Der rote Hahn - Gerhart Hauptmann - E-Book

Der rote Hahn E-Book

Gerhart Hauptmann

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Beschreibung

Mit der Tragikomödie "Der rote Hahn" setzt Gerhart Hauptmann seine sozialkritische Milieustudie "Der Biberpelz" fort. September 1900, in einem Dorf im Berliner Umland: Frau Fielitz ist 60 Jahre alt und bereut ihre zweite Heirat. Gleichzeitig trauert sie um ihren verstorbenen ersten Ehemann und leidet zusätzlich unter Rheuma. Dann folgt ein erneuter Schicksalsschlag und die Suche nach dem Verantwortlichen nimmt einen folgenschweren Ausgang.

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Seitenzahl: 109

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Gerhart Hauptmann

Der rote Hahn

Tragikomödie

Saga

Der rote Hahn

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1901, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726956818

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

Dramatis Personae

Fielitz, Schuhmachermeister und Polizeispion. Hoher Fünfziger Frau Fielitz, verwitwete Wolff, seine Frau. Ebenfalls gegen sechzig Jahre Leontine, ihre älteste Tochter aus erster Ehe, unverheiratet. Hoch in den zwanziger Jahren Schmarowski, Bauführer Langheinrich, Schmiedemeister. Dreißig Jahre alt Ede, Schmiedegeselle bei Langheinrich Rauchhaupt, preußischer Gendarm außer Dienst Gustav, sein ältester Sohn, blödsinnig Die acht Töchter Rauchhaupts, von sechs bis dreizehn Jahren Dr. Boxer, kräftiger Mann von sechsunddreißig Jahren, Arzt, Jude von Wehrhahn, Amtsvorsteher Glasenapp, Amtsschreiber Nickel, Amtsdiener Schulze, Gendarm Frau Schulze, seine Tante Tschache, Gendarm ein Feuerwehrmannein JungeDorfleute

Ort des Geschehens: Irgendwo um Berlin. Zeit: Kampf um die Lex Heinze, Jahrhundertwende.

Erster Akt

Die Werkstatt des Schusters Fielitz. Ein blaugetünchter niedriger Raum. Rechts ein Fenster. In der Mittel- und der Linkswand je eine Tür. Unter dem Fenster rechts der Schustertritt; darauf einige Schusterschemel und das kleine Handwerkstischchen. Auf diesem ein Gestell mit drei gläsernen, mit Wasser gefüllten Kugeln, zwischen denen ein Petroleumlämpchen, noch unangezündet, steht. In der Ecke links ein brauner Kachelofen mit Herd, Bank und allerhand Küchengerät ringsum.

Schuhmachermeister Fielitz hockt noch bei der Arbeit. Auf dem Tritt und in der Nähe herum liegen alte Schuhe und Stiefel jeder Größe aufgestapelt. Er ist eben dabei, ein Stück Leder geschmeidig zu hämmern. Frau Fielitz, verwitwete Wolff, hantiert nachdenklich mit einem mäßig großen Holzkistchen und einem Stearinlicht. Es ist gegen Abend, Ende September.

Fielitz. Jeh man wech aus de Werkstelle! Pack dir man!

Frau Fielitz, kurz wegwerfend. Wer werd ock noch komm? 's is ja ieber sechse.

Fielitz. Jeh man wech aus de Werkstelle mit dein Kram!

Frau Fielitz. Benimm dich bloß nich aso äselstumm! Was is denn hier Beeses, hä? an dem Kistel? Aso a Holzkistel is doch nischt Beeses.

Fielitz, verbost weiter schusternd. I, is et vielleicht wat Jutet, wat?

Frau Fielitz, weiter nachdenklich, halb scherzhaft. Bis hierher kommen de Hubelspäne ... Dann tun se hier mittenrein a Licht machen ...

Fielitz. Mutter, du bist mir'n bißken zu klug! Wenn det so weiterjeht mit de Klugheet, denn seh' ick mir noch mal in Pletzensee.

Frau Fielitz, barsch. Du kannst woll o gar kee bissel ni uffpassen! Du magst a wing heern, wenn ma mit dir red't. Aso was verintressiert een doch!

Fielitz. Ick verintressier' mir for meine Stiebeln, for wat anders verintressier' ick mir nich.

Frau Fielitz. Na da! O jemersch! Das wär' woll ni gutt. Da mißten mir alle mitnander verhungern. Mit der Flickschusterei, das wär' aso was! – Hier stellen se's Licht nein. – Haste verstanden?! – Das Kistel hier is ock nich groß genug. Das wär' so a Kistel, das dorte steht. Mir wern de Kinderschuh amal rausschmeißen. Sie kippt eine Kiste mit Kinderschuhen um.

Fielitz, erschrocken. Mach du bloß keen Unsinn! verstehste mich!

Frau Fielitz. Und wenn se das Licht nu han angezind't ... da stellt ma's so mitten nei eis Kistel, natierlich aso, daß der Deckel nich anbrennt. Dann setzt ma's stockstille nuff uff a Boden – das hat doch Grabow ni andersch gemacht! –, so mitten ins alte Gerimpel nein, dann reist eens geruhig nach Berlin, und wenn ma zurickkommt ...

Fielitz. Pst! 's kommt eens. Pst!

Frau Fielitz. Und da soll een der Teifel amal was nachweisen!

Längeres Stillschweigen.

Fielitz. Wenn det man bloß allens so einfach wär'! Det jeht woll so einfach, wie du dir det denkst? Da missen man erstlich hier Luftlöcher rin. Natierlich der Pfriem –: det muß schon 'n Bohr'r sind. Det muß doch Zuch hab'n, wenn et soll anjehn. Wenn et keen Zuch hat, erstickt et doch! Det Feuer muß Zuch hab'n, sonst brennt et nich. Hier muß eener beijehn, der wat von versteht.

Frau Fielitz. Na, Aler, das wär' doch a leichtes fer dich!

Fielitz, in zunehmendem Eifer, sich vergessend. Hier muß'n Zuch sind – und hier muß'n Zuch sind! Und alles janz akkurat abjepaßt. Und Hobelspäne und Lumpen rin. Und richtig Petroljum mang jejossen. Det is mir doch allens nischt Neies, Mutter! Ick war ja sechs Jahre uff Wanderschaft!

Frau Fielitz. Nu ebens! das meen' ich doch ebens ooch.

Fielitz. Det jeht mit Schwamm und det jeht mit Strippe, man feste rin in Salpeter jestippt. Det mach' ick mit Brennjläser, sag' ick dir! Uff zwanzig Schritte Entfernung jeht det! – Is allens schon dajewesen, Mutter. Mir allens nischt Neies. Kenn' ick doch!

Frau Fielitz. Grabow hat wieder uffgebaut. Hätt' a sich halt kee Herze gefaßt, da läg' a halt längst uff der Straße draußen.

Fielitz. Ja, wem erst ma't Wasser bis hierher steht, ick meene: bis oben an Halse ruff, denn mag det ja woll ooch'n ander Ding sind.

Frau Fielitz. Mancher verpaßt's ooch, bis a versauft.

Die Hausschelle bimmelt.

Fielitz. Stell wech de Kiste! Jeh und mach uff!

Amtsvorsteher von Wehrhahn tritt ein. Dicker Düffelpaletot, Schaftstiefel, Pelzmütze.

von Wehrhahn. 'n Abend, Fielitz. Was machen die Stiebeln?

Fielitz. Janz fix und fertig, Herr Amtsvorsteher.

Frau Fielitz. Da mach ock a eenziges bissel Licht, daß de der Herr von Wehrhahn und sieht was.

von Wehrhahn. Na, was hat sich, was tut sich, Mutter Wolffen?

Frau Fielitz. Ich bin keene Mutter Wolffen ni mehr!

von Wehrhahn. Sie is woll sehr stolz jeworden, was? Was, Fielitz, sie trägt woll sehr hoch 'n Kopp? Is ihr woll sehr in de Krone jestiegen?

Frau Fielitz. Na, heern Se ock, was denn? das bissel Heiraten? Ich hätte als Witfrau viel scheener gelebt.

Fielitz, der die Leisten aus von Wehrhahns Stiefeln genommen hat. Denn wärste man ruhig jeblieben Witfrau!

Frau Fielitz. Hätt' ich ehnder gewußt, was du fer a Kerl bist, da hätt' ich's woll ni aso eilig gehabt. An alen, krumpbeenigen Kracher wie dich, den hätt' ich noch alle Tage besehn.

von Wehrhahn. Na sachte, sachte!

Fielitz. I lassen Se man! Mit fast kriechender Unterwürfigkeit. Wenn Se so jut wollten sind, Herr Vorsteher, und gnädigst den rechten ma runterziehn. Erlauben Se man: ick mache det schon. So. Wenn Se nu wollten so jütig sind, den Fuß ma stellen hier uff de Kiste.

Frau Fielitz, mit brennender Lampe. Wie geht's denn der gnädigen Frau, Herr Baron?

von Wehrhahn. Ich danke, es jeht ihr ja sonst janz jut. Sie jammert bloß immer nach Mutter Wolffen ...

Frau Fielitz. Nee, sehn Se, das geht Ihn auch wirklich ni mehr. Ich hab' Ihn gutt dreißig Jahre gewaschen. Da kann ma's woll satt kriegen, sehn S' amal an. Ich will Ihn amal meine Beene zeigen: da stehn Ihn de Adern raus wie meine Faust. Das kommt von dem ewigen Stehn am Waschfasse! Und Frostbeulen hab' ich Ihn ieberall, und Reißmatichtig ei sämtlichen Gliedmaßen. Das nimmt gar kee Ende mit Dokteriern! Ich muß mich reen ganz in Wolle einpacken und derbeine, da frier' ich a ganzen Tag.

von Wehrhahn. Jewiß, Frau Wolffen, ich glaub's Ihnen schon.

Frau Fielitz. Ja frieher, da nahm ich's mit jedem uf. Da hatt' ich Ihn ane Konstruktion, da konnte der zehnte erseht mit mir mitmachen. Aber heute ... o je! Da sieht's anderscher aus.

Fielitz. Schrei man noch'n bißken lauter, wenn't jeht.

von Wehrhahn ... Ich kann's Ihnen jar nich verdenken, Frau Fielitz. Wer so jearbeitet hat wie Sie, der mag sich jetrost mal die Ruhe jönn.

Frau Fielitz. I na! Wer weeß ock. Das läßt sich noch halten. Ma hat ja sei Auskommen. Immerzu. Gibt Fielitz ein freundschaftliches Kopfstück. Er macht ja derwegen jetzt o seine Sache. Mir sein, mecht' ma sprechen, keens ni faul. Aber wenn ma ock ebens und wär' gesund! Uff a Sonnabend muß ich schonn wieder zum Dokter. Da tutt a mich immer jelektrisieren – aso mit der Jelektrisiermaschine. Ich kann ja nischt sagen, 's schlägt mir ja an. Aber erschtlich immer das nei nach Berlin fahrn – und eemal jelektrisieren fünf Mark. Da weeß ma ooch manchmal gar nich, wo hernehm'n.

Fielitz. Stopp du bloß de Doktersch Jeld in Hals!

von Wehrhahntritt auf mit dem neuen Stiefel am Fuß. Wir werden alle nich jünger, Frau Fielitz. Ich spüre das auch janz jewaltig bereits. Naturjesetz! Nich jejen anzuschwimmen! Da heißt es janz einfach: ran an Baß. – Und übrigens haben Sie jar nich zu klagen. Ich hab' ja vorhin eben wieder jehört ... der Schwiejersohn hat ja sehr jut bestanden. Na also! Jeht ja doch alles nach Wunsch.

Frau Fielitz. Nu freilich, das hat een ooch wirklich gefreut. Erschtlich wird a sich jetze viel besser kenn forthelfen, nu a doch so was wie Bauführer is, und dann o ... a hat sich's o sonste verdient. – Was der fer an Kindheet hat durchgemacht! Nu da! Mir is o ni sehr gut gegang'n, aber so an Vater und so a Weib ...

von Wehrhahn. Schmarowski is'n jediej'ner Mensch. Um Schmarowski is mir nie bange jewesen. Da hat Ihre Adelheid Jlück jemacht! – Sehn Sie, ich hab's Ihnen damals jesagt! – Sie kamen doch damals zu mir jelaufen, als die Sache beinahe in die Brüche jing, und ich hab' Sie an Pastor Friderici jewiesen: da können Sie sehn, was Seelsorje is. 'n junger Mann is'n junger Mann, und wenn er sich christlich und ord'ntlich hält, deswejen kann er sich auch mal verjessen. Naturjemäß jreift dann der Seelsorjer ein.

Frau Fielitz. Nee, nee, ja, ja, da wern Se schonn recht hab'n. Das vergess' ich Ihn ooch'n Herr Paster ni! – Wo Schmarowski das Mädel tat sitzenlassen, die hätte sich heilig 's Leben genommen!

von Wehrhahn. Da hätten wir jleich mal'n Beispiel, Frau Fielitz, wenn Kirche und Pastor am Orte ist. Das Jotteshaus, was wir jemeinsam jebaut haben, hat heute schon manchen Sejen jebracht. Ju'n Abend also, leben Sie wohl. –Ja, was ich noch sagen wollte, Fielitz: die Flottenversammlung ist Montag früh. Sie werden doch sicher zujejen sein?

Frau Fielitz. Natürlich kommt a.

Fielitz. Na janz jewiß.

von Wehrhahn. Ich kann Sie auch nicht entbehren, Fielitz. Komm Sie mal Sonntag noch mal bei mir ran. Wichtig ist, daß wir uns vorher verständigen. Ich bringe jewisse Punkte vor ... jewisse markante Punkte, Fielitz, da müssen wir kräftig zusammenjehn. Ju'n Abend also! Verjessen Sie nich – 'ne starke Flotte müssen wir haben!

Fielitz. Det jeht ooch ohne 'ne Flotte nich!

von Wehrhahn ab.

Nimm man det Licht raus! Sei man so jut!

Frau Fielitz. Aso a Hase wie du bist, Anton! Du bist schonn a richtiger Hasenfuß. Sie nimmt das Licht aus dem Kistchen. Fast im gleichen Augenblick öffnet Rauchhaupt die Tür und guckt herein.

Rauchhaupt. Juten Abend, Meester! Stör' ick ooch nich?

Fielitz. – – – – –

Frau Fielitz. Ach – I! Immer rei ei a Deutschen Bund.

Rauchhaupt. Is denn Schmied Langheinrich noch nich da?

Frau Fielitz. Wollt' a'n komm? Nee, a is noch nich hier.

Rauchhaupt. Mir hatten uns extra herbestellt. – Ick hab' ooch det Jrabkreuze mitjebracht. He, Justav! Bring et man rin, det Dinges! Gustav bringt ein schmiedeeisernes Grabkreuz mit Inschrift herein. Stell et man uff det Kistchen hier druff.

Fielitz, schnell. Nee, laß man, Eduachd, det zerbricht.

Rauchhaupt. Denn lehn et man immer jejen de Wand.

Frau Fielitz. Da seid Ihr nu endlich fertig dermitte! Ruft zur Tür hinaus. Leontine! Kannst amal runterkomm.

Rauchhaupt. Ick habe man ens zuviel andersch zu tun. Ick baue doch wieder'n neies Jlashaus.

Frau Fielitz. Schonn wieder a neies? Da hert's doch vond uff. Sie sein ooch der reene Maulwurf, Rauchhaupt. Was der Mann aso ei der Erde wiehlt!

Rauchhaupt. Da is auch'm Menschen am wohlsten, Meestern. Mir sind ja doch alle aus Erde jemacht, mir wern ja auch alle wieder zu Erde. Warum soll ma da nich in der Erde rumwiehln? Riecht in die Schnupftabakdose, die Fielitz ihm hinhält. Det is ooch man Erdjeruch, Meester Fielitz, det riecht wie frische Erde so jut.

Leontine, Schere umgehängt, Fingerhut auf dem Finger, kommt herein.

Leontine. Hier bin ick, Mama. Wat soll ick denn nu?

Frau Fielitz. A bringt Papa sein'n Zephitaph. Leontine und Frau Fielitz betrachten das Grabkreuz gedankenvoll. Steck m'r amal das Licht an, Mädel. Sie übergibt ihr das Talglicht, womit sie bisher experimentiert hat. Mir wolln uns amal de Schrift studiern.

Rauchhaupt. – Ick habe da sehr drieber rumjedoktert. Nu is et mir aber zu Dank jeworn. Heut kenn Se'n Kirchhof dreimal absuchen, det is Ihn de scheenste Jrabschrift is det. Dadrieber hab' ick mir selbst ieberzeugt. Er nimmt auf dem Schustertritt Platz und füllt sich die Nase neuerdings mit Schnupftabak.

Frau Fielitzleuchtet und buchstabiert. Hier ruht in ...

Leontine, weiterlesend. ... in Jott ...

Rauchhaupt. Ja, et heeßt in Jott. Ick wollte erst lieber schreiben: in Herrn, aber sehn Se, – det kann heute jeder sind.

Frau Fielitzliest weiter, mit zittriger Stimme. Hier ruht in Gott der unverjeßliche Zimmermann ... Losheulend.