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Da ist Blut dran, behauptet Oma Hedwig und fuchtelt mit einer Salami vor Kommissar Tammo Poppingas Nase. Eine Salami als Tatwaffe, für Tammo unvorstellbar. Erst als die Leiche eines Biobauern entdeckt wird, kommen dem Kommissar Zweifel. Da ist die Tatwaffe aber schon von Oma Hedwigs Dackel gefressen worden. Zu allem Überfluss bekommt Tammo wieder die Hauptkommissarin Swantje Bilger aus Oldenburg zur Seite gestellt. Dorf trifft Großstadt! Unterschiedlicher können die Untersuchungen des Mordes kaum sein. Und doch – bald wird klar, es scheint um den Bau eines Bioschlachthofes in Varel zu gehen. Da wird das nächste Opfer wieder mit einer Salami erschlagen. Wer erschlägt mit vermutlich südländischer Salami im norddeutschen Mettwurstland Menschen? Ist der Bioschlachthof der Grund für den Salamimörder blutige Spuren zu hinterlassen? Tammo und Swantje setzen sich auf die fettige Spur.
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Seitenzahl: 259
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Die Handlung und die handelnden Personen sind frei erfunden.Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen ist zufällig.
1. Tag
Montag, 4. Juni
»Da ist Blut dran!« Oma Hedwig stand vor Kommissar Tammo Poppinga und fuchtelte mit einer Salami vor seinem Gesicht. »Hier, die dunklen Flecken. Das ist Blut!«
»Warum soll das Blut sein?«
»So ’ne Wurst hat immer Blut!«, beharrte Oma Hedwig.
»Na bitte!«
»Aber nicht an der Pelle! An der Pelle hat Blut nix verloren!«
Tammo sah kurz auf die dunklen Flecken, aber seine Gedanken waren längst woanders. Schon wieder, dachte er. Oma Hedwig kam nun schon seit vier Monaten regelmäßig in die Wache, um Anzeige zu erstatten. Parksünder, vermeintliche Hühnerdiebe, sogar Schutzgeldzahlungen eines Kioskbesitzers wollte sie beobachtet haben. Ihr Potpourri wurde immer größer und auch waghalsiger. Die Kollegen in der Vareler Wache hatten des lieben Friedens willen immer brav eine Anzeige gegen Unbekannt aufgenommen und damit eine zufriedene Oma Hedwig wieder heim geschickt. Blut an einer Salami war kein wirklicher Tatbestand und würde eine Anzeige gegen Unbekannt schwierig gestalten.
»Vielleicht hatte der Schlachter Blut an den Händen. Kommt ja bei Schlachtern öfter vor«, versuchte Tammo den Fall zu relativieren.
»An der Pelle hat Blut nix zu suchen – auch nicht beim Schlachter!«, beharrte Oma Hedwig. »Blut an einer Salamihaut ist einfach nur ekelig! Da kenn ich mich aus!«
»Kann man das Blut nicht einfach wegwischen oder abwaschen?«
Oma Hedwig fuchtelte mit der Wurst noch bedrohlicher. Die Salami schien hart wie ein Knüppel. »Kommt gar nicht in Frage! Blut an einer Salami – wo kommen wir denn da hin? Außerdem: Sie wollen mich anstiften, Spuren eines Verbrechens zu beseitigen?«
»Was denn für ein Verbrechen?«
»Wo Blut ist, hat es ein Verbrechen gegeben.«
Tammo verdrehte die Augen. Typisch Oma Hedwig. In Windeseile schuf sie aus einem Regenwurm einen feuerspeienden Lindwurm. Tammo gab noch nicht auf.
»Damit wäre jedes tote Schwein ein Verbrechen.«
Oma Hedwig dachte einen Moment nach, dann hatte sie ihre Spur wieder. Ihre Nase, die gerade über den Tresen der Wache ragte, wurde noch spitzer. »Da sind doch Keime dran. In Blut sind Keime. Millionen!«
»Die Wurst ist doch geräuchert worden. Vielleicht sind die Keime jetzt alle futsch.«
Oma Hedwig rückte ihren grauen Filzhut zurecht, was das Wurstfuchteln kurzfristig unterbrach. »Das Blut ist nicht geräuchert.« Sie hielt die Salami dicht an ihre Nase. »So was riech ich! Das ist frisches, geronnenes Blut und so was ist Schweinkram.«
Das Telefon auf Tammos Schreibtisch klingelte. »Einen Moment!«, sagte er zu Oma Hedwig und sah sich um, ob nicht einer seiner Kollegen den Fall übernehmen konnte. Die grinsten ihn nur an. Er hatte keine Chance.
»Poppinga!«, meldete er sich und ließ Oma Hedwig nicht aus den Augen. Es war sein Kollege Onno, der gerade auf Streife war.
»Diesmal ist wieder eine Stute geklaut worden.«
»Wo?«
»Auf dem Hof von Dölling, Ausfahrt Rallenbüschen.«
»Ich komme.«
Tammo ging auf Oma Hedwig zu. »Ich muss weg. Lass die Salami einfach hier. Wir werden dann sehen, was wir damit machen können.«
Oma Hedwig war entsetzt. Sie sah Tammo feindselig an. »Meine Salami hier lassen?«, empörte sie sich weiter und umklammerte ihre Salami wie eine kostbare Beute. Dann hatte sie sich wieder gefangen. »Ihr fresst die doch nur auf!«
»Wo hast du die Wurst eigentlich gekauft?« Tammo war schon an der Tür.
Oma Hedwig verstaute wutschnaubend die Salami in ihrer Tasche und schob sich an Tammo vorbei. »Ihr seid doch alle doof!«
14 Minuten später war Tammo auf dem Hof von Ulf Dölling. In den letzten vier Monaten waren insgesamt 17 Pferde von den Höfen in der Region gestohlen worden. Ausschließlich Zuchtstuten. Bis jetzt gab es keine Spur, aber jede Menge Mutmaßungen. Kollege Onno Wilms stand mit Ulf Dölling auf dem Hof. Beide schienen nicht recht zu wissen, was sie machen sollten.
»Das waren doch wieder die Polen«, begann Ulf Dölling und steckte dabei seine Hände in den Overall.
»Welche Polen?«, fragte Tammo.
»Na die Polen. Wissen doch alle.« Es war heiß. Auf der Glatze von Ulf Dölling glitzerten dicke Schweißperlen. Tammo kannte Ulf Dölling, aber heute sah er ihn zum ersten Mal ohne das gewohnte Käppi von John Deere.
»Wann hast du die Stute zum letzten Mal gesehen?« Tammo hatte die beiden Männer erreicht.
»Gestern. Gestern Abend! Ich hab sie in den Stall gebracht.«
»Und wann hast du bemerkt, dass sie weg war?«
»Vorhin!«
»Was heißt vorhin?«
»Na, so vor einer Stunde.«
Tammo sah automatisch auf seine Uhr. Sie war immer noch kaputt und das seit gut vier Wochen. Also schaute er zur Sonne. Es musste so gegen 11 Uhr sein – mehr oder weniger.
»Ziemlich spät – oder?«
»Ich renn doch nicht den ganzen Tag um meine Stute herum.« Ulf Dölling war beleidigt. Tammo sah sich um. Vom Wohnhaus aus war der Stall nicht einsehbar und gut 100 Meter entfernt. Hinter dem Stall gab es einen gepflasterten Feldweg. Das wusste er.
»Hast du nichts gehört?«
»Was soll ich denn gehört haben?«
»Eine Stute transportiert man doch nicht mit einer Schubkarre vom Hof.«
»Ich hab nichts gehört!«
Tammo ging in Richtung Stall. Kollege Onno Wilms folgte ihm.
»Die Videoüberwachung in der Wache ist einfacher, auch wenn ich sie nicht mag.« Onno saß sonst in der Wache und überwachte per Video die Straßen. Als alter Sozialdemokrat hielt er seine Arbeit für einen Schritt in den Überwachungsstaat. Dementsprechend gelaunt war er meistens. Heute sah es anders aus.
»17 Pferde sind geklaut worden und wir haben nicht einmal den Schimmer einer Spur. Ist doch peinlich!«
»Hast du gestern Abend auf den Videos noch etwas entdeckt?«, fragte Tammo, während er zum Feldweg ging.
»Nichts! Die kennen sich genau aus.«
»Es kann doch nicht sein, dass laufend Pferde verschwinden, ohne dass es jemand bemerkt hat.« Tammo sah über die Weiden und Felder. Gut 200 Meter weiter lag ein kleines Wäldchen. »Sie haben die Stute bis ans Wäldchen geführt und dann erst verladen«, mutmaßte er. Ulf Dölling schlurfte jetzt auch auf die beiden Polizisten zu. Seine Glatze färbte sich gefährlich rot.
»Was war denn deine Stute wert?«, wollte Tammo wissen.
»So um die 12.000 €.«
»Versichert?«
»Klar!«
»Du solltest dein Käppi aufsetzen.«
Ulf Dölling strich über seine Glatze und nickte.
»Ich schätze Kleintransporter.« Onno gähnte.
»Kleintransporter?«
»Kleintransporter. Fällt kaum auf. Ein Viehanhänger fällt eher auf.«
»Wer klaut denn Pferde?« Tammo dachte an den wilden Westen, bekam ihn aber nicht nach Friesland.
»Für die Wurst?«, fiel Onno ein.
Tammo schüttelte den Kopf. »Das waren alles ausgesuchte Zuchtpferde. Da steckt was anderes dahinter.«
»Ich brauch was Schriftliches von euch für die Versicherung!« Ulf Dölling hatte sein Taschentuch an den vier Ecken verknotet und über seine Glatze gezogen.
»Wie alt war die Stute?«, fragte Tammo.
»Elf Jahre!«
»Im Moment können wir hier nichts mehr machen!«Onno und er verließen den Hof. Tammo fuhr mit seinemWagen nach Dangast. Er stellte ihn am Hafen ab undging Richtung Deich. Frische Luft und ein klarer Blick erschienenihm jetzt genau das Richtige. 17 Pferde von neun Höfenwaren gestohlen worden. Vor vier Monaten verschwanden in einer Nachtgleich sieben Pferde von drei Höfen. Dann gab es einePause von fast zwei Monaten. Die Diebe waren mit Bedachtvorgegangen. Es schien, dass sie immer die Pferde von denHöfen weggeführt hatten, bevor sie sie verluden. Es gab nichteinmal Wagenspuren in der weiteren Umgebung. Der Schaden belief sichmittlerweile auf über 200.000 Euro und der öffentliche Druck nahmzu. Tammo setzte sich auf eine Bank auf dem Deich.Der Jadebusen füllte sich gerade mit Wasser. Die in derSonne flirrenden Schlickbänke wurden umspült und schnell vom Wasser inBesitz genommen. Am Strand unterhalb des alten Kurhauses spielten Kinder.Jetzt spürte auch Tammo, wie die Sonne auf seinem blondenHaar brannte. Wilhelm Büsing fiel ihm ein. Wilhelm Büsing warüber 70 Jahre alt und der Vorsitzende der friesischen Pferdezüchter.
Knack, und der Absatz war ab. Swantje Bilger, Hauptkommissarin aus Oldenburg, war auf Shoppingtour. Nur mit Mühe konnte sie das Gleichgewicht und die Plastiktüten halten. 280 Euro hatte sie für die Pumps bezahlt und jetzt hielt der blöde Absatz nicht einmal 14 Tage. Sie hatte sich ein Wochenende in Paris gegönnt und sich dort die Schuhe gekauft. Reklamation also zwecklos. Sie verstaute den Absatz in einer der Plastiktüten und versuchte möglichst nicht zu humpeln. Es sah trotzdem irgendwie seltsam aus, wie sie im Spiegelbild in den Schaufensterscheiben sehen konnte. Gab es noch einen Schuster in der Innenstadt? Ihr Handy klingelte. Onkel Heini aus Dangast rief an. Swantje stellte die Plastiktüten zu ihren Füßen ab.
»Jagst du gerade Mörder oder kannst du mich besuchen?«
Hatte sie ihm erzählt, dass sie Urlaub hat? Jede Woche telefonierten sie miteinander, sie wusste aber nicht mehr, was sie ihm beim letzten Telefonat erzählt hatte.
»Ich habe Urlaub!«
»Fein, dann kannst du mich ja besuchen!«
Die Idee fand Swantje gar nicht so schlecht. Nach dem Einkaufschaos könnte sie etwas Landruhe ganz gut vertragen. Außerdem genoss sie die Stunden mit Onkel Heini. Ein Hund kam schnüffelnd auf ihre Plastiktüten zu. Bloß nicht, dachte sie. »Husch, husch!«, rief sie.
»Wie soll ich denn das verstehen?«, fragte Onkel Heini verwirrt.
»Ein Hund will meinen Einkauf vollpinkeln!«
»Ich glaube, etwas Ruhe tut dir gut.«
Der Hund knurrte Swantje an. Sie knurrte zurück.
»Was macht man mit einem geklauten Pferd?« Tammo saß mit einer Tasse Tee in Wilhelm Büsings Wohnzimmer. Pferdebilder zierten die Wände.
»Man verkauft es weiter.« Wilhelm Büsing hatte sich ein Gläschen Korn eingegossen.
»Ich denke, es gibt Pferdepässe.«
»Och je!«
»Die bringen nichts?«
Wilhelm Büsing starrte in sein Glas und zuckte mit den Achseln. »Wer dran glaubt!«
»Wo und wie bekomme ich die Pferde verkauft?«
»Genauso, wie du ein geklautes Auto verkaufst. Du brauchst neue Papiere, was bei Pferden nicht so schwierig ist, und möglichst schon Käufer, damit du die Tiere nicht lange zwischenlagern musst.«
»Wo sitzen die Kunden?«
»Überall. Deutsche Pferde sind gefragt.«
Tammo war noch nicht zufrieden. »Mal angenommen, jemand kauft ein geklautes Pferd. Das Pferd macht dann irgendwann Karriere im Sport. Der alte Besitzer erkennt doch dann sein Pferd sofort wieder.«
Wilhelm lächelte. »Die Wahrscheinlichkeit ist relativ gering, wenn das Pferd nicht gerade hier in der Region verkauft wurde. Andererseits würde jeder ehemalige Besitzer überlegen, ob er seine Entdeckung anzeigen würde.«
»Versteh ich nicht.«
»Wenn das Pferd gut versichert war! Ich würde mir das genau überlegen. Bringt wahrscheinlich mit der Versicherung, mit der Polizei und weiß der Teufel noch mit wem jede Menge Ärger. Die Versicherungsprämie hast du doch schon in der Tasche. Was willst du mehr?« Wilhelm goss sich noch ein Glas Korn ein. »Und außerdem – es sind Zuchtstuten, die geklaut wurden. Die machen im Sport keine Karriere mehr.«
»Um die richtigen Pferde zu finden, braucht man doch jemanden, der sich hier auskennt.«
»Nicht unbedingt. Die Pferde stehen im Sommer auf der Weide. Wenn du dich als Tourist verkleidest, fällst du nicht auf und kannst dir in aller Ruhe die Tiere aussuchen.«
»Wieso verkleidest?«
»Touristen verkleiden sich immer, damit man sie erkennt. Da musst du mal drauf achten. Die sehen immer bunt aus. Der Freizeitmensch ist an sich geschmacklos.«
Tammos Handy klingelte. Es war Onno, der mittlerweile wieder auf der Wache war.
»Wir haben gerade Oma Hedwig verhaftet.«
»Ich komme!«
Oma Hedwig saß niedergeschlagen auf der Holzbank in der Wache. Neben ihr Gudrun Gross, die Metzgersfrau aus Langendamm. Tammo kam in die Wache und sah zuerst das ungleiche Paar, dann zu Onno.
»Was ist denn passiert?«
Onno grinste Tammo an. »Oma Hedwig wollte die Salami umtauschen!«
»Deshalb muss man sie doch nicht verhaften.«
»Im Prinzip hast du recht.«
Gudrum Gross stand auf. Sie war mindestens 1.75 Meter groß und geballte Weiblichkeit. Ihre braunen Augen lagen auf hohen Wangenknochen. Ihr Gesicht eben mit einer hohen, geraden Stirn. Die blonden Haare trug sie jetzt offen. Fast bedrohlich baute sie sich vor Tammo auf.
»Dass Oma Hedwig einmal pro Woche bei mir eine Salami klaut, geht ja noch in Ordnung. Dass sie die geklaute Wurst dann auch noch umtauschen will, geht eindeutig zu weit.«
»Wer sagt denn, dass ich die Wurst klaue?«, kreischte jetzt Oma Hedwig los und sprang auch auf. Sie kam in Fahrt.
»Das ist keine Salami, das ist eine Blutwurst! Eine Wurst des Verbrechens.«
»Bisher hat dir meine Salami immer geschmeckt!« Frau Gross schob ihren mächtigen Busen nach vorne. Er drohte Oma Hedwig zu erdrücken. »Wenn ich dich noch einmal beim Klauen erwische, häng ich dich ins Kühlhaus!«
Tammo zweifelte nicht an ihren Worten. »Ihr setzt euch beide wieder hin, dann nehmen wir ein Protokoll auf.« Tammo nahm hinter seinen Schreibtisch Platz. Er stützte seine Hände auf die Tischplatte, um Autorität zu signalisieren. »Bitte der Reihe nach.«
»Ich habe die Salami nicht geklaut! Ich, ich, wie soll ich sagen. Ich habe eine Kostprobe mit nach Hause genommen.« Oma Hedwig sah Tammo an, um abzuschätzen, ob er ihr glaubte.
»Kostprobe?« Gudrun Gross lachte auf. »Die klaut! Das ist feinste Biosalami, 500 Gramm und über ein halbes Jahr luftgetrocknet! Von wegen Kostprobe!«
»Mit Blut dran! Schweinkram!«
»Wo ist die Wurst jetzt?« Tammo war der Verzweiflung nahe.
Onno hielt das knüppelharte Beweisstück hoch.
»Und du, Gudrun, willst jetzt Oma Hedwig anzeigen?« Tammo schaltete seinen Computer an.
Es entstand eine Pause. Die beiden Frauen starrten sich gegenseitig an. Hühnerkampf oder Friedenspfeife? Gudrun Gross sackte etwas in sich zusammen. Ihre Blicke suchten einen festen Punkt, fanden aber keinen.
»Eigentlich nicht.«
»Und was heißt das?« Tammo verstand nicht.
»Oma Hedwig ist ja irgendwie eine alte Kundin …«
»Ich hab schon bei deinem Opa eingekauft. Da hast du noch in die Windeln geschissen!«, mischte sich Oma Hedwig ein.
»Sie klaut ja nicht nur, sie kauft ja auch. Mir reicht eine Verwarnung!«
»Und die Wurst?« Oma Hedwig blieb standhaft.
»Steck dir die Salami an den Hut! Beim nächsten Mal gibt es eine Anzeige!« Gudrun Gross sah die alte Frau an. Sie lächelte müde.
Oma Hedwig bekam wieder Oberhand. Sie drehte sich jetzt ganz zu Gudrun Gross um. Ihre Stimme wurde leise. »Du als Fachkraft, als Wurstfachverkäuferin …«
»Schlachtermeisterin bitte!«
»… was meinst du. Kann ich das Blut einfach wegwischen oder stecken da Keime drin?«
»Zieh doch die Pelle ab.«
»Kann ich machen. Ich frage mich nur …«, Oma Hedwig stand auf. Gudrun Gross auch. Sie gingen Richtung Tür. »Ich frage mich nur, ob das Blut nicht durch die Pelle gesickert ist und die Salami jetzt von innen verseucht.«
»So was hab ich noch nie erlebt. Ich glaube nicht, dass Blut durch die Pelle sickern kann. Sonst wäre …«
SiehattendieWacheverlassen.Tammoreichteesfürheute.EswarZeit,Feierabendzumachen.ImDorfkruginDangasthielteran.EinBiersollteihnentspannen.GunnarKlöver,derGerichtsmediziner,saßmitSchorsch,dempensioniertenLehrerundgefragtenSchwarzarbeiter,vorderTheke.GiselastandmitRalf,demGastwirt,amZapfhahn.
»Was macht der internationale Pferdehandel?«, wollte Gunnar wissen.
»Werden eigentlich auch Bienen geklaut?« Tammo setzte sich und hatte damit ein Thema angeschnitten, von dem er eigentlich nichts wissen wollte. Gunnar, der Hobbyimker, wurde grundsätzlich.
»Jede Menge. Mir sind allein aus der Küstenregion mindestens 20 Fälle bekannt, wo hervorragende Stämme geklaut wurden. Vorzugsweise im Frühjahr. Du verstehst – im Frühjahr.«
Schorsch ging pinkeln. Gunnar ließ sich nicht bremsen.
»Im Frühjahr. Die Saison beginnt und schwups sind die Stöcke geklaut. Der Verlust geht in die Tausende – vom ideellen Wert rede ich ja gar nicht!« Tat er aber trotzdem. »Kannst du dir vorstellen, was ein Bienenstock für einen Imker bedeutet? Da steckt jahrelange Arbeit – und Liebe drin.«
Die Tür zum Dorfkrug ging auf. Tammo wollte gerade den ersten Schluck Bier trinken, als er sah, was er nicht sehen wollte: Seine Kollegin Swantje kam in Begleitung von Onkel Heini herein.
»Onkel Heini wollte unbedingt hier her!«, entschuldigte sie sich. Tammo trank sein Bier in einem Zug. Onkel Heini zog den Barhocker neben Tammo hervor und deutete Swantje an sich zu setzen.
»Gib mal eine Runde!«, forderte er Gisela auf. Schorsch kam von der Toilette zurück und sah Onkel Heini und Swantje. Vergnügt lächelte er.
»Na, Tammo. Neue, spannende Fälle in der friesischen Weite?«, fragte Swantje.
»Nee!«
»Kann man so nicht sagen«, begann Gunnar, »es werden laufend Pferde geklaut. Ein ganz schwieriger Fall.«
»Und überhaupt keine Spur!«, ergänzte Schorsch.
»Wer klaut denn Pferde? Gerade jetzt!« Onkel Heini sah Tammo erwartungsvoll an.
»Das wüsste ich auch gerne!« Tammo überlegte, ob er nicht besser gehen sollte. Gisela stellte das nächste Bier vor Tammo.
»Die Preise für Pferde sind doch völlig im Keller«, Onkel Heini ließ nicht locker.
»Wieso im Keller?«, fragte Tammo genervt.
»Wirtschaftskrise. Viel Pferd, wenig Nachfrage. Ein Züchter kann froh sein, wenn er die Kosten herausbekommt.«
»Bei den Bienen sieht es ähnlich aus«, wusste Gunnar zu berichten.
»Nicht schon wieder Bienen!«, unterbrach ihn Tammo barsch. »Und die Gäule interessieren mich heute Abend auch nicht mehr.«
»Wenn ich dir irgendwie helfen kann …« Swantje sah Tammo mit großen, blauen Augen an.
Er sprang auf. »Ich brauch keine Hilfe!«, brüllte er. »Ich brauch meine Ruhe! Keine Pferde, keine Blutwürste! Nur meine RUHE!« Alle starrten Tammo verständnislos an. Gunnar löste sich zuerst aus der Starre.
»Was denn für eine Blutwurst? Sollte ich da nicht einmal draufschauen?«
Swantje war am frühen Nachmittag in Oldenburg aufgebrochen. Bevor sie nach Dangast fuhr, ging sie noch einmal ins Präsidium. Es war kaum zu glauben, aber sie hatte alle Fälle abgearbeitet und die aktuellen an zwei Kollegen übergeben. Der Urlaub konnte beginnen. Vor vier Wochen war sie noch überzeugt, dass sie nach Italien, in die Toskana fahren wolle. Als sie im Reisebüro stand, rief Staatsanwalt Henning Papstein an. Er teilte ihr mit, dass ihr Ex-Freund zur Fahndung ausgeschrieben sei. Damit war die Toskana passé und die Vergangenheit unangenehme Gegenwart. Vier Verhöre musste Swantje über sich ergehen lassen. Zuhause kramte sie alles hervor, was sie an diese Liaison erinnerte. Natürlich gab es Spuren, Indizien und Hinweise, dass ihr Ex ein Anlagebetrüger war. Natürlich war ihr schon damals, als sie mit ihm zusammen war, aufgefallen, dass da so einiges nicht zusammenpasste. Und natürlich hatte die rosarote Brille der Liebe so dicke Gläser, dass jede Realität hormonell überdeckt wurde.
Nach zwei Wochen fand man ihn in einer Szenekneipe in Stuttgart. Bei seiner Verhaftung bat er darum, Püppi, so nannte er Swantje, sprechen zu dürfen. Püppi weigerte sich. Sie betrieb Spurenbeseitigung in ihrer Wohnung. Den Ausflug nach Paris sah sie als innere Hygienetour.
Onkel Heini sah mit seinen 74 Jahren gut aus. Dass er damals, als sie mit Tammo in dem Fall »Friesenmafia« ermittelte, im Krankenhaus lag, sah man ihm nicht mehr an. Swantje bezog ihr Zimmer im ersten Stock, wo sie schon als Kind untergebracht wurde. Der Raum roch noch immer wie damals. Swantje streichelte mit der Hand über das hölzerne Bettgestell. Sie hörte die Tiere im Stall, als sie an das Fenster trat.
»Wie geht es Xanthippe, deiner Kampfsau?«, rief sie über den Flur.
»Die ferkelt bald wieder. Hatte ich dir eigentlich erzählt, dass ihr Großvater ein Wildschweineber war? Das erklärt auch ihr Temperament.«
Einen Polizeiwagen hatte Xanthippe damals auseinandergenommen. Swantje lächelte.
»Wir gehen gleich in den Dorfkrug!«, rief Onkel Heini von unten.
»Och nö!«
»Och doch!«
2.Tag
Dienstag, 5. Juni
Hatte da nicht ein Pferd gewiehert? Tammo schlug die Augen auf. Es war stockdunkel. Drei Minuten später stand er angezogen vor seinem Dienstwagen. Er schaute auf seine Uhr. Sie war noch immer kaputt. Er horchte in die Nacht. Hatte da wirklich ein Pferd gewiehert? Was bedeutete ein wieherndes Pferd in der Nacht? Warum wiehert ein Pferd in der Nacht? Während Tammo in seinen Wagen stieg, überlegte er, wo das nächste Pferd in seiner Nachbarschaft stand. Ortsausgang Dangast, fiel ihm ein. Geschätzte 400 Meter entfernt. Er ließ die Seitenscheibe hinunter und hielt den Finger in den Wind. Der kam von Südwest. Damit war es theoretisch möglich, dass ein Pferdegewieher in seinem Haus zu hören war – glaubte er jedenfalls und fuhr los. Die Dorfbeleuchtung war erloschen. Tammo sah auf die Uhr in seinem Armaturenbrett. Es war kurz nach drei. Langsam fuhr er zum Dorfausgang. Immer wieder lauschte er. Außer dem leichten Wind in den Bäumen war nichts zu hören. Er bog hinter dem Nationalparkhaus links ab. Tammo hielt an. Er stellte den Motor ab. Jetzt war es deutlicher. Irgendwo wieherte ein Pferd. Sehr weit weg konnte es nicht sein. Vorsichtshalber ließ er den Wagen stehen. Seine Augen hatten sich schnell an das spärliche Mondlicht gewöhnt. Immer wieder blieb er stehen und lauschte. Pferdegewieher und dann das Muhen einiger Kühe. Hatten die Ganoven ihren Betriebszweig erweitert? Als er die Lichtkegel eines Autos, eines LKW vermutete er, sah, begann er zu schleichen. Tammo hielt sich für einen guten, wenn nicht sogar professionellen Schleicher. Als Kind hatte er Winnetou gespielt und das Schleichen für eine indianische Tugend gehalten. Über Jahre schlich er durch ganz Dangast. Das Stallgebäude war weitläufig von einer Hecke umgeben, die das Licht des Autos immer wieder brach. Tammo wurde noch vorsichtiger. An der Hecke kniete er nieder und schob einige Zweige beiseite. Ein LKW stand am Stall. Was hinter dem Wagen geschah, konnte er nicht ausmachen. Langsam kroch er weiter. Es war wie ein Stromschlag, so zuckte sein Körper zusammen.
»Was machst du denn hier?« Keine zwei Meter entfernt saß Swantje in der Hecke. Von der gestylten Großstadtfrau war nichts zu erkennen. Wild standen die Haare von Swantjes Kopf ab. Sie trug eine Jeans und ein T-Shirt. Tammos Kreislauf hing im Wortsinn in seinen Knien. Der Schreck ließ ihn noch immer zittern.
»Was machst du hier?«, echote Tammo.
»Onkel Heini hat ein Pferd gehört! Ich bin dann gleich raus – wegen der Pferdediebe!«
»Das ist mein Fall! UND DAS DA IST MEIN PFERD!«, zischte Tammo wütend.
»Wenn das dein Pferd ist, warum hocken wir dann hier im nassen Gras? Du kannst doch ganz einfach hingehen und fragen, was sie mit deinem Pferd dort veranstalten.«
»Warum soll ich denn plötzlich ein Pferd haben?«
»Weil du ›mein Pferd‹ gesagt hast!«
»Es ist mein Fall. Und es bleibt mein Fall!«
»Ohne jede Spur bisher!«
»Mach dass du weg kommst!«
»Ich kann dir helfen!«
»Ich brauche deine Hilfe nicht. Viehdiebe fange ich alleine.«
Tammo griff an seine Hüfte, wo im Allgemeinen seine Pistole hing. Sie war nicht da. Konnte sie auch nicht, weil sie in seiner Schreibtischschublade in der Wache lag.
»Willst du sie jetzt verhaften?«, fragte Swantje mit ironischem Unterton. »Du kannst ihnen ja mit einem Stock drohen.«
»Hast du deine Pistole dabei?«
»Ich bin im Urlaub! Im Urlaub trage ich grundsätzlich keine Waffe. Bei dir kann das natürlich – das vermute ich sogar – ganz anders sein«, zischte sie spitz zurück.
»Moin. Es wird hier nicht in die Hecke gepisst!«
Tammo sah zuerst nur die sechs Hosenbeine in Gummistiefeln, dann die drei Männer, die dazugehörten. Sie hatten während ihres Disputs nicht mitbekommen, dass die Männer sie entdeckt hatten.
»Polizei!«, stammelte Tammo und stand auf.
»Und was macht ihr in meiner Hecke?« Es war Justus Börner, der Bauer, der zu dem Stall gehörte. Die beiden anderen Männer kannte Tammo nicht.
»Was macht ihr hier?«, wollte Tammo wissen und versuchte Haltung anzunehmen.
»Blöde Frage. Seht ihr doch.«
»Mitten in der Nacht Vieh verladen – unter Umständen sogar Pferde! Ist doch verdächtig!« Jetzt war auch Swantje aufgestanden.
»Wann ich meine Rinder verlade, ist wohl meine Geschichte.« Justus Börner hatte die Arme vor seiner Brust verschränkt.
»Und das Pferd?«
»Gustaf? Was soll mit Gustaf sein?«
Swantje beugte sich wissend zu Justus Börner. »Es wiehert. Nervöses Wiehern würde ich sagen!«
»Gustaf hat in seinem Leben noch nie nervös gewiehert. Entspricht nicht seinem Temperament.«
»Warum wiehert ein Pferd, wenn Kühe abtransportiert werden?« Swantjes Stimme wurde immer spitzer.
»Rinder! Keine Kühe! Aber fragen sie doch Gustaf, warum er wiehert. Wenn Sie wollen, bring ich ihn gleich auf die Wache!«
»Komm jetzt!« Tammo zerrte Swantje am Ärmel und zog sie Richtung Straße.
»Typisch. Du gibst immer klein bei.«
»Ich gebe nicht klein bei, ich weiß, wann wir auf einer falschen Fährte sind. Es ist eine falsche Fährte.«
Swantje schnaubte. Widerwillig ließ sie sich von Tammo wegziehen. Die Männer um Justus Börner grinsten breit.
»Anfänger!«, fauchte Swantje. »Stell dir vor, die wären tatsächlich die Pferdediebe gewesen. Keine Pistole, kein Einsatzkommando, noch nicht einmal ein Auto!«
Tammo blieb stehen.
»Wie ich meine Fälle löse, ist und bleibt meine Angelegenheit. Leg dich in deinem Urlaub an den Strand, schmier dich mit Sonnenöl ein, aber lass mich in Ruhe!«
»Fälle lösen? Welche Fälle löst du denn? Du hast ja nicht einmal eine Spur.«
Tammo tänzelte von einem Bein auf das andere. Sollte er Swantje in die Brennnesseln schubsen? Sie hatte eine Jeans und ein T-Shirt an. Keine Bremse für Brennnesseln.
»Weißt du, was ich jetzt gerne machen würde?«
»Klar! Mich umbringen!«
Tammo machte eine große Geste. »Wegen dir geh ich doch nicht in den Knast! Du bist und bleibst eine arrogante Ziege. Wo du auftauchst, bricht Chaos aus.« Tammo lief wie ein aufgescheuchter Hund um Swantje. »Als ich dich das erste Mal sah, wusste ich gleich, dass du mir nur Schwierigkeiten machen würdest. Und was soll ich dir sagen – ich hatte recht!«
Tammo konnte nicht sehen, dass Tränen in Swantjes Augen standen. Er drehte sich um und ging zu seinem Wagen. Als er zu Hause ankam, ging die Sonne auf. Es würde ein heißer Tag werden.
Sie hatte, seit sie wieder in Oldenburg war, schon fast vergessen, wie gemein Tammo sein konnte, der blöde Stinkstiefel. Warum war sie überhaupt aufgestanden? Onkel Heini hatte sie gerufen. Der wollte auch mit. Das konnte sie verhindern. Sie hatte sich schnell angezogen, war der Richtung gefolgt, die ihr Onkel Heini angedeutet hatte. Was gingen sie die blöden, geklauten Pferde an? Was hatte sie mit diesen Bauernlümmeln zu schaffen? Nie wieder würde sie sich in die Angelegenheiten dieser Urmenschen mischen. Sie ging zurück zum Hof. Schlafen konnte sie nicht mehr.
»Wir haben einen Toten!« Es war Onno Wilms, der Tammo anrief.
»Wer und wo?«
»Sönke Bender auf seinem Hof.«
»Ich fahre hin!«
Es war kurz nach acht Uhr. Tammo hatte versucht noch einmal zu schlafen, aber er war durch das Zusammentreffen mit Swantje zu aufgewühlt. Und jetzt noch ein Toter. Bitte lass es ein natürlicher Todesfall sein, bat er. Bei Mord war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Oldenburger ihm wieder Swantje zur Seite stellen würden. Sie, die computergeile Hauptkommissarin – er, der Kommissar aus der Provinz. Tammo schüttelte es.
Gunnar Klöver, der Gerichtsmediziner, war schon vor Ort. Neben der Haustür stand Gisela – bleich und zitternd. Tammo wandte sich Gunnar zu.
»Und?«, fragte Tammo. Die Leiche von Sönke Bender lag im Flur des Wohnhauses. Das Gesicht war blutüberströmt.
»Erschlagen, vermute ich.«
»Scheiße!« Tammo sah sich um. Gisela stand plötzlich neben ihm.
»Was machst du hier?«
»Ich mache ihm doch dreimal die Woche den Haushalt.« Sie war kaum zu verstehen.
»Gisela hat ihn gefunden«, ergänzte Gunnar.
»Wann war das?«
»Vor einer Stunde vielleicht.« Giselas Zittern wurde stärker. Tammo sah sich um. Neben dem Haus stand eine Bank.
»Setz dich. Ein Kollege wird dich gleich nach Hause fahren.«
Tammo kehrte ins Haus zurück. Eine Brieftasche lag auf der Garderobe. Er zog Gummihandschuhe an und nahm die Brieftasche. Geld und Papiere fand er. Nichts deutete auf einen Raub hin. Nichts war durchwühlt. Jedes Zimmer nahm Tammo in Augenschein. Der Täter war gekommen, hatte geklingelt und zugeschlagen. Blindwütig, nach den Verletzungen zu schließen. Dann war er wieder verschwunden.
»Kannst du etwas zum Todeszeitpunkt sagen?«
»Mindestens vor 48 Stunden.«
»Hast du die Tatwaffe gefunden?«
Gunnar schüttelte den Kopf. Über Stirn und Kopfdecke des Opfers zogen sich breite Blutspuren. Ähnliche Verletzungen machten Gummiknüppel. Tammo dachte plötzlich an die Salami von Oma Hedwig. Erst kam ihm der Gedanke absurd vor, aber gewisse Zusammenhänge ergaben sich durch die Spuren und das Blut, das an der Salami klebte. Eine Salami mit Blutspritzer. Die Wunden hatten etwa die Breite einer Salami. Sönke Bender war Biobauer und belieferte Gudrun Gross mit Fleischrindern und Schweinen. Es wurde sogar gemunkelt, dass die beiden etwas miteinander hatten. Man, wer immer das auch war, hatte die beiden in Oldenburg gesehen. Seither hatte das Gerücht an Farbe und Mutmaßungen gewonnen.
»Kann man mit einer Salami einen Menschen erschlagen?«, fragte Tammo.
Gunnar sah in fragend an. »Wie kommst du denn darauf?«
»Nur so eine Idee.«
Gunnar sah sich die Verletzungen auf der Stirn und auf der Kopfhaut von Sönke Bender noch einmal an. Mit dem Zeigefinger fuhr er langsam über die Stellen, dann schnupperte er daran.
»Etwas Fett und vielleicht ein kleiner Hauch von Wurstware. Sicher bin ich mir nicht.«
»Wer und vor allem warum erschlägt jemand einen anderen mit einer Salami?«
»Er muss wie ein Verrückter auf Sönke eingedroschen haben. Das sind mindestens 20 Schläge!«
»Wir sehen uns auf der Wache.«
Tammo lief zu seinem Wagen. Mit Vollgas raste er vom Hof des Ermordeten. Sieben Minuten später stand er vor dem Haus von Oma Hedwig. Er klingelte. Niemand öffnete. Er lief in den Garten und fand Oma Hedwig bei ihren Erdbeeren. Ihr Dackel Günter pisste gerade gegen einen Apfelbaum. Als er Tammo sah, schoss er bellend auf ihn zu.
»Wo ist die Salami?«
»Günter, sei still! Was willst du?«
Günter war nicht still. Er freute sich und das laut. Tammo beugte sich zu ihm hinunter und streichelte seinen Kopf. Es wurde ruhiger.
»Wo ist die Salami?«
»Will Gudrun mich doch anzeigen?«
»Nein, will sie nicht!«
»Da hätte sie auch schlechte Karten.«
»Sie will dich doch nicht anzeigen. Ich brauch die Salami!«
»Da hättest du gestern Abend kommen müssen.«
»Du hast sie aufgegessen?«
»Ich nicht. Günter. Er hat sie vom Tisch geklaut. Günter ist in Wurstfragen unberechenbar.«
Tammo sah Günter an, der sich auf den Rücken gelegt hatte und auf Streicheleinheiten wartete. »Günter, so geht das nicht.« Tammo war deprimiert. Ein wichtiges Beweisstück steckte irgendwo in Günters Darm und wurde gerade zersetzt. Damit schwand die Wahrscheinlichkeit, den Fall möglichst schnell zu lösen. 24 Stunden, schätzte er, blieben ihm, bevor Swantje mit dem Mord betraut wurde.
Sein Handy klingelte. Es war Gunnar. »Swantje ist gerade hier auf dem Hof von Sönke Bender angekommen. Sie will wissen, warum du nicht am Tatort bist!«
Es war wie eine Explosion, so schoss das Blut in Tammos Kopf. Er japste nach Luft, unfähig Worte zu finden. Er starrte nur sein Handy an, hörte Gunnar, der »Hallo, hallo« rief und die Verbindung dann unterbrach.
»Ist was?«, fragte Oma Hedwig. Tammo wankte, musste sich an einer Bohnenstange festklammern, damit der Boden unter seinen Füßen ihn nicht verschlang. Minuten stand er da, unfähig auch nur einen Gedanken zu fassen.
»Hier, trink!« Oma Hedwig hielt ihm eine Tasse Tee unter die Nase. Er schlürfte sie aus. Allmählich kehrten die Lebensgeister zurück.
»Weibergeschichten?«, mutmaßte Oma Hedwig.
Tammo sah sie blöde an.
»Ich war vier malverheiratet. Alles Weicheier. Vier Pleiten hintereinander. Entweder sind sie abgehauen oder gestorben.«
Swantje hatte nicht geschlafen. Irgendwann ging sie zum Lebensmittelladen von Jochen Pieper, um Frühstück für sich und Onkel Heini zu kaufen.
»Soll umgebracht worden sein, sagt man!«, hörte sie Jochen Pieper sagen. Der Kaufmann sortierte gerade Obst ein.
»Weiß man schon, wer es war?«, wollte eine ältere Dame wissen.
»Die sind noch am Tatort.«
Swantje ahnte etwas, verdrängte es aber gleich wieder. Sie ging zum Hof zurück. Dangast machte einen eigenartigen Eindruck. Es schien, dass die wenigen Menschen, die auf der Straße waren, es eilig hatten, was so gar nicht nach Dangast passte. Ihr Verdacht kehrte zurück.
Ihr Handy klingelte.
»Hallo?«