Der Ruf des Blutes - J.K. Beck - E-Book

Der Ruf des Blutes E-Book

J.K. Beck

0,0

Beschreibung

Julie Kenner schreibt diesen paranormalen Liebesroman unter ihrem Pseudonym J.K.Beck! Staatsanwältin Sara Constantine ist Feuer und Flamme über ihre jüngste Beförderung - bis sie herausfindet, dass sie nun Vampire und Werwölfe strafrechtlich verfolgen muss. Der erste Angeklagte, den sie hinter Gitter bringen soll ist Lucius Dragos, just der sexy Unbekannte, mit dem sie kürzlich eine heiße Nacht erlebte. Als Lucius die schöne Dame neben ihm in der Bar küsst, hofft er eingentlich nur darauf, dem Mann nicht aufzufallen, den er töten soll. Aber was mit diesem ersten Kuss beginnt wird zur alles verschlingenden Leidenschaft. Des Mordes angeklagt weiß Lucius, das Sara ihn hinter Schloß und Riegel bringen will, koste es was es wolle. Seine letzte Chance ist, sie davon zu überzeugen, das er nicht das Monster ist, für das sie ihn hält. Doch das bedeutet womöglich, das größte Opfer überhaupt zu bringen ...

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 493

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



J. K. Beck

Der Ruf des Blutes

Die Allianz der Schatten

1. Auflage Mai 2012

Titelbild: Agnieszka Szuba

www.the-butterfly-within.com

©opyright 2012 by J.K. Beck

First published by Bantam

Lektorat: Franziska Köhler

Satz: nimatypografik

Druck & Bindung: AALEXX Buchproduktion GmbH

www.aalexx.de

ISBN: 978-3-939239-89-5

Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder

eine andere Verwertung ist nur mit schriftlicher

Genehmigung des Verlags gestattet.

Hat Dir das Buch gefallen? Schreib Deine Meinung an [email protected]

Möchtest Du über Neuheiten bei Ubooks informiert bleiben?

Einfach eine Email mit Deiner Postadresse an:

[email protected]

Ubooks-Verlag | U-line UG (haftungsbeschränkt)

Neudorf 6 | 64756 Mossautal

www.u-line-verlag.de

Für meine Mutter

Danksagung

Ich möchte den vielen Menschen, die bei der Entstehung dieses Buches geholfen haben, meinen Dank aussprechen. Meinen­ Freunden, Plot-Helfern und Schultern zum Ausheulen: Kathleen O’Reilly, Dee Davis, Jessica Scott und Aaron Orive. Meiner Familie: Don, Catherine, Isabella, meiner Mutter Anna und natürlich auch meiner Oma. Den Leuten beim LAPD dafür, dass sie mir meine Fragen über «Genehmigungen zum verdeckten Tragen einer Waffe» und das Strafjustiz­zentrum beantwortet haben. Und ganz besonders meiner Agentin Kimberly Whalen und den großartigen Menschen bei Random House, insbesondere Nita Taublib und meiner wundervollen Lektorin Shauna Summers.

Prolog

Die Leiche des Richters lag ausgestreckt am Boden und seine Augen, in denen sich noch immer Erstaunen und Schrecken spiegelten, standen weit offen. Er hatte gewusst, was in seinen letzten Sekunden über ihn kam, gewusst, dass ihn nun doch noch die Rache für seinen Verrat und die gerechte Strafe für seine Verbrechen ereilte.

Lucius leckte gedankenverloren seine Lippen und schmeckte­ den bitteren Geschmack von Braddocks Angst. Angst, aber keine Reue. Von all den Ungeheuern, die durch die Nächte schlichen, war Marcus Braddock eines der bösartigsten gewesen.

Jetzt war er tot. Der Gerechtigkeit war genüge getan. Sein Schicksal war besiegelt.

Es war vorbei.

Lucius warf einen letzten Blick auf den Beamten vom Polizeirevier von Los Angeles. Er stand steif aufgerichtet in seiner Uniform da und sprach hektisch in das Funkgerät auf seiner Schulter, während die Lichter seines Einsatzwagens die verregnete Nacht rot und blau färbten. Nicht weit von ihm schluchzte eine Frau, die unglückselige Joggerin, die die Leiche entdeckt, den Notruf verständigt und damit alles ins Rollen gebracht hatte.

Bald würden noch mehr Polizeibeamte erscheinen. Und nach ihnen die anderen. Die, die verstehen würden, was sich hier heute Nacht tatsächlich abgespielt hatte.

Die, die nach Braddocks Mörder suchen würden.

Ehe sie kamen, musste er fort sein.

Mit diesem letzten Gedanken wurde Lucius Dragos eins mit der Nacht, seiner ewigen Gefährtin.

Kapitel 1

«Regen», stellte Tucker fest. «Kannst du mir erklären, weshalb wir verflucht noch mal ausgerechnet immer bei Regen gerufen werden?»

«Da bleibt man sauber», gab Doyle mit einem amüsierten Seitenblick auf seinen Partner zurück und stellte seinen 63er Pontiac neben einem schwarz-weißen Einsatzwagen des LAPD ab. Die Blaulichter erzeugten unheimliche Schatten in dem dicht bewaldeten Park und beleuchteten einen Rettungswagen und zwei auffällig-unauffällige, unbeschriftete Fahrzeuge, die schwer nach Mordkommission aussahen.

«Und dann auch noch das da», setzte Tucker mit einer Geste auf das Polizeifahrzeug seine Tirade über ihr Unglück fort, «überall kriechen die Cops aus ihren Löchern. Jetzt haben wir das ganze lästige System am Hals.»

Doyle rammte den Schalthebel in Parkposition. «Ich gehe mal davon aus, dass du gestern nicht ordentlich gevögelt wurdest und dein momentanes Zölibat dich in so miese Laune versetzt. Solltest du allerdings vorhaben, dich auch für den Rest der Ermittlungen so aufzuführen, werde ich um einen neuen Partner bitten.»

Tucker breitete die Arme aus und schenkte ihm sein strahlendes Lächeln, für das er bei den Damen der 6. Division berühmt-berüchtigt war. «Mir geht’s gut, Mann. Mach dir nicht in die Hose.»

Doyle hob seinen Schirm auf und öffnete die Tür des Pontiacs. «Fangen wir an.»

Tucker und er schlurften Seite an Seite auf einen Polizisten in durchweichtem Regencape zu, der den Tatort gerade mit einem Absperrband sicherte. Bei ihrem Anblick erstarrte der Polizist und glotzte sie an wie ein geblendetes Reh. Er hob warnend eine Hand und Doyle dachte bei sich:Anfänger. Als ob sie das aufhielte.

«Geh lieber beiseite, Kleiner», riet Doyle dem Beamten und zeigte ihm aus Höflichkeit seine Marke, machte jedoch keinerlei Anstalten, an der Absperrung stehen zu bleiben, sondern schickte sich an, kommentarlos darunter hindurchzukriechen.

«Tut mir leid», stoppte ihn der Polizist. «Keiner darf durch.»

«Wir sind hier zuständig», widersprach Tucker und fasste den jungen Mann scharf ins Auge. «Komm schon, Anfänger. Reiß dich zusammen und lass uns rein.»

Das Gesicht des Beamten zeigte wie immer zuerst die übliche Verwirrung und wurde dann ausdruckslos. Daraufhin lächelte­ er höflich und kooperativ. «Selbstverständlich, Sir. Detective Sanchez steht gleich dort drüben.» Er deutete auf eine Frau mit einem herzförmigen Hintern. «Sie ist hier zuständig.»

«Nicht mehr», entgegnete Tucker.

Doyle krabbelte hinter seinem Partner unter dem Absperrband durch und konnte sich das Grinsen kaum verkneifen. «Du musst mir irgendwann mal beibringen, wie du das machst.»

«Es ist eine natürliche Gabe», erklärte Doyle. «Auch bei den Damen ab und an sehr praktisch.»

«Na sicher. Ich bezweifle, dass du auf andere Art eine Dame rumkriegen könntest.»

«Das trifft mich jetzt aber, Mann», stöhnte Tucker und schlug die Hand aufs Herz. «Das hat mich wirklich verletzt.»

Doyle konnte über die Marotten seines Partners nur den Kopf schütteln und er sparte sich eine Erwiderung. Sanchez hatte sie bereits entdeckt und war auf dem Weg zu ihnen. Ihr gepflegtes, frisches Gesicht sah verkniffen aus.

«Halt, halt», befahl sie. «Würdet ihr Jungs mir vielleicht verraten, wer ihr seid und was ihr an meinem Tatort zu ­suchen habt?»

«Da haben wir schon den springenden Punkt», sagte Doyle und zog seine Marke aus der Tasche seines Regenmantels. «Ich bin mir nicht sicher, ob das überhaupt noch Ihr Tatort ist. Ich bin Agent Ryan Doyle.» Er nickte in Richtung Tuckers. «Das ist mein Partner Agent Severin Tucker.»

Sie studierte Marke und Ausweis und fragte dann verwundert: «Homeland Security?»

Doyle nickte. Theoretisch stimmte das. Nach der Verabschiedung des Patriot Act war sein Arbeitgeber – der amerikanische Zweig der Preternatural Enforcement Coalition, also der Vereinigung zur übernatürlichen Vollstreckung – formell zu einer Abteilung des Heimatschutzministeriums geworden. Eine geheime Abteilung zwar, aber nichtsdestotrotz. Und in Anbetracht des Terrors, gegen den die PEC kämpfte, passte das aktuelle Deckmäntelchen sogar ganz ausgezeichnet zu der uralten Organisation.

Detective Sanchez hielt seinem Blick stand. «Wollt ihr mich veralbern?»

«Nein, Ma’am», widersprach Tucker. «Wir bei der Homeland Security haben, soweit wir wissen, keinerlei Sinn für Humor.»

Sie legte den Kopf schief und musterte Tucker nun bitterböse. Unter ihren weiblichen Kurven steckte offenbar eine harte Nuss. «Seit wann sind Killer, die Kreaturen aus einem schlechten Film imitieren, ein Fall für die Bundesbehörden?»

«Tut mir leid, Detective, das ist geheim», klärte Doyle sie auf.

«Ich kann nur sagen, dass es gewisse Gerüchte gibt», fügte Tucker hinzu.

Sie sah sie ungläubig an und kaufte ihnen den Schwachsinn offenbar nicht ab. Doyle bemerkte, dass Tucker wieder seinen Blick bekam, und stellte sich schnell vor ihn. Ab und zu war Tuckers Trick schon praktisch, aber er konnte den Mumpitz nicht mit allen treiben. Neben Sanchez befanden sich noch mindestens sieben weitere Beamte am Tatort, die die Leiche umkreisten und die zweifellos ihre Rechte auf den Tatort ­anmelden würden.

«Dieser Mord fällt in unseren Zuständigkeitsbereich, Sanchez. Rufen Sie diese Nummer an und fragen Sie nach Nikko Leviathin. Er wird es Ihnen bestätigen.» Doyle überreichte ihr eine Visitenkarte. «Derweil werden wir unseren Tatort inspizieren.»

Doch die Frau plusterte sich auf und trat ihm in den Weg. Er ballte die Hände zu Fäusten und kämpfte gegen die Wut an, die in seinem Inneren wie Lava aus der Tiefe aufstieg und jeden Augenblick explosionsartig an die Oberfläche dringen konnte. Er sog zischend Luft ein und unterdrückte das Verlangen, sich auf sie zu stürzen und ihr zu demonstrieren, wer hier zu was befugt war.

«So, wir spielen alsoSchwanzvergleich?», fragte sie und ahnte nichts von der drohenden Gefahr. «Bitte schön. Aber solange­ mir mein Lieutenant oder der Bezirksstaatsanwalt nichts ­Anderweitiges mitteilen, ist das hier ist mein Tatort.»

«Dann fragen Sie eben die», blaffte Tucker. Er hatte seine Hand fest auf Doyles Schulter gelegt und übte gerade so viel Druck aus, wie nötig war, damit er am Boden blieb und sein flammender Groll abebbte. «In der Zwischenzeit –» Er unterbrach sich und warf Doyle einen warnenden Blick zu, bevor er sich umdrehte und auf die Leiche zuging.

Doyle atmete tief ein, einmal, zweimal, und zwang die letzten Überreste der Finsternis zurück in die Tiefe. Dann folgte er Tucker. Sanchez sah aus, als würde sie gleich Säure speien, ließ sich aber hinter ihnen zurückfallen. Ihr Handy klebte an ihrem Ohr.

«Also, was haben wir?», fragte er. Vor ihm lagen die geisterhaft blassen Überreste von Marcus Braddock, einem Richter im Ruhestand. Der Mistkerl war ein Gestaltwandler, aber das hieß noch lange nicht, dass Doyle ihm das Schicksal, ermordet zu werden, gewünscht hätte. Und in diesem Fall handelte es sich um die schlimmste Art des Mordes. Einen Menschen oder Paramenschen auszubluten, wurde als heimtückischer Mord fünften Grades und Verstoß gegen die Fünfte Internationale Konvention eingestuft und mit öffentlicher Exekution geahndet. Eine ganz fiese Sache.

Tucker kauerte bereits neben der Leiche und griff nach Braddocks Kragen.

«Was soll das?», ging ein kleiner, rattengesichtiger Mann dazwischen und stieß Tuckers Hand zur Seite.

«Vorsicht», entgegnete Tucker ruhig, «versuch das noch mal und du verlierst ein paar Gehirnzellen.»

Die Ratte zögerte irritiert. Dann trat Sanchez geschäftsmäßig heran. «Lassen Sie ihn», befahl sie. «Dieser Saustall gehört jetzt ihnen. Das heißt wohl, dass sie auf alles, was sie wollen, Zugriff haben.» Sie fixierte Doyle. «Inklusive meiner Ressourcen, meiner Männer und Ausrüstung, wie mir gesagt wurde. Zumindest, bis ihr eigenes Team eintrifft.»

«Und wir wissen Ihre Kooperation sehr zu schätzen.»

Sanchez lächelte eiskalt. «Aber sicher.» Sie nickte dem uniformierten Beamten mit dem Absperrband zu: «Sie sind abgelöst.» Dann fiel ihr Lächeln auf Doyle: «Die Ressourcen sind ebenbegrenzt.» Sie gab der Ratte einen Wink. «Los. Zeig den Herren, was sie sehen wollen.»

Der Rattenmann zog einen Latexhandschuh über, schob dann den Kragen beiseite und entblößte so zerfetztes Fleisch und zerstörtes Muskelgewebe.

Verfluchte Vampire. Trotz der Konvention und der strengen Gesetze, die es ihnen untersagten, direkt von Menschen zu trinken, kam es Doyle so vor, als bräuchte er sich nur umzudrehen und schon hatte wieder einer dieser Scheißkerle jemanden ausgesaugt.

Er ballte die Fäuste, aus Hass über ihre Schwäche. Ihre mangelnde Selbstbeherrschung widerte ihn an. Und, ja, er kannte auch die ganzen verdammten Statistiken, laut denen die große Mehrheit der Vampire den Dämon in ihrem Inneren kontrollieren konnte und sich nicht unmittelbar von Menschen ernährte. Nicht mordete. Sich ans Gesetz hielt.

Dass sie angeblich nicht das Böse auf zwei Beinen waren, für das Doyle sie hielt.

Die Statistiker konnten ihn mal. In Doyles Augen blieb weiterhin nur ein toter Vampir ein guter Vampir.

Marcus Braddock mochte Abschaum gewesen sein – im Gerichtssaal und auch außerhalb –, aber Doyle würde dafür sorgen, dass der Vampir, der ihn ausgesaugt hatte, seine Strafe erhielt – entweder in Form eines Pflocks im Herzen oder einer Axt in seinem Kopf.

«Wärt ihr Jungs nicht aufgetaucht, hätte ich auf einen Serien­mörder getippt», bemerkte Sanchez und holte Doyle damit in die Gegenwart zurück.

«Nein, Ma’am, das hier ist viel schlimmer», entgegnete er.

Die Ratte und Sanchez sahen sich vielsagend an. Dann nickte­ Sanchez und die Ratte räusperte sich: «Das haben wir unter der Leiche entdeckt», verkündete er und hielt ihnen einen durchsichtigen Plastikbeutel hin.

Doyle nahm ihn an sich. Seine Augen benötigten das Licht der Taschenlampe nicht, mit der Sanchez ihm freundlicherweise leuchtete. Der Beutel enthielt einen matschverkrusteten, silbernen Siegelring. Trotz des Schmutzes konnte man erkennen, dass es sich um ein Stück großer Handwerkskunst handelte. Ein Drache, der sich in den Schwanz biss und so einen Kreis bildete, war sorgfältig auf dem Ring eingraviert. Sein Auge bildete ein Rubin.

Tucker beugte sich vor, um ihn sich näher anzusehen. «Ist das nicht –»

«Das Wappen der Dragos», vollendete Doyle mit einem kalten, harten Lächeln. Lucius Dragos, der letzte der Dragos. Endlich, nach all den Jahren, bekam er seinen alten Freund zu fassen.

«Heiliges Kanonenrohr», keuchte Tucker, «was für ein außergewöhnlicher Abend. Bisher haben wir niemals einen stichhaltigen Beweis gegen ihn in die Hände bekommen und jetzt leistet sich Dragos so einen Schnitzer? Das ist verdammt noch mal zu schön, um wahr zu sein.»

«Und das macht mir Sorgen.» Doyle kniete neben dem toten Körper. «Ich muss wissen, ob es noch mehr gibt.»

Tucker schüttelte den Kopf und warf dann einen bedeutungsschweren Blick auf Sanchez und die Ratte. «Willst du dir tatsächlich den Papierkrieg antun?»

Doyle musste an den Stapel Tadel und Verwarnungen denken, die bereits seine Personalakte bereicherten. Wenn noch weitere dazukämen, würde er ernsthafte Schwierigkeiten bekommen. «Ich kriege nur Ärger, wenn die Behörde davon erfährt.»

«Gibt es ein Problem?», erkundigte sich Sanchez.

«Noch nicht», antwortete Doyle und an Tucker gewandt fügte er hinzu: «Du weißt, dass ich es tun muss.»

«Ach, Donnerwetter.» Tucker gab nach. «Na gut, mach es. Was bedeutet so eine kleine offizielle Abmahnung unter Freunden schon?»

Tucker sah Detective Sanchez tief in die Augen. Doyle drückte seine Hand auf Braddocks Stirn. Der Rattenjunge blies sich sofort mächtig auf. «Sind Sie wahnsinnig? Sie tragen nicht mal Handschuhe. Wie können Sie –»

«Ich kann es erklären», sagte Tucker und kniete sich wieder­ neben die Leiche. Detective Sanchez wanderte derweil davon, da ihr offenbar unvermittelt eingefallen war, dass sie andernorts etwas zu erledigen hatte. Doyle konzentrierte sich auf Braddocks letzte Gedanken. In der Zwischenzeit pflanzte ­Tucker der Ratte irgendwelchen Unfug ins Gehirn und schickte­ auch ihn seiner Wege.

«Ich konnte nicht sehr tief gehen, das wäre zu gefährlich», informierte ihn Tucker. «Du solltest also schnell fündig werden.»

Doyle nickte, entgegnete aber nichts. Er war ganz nah.

Dunkelheit. Verwunderung. Sogar Lust. Zumindest, bis es sich veränderte. Verwandelte.

Dann kam die Angst.

Das Durcheinander. Grauen. Genuss. Schmerz.

Nichts formte sich, kein Bild entstand.

Nur Verwirrung. Ein Durcheinander aus konfusen Gefühlen und Reaktionen. Nichts Greifbares.

Nichts Handfestes.

«Los, los», drängte Tucker. Doyle legte die andere Hand über das Herz der Leiche und versuchte, Zugang zur vergehenden Aura zu erhalten.

Verwaschen. Verschwunden.

Reue.

Der Tod, so kalt und vertraut.

Und dann, endlich, ein Gesicht.

Das letzte Bild des Todes. Der letzte bewusste Gedanke. Doyle sah hin, und in seinem Kopf sah er Lucius Dragos, der sich mit entblößten Reißzähnen über Marcus Braddock beugte, um ihm auch den letzten Rest Leben auszusaugen.

Doyle befreite sich von Braddocks Gedanken. Er klapperte mit den Zähnen und zitterte am ganzen Leib. Aber er hatte Dragos auf frischer Tat ertappt.

Erschöpft berichtete er Tucker: «Wir haben ihn endlich, Partner. Und wir werden ihn fertigmachen.»

Kapitel 2

Sie kamen.

Er konnte sie selbst durch die dicken Mauern seines Hauses in Beverly Hills wittern, ihre starke Entschlossenheit, die beinahe den Geruch ihrer Nervosität überdeckte. Beinahe.

Diese Jäger, sie kannten ihn. Diese Männer, die ihn in Ketten legen und verhören würden und vorhatten, ihn seiner gerechten Strafe zuzuführen.

Sie kannten ihn und sie fürchteten ihn.

Das sollten sie auch besser.

Er saß in den dunklen Räumlichkeiten seines fensterlosen Büros, legte den Kopf schief, atmete noch tiefer und blähte dabei seine Nasenflügel. Es waren zwei. Einer ein Mensch mit der Gabe. Lucius erkannte den Geruch des Mannes nicht wieder. Der andere war ein Paradämon und einst sein Freund gewesen. Ein Monster, das seine ihm eigene Wut unter einer Maske von sauberer Lebensführung und Systemkonformität verbarg.

Ryan Doyle.

Mit einer Bewegung schaltete Luke eine Reihe von Bildschirmen ein. Alle fünfzehn zeigten unterschiedliche Bilder der Überwachungskameras, die überall in seinem Haus verteilt waren. Er konnte Doyle sofort ausmachen. Er hielt sich in der Nähe des Tores auf und besprach sich mit dem Menschen. Ihre Mienen waren undurchschaubar.

Im Dunkeln hinter ihnen schlichen die RAC-Leute herum – RAC wieRecon and Capture, Auskundschaften und Gefangennehmen. Sie trugen, wie es das Protokoll vorschrieb, Masken, die ebenso wie das Material ihrer eng anliegenden Tarnuniformen so designt worden waren, dass sie sie sowohl vor Angriffen mit menschlichen Waffen als auch übersinnlichen Tricks schützten.

Für einen Zivilisten auf der Straße hätten sie wie ein Elite-Sondereinsatzkommando gewirkt. Aber sie waren sehr viel mehr als das. Und weitaus gefährlicher, ihnen allen voran Doyle, der entschlossen seine Waffen gezückt hatte und peni­bel Anweisungen gab.

Dann drehte er sich direkt zur Kamera um, beinahe so, als wolle er, dass Luke sein Gesicht sah, seine Entschlossenheit. Doch Luke sah noch mehr. Doyle war auf der Hut.

Luke musste grinsen. Wenn ein Ungeheuer wie Doyle sich in seiner Gegenwart unwohl fühlte, dann machte er offenbar etwas richtig.

Gerüchte machten die Runde, dass Doyle sein wildes Temperament inzwischen zügeln konnte, möglicherweise sogar endgültig unter Kontrolle gebracht hatte. Er hätte sich gebessert und inzwischen mache es ihm Spaß, die bösen Jungs der Gerechtigkeit zuzuführen.

Dieses Wort ließ Luke erschaudern.Gerechtigkeit. Als ob diese Bastarde, die draußen vor seinem Zuhause herumlungerten, wussten, was das war. Sein Handy klingelte. Mit einem leisen, genervten Knurren nahm er es in die Hand und rechnete schon fast damit, dass es Doyle wäre, der von ihm verlangte, sich friedlich zu ergeben. Sehr unwahrscheinlich.

Auf dem Display erschien eine vertraute Nummer. Sofort verpuffte sein Ärger und er nahm den Anruf an. «Geht es dir gut?»

«They say the neon lights are bright on Broadway», sang Tasha ihm ins Ohr. «Aber hier gibt es keinen Zauber, Lucius. Ich hätte so gerne ein bisschen Magie gehabt.»

Er holte tief Luft und zwang sich, ruhig zu klingen. Seine Schutzbefohlene war immer etwas seltsam gewesen. Schon vor ihrer Verwandlung hatte ihr Gehirn anders gearbeitet als das von normalen Mädchen, und jetzt, nach ungefähr drei Jahrhunderten, sah sie die Welt immer noch in ganz simplen Schemen.

«Bist du gut angekommen?»

«Wo warst du?», wollte sie wissen und überging seine Frage. «In der Nacht. Wo bist du hin?»

Er schielte auf seine Monitore. Das RAC-Team überprüfte seine Waffen und besprach sich. «Das weißt du ganz genau», erwiderte er.

Ein fröhliches Kichern erklang. «Nicht letzte Nacht. Das war für mich, für mich, weil du mich gern hast. Aber die Nacht davor. Wo bist du gewesen? Ich wollte, dass du zu Hause­ bist, aber du warst nicht da.»

Er dachte an die Nacht, an die Frau, und er straffte sich.

«Lucius, mit wem warst du zusammen?»

In seinem Kopf schrillte eine Alarmglocke. «Hast du mir nachspioniert?» Er bemühte sich, seine Stimme weiter gleichmütig klingen zu lassen.

«Manchmal beobachte ich und sehe nichts. Und manchmal beobachte ich nicht und sehe mehr, als ich will.»

«Tasha, das beantwortet nicht meine Frage.»

«Du hast mir versprochen, dass ich dich niemals verlassen muss. Du hast versprochen, dich um mich zu kümmern.»

«Das habe ich», sagte er. «Aber um mich richtig um dich zu kümmern, muss ich dich fort und in Sicherheit wissen. Du bist doch jetzt in Sicherheit, oder? Bei Sergius und in Sicherheit?»

«Ich bin hier», antwortete sie. «Aber warum bist du nicht gekommen?»

«Ich musste bleiben», erklärte er ihr. «Erinnerst du dich, wir haben doch darüber gesprochen. Ich muss hier in Los Angeles noch einiges erledigen.»

«Aber was, wenn sie kommen, um dich zu holen?»

Er blickte auf die Bildschirme und ballte die Fäuste. «Das werden sie nicht.»

«Warum musstest du dann weggehen?»

Beinahe hätte er aufgelacht. Manchmal unterschätzte er Tasha. «Nur vorsichtshalber», versicherte er. «Mach dir keine Sorgen. Alles wird gut. Ist Serge auch da?»

Es raschelte in der Leitung, als sie das Telefon an Serge weitergab. Dann erklang seine raue Stimme. «Was für einen Mist hast du dir denn diesmal eingehandelt?»

«Nichts, womit ich nicht selbst fertig werden würde», erwiderte er und sein Blick zuckte wieder zu den Bildschirmen. «Um das sicherzustellen, sollte ich allerdings lieber auf der Stelle auflegen.»

«Du erzählst es mir noch», sagte Serge.

«Das werde ich», bestätigte Luke, bevor er auflegte. Eines Tages, wenn die Wahrheit nicht mehr so gefährlich wäre, würde er alles mit seinem Freund teilen. Aber jetzt musste das hier erst einmal klappen.

Oh ja, es würde wunderbar klappen.

Alles verlief nach Plan. Die Verdorbenheit des Systems arbeitete für ihn und nicht gegen ihn. Pläne, Absichten, Vorhaben, alle verschachtelt und undurchschaubar.

Er konzentrierte sich auf die Überwachungsbilder. Zwar hatte Luke damit gerechnet, dass Doyle mit von der Partie sein würde, doch der Paradämon blieb dennoch unberechenbar. Er war eine Spielfigur der PEC, völlig fixiert auf Luke, und zudem mächtig genug, um sein sorgsam konstruiertes Kartenhaus zum Einsturz zu bringen.

«Scheiß auf ihn», knurrte Luke. Der Plan würde aufgehen. Er musste. Denn wenn alles nicht exakt so ablief, wie er es sich ausgedacht hatte, dann würde er bald ein Treffen mit dem Holzpflock des Strafrichters haben.

Nein.

Seine Zeit auf dieser Welt war noch nicht vorbei. Er musste bleiben, musste sich um Tashas Schutz kümmern.

Darüber hinaus verspürte er keinerlei Verlangen zu sterben. Selbst nach all den Jahrhunderten gab es noch zu viel, wofür es sich zu leben lohnte. Das Spiel der Sterne am Nachthimmel. Der gleichmäßige Puls der Gezeiten, den er von seinem Heim in Malibu aus hören konnte. Der süße Nektar der Lippen einer Frau auf seinem Mund. Oh ja, die Frauen würde er vermissen.

In den letzten beiden Jahrzehnten hatte er von dieser süßen Frucht nicht mal annähernd genug genascht. Das hieß wohl, dass er der schwarzhaarigen Schönheit, in deren Armen er erst letzte Nacht versunken war, ein Dankeschön schuldete. So konnte er zumindest von sich sagen, dass er, wenn er schon sterben müsste, zumindest mit einem Paukenschlag abging.

Weiß Gott, das stimmte wirklich.

Sara. Schon ihr Name brachte sein Blut lustvoll in Wallung und er ergötzte sich an seinen Erinnerungen.

Als er sie Mittwochnacht in einer Bar aufgabelt hatte, hatte er eigentlich nicht vor, mit ihr zu schlafen. Er hatte sich auf ­einem Hocker in der Bar postiert und Braddock beobachtet, dessen Dämon nach Erlösung schrie. Doch dann hatte Braddock ihn direkt angesehen und um seine Enttarnung zu vermeiden, hatte er das Erstbeste getan, was ihm eingefallen war: Er hatte die Frau, die neben ihm saß, an sich gezogen und seine Lippen auf ihren Mund gedrückt. Sie hatte erschreckt gekeucht, sich dann entspannt und die Lippen für ihn geöffnet. Mit der wahnwitzigen Woge aus Hitze, die ihn dabei überrollte, hatte er allerdings nicht gerechnet.

Sie lag so weich und anschmiegsam in seinen Armen, und doch war sie so ganzda, als unterläge dieser Augenblick genau so ihrer Kontrolle wie seiner. Dann wurde ihr Kuss intensiver und der Dämon in seinem Inneren hatte sich schnurrend verzogen und die Vorfreude auf seine Beute zugunsten der Lust auf diese Frau aufgegeben.

Er begehrte sie so sehr, dass er keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Er wollte sich in seiner Sehnsucht verlieren, sie bis in die tiefsten Tiefen erforschen, doch er zögerte, denn er begriff, dass ihre Reaktionen auch vom Alkohol herrührten. Sein Schwanz kannte derlei moralische Bedenken allerdings nicht, er verlangte in all seiner Pracht nach Befriedigung.

Und er zweifelte nicht daran, dass sie ihm genau das geben würde. Er konnte es riechen – ihre Erregung, ihr Verlangen.Ihren Triumph. Sie war in die Bar gekommen, um zu feiern. Und Luke war ihre Kriegsbeute.

Siegestaumelnd küsste sie ihn nachdrücklicher und er schmeckte Gin und Oliven und einen süßen Hauch von Wermut. Solch eine scharfe, prickelnde Lust hatte er seit Jahrhunderten nicht mehr erlebt und er musste all seine Selbstbeherrschung aufbringen, um sie nicht an Ort und Stelle und ohne Rücksicht auf Verluste zu vernaschen.

Als sie sich von ihm löste und ihn ansah, war ihr Blick verschwommen vom Alkohol, ihr Lächeln von Lust verzerrt und er wusste, dass es ihr genauso ging wie ihm.

Er blickte sich in der Bar um. Gerade ging Braddock mit zwei Anzugtypen nach draußen. Zumindest heute Nacht würde er weiterleben.

Er glitt vom Barhocker und bot der Frau seine Hand an. Sie berührte seine Finger und der Geruch des Zweifels ging im berauschenden Duft ihrer Lust unter.

«Komm mit mir», sagte er zu ihr.

Eine ihrer Augenbrauen zuckte, dann sah sie ihn von oben bis unten an und ein sinnliches Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. «Ja, genau das hatte ich auch geplant.»

Luke musste daran denken, wie gewissenhaft sie diesen Plan in die Tat umgesetzt hatten und seine Muskeln spannten sich unbewusst an. Er erinnerte sich, wie sich ihr nackter Körper unter ihm angefühlt hatte. Wie ihre weichen Finger über seine raue Haut gestrichen waren. Wie ihr Lippen zurückgezuckt waren, als er sich tief in ihr verloren hatte.

Wie sich seine Vernunft und sein Verstand im Feuer seiner Lust und seinem Verlangen aufgelöst hatten.

Oh ja, sie war mit ihm gekommen. Und er mit ihr.

Selbst jetzt versteifte sich sein Glied bei dem Gedanken, und wenn er sich konzentrierte, konnte er ihren Duft riechen, der noch an seiner Haut haftete. Selbst jetzt wollte er diese Frau, die es geschafft hatte, ihn auf eine Art, wie er es noch nie erlebt hatte, gleichzeitig völlig aus der Fassung zu bringen und ihm Frieden zu schenken.

Halt.

Er ballte die Hände zu Fäusten und zwang sich dazu, sich die Monitore anzusehen, sich zu beruhigen und herauszufinden, wie weit sein Verhängnis bereits gediehen war.

Nicht sehr weit. Doyle ging wirklich auf Nummer sicher. Das RAC-Team umkreiste weiterhin sein Grundstück, war aber nicht nähergerückt. Luke sah auf die Uhr und begriff weshalb – die Dämmerung nahte. Was für eine gute Idee – wenn er während des Zugriffs sein eigenes Haus nicht verlassen konnte, weil draußen das Sonnenlicht drohte.

Selbstverständlich hatte Luke mit einem derartigen Vorhaben gerechnet. Trotzdem belustigte es ihn zu beobachten, wie Ryan Doyle hektisch durch die Gegend stolzierte, als wäre er der Oberboss, und dabei einen Idioten aus sich machte.

Doch die Erde drehte sich weiter, die Morgendämmerung würde bald kommen und Doyle und seine Männer würden dem Sonnenlicht auf dem Fuße folgen.

Er wandte den Blick von den Monitoren ab, erhob sich und richtete sich gerade auf. In seinen Adern pulsierte wilde Energie.

Wenn das hier vorbei war, wäre er ein Flüchtling.

Damit konnte er leben. Wenn Tasha dadurch in Sicherheit wäre, dann könnte er damit auch für die Ewigkeit leben.

«Er ist nicht blöd», maulte Tucker. «Vielleicht ahnt er nicht, dass du eine Vision hattest, aber er muss wissen, dass er den Ring verloren hat. Er wird es sich ja wohl kaum im Haus mitOprahgemütlich machen und darauf warten, dass wir unsere Männer versammeln und die Bude stürmen.»

«Ich glaube, Lucius sieht sich eherCopsan», sagte Doyle und zog sich den RAC-Overall über. Das hier war keine Standardprozedur – sie brachen eigentlich jetzt schon ein Dutzend Regeln –, aber auf keinen Fall würde er zurückbleiben und dem Einsatzkommando den Vortritt lassen. Bei Dragos wollte er an vorderster Front dabei sein. Nahe genug, um den Hass in den Augen dieses blasierten Hurensohns zu sehen, wenn er ihm Handschellen anlegte.

Aber Tucker hatte recht. Lucius Dragos war nicht blöd. Ganz im Gegenteil. Würde er diesen Blutsauger nicht so abgrundtief hassen, so hätte er sicher einen Heidenrespekt vor ihm.

Doyle musste also davon ausgehen, dass Dragos wusste, dass er den Ring zurückgelassen hatte und demnach auch wusste, dass sie kamen …

Und wenn ihmdasklar war … na, dann hatte er sich entweder schon lange aus dem Staub gemacht oder der gewiefte Bastard hatte einen verflucht guten Notfallplan.

Die Frage lautete nur, welchen.

Neben ihm stieg Tucker ebenfalls in einen RAC-Kampf­anzug.

«Was glaubst du, was du da machst?»

«Ich gehe mit meinem Partner.»

«Hältst du das für eine gute Idee? Deine zauberhafte Gabe funktioniert bei einem wie Lucius nicht. Und so seltsam du auch bist, ich habe mich langsam daran gewöhnt, einen armseligen Menschen wie dich an meiner Seite zu haben. Es würde mir nicht gefallen, wenn du in Stücke gerissen wirst.»

«Wenn du gehst, gehe ich auch.» Er strahlte von einem Ohr zum anderen und zog dann die Gesichtsmaske über den Kopf. «Außerdem habe ich ja noch diesen Zauberanzug hier.»

Doyle verkniff sich einen Fluch. «Ich passe aber nicht auf, dass dir niemand in den Hintern tritt.»

«Aber mein Popo ist doch so niedlich», konterte Tucker ironisch. Dann kniff er die Augen zusammen, seine Unbeschwertheit verschwand und er musterte Doyle von der Seite. «Mal ehrlich, Mann, bist du bereit für so etwas?»

Doyle begriff, worauf er hinauswollte. Visionen erschöpften ihn und es dauerte immer eine Weile, bis er sich erholte und wieder vollständig zu Kräften kam. Bei jeder anderen Sache hätte er heute gepasst und sich lieber für eine kleine Aufmunterung zuOrlandosverzogen. Aber bei Dragos war es etwas anderes – selbst wenn er schwach wie ein Kätzchen gewesen wäre, hätte er beim Zugriff dabei sein wollen. «Das würde ich mir um nichts in der Welt entgehen lassen», erklärte er Tucker, und bevor der noch protestieren konnte, wandte sich Doyle an Tariq, den Befehlshabenden im RAC-Team.

«Sind wir so weit?»

Tariqs gelbe Augen glänzten im Licht der aufgehenden ­Sonne. «Legen wir los.» Der muskulöse Dschinn signalisierte mit erhobenem Arm seinem Team und stürmte dann voran. Mit seinen magischen Fähigkeiten zerstörte er das Schloss an der Vordertür des Anwesens.

«Klar.»

«Klar!»

«Hier drüben auch. Alles klar.»

Innerhalb weniger Augenblicke waren die Männer in die marmorgetäfelte Vorhalle des Hauses eingedrungen. Ihre Stimmen hallten durch den Raum. Dann teilten sie sich auf, um die Räumlichkeiten zu durchsuchen. Zweitausendfünfhundert Quadratmeter und keine Seele zu sehen, weder leben­dig noch tot.

«Er ist hier», beharrte Doyle und schnitt Tucker und Tariq das Wort ab, ehe die beiden Widerspruch einlegen konnten. «Der Bastard muss hier irgendwo sein.»

«Gibt es eine Gruft?»

«Nach den Plänen nicht», sagte Tariq mit einem Blick auf seinen Organizer. «Aber laut Grundbuch lag hier einmal der Silver Dreams-Friedhof.»

«Mist», fluchte Doyle. Der Friedhof war im späten neunzehnten Jahrhundert eine Ruhestätte für die Reichen und Schönen dieser Gegend gewesen. Während der Hochzeiten des Stummfilms hatten sich viele Leinwandhelden hier beerdigen lassen. Er war den europäischen Friedhöfen nachempfunden worden und mit seinen Grüften und Mausoleen anstelle der traditionellen Grabsteine auf der Wiese eine Touristenattraktion gewesen. Das perfekte Versteck für einen Vampir.

«Das ist sein Fluchtweg», sagte Doyle. «Er muss einen Fluchttunnel haben.»

«Moment», meldete sich Tariq und tippte sich auf seinem digitalen Display durch elektronische Daten. «Geben Sie mir einen Augenblick.»

Doyle wartete ungeduldig. «Wo ist Murray?»

«Im Wagen, er koordiniert den Einsatz.»

«Warum zum Teufel ist er nicht hier?»

Tariq blieb ungerührt. «Weil er großartig organisieren kann. Wenn ich ein Team zusammenstelle, dann mache ich es ordentlich.»

Doyle nickte geistesabwesend. Tariqs Erklärung war absolut schlüssig und doch schrillten bei ihm die Alarmglocken. «Kennen Sie den Verdächtigen?»

«Wer kennt ihn nicht?», erwiderte Tariq. Eine gute Antwort. Doyle wusste jedoch zufällig, dass Tariq und Dragos vor etwa sechs Jahrhunderten einmal aufeinandergetroffen waren – und beide hatten sie es überlebt. Unter normalen Umständen wäre das «Warum» bei einem Gläschen Bier sicher ein interessantes Thema gewesen. Aber heute hatte Doyle das Gefühl, dass die Antwort auf diese Frage von grundlegender Bedeutung war.

Er musste die Antwort nicht hören, aber er musste sich den Schwierigkeiten stellen, die sie aufwarf.

«Tauschen Sie», sagte er und sah Tariq direkt an. Tariqs rombusförmige Pupillen zogen sich zusammen, bis sie fast verschwanden.

«Wie bitte?»

«Murray hier. Sie im Van.»

«Wollen Sie mir den Grund dafür verraten?»

«Eigentlich nicht», sage Doyle und trat nahe an Tariq heran. «Aber vielleicht möchten Sie ihn mir sagen?»

«Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen», fuhr Tariq ihn an und unter seiner sonst so ruhigen Fassade kochte es.

«Und das müssen Sie auch nicht, solange sie jetzt nach draußen gehen und Murray reinkommt.»

Tariq sah abwechselnd Doyle und Tucker fragend an. «Was soll’s», fauchte er schließlich. «Sie wollen den großen Obermotz spielen? Bitte schön.»

Er bedachte Doyle mit einem vernichtenden Blick und stürmte dann davon.

«Was sollte das denn?», fragte Tucker Doyle.

«Uralte Geschichte», erwiderte er.

Tucker überlegte kurz und nickte dann. «Und wer ist dieser Murray?»

«Ein Werwolf. Ich brauche seine feine Nase.»

Fünf Minuten später blieb J. Frank Murray vor einem eichenen Bücherregal stehen. Seine Nase zuckte. «Da drin.»

«Öffnen Sie es oder schlagen Sie es ein. Nur bringen Sie uns dort rein», befahl Doyle.

«Eine Schande, so ein wundervolles Möbelstück zu ruinieren», bemerkte Tucker.

«Veralbern kann ich mich alleine», gab Doyle zurück. «Verschaffen Sie mir Zutritt.»

Murray nickte und sofort kamen zwei RAC-Techniker heran. Innerhalb weniger Sekunden hatten sie den geheimen Mechanismus geknackt. Ein scharfes Klicken erklang. Dann schob sich das ganze Regal langsam nach hinten. «Wie ich gesagt habe, ein wundervolles Möbelstück.»

Sie standen in Dragos Sicherheitszentrale. Die Monitore zeigten noch immer die Aufzeichnungen der Überwachungskameras. Allerdings waren sie zurückgespult worden und nun konnten sich Doyle und seine Männer selbst dabei zusehen, wie sie das Haus umstellten.

«Mistkerl.»

«Zumindest wissen wir jetzt, dass er hier war», stellte Tucker fest.

Doyle zeigte auf Murray.

«Suchen Sie den Ausgang.»

Murray war bereits dabei. Er blähte die Nasenflügel witternd und seine Muskeln zuckten erregt. Er ging den ganzen Raum ab. Nichts.

Die Männer sahen sich unschlüssig an.

«Möglicherweise ist er auf demselben Weg, auf dem er reingekommen ist, auch wieder hinausgeschlichen», schlug Tucker vor.

«Möglicherweise hält er uns auch alle zum Narren», grollte Doyle. Er drehte sich um seine eigene Achse und musterte eingehend die Wände, die Decke und den Boden.

Der Boden.

Er wies auf den Marmorfußboden, dessen Fugen völlig intakt schienen.

Aber das waren sie nicht. Sekunden später bestätigte Murray, dass Dragos durch den Boden entkommen war. Die Techniker des Teams stemmten ihn auf und legten den darunter versteckten Tunnel frei.

«Runter», kommandierte Doyle und folgte Murray in die Finsternis.

Nach zweihundert Metern stießen sie auf eine steinerne Treppe. Der Strahl von Murrays Taschenlampe folgte den Stufen hinab in die Dunkelheit, bis sie ein schmiedeeisernes Tor erleuchtete, hinter dem Schwärze gähnte. Murray neigte den Kopf und nahm Witterung auf. Dort drinnen war seine Beute und stellte sich tot.

«Sprengen», befahl er.

Gleich darauf explodierte die Tür und Staub und Eisenstückchen regneten auf die Männer herab, die nun mit gezückten Holzpfählen vordrangen. Sie schwärmten aus, Rücken zur Wand, und legten geschwind eine Hämatitbarriere aus. Das Mineral würde verhindern, dass Dragos sich in ein Tier oder Nebel verwandelte. Einer der Männer entzündete eine Fackel und warf sie in die Kammer. Schummriges, rotes Licht erleuchtete das enge Grab.

Da war er.

Lucius stand weniger als sieben Meter von ihnen entfernt. Er trug schwarze Jeans, ein schwarzes T-Shirt und hatte sich in einen langen, schwarzen Mantel gehüllt, in dem er zweifellos eine Vielzahl Waffen versteckt hielt. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Seine Hände waren nicht sichtbar.

Doyles Beute trug eine breite Sonnenbrille. Die Linsen waren so dunkel, dass er die Augen seines Gegenübers nicht erkennen konnte. Aber er musste die Augen dieses Bastards nicht sehen, um zu wissen, dass er ihn direkt anstarrte.

Dann wandte Lucius seinen Blick von Doyle ab und ließ ihn über die gesamte Mannschaft und jedes einzelne Gesicht schweifen.

«Tariq ist nicht hier», sagte Doyle. Dann lächelte er. «Reingelegt.»

Lucius Gesicht blieb versteinert. Aber die schlimme Narbe, die sich über seine rechte Wange zog, zuckte kurz. Ein Zeichen von Angst? Doyle konnte sich nicht vorstellen, dass Dragos sich vor irgendetwas oder irgendjemandem fürchtete, selbst, wenn es besser für ihn gewesen wäre, sich in Acht zu nehmen.

Nein, Dragos hatte keine Angst. Der armselige Dreckskerl heckte etwas aus.

Das würde ihm nicht gut bekommen.

«Ich will deine Hände sehen», kommandierte Doyle. «Sofort.»

Lucius zögerte nur für den Bruchteil einer Sekunde und zog dann langsam die Hände hervor. Er hob sie hoch und zeigte dem Einsatzkommando zuerst die Handrücken und dann die Handflächen. Die Männer rückten vor. Fünf von ihnen umstellten ihn mit schussbereiten Armbrüsten.

Fünf weitere verteilten sich im Raum und inspizierten die Gruft.

«Hier drüben», schrie einer und schob den Deckel von einem Steinsarkophag. «Tunnel.»

«Hier ist alles verkabelt», rief ein anderer und untersuchte den Boden. «Allerdings keine Spur von Sprengstoff.» Er folgte einer Leitung, die sich um den ganzen Raum erstreckte. «Au, Mist. Nervengas. Er wollte uns alle ins Reich der Träume schicken.»

«Und da sich keine Vampire im Team befinden, wärest du der Einzige gewesen, dem nichts passiert. Und dann wolltest du dich wohl durch deinen schönen Tunnel auf und davon machen?»

«Kam mir ursprünglich wie eine gute Idee vor», sagte Lucius gedehnt. «Aber inzwischen bin ich zu der Einsicht gelangt, dass ich lieber noch ein bisschen länger darüber hätte nachdenken sollen.»

«Freut mich, dass du deinen Sinn für Humor nicht verloren hast, obwohl wir dich auf frischer Tat bei einem astreinen Mord erwischt haben.»

«Soweit ich mich erinnere, kriege ich erstmal einen Prozess», bemerkte Lucius. «Es ist noch nicht vorbei, Ryan.»

«Oh doch, das ist es. Du bist geliefert, Dragos. Fertig. Du kannst dich nirgends mehr verstecken.»

«Es gibt immer eine Möglichkeit.»

Doyles Faust krampfte sich zusammen. Er wollte Lucius den Schädel einschlagen. Sein selbstzufriedenes Grinsen ausradieren.

Oh ja, Doyle wollte den Blutsauger brennen sehen.

Lucius drehte den Kopf zur Seite, hob langsam die Hand und nahm die Sonnenbrille ab. Die vertrauten, bernsteinfarbenen Augen richteten sich auf Doyle. Ruhig – und für Doyles Geschmack viel zu arrogant.

«Du hast ausgespielt», sagte Doyle und trat zu ihm, um ihm Handschellen anzulegen.

«Für den Augenblick vielleicht», erwiderte Lucius. «Aber es gibt immer einen Plan B.»

Kapitel 3

Manhattan war ein Ort der ausbalancierten Gegensätze, dachte Sergius bei sich. Verlangen kämpfte gegen Enttäuschung, Leid bildete das Gegengewicht zum Genuss. Und in diesem Reich, das niemals schlief, bezwang nichts Geringeres als reine Willenskraft die Finsternis.

Hier gehörte er hin. Die beiden Heimstätten, die er sich gewählt hatte, befriedigten seine widerstreitenden Bedürfnisse. Da gab es das tiefe, fensterlose Loch unterhalb der verlassenen Bahngleise und weit weg von neugierigen Blicken, das er sich zugelegt hatte, und das Penthouse aus Glas und Marmor, in dem er nun stand und auf die Stadt unter ihm hinabblickte.

Das Glas war extra nach seinen Vorgaben gefertigt worden. Es blockierte die Strahlen der Nachmittagssonne und hüllte die Stadt zu seinen Füßen in ewige Nacht.

Es machte ihm Spaß, hier oben zu stehen und den Menschen zuzusehen, wie sie siebenundvierzig Stockwerke weiter unten wie Ameisen herumwuselten. Ob sie ahnten, welches Grauen er über sie bringen konnte, wenn er sich nur dazu entschloss? Ob sie spürten, welche Willensanstrengung es für ihn bedeutete, hier hinter dem Glas zu bleiben und das Verlangen zu unterdrücken, zu jagen und zu töten? Seine Zähne in Fleisch zu schlagen und dadurch zuwerden?

Mit jedem Tag wurde der innere Kampf verzweifelter und Abend für Abend wurde es schwerer, drinnen zu bleiben und sich vom Duft des Blutes fernzuhalten.

Er hatte niemandem von seinem wachsenden Hunger erzählt, nicht mal Lucius, seinem engsten Freund. SeinemKyne-Bruder.

Doch bald würde er seine Geheimnisse preisgeben müssen. Entweder das oder er würde töten.

Und dann müsste er fliehen.

«Wie lange müssen wir denn hier bleiben?»

Irritiert von der weiblichen Stimme, die sich in seine Gedanken schlich, sah er auf. Dann erkannte er ihr Spiegelbild im Fensterglas und entspannte sich wieder.Tasha. Lukes Mündel.

«Ich weiß nicht.» Er drehte sich nicht um, sondern beobachtete, wie ihr Abbild über den glänzenden Holzboden auf ihn zuschwebte. Ihr rotbraunes, gewelltes Haar reichte ihr bis zu den Hüften. Sie trat vor eine Lampe und für einen Moment wurde sie von hinten angeleuchtet. Ein Strahlenkranz aus ­rotem und goldenem Licht umhüllte sie und ihr Haar knisterte, als wäre es von einer geheimen Kraft erfüllt. Eine Vision.Eine Göttin. Unberührt und rein, ihr Antlitz von den Göttern selbst geformt. Ihre roten Lippen schienen ihn zu rufen. Zu locken. Er sollte herausfinden, ob diese Reinheit nur Illusion war.

Unter ihrem weißen Seidenkleid hatte sie nichts an. Serge presste die Hände fest an den Körper und wehrte sich gegen die Reaktionen seines Fleisches auf ihre weichen Kurven und ihre mondweiße Haut. Der Körper einer Siebzehnjährigen, der jedoch schon seit Jahrhunderten auf dieser Erde wandelte. Eine Heilige mit dem Leib einer Verführerin.

Er unterdrückte einen Fluch. Sie gehörte Luke. Sie war ­unschuldig und das würde er ihr nicht nehmen.

«Serge?», fragte sie noch einmal. Die Berührung ihrer Hand verwandelte sein Blut in Lava. «Wird er das alles gut überstehen?» Sie verzog die Lippen zu einem kleinen Schmollen und Tränen traten in ihre Augen. Er drehte sich zu ihr um und nahm sie in die Arme, drückte ihren Kopf an seine Schulter und zwang sich, ruhig zu bleiben. Seine Hände dort zu lassen, wo sie hingehörten. Sie angemessen aufzumuntern und nichts weiter.

«Er schafft das schon. Er hat schon Schlimmeres über­standen.»

Sie hob den Kopf und sah ihn aus blauen Augen an, die so bleich waren, dass sie beinahe farblos wirkten. «Das passiert alles meinetwegen», sagte sie mit ihrer singenden Stimme. «Wegen mir, mir, mir. Ich hätte es ihm nicht verraten sollen. Böses Mädchen, hat Geheimnisse ausgeplaudert.» Sie machte sich von ihm los und rollte sich wie ein Kind ganz klein in einem schwarzen Ledersessel zusammen.

Ihr Leid bewegte ihn.Schönheit. Unschuld.

Sie war alles, was er nicht war. Alles, was Luke nicht war. Und doch griffen die Schrecken der Welt nach ihr.

Nicht zum ersten Mal verspürte er jäh großes Bedauern darüber, dass Luke sie überhaupt verwandelt hatte. Serge war damals, in der verschneiten Nacht in Frankreich, natürlich dabei gewesen. Er hatte erlebt, was Lucius ihrem Vater angetan hatte, den anderen Menschen in ihrem Haus. Er hatte sich auch daran beteiligt.

Und, ja, er konnte nachvollziehen, warum Luke das Mädchen herübergeholt hatte. Sein Freund hatte Tasha angeblickt und seine geliebte Livia in ihr gesehen. Er hatte das sterbende Mädchen gesehen und geglaubt, seine Alpträume besiegen zu können, indem er sie aus den Armen des Todes riss.

Seit dieser Nacht war Luke für sie verantwortlich. Und sie war sein Talisman. Aber Serge fragte sich immer wieder, ob sein Freund in ihrem süßen Gesicht tatsächlich Erlösung fand. Oder erkannte er dort seine Schuld?

Möglicherweise beides.

«Du beobachtest mich», sang sie, «mich hübsches, hübsches Ding. Du beobachtest mich, du unanständiger Junge.»

Er atmete auf und lachte beinahe. Er beobachtete sie oft und hatte dabei schmutzige Gedanken. Momentan allerdings nicht. «Ich habe an Luke gedacht.»

Bei seinem Namen verzog sie das Gesicht. «Seine Augen berühren mich nicht auf diese Art.» Sie richtete sich auf und streckte die Arme, nackt unter dem dünnen Stoff ihres Kleides. «Er lässt mich nicht sehen, wie sein Pulsschlag für mich brennt so wie deiner gerade. Es ist ein Geheimnis», erklärte sie. «Ein unanständiges, kleines Geheimnis.»

Sie trat auf Serge zu und hielt dabei nachdenklich den Kopf schief, als wäre er für sie ein Rätsel. «Er brennt doch, oder?» Ihre geflüsterten Worte kitzelten in seinem Ohr und der Lavendelduft, den ihr Haar verströmte, hatte katastrophale Wirkung auf seine Selbstbeherrschung. «Bebt dein Blut vor Begehren? Sehnst du dich nach dem, was du nicht haben kannst?» Sie schlug die Augen nieder. Bestimmt hatte sie bemerkt, dass sein Schwanz erwacht war und gegen seine engen Jeans ankämpfte. «Böse Jungs», murmelte sie leise und singend. «Böse Jungen wollen das Spielzeug, das die hübschen Mädchen haben.»

«Tasha.» Seine Stimme klang kratzig. «Setz dich hin.» Er würde es nicht tun. Er würde ihr das nicht antun. Sie begriff nicht, was sie tat. Wusste nicht, womit sie spielte. Sie hatte den Verstand eines Kindes. Sie war unschuldig.

Zudem stand sie unter Lukes Schutz.

Serge hatte in seinem langen Leben einiges angerichtet, was er bereute, und mit Sicherheit würde ihm das in Zukunft wieder passieren, aber niemals würde er so tief sinken und das beschränkte Mündel seines Freundes bespringen.

«Ich will nicht sitzen. Ich will spielen.» Sie strich mit der Hand über ihren Bauch, über die Mulde zwischen ihren Schenkeln und alles, woran Serge in diesem Augenblick denken konnte, war, dass er hoffte, dass der liebe Luke ihre Freundschaft wirklich,wirklichzu schätzen wusste, denn um seine Hände in den Taschen seiner Hose zu lassen, musste er all seine Willenskraft aufbringen. Restlos alle. «Sergius, möchtest du denn nicht mit mir spielen?»

«Du hast keine Ahnung, was du da sagst.» Sein Körper war so gespannt und aufgeheizt, dass er die Worte kaum ­herauspressen konnte. «Ich habe noch Arbeit zu erledigen.» Er schickte sich an, an ihr vorbeizugehen, und spürte, wie sich ihre Finger um seinen Arm schlossen. «Tasha, lass los. Ich muss hier raus.»Was für eine Untertreibung.

«Aber ich weiß, wie es geht», sagte sie und rückte näher. Er spürte den Stoff ihres Kleides, die Berührung ihrer weichen Schenkel. «Er hat es mir gezeigt», sagte sie, schlängelte sich um ihn und legte ihre Hand auf seinen armen, verzweifelten Schwanz. «Er hat mir gezeigt, wie man spielt.»

In seinem Kopf heulte eine Alarmsirene los. Er machte einen Schritt zurück, packte sie an den Schultern und sah sie direkt an. «Wer?», fragte er. «Wer hat es dir gezeigt?»

«Richtet nicht», kicherte sie, «auf dass ihr nicht gerichtet werdet.»

«Richtet nicht?», wiederholte er verständnislos. Dann sah er den sinnlichen Funken in ihren Augen und wusste es. Wusste, was mit ihr geschehen war.

Mehr noch, er wusste, was Luke getan hatte. Und warum.

«Braddock.» Er spuckte den Namen aus wie ein Schimpfwort. Der Richter war schon immer eine schlüpfrige Gestalt gewesen und Gerüchte über Bestechungen und Erpressung hielten sich seit Jahrzehnten. Wenn Serge Tasha richtig verstand, dann hatte der Richter sie angefasst – und dafür mit dem Leben bezahlt. Bei ihrem letzten Telefonat hatte Luke ihn zwar nicht einweihen wollen, aber Serge verfügte selbst über Informationsquellen in der PEC. Er hatte schnell herausgefunden, dass Luke für den Mord an Braddock in Gewahrsam genommen worden war. Jetzt wusste er auch, warum.

Nur überraschte es ihn, dass diese unfähigen Tölpel vom RAC es geschafft hatten, Lucius Dragos zu erwischen. Wahrscheinlich feierten sie jetzt gerade und hoben ein Glas auf ihren glorreichen Triumph.

Es war noch nicht vorbei. Was immer Luke als Finale geplant hatte, noch war es nicht so weit.

Aber Braddock war tot. Das war schon mal ein guter Anfang.

Er sah auf Tasha herab und konnte seinen Zorn nicht verbergen. «Was hat dieser Abschaum mit dir gemacht?»

«Soll ich es dir zeigen?», fragte sie und schmiegte sich an ihn. Ihr Leib tanzte träumerisch hin und her. «Ich verspreche auch, nur das mit dir zu teilen, was schön war. So schön. So zart und süß.» Dann verzerrte sich ihre Miene, sie schüttelte den Kopf und verzog das Gesicht. «Aber nicht den Teil, der wehgetan hat. Das ist der geheime Teil. Den teilt man nicht. Ich mag ihn nicht. Ich mag das Brennen nicht.Keinen Schmerz.» Bei diesem Geständnis verwandelte sie sich von der Verführerin zurück in das verängstigte Kind. «Bitte keine Schmerzen. Nicht noch einmal.» Sie krallte die Hände in sein Shirt und sah ihn aus wilden, schreckgeweiteten Augen an. Er hielt sie wimmernd in den Armen und verstand, was Luke getan hatte. Oh ja, er verstand sehr gut.

Es tat ihm nur leid, dass er nicht selbst dabei gewesen war, um ihm zu helfen.

«Tasha.» Er wünschte, er könnte die Angst in ihren Augen vertreiben. «Du bist in Sicherheit. Er kann dir nicht mehr wehtun.»

«Keine Schmerzen mehr …»

«Nein.»

«Nur noch Vergnügen …»

«Richtig.»

«Ich kann machen, dass es aufhört», flüsterte sie und ihre verträumte Stimme zog ihn in ihren Bann. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und hielt sich weiter an seinem Shirt fest. Zart berührte sie seine Lippen mit dem Mund. «Ich weiß Dinge. Dinge, die den Schmerz vergehen lassen. Die ihn in süße, süße Lust verwandeln.» Sie legte den Kopf in den Nacken und in ihren Augen spiegelte sich ihr ungezügeltes Verlangen. «Soll ich sie dir zeigen?»

«Tasha»,stieß er mühsam ihren Namen hervor, legte seine Hände über ihre und schubste sie von sich weg. «Nicht.»

«Was?» Sie kam wieder näher und ihr hauchzartes Kleid umspielte ihre Kurven, die er gerne berührt hätte.

Er spürte einen Kloß im Hals und versuchte zu schlucken. Er würdenichtmit dem Schützling seines Freundes schlafen. Nein, das würde er nicht. Das durfte er nicht.

Doch als sie näher kam – und sein Körper sich vor Begehren spannte und der Dämon in seinem Blut wütete –, begann er zu fürchten, dass er, egal, wie hartnäckig er dagegen ankämpfte, seinen Freund am Ende doch hintergehen würde.

Kapitel 4

«Sara!» Emily Tsungs Absätze klapperten auf dem glatten Marmorfußboden. «Warte eine Sekunde.»

Sara Constantine blieb vor Abteilung 103 des Strafjustizzentrums des Bezirks Los Angeles stehen und trat etwas zur Seite, um von den Menschenmassen, die aus dem Verhandlungssaal fluteten, nicht mitgerissen zu werden. Schließlich würde Richter Kelly in nur siebenundzwanzig Minuten die Anhörung über den Antrag zum Ausschluss von Beweismitteln wieder aufnehmen und die Leute mussten jetzt schnell sein, um einen guten Platz in der Kaffeewarteschlange in der Lobby zu ergattern.

Sara jedoch nicht. Sie war auf dem Weg in die Bibliothek. Der abgestandene Kaffee, den sie vor der Anhörung hinuntergewürgt hatte, müsste genügen.

«Los, los», drängte sie, als Emily näher kam. «Ich habe noch drei Fälle, die ich in der Bibliothek nachschlagen muss. Wenn du quatschen willst, dann musst du mir helfen.»

«Spar dir die Mühe.» Das kam von Dan Cummings, dem Anwalt des Angeklagten, der sie erst vor wenigen Minuten damit überrumpelt hatte, dass er in seinem Plädoyer das Urteil eines New Yorker Gerichtshofs angeführt hatte, von dem in den Akten nichts vermerkt war. Für diesen Fall war ein New Yorker Gericht zwar ziemlich unerheblich, aber die Information konnte die Entscheidung des Gerichts in diesem ähnlich gelagerten Fall dennoch beeinflussen.

«Netter Versuch, Dan», gab sie zurück, «aber ich habe immer dieses brennende Verlangen alle juristischen Feinheiten, die ich in meinen Fällen anführe, auch restlos zu verstehen.»

«Das meinte ich nicht.» Seine blauen Augen funkelten. Wäre der Mann kein Anwalt, er hätte auch in Hollywood problemlos ein Auskommen gefunden. Oder im Radio. Er hatte eine Stimme, die die meisten Mädchen zum Dahinschmelzen brachte.

Er klappte seine Aktentasche auf, zog drei Ausdrucke hervor und reichte sie ihr. «Ich möchte aufgrund meiner Fähigkeiten gewinnen und nicht, weil dir bei der Durchsicht von drei Dutzend New Yorker Fallakten, die zwar meine Argumentation stützen, sonst aber keine großartige rechtswissenschaftliche Bedeutung haben, die Augen rausgefallen sind. Hier geht es um Auslegungsargumente. Also, möge der bessere Mann gewinnen.»

Sie blätterte die Seiten kurz durch. Er hatte die Wahrheit gesagt. Dan oder eher sein Anwaltsgehilfe hatte für alle drei Fälle eine Liste erstellt, in der alles aufgeführt wurde, was jemals zu einem von ihnen geschrieben worden war oder wann sie als Quelle zitiert worden waren. Laut der Zusammenstellung stand keiner der Fälle in direktem Zusammenhang mit dem New Yorker Urteil, das Dan angeführt hatte, und auch in keinem direkten Bezug zu seinem Antrag.

«Danke», sagte sie. «Das ist anständig von dir.»

«Ich bin halt ein anständiger Kerl», erwiderte er grinsend. «Erinnere dich daran, wenn ich dich das nächste Mal zu einem Kaffee einlade.»

«Ich werd’s mir merken», antwortete sie mit ironischem Unterton. «Und jetzt entschuldige mich, ich muss mir überlegen, wie ich dir nach der Unterbrechung im Gerichtssaal die Hosen runterziehen kann.»

«Also, wenn du es so ausdrückst, dann habe ich eigentlich nichts dagegen.»

Jetzt musste auch sie grinsen. «In deinen Träumen.»

«Nebenbei: Gratulation. Die Stemmons-Verurteilung, die war ja ein Geniestreich. Ich hätte nie gedacht, dass es mal jemand schafft, den Dreckskerl hinter Gitter zu bringen.»

«Na Dan, und das von dir als Staatsanwalt.»

Er kicherte. «Verrate es keinem.» Er legte ihr sanft die Hand auf die Schulter. «Ernsthaft. Ich gratuliere.»

«Danke. Das bedeutet mir viel.» Sie machte den Mund auf und wollte weiterreden, hielt sich dann aber zurück. Mochte Dan auch noch so ein netter Kerl sein, sie war nicht geneigt, der Gegenseite in einem Gerichtsverfahren Informationen über ihre persönliche Vergangenheit zu offenbaren. Denn in Wahrheit war die Verurteilung von Xavier Stemmons ein weiterer Sieg im Namen ihres Vaters gewesen.

Der Mörder ihres Vaters mochte aufgrund eines Formfehlers freigekommen sein, aber Dank Sara saß nun wenigstens ein anderer Killer hinter Schloss und Riegel. Schließlich war sie nur deshalb Staatsanwältin geworden. Um das Gleichgewicht wieder herzustellen und Monster einzusperren.

Und um zumindest eine Art von Gerechtigkeit zu finden.

Nichts davon verriet sie Dan, aber nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, schien er trotzdem zu verstehen. «Der Bezirksstaatsanwalt kann froh sein, dass er dich hat», sagte er. «Das meine ich ernst.»

Sara schaffte es, ihm zu danken. Dann ging er. Emily stand neben ihr und lächelte versonnen. «Was denn?»

«Nicht nur hat er recht – ich meine damit, dass du einfach klasse bist –, sondern er ist auch ein echt heißer Typ, und wenn du ihn wolltest, könntest du ihn sicher haben.»

Sara zog den Träger ihrer Schultertasche zurecht und eilte durch die Vorhalle. Emily folgte ihr. «Ich glaube, Dan ist nicht ganz mein Typ.» In ihrem Kopf tauchte die Erinnerung an dunkles Haar, eine überraschend sexy Narbe und durchdringende, bernsteinfarbene Augen auf. Oh nein, Dan war tatsächlich nicht ihr Typ …

«Nein, wohl nicht.»

Emilys Tonfall brachte Sara zum Stehen. Sie starrte sie an. «Rede», forderte sie und nahm ihre Freundin ins Kreuzverhör. «Was glaubst du zu wissen?»

«Glauben? Meine Liebe, ich habe Augenzeugen.»

«Ach wirklich?»

«Also, nach dem, was ich gehört habe, ist dein Typ groß. Mindestens einsneunzig. Seehr sexy. Und er sieht in Jeans und einem gestärkten weißen Hemd unheimlich scharf aus.»

Sara leckte sich die Lippen.Scharfwurde ihm nicht ganz gerecht.

«Ein Punkt für mich», verkündete die mit allen Wassern gewaschene Emily. «Los. So weit bin ich allein gekommen. Jetzt erzähl mir den Rest.»

«Da gibt es nichts weiter zu erzählen», erwiderte Sara und machte ihr «Unschuldsengelchengesicht», wie ihre Mutter es immer genannt hatte.

«Unsinn. Meine Sekretärin hat dich mit ihm den Broadway entlanglaufen sehen. Na ja, eigentlich hast du eher auf ihm gehangen. Ja, ich glaube, so hat sie es ausgedrückt. Ach, und liegt deine Wohnung nicht zufällig auch am Broadway?»

«Einspruch, Euer Ehren. Das sind nur Indizienbeweise.»

«Ich bin deine beste Freundin», protestierte Emily. «Und ich hatte seit vier Monaten keinen Mann mehr in meinem Bett. Sei lieb und verrate mir die schmutzigen Details.»

«Vielleicht eines Tages, wenn du mich vorher ausreichend betrunken machst. Aber schon meine Mutter hat mir beigebracht, dass eine Dame küsst und schweigt.»

«Es wurde also geküsst? Was noch?»

Sara wedelte mit den Papieren. «Hilfst du mir jetzt, oder nicht?»

«Geht nicht, ich habe eine Anhörung in Van Nuys. Darum darf ich mich in den Verkehr auf der 101 stürzen. Das wird ein Spaß.»

Sie deutete auf die Unterlagen. «Egal, wie süß Dan ist, du versohlst ihm doch den Hintern, oder?»

«Aber klar.»

«Und das mit dem geheimnisvollen Mann haben wir auch noch nicht abschließend geklärt.»

«Das habe ich mir schon gedacht.»

Sara sah Emily nach, wie sie durch die Halle verschwand, und setzte sich dann mit Dans Ausdrucken auf eine Bank. Ihr blieben weniger als zwanzig Minuten, um sie durchzulesen, ein Gegenargument zu finden und sich zu überlegen, wie sie es am besten vorbringen könnte. Mehr als genug Zeit. Sie konnte unter Druck gut denken. Schon immer. Sie erfasste juristische Sachverhalte leicht und die praktische Arbeit als Anwältin wie auch das theoretische Analysieren von Gesetzestexten machte ihr Spaß.

Also, warum konnte sie sich dann jetzt, wo ihr nur noch Minuten blieben, ehe sie in den Gerichtssaal zurückkehren musste, nicht mal auf drei simple Fälle konzentrieren?

Luke.

Oh Mann. Natürlich, er war der Grund für ihre Unkonzentriertheit. Seinetwegen war sie gestern den ganzen Tag wie auf Wolken geschwebt. Ihre Kollegen im Büro hatten natürlich vermutet, dass ihre fantastische Stimmung vom Sieg im Stemmons-Fall herrührte. Nur Sara kannte die Wahrheit – dass ihre Gedanken um Sex gekreist waren und nicht darum, dass ein Serienkiller endlich hinter Schloss und Riegel saß. Ein süßer Triumph, ja. Aber nicht so süß wie Lukes Lippen auf ihren Brüsten.

Aber ein Tag Verzückung musste reichen, und so hatte sie den ganzen Morgen damit verbracht, den Mann gezielt aus ihrem Kopf zu verbannen, damit sie sich auf die Anhörung konzentrieren konnte. Aber offenbar war es mit ihrer Selbstbeherrschung nicht weit her, denn ein Wort von Emily hatte genügt, damit jeder wunderschöne, leidenschaftliche, erotische Moment wieder wie in einem IMAX-Kino vor ihrem inneren Auge ablief.

Wie er sie in der Bar an sich gezogen hatte. Sie schauderte und die getippten Worte auf dem Papier vor ihr verschwammen vor ihren Augen. Eben war er noch neben ihr gewesen und hatte an seinem Scotch genippt. Und im nächsten Augenblick schmeckte sie schon den Glenfiddich an seinen Lippen.

Ganz kurz war sie schockiert gewesen und ihr Verstand hatte ihr lauthals befohlen, sich von dem Bastard loszureißen und seine Wange mit ihrer Handfläche Bekanntschaft machen zu lassen. Aber gleich darauf waren alle Gedanken an Vergeltung von verzweifeltem, glühendem Verlangen weggewaschen worden.Sie wollte ihn. Sie hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Sie kannte ihn nicht. Aber, verdammt noch mal, sie musste ihn haben. Hier und jetzt.

Die Gewalt ihres Begehrens verwirrte sie in gleichem Maße, wie es sie erregte. Sie schob es auf den Alkohol und ihren Triumph­ vor Gericht. Eine starke Mischung. Sie hatte schließlich gerade ihren ersten wichtigen Strafprozess gewonnen. Monatelang hatte es in ihrem Leben nur Gesetze und Beweismittel gegeben und sie hatte sich in Blut und Grauen und dem verwirrten Gehirn eines Wahnsinnigen vergraben. Eines Teufels. Der Art Mann, die sie schon seit ihrem achten Lebensjahr hinter Gitter bringen wollte. Nein, nicht nur wollte.Musste.

War es da verwerflich, dass sie, wo nun endlich alles vorbei war, ihren Triumph anständig feiern wollte? Dass sie etwas von der Anspannung loswerden wollte, die sich während der langen, verlorenen Nächte aufgebaut hatte, die sie mit Akten und den furchtbaren, herzzerreißenden Beweisstücken zugebracht hatte?

Dass sie sich Leidenschaft und Genuss hingeben wollte?

Und das hatte sie. Liebe Güte, das hatte sie wirklich.

Sie hatten die Bar verlassen, bevor sie noch Aufmerksamkeit erregen konnten, und waren Arm in Arm nach draußen auf den Gehsteig gestolpert. Sie hatte ihn zu ihrer Wohnung mitgenommen, nicht nur weil sie in der Nähe lag, sondern auch weil es dort einen Portier gab – und Überwachungskameras. Sie hatte Lust auf ihn, oh ja, aber sie war nicht dumm. Sie wollte, dass er begriff, dass man sie hier kannte und man sich an ihn erinnern würde.

Und sie wollte sich zumindest der Illusion hingeben, dass sie die Situation wenigstens ein winziges Bisschen kontrollierte. Denn in Wahrheit war ihr, als seine Lippen ihren Mund berührt hatten und ihr Körper auf eine Art reagiert hatte, wie sie es noch nie zuvor erlebt hatte, jegliche Kontrolle abhandengekommen.

Sie war in Sachen Sex nicht gerade unbedarft, aber in letzter Zeit war er zu oft statt ein betörendes, prickelndes Erlebnis zu sein in gymnastische Übungen ausgeartet. Mit Luke war das anders. Ihr Körper hatte unter seinen Berührungen geradezu zu glühen begonnen und sie wollte mehr. Viel mehr.

Und das bekam sie von ihm.

Sie stolperten zusammen zu ihrer Wohnung, befummelten sich, streichelten sich, küssten sich. Zwischen ihnen brannte eine Hitze, die Sara bald zum Schmelzen bringen würde, und dass sie ihn nicht bereits auf dem Weg in ihre Behausung gegen ein Auto schleuderte und von ihm verlangte, sie auf der Stelle zu nehmen, war ein Beweis für ihre großartige Selbstbeherrschung.

Im Aufzug war es damit allerdings vorbei.

Er drückte sie an sich und seine Erektion presste sich in all ihrer Pracht an ihren Körper und ließ keinen Zweifel daran, dass er sie genauso sehr wollte wie sie ihn. Sein ungeduldiges Knurren ging ihr durch Mark und Bein und kribbelte zwischen ihren Beinen. Sie war feucht, so feucht, und, Überwachungs­kameras hin oder her, sie konnte nicht mehr warten, sie musste seine Hände spüren.

Sie nahm seine Hand, führte sie ihren Schenkel hinauf, schlug dabei den Rock hoch, und legte sie auf ihr Satin­höschen.