zu schaffen zu machen. Dauernd wischte er mit einem Papiertaschentuch die Schweißperlen von seiner Stirn. Mit den abgewetzten Jeans, dem karierten Hemd sowie der großen Fototasche sollte man ihn wohl für einen der, inzwischen wieder zahlreichen, Touristen halten, die sich zurzeit in Belgrad aufhielten.

Der große, gut gekleidete Mann redete betont aufdringlich auf ihn ein. Seine Stimme war kühl und gedämpft.

„Heute Abend fahren sie mit dem Autobus vom Bahnhof hier in Belgrad ab. Passen Sie auf, dass sie in den richtigen Bus einsteigen. An der Grenze zu Kroatien müssen Sie aussteigen, Ihr Bus endet dort. Wie die meisten anderen Passagiere auch, gehen sie zu Fuß über die Grenze. An der Passkontrolle auf serbischer Seite werden die Ausweise nur flüchtig kontrolliert. Bei der Einreise nach Kroatien sind die Kontrollen etwas genauer. In dieser Nacht sind dort zwei Grenzer im Einsatz. Sie stellen sich in die Schlange bei der Grenzbeamtin mit Brille. Sie wird lediglich einen kurzen Blick in Ihren Pass werfen und ansonsten keine Fragen stellen. Nachdem sie die Grenzkontrolle passiert haben, steigen sie in den Omnibus nach Zagreb. Sie finden ihn etwa zweihundert Meter nach der Passkontrolle. Er ist nicht zu übersehen. In Zagreb müssen sie in den Bus nach Zadar umsteigen. Können sie sich das merken?“

Sein Gegenüber nickte gelangweilt. Solche Kurierdienste hatte er schon oft erledigt. Die Auftraggeber waren immer zufrieden gewesen.

„Sie haben die einzelnen Bustickets erhalten? Es gab doch keine Schwierigkeiten?“

Der dicke Mann schüttelte den Kopf. Er sprach zum ersten Mal. Er hatte eine seltsam piepsige, aber trotzdem heisere Stimme.

„Ich habe mich genau an die Anweisungen gehalten. Gestern Abend, direkt nach meiner Ankunft am Bahnhof in Belgrad, bin ich 30 Minuten kreuz und quer durch die Stadt gelaufen. Niemand interessierte sich für mich. Danach bin ich, so wie es mir vorher gesagt wurde, in das Café gegenüber vom „Dom des Heiligen Sava“ gegangen. Dort habe ich zwei Tassen Kaffee getrunken. Nach exakt 30 Minuten habe ich bezahlt. Bei dieser Gelegenheit hat mir die Bedienung einen Umschlag mit den verschiedenen Bustickets ausgehändigt.“

„Ihnen ist niemand zu Ihrem Hotel gefolgt?“

„Mir sind keine Personen aufgefallen, die sich irgendwie auffällig verhalten haben.“

Die Stimme des großen Mannes wurde etwas schrill: „Sie haben nicht einmal die ältere Frau mit der roten Einkaufstasche bemerkt? Sie ist ihnen die ganze Zeit über gefolgt.“

Bei diesen Worten schien der Dicke noch mehr ins Schwitzen zu kommen.

Der große Mann beruhigte sich etwas.

„Sie ist Ihnen in großem Abstand hinterhergegangen. Wir wissen jetzt, dass sie von niemandem beobachtet wurden.“

Der Dicke lächelte zufrieden, tupfte sich noch mal die Stirn und spürte die Erleichterung im gesamten Körper. Sie mussten ihn die ganze Zeit, seitdem er sich in Belgrad aufhielt, beobachtet haben. Vermutlich waren sie ihm dann auch gestern Abend in den Park hinter dem Bahnhof gefolgt, wo er sich eine recht hübsche, sehr junge Nutte ausgesucht hatte. Ob ihm dabei auch die ältere Frau mit der roten Tasche nachgegangen war? Die Hure hatte ihn zu einer unbeleuchteten Stelle am Flussufer geführt. Dort, im Dunklen, hatte er sich von ihr mit dem Mund befriedigen lassen.

Er überlegte, wo sich die Aufpasserin wohl während dieser Zeit aufgehalten haben könnte. Ob sie ihnen, hinter einem Gebüsch lauernd, dabei zugeschaut hatte? Der Gedanke heiterte ihn auf. Gerade noch rechtzeitig unterdrückte er sein Grinsen.

„Das hier nehmen Sie nach Zadar mit“, sagte der Mann mit dem grauen Anzug. Er hatte die Aktenmappe geöffnet und einen dicken Briefumschlag herausgezogen. Es handelte sich um ein einfaches, undurchsichtiges braunes Kuvert, ganz ohne Beschriftung.

„Der Inhalt ist sehr wichtig. Er hat uns mehrere Monate Arbeit gekostet. Er darf auf keinen Fall abhandenkommen oder von Unbefugten entdeckt werden. Deshalb schicken wir ihn mit einem Kurier.“

Der Dicke nahm den Umschlag in Empfang und runzelte die Stirn. Schließlich öffnete er die Fototasche und schob das Kuvert unter die Digitalkamera und das zusätzliche Objektiv.

Der schlanke große Mann machte mit seinen Instruktionen weiter. Man sah ihm an, dass er sich in Gegenwart des ungepflegten Dicken unwohl fühlte. Er selber wäre niemals auf die Idee gekommen, diesem Mann solch eine wichtige Aufgabe anzuvertrauen. Die Entscheidung hatten andere getroffen.

„In Zadar ist im Hotel Venera ein Zimmer für Sie reserviert worden. Es ist zentral in der Innenstadt gelegen und wird überwiegend von Touristen gebucht, die sich nur für wenige Tage in der Stadt aufhalten. Dort fallen Sie nicht auf.“

Der Dicke benutzte abermals das Taschentuch. Auf seinem Hemd zeichneten sich Schweißflecken ab.

„Und wie geht es dann weiter?“

„Sie sind einer der vielen Touristen aus Deutschland. Denken Sie immer daran. Bei Ihrer Ankunft buchen Sie an der Rezeption des Hotels einen Schiffsausflug zu den Kornaten gleich für den nächsten Tag. Über Nacht lassen Sie das Kuvert im Hotelsafe. Die Anlegestelle ist nur wenige Gehminuten von Ihrer Unterkunft entfernt. Dort wird man ihnen den Weg genau beschreiben. Bevor Sie auf das Schiff gehen, übergeben Sie den Briefumschlag an unseren Kontaktmann.“

„Woran erkenne ich ihn?“

„Eigentlich ist es eine Frau. Man hat mir berichtet, dass Sie vor gut sechs Monaten einen Koffer nach Berlin gebracht haben. Sie wurden von ihr am Flugplatz erwartet. Werden sie die Frau wiedererkennen?“

Der Dicke nickte. Und ob er diese eingebildete Ziege wiedererkennen würde. Am Flughafen in Berlin war sie ihm bei seiner Ankunft gleich um den Hals gefallen. Sie hatte ihn so herzlich begrüßt, als wäre er ihr Ehemann oder Geliebter, der nach einer wochenlangen Geschäftsreise nachhause kam. Nicht nur ihre Titten konnte er spüren, als sie sich an ihn drückte. Da war ihm gleich richtig heiß geworden.

Auf der Fahrt vom Flughafen ins Hotel war es mit ihrer Herzlichkeit vorbei gewesen. Während sie sich beim Autofahren auf den Verkehr konzentrierte, hatte er versucht, eine Hand unter ihren engen und sehr kurzen Rock zu schieben. Ohne das Auto abzubremsen, hatte die Schlampe mit ihrer rechten Hand ausgeholt. Der Schlag traf ihn genau auf der Nase. Er erinnerte sich nur zu gut an das viele Blut auf seinem Hemd.

„Behalten Sie diesmal Ihre Hände bei sich.“

Der Dicke überhörte den spöttischen Ton. Sein Gegenüber schien wirklich alle Einzelheiten von damals zu kennen. Er nickte aber zustimmend, stand auf und schaute auf die Uhr. Er wollte raus aus diesem stickigen Zimmer, weg von seinem unsympathischen Gegenüber. Vorher musste er dringend auf die Toilette.

Der Mann mit dem grauen Anzug hielt ihn zurück.

„Ich gehe zuerst und allein. Sie bleiben mindestens noch fünf Minuten, bevor Sie das Hotel durch den Seitenausgang verlassen. Falls Sie möchten, können Sie auch bis zur Abfahrt Ihres Busses hier warten. Den Zimmerschlüssel lassen Sie einfach stecken. Das Zimmer wurde im Voraus bis morgen bezahlt.“

Die vorgegebenen fünf Minuten waren verstrichen. Die Zwischenzeit hatte er genutzt, um seine Blase zu entleeren und dabei kurz erwogen, die Zeit bis zur Abfahrt des Busses in dem Hotelzimmer zu verbringen. Bei einer funktionierenden Klimaanlage wäre er sicher geblieben. Der Portier in diesem Hotel besaß sicherlich entsprechende Kontakte, um ihn mit einer Nutte zu versorgen. Er hätte die verbleibende Zeit für ein paar vergnügliche Stunden nutzen können. In Belgrad wimmelte es ja geradezu von Frauen aus Bulgarien und Rumänien, die hier das Geld für ihre Familien in der Heimat verdienen mussten. Es wäre auf alle Fälle amüsanter gewesen, als stundenlang in der miefigen Stadt die Zeit totzuschlagen.

Doch im Zimmer war es ihm eindeutig zu heiß. Missmutig hängte sich der Dicke schließlich die Fototasche über die Schulter und ging zum Lift.

Während er auf den Aufzug wartete, saß der Mann mit dem grauen Anzug bereits in einem Taxi. Auf dem Weg zu seinem eigenen Hotel würde er es noch zweimal wechseln.

Wie befohlen, verließ der Kurier das Hotel durch den Seitenausgang. Draußen blieb er einen Moment stehen, so als ob er sich orientieren müsste. Langsam marschierte er schließlich die Straße entlang. Immer wieder machte er vor einem Schaufenster halt und musterte dabei genau die Menschen, die ihm eventuell folgten. Sollte es einen Beobachter geben, musste der sich sehr geschickt verhalten. Er konnte niemanden entdecken, der für eine Verfolgung infrage käme.

Kurz vor einem Lastwagen, der wütend hupte, überquerte er die Straße und verschwand zwischen anderen Passanten in einer Nebenstraße. Diesmal war ihm mit Sicherheit niemand gefolgt.

2.

Deutlich fühlte Markus Hagen den nachgiebigen Körper der zierlichen Frau in seinen Armen. Es war, als wollte sie ihn spüren lassen, dass es noch etwas Anderes gab als seine immer wiederkehrenden, düsteren Erinnerungen an die Vergangenheit.

Sie trug ein leichtes, fast bodenlanges weißes Sommerkleid. Die Schlitze an den Seiten zeigten häufig die gebräunten langen Beine. Durch den dünnen, seidigen Stoff spürte er die Wärme ihres Körpers. Auf einen BH hatte sie verzichtet, und als er neugierig seine Hand über ihren Rücken hinuntergleiten ließ, merkte er, dass es auch keinen störenden Slip gab.

Langsam, mit aufreizender Sinnlichkeit, bewegte sie sich zu den schmachtenden Klängen der Musik. Soweit Markus den kroatischen Text verstand, ging es in dem Lied um schmale Gässchen und die ewige Liebe. Immer wenn der Sänger der kleinen Kapelle mit voller Inbrunst den Refrain von „Skalinada“ anstimmte, sangen die wenigen einheimischen Gäste lautstark mit.

Bettinas Kopf lag an seiner Schulter, ihre dunkelblonden Haare kitzelten ihn an der Nase. Herausfordernd drückte sie nicht nur ihre Brüste an ihn.

Verstohlen warf Tina zwischendurch einen Blick auf ihren Mann Eberhard. Er würde heute nicht mehr viel von dem Geschehen mitbekommen.

Sie zog Markus Kopf zu sich hinunter und gab ihm einen leichten Kuss auf die Lippen. Gleich darauf drehte sie sich beim Tanzen herum, sodass er kurz die kleinen, festen Brüste mit den aufgerichteten Brustwarzen unter seinen Fingern spürte. Die Blicke der anderen Gäste und des Personals schienen sie nicht zu stören.

Vinko, der Kellner, stand am Tresen der Bar, lächelte verschwörerisch zu ihnen hin und machte das Siegeszeichen. Markus grinste zurück.

Eberhard, Bettinas Mann, hing schon jetzt, am frühen Abend, angetrunken in einem Sessel. Kaum zu glauben, dass der Mann im normalen Alltag als Steuerberater mit eigener Kanzlei in Hannover seine Brötchen verdiente. Ob er da auch so reichlich dem Alkohol zusprach?

Hier in Kroatien vernichtete er den ganzen Tag über einen Whisky nach dem anderen. Überall da, wo er sich gerade aufhielt, stand mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Glas sowie eine Flasche seines Lieblingsgetränkes. Das Besäufnis begann in der Regel unmittelbar nach dem Frühstück. Der viele Alkohol, den er im Laufe des Tages bei glühender Sonne zu sich nahm, verfehlte seine Wirkung so gut wie nie.

Bettina und ihr Ehemann Eberhard waren vor fast zwei Wochen als Chartergäste auf seine Motorjacht „NINA“ gekommen. Gemächlich schipperten sie von da an von Insel zu Insel. Jeden Abend lagen sie in einem anderen Hafen. Die Kornaten bildeten eine traumhafte Kulisse für den Urlaub auf einer Jacht. Meistens wehte ein angenehmer Wind, der die Hitze erträglich machte.

Oft ankerten sie, auf Bettinas Wunsch hin, stundenlang in einsamen Buchten mit glasklarem, türkisfarbenem Wasser. Selbst Eberhard konnte dann gelegentlich von seiner Frau dazu überredet werden, mit ihr ein paar Runden zu schwimmen. Während Bettina, nur mit winzigen Bikinihöschen bekleidet, kopfüber von der Jacht aus ins Meer sprang, kletterte Eberhard immer sehr vorsichtig über die Badeleiter ins Wasser.

Da Bettinas Mann keinen Tag ausließ, um sich zu betrinken, war er nur selten in der Lage, seine Frau bei ihren abendlichen Spaziergängen in den diversen kleinen Hafenstädten zu begleiten.

Notgedrungen bummelte Markus dann abends nach dem Abendessen in irgendeinem kleinen Restaurant allein mit der attraktiven Frau durch die romantischen Inselstädtchen und zeigte ihr, falls vorhanden, die Sehenswürdigkeiten. Noch wichtiger als die Touristenattraktionen waren Bettina die zahlreichen kleinen Boutiquen und Souvenirläden. An keinem dieser Geschäfte konnte sie vorbeigehen, ohne ausgiebig die Auslagen zu betrachten. Gefiel ihr etwas, wurde es gekauft. Meistens handelte es sich dabei um nette Sommerkleider, hübsche Pullover oder unnütze Mitbringsel für ihre Freundinnen in Hannover. Wenn sie schließlich zur „NINA“ zurückkehrten, kam Markus sich manchmal wie ein Packesel vor.

Schon zu Beginn der Reise hatte Bettina ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass sie gegen ein kleines Urlaubsabenteuer nichts einzuwenden hätte. Oft nahm sie bei ihren Abendspaziergängen seine Hand oder streichelte ihm zärtlich über den Rücken. Sie benahm sich ganz so, als wenn sie mit ihrem Geliebten unterwegs wäre.

Während der gesamten Reise hatte Markus ihren Verführungskünsten standgehalten. Das sollte ihm auch in der kommenden Nacht gelingen. Es war der letzte Abend ihrer gemeinsamen Tour. Am nächsten Tag würden sie nachmittags in die Marina von Zadar einlaufen. Bettina sowie ihr Mann kehrten dann in ihr gewohntes Leben nach Hannover zurück.

Seine vorletzten Chartergäste für diese Saison kamen bereits in wenigen Tagen. Bis dahin würde er sich die Zeit in Zadar vertreiben. Möglicherweise ergab sich die Gelegenheit, mit einem Bekannten zum Fischen aufs Meer zu fahren.

Das war nun bereits der dritte Sommer, den er hier an der Adria in Kroatien verbrachte. Nur für die Zeit im Herbst und Winter, wenn es am Meer kühl und regnerisch wurde, fuhr er in die Wohnung nach München. Dort traf er sich dann mit Freunden oder ehemaligen Kollegen. Seinen vierzigsten Geburtstag im November und später die Weihnachtsfeiertage würde er bei Bekannten auf einer Alm in Tirol verbringen. Dorthin fuhr er auch zum Skifahren.

Im letzten Winter hatte er sich nach einem Telefongespräch mit seinem ehemaligen Chef Gottlieb Freden dazu überreden lassen, einen Artikel über die Salafisten in München zu schreiben. Nach der Zeit in Israel war das seine erste Arbeit als Journalist gewesen.

Diese ultrakonservativen Islamisten machten durch verschiedene Aktionen in der Fußgängerzone Münchens immer mehr auf sich aufmerksam. Seine Recherchen zeigten, dass sich hauptsächlich jüngere Männer für die radikalen Strömungen des Islam begeistern konnten. Einige von ihnen verschwanden dann in Trainingslagern der Islamisten in Afghanistan oder Pakistan. Dort wurden sie zu Terroristen ausgebildet. Oft genug starben sie bei unsinnigen Scharmützeln oder Attentaten. Zum Glück gab es für diese Radikalen, wenigstens in München und Umgebung, nur eine geringe Anhängerschar.

Vor ein paar Tagen hatte Freden ihn telefonisch um einen weiteren kleinen Gefallen gebeten. Er sollte ein Interview mit einem ehemaligen Professor der Universität Jerusalem führen. Der Akademiker hatte sich inzwischen zur Ruhe gesetzt und lebte zusammen mit seiner kroatischen Frau in der Nähe von Zadar. Markus war kein glaubhafter Grund eingefallen, um seinem ehemaligen Chef den Gefallen abzuschlagen. Zwischen zwei Touren gab es meist ein paar Tage Zeit. Da konnte er leicht einige Stunden für das Interview erübrigen. Freden wollte ihm mit den gelegentlichen Aufträgen wohl zeigen, dass er auch weiterhin große Wertschätzung für den ehemaligen Mitarbeiter hegte. Und ihm selber schadete es ganz sicher nicht, wenn er seinen ursprünglichen Beruf nicht ganz verlernte. Vielleicht kam ja mal die Zeit, in der es keinen Spaß mehr machte, mit Touristen durch die Adria zu schippern.

Zeit heilt alle Wunden und so erging es auch ihm. Die unsäglichen Schmerzen über den Verlust seiner Tochter sowie den Verrat der damaligen Geliebten ließen langsam nach. Soweit wie möglich, vermied er es, an die schrecklichen Ereignisse in Israel zurückzudenken. Die große Leere, die der Tod der Tochter in ihm hinterlassen hatte, blieb.

Zum Glück für ihn gab es immer mehr Momente in seinem Leben, in denen die düsteren Erinnerungen nicht mehr ganz so stark im Vordergrund standen.

Die Flucht vor der Vergangenheit hatte in Israel begonnen. Vor mehr als drei Jahren war seine heile Welt zusammengebrochen.

Als Korrespondent einer kleinen Presseagentur war Markus Hagen viel in Europa, Asien und manchmalauch den USA unterwegs. Er flog zu den Orten, an denen Aufregendes geschah und wo seiner Firma keine örtlichen Mitarbeiter zur Verfügung standen. Die Arbeit machte ihm Spaß und nach dem unerwarteten Verschwinden seiner Frau Karin war er für die Abwechslung, die ihm der Job bot, dankbar.

Nur für Tochter Nina blieb ihm viel zu wenig Zeit. Während der zahlreichen Dienstreisen lebte sie bei den Eltern seiner ehemaligen Frau. Nachdem Ninas Mutter einfach so aus ihrer aller Leben verschwunden war, kümmerten sie sich mit viel Liebe um ihr Enkelkind. Sie konnten es nie richtig überwinden, dass Karin, ihre einzige Tochter, alles stehen und liegen ließ, um irgendwo in Venezuela ein neues Leben zu beginnen.

Von einem Tag auf den anderen war sie ganz plötzlich verschwunden. Zurück ließ sie lediglich eine kurze Nachricht, in der sie ihre Eltern und Markus über den Entschluss unterrichtete. Ohne einen Grund zu nennen. Vielleicht ein anderer Mann? Ihre beste Freundin schloss das kategorisch aus. Eine plausible Erklärung für Karins Verschwinden konnte sie auch nicht geben.

Auch in den folgenden Monaten hörte Markus nichts von seiner Frau. Es kamen noch nicht einmal Geburtstagswünsche oder Weihnachtsgrüße für Nina. Man konnte fast denken, dass es ihre Tochter und die Ehe mit ihm für sie nie gegeben hatte.

Für ihn blieb es ein Rätsel, wieso sie ausgerechnet nach Südamerika gegangen war. Solange sie sich kannten, schwärmte sie für Neuseeland und sprach immer wieder einmal davon, dort leben zu wollen. Ziemlich am Anfang ihrer Beziehung hatten sie beide dort einen wunderschönen Urlaub verbracht.

Über die deutsche Botschaft in Caracas nahm Markus schließlich Kontakt zu ihr auf. Er brauchte ihre Zustimmung für das Sorgerecht der gemeinsamen Tochter und die anstehende Scheidung. Nach wenigen Wochen bekam er alle Unterlagen, zusammen mit ihrer beglaubigten Unterschrift, von der Botschaft zugeschickt.

Markus vergötterte seine Tochter. Jedes Mal, wenn er von einer der Reisen zurückkam, verbrachte er so viel Zeit wie möglich mit ihr. Das schlechte Gewissen gegenüber seiner Tochter nagte oft an ihm. Gelegentlich spielte er mit dem Gedanken, endlich sesshaft zu werden. Mit ihren blonden Haaren und dem hübschen, lebhaften Gesicht, schien Nina ein Ebenbild ihrer Mutter zu werden. Inzwischen war sie fünf Jahre alt geworden und würde bald zur Schule gehen.

Innerhalb weniger Monate musste Markus gezwungenermaßen sein Leben ändern. Der Großvater von Nina wurde sehr krank und kam, zumindest für die nächste Zeit, in ein Pflegeheim. Ninas Großmutter musste jetzt die Zeit zwischen ihrem Mann und der Erziehung der Enkelin aufteilen. Das brachte die alte Frau an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Markus war sich im Klaren darüber, dass es so nicht weitergehen konnte. Es ging nicht anders. Er musste sich nach einem neuen Job umsehen. Nina brauchte ihn.

Sein Chef bot ihn daraufhin den Job als Leiter des kleinen Pressebüros in Israel an. Als Büroleiter in Tel Aviv konnte er die Arbeitszeit besser nach den Erfordernissen seiner Tochter ausrichten. Markus brauchte keine Bedenkzeit.

Nina freute sich auf das neue Leben zusammen mit ihrem Vater. Nur der Abschied von den Großeltern fiel ihr schwer. Vor der Abreise musste er versprechen, mindestens dreimal oder auch viermal im Jahr mit ihr nach München zu fliegen.

Sie bezogen eine hübsche Neubauwohnung in Tel Aviv. Diese ersten Monate in Israel waren, auch später in seinen Erinnerungen, eine schöne, unbeschwerte Zeit.

Bei einem Empfang in der deutschen Botschaft lernte er Christine kennen. Sie arbeitete dort. Die junge Frau war nicht nur intelligent und schlagfertig, sondern auf eine ganz bestimmte Art sehr hübsch. Für diesen Typ Frau war er schon immer empfänglich gewesen. Es war nicht die große Liebe, aber sie ergänzten und verstanden sich. In vielen Dingen erinnerte sie ihn an seine Frau. Er genoss es, mit ihr auszugehen und dabei die abschätzenden Blicke der Frauen und Männer in seinem Rücken zu spüren.

Christine besaß das Talent, so ziemlich jede männliche Person in kürzester Zeit um den Finger zu wickeln. Sie kannte ihre Fähigkeiten und nutzte sie oftmals schamlos aus. Ihn störte es nicht.

Nina und Christine verstanden sich von Anfang an recht gut. Eine wichtige Voraussetzung für Markus. Sonst hätte er sich nie auf dieses Verhältnis mit ihr eingelassen.

Zusammen mit den beiden „Frauen“ unternahm er oft Ausflüge. Sie besuchten zahlreiche Orte, von denen bereits in der Bibel erzählt wurde. Viel Zeit verbrachten sie zudem am belebten Strand von Tel Aviv. Markus war beruflich schon oft in Israel gewesen, hatte dabei aber nie Zeit für solche Freizeitaktivitäten gefunden. Besonders gernspazierten sie Freitagabend, wenn der Sabbat begann, durch die Altstadt von Jerusalem. Außerdem liebte Nina es, in Jerusalem mit der Straßenbahn zu fahren. Meist begannen sie ihre Fahrt auf dem Herzlberg und stiegen erst an der Station Pisgat Ze'ev wieder aus.

Seine Tochter lebte sich in der neuen Umgebung schnell ein und fand in der Nachbarschaft unzählige Freunde. In erstaunlich kurzer Zeit konnte sie sich mit ihnen auf Hebräisch unterhalten. Nina ging in Tel Aviv zur Schule und danach verbrachte sie viel Zeit mit ihren Freundinnen.

Wenn Markus von einer seiner seltenen, kurzen Reisen nach Tel Aviv zurückkehrte, freute er sich jedes Mal auf das Wiedersehen mit Nina und Christine.

Dann kam dieser verhängnisvolle 3. Februar. Er befand sich auf der Fahrt nach Dimon, südlich von Jerusalem. Dort waren zwei Tage vorher der Bürgermeister, dessen Frau sowie zwei seiner Kinder durch einen Scharfschützen getötet worden. Schon seit mehreren Monaten gab es in Israel eine Reihe von zumeist tödlichen Anschlägen auf Geschäftsleute und Lokalpolitiker. Das Seltsame daran war, dass es sich bei den Opfern um relativ unbedeutende und unbekannte Menschen handelte. Die Mordanschläge sorgten für viel Unruhe unter der Bevölkerung. Es waren nicht die üblichen Sprengstoffanschläge der Palästinenser. Es machte den Eindruck, als wolle man mit diesen Attentaten ganz gezielt bestimmte Personen ausschalten. Dass dabei auch unbeteiligte Menschen getötet oder verletzt wurden, schien den Tätern offensichtlich egalzu sein. Bekennerschreiben gab es nicht und alle rätselten über die Hintergründe der Anschläge.

Markus hätte auch einen seiner Leute nach Dimon schicken können, aber manchmal hielt er die stickige Büroluft nicht mehr aus. Er wollte versuchen, dort vor Ort etwas über die Vergangenheit der Getöteten in Erfahrung zu bringen. Bei solchen Recherchen konnte er beweisen, dass er die Arbeit als Journalist noch beherrschte.

Zeev Zakin, ein Bekannter aus Tel Aviv, der ihm immer mal wieder vertrauliche Informationen zukommen ließ, erreichte ihn während der Fahrt nach Dimon auf dem Handy. Markus glaubte zu wissen, dass der Anrufer für den Mossad, den israelischen Geheimdienst, arbeitete. Sicher war er aber nicht.

Über Zakin wurde viel geredet, meist hinter vorgehaltener Hand. Einer seiner Informanten hatte ihm mal erklärt, dass er zu den speziell ausgebildeten Männern beim Mossad gehörte, die sich weltweit auf die Suche nach Attentätern und ihren Hintermännern machten. Waren die Terroristen einmal gefunden, gab es für sie kein Entkommen. Dank Zakins exakten Recherchen sollten schon etliche Führungsleute der Hamas ums Leben gekommen sein. Durch Männer wie ihn bekam das israelische Militär angeblich die Koordinaten, um die Terroristen dann durch gezielten Beschuss zu töten. Markus selber konnte nicht sagen, inwieweit diese Informationen zutrafen. Er kannte den Israeli nur als zuvorkommenden und überaus freundlichen Gesprächspartner.

„Markus, du musst sofort nach Tel Aviv zurückkommen. Es ist etwas Schreckliches passiert.“ Wie immer sprach Zakin mit knappen, zackigen Worten.

„Um was geht es?“

Die Stimme des Anrufers stockte für einen Moment und Markus ahnte, dass etwas wirklich Schlimmes geschehen sein musste. In Gedanken sah er den kleinen Israeli mit den graumelierten Haaren vor sich. „Es hat einen Anschlag auf den stellvertretenden Bürgermeister von Tel Aviv gegeben. Er hatte einen Vortrag in einer Schule gehalten und sich danach, zusammen mit den Schülern, zu einem Pressefoto aufgestellt, als die Schüsse fielen. Der Täter benutzte diesmal ein Schnellfeuergewehr. Es gibt sehr viele Tote und …“

Markus fuhr das Auto an den Straßenrand. „Was und?“

Es dauerte eine Weile, bis der Anrufer weitersprach. .„Mindestens acht Menschen sind gestorben und es gab unzählige Verwundete, darunter viele Kinder. Deine Tochter wurde bei dem Attentat ebenfalls schwer verletzt. Man hat sie ins Assaf Harofeh Medical Center eingeliefert. Vermutlich wird sie in diesem Moment operiert.“

Die Worte von Zeev Zakin trafen Markus wie ein Schlag.

„Weißt du mehr über ihre Verletzungen?“

„Nein. Ich habe noch keine genaueren Informationen.“ Der Anrufer unterbrach die Verbindung. Vielleicht wollte er weiteren Fragen aus dem Weg gehen.

Die Zeit danach erschien Markus wie ein einziger, großer Albtraum. Die Stunden in der Klinik am Bett seiner Tochter, die vielen Apparate, die sie am Leben hielten. Unter den dicken Verbänden sah er nur ihre geschlossenen Augen und den schmächtigen Körper. Sie war von zwei Kugeln getroffen worden. EinQuerschläger war in der rechten Brustseite steckengeblieben und musste herausoperiert werden. Die zweite Kugel hatte sie an der rechten Schläfe getroffen. Die dadurch entstandenen Kopfverletzungen waren erheblich. Die Ärzte zweifelten von Anfang an daran, dass sie die Verletzungen überleben würde.

Für Markus folgten viele Stunden des Hoffens und Bangens. Die Versuche des Klinikpersonals, ihn nach Hause zu schicken, waren vergebens. Die Ärzte hatten Nina in ein künstliches Koma versetzt, aus dem sie nicht mehr aufwachen sollte. Siebenundsechzig Stunden, nachdem die Kugeln des Attentäters sie getroffen hatten, wurde seine kleine Tochter für tot erklärt.

Markus verkroch sich in der Wohnung, die bis vor kurzem noch vom Lachen Ninas erfüllt gewesen war. In seinem Inneren hatte sich ein riesiger Klumpen gebildet, der mit aller Macht auf sein Herz zu drückte. Immer wieder ging er in ihr Zimmer, nahm die Spielsachen in die Hand und wenn er ihr Kopfkissen an sein Gesicht hielt, konnte er sie noch riechen.

Später, Tage später, bekam er Besuch von Zeev Zakin: „Wir haben den Attentäter ausfindig gemacht. Er ist tot.“

„Wie ist er gestorben?“ Die Frage von Markus klang eher gleichgültig. Zu dieser Zeit konnte er noch nicht an Vergeltung denken.

„Er wurde erschossen. Wir vermuten, dass seine eigenen Leute ihn getötet haben. Die Leiche wurde in einem wenig genutzten Lager in der Altstadt von Jaffa gefunden. Durch Bilder einer Überwachungskamera in der Nähe der Schule konnten wir ihn identifizieren.“

„Er ist also auch tot. Gut so.“ Markus starrte weiter auf einen Flecken an der Wand.

„Markus, ich brauche deine Hilfe.“

„Warum?“

„Kannst du mir sagen, wo sich deine Lebensgefährtin befindet?“

„Keine Ahnung. Wahrscheinlich in der Botschaft.“

Markus runzelte die Stirn: „Ich glaube, seit den schrecklichen Ereignissen habe ich Christine noch nicht gesehen. Jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern.“

Jetzt machte er sich Sorgen. Die letzten Tage war er zu sehr mit seinem eigenen Kummer beschäftigt gewesen. Da gab es keinen Raum für etwas anderes. Nach reiflichen Überlegungen musste Markus sich eingestehen, dass er nach dem Anschlag tatsächlich nichts mehr von Christine gehört hatte. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie kein einziges Mal im Krankenhaus gewesen war. Hätte Zakin nicht nach ihr gefragt, wäre es ihm nicht einmal aufgefallen.

Bei Christine kam es öfter vor, dass sie beruflich für ein paar Tage unterwegs war und nicht nach Hause kommen konnte. Aber in der Vergangenheit hatte sie nie versäumt, ihm wenigstens telefonisch Bescheid zu geben.

Zu ihren Aufgaben in der Botschaft gehörte es, sich um Probleme von Deutschen in Israel zu kümmern. Meistens handelte es sich dabei um Touristen, die plötzlich erkrankten oder in einen Unfall verwickelt wurden. Sie kümmerte sich dann um die Formalitäten für den Rückflug oder sprach mit der Polizei.

„In der Botschaft ist sie seit mehreren Tagen nicht erschienen und hat auch keine Nachricht hinterlassen“, sagte Zakin und verabschiedete sich.

Es dauerte noch weitere Tage, bis Markus wenigstens etwas in die Normalität zurückfand und wieder klarer denken konnte. Der Druck in seinem Inneren war noch da. Fast schien es ihm, als würde er täglich größer. Immerzu hatte er in Gedanken das Bild Ninas vor Augen. Wenn er aus einem unruhigen Schlaf erwachte, sah er als Erstes ihre fröhlichen Kinderaugen, die ihn anlachten.

Nach einem Anruf Zakins traf er sich mit ihm in einem Café in der Nähe seiner Wohnung. Christine blieb weiterhin verschwunden und hatte auch nichts von sich hören lassen. Auf der Mailbox ihres Handys hatte er unzählige Nachrichten hinterlassen. Inzwischen machte er sich ernsthafte Sorgen.

Zeev Zakin kam gleich zur Sache: „Wir wissen mehr über den oder die Attentäter. Leider nicht viel mehr. Der Tote, den wir in Jaffa gefunden haben, ist sehr wahrscheinlich ein Deutscher. Laut seinem Pass heißt er Manfred Kramer. Vor über vier Wochen ist er in Begleitung eines Mannes namens Gerhard Troger als Tourist in Israel eingereist.“

„Das Bundeskriminalamt in Deutschland konnte dir nicht weiterhelfen?“

Zeev Zakin schüttelte den Kopf.

„Beide Männer existieren in Deutschland überhaupt nicht. Die Nummern ihrer Pässe wurden nie vergeben. Es handelt sich dabei um Fälschungen.“

„Das Motiv für die Tat?“

Der Israeli zögerte ein wenig, schüttelte aber dann abermals den Kopf.

„Da gibt es ebenfalls keinen Anhaltspunkt, der uns weiterbringt. Wir gehen davon aus, dass die Beiden für etliche Attentate, die es in letzter Zeit gab, verantwortlich zu machen sind. An verschiedenenTatorten haben wir Spuren gesichert, die wir Manfred Kramer zuordnen konnten. Die Personalien der Männer wurden bei der Einreise gespeichert, aber sie bringen uns nicht weiter.“

„Also absolut keine Spur?“

„Jedenfalls gibt es nur wenige Anhaltspunkte.“

Zakin legte zwei Fotos auf den Tisch. „Das ist der tote Attentäter. Es ist die Aufnahme einer Überwachungskamera am Flughafen.“

Zeev Zakin beobachtete den Journalisten sehr genau, als dieser das Bild in die Hand nahm.

Markus starrte auf das Foto. Das war der Mörder Ninas? Sein Kopf schien zu explodieren, nachdem er sich die zweite Person auf dem Bild genauer ansah. Christine. Das Haar war ihr ins Gesicht gefallen, aber er erkannte sie sofort. Auf der Aufnahme sah es aus, als würde sie sich mit ihm unterhalten. Beide schienen sehr vertraut miteinander zu sein. Eine Hand lag auf dem Arm des Mannes.

Es war später Nachmittag, als Markus mit der „NINA“ in die Marina von Zadar fuhr. Schon vom Meer aus konnte man den Turm der Kirche des heiligen Donats sehen. Die Sonne zeigte an diesem Tag nochmals ihre ganze Kraft. Es war sehr heiß. Auf dem Meer spürte man die Spätsommerhitze viel weniger stark als hier in der windgeschützten Bucht. Gekonnt und ohne Unterstützung legte Markus Hagen die achtzehn Meter lange Ferretti im Jachthafen an.

Ivo, der bullige, glatzköpfige Hafenmeister der Marina, hatte ihn bereits bei der Einfahrt in den Hafen kommen sehen und ihm per Handy einen der beliebten Plätze direkt am Anfang des Jachthafens, ganz in der Nähe zur Promenade, zugewiesen.

Die Anlegestelle für die großen Fähren war weit genug weg, um von dem Lärm nicht gestört zu werden. Lediglich die Touristen, die in der Früh zu den Ausflugsbooten pilgerten, würden für etwas Unruhe sorgen.

Jetzt, im September, gab es nicht mehr so viele Jachten im Hafen, da konnte der Hafenmeister bei der Vergabe der Liegeplätze großzügig sein.

Nada, Ivos fünfzehnjährige Nichte, stand neben ihrem Onkel. Sie wartete geduldig bis Markus die Jacht festgemacht hatte, die Motoren abstellte und die Gangway ausfuhr.

Jedes Mal, wenn er von einer seiner Touren zurückkehrte, bekam das Mädchen einen Anruf von ihrem Onkel. Sie verdiente sich ein bisschen Taschengeld, indem sie die Kabinen der „NINA“ auf Vordermann brachte. Diesmal würde sie damit relativ wenig Arbeit haben. Nur zwei der drei Kabinen und Badezimmer waren von den Gästen benutzt worden. Dazu kam noch die Mannschaftskabine, in der Markus während der Reisen schlief.

Bettina war nach der Hälfte ihrer Fahrt von der Eignerkabine in die zweite Kabine umgezogen. Angeblich weil ihr Mann so fürchterlich schnarchte. Insgeheim hatte sie wohl darauf gehofft, dass Markus sie dort zu fortgeschrittener später Stunde besuchen kam.

Ein Cousin des Hafenmeisters, der in Zadar ein kleines Lebensmittelgeschäft betrieb, würde später kommen, um die Vorräte an Bord aufzufüllen.

Der Fahrer eines etwas älteren Mercedes, ebenfalls mit dem Hafenmeister verwandt, half den Chartergästen dabei, ihr reichliches Gepäck im Wagen zu verstauen. Er würde die Beiden zum Flughafen bringen.

Interessiert schauten alle zu, als der Skipper sich von seinen Gästen verabschiedete. Bettina legte zum letzten Mal ihre Arme um Markus und küsste ihn, nach einem vorsichtigen Blick zu ihrem Mann hin, zärtlich auf den Mund. Sie ließ sich viel Zeit dabei, nachdem sie gesehen hatte, dass ihre bessere Hälfte anderweitig beschäftigt war. Bei der Abschiedszeremonie schienen sie die übrigen, interessierten Zuschauer nicht zu stören.

Von Eberhard bekam Markus zum Abschied eine eher schwache Umarmung und einen Teil von dessen Whiskyfahne ins Gesicht geblasen. Er winkte ihnen nach, bis sie nicht mehr zu sehen waren.

Der Hafenmeister und Markus machten es sich auf Deck in den Sesseln unter dem Sonnensegel bequem. Ivos Nichte zeigte, dass sie sich an Bord auskannte. Unaufgefordert brachte sie für jeden eine Flasche Bier. Sie wusste inzwischen, dass ihr Onkel, wenn er sich zu einem Schwätzchen bei Markus Hagen niederließ, ein eiskaltes Bier trinken wollte.

„Dem zärtlichen Abschied der Frau nach zu urteilen, scheint es für dich eine anstrengende Fahrt gewesen zu sein?“

Markus überhörte die Frage. Er wollte keine Einzelheiten preisgeben. Ivo hätte ihm sowieso nicht geglaubt.

Die beiden Männer saßen in ihren Sesseln und schauten den wenigen Leuten nach, die zu dieser Tageszeit über die Promenade schlenderten und die Jachten bestaunten. Abschätzend begutachteten sie hauptsächlich die jüngeren, hübscheren Touristinnen und gaben ihre fachmännischen Kommentare über Beinlänge, Oberweite sowie andere Aussichten ab. Zwei Männer, die einen friedlichen Spätnachmittag in der Marina von Zadar verbrachten. Gelegentlich riefen sie nach Nada, die ihnen dann rasch ein weiteres kaltes Bier aus dem Kühlschrank brachte.

Erst der Anruf von Ivos Frau, die mit dem Abendessen auf ihren Mann wartete, beendete das gemütliche Beisammensein.

Aufgeregtes Stimmengewirr und ein kleiner Menschenauflauf, nur wenige Meter von der „NINA“ entfernt, unterbrachen den geruhsamen Ablauf des folgenden Morgens. Markus ließ sich anfangs davon nicht stören.

Er hatte soeben gefrühstückt und überlegte, was er mit dem Tag anfangen sollte. Die Sonne zeigte bereits zu dieser frühen Stunde viel von ihrer Kraft.

Ihm fiel ein, dass Gottlieb Freden, sein ehemaliger Chef, ihn in einer Mail gebeten hatte, mit einem Ex-Professor, der jetzt in der Nähe von Zadar lebte, ein Interview zu führen. Doch darauf hatte er heute keine Lust. Professor Marek Subkow hatte an der Universität in Jerusalem Vorlesungen in politischer Geschichte gehalten, bevor er sich an Demonstrationen gegen die Regierung beteiligte, die letztendlich zu seiner Entlassung führten.

Subkow kam ursprünglich aus Polen und war erst 1967 nach Israel eingewandert. Von ihm sollte es mehrere Bücher über rechtspopulistische Parteien, hauptsächlich in Europa, geben. Markus musste sich eingestehen, dass er keines davon kannte. Er konnte sich auch nicht an einen Autor namens Marek Subkow erinnern. Weitere Auskünfte über den Professor waren von Freden nicht gekommen.

Bevor er das Interview mit diesem Mann führte, musste er unbedingt im Internet nach weiteren Informationen suchen. Er ging nicht gerne unvorbereitet zu solch einem Gespräch. Irgendwann für die Zeit nach der kommenden Tour würde er einen Termin mit dem Mann vereinbaren.

Gottlieb Freden, sein früherer Chef, ließ den Kontakt zu Markus Hagen nie ganz abreißen. Immer wieder mal bekam er eine Mail oder einen Anruf von ihm. Damals, als er den Job in Israel aufgab und nach Kroatien ging, bestärkte Freden ihn darin. Gleichzeitig gab er seiner Hoffnung Ausdruck, dass Markus nach der Auszeit zu ihm in die Presseagentur zurückkehren würde. Daran hielt er auch drei Jahre später noch fest.

Der Menschenauflauf sowie das Stimmengewirr am Kai nahmen noch mehr zu. Markus versuchte,von seinem Sessel aus zu erkennen, was da vor sich ging. Zu dieser Tageszeit waren im Hafen meistens nur Touristen unterwegs, die auf einem der zahlreichen Ausflugsboote eine Tagestour zu den vorgelagerten Inseln unternahmen.

Als sich eine Lücke unter den Menschen auftat, sah Markus einen Mann, der regungslos am Boden lag. Keiner der umstehenden Touristen schien etwas unternehmen zu wollen. Sie standen lediglich herum und diskutierten. Viel mehr konnte er aus dieser Entfernung nicht erkennen.

Eher unwillig begab er sich an Land. Um sich ein Bild zu machen, musste er zuerst die neugierigen Gaffer zur Seite drängen. Auf dem Boden vor ihm lag ein kräftiger, eher dicker Mann. Sein Gesicht besaß die Farbe reifer Tomaten und das Atmen schien ihm schwerzufallen.

Eine rothaarige, elegant gekleidete Frau Anfang vierzig, die sich in diesem Moment über den Mann beugte, wollte ihm offenbar Hilfe leisten.

Fast zu spät sah Markus, was sie in Wirklichkeit vorhatte. Sie zog kräftig an dem langen Tragriemen einer braunen, abgenutzten Fototasche in der Hand des am Boden liegenden. Als der schließlich losließ, nahm sie die Tasche an sich und versuchte damit zwischen den Zuschauern zu verschwinden.

Da unternahm doch die Frau kaltblütig den Versuch, einem hilflosen Mann am helllichten Tag die Tasche zu stehlen. Über diese Dreistigkeit, vor den Augen der zahlreichen Zuschauer, konnte Markus nur den Kopf schütteln.

Sie trat und schlug nach ihm, als er recht unsanft ihren Fluchtversuch stoppte, die Tasche an sich nahm und sie sich um den Hals hängte.

„Wenn Sie weiter um sich schlagen, bekommen Sie von mir ein paar kräftige Ohrfeigen, bevor ich Sie der Polizei übergebe. Denen können Sie dann erklären, warum Sie einem wehrlosen Mann die Tasche klauen wollten.“

Automatisch hatte Markus auf Deutsch mit ihr gesprochen. Sie schien ihn zu verstehen. Sie riss sich von ihm los und verschwand mit wütendem Gesichtsausdruck zwischen den Gaffern.

Inzwischen war auch Ivo, der Hafenmeister, eingetroffen. Lautstark und mit energischen Handbewegungen brachte er die neugierigen Zuschauer dazu, wenigstens ein paar Schritte zurückzutreten. Nur widerwillig folgten sie seinem Kommando.

Routiniert, fast fachmännisch, fühlte Ivo dem Mann am Boden den Puls, brachte ihn danach in eine stabile Seitenlage, schob ihm seine Jacke unter den Kopf und rief über Handy einen Rettungswagen.

Es dauerte fast fünfzehn Minuten, bis der Krankenwagen eintraf. Markus trat zurück, um Platz zu machen. Die rothaarige Frau hatte er im Moment völlig vergessen. Ganz unerwartet stand sie plötzlich hinter ihm und drückte ihm einen harten Gegenstand in die Seite.

„Geben Sie mir die Tasche! Sofort! Wenn Sie schreien, schieße ich.“

Früher, in der Zeit als Korrespondent, war er gelegentlich in brenzlige Situationen geraten. Zwei Mal hatten ihn seine Gegner dabei mit Schusswaffen bedroht. Bisher konnte er es immer vermeiden, von einer Kugel getroffen zu werden.

Betont ruhig drehte er sich zu der Frau um, während er gleichzeitig den Riemen der Tasche über seinen Kopf zog und sich dabei umsah. Direkt neben ihnen schwappte das schmutzige Hafenwasser gegen die Kaimauer. Keiner der Leute schien zu bemerken, was sich ein paar Meter weiter abspielte. Alle starrten zu dem Krankenwagen hin.

Markus zuckte die Schultern: „Ihre Argumente sind wirklich überzeugend.“

Mit Schwung drückte er die Tasche fest gegen ihre Brust. Automatisch griff sie mit beiden Händen danach. Die kleine Pistole zeigte für einen kurzen Moment von ihm weg. Darauf hatte er gehofft. Blitzschnell ließ er sich aus dem Stand heraus mit dem ganzen Gewicht gegen die Frau fallen, die damit keinesfalls rechnete und sich dagegen auch nicht mehr wehren konnte. Rückwärts fiel sie, Markus über sich, in das schmutzige Wasser des Hafens. Wie von ihm geplant, landeten sie in der Lücke zwischen zwei kleinen Ruderbooten. Ihm tat es gar nicht leid, dass die Frau sich heftig den Kopf an einem der Rümpfe anschlug und dabei das Bewusstsein verlor.

Schwimmend zog Markus den leblosen Körper der Frau zu einer verrosteten Metallleiter, die in die Hafenmauer eingelassen war, und von da aus auf den Kai.

Der Hafenmeister hatte ihm beim letzten Teil seiner Bemühungen interessiert zugeschaut und half schließlich mit, die Frau das restliche Stück aus dem Wasser zu ziehen.

„Was ist mit dir und der Frau passiert? Gibst du hier Schwimmunterricht? Nicht besonders erfolgreich, wie ich sehe.“

Zum zweiten Mal an diesem Tag fühlte Ivo einem Menschen den Puls. „Die kommt bald zu sich. Ist nur ohnmächtig. Was ist passiert?“

„Sie wollte dem Bewusstlosen die Tasche klauen. Ich habe sie daran gehindert. Daraufhin ist sie ohne ihre Beute abgehauen. Urplötzlich war sie wieder da und hat mir eine Pistole in die Seite gedrückt.“

„Wo sind Knarre und Tasche jetzt?“

Markus deutete auf die Stelle, an der sie ins Wasser gefallen waren.

„Sie liegen noch auf dem Grund deiner Marina.“

Der Hafenmeister schaute in die schmutzige Brühe und rümpfte die Nase.

„Der Tag fängt ja gut an. Soll ich da hineinsteigen, um sie zu suchen?“

Hoffnungsvoll fügte er hinzu: „Womöglich sind sie schon abgetrieben und liegen sonst wo am Grund. Vielleicht könntest du …“

Markus verstand: „Du meinst, nachdem ich bereits in der Brühe gebadet habe, kommt es auf ein weiteres Mal nicht an.“

Diesmal kletterte er über die Leiter ins Wasser. Schon beim zweiten Tauchgang fand er zumindest die Tasche.

„Die Pistole ist nirgendwo zu sehen. Ich habe keine Lust, weiter danach zu suchen. Wenigstens habe ich die Tasche.“

Hilfsbereit zog ihn der Hafenmeister aus dem Wasser, während er dabei die unscheinbare braune Tasche begutachtete.

„Egal, wir übergeben die Frau der Polizei. Wenn die nach der Waffe suchen wollen, ist das ihr Problem.“

Keiner von ihnen achtete in diesem Moment auf die Rothaarige, die plötzlich unerwartet flink aufsprang und davonrannte.

„Ivo, die Frau haut ab!“

Verdutzt schauten sie der Frau nach. Entweder war ihre Bewusstlosigkeit nur gespielt gewesen, oder sie war viel schneller, als erwartet, wiedererwacht. Sie sahen gerade noch, wie sie barfuß in einer schmalen Gasse der Altstadt verschwand.

Mäßig interessiert zuckte der Hafenmeister die Schultern: „Die Polizei dürfte keine Probleme haben, sie zu finden. In ihrer nassen Kleidung fällt sie überall auf.“

Nach dieser gleichgültigen Aussage seines Freundes verspürte Markus ebenfalls keine Lust, die Frau durch die Altstadt von Zadar zu verfolgen. Stattdessen setzte er sich auf eine Bank und öffnete den Reißverschluss der Tasche. Das Wasser aus seiner nassen Kleidung tropfte auf den Boden und unter ihm bildete sich langsam eine Pfütze. Der Hafenmeister schaute ihm interessiert über die Schulter.

Als Erstes fand er eine teure Digitalkamera. In einem Seitenfach lagen zwei benutzte Bustickets sowie eine Geldbörse mit etwa fünfhundert Euro und knapp eintausend kroatischen Kuna.

Die Hupe des Rettungswagens störte die weitere Untersuchung der Tasche. Der Sanitäter fuchtelte mit beiden Armen in der Luft herum und winkte. Offensichtlich wollte er damit erreichen, dass der Hafenmeister zu ihm kam.

Eher unwillig unterdrückte der seine Neugier.

„Bin gleich wieder da. Der Rettungsdienstler will vermutlich nur eine Unterschrift von mir.“

Markus machte währenddessen mit der Untersuchung weiter. Eigentlich hatte die rothaarige Frau in ihrer eleganten Kleidung nicht den Eindruck einer Diebin auf ihn gemacht. Aber was interessierte sie so an der Tasche?

Sorgfältig breitete er den gesamten Inhalt neben sich auf der Bank aus. Geldscheine und Bustickets waren durch das Bad im Hafen nass geworden und auch die Digitalkamera brauchte mutmaßlich eine gründliche Überholung, bevor man sie wieder benutzen konnte. Wenn er Glück hatte, war der Chip der Kamera unbeschädigt. Er würde später an Bord der „NINA“ versuchen, die Bilder auf seinem eigenen Rechner zu öffnen.

Auf dem Boden der Tasche fand er einen schwarzen, mit Reißverschluss verschlossenen Plastikbeutel. Dessen Inhalt war nicht mit dem Wasser in Berührung gekommen und vollkommen unbeschädigt.

Zu seinem Erstaunen handelte es sich um sechzehn gültige israelische Pässe, ausgestellt auf sechzehn verschiedene Namen. Alle sahen etwas abgegriffen aus und besaßen den Einreisestempel unterschiedlicher Schengen-Staaten. Die Personen in den Pässen waren männlich und angeblich in den letzten fünf Tagen über sechzehn verschiedene Länder außerhalb Europas eingereist. Es gab noch eine Besonderheit an seinem Fund. Die Ausweispapiere waren nur für acht Personen gedacht. Immer zwei Pässe zeigten das Bild des gleichen Mannes, wenn auch mit verschiedenen Namen.

Unwillkürlich stieß Markus einen Pfiff aus, als er in einem separaten, weißen Briefumschlag vierzig Geldscheine über jeweils fünfhundert Euro fand. Was mochte es für einen Grund geben, um so viel Geld spazieren zu tragen? Der bewusstlose Mann auf dem Kai sah nicht aus, als wenn ihm Geldbeträge in dieser Höhe zur Verfügung standen.

Durch Zufall war er in Zadar offenbar auf eine besondere Geschichte gestoßen. Er hatte geglaubt, dass seine journalistische Neugier längst eingeschlafen war, doch dieser Fund hatte sie jedenfalls wieder geweckt.

Er beschloss, Ivo vorerst nichts von den Pässen und dem Geld zu erzählen. Dessen Vorgesetzte konnten auf die Idee kommen, die Dokumente verschwinden zu lassen und das Geld unter sich aufzuteilen.

Sorgsam schob er das Päckchen mit den Pässen und dem Geld hinter den Gürtel seiner Hose. Das lose darüber hängende, nasse Hemd würde es notdürftig verbergen. Rechtzeitig, bevor der Hafenmeister zurückkam, entfernte er noch den Speicherchip aus der Kamera und ließ ihn in der Hosentasche verschwinden.

3.

Nachdem Markus sich der nassen Kleidung entledigt hatte, saß er an Deck der „NINA“ und dachte nach. Wen in der israelischen Regierung sollte er von dem Fund der Pässe sowie des Geldes unterrichten? Dass damit etwas ganz und gar nicht stimmen konnte, war offensichtlich.

Bevor er die Sachen in seinem Safe auf der Jacht einschloss, hatte er sich die Bilder in den Ausweisen nochmals genaue angeschaut. Einen der Männer kannte er; besser gesagt, der Ausdruck in diesem Augenpaar kam ihm bekannt vor. Nur fiel ihm im Moment einfach nicht ein, bei welcher Gelegenheit er sich ihm eingeprägt hatte. War es bei einer persönlichen Begegnung gewesen, oder kamen ihm die Augen lediglich bekannt vor, weil er sie öfter auf einem Bild oder in einer Zeitung gesehen hatte?

Der Speicherchip, den er unbemerkt aus dem Fotoapparat entfernen konnte, war trotz des Salzwassers unbeschädigt, aber leider vollkommen leer. Der Besitzer der Tasche schien kein Freund der Fotografie zu sein. Die Kamera diente offensichtlich nur zur Tarnung. Der dicke Mann wollte, dass man ihn für einen Touristen hielt. Gleichzeitig gab die Tasche ein brauchbares Versteck für die Pässe und das Geld ab.

In Gedanken ließ Markus so nach und nach alle wichtigen und ihm bekannten Regierungsbeamten aus Israel vor seinen Augen Revue passieren. An wen konnte er sich mit dem brisanten Fund wenden? Zuerst dachte er an Zeev Zakin. Da er über dessen offizielle Funktion so gut wie nichts wusste, schied dieser aus. Er brauchte als Ansprechpartner eine vertrauenswürdige Person, die der israelischen Regierung nahestand. Es sollte jemand sein, der die geeigneten Kontakte besaß, um die Nachricht über den seltsamen Fund an die zuständige Stelle weiterzuleiten.

Markus entschied sich nach gründlichen Überlegungen dafür, mit seinem ehemaligen Wohnungsnachbarn Ben Davidovich Kontakt aufzunehmen. Ben war damals, zu seiner Zeit als Korrespondent in Israel, Abteilungsleiter im Außenministerium. Ein kleiner, freundlicher Mann mit Hornbrille. Zusammen mit seiner Frau und den drei Kindern wohnte er in Tel Aviv zwei Etagen über ihm. Eine von Bens Töchtern war mit Nina zur Schule gegangen. Über sie lernten sie sich mit der Zeit etwas besser kennen. Gelegentlich hatten sie bei einem Tee oder Kaffee zusammengesessen, um über ihre Töchter genauso wie über die israelische Politik und deren Folgen für den gesamten Nahen Osten zu diskutieren.

Markus ging extra ins Postamt von Zadar, um von dort aus zu telefonieren. Aus diversen Informationsquellen in seinem früheren Berufsleben wusste er, mit welchem Aufwand die Geheimdienste Auslandsgespräche von Handys aufzeichneten und auswerteten. Gespräche vom Postamt aus waren zwar auch nicht unbedingt abhörsicher, aber wenigstens konnten eventuelle Mithörer nicht sofort auf seine Person schließen. Sein Gesprächspartner sollte dann selber entscheiden, wie viel Vertraulichkeit ihm diese Nachricht wert war, falls sie nochmals miteinander telefonieren würden.

Es war gar nicht leicht, Ben Davidovich ausfindig zu machen. Unter der Telefonnummer im Außenministerium war er nicht mehr zu erreichen. Weiterführende Auskünfte wollte oder konnte man ihm dort nicht geben. Auch Davidovichs private Rufnummer führte nicht zum Erfolg. Eine grämliche Frauenstimme teilte ihm lediglich mit, dass die Familie unter dieser Anschrift nicht mehr zu erreichen war.

Schließlich bekam er den Aufenthaltsort von Davidovich durch seine ehemalige Sekretärin im Büro der Nachrichtenagentur in Tel Aviv heraus. Sarah arbeitete immer noch bei der Firma und freute sich, von ihm zu hören. Für die Agentur war sie von unschätzbarem Wert. Alle halbwegs wichtigen Personen in Israel schien sie persönlich zu kennen. Über ihre zahlreichen Kontakte erfuhr sie oft Neuigkeiten, die noch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren.

Markus sah sie förmlich vor sich mit ihren wechselnden grün, blau oder auch orange gefärbten Haaren und dem kolossalen Busen. Ihre enorme Oberweite, meist unter einem viel zu engen Shirt eingequetscht, zog automatisch die Blicke sämtlicher Besucher auf sich. Egal ob männlich oder weiblich. Besonders interessant wurde es, wenn sie sich über etwas aufregte oder freute. Dann fing ihr Busen förmlich an zu vibrieren. Jeder, der dieses mittlere Erdbeben mitbekam, wartete gespannt darauf, ob ihr Büstenhalter dem starken Druck standhielt. Sämtliche Anwesenden waren danach regelrecht erleichtert, wenn alles ohne Komplikationen abging.

Von ihr erfuhr er, dass Ben Davidovich nach Rom an die dortige israelische Botschaft versetzt worden war. Sarah gab ihm, nach einem Blick in ihr privates Telefonverzeichnis, die direkte Durchwahlnummer. Das Wissen dieser Frau war wirklich bemerkenswert.

Ben zeigte sich nicht wenig erstaunt darüber, von Markus zu hören. Nachdem sie sich ausgiebig über die Geschehnisse der vergangenen Jahre ausgetauscht hatten, blieb Davidovich ganz still und hörte aufmerksam zu, als er ihm von dem Fund der Pässe sowie den dazugehörenden zwanzigtausend Euro berichtete.

„Das ist wirklich eine interessante Geschichte Markus, aber ich benötige etwas Zeit, um dir da weiterzuhelfen. Zuerst muss ich ein paar Telefongespräche führen, um überhaupt herauszufinden, für wen dieser Fund von Interesse sein könnte. Kann man dich über die Telefonnummer, die hier auf meinem Display angezeigt wird, zurückrufen?“

„Nein, für diesen speziellen Anruf bin ich extra ins Postamt von Zadar gegangen. Ich wusste nicht, ob eine Handyverbindung sicher genug ist. Ich bin aber jederzeit über mein privates Handy oder per Mail zu erreichen.“

In Rom notierte sich Davidovich die Handynummer und E-Mailadresse von Markus.

„Meine Frau und ich würden uns wirklich freuen, dich wiederzusehen. Besuche uns doch mal. Rom ist eine wunderbare Stadt.“

„Oder du machst mit der Familie mal Urlaub in Kroatien. Auf der „NINA“ ist genügend Platz. Es wird euch bestimmt gefallen.“

Schließlich beendeten sie das Gespräch mit dem Versprechen, sich bald persönlich zu treffen. Ben hatte mit keinem Wort den Tod von Nina angesprochen.

Es war fast Mittag geworden, als er sich auf den Rückweg zu seiner Jacht machte. Ivo, der Hafenmeister, wartete auf ihn. Die Aufregungen so früh am Tage hatte ihn durstig gemacht. Nach einem Bier lud er Markus zu sich nach Hause zum Mittagessen ein. Ivo erzählte ihm, dass sich die rothaarige Frau, trotz intensiver Suche durch die Polizei, nicht finden ließ. Auch der Mann, den man ins Krankenhaus gebracht hatte, war schon wieder verschwunden.

„Die Sanitäter haben ihn in der Klinik abgeliefert. Auf der Fahrt dorthin muss er sich recht gut erholt haben. Er weigerte sich strikt, untersucht zu werden. Zuletzt wurde er gesehen, als er den Wegweisern zum Ausgang folgte.“

„Was passiert jetzt weiter in dieser Angelegenheit?“

„Die Polizei hat offiziell beschlossen, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Damit haben unsere Ordnungshüter am wenigsten Arbeit. Das Opfer sowie die Frau sind verschwunden. Keiner hat Anzeige erstattet. Zurückgeblieben sind lediglich die Tasche mit dem Fotoapparat und die benutzten Bustickets.“

„Ausweispapiere habt ihr nicht gefunden?“

„In der Fototasche waren sie nicht. Vielleicht hatte der Mann sie in seinem Brustbeutel. Als er auf dem Boden lag, habe ich einen bei ihm gesehen. Übrigens hat uns der Fotoapparat bei der Suche nach einer Erklärung nicht weitergeholfen. Es gab keinen Speicherchip. Das ist schon eine verdammt seltsame Geschichte.“

Der frische Fisch, den Ivos Frau Anka zum Mittagessen auf dem Grill zubereitet hatte, war so ausgezeichnet, dass Markus mehr aß, als er eigentlich wollte. Dazu gab es einen leichten Weißwein, den Ivo aus einem Plastikkanister in eine Karaffe füllte, bevor er ihn einschenkte.

„Den Wein haben wir von meinem Schwiegervater. Er keltert ihn immer noch selber.“

Nach dem obligatorischen Kaffee war es für den Hafenmeister an der Zeit, sich wieder der Arbeit zu widmen. Sein täglicher Nachmittagsrundgang in der Marina stand an. Markus beschloss, ihn trotz der Hitze ein Stück zu begleiten. Das reichhaltige Mittagessen verlangte nach körperlicher Bewegung. Ein Spaziergang konnte der Verdauung nur guttun.

Der große, schlanke und schon ältere Mann im weißen, eleganten Leinenanzug sowie weißen Lederschuhen fiel ihnen gleich auf. Eindeutig handelte es sich bei ihm nicht um einen normalen Spaziergänger. Recht unschlüssig schlenderte er in der Marina an den Jachten und Booten vorbei. Er schien etwas oder jemanden zu suchen. Gelegentlich sprach er mit den Leuten auf den Schiffen. Ein Engländer auf einer kleinen Segeljacht schüttelte bedauernd den Kopf, und als er den Hafenmeister mit seinem Begleiter kommen sah, schickte er den Mann zu ihnen.

Sie wurden in einem holprigen Englisch begrüßt. Sehr schnell wechselte er ins Deutsche, nachdem der Hafenmeister ihm in dieser Sprache antwortete.

„Ein Freund von mir hatte heute Morgen einen kleinen Unfall hier in der Marina. Vielleicht wissen Sie darüber Bescheid?“

Aufmerksam musterten die beiden den Mann im Leinenanzug. Trotz der dunklen Haare schätze Markus sein Alter auf weit über sechzig Jahre. Die hellblauen Augen in dem schmalen, kantigen Gesicht mit der großen Nase strahlten eine unangenehme Arroganz aus. Er sprach deutsch mit einem starken Akzent, der ihm irgendwie gekünstelt vorkam. Im Augenblick konnte er nicht sagen, was ihn daran störte. Trotzdem ging Markus davon aus, dass es sich bei ihm um einen Landsmann handelte.

Ivo nickte gleichgültig: „Ja, ich habe den Rettungswagen gerufen, der ihn in die Klinik gebracht hat. Wie geht es Ihrem Freund?“

„Schon viel besser. Er konnte das Krankenhaus bereits verlassen. Aber als ihm dieses kleine Missgeschick passierte, ist seine Tasche abhandengekommen. Vielleicht können Sie mir sagen, durch welche Hände sie gegangen ist?“

„Natürlich. Ich selber habe sie der Polizei übergeben.“

Diese Antwort schien dem Mann nicht zu gefallen.

„Bei der hiesigen Polizei waren wir selbstverständlich schon. Mein Freund hat die Tasche auch zurückbekommen. Leider fehlte ein Teil des Inhaltes.“

„Ich kann Ihnen versichern, dass mich der Inhalt nicht interessiert hat. Was vermisst er denn?“

„In der Tasche befanden sich Papiere, die für meinen Freund ungemein wichtig sind. Wenn Sie ihm dabei helfen, die Unterlagen zurückzubekommen, können Sie mit einer großzügigen Belohnung rechnen.“

Markus verfolgte das Gespräch, ohne sich einzumischen. Er wollte nicht unnötig die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Warum, konnte er selber nicht sagen. Darum war es ihm auch sehr recht, dass der Mann nur mit dem Hafenmeister sprach und ihn nur gelegentlich mit kurzem, flüchtigem Blick musterte.

„Dann hat diese Frau also doch …“

„Welche Frau?“

„Irgendeine rothaarige Frau wollte dem Bewusstlosen die Tasche stehlen. Mein Freund hier hat sie ihr wieder abgenommen. Vielleicht hat sie in der kurzen Zeit eine Möglichkeit gefunden, um die Papiere, von denen sie sprachen, an sich zu nehmen.“

Der Mann im Leinenanzug richtete jetzt seine Aufmerksamkeit auf Markus. Die hellblauen Fischaugen in dem gebräunten Gesicht musterten ihn abschätzend und fragend gleichzeitig. Er versuchte, möglichst freundlich zu schauen, aber irgendwie gelang ihm das nicht. Sein Blick war ohne jegliche Wärme.

Markus zuckte mit den Schultern: „Mehr als der Hafenmeister kann ich Ihnen dazu auch nicht sagen. Eine rothaarige Frau wollte die Tasche Ihres Freundes an sich nehmen. Ich habe lediglich verhindert, dass sie damit das Weite sucht und habe sie sofort an den Hafenmeister weitergegeben.“

„Was ist danach mit der Frau passiert? Wo kann ich sie finden?“

„Sie ist geflüchtet. Zuerst hat die Polizei nach ihr gesucht. Nachdem Ihr Freund keine Strafanzeige gestellt hat, wurde die Suche schließlich eingestellt. Wenn aus der Tasche etwas fehlt, sollten Sie noch einmal mit der Polizei sprechen. Dort kann man Ihnen vielleicht bei der Suche nach der rothaarigen Frau weiterhelfen.“

Für Ivo war das Gespräch damit beendet. Sie sahen es dem Mann an, dass er mit den Antworten, die er bekommen hatte, unzufrieden war.

Am Abend, es war bereits dunkel, saß Markus allein an Bord der „NINA“ und schaute den Touristen dabei zu, wie sie auf der Promenade vor den Jachten entlang spazierten und den schönen Tag ausklingen ließen. Er liebte den Übergang vom Tag zur Nacht nach einem heißen Sommertag. Vermutlich dachten die Menschen, die bei ihm vorbeiliefen, ebenso. Vielleicht brauchten sie auch nur etwas Bewegung, um sich für ein reichhaltiges Abendessen zu wappnen. Oder es lag bereits hinter ihnen und sie unternahmen jetzt einen abendlichen Verdauungsspaziergang. Die Familien mit kleinen Kindern würden danach in ihren Hotels verschwinden und die jüngeren Leute sich eine Diskothek oder Bar suchen.

Eine junge Frau, das attraktive Gesicht umrahmt von nackenlangen, blonden Haaren, weckte seine Aufmerksamkeit. Lebhaft diskutierte sie in einem Mischmasch aus Deutsch und Englisch direkt vor der „NINA“ mit zwei etwas zudringlich wirkenden, einheimischen Verehrern. Die leicht rauchige Stimme passte besser zu einer berufserfahrenen Bardame mittleren Alters als zu ihr. Wirkliche Probleme schien sie mit den beiden Männern nicht zu haben. Die wussten offensichtlich nicht so genau, ob die schöne Frau mit ihrem fröhlichen Lachen sie aus- oder anlachte.

Als sie Markus auf der „NINA“ bemerkte, blickten ihre großen Augen ihn flehend an. Bevor er darauf eingehen konnte, flüchtete sie lachend über die Gangway auf seine Jacht.

Irritiert beratschlagten die beiden Verehrer, was sie jetzt tun sollten. Sie schienen zu überlegen, ob es sich lohnen würde, auf ihre Rückkehr zu warten. Schließlich gingen sie enttäuscht und mit unzufriedenen Gesichtern weiter. Die junge Frau winkte ihnen zum Abschied erleichtert nach.

Ein wenig belustigt hatte Markus die Szene verfolgt und schaute sich die Besucherin noch etwas genauer an. Er ließ sich Zeit dabei. Sie war eindeutig der Typ Frau, nach dem sich Männer gerne umdrehten und deren Anblick bei anderen weiblichen Wesen ein misstrauisches Stirnrunzeln hervorrief. Die großen, braunen Augen, die ihn jetzt verwirrend unschuldsvoll und fast schüchtern anblickten, harmonierten so gar nicht mit ihrem überfallartigen Besuch bei ihm an Bord. Schon besser zu ihrem Auftreten passte da der etwas spöttisch verzogene Mund mit den vollen Lippen. Zusammen mit den wirren, von der Sonne gebleichten, glatten hellblonden Haaren, die ihr dauernd in die Augen fielen, ergab ihre ganze Erscheinung eine zauberhaft widersprüchliche Mischung.

Erstaunt blickte sie Markus an; fast so, als wäre er zu ihr an Bord gekommen und sie müsste jetzt überlegen, ob sie vor ihm fliehen sollte.

Zum hübschen Gesicht gehörte eine sehenswerte Figur, wie er fachmännisch feststellte. Der gleichmäßig goldbraunen Haut nach zu urteilen konnte es sich um eine Südeuropäerin handeln. Ihrer Aussprache nach zu urteilen konnte sie aus Italien stammen.

Ihre Bluse, die vorne lediglich mit einem Knoten zusammengehalten wurde, verhüllte nur wenig die vollen Brüste und betonte die schmale Taille. Ihr kleines, festes Hinterteil steckte in sehr engen, kurzen Hosen. Die langen Beine schienen nicht enden zu wollen, was durch die hochhackigen Schuhe noch unterstrichen wurde.

Sie musterte Markus ebenso ausgiebig. Das Ergebnis schien zu ihrer Zufriedenheit ausgefallen zu sein. Ohne ein Wort zu sagen, oder auf eine Einladung zu warten, spazierte sie über die Treppe hoch zur Flybridge, warf einen Blick auf die Fotos von Nina sowie seiner Patentochter Sofiyanti und stieg danach zum Salon der Jacht hinunter. Die Kombüse mit der modernen Ausstattung schien jedenfalls ihre Zustimmung gefunden zu haben, wie er ihrem Kopfnicken zu entnehmen glaubte. Etwas erstaunt und auch belustigt folgte ihr Markus. Besuche dieser Art hatte er an Bord noch nicht erlebt.

Nachdem sie sich auf der „NINA“ ausgiebig umgeschaut hatte, fand sie ihre Sprache wieder und es folgte doch noch eine etwas konfuse Erklärung für ihren überraschenden Besuch. Ihre rauchige Stimme und alles was dazugehörte, gefielen ihm immer noch. Ohne Umschweife ließ sie sich von Markus zu einem Glas Wein einladen.

Ihr schüchterner Blick, gepaart mit einem provozierenden Funkeln, sowie ihr selbstbewusster, gleichzeitig scheuer und doch auch spöttischer Gesichtsausdruck brachten Markus mehr als einmal aus dem Gleichgewicht. Alles zusammen ergab eine faszinierende Mischung.