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In "Der rote Stern: Ein utopischer Roman" entfaltet A. Bogdanov eine faszinierende Vision einer zukünftigen Gesellschaft, geprägt von sozialer Gerechtigkeit und technologischem Fortschritt. Der Roman entführt die Leser in eine Welt, in der die Menschheit nach den Errungenschaften der Wissenschaft strebt und gleichzeitig ethische Fragestellungen durchdringt. Bogdanovs literarischer Stil ist dabei durch eine präzise Sprache und eine analytische Herangehensweise an komplexe Themen gekennzeichnet, die den Leser zum Nachdenken anregt und ihn in eine tief gehende Auseinandersetzung mit den utopischen Idealen der frühen sozialistischen Bewegung zwingt. A. Bogdanov, ein einflussreicher russischer Philosoph, Wissenschaftler und Sci-Fi-Pionier, war stark geprägt von den sozialen Umwälzungen seiner Zeit. Seine politischen Überzeugungen und sein Streben nach einer idealen Gesellschaft spiegeln sich in diesem Werk wider. Als Mitbegründer der wissenschaftlichen Kommunismus-Theorie vermittelte er in seinem Schreiben sowohl visionäre Ideen als auch kritische Reflexionen über die Zukunft der Menschheit und die Rolle der Technik. Leser, die an utopischen Visionen und sozialphilosophischen Fragestellungen interessiert sind, werden in "Der rote Stern" bereichert, da das Buch nicht nur eine spannende Erzählung bietet, sondern auch zu einer tiefgreifenden Reflexion über die Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Revolutionen anregt. Es ist ein unverzichtbares Werk für alle, die sich für die Verknüpfungen zwischen Mythos, Wissenschaft und sozialer Gerechtigkeit interessieren. In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen: - Eine prägnante Einführung verortet die zeitlose Anziehungskraft und Themen des Werkes. - Die Synopsis skizziert die Haupthandlung und hebt wichtige Entwicklungen hervor, ohne entscheidende Wendungen zu verraten. - Ein ausführlicher historischer Kontext versetzt Sie in die Ereignisse und Einflüsse der Epoche, die das Schreiben geprägt haben. - Eine gründliche Analyse seziert Symbole, Motive und Charakterentwicklungen, um tiefere Bedeutungen offenzulegen. - Reflexionsfragen laden Sie dazu ein, sich persönlich mit den Botschaften des Werkes auseinanderzusetzen und sie mit dem modernen Leben in Verbindung zu bringen. - Sorgfältig ausgewählte unvergessliche Zitate heben Momente literarischer Brillanz hervor. - Interaktive Fußnoten erklären ungewöhnliche Referenzen, historische Anspielungen und veraltete Ausdrücke für eine mühelose, besser informierte Lektüre.
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Im Spannungsfeld zwischen revolutionärem Veränderungswillen und der Vision einer bis ins Soziale hinein wissenschaftlich geordneten Welt fragt Der rote Stern, ob eine rational organisierte Zukunft die Freiheit des Einzelnen mit der Solidarität der Vielen versöhnen kann, wie Empathie, Technik und kollektive Planung sich gegenseitig beflügeln oder begrenzen, und welche Haltungen wir entwickeln müssen, um in einer vernetzten, planetarisch gedachten Gesellschaft Konflikte ohne Herrschaft, Wohlstand ohne Verschwendung und Fortschritt ohne Entfremdung zu gestalten, während die Begegnung mit dem Anderen zugleich ein Prüfstein dafür wird, wie belastbar unsere Begriffe von Gerechtigkeit, Arbeit, Wissen und Liebe sind.
Alexander Bogdanov veröffentlichte Der rote Stern 1908 als utopischen Roman der frühen russischen Science-Fiction, in dem die Reise zu einer sozialistisch organisierten Marsgesellschaft als Experimentierfeld politischer Vorstellungskraft dient. Das Buch steht an der Schwelle zum 20. Jahrhundert zwischen naturwissenschaftlichem Optimismus, marxistischer Theoriearbeit und literarischer Spekulation. Sein Schauplatz ist vornehmlich der Mars, gedacht aus der Perspektive eines Erdbewohners der damaligen Zeit, dessen Begegnung mit einer hochentwickelten Kultur die gewohnten Maßstäbe verrückt. Zugleich spiegelt der Text die Debatten seiner Entstehungszeit über Technik, Arbeit und Gemeinwohl, ohne sich im bloßen Traktat zu erschöpfen.
Ausgangspunkt ist die Erfahrung eines Ich-Erzählers, der aus dem Russland seiner Gegenwart heraus in Kontakt mit einer außerirdischen Zivilisation gerät und schließlich die Reise zum Mars unternimmt. Die anfängliche Verfremdung wird als sachliche, neugierige Erkundung erzählt, die dem Blick eines Wissenschaftlers folgt: Apparate werden beschrieben, Institutionen erklärt, Sitten beobachtet. Der Text arbeitet wie ein Reisebericht durch eine unbekannte Stadt, nur dass die Straßen planetarische Infrastrukturen sind. Überraschungen entstehen weniger aus Gefahr als aus Erkenntnis, und das Leseerlebnis speist sich aus der Spannung zwischen Verstehenwollen und dem Eingeständnis, dass vertraute Kategorien an ihre Grenzen geraten.
Stilistisch verbindet Bogdanov anschauliche Beschreibungen mit analytischer Prosa: Er lässt Modelle, Messgrößen und Organisationsformen sprechen, ohne die sinnliche Oberfläche der Welt zu vernachlässigen. Die Stimme bleibt meist ruhig, argumentativ und erklärend, getragen von einem Vertrauen in Verständigung, Übersetzbarkeit und Lernfähigkeit. Der Ton ist ernst, gelegentlich staunend, selten pathetisch, und gerade dadurch gewinnt die Erzählung eine nüchterne Überzeugungskraft. Wer liest, begegnet einem Text, der Hypothesen entfaltet, statt sie zu behaupten, und der seine Bilder nicht als Zauber, sondern als Versuchsanordnungen anbietet. Die Utopie erscheint nicht als Kulisse, sondern als methodisches Gedankenexperiment.
Zentrale Themen sind die Organisation von Arbeit und Wissen, die Rolle der Technik im Dienst des Gemeinwohls sowie die Bedingungen gerechter Teilhabe. Der Roman denkt über Planung und Freiheit nach, über Kooperation statt Konkurrenz und über die Frage, wie Bedürfnisse gemessen und Prioritäten gesetzt werden können. Er interessiert sich für Bildung als gesellschaftliche Infrastruktur, für Kommunikation über kulturelle Differenzen hinweg und für die Ethik wissenschaftlicher Praxis. Ebenso verhandelt er die Beziehung zwischen Individuum und Kollektiv, zwischen Verantwortung und Fürsorge, ohne einfache Rezepte zu liefern. Aus vielen kleinen Szenen entsteht so eine Debatte über Formen des Zusammenlebens.
Für heutige Leserinnen und Leser bleibt Der rote Stern relevant, weil er Fragen stellt, die an Debatten über Nachhaltigkeit, Automatisierung, öffentliche Gesundheit, globale Gerechtigkeit und demokratische Steuerung hochkomplexer Systeme rühren. Das Buch zeigt, wie verführerisch und riskant die Idee einer lückenlos rationalen Ordnung ist, und es prüft, ob Solidarität als Praxis nicht ebenso wichtig ist wie Effizienz als Maßzahl. Wer über Postwachstum, Gemeingüter oder planetare Verantwortung nachdenkt, findet hier einen historischen Spiegel, der Anregung und Widerspruch zugleich bietet. Die Utopie dient nicht als Fluchtpunkt, sondern als Werkzeug, um die Gegenwart mit schärferen Begriffen zu betrachten.
Wer sich auf dieses Buch einlässt, erhält kein Abenteuer mit permanentem Risiko, sondern eine gedankliche Reise, die Weltbau als Prüfung von Annahmen begreift. Die Lektüre fordert mitunter Geduld, belohnt aber mit einem klaren, präzisen Blick auf Möglichkeiten und Dilemmata organisierter Moderne. Der rote Stern eröffnet damit einen Raum, in dem neugieriges Staunen und methodische Skepsis nebeneinanderstehen dürfen. Gerade weil der Roman seinen Entwurf ernst nimmt, lädt er zu eigenen Gegenentwürfen ein. So wird die Begegnung zwischen Erde und Mars zur Metapher eines Gesprächs, das wir über unsere Zukunft führen sollten: offen, lernbereit, verantwortungsvoll.
Der rote Stern, ein utopischer Roman von Alexander Bogdanov, erschien 1908 erstmals in russischer Sprache. Das Buch verbindet politische Imagination mit wissenschaftlicher Spekulation und entwirft einen Dialog zwischen Erde und Mars. Aus der Perspektive eines russischen Revolutionärs schildert der Text die Begegnung mit einem Abgesandten vom Mars, der die sozialen Umbrüche auf der Erde studiert. Der Erzähler erhält das Angebot, die marsische Gesellschaft kennenzulernen, um Erkenntnisse auszutauschen und Missverständnisse zu vermeiden. Diese Ausgangslage führt in eine Reiseerzählung, die weniger auf Abenteuer setzt als auf vergleichende Beobachtung: Wie könnten Technik, Organisation und Solidarität eine Zivilisation jenseits kapitalistischer Zwänge prägen?
Die Reise beginnt mit einem Flug durch den Raum an Bord eines fortgeschrittenen Fahrzeugs, dessen Antrieb und Steuerung der Erzähler nur bruchstückhaft versteht. Bereits hier akzentuiert Bogdanov den Kontrast zwischen irdischer Erfahrungswelt und marsischer Systematik: Prozesse werden gemessen, dokumentiert, begründet. Auf dem Mars angekommen, trifft der Besucher auf eine hochgradig koordinierte Infrastruktur, die Produktion, Verkehr und Versorgung als zusammenhängendes System behandelt. Arbeit erscheint planvoll organisiert, körperlich erleichtert und durch wissenschaftliche Erkenntnisse ständig verbessert. Der erzählerische Fokus liegt auf staunender, doch nüchterner Beschreibung: Wie werden Bedürfnisse ermittelt, Ressourcen zugewiesen und Risiken minimiert, ohne den Einzelnen zu entmündigen?
Schrittweise öffnet sich dem Erzähler die soziale Architektur: Eigentum ist kollektiv organisiert, die Produktion dient der Bedarfserfüllung, nicht privater Bereicherung. Bildung, Forschung und Pflege werden als gemeinsame Aufgabe verstanden, deren Ergebnisse allen zugutekommen. Zugleich begegnet er ungewohnten Normen des Zusammenlebens, etwa flexibleren Vorstellungen von Partnerschaft und der Aufwertung unbezahlter Sorgearbeit. Der Roman thematisiert den Versuch, Individualität mit Gemeinwohlorientierung zu versöhnen. Transparenz, Statistik und Rechenschaftspflicht gelten als Sicherungen gegen Machtmissbrauch, werfen aber Fragen nach Privatsphäre und Selbstbestimmung auf. Die erzählte Utopie bleibt dadurch ein Experimentierfeld, in dem Verfahren ständig geprüft, angepasst und öffentlich begründet werden.
Technik und Ökologie bilden eine weitere Achse der Darstellung. Die Marsgesellschaft versteht sich als begrenzt durch planetare Bedingungen und organisiert Kreisläufe so, dass Verluste minimiert werden. Energie- und Stoffflüsse werden geplant, Gesundheitsvorsorge und Unfallvermeidung systematisch betrieben. Der Erzähler erlebt gleichermaßen Fürsorge und Strenge: Maßnahmen, die Wohlbefinden erhöhen, gehen einher mit Regeln, die individuellen Spielraum einengen können. Besonders heikel erscheinen Praktiken, die mit Bevölkerungsdynamik und Nachhaltigkeit begründet werden und ethische Dilemmata erzeugen. Der Roman nutzt diese Spannungsfelder, um zu fragen, wann rationale Planung zur Befreiung beiträgt und wann sie, trotz guter Absicht, neue Grenzen errichtet.
Parallel dazu entfaltet sich ein politischer Diskurs über die Erde. Kriege, Konkurrenz und Klassenherrschaft erscheinen den Marsianern als Strukturprobleme, nicht als Einzelfehler. Der Erzähler erläutert Hoffnungen und Risiken der revolutionären Bewegung in seinem Heimatland, während seine Gastgeber über Möglichkeiten des Austauschs nachdenken: technische Hilfe, Bildungsprogramme, vorsichtige Beratung. Zugleich steht eine härtere Option im Raum, die als Selbstschutz oder humanitäres Eingreifen rationalisiert wird und doch Gefahr läuft, in Bevormundung umzuschlagen. Die Frage, ob und wie eine fortgeschrittene Zivilisation intervenieren darf, markiert einen Wendepunkt des Romans und spitzt die Auseinandersetzung zwischen Solidarität und Souveränität zu.
Im weiteren Verlauf verdichtet Bogdanov persönliche und gesellschaftliche Spannungen. Der Besucher fühlt sich von der intellektuellen Klarheit angezogen, während ihn kulturelle Differenzen und die Wucht kollektiver Erwartungen verunsichern. Ein Zwischenfall zeigt, dass auch eine rational organisierte Ordnung nicht frei von Konflikt, Irrtum und Emotion ist. Planungsziele geraten mit individuellen Bindungen in Konflikt; Sicherheitsbedürfnisse kollidieren mit Offenheit. Daraus erwächst die Einsicht, dass Utopien nicht als fertige Blaupausen taugen, sondern als Prozesse, die Umwege, Revisionen und Dissens zulassen müssen. Ohne endgültige Auflösung verschiebt sich der Schwerpunkt auf die Frage, welche Haltung Veränderung tragfähig macht.
Zum Ende hin richtet der Roman den Blick zurück auf die Erde: Die gewonnenen Einsichten sollen nicht kopiert, sondern kritisch übertragen werden. Wissenschaft, Kooperation und demokratische Planung erscheinen als Hebel für Emanzipation, zugleich warnt der Text vor Dogmatismus, technokratischer Übergriffigkeit und der Versuchung, Gewalt zu rechtfertigen. Der rote Stern wirkt so weniger als fertiges Modell denn als Denkanstoß für sozialistische, ökologische und humanistische Reformen. Seine nachhaltige Wirkung liegt in der Verbindung politischer Imagination mit plausibler Technik und in der offenen Frage, wie Fortschritt gestaltet werden kann, ohne die Menschen, in deren Namen er erfolgt, zu entmündigen.
Alexander Bogdanovs utopischer Roman Der rote Stern erschien 1908 im Russischen Kaiserreich, in den letzten Jahren der Herrschaft Nikolaus’ II. Geprägt war die Epoche von der Autokratie des Zaren, der politischen Polizei (Ochrana), einem strengen Zensurregime und den neu geschaffenen, jedoch stark beschränkten Staatsdumen. Universitäten in Moskau, Sankt Petersburg und Charkow dienten als Zentren wissenschaftlicher und politischer Debatten, in denen naturwissenschaftlicher Fortschrittsglaube und Sozialismus aufeinandertrafen. Parallel organisierte sich die Russische Sozialdemokratische Arbeiterpartei (RSDRP) in konkurrierenden Fraktionen, Menschewiki und Bolschewiki. In diesem institutionellen Umfeld verband Bogdanov revolutionäre Politik, Philosophie und populärwissenschaftliche Vorstellungen zu literarischer Form.
Unmittelbarer Hintergrund war die Revolution von 1905, ausgelöst durch die Niederlage im russisch-japanischen Krieg und den Blutsonntag in Sankt Petersburg. Landesweite Streiks, Bauernunruhen und der Aufstieg der Arbeiterräte (Sowjets) erschütterten die Autokratie. Das Oktober-Manifest versprach Grundrechte und eine Volksvertretung, doch die daraus hervorgegangene Duma blieb durch Wahlrechtsbeschränkungen und Auflösungen politisch geschwächt. Ministerpräsident Pjotr Stolypin kombinierte Reformen mit harter Repression, einschließlich Standgerichten und Exilen. Diese Mischung aus Modernisierung und Zwang prägte die intellektuelle Linke. Viele Aktivisten, unter ihnen führende Sozialdemokraten, arbeiteten im Untergrund oder im Ausland – ein Umfeld, das utopischem Denken und literarischen Entwürfen besonderen Resonanzraum gab.
Bogdanov, ausgebildeter Arzt und Ökonom, war seit den 1890er Jahren politisch aktiv und wurde zu einem frühen Theoretiker der bolschewistischen Strömung. Zwischen 1904 und 1906 veröffentlichte er seine philosophischen Studien zum Empiriomonismus, in denen er Erkenntnistheorie mit Kollektivpraxis verband; diese Positionen wurden 1909 von Wladimir Lenin in Materialismus und Empiriokritizismus scharf zurückgewiesen. Innerhalb der RSDRP stritt Bogdanov über Parteitaktik, Kultur und Erziehung, arbeitete zeitweise eng mit Anatoli Lunatscharski und Maxim Gorki zusammen und wirkte an Parteischulen im Exil mit. Der rote Stern entstand somit während intensiver Auseinandersetzungen über Wissenschaft, Organisation und die Aufgaben sozialistischer Intellektueller.
Die naturwissenschaftliche Öffentlichkeit der Jahrhundertwende prägten Debatten über Elektrizität, Statistik, industrielle Rationalisierung und neue Verkehrsmittel. In der Astronomie sorgte Percival Lowells Deutung vermeintlicher Marskanäle seit den 1890er Jahren international für Aufsehen und befeuerte Spekulationen über fortgeschrittene Zivilisationen. Auch im Russischen Reich verbreiteten populärwissenschaftliche Zeitschriften solche Themen; zugleich erreichten H. G. Wells’ Science-Fiction-Romane ein breites Publikum. Funktechnik, frühe Luftfahrt und mechanische Automatisierung standen für technisch machbare Zukunft. Bogdanov knüpfte literarisch an diese Vorstellungswelt an, indem er interplanetarische Reise und hochgradig organisierte Produktion als erzählerische Mittel nutzte, um soziale und politische Ordnungsideen anschaulich zu machen.
Der Roman steht in einer Traditionslinie sozialutopischer Literatur, die in Russland seit dem 19. Jahrhundert lebhaft rezipiert wurde. Nikolaj Tschernyschewskis Was tun? (1863) prägte generationsübergreifend Vorstellungen planvoller Kooperation und emanzipatorischer Lebensformen. In den 1890er Jahren fanden zudem Edward Bellamys Blick zurück (Looking Backward) und andere Zukunftsentwürfe ein großes Lesepublikum und regten Diskussionen über Gemeineigentum, Arbeitsorganisation und Konsum an. Solche Texte boten sozialistischen Autoren ein erprobtes narratives Instrumentarium, um wirtschaftliche Systeme und Alltagspraktiken überzeugend zu modellieren. Bogdanovs Der rote Stern schließt daran an, indem er gesellschaftliche Koordination, Bildung und Arbeitsteilung literarisch als gestaltbare, überprüfbare Prozesse darstellt.
Die Handlung – eine Reise eines russischen Revolutionärs zu einer marsianischen Gesellschaft – dient als Rahmen, um Debatten der Zeit zu spiegeln. Die Martier praktizieren kollektive Produktion und umfassende Planung und verwerfen Imperialismus und Krieg, was die antimilitaristischen Beschlüsse der Zweiten Internationale (u. a. Stuttgart 1907) reflektiert. Zugleich erscheinen wissenschaftliche Bildung, Gleichberechtigung der Geschlechter und berufliche Partizipation als allgemeine Norm, im Einklang mit zeitgenössischen Forderungen nach Frauenrechten und allgemeiner Schulbildung. Technische Effizienz, Statistik und öffentliche Verantwortung strukturieren das Gemeinwesen und verweisen auf sozialdemokratische Diskussionen über Rationalisierung, Arbeiterschutz und die Steuerbarkeit komplexer Industriegesellschaften.
Der rote Stern wurde 1908 unter dem Namen A. Bogdanov veröffentlicht und konnte trotz Zensur in legalen Buchhandlungen des Imperiums zirkulieren. Zeitgenössische Leser in sozialistischen und literarischen Kreisen nahmen den Text als ernsthaften Beitrag zur Diskussion über Wissenschaft und Sozialismus wahr; die didaktische Form wurde sowohl gelobt als auch kritisch kommentiert. Parallel eskalierte der philosophische Streit um den Empiriomonismus, der die Wahrnehmung von Bogdanovs Schaffen prägte. In den folgenden Jahren führte er die Erzählwelt mit Ingenieur Menni (1913) fort, während sich die politischen Brüche der Vorkriegszeit – Streiks, Prozesse, Exile – weiter verschärften.
Im Rückblick erscheint Der rote Stern als prägnanter Kommentar zur Vorkriegsmoderne des Russischen Kaiserreichs: Er verbindet die Erwartungen der sozialistischen Bewegung an planbare Entwicklung mit den Versprechen naturwissenschaftlicher Methode und internationaler Solidarität. Die Erzählung modelliert Konflikte zwischen Gewalt, Reform und rationaler Organisation, die die Jahre vor 1914 bestimmten, und blieb unter den damaligen Zensurbedingungen publizierbar. Nach 1917 wurde Bogdanov, nun im Umfeld des Proletkult aktiv, als Kulturtheoretiker diskutiert; zugleich blieb der Roman ein früher Bezugspunkt sowjetischer Science-Fiction. Damit dokumentiert er, wie politische Theorie, Wissenschaftsglaube und literarische Form um 1908 produktiv ineinandergreifen und Debatten über Kulturautonomie der Arbeiter vorwegnehmen.
Es war zu jener Zeit, da in unserem Lande der gewaltige Zusammenbruch seinen Anfang nahm, jener Zusammenbruch, der noch heute weiter geht und der sich, meiner Ansicht nach, dem unvermeidlichen, drohenden Ende nähert.
Die ersten blutigen Tage erschütterten dermaßen das gesellschaftliche Bewußtsein, daß alle den raschen und leuchtenden Ausgang des Kampfes erwarteten; es schien, als wäre das Aergste bereits geschehen, als könne es gar nichts Aergeres mehr geben. Niemand vermochte sich vorzustellen, wie unerbittlich starr die knochige Gespensterhand sei, die alles Lebendige erdrosselt hat und auch noch heute in ihrer verkrampften Umarmung festhält.
Die Erregung des Kampfes durchströmte die Massen[1q]. Die Seelen der Menschen eilten unbändig der Zukunft entgegen, die Gegenwart verschwamm in einem rosigen Nebel, die Vergangenheit entschwand irgendwo, in weiten Fernen, wurde aus den Augen verloren. Alle menschlichen Verhältnisse waren unsicher und verschwommen, wie noch nie zuvor.
In jenen Tagen ereignete sich all das, was mein Leben verwandelte und mich aus der Sturzflut des proletarischen Kampfes fortriß.
Trotz meiner siebenundzwanzig Jahre war ich in der Arbeiterpartei einer der „Alten“. Es wurden mir sechs Jahre der Arbeit angerechnet, unterbrochen durch ein Jahr Gefängnis. Früher als manch anderer fühlte ich das Nahen des Sturmes, und ging ihm auch gelassener entgegen. Es war nötig, weit mehr als bisher zu arbeiten, dennoch gab ich meine Studien nicht auf; besonders interessierten mich die Fragen der Struktur der Materie. Doch war dies nicht nur platonisch, sondern ich schrieb auch für wissenschaftliche Zeitschriften, verdiente auf diese Art mein Brot. Zu jener Zeit liebte ich, oder glaubte zumindest zu lieben.
In der Partei war ihr Name Anna Nikolajewna[2q].
Sie gehörte der anderen, der gemäßigteren Richtung unserer Partei an[3q]. Ich erklärte mir dies aus der Weichheit ihres Charakters, sowie aus der allgemeinen Verworrenheit der politischen Verhältnisse unseres Landes. Obgleich sie älter war als ich, hielt ich sie dennoch nicht für einen völlig geklärten Charakter. Doch irrte ich.
Bald nachdem wir einander näher gekommen waren, zeigte sich die Verschiedenheit unserer Charaktere auf schmerzlichste Art. Allmählich bildeten sich die tiefsten gedanklichen Widersprüche aus, die sich sowohl auf unsere Stellung zur revolutionären Arbeit, als auch auf unser persönliches Verhältnis bezogen.
Sie war unter der Fahne der Pflicht und des Opfers zur Revolution gekommen – ich unter der Fahne des eigenen freien Verlangens. Sie hatte sich der großen proletarischen Bewegung als Moralistin angeschlossen, suchte darin die Befriedigung höherer Sittlichkeit – ich hingegen gehörte der Bewegung als Amoralist an, als Mensch, der das Leben liebt, dessen höchste Blüte ersehnt und sich jener Bewegung zuwendet, die den zur Entwicklung und Blüte führenden Weg der Geschichte verkörpert. Für Anna Nikolajewna war die proletarische Ethik heilig in sich selbst, ich jedoch betrachtete diese als nützliche Anpassung, die im Klassenkampf wohl unerläßlich sei, aber vergänglich wie der Kampf selbst, und bloß aus der Lebensordnung geboren. Anna Nikolajewna erwartete von der sozialistischen Gesellschaft ausschließlich eine Umwandlung und Erneuerung der proletarischen Klassenmoral, während ich behauptete, daß das Proletariat schon heute die Vernichtung jeglicher Moral anstrebe und daß das sozialistische Gefühl, indem es die Menschen zu Kameraden der Arbeit, der Freude und des Leids mache, nur dann völlig ungehemmt herrschen könne, wenn es den Fetisch-Mantel der Sittlichkeit von sich werfe. Aus dieser Meinungsverschiedenheit entstanden gar häufig Widersprüche über die Wertung politischer und sozialistischer Faktoren, Widersprüche, die zu schlichten unmöglich war.
Noch weit schärfer zeigte sich unsere Meinungsverschiedenheit, wenn es sich um unser persönliches Verhältnis handelte. Sie fand, daß die Liebe zur Nachgiebigkeit, zum Opfer, vor allem aber zur Treue verpflichte, solange der Bund bestehe. Ich dachte gar nicht daran, eine neue Verbindung einzugehen, doch vermochte ich die Treue als Pflicht nicht anzuerkennen. Ja, ich behauptete sogar, daß die Polygamie höher stehe als die Monogamie, weil sie dem Menschen ein reicheres persönliches Leben und den Nachkommen mehr Vielartigkeit zu geben vermag. Meiner Ansicht nach ist die sogenannte Unmöglichkeit der Polygamie nur von den Widersprüchen der bürgerlichen Ordnung geschaffen, gehört zu den Privilegien der Ausbeuter und Parasiten, zu deren schmutzigen, sich zersetzenden Psychologie. Auch hierin muß die Zukunft eine gewaltige Wandlung bringen. Diese Auffassung erschütterte Anna Nikolajewna aufs tiefste: sie sah darin einen Versuch, in der Form der Idee die groben sinnlichen Beziehungen zum Leben zu rechtfertigen.
Trotz allem sah ich, ahnte ich nicht die Unvermeidlichkeit eines Bruches. Da drang in unser Leben ein von außen kommender Einfluß, der die Entscheidung beschleunigte.
Um diese Zeit kam in die Hauptstadt ein junger Mann, der den in unseren Kreisen ungewöhnlichen Decknamen Menni trug. Er brachte aus dem Süden Berichte und Aufträge mit, die klar erkennen ließen, daß er das völlige Vertrauen der Genossen besitze. Nachdem er seine Aufgabe erfüllt hatte, beschloß er, noch einige Zeit in der Hauptstadt zu verweilen, und suchte uns häufig auf; es schien ihm viel daran gelegen, meine Freundschaft zu erwerben.
Er war in vielem ein origineller Mensch. Schon sein Aeußeres war ungewöhnlich. Seine Augen wurden derart von dunklen Brillen verdeckt, daß ich nicht einmal ihre Farbe kannte, sein Kopf war unproportioniert groß, seine Gesichtszüge waren schön, doch seltsam unbeweglich und leblos, sie harmonisierten nicht im geringsten mit der weichen ausdrucksvollen Stimme und der schlanken, jünglinghaft-biegsamen Gestalt. Er sprach frei und fließend, und was er sagte, war stets gehaltvoll. Seine Bildung war äußerst einseitig; dem Beruf nach schien er Ingenieur zu sein.
Im Gespräch hatte Menni die Gepflogenheit, einzelne praktische Fragen auf allgemeine Grundideen zurückzuführen. Befand er sich bei uns, so geschah es stets, daß die zwischen meiner Frau und mir bestehenden Charakter- und Meinungsverschiedenheiten irgendwie in den Vordergrund gelangten, und zwar derart deutlich und scharf, daß wir voller Qual die Aussichtslosigkeit des Ganzen erkannten. Mennis Weltanschauung glich der meinen; er verlieh ihr der Form nach voller Vorsicht und Zartheit, dem Inhalt nach jedoch voller Schärfe und Tiefgründigkeit Ausdruck. Er verstand es, unsere verschiedenartigen politischen Ansichten derart geschickt mit der Verschiedenartigkeit unserer Weltanschauung zu verknüpfen, daß dieser Unterschied als psychologische Notwendigkeit erschien, ja schier als logische Schlußfolgerung; jegliche Hoffnung der gegenseitigen Annäherung entschwand, der Möglichkeit, über die Meinungsverschiedenheiten hinweg, zu irgendetwas Gemeinsamem zu gelangen. Anna Nikolajewna empfand für Menni eine Art mit lebhaftem Interesse gemischten Haß. In mir erweckte er große Achtung und ein unklares Mißtrauen; ich fühlte, daß er ein Ziel verfolgte, wußte jedoch nicht, welches.
An einem Januartag – es war bereits gegen Ende Januar – wurde den Parteiführern beider Richtungen der Plan einer Massendemonstration unterbreitet, einer Demonstration, die aller Wahrscheinlichkeit nach zu einem bewaffneten Zusammenstoß führen würde. Am Vorabend der Demonstration erschien Menni bei uns und warf die Frage auf, ob Anna Nikolajewna entschlossen wäre, falls die Demonstration stattfände, selbst die Parteiangehörigen anzuführen. Es entstand ein Streit, der bald einen erbitterten Charakter annahm.
Anna Nikolajewna vertrat die Ansicht, daß ein jeder, der für die Demonstration gestimmt habe, moralisch verpflichtet sei, in den ersten Reihen mitzugehen. Ich hingegen behauptete, dies wäre keineswegs verpflichtend, es müßten nur jene mitgehen, die unentbehrlich oder von wirklichem Nutzen seien; ich dachte dabei an mich selbst, als an einen in derartigen Dingen erfahrenen Menschen. Menni ging noch weiter und erklärte, angesichts des unvermeidlichen Zusammenstoßes mit der bewaffneten Macht dürften nur redegewandte Agitatoren und Kampforganisatoren mitgehen; die politischen Führer hingegen hätten bei der Demonstration nichts zu suchen, Schwächlinge und nervöse Leute könnten sogar gefährlich werden. Anna Nikolajewna war über dieses Urteil gekränkt; es schien ihr, als sei es gegen sie gerichtet. Sie brach das Gespräch ab und zog sich in ihr Zimmer zurück. Auch Menni entfernte sich bald darauf.
Am folgenden Tage stand ich frühmorgens auf und verließ das Haus, ohne Anna Nikolajewna gesehen zu haben. Es wurde Abend, ehe ich heimkehrte. Die Demonstration war von unserem Komitee abgelehnt worden, und soweit mir bekannt war, hatten auch die Führer der anderen Richtung den gleichen Beschluß gefaßt. Ich war mit dieser Lösung äußerst zufrieden, denn ich wußte genau, wie wenig wir auf einen Konflikt mit Waffen vorbereitet waren, und hielt ein derartiges Vorgehen für eine nutzlose Kraftvergeudung. Auch glaubte ich, der Entschluß werde Anna Nikolajewnas Erregung über das gestrige Gespräch ein wenig beschwichtigen ... Daheim fand ich auf Anna Nikolajewnas Tisch folgenden Brief:
„Ich gehe fort. Je mehr ich mich selbst und Sie begreife, desto klarer wird mir, daß wir verschiedene Wege gehen und daß wir uns beide geirrt haben. Es ist besser, wenn wir einander nicht mehr begegnen. Verzeihen Sie mir.“
Lange durchwanderte ich die Straßen, erschöpft, mit dem Gefühl der Leere im Kopf und der Kälte im Herzen. Als ich heimkehrte, fand ich einen unerwarteten Gast vor; am Tisch saß Menni und schrieb einen Brief.
„Ich muß mit Ihnen über eine äußerst wichtige und einigermaßen seltsame Angelegenheit sprechen“, sagte Menni.
Mir war alles einerlei; ich setzte mich nieder, bereit, ihn anzuhören.
„Ich las Ihre Abhandlung über die Elektrone und die Materie“, begann er. „Ich studierte selbst einige Jahre diese Frage und finde in Ihrer Abhandlung viele wertvolle, richtige Ideen.“
Ich verbeugte mich schweigend, und er fuhr fort:
