Der Schneckenreiter - Katharina Fiona Bode - E-Book

Der Schneckenreiter E-Book

Katharina Fiona Bode

4,9

Beschreibung

Ein Wink des Schnecksals führt den alten Schneckenreiter und sein Tier nach Clockville, in die Stadt der Uhren, und zwar genau zu dem Zeitpunkt, der sich nicht ermitteln lässt. Denn gerade dort stehen sämtliche Uhrwerke still und drohen den geregelten Alltag der Uhrlinge in Chaos und Kuchen versinken zu lassen. Zum Glück jedoch weiß der weise Reiter stets Rat und kennt die passende Geschichte für jedes Problem. Er erzählt den Bewohnern von seinen phantastischen Abenteuern, märchenhaften Königreichen, dampfbetriebener Luftfahrt, murrenden Trollen, Bibliotheksnaslingen, lebendigen Wolken und zaubernden Drachen und hilft damit den Uhrlingen ganz nebenbei dem Geheimnis der verschwundenen Zeit auf die Spur zu kommen. Bleibt bloß die Frage, ob sie es rechtzeitig lüften werden, um ihre geliebte Stadt vor der aufquellenden Teigüberschwemmung zu bewahren …

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1. Auflage März 2017

Copyright © 2016 by Edition Roter Drache

Edition Roter Drache, Holger Kliemannel, Haufeld 1, 07407 Remda-Teichel

[email protected]; www.roterdrache.org

© Titelbild & alle Bilder: Joerg Schlonies. www.dojoerch.de

© Text: Katharina F. Bode

Buch- & Umschlaggestaltung: Edition Roter Drache

Lektorat: Daniel Huster

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2018

Alle Rechte vorbehalten.

Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form (auch auszugsweise) ohne die schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert, vervielfältigt oder verbreitet werden.

ISBN 978-3-944180-86-1

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

I. Es tickt nicht richtig

1. Der verbo(r)gene Schlüssel zum Königreich

II. Meuterei in Riechweite

2. Razzles Bibliothek der Wunder

III. Schwesterchen Angst und Brüderchen Mut

3. Der Waldtroll & die blaue Borke

IV. Auf dem Pfad der Geschichte

4. Der Goldkobold

V. Das Geschick, ein Blatt zu wenden… … man drehe es einfach um

5. Guinees Gastgeschichte

VI. Nach dem Bevor-Dessert

6. Sir Pigham und seine Schinkenschweine

VII. Wurmsitting für Dünnbrettbohrer

7. Kleiner Drache Naseweis

VIII. Sir Sedrick Blake R. – Lord Admiral Ihrer Majestät

8. Sir Sedricks Zeitreisetrick

IX. Expedition ins Zeitreich

9. Der Elventarnplan

X. Luftnot, Teigflut und Verstopfung

10. Mein Ticktacktanz für Königin Mab

Epilog: Das Ende vom Anfang

Danksagung der Autorin

Die Autorin

Der Künstler

Weitere Bücher

Die Gräser wogten so hoch, dass sie den einsamen Reiter beinahe gänzlich verschluckten. Lediglich der Zipfel einer Mütze ragte aus den weiten Feldern empor. Der Rittwind ließ die Halme rascheln, und das Gespann hätte wohl bald einen jeden davon hinter sich gelassen, doch der Reiter und sein Tier hatten es nicht eilig.

Die Rennschnecke glitt über den trockenen Acker hinweg und benetzte ihn mit einem Sekret, das ihn besser nähren würde als jeder Regenguss. Der Schneckenreiter saß in seinem gepolsterten Sattel und las ihr im hellen Schein der Sonne aus seinen Aufzeichnungen vor. „Spannender als jede Streckbank, was, mein Junge? Globoli? Hörst du mir überhaupt zu?“

Globoli verdrehte die Augen, so dass sich seine Tentakel umeinander wickelten. Schließlich hatte er den Reiter treu und loyal in jedes dieser Abenteuer begleitet, was ihn jedoch nicht davon abhielt, ihm alles noch einmal zu erzählen.

Immerhin wirkte sich das sanfte Grollen seiner Stimme in Vibrationen durch die Schale ihres Hauses hindurch mild massierend auf ihren Rücken aus.

„Einst war das alles hier noch karge Fläche, bis starke Winde über die Berge fegten …“ Der bärtige Reiter wies auf die Hügellandschaft in ihrem Rücken. „… und Samen in ihren Taschen mit sich führten.“

Nicht schon wieder die Entstehungsgeschichte der Windhosen, dachte die Schnecke. Sie schmatzte, als sie in nicht allzu ferner, nun ja, Entfernung eben eine schiefe Backsteinmauer ausmachte, die in einem weiten Kreis ihr Ziel umschloss: Clockville, die Stadt der Uhren.

Sollte der alte Mann nur weiter vor sich hin schwelgen, sie würde jetzt ihrer Art alle Ehre machen und einen Zahn zulegen. Und das, obwohl sie selbst über keinen einzigen verfügte.

Die Schnecke gluckste und beschleunigte, dass es dem Reiter fast die Mütze vom weißen Haar geweht hätte. Es bauschte sich um seine Schläfen wie Zuckerwatte, während ihn sein Untersatz in Schneckeseile immer näher an ein großes hölzernes Stadttor heranbrachte. Im Rittwind schaukelte der Duft von vollem Korn und einer Prise Sonnenstrahl dahin. Er kitzelte die beiden in den Nasen, bis die Schnecke vor dem Tor stoppte. Mit Mühe unterdrückte sie ein Niesen.

Der Reiter stieg vom Sattel in die klimpernden Bügel und schließlich vollends ab. Er strich sich über den bauschigen Bart, griff nach seinem Wanderstab und blickte sich um. Unter seinen Lederstiefeln knirschte der sandige Boden, als er einen Schritt vortrat und sich noch einmal wie ein Kreisel um sich selber drehte. Er machte einen weiteren Schritt auf das Tor zu und pochte mit dem Wurzelknauf des Stabs dagegen. Das Pochen klang dumpf, bevor der angelehnte linke Flügel knarzend einen Spaltbreit nach innen schwang.

Wieder griff sich der Schneckenführer in den Bart, rollte seine Mützenkrempe auf und schob den Kopf so weit durch den Torspalt, dass er gerade eben um die geschlossene Seite herum spähen konnte. „Seltsam.“

Der Alte schnalzte mit der Zunge, und Globoli folgte schleimend.

Das vertraute Schmatzen im Rücken raffte der Reiter seine Röcke und schlüpfte in die Stadt hinein. Er sah in die leerstehenden Wachhäuschen links und rechts und schüttelte den Kopf. „Sehr, sehr seltsam.“

Unter seinen Füßen veränderte sich die Konsistenz des Bodens von sandig-erdig zu kopfsteingepflastert und ließ ihn jede raue Kante durch die Sohlen seiner Stiefel spüren. Der Schnecke musste es bei ihrem nackten Bauch ganz ähnlich gehen.

Als die beiden ihre Augen hoben, entrollten sich vor ihnen leicht ansteigende, krumme Pfade, die sich zwischen den verwinkelten Fassaden der Stadt hindurch schlängelten und in sämtliche Richtungen abzuzweigen schienen. Hinter mancher Ecke erhoben sich zudem Uhren jeglicher Form und Farbe. Manche hingen anstelle von Glocken in Türmen, waren golden und schwer. Andere sahen wie überdimensionale, hölzerne Kuckucksuhren aus und ließen träge ihre Pendel hängen.

„Wirklich mehr als merkwürdig“, murmelte der Schneckenreiter. Und tatsächlich schien es sonderbar still und leblos in der Stadt zu sein. Trotz all der Uhren ringsum erfüllte nicht das kleinste Ticken die Sträßchen.

Da spitzte Globoli die Innenohren. Unter Anstrengung versuchte er es noch ein wenig stärker und meinte beinahe die Organe nach außen klappen zu spüren, als er endlich begann etwas zu hören. Zumindest nahm er es an. Er wiederholte das Prozedere, bis er glaubte jeden Tentakelblick platzen zu müssen. Da war doch eindeutig ein Laut. Mehrere sogar. Er bog einen Tentakel treppenstufenförmig und deutete damit um eine Ecke voraus.

Ein heiseres Scheppern und Poltern stahl sich nun auch an das gealterte Gehör seines Begleiters und wurde immer deutlicher vernehmbar, je mehr sich dieser darauf konzentrierte. Der zum Wanderer verwandelte Reiter setzte sich wieder in Bewegung und lenkte seine Schritte dem leisen Lärm entgegen, der schon bald nicht mehr ganz so leise klingen wollte.

Sie folgten den Geräuschen immer der zunehmenden Lautstärke nach durch die Schlingen und Windungen der Wege. Schiefe Häuser säumten sie zu beiden Seiten. Teils handelte es sich um strohgedeckte Fachwerkhäuser, teils schienen sie in ihrer Steinbauweise noch deutlich älteren Epochen zu entspringen. Eine Gemeinsamkeit bestand jedoch in den Holzzierleisten, die eine Vielzahl von ihnen aufwies. Stellenweise erweckte es den Eindruck, als seien verschiedene Behausungen einfach übereinander gestapelt worden. In schiefen Türmen unterschiedlicher Stilrichtung schraubten sie sich wie aufrecht stehende Flickenteppiche dem Himmel entgegen. So stand es jedenfalls zu vermuten, denn die zusammengewürfelten Wohnhäuser wuchsen so hoch und beugten sich derart weit über die Straßen, dass sie beinahe aneinander stießen und vom Himmel kaum etwas zu sehen ließen. Genauso wenig konnten Reiter und Schnecke daher ahnen, wohin sie ihr Weg letztendlich führen würde.

Sie folgten dem Poltern und Summen wie von einem gewaltigen Bienenschwarm weiter in Serpentinen durch Clockville und ließen ihre Blicke aufmerksam links und rechts an den Fassaden entlang schweifen. Manchem Turm entwuchs hier und da ein hölzerner Übergang mit geschnitztem Geländer. Nicht selten war er in sich verdreht, wackelte, knarzte unbehaglich oder endete bereits auf halber Strecke zum nächsten Turm. Die Rennschnecke blubberte, und ihr Reiter zögerte nicht zu antworten.

„Den Rest des Weges zum anderen Turm müssen sich die Bewohner an jenem alten Uhrpendel dort über den Abgrund schwingen.“ Er deutete mit einem knochigen Finger darauf, und Globolis Augen weiteten sich schlagartig.

„Jaja, das ist nicht ganz ungefährlich“, stimmte der Schneckenreiter zu und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. „Aber überaus typisch für die Ortsansässigen. Du musst wissen, dass sie nach einem strengen Zeitplan leben. Aufschub wird nicht geduldet, und wenn etwas eben nicht zeitgemäß fertig wird, belässt man es wie es ist und fährt dem Plan folgend mit der nächsten Aufgabe fort. Ihr Zeitplan ist genauso lückenlos wie die Stadtbebauung.“

Er stützte sich auf den Stock und ging weiter. Die Schnecke schüttelte den Kopf und betrachtete noch ein Weilchen das angelaufene Pendel an der halben Brücke, bevor sie ihrem Reiter hinterherrobbte.

In die Lücken zwischen den Häusern drängten sich immer wieder Kleinkunstläden, allen voran Uhrmachergeschäfte und Werkstätten. Sie schmiegten sich in jede erdenkliche Nische, ward sie auch noch so klein. Und wo sich tatsächlich einmal kein Gebäude erhob, standen knorrige Bäume, deren Äste teils zum einen Fenster hinein und aus einem anderen wieder hinauswuchsen. Ranken schlängelten sich über das Gestein der Wände und durchbrachen mancherorts das Kopfsteinpflaster.

Dafür gab es keine einzige Bäckerei, wie Globoli mit entsetztem Schmatzen feststellen musste. Er verrenkte sich beinahe die Augtentakel, während er danach Ausschau hielt, immer in der Hoffnung in irgendeinem Winkel doch noch eine zu erkennen. Stattdessen erblindete er fast, wenn plötzlich ein ungefilterter Sonnenstrahl durch die Schatten fiel und den Stein unter seinem Leib erwärmte. Ein Prickeln durchlief seinen Körper, bis er weiter über die kühleren Steine schleimte.

Obwohl der Geräuschpegel stetig zunahm, begegneten sie noch immer keinem einzigen Bewohner auf der Straße. Immerhin näherte sich die Steigung offenbar ihrem höchsten Punkt, denn die Gasse vor ihnen verlief zwar nach wie vor kurvig, doch wenigstens halbwegs eben, wenn davon bei dem holprigen Boden auch kaum die Rede sein konnte.

Als sie um die nächste Häuserecke des nächsten Uhrenladens bogen, schwoll der Lärm noch einmal an und begann sich in seine Bestandteile zu zerlegen, während sich das Sträßchen vor ihnen zu einem weiten Platz öffnete. Das dumpfe Poltern verwandelte sich in deutlich erkennbares Klopfen, und das Summen entpuppte sich als Gemisch aus Schreien, Rufen und Massenmurren eines heillosen Haufen Durcheinanders, das über den Markplatz brandete. Schnecke und Reiter erblickten endlich … die Uhrlinge. Und zwar in riesigem Auflauf alle auf einmal.

Sämtliche Bewohner Clockvilles hatten sich auf dem uhrigen Platz versammelt, in ihrem Zentrum die große Uhr, die als einzige schwieg. Dafür wurde von drei Seiten mit kleinen Meißeln auf sie eingehämmert, nur immer wieder davon unterbrochen, dass einer der Hammermeister die anderen anbrüllte.

„Das tickt doch nicht richtig“, schrie er soeben einem anderen der drei Uhrlinge in schwarzen Latzhosen zu.

„Hör auf mich zu beleidigen“, brüllte der prompt zurück und hämmerte noch fester auf den Uhrkasten ein.

Der erste verdrehte die Augen. „Ich habe vom Uhrwerk gesprochen.“ Ein Brummeln kam zur Antwort aus dem Kasten, in dem der dritte Latzhosenträger und Hammermeister kopfüber bis zum Bauch feststeckte.

„Es tickt einfach nicht richtig“, kam es dumpf daraus hervor.

„Nichts anderes habe ich gesagt.“

„Meine Worte!“

„Die gehören dir längst nicht, nur weil du meinst, sie als Erster ausgesprochen zu haben“, fiel der Dritte ein und schwang seinen Meißel über dem Kopf.

Ein weiterer Kopf löste sich aus der Menge und rief: „Probiert doch mal am Zeiger zu ziehen!“

Der Dritte ließ über die Bemerkung glatt seinen Meißel fallen und klatschte sich mit der flachen Hand vor die Stirn. „Und dann auch noch umgeben von Dummlingen! Am Zeiger ziehen, am Zeiger ziehen“, zeterte er noch, während er sein Werkzeug wieder aufklaubte, und ihm der nächste Uhrling einen Rat zurief. Die Schaulustigen schauten, traten von einem Fuß auf den anderen, einige drehten sich sogar im Kreis. Sie klackerten mit ihren Fingern gegen die Gehäuse ihrer stillen Taschenuhren, sahen nervös über ihre Schultern und redeten wahlweise wild durcheinander oder auf die drei Latzhosenträger ein. Ein Uhrling stand bloß da, putzte permanent seine Taschenuhr, steckte sie in die Tasche zurück, zog sie erneut hervor, putzte sie und wiederholte die ganze Prozedur, immer wieder dieselben Worte intonierend. Mit wehklagendem Wimmern im Abgang. „Uneinholbar. Verloren.“ Wimmer. „Uneinholbar. Verloren.“ Wimmer.

Die Kinder der Uhrlinge – oder Kuhrlinge wie sie der Zeitersparnis wegen genannt wurden – hingen zappelnd in den Armen einiger Fruhrlinge (Koseform der Frauen-Uhrlinge oder Frohnaturen, wie sie es selbst lieber betrachteten), tollten und krabbelten um deren Beine oder hingen wie erstarrt an für sie erreichbaren, herabhängenden Körperteilen, zumeist Händen, der elterlichen Bewohner. Die Uhralten starrten unterdessen wie gelähmt und mit geweiteten Augen auf das große Uhrwerk, nur ihre Kiefer bewegten sich, wenn sie Stammeleien vom finsteren Kuchenzeitalter und verbranntem Teig vor sich hin brabbelten. Vereinzelt wiegten sie dabei ihre Oberkörper vor und zurück, bis sie wieder in ihre Schockstarren zurücksanken, die Gesichter weiß wie Wachs oder noch schlimmer … Mehl.

Der Schneckenreiter hatte das Treiben lang genug beobachtet. Nun wechselte er einen Blick mit Globoli, nickte und entschied vorzutreten. Er tat einen Schritt in die gewünschte Richtung. Dann noch einen. Diese Prozedur wiederholte er, bis die aufgewühlte Menge sich in angenehmer Nähe befand, um gemütlich mitschreien zu können. Stattdessen räusperte er sich. „Hmmhrrmm.“

Das Murren verstummte. Zwar nicht sofort, aber mit Verzögerung registrierten die Uhrlinge, dass jemand Fremdes, respekteinflößend Bärtiges sich ganz in ihrer Nähe geräuspert hatte. Als die Erkenntnis schließlich in ihrer Wahrnehmung aufflammte, verebbten Gemurre, Gemurmel und Gezeter. Die Menge teilte sich, um einen einzelnen unter ihnen freizugeben. Ein Bart so spitz wie seine Ohren ließ ihn elfenhaft anmuten, allerdings in einer kleinen dicken Version. Zudem hatte es sich eine beschlagene Bauklotzbrille auf seiner knubbeligen Nase bequem gemacht.

Das Männlein, von der Kleidung beinahe ein typischer Muhrling, wackelte bei jedem Schritt leicht von einer Seite zur anderen, ganz dem Sekundentakt einer tickenden Uhr folgend, nur dass derzeit keine tickte. Ebenso wie alle Muhrlinge trug er eine Latzhose nebst Hut, in seinem Fall beides in butterblumengelb. Darüber hinaus jedoch zierten ihn zusätzlich Frack und Fliege. Besagte Fliege begann sogleich sich zu winden und zu surren. Sofort langte er an die Flügelschlaufen und zog den Brummer wieder fest, bevor er selbst den Mund öffnete.

„Seid gegrüßt, Fremder! Verzeiht bitte, aber könntet Ihr uns wohl verraten, wann wir haben?“

Der Schneckenreiter sah in die Runde von einer Kette zur nächsten, die an jeder Uhrlings Latzhose hinunterbaumelte und eindeutig zu Uhren in den Taschen führte. Schließlich runzelte er die Stirn. „Sagtet Ihr Wann?“

„Jawohl, das war meine Frage. Wir hatten ein kleines … Zeitunglück. Alle Uhren sind stehen geblieben, und nun wissen wir einfach nicht mehr, wann wir haben. Ich hatte gehofft, Ihr könntet es uns vielleicht mitteilen.“

Ringsum blickte der Reiter in hoffnungsvoll glänzende Augen. „Nein“, brummte er indes, „nein, tut mir außerordentlich leid. Ich reise stets zeitlos.“

Sofort erschlafften die Muskeln der Umstehenden, und sämtliche Uhrlinge ließen synchron die Schultern hängen.

„Dafür …“, hob der Schneckenreiter wieder an.

„Ja?“ Sofort trat wieder rosiger Schimmer auf die Wangen des Fragenden.

„… will ich euch verraten, wer ich bin. Ein Fremder nämlich ganz gewiss nicht.“

„Oh, natürlich, wie unhöflich von mir. Nur zu.“

„Mein Name ist Seymour Schneckenreiter, und mir zur Seite steht wie stets Globoli, die schnellste Schnecke diesseits der Komischen Koboldhügel.“

Globoli schmatzte und wackelte erfreut mit den Augtakeln.

Oh, lieber Buhrgermeister der Stadt. Willy Bold, du wirst uns doch wohl nicht vergessen haben?“ Mit den Worten beugte der Schneckenreiter leicht den alten Rücken und lüpfte seine Zipfelmütze.

„Seymour, alter Freund?“, änderte sich die Tonlage des befrackten Uhrlings. Er nahm die beschlagene Brille von der Nase, wischte sie an der Latzhose sauber und setzte sie wieder auf. „Seymour Schneckenreiter, aber natürlich. Jetzt erkenne ich dich auch. Willkommen!“ Willy Bold eilte seiner Natur getreu wackelnd auf den Reiter zu und schloss ihn herzlich in die Arme. Am ganzen Leib zitternd trat er wieder zurück. Es tut uns aufrichtig leid, dir in diesen überaus schlechten Zeiten oder vielmehr Zeitlosigkeiten keinen gemesseneren Empfang bereiten zu können.“

Die drei schwarzbelatzten Uhrlinge beäugten die Neuankömmlinge mit Skepsis, Argwohn und nervösem Zucken des jeweils linken Augenlids. „Gemessener Empfang, pah! Können ja momentan nicht mal die Uhrzeit messen“, murmelte der erste von Ihnen unüberhörbar.

„Jaja, das ist wahr, das große Uhrwerk steht seit … keiner kann mehr sagen wie lange schon still und mit ihm alle anderen in ganz Clockville. Unsere Lebensplanung ist hinüber, weil keiner mehr weiß, wann und somit wo er ist, geschweige denn sein sollte oder was er gerade tun müsste. Es ist schrecklich.“

„Das Ende“, wisperte eine der Uhrältesten. „Der Teig geht auf, die Flut rückt nahe.“ Ihre mysteriöse Prophezeiung verstanden die übrigen Uhrlinge wohl als Anstoß dafür, ins neue alte Muster zu verfallen. Ringsum schwoll der Lärmpegel wieder an. Es wurde gemotzt, gepöbelt und allem voran gepanikt.

„Wir sind jetzt schon im Rückstand“, schrie einer.

„Unaufholbar!“, stimmte der nächste ein.

„Was soll nur werden?“, fragte ein anderer.

„Der sekundiöse Ablauf ist gestört!“

„Vielleicht ist der Zeit selbst etwas zugestoßen“, jammerten alle durcheinander.

Der Schneckenreiter grübelte, wie er den Tumult bändigen und die verzweifelten Uhrlinge beschwichtigen konnte, da sauste ein Licht durch die Windungen seines alten Verstandes, und er begann sich an ein bestimmtes Ereignis zu erinnern, das sich womöglich als hilfreich erweisen mochte. Ein breites Lächeln spaltete seinen buschigen Bart wie ein Beil das Feuerholz. Keiner schien Notiz davon zu nehmen. Genauso wenig wie von dem Blitzen in seinen Augen. Keiner? Nun ja, mit Ausnahme eines kleinen Uhrlingsmädchens auf dem Arm einer korpulenten Fruhrling. Seinen großen Kulleraugen war nichts davon entgangen und es begann sofort am Ärmel seiner Mutter zu zupfen. Kaum hatte die Fruhrling ihren Griff um das Kind gelockert, hüpfte das Mädchen schon mit wippenden Flechtzöpfen vom Arm herab und rannte auf den Schneckenreiter zu.

Ohne ein Wort ergriff es seine runzelige Hand und führte ihn durch die Schneise in der Menge zum Uhrenkasten. Dort angekommen bat es den Reiter gestikulierend auf einem großen hölzernen Werkzeugkasten Platz zu nehmen.

„Seid alle ruhig!“, schrie das Mächen in die Menge, die von alledem wieder einmal nichts mitbekommen hatte und sich nun wunderte, von wo aus die helle Stimme ertönte, die keinen Widerspruch duldete. Von ihrem Buhrgermeister ganz gewiss nicht. Die Mutter der Kuhrling wusste es jedoch sofort und drehte sich um. „Guinee“, seufzte sie und konnte doch ein Lächeln nicht verbergen.

Ihrem Beispiel folgend, wandten sich auch alle anderen wieder der großen Uhr und damit dem Schneckenreiter und dem schwarzen Schopf an seiner Seite zu. Das Mädchen mit der Stupsnase und dem Fransenpony trat von einem Fuß auf den anderen, als es jeden Blick der Stadt auf sich ruhen sah. Es fasste sich ein Herz. „Ich habe gesehen, wie jener Herr Schneckenreiter eine Idee hatte und ich würde sie gern hören. Ich bin dafür, wir lassen ihn sprechen. Wer schließt sich mir an?“, stachelte Guinee die Menge an.

Verwirrte Blicke machten die Runde, und vereinzelt reckten sich Hände in die Höhe.

Davon bestärkt, fuhr sie fort. „Alle streiten sich, keiner kann sich beruhigen. Wir wissen nicht weiter, nicht einmal Raffnuss, Rufus und Rohfuß tun das.“ Damit deutete sie auf die drei Uhrmeister in den schwarzen Latzhosen, die das Uhrwerk vormals ausgiebig traktiert hatten.

„Nun ja … öhm“, murmelte Rohfuß, während die anderen beiden die Arme verschränkten.

„Was schadet es demnach ihm zuzuhören? Schlimmer kann es nicht werden“, schloss Guinee ihren Vortrag ab und wandte sich mit wehendem Pony dem Schneckenreiter zu. „Bitte erzählen Sie! Was schwebt Ihnen vor?“

Der Schneckenreiter holte tief Luft, was Globoli die Gelegenheit bot, das Mädchen eingehend zu mustern. Außer der kurzen Latzhose trug sie bestickte Strumpfhosen und Pluderbluse mit mechanischen Gerätschaften von A wie Aufzugkrone bis Z wie Zahnrad darauf. Aus ihren seitlich geflochtenen Zöpfen hatten sich passend zum Fransenpony einige Strähnen gelöst und fielen locker um ihre spitzen Ohren. Dann wurde Globolis Blick von den Schleifen, die den Rest des Geflochtenen zusammenhielten, angezogen und blieb prompt daran hängen. Na nu, das waren ja überhaupt keine Schleifen. Er blinzelte, rieb seine Tentakelaugen aneinander, fuhr sie soweit aus wie er konnte, ohne eine Tentakelzerrung zu riskieren, reckte sie noch ein wenig weiter vor und betrachtete die Schleifen, die keine waren, noch einmal genauer. Ja, in der Tat, da gab es kein Vertun. Schlafende aber davon nicht weniger lebendige Minifledermäuse umkrallten kopfüber hängend die Zopfenden des kleinen Mädchens. Die Rennschnecke schmatzte und konzentrierte sich wieder auf ihren Begleiter, der endlich genug Luft in seinen Lungen hatte, um erzählen zu können.

„Nun denn“, hob er an, „die Situation eurer Stadt erinnert mich an meine Zeit in den Landen Widewestwingtons.“

In Guinees Ohren klang die tiefe Stimme des Schneckenreiters wie sanftes Grollen, das sich tief aus dem Inneren schneebedeckter Gebirge erhob und sie wohlig frösteln ließ. Sie klang nach Abenteuer und roch nach Erfahrung. Abgestandener Erfahrung … obwohl das auch auf die Schnecke zurückzuführen sein konnte. Guinee kräuselte die Nase und schenkte dem Tier einen Seitenblick, während sie weiter den Worten des Reiters lauschte.

„Dort erzählte man sich bald, wann immer es zu Zwistigkeiten zwischen sich streitenden Geschwistrigkeiten kam, das Geheimnis hinter dem Schutz der Heimat, später dem sogenannten Heimatschutz.“

„Und was hat das mit uns zu tun?“, verlangte Raffnuss zu wissen.

Guinee stampfte mit einem ihrer Stiefel auf, der nicht unähnlich derer von Weihnachtswichteln schien. „Für gewöhnlich erfährt man das am Ende einer Geschichte, Raffnuss!“

„Genauso ungeduldig wie immer“, pflichtete Rufus ihr sofort bei. „Es ist sowieso deine Schuld, dass die Uhr steht.“ Damit stupste er Raffnuss.

„Von wegen“, stupste der zurück. „Wenn dann, hast du sie kaputt gemacht du ungehobelter …“

„Nananana! Das geht doch auch anders. Ihr seid schließlich Freunde. Genauso wie einst Yeti, Zwerg und Kobold. Auch wenn das nicht immer so war.“

„Was ist passiert?“, fragte Guinee mit süßer Stimme.

„Ja, was?“, fragte nun auch Willy Bolds Sohn und lugte hinter den Beinen seines Vaters hervor.

„Erzähl uns die Geschichte, Schneckenreiter!“, forderten sie.

„Ja, bitteeee“, fielen sofort sämtliche Kuhrlinge mit ein, kamen um die Beine der Erwachsenen herum und ließen sich im Schneidersitz auf den belatzten Hosenböden nieder.

Eine echte Stachelbeere dieses Mädchen, dachte der Schneckenreiter, schmunzelte erneut und kratzte sich am Kopf. „Hmmm, wie war das noch? Ach ja, so muss es gewesen sein.“

Er legte seinen Stab auf die knochigen Knie und beschwor mit seinen Händen die Bilder einer Erzählung herauf. „Eine meiner zahllosen Schneckenreisen führte mich in das verborgene Königreich Widewestwington und …“

Während die erwachsenen Uhrlinge noch unruhig hin und her rutschten oder von einem Bein aufs andere traten als müssten sie dringend … ihre Sohlen wechseln, hingen die Kinder bereits mit großen Augen an den bebenden Bartzipfeln des Schneckenreiters. Bei jedem Wort, das seine Lippen formten, wippten die buschigen Enden seicht auf und ab, kitzelten leicht seine Wangen und fesselten nach und nach auch den letzten umstehenden Muhr- wie Fruhrling. Selbst Raffnuss, Rufus und Rohfuß wurden nach einem strengen Zischen Guinees still und lauschten. Globoli lächelte und bettete den Kopf auf einen – so schien es ihm – eigens dafür hervorstehenden Kopfstein. Der Name sprach da doch für sich. Er rollte die Augtakel ein und schmatzte zufrieden.

„… dort erzählte man sich folgende Sage. Es ist ein Brauch, an dessen Entstehung ich gestehen muss, nicht ganz unschuldig gewesen zu sein.“ Der Reiter schmunzelte.

„Es begab sich denn, dass drei Wächter eine Pforte aus purem Gold hüteten. Doch der wahre Wert jener kostbaren Tür lag nicht etwa in ihrem Material oder der glitzernden Art, in der ihre Beschläge das Sonnenlicht reflektierten, oh nein! Ihr wahrer Wert lag dahinter. In dem verborgenen Königreich, das sie beschützte.

Unsere Geschichte handelt dessen ungeachtet nicht von diesem verblüffend königlichen Reich selbst und wie dort Zwerge, Trolle, Feen und sogar Aufmüpfe friedlich miteinander lebten, nein, weit gefehlt! Unsere Erzählung spielte sich davor ab, vor der goldenen Pforte, und begann so überhaupt nicht friedvoll.“

Der Schneckenreiter warf unter seinen buschigen Brauen einen Blick auf die drei Raufbolde, ehe er fortfuhr.

1.

Der verbo(r)gene Schlüssel zum Königreich

„Damals vor der großen Pforte Widewestwingtons fiel die Aufgabe ihrer Bewachung mehreren Wächtern zu. Ihrer Zahl drei, um genau zu sein. Man hatte sie erst kürzlich dazu auserkoren, weshalb sie einander nicht besonders gut kannten, geschweige denn leiden mochten. Umso schwerer fiel es ihnen folglich, sich auf eine Taktik der Bewachung zu verständigen. Von Einigung konnte gar nicht erst die Rede sein. Sie hätten nicht weiter davon entfernt sein können.

‚Ich sage, wir vergraben den Schlüssel und das Tor ist sicher.‘

‚Soso, und wer bist du, das zu sagen?‘

Der angesprochene Zwerg legte die Hand aufs Herz. ‚Nimrod Scriveldish, meines Zeichens oberster Schlüsselhüter.‘ Er griff an seine Rocktaschen und ließ sie gewichtig klimpern.

Der schnauzbärtige Kobold, der die Frage gestellt hatte, zog eine Grimasse und äffte ihn nach: ‚Oberster Blablabla. Und wenn du König Keksmeister von Marzipanien wärst, die Taschen voller Finkenfutter! Von einem Zwerg lasse ich mir gar nichts sagen! Pfeifen wir auf das krumme alte Klimperding!‘

Er beäugte den Schlüssel, auf den sich der Zwerg stützte und der etwa die Hälfte seiner Körpergröße maß. ‚Mein Schwert wird jeden Feind längst niedergestreckt haben, bevor der auch nur daran denken kann nach deinem Schlüssel zu greifen.‘

Das handelsübliche Kurzschwert, das er in die Luft reckte, überragte den strammen Schnauzbart um eine ganze Klingenlänge, und machte es somit bei der eigenen Körperkürze zu einem Überlangschwert. Nichtsdestotrotz wusste er es erstaunlich geschickt zu handhaben. Es fiel ihm nur ein einziges Mal herunter. Vor den folgenden zwei Malen jedenfalls.

‚Ach ja?‘, fragte der Zwerg und machte einen Schritt auf den Kobold zu, der seinerseits nun wieder gar nicht daran dachte zurückzuweichen. Schon standen sie einander Stirn an Stirn und Schlüssel an Schwert gegenüber.

‚Ja! So wahr ich Hogelgard heiße‘, grunzte Hogelgard.

‚Duuu!‘

Der Erdboden erbebte, als sich den Streitbolden von hinten schwere Schritte näherten. Große, haarige Arme schlossen sich um die beiden und drückten sie so fest aneinander, dass ihnen die Luft entwich, die Rippen knacksten und ihre Köpfe kirschreifrot anliefen. Sie strampelten mit den Beinen und versuchten sich bei Leibeskräften zu wehren, um sich aufeinander stürzen zu können, doch der Erdbebenverursacher wiegte sie in aller Ruhe hin und her und summte mit sonorer Stimme eine Schlafmelodie dazu.

Nach und nach erloschen ihre Kräfte und mit ihnen auch der Widerstand, den sie zu leisten vermochten. In dem Moment setzte sie der zottelige Yeti wieder ab. ‚Na bitte, ihr habt euch beruhigt. So ist’s recht. Seid eins mit den Krumen des Gerölls und atmet seinen Staub.‘

Beide verdrehten die Augen, wandten einander den Rücken zu und verschränkten ihre Arme vor der Brust. Dann schielten sie aus dem Augenwinkel zu dem Riesen. Mit einem weiteren Beben ließ der sich auf sein Hinterteil plumpsen und formte mit seinem gurkenlangen Zeige- und Mittelfinger ein V. ‚Hi! Ich bin Padalupwe.‘

‚Pfft‘, zischte der Zwerg.

‚Pah, was is’n das für’n beknackter Name?‘, grummelte Hogelgard.

Die Augen des Yetis weiteten sich und wurden glasig. ‚Das ist der Name meiner Mutter. Paps hat mich nach ihr benannt‘, sprach der gegen einen Kloß im Hals an.

‚Oh, Verzeihung.‘ Hogelgards grimmige Miene glättete sich. So eilig ihn die kurzen krummen Beine trugen, stapfte er zu dem Yeti, um dessen muskulösen Unterarm zu tätscheln.

Nimrod schüttelte den Kopf und gestikulierte wild, dass das als Entschuldigung nicht ausreichte.

Hogelgard zuckte die Schultern und rang um weitere Worte. ‚Ich … ich meine, das ist natürlich ein außerordentlich ge… geschmackvoller Name. Habe ich beknackt gesagt? Also, du musst wissen‘, stammelte er, als ihm plötzlich ein Licht aufging, das in Form eines Lächelns über sein Gesicht huschte. ‚Also, beknackt heißt bei uns Kobolden gut: Du bist ja total beknackt! Das sagt man so. Ein größeres Kompliment gibt es gar nicht.‘

Stolz nickte er über seinen eigenen Einfall.

‚Ach, echt?‘, fragte Padalupwe, wischte sich die Schniefnase und zückte einen gigantischen Schnabelbecher.

‚Ja, ja, wirklich.‘ Hogelgard blickte hilfesuchend zu Nimrod, den nun auch Padalupwe fragend anglotzte.

Der Zwerg zog eine Augenbraue hoch, seufzte und gesellte sich dann näher zu den beiden. ‚Mhm, ja, das hab ich auch schon gehört. Die Kobolde sind eben ein … außergewöhnliches Völkchen.‘

Hogelgard kniff die Augen zusammen, blieb aber still.

‚Einen schönen Hammer hast du da, mein zotteliger Freund‘, lenkte Nimrod ab. ‚Mit dem könntest du Angreifern sicherlich ordentlich eins überbraten.‘

Wieder weiteten sich die Augen des Yetis. ‚Ich bin Pazifist. Das Hammerwerfen dient nur der Abschreckung. Hört mal!‘

Padalupwe schwang den Hammer über seinem Schädel, ließ ihn sirren, swooshen, zischen und schmoschen.

‚Beeindruckend‘, musste Nimrod gestehen.

Auch Hogelgard nickte. ‚Du bist ja ein Wahnsinnskerl, Padalumpur … Padaradauz … Pada …‘

‚… lupwe‘, beendete Nimrod den Satz des Kobolds und fing sich beinahe einen Fausthieb ein. Im letzten Moment konnte er ihm noch ausweichen und ballte nun seinerseits die Fäuste.

‚Nanana!‘ Wieder streckte der Yeti die Arme nach den beiden aus, doch als diese sie wie zwei behaarte Keulen auf sich zukommen sahen, hoben sie beschwichtigend die Hände.

‚Schon gut, schon gut, alles gut. Siehst du? Ich bin ganz ruhig‘, sagte Nimrod.

‚Die Ausgeglichenheit in Person‘, pflichtete Hogelgard ihm bei. ‚Aber dir verpassen wir vielleicht lieber einen Spitznamen. Wie wäre es mit … Shmosh?‘

‚Hmm, ja‘, nickte Nimrod, ‚klingt gut.‘

‚Klingt nach einem Hammer, der durch die Luft saust‘, korrigierte Hogelgard.

Padalupwe, fortan genannt Shmosh, lächelte und nahm einen großen Schluck Honigharz aus seinem Schnabelbecher. ‚Punkt eins hätten wir geklärt, bliebe da nur noch das Problem mit der Pforte und wie wir sie am besten verteidigen.‘

‚Kleinigkeit‘, seufzte Hogelgard und ließ sich auf einem Stein nieder. Shmosh reichte ihm den Becher, den der Kobold gerade so mit beiden Händen umklammern konnte.

Dann ließ auch Nimrod sich nieder und sah mit den anderen beiden dabei zu, wie sich das Sonnenlicht in dem Gold des Tores spiegelte und flirrend zurückgeworfen wurde, während er den Honigtrunk entgegen nahm.

Am nächsten Morgen erwachten Hogelgard und Shmosh beinahe zeitgleich, nur um festzustellen, dass der verbogene Schlüssel samt seines Hüters verschwunden war.

‚Ha, wusst’ ich’s doch! Der Zwerg hat uns ausgetrickst‘, schimpfte der Kobold sogleich und wirbelte so schnell mit seinem Schwert herum, dass kein Auge ihm folgen konnte.

Shmosh gähnte. ‚Und was, wenn ihm etwas passiert ist? Wir sollten ihn suchen.‘ Er rieb sich die Augen.

‚Und unseren Posten verlassen? Das will er doch nur, dieser durchtriebene …‘

Ein Liedchen pfeifend, trat Nimrod hinter einem Gebüsch hervor und zog seinen Gürtel straff. ‚Na? Gut geschlafen?‘

‚Was hast du mit dem Schlüssel gemacht?‘ Hogelgard drückte ihm die Schwertklinge gegen die Kehle, noch ehe Nimrod sie kommen sah.

‚Ruhig Blut. Ich habe ihn vergraben. An einer sicheren Stelle.‘

‚Ich sagte doch, das würde nicht nötig sein‘, erwiderte Hogelgard und ließ widerstrebend die Klinge sinken, als er Shmoshs schockierten Gesichtsausdruck bemerkte.

‚Und ich gehe lieber auf Nummer sicher‘, antwortete der Zwerg.

‚Sicher, was soll das überhaupt heißen? Ist sie etwa unter dem Gebüsch.‘ Der Kobold ruckte mit dem Kopf in die Richtung, aus der Nimrod zuvor erschienen war.

Der schürzte die Lippen und sah in die Luft. ‚Wer weiß?!‘

‚Also ist sie dort. Ist ja lächerlich. Sicher.‘

‚Von wegen. Ich geb’ dir gleich lächerlich.‘ Aus seinem Stiefel beförderte Nimrod einen länglichen Gegenstand hervor. Seinem Glänzen zufolge musste er aus Metall sein. Er zog ihn auseinander wie ein Fernrohr und deutete schließlich mit der verlängerten Spitze auf Hogelgards Hals. Zumindest hatte er dorthin gezielt, aber wieder einmal die fixen Bewegungen des Kobolds mit seinem Schwert unterschätzt. Statt auf ihn zu deuten, steckte der Gegenstand nun mit der Spitze voran im sandigen Boden. Nimrod starrte noch auf seine leeren Hände, während Hogelgard laut lachte. ‚Eine Klapplanze! Nicht dein ernst! Die sind so von gestern! Die Qualität taugt auch nichts. Typisch Zwerg.‘

In Nimrods Augen loderte Zorn. ‚Wenn mich nicht alles täuscht, stammt deine Klinge ebenfalls aus Zwergenschmieden. Als wäre ein ritterlich mittelalterliches Schwert der neueste Schrei unter den Waffen.‘

Hogelgard ließ die Knöchel knacken, bis sie weiß anliefen und taub wurden. Zwischen zusammengebissenen Zähnen zischte er hervor: ‚Nimm deine schäbige Rostlanze und stell dich dem Duell, von Zwerg zu Kobold.‘

‚Jungs‘, versuchte Shmosh sich einzumischen.

Nimrod zog die Lanze aus dem Sand und ging in Angriffsposition. ‚Irgendwelche letzten Worte, Hogelbart?‘

‚Ich heiße Hogelgard!‘

‚Juhungs!‘

Nimrod machte eine wegwerfende Handbewegung. ‚Morgen wird dein Name ohnehin vergangen sein. Vom Sande verweht!‘

‚Grrr. Nein, deiner!‘

‚Also Jungs, bitte, wenn ihr …‘

‚Das wollen wir ja mal sehen.‘

Die beiden begannen sich zu umkreisen wie Wespen im Bikini bei einem Ringerduell, als der Yeti jeden von ihnen mit jeweils einer Hand packte und von der Pforte fort in Richtung Horizont drehte. ‚Jungs, wir bekommen Besuch, und der wirkt reichlich unerfreut auf mich. Bestimmt hat ihm seine Mutter niemals Kekse zum Geburtstag gebacken.‘

‚Ja, das wird’s sein‘, knirschten Hogelgard und Nimrod. Sie verstärkten den Griff um ihre Waffen und wappneten sich für den Kampf, während die Staubwolke unaufhörlich näher rückte. Einige Lanzenlängen entfernt verlangsamte sie sich und blieb unvermittelt stehen. Nachdem sich der Staub gelegt hatte, erkannten die Wächter endlich, was sich ihnen näherte. Das, was da auf spindeldürren Beinen auf die drei zuwankte, sah aus wie eine Mischung aus Stabheuschrecke und zerlumpter Steppdecke.

‚Ich glaub es nicht! Eine Steppschrecke‘, flüsterte Nimrod, und die drei Wachen rückten enger zusammen.