Der Schattengarten - Christine von Brühl - E-Book

Der Schattengarten E-Book

Christine von Brühl

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Beschreibung

I never promised you a rose garden! Christine von Brühls Mann hat ein verwildertes Grundstück im Wald entdeckt und möchte darauf einen Garten anlegen. Das Gelände ist unwegsam und düster, es gibt weder Wasser noch Strom. Dafür aber Brennnesseln. Christine vom Brühl fühlt sich verloren und fremd. Ihr Mann gewinnt Regenwasser vom Dach und leitet es ins Haus. Sie bewaffnet sich mit Gießkanne und Gummistiefeln und gießt eigenhändig die Rhododendren. Das Projekt ist zu einem gemeinsamen geworden. Aber plötzlich taucht ein neuer Gegner auf. Als wären Trockenheit und fehlendes Licht nicht schon genug. Er ist mächtig, er ist der kosmische Antagonist des halbschattigen Gärtnerpaares: die Wühlmaus. – Eine Geschichte voller Naturverbundenheit, Widerstandswillen und Beziehungssinn. Genial illustriert von Teresa Habild. Für alle Halbschattengewächse.

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Seitenzahl: 128

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Christine von Brühl, geboren 1962 in Ghana, studierte Slawistik, Geschichte und Philosophie in Lublin, Heidelberg und Wien. Promotion über das Dramenwerk von Anton Pavlovic Cechov. Nach Stationen bei der Zeit, Sächsischen Zeitung und dem Magazin arbeitet sie als Autorin und Publizistin und leitet das Chemnitzer Büro der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Mit ihrer Familie lebt sie in Chemnitz, Berlin und im Harz.

Teresa Habild, geboren 1979 in München, studierte visuelle Kommunikation in Offenbach/Main. Seit 2007 freie Tätigkeit als Illustratorin und Cartoonistin. Zahlreiche Buch- und Kalendergestaltungen.

Christine von Brühls Mann hat ein verwildertes Grundstück im Wald entdeckt und möchte darauf einen Garten anlegen. Das Gelände ist unwegsam und düster, es gibt weder Wasser noch Strom. Dafür aber Brennnesseln. Christine vom Brühl fühlt sich verloren und fremd. Ihr Mann gewinnt Regenwasser vom Dach und leitet es ins Haus. Sie bewaffnet sich mit Gießkanne und Gummistiefeln und gießt eigenhändig die Rhododendren. Das Projekt ist zu einem gemeinsamen geworden. Aber plötzlich taucht ein neuer Gegner auf. Als wären Trockenheit und fehlendes Licht nicht schon genug. Er ist mächtig, er ist der kosmische Antagonist des halbschattigen Gärtnerpaares: die Wühlmaus.

Für Dirk Schekatz, der mir die Kunst der Landschaftsarchitektur gezeigt hat

Inhaltsverzeichnis

Kapitel I Rhododendronbüsche wie Kathedralen

Kapitel II Ruf der Wildnis

Kapitel III Zwei Hütten im Wald

Kapitel IV Für jedes Kind ein Baum

Kapitel V Suche nach Wasser

Kapitel VI Wasser vom Dach

Kapitel VII Raunächte mit Mäusen

Kapitel VIII Blütenstaub versus Brauchwasser

Kapitel IX Der richtige Regen

Kapitel X Lagerfeuer und Holz hacken

Kapitel XI Lampionfest mit Freunden

Kapitel XII Kalk im Boden

Kapitel XIII Borkenkäfer und Hamsterplage

Kapitel XIV Baden in der Wildnis

Kapitel XV Der Schlosspark von Wechselburg

Kapitel XVI Die freiwillige Feuerwehr

Kapitel XVII Dschungel im Kyffhäuser

Kapitel XVIII Abreise in die Stadt

Kapitel iRhododendronbüsche wie Kathedralen

Ich stand verschlafen in kurzen Hosen und Gummistiefeln am Rand einer struppigen Wiese und goss mit einer hellgrünen Gießkanne die Rhododendren. Das Wasser blieb einen Moment lang auf der Erde, bevor es langsam in den Spalten verschwand. Der Boden war hier an der Kante steinig und trocken.

Gestern noch befanden sich die Büsche unbeachtet in einem Gartencenter am Ortseingang von Sangerhausen, doch Franz, mein Ehemann, hatte sie aus dem schmucklosen Ambiente befreit und gleich abends nach der Rückkehr in seinem Grundstück am Kyffhäuser eingepflanzt. Jetzt blühten sie dort dunkelrot und violett, die Blumen bildeten duftige Kugeln, die Blätter glänzten im Halbschatten.

Ich freute mich über die leuchtenden Farben. Sie erinnerten mich an meine Kindheit in London. Fast jedes Wochenende fuhren meine Eltern mit meinen Geschwistern und mir in einen der zahlreichen Parks in London und Umgebung: Ob Kew Gardens oder Hyde Park, Richmond, Sissinghurst oder Kensington Gardens, kein noch so triftiger Grund konnte sie daran hindern, eine der weitläufigen Gartenanlagen aufzusuchen. Kaum waren wir dort angelangt, kletterten wir Kinder aus dem roten Volkswagen und stürmten ins Freie, genossen uneingeschränkte Freiheit.

Meinen Lieblingsplatz fand ich regelmäßig in einem der Rhododendronbüsche. Haushoch wölbten sie sich aus dem hellgrünen Rasen empor, bildeten ein dichtes Blätterdach und spendeten kühlen Schatten. Ich konnte mich darin verstecken, unbemerkt herumklettern, mir eine Höhle bauen und gleichzeitig durch das Blättergewirr beobachten, wie meine Mutter die Picknickdecke ausbreitete und meine Geschwister über die Wiese jagten.

Einmal entdeckte ich ein Nest, in dem eine Amsel saß und ihre Eier ausbrütete. Sie hielt mucksmäuschenstill, ähnlich wie ich selbst, denn wir hatten uns beide sehr erschreckt. Allein die Neugier ließ uns nicht auf und davon stieben. Langsam tastete ich mich rückwärts, hielt mich an einem der Äste fest, um nicht hinzufallen, blieb schließlich stehen. Die Amsel beobachtete mich misstrauisch mit ihren schwarzen Kugelaugen. Bis heute erinnere ich mich an ihr glänzendes Federkleid. Sie muss sich unheimlich gefürchtet haben, doch ihr Gelege gab sie nicht preis.

In den Rhododendren fühlte ich mich beschützt und daheim, verkroch mich immer neu in diese Kathedralen aus Blätterwerk und Gehölz, stellte mir vor, dass die Blüten Fenster wären aus rotem, weißem, violettem und rosafarbenem Glas. Mit den Büschen zu meinen Füßen, die ich in der Morgensonne am Kyffhäuser mit Wasser versah, ließen sich solche Dimensionen kaum vergleichen, doch sie gaben mir Hoffnung, immerhin. Wenn ich sie nur tüchtig gösse, dachte ich beim Betrachten meines Werkes, dann würden sie sicher einmal so groß wie die prächtigen Exemplare von Kew Garden werden.

Kindheit und London liegen weit zurück, ich wohne inzwischen mit meiner Familie in einer Dreiraumwohnung in Berlin, die Straße ist eng und dicht beparkt mit Autos. Einen Balkon oder gar Garten gibt es dort nicht. Allein der Hinterhof lädt zum Verweilen ein. Britische Parkanlagen sind in meinem bürgerlichen Leben nur noch bedingt erfahrbar.

Die Sehnsucht ist geblieben, die Liebe zu Sissinghurst, das Anwesen von Vita Sackville-West in Kent bleiben lebendig. 1930 kaufte die Schriftstellerin die Ruine des Schlosses südlich von London, um dort einen Garten anzulegen. Eindrücklich schilderte sie ihr Engagement in den Briefen an ihren Ehemann Harold Nicolson, spiegelte es in ihren Tagebucheinträgen und Gartenkolumnen. Die Texte beschreiben, nach welchen Gesichtspunkten die Pflanzen ausgewählt wurden und wie viele, wo Beete und Rabatten, wo ein Brunnen und ein Steinwall entstanden und aus welchem Grund. Sie drücken die Gefühle aus, die Sackville-West für Nicolson empfand. Der Garten wurde zum Portrait ihrer Ehe.

Nicht zuletzt suchte die Schriftstellerin damit dem Krieg etwas entgegenzusetzen und ließ ein Areal eigen mit allein weißblühenden Blumen ausstatten. Sie wollte, dass die Bomberpiloten aus Deutschland hoch oben in ihrem Cockpit erkannten, dass dort unten Menschen lebten, die sich Frieden wünschten.

Als Franz auf einer Wanderung durch den Kyffhäuser ein verwildertes Grundstück im Wald entdeckte und mir zur Kenntnis gab, er wolle es kaufen, war ich nicht abgeneigt. Er erzählte mir aufgeregt von einer sonnigen Lichtung im Wald, abgeschieden von der Welt und gleichzeitig geschützt von einem Steinbruch, der seit vielen Jahren nicht mehr genutzt wurde.

Ich träumte die Erzählung glücklich weiter, stellte mir einen lichten Garten mit großzügigen Wiesenflächen vor, Rasen so weit, dass man darauf Krocket oder Boule spielen konnte, dicht bepflanzte Beete wie bei Sackville-West in Sissinghurst mit bunt wuchernden Blumen, nach Farben sortiert, Gladiolen und Dahlien, Schleierkraut und Ringelblumen, Rosen und Vergissmeinnicht, aus denen sich leicht Sträuße winden und hübsche Arrangements für die Vase komponieren ließen, moosbedeckte Pfade, Steintreppen und einen einsamen Teich, in dem ich an heißen Tagen unbekleidet baden konnte. Flimmerndes Licht durch schattenspendende Blätter, ein Teehäuschen aus Rindenholz wie zu Zeiten von Luise von Preußen und, selbstverständlich, ein Rondell mit ausladenden Rhododendronbüschen.

Stolz setzte sich Franz mit mir in Berlin ins Auto, um mir seine Neuerrungenschaft zu präsentieren. Anton und Anna, unsere beiden Kinder im Grundschulalter, ließen wir bei Freunden zurück. Es war März, ein kühler, windiger Tag. Rechts und links von der Autobahn streckten sich unbestellte Äcker übers Land, die Natur war karg und abweisend. Nach zwei Stunden Autofahrt verließen wir die Strecke, die gen Süden führte, und gerieten in die wohl ödeste Gegend des Landes. Unser Wagen passierte rauchende Schlote und steile Halden aus unfruchtbarem Abraum. Das Land wurde immer leerer. In dem Dorf, durch das wir fuhren, nachdem wir die Autobahn verlassen hatten, war kein Mensch auf den Bürgersteigen und Plätzen zu sehen, dabei war draußen heller Nachmittag.

»Wo sind hier denn alle?« fragte ich verwundert.

Franz zuckte mit den Schultern. »Das ist so in der Provinz«, meinte er gleichmütig. »Die Menschen verlassen ihr Haus nur für die Arbeit und gehen früh ins Bett.«

Wir hielten vor einem Supermarkt, um Obst und Gemüse zu kaufen, Brot, Butter und Marmelade. Zwischen den Regalen traf ich Damen in engen Lurexblusen mit farbenfroh gefärbten Frisuren, Herren in Trainingsanzügen, die ihr tägliches Bier nebst Schnapszugabe erstanden. Ihre Bäuche hingen wie schwere Taschen über den Hosenbund. Mich fröstelte, ich schlug die Arme übereinander, während wir an der Kasse warteten, und wollte schnell zurück ins geheizte Auto. »Haben Sie eine Deutschlandkarte?«, fragte die Kassiererin laut. Ich verneinte schüchtern. Sie zog missbilligend die Mundwinkel nach unten. Mir schwante Schlimmstes.

Kapitel iiRuf der Wildnis

Über eine schnurgerade Straße, die zum Kyffhäuser hinaufführte, gelangten wir an den unteren Rand des Bergzugs. Dicht bewaldet, erhob er sich wie ein schlafendes Tier parallel zur Autobahn aus dem flachen Land. Einem Zeigefinger gleich, ragte das Kaiser-Wilhelm-Denkmal darin auf. Es war unübersehbar.

Wir stellten das Auto ab, packten unsere Einkäufe in Rucksäcke und liefen zu Fuß weiter, denn die Straße war von hier ab nur noch schlecht befahrbar. Bald fing ich an zu schwitzen, meine Brille beschlug. Der Abzweig zum Grundstück war derart mit Gestrüpp und Brombeerranken bewachsen, dass wir ihn beinahe nicht erkannten. Dahinter war es plötzlich schattig und kühl. Ein schlammiger Hohlweg führte in den Wald hinein. Ich konzentrierte meinen Blick auf den Boden, um nicht auszurutschen oder zu stolpern. Zum Glück hatte ich meine Blundstones angezogen, Stiefel, die in Australien entwickelt worden waren. Damit konnte man sogar Feuer austreten.

Der Weg wurde steiler, der Untergrund steiniger. Felskanten waren unter den Schuhen zu spüren, die Steine zerklüftet und schartig gespült. Hier war bestimmt schon lange kein Fahrzeug mehr gefahren. »Jetzt ist es nicht mehr weit«, murmelte Franz und fing erwartungsfroh an zu pfeifen. Der Hohlweg verwandelte sich in einen schmalen Pfad und ließ sich nur noch langsam bezwingen. Das Dickicht rechts und links wurde dichter. Brennnesseln wuchsen auf dem Weg. Lange Halme und dornige Ranken schienen wie Arme nach mir zu greifen. Dahinter ragten Tannen, Kiefern und Fichten empor: Sie wuchsen eng aneinander den Hang hinauf. Es herrschte düstere Stille.

Franz hatte sich mit einem Stock bewaffnet und schlug die Brennnesseln zur Seite. In grünen Fetzen flogen die Blätter und Stiele durch die Luft. Ich musste aufpassen, dass mich nichts davon traf. Auf einmal bog er rechts ab und kletterte scheinbar ansatzlos den Hang hinauf, doch er hatte sich nicht geirrt: Der Untergrund wurde lichter und wies Reste einer Fahrspur auf. Hier war offensichtlich einst der reguläre Zugang zum Grundstück gewesen.

Wir folgten der Fährte, überwanden Wurzeln und Steine, bogen ein zweites Mal nach rechts ab, und – plötzlich waren sie zu erkennen: zwei alte Hütten, eine rechts, eine links im Hintergrund, das Holz vor Nässe schwarz, die Fenster stumpf. Notdürftig mit Pappe und Teer bedeckt, duckten sie sich in die Wildnis. Erleichtert, am Ziel angelangt zu sein, marschierte Franz mit schnellen Schritten auf die Behausungen zu, den harten Brennnesselstock noch immer in seiner Hand. »Alles meins«, schien er mir bedeuten zu wollen, »mein Land, meine Häuser, mein Wald«, aber er sprach es nicht aus.

Ich blieb allein zurück und versuchte, mich zurechtzufinden. Haushoch ragten Farne, Gräser und Buschwerk auf, ließen kaum Licht oder Sonne zu mir durch. Vom Himmel konnte ich nur einzelne Fetzen erkennen. Alleingelassen und regungslos, vernahm ich endlich das Zwitschern der Vögel, das Summen und Brummen der unzähligen Insekten, die sich hier aufhielten, spürte Bewegungen und Flügelschläge in allernächster Umgebung. Tiefe Scheu befiel mich, ein Unbehagen und Gefühl von Einsamkeit. Ein Reich für sich schien das hier zu sein, wildes, unberührtes Land. Unmittelbar vor meinen Augen rannten Ameisen die Farnstiele hinauf und hinunter, hangelte sich ein schwarzer Käfer von Blatt zu Blatt. Eine Schnecke ohne Haus rutschte langsam, aber zielstrebig einen Ast entlang. Alle schienen hier genau zu wissen, wohin sie wollten und was sie zu tun hatten. Nur mir fehlte der Zugang.

Plötzlich hörte ich links von mir ein lautes Geräusch. Hastig trappelten Hufe über den Boden, es raschelte in den Büschen. Das mussten mehrere Lebewesen zugleich sein, Vierbeiner von nicht unerheblicher Größe. Vorsichtig bog ich die Zweige zur Seite, um herauszufinden, was für Tiere es waren, doch das Gestrüpp war zu dicht. Ich konnte nichts erkennen. Also duckte ich mich und schob mich langsam nach vorne. Auf einmal war alles still. Ich machte einen weiteren Schritt, bog vorsichtig um die Ecke, und – zu spät. Panisch vor Angst hetzten die Tiere los, brachen ziellos durch die Büsche und versuchten, zu entkommen. Jetzt richtete ich mich auf, um besser zu sehen, und tatsächlich: Es waren Mufflons, wilde Schafe, die sich augenscheinlich hierher verirrt hatten. Fünf oder sechs Exemplare mussten es sein. Sie rannten vor mir her, wichen nach links aus, dann nach rechts, suchten so schnell wie möglich das Weite. Präzise waren ihre braunen Rücken zu sehen, darüber die gebogenen Hörner, das hellere Fell an Beinen und Bauch.

Doch sie hatten keine Chance: Senkrecht ragten Felsen auf, bildeten einen Bogen, eine unüberwindliche Wand. Die Mufflons waren in den Steinbruch geraten. In ihrer Aufgeregtheit suchte sich die Gruppe zu teilen, eines der Tiere rannte an der Seite vorbei, hechtete den steilen Hang hinauf, rutschte ab und purzelte herunter. Andere sprangen mit allen vieren in die Luft, reckten die Köpfe dabei hoch, als könnten sie auf diese Art und Weise herausfinden, wo der Ausgang ist. Wie eine Komposition wirkte das auf mich, eine eigens erdachte Choreografie. Es war ein Bild von bizarrer Anmut. Immer wieder löste sich ein einzelnes Schaf vom Boden, flog in die Höhe, sprang Richtung Felshang, fiel wieder zurück auf die Beine. Dabei gab keines einen Laut von sich. Stumm tanzten sie auf und nieder.

Eilig wandte ich mich ab, empfand nun selbst ein wenig Panik. Sicher hatte allein ich die Tiere in diese verzweifelte Lage gebracht. Hätte ich sie nur nicht gestört! Ich drehte mich um und bahnte mir den Weg durchs Gebüsch zu Franz. Einige Zeit lang hörte ich noch das aufgeregte Rascheln und Trappeln hinter mir, das Brechen von Zweigen. Dann war es plötzlich still. Sie hatten wohl doch einen Ausweg gefunden.

Franz stand ungerührt vor der unteren Hütte und zeichnete einen Plan in seinen Block. »Wie gefällt es dir hier?«, fragte er mich geistesabwesend. Offenbar hatte er nichts von dem Unglück bemerkt. Erschöpft setzte ich mich auf einen Baumstumpf.

»Fantastisch«, sagte er leise zu sich selbst, während er auf seine Skizze starrte. »Eine Lichtung mitten im Wald! Zwei Häuser auf unterschiedlichen Ebenen, dazu Brücken und Treppen …«

Ich verstand nicht, was er meinte. Wo, um alles in der Welt, war hier eine Lichtung?

»Oberhalb des Steinbruchs setzt sich das Grundstück noch fort«, erzählte er aufgeregt. »Von dort kannst du das ganze Tal überblicken, bis zu den Harzausläufern dehnt es sich aus. Die gesamte Ebene liegt dir zu Füßen.«

»Was war hier eigentlich früher«, fragte ich ihn, »bevor daraus ein Steinbruch geworden ist?«

»Eine Plantage, glaube ich«, sagte er und sah mich nachdenklich an. »In den Hängen kannst du jede Menge alter Walnuss- und Apfelbäume finden. Sie sind verwildert und verholzt, haben in alle möglichen Richtungen ausgetrieben. Damit ist heute nicht mehr viel anzufangen, aber früher wurde hier sicher jede Menge Obst und Nüsse geerntet.«

Mein Blick fiel auf einen Marienkäfer, der mit ausgebreiteten Flügeln auf einem Löwenzahnblatt gelandet war. Automatisch versuchte ich, die Zahl seiner Punkte herauszufinden. So hatte ich es schon als Kind gehalten. Man sagte mir damals, die Anzahl der schwarzen Flecken entspreche dem Alter des Tieres.

Mir kam das Grundstück meiner Eltern in den Sinn, das sie nach dem Umzug von London nach Bonn erworben hatten, um dort ein Haus zu bauen. Es befand sich am Venusberg, in einem ähnlich steilen und undurchdringlichen Gelände wie diesem. Nachdem der Bau fertiggestellt und wir eingezogen



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