Der Schwabenspiegel. Jahrbuch für Literatur, Sprache und Spiel / Der Schwabenspiegel 2018 -  - E-Book

Der Schwabenspiegel. Jahrbuch für Literatur, Sprache und Spiel / Der Schwabenspiegel 2018 E-Book

0,0
8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der vorliegende Band des Schwabenspiegels fasst zwei Ereignisse des Vereins Schwäbisches Literaturschloss Edelstetten zusammen: Den literarischen Salon an Christi Himmelfahrt 2018, der in diesem Jahr Räuber und Wilderer zum Thema hatte. Und andererseits herausragende Texte zum Thema „wilde Literatur“, die am 30. September 2018 beim Schwäbischen Poetry-Slam in Rap-Battles und Slams, vorzugsweise in schwäbischer Mundart, vorgetragen wurden.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 141

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Klaus Wolf

Vorwort

Sieglinde Hartmann

Jagd und Wilderei in mittelalterlicher Liebesdichtung

Robert Steinke

Der Räuber in der älteren deutschen Literatur

Katrin Freund

Die Moritat von der „Gefangennahme des Bayrischen Hiasl zu Osterzell“

Verena Linseis

De Woch fangt scho guad o

Gerd Holzheimer

Der Ganghofer

Was werd jetz des für a Rehbock sei?

Christine Sandner

Die Sucht

Ja, was braucht denn a Jäger heit no?

Tanja Sandner

Impressionen vom Schwäbischen Poetry-Slam

Bumillo

I red wia I red

Sylvie le Bonheur

Futur der Liebe

Markus Siefer

Augschburg

Zwetschgadatschi

Lucienne Springer

Intro: „Aber woisch, I be glücklich so wie i bin, Kind 8 Jahre“

Thomas Müller

A-Capella-Battle-Rap

Dizzepticon vs. Akanoo

Das Battle

Stefanie Engel

Das Augsburger Passionsspiel von St. Ulrich und Afra

Klaus Wolf

Das Sarner Bruderklausenspiel von Johann Zurflüe (1601)

Die Päpste liebten sie

Bildnachweis

Klaus Wolf

Vorwort

Der vorliegende Band des Schwabenspiegel vereint zwei Ereignisse des Vereins Schwäbisches Literaturschloss Edelstetten. Zum einen wird der literarische Salon an Christi Himmelfahrt 2018 dokumentiert. Darin ging es um Räuber und Wilderer im Literaturschloss. Zum anderen geht es um wilde Literatur, nämlich um Rap-Battles und Slams, vorzugsweise in schwäbischer Mundart. Dabei werden herausragende Texte des Events am 30. September 2018 im vorliegenden Band präsentiert. Beide Ereignisse standen unter der Schirmherrschaft von Ursula Fürstin Esterházy, der dafür ausdrücklich gedankt sei.

Sieglinde Hartmann

Jagd und Wilderei in mittelalterlicher Liebesdichtung

Hadamar von Laber: ‚Die Jagd‘ (um 1335)

‚Die Jagd‘ des mittelalterlichen Dichters Hadamar von Laber nimmt in der deutschen Literaturgeschichte eine besondere Stellung ein. Sie gilt als „verbreitetste und einflußreichste deutsche Minneallegorie“1.

Was sagt uns diese Charakterisierung heute? Was steckt hinter den Begriffen „Minne“ und „Allegorie“? Und: wie sind „Minne“ und „Allegorie“ in dieser Dichtung mit dem Phänomen Jagd verschmolzen, wie es der Titel suggeriert?

Die Schlüssel zur Lösung der Frage bieten in der Tat die Begriffe „Minne“ und „Allegorie“.

Der Begriff „Minne“

Mit dem mittelalterlichen Substantiv „Minne“ bezeichnet man seit der Wiederentdeckung des hochmittelalterlichen Minnesangs eine spezifische Form seelischer Liebe.

Im Unterschied zu antiken Liebesdichtungen zielt diese Art der Liebe nicht auf eine körperliche Erfüllung in Formen sinnlicher Erotik. Die neue Liebesauffassung des Minnesangs war von den andersartigen Idealen der neuen höfischen Adelsgesellschaft geprägt. Darin bildete ein neuartig ideelles Liebesglück, die ‚Herzensliebe‘, als sittlich veredelnde Kraft die Sinnmitte.

Als Medium sittlicher Veredelung fungierte die geliebte Frau, die nun eine dominante Stellung in der Rollenverteilung unter den Liebespartnern einnahm. Dem männlichen Partner fiel stattdessen die dienende Rolle eines lebenslangen Werbens um die Gunst der Geliebten zu. Denn die sittliche Vervollkommnung des Minnedieners beziehungsweise Minnesängers erfolgte nur dann, wenn er auf die körperliche Erfüllung seines Liebeswerbens verzichtete. Der Lohn des lebenslangen Minnedienstes war also ideeller Natur und zudem mit Verzicht auf erotische Vereinigung erkauft. Die Spannung in dieser ideellen Liebesbeziehung resultierte aus dem darin inhärenten Paradox, worin Liebe und Leid, Hoffnung auf Glück und Liebeskummer unlöslich verbunden waren.2

Dementsprechend war die Szenerie des höfischen Minnesangs von den inneren Auseinandersetzungen widerstreitender Triebkräfte und Liebesmotive erfüllt. Bisweilen entluden sich die Spannungen in dialektisch zugespitzten Streitgesprächen. Andererseits wollte man sich vorstellen, wie solche widerstreitenden Liebesgefühle gedanklich zu erfassen wären.

Bereits noch im 12. Jahrhundert hatte das Thema Minne solch eine alles überragende Geltung erlangt, dass sich sogar gelehrte Autoren damit befassten. So widmete der Kleriker Andreas Capellanus dieser Problematik (um 1174/1186) einen dreibändigen philosophischen Traktat (‚De amore libri tres‘: Drei Bücher von der Liebe), ein Werk, das von seinen Zeitgenossen eifrig diskutiert und von seiner Nachwelt als kanonisch rezipiert wurde.3

Allegorien im Mittelalter

Volkssprachliche, deutsch und französisch schreibenden Dichter ersannen indes eine andere Form literarischer Darstellung: die Allegorie. Die Allegorie war als rhetorisches Mittel seit der Spätantike bekannt, um abstrakte Phänomene oder Begriffe zu personifizieren und ihr Wesen in Handlungen zu veranschaulichen.

Dem Mittelalter und allen folgenden Jahrhunderten ist diese Form einer abstrakten und zugleich konkreten Verbildlichung hauptsächlich über die Psychomachia („der Seelenkampf“) des christlich-spätantiken Dichters Prudentius (* 348; † nach 405) vermittelt worden4. Den Inhalt der Psychomachie, die als das erste durchgehend allegorische Gedicht der europäischen Literatur gilt, bildet ein Kampf zwischen sieben personifizierten christlichen Tugenden und sieben heidnischen Lastern um die Vorherrschaft in der menschlichen Seele. Dabei veranschaulicht Prudentius die Kampfhandlungen zwischen den allegorischen Figuren mit dinglich anschaubaren, realistischen Details. So treten seine allegorischen Gestalten in vollständiger Bewaffnung auf und ziehen ihr Schwert wie zum Beispiel die Demut (lat. Humilitas), um ihre Gegnerin, die Verkörperung des Hochmuts (lat. Superbia), durch Enthaupten unschädlich zu machen.

Abb. 1: Illuminierte Handschrift des 8. Jahrhunderts n. Chr., London, British Library MS Cotton Cleopatra C. VIII, Canterbury, Christ Church, folio 17: Die Demut präsentiert den abgeschlagenen Kopf der Superbia (Laster des Hochmuts).

Erstaunlich wirkt heute, dass das kriegerische Personal überwiegend weiblichen Geschlechts ist. Der Grund dafür war rein sprachlicher Natur. Denn entsprechend dem lateinischen Genus des Begriffs, den sie verkörperten, wurden sie als weibliche Gestalten personifiziert. Mittels dieser quasi realistisch dargestellten Zweikämpfe gewinnen also eigentlich unsichtbare Phänomene wie der innere Widerstreit zwischen den Kräften des Guten und des Bösen eine plastisch anschaubare Präsenz.

Da das Schicksal der menschlichen Seele während des Mittelalters ins Zentrum des neuen christlichen Glaubens rückte, wirkt es verständlich, warum kaum ein anderes rhetorisches Mittel sich als ähnlich wirksam erweisen würde, um das Hauptanliegen christlicher Dichter zu erfüllen, nämlich seelische Vorgänge im Innern des Menschen sichtbar zu machen.

Kein Wunder also, dass die Psychomachie des Prudentius eine Langzeitwirkung entfalten konnte, die schließlich über die Grenzen der religiösen Literatur hinaus auch in der weltlichen Literatur als Darstellungsmuster aufgegriffen wurden.

Spätmittelalterliche Minneallegorien und ihre Handlungsmodelle

Das gilt besonders für die spätmittelalterlichen Liebesdichtungen, die nach dem Verblühen des Minnesangs die deutsche Literatur im 14. Jahrhundert beherrschten: Minnereden und ihre Sonderformen der Minneallegorien.5

Vor allem in den Handlungsallegorien, worin der konkrete Vorgang des konfliktreichen Liebeswerbens geschildert werden sollte, haben sich als beliebteste Handlungsmodelle die Eroberung einer Burg wie in der ‚Minneburg‘ und die ‚Jagd‘ wie in der gleichnamigen Allegorie des Hadamar von Laber durchgesetzt.6 Von diesen beiden Handlungsmustern hat sich die sinnbildliche Bedeutung der Eroberung einer Burg bis heute im allgemeinen Sprachgebrauch erhalten. Will ein Mann die Liebe einer Frau gewinnen, so muss er sie erobern. Da versteht jeder, was gemeint ist, auch ohne die kriegerischen Details zu erwähnen, die beim Erstürmen einer Burgfeste notwendig waren.

Es ist mir allerdings nicht bekannt, dass man für den gleichen Vorgang des Liebeswerbens sagen würde: der Mann will die Frau, die er liebt, erjagen oder erbeuten. Ein Begriff wie Liebesjagd ist anscheinend nicht mehr gebräuchlich. Befragt man die Wörterbücher, so zeigt sich, dass im ‚Deutschen Wörterbuch‘ der Gebrüder Grimm zwar noch ein Beleg aus einem Gedicht Heinrich Heines aufgeführt ist. Dabei ist die Metapher der Jagdbeute allerdings auf den liebenden Mann gemünzt, womit der Sinn der mittelalterlichen Jagdallegorie in ihr Gegenteil verkehrt wäre.7 In heutigen Wörterbüchern wie dem ‚Großen Duden‘ findet man das Begriffspaar indes mit keinem Zitat mehr verzeichnet.

Für uns stellen sich daher zwei Fragen:

1. Worin liegt die nachweisbare Beliebtheit von Hadamars Jagdallegorie bei seinem spätmittelalterlichen Publikum begründet? Und weshalb hat sich Hadamars ‚Jagd‘ als Modell für das männliche Liebeswerben nicht über das Mittelalter hinaus erhalten?

2. Worin liegt die nachweisbare Beliebtheit von Hadamars Jagdallegorie bei seinem spätmittelalterlichen Publikum begründet?

Wenn man die Literaturszene erkundet, so wie sich im deutschen Sprachraum des 14. Jahrhunderts darbietet, so stößt man rasch auf ein ästhetisches Alleinstellungsmerkmal, das den besonderen Status von Hadamars Jagdallegorie zu erklären hilft.

Denn im Unterschied zu allen übrigen Minneallegorien hat der Dichter Hadamar von Laber sein Werk nicht in schlichten Reimpaaren verfasst, sondern in einer komplexen Strophenform von erheblichem poetischen Prestige. Die Strophenform, die als Titurelstrophe bekannt war, geht auf Wolfram von Eschenbach (um 1170 – um 1220) zurück, der zu Hadamars Lebzeiten die höchste Wertschätzung unter den drei großen Epikern der höfischen Literatur genoss. Die bekannten Fragmente der Titureldichtung legen den Schluss nahe, dass Wolfram in diesem Werk die Liebesgeschichte von Sigune und Schionatulander darzustellen beabsichtigte und dafür eine eigene strophische Form geschaffen hatte. Der Titel ‚Titurel‘ leitet sich von Sigunes Urgroßvater König Titurel ab, der als Stammvater der Gralsdynastie galt. Wie manch andere unvollendete Werke der höfischen Klassik, so fand auch diese Liebesdichtung einen Fortsetzer oder besser: Bearbeiter. Dieser Autor ist als Albrecht (von Scharfenberg) dokumentiert und hat Wolframs Entwürfe um 1260/1270 zu einem Epos von über 6.000 Strophen ausgearbeitet. Dabei hat der spätere Autor die Strophenform auf sieben Zeilen von reizvoll abwechslungsreicher Versfügung, aber mit durchgehenden weiblichen Endreimen erweitert.

Es ist auch heute noch leicht vorstellbar, dass solch schwierige, reimtechnische Formvorgaben einen Dichter von virtuoser Kunstfertigkeit erforderte und zugleich einen Sänger von besonderen Gnaden. Denn diese Allegorie war, wie die Überlieferung der dazu gehörigen Melodie beweist, zum Gesangsvortrag bestimmt.8 Offenbar war Hadamar von Laber auch der wirkungsvollste Interpret seines Werkes. Denn die schriftliche Überlieferung seiner Jagdallegorie setzt erst nach seinem mutmaßlichen Tod in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts ein.9

Hadamar von Laber (ca. 1300 – ca. 1354): Herkunft und Wirkungskreis

Mit der Strophenform gewinnen wir zugleich ein Indiz für das Publikum, das solch exquisite höfische Epik zu goutieren wusste und auch danach verlangte. Es ist in den höchsten Adelskreisen zu suchen, dem der Autor selbst angehörte.

Wie die Forschung wahrscheinlich gemacht hat, entstammte der Dichter Hadamar von Laber einem hochangesehenen bayerischen Adelsgeschlecht, dessen Stammburg Laaber rund 25 km nördlich von Regensburg lag. Als Dichter der Jagdallegorie gilt Hadamar III., wobei Urkunden bezeugen, dass dieser Hadamar enge Beziehungen zum Hof Kaiser Ludwigs IV. unterhielt. Der Dichter ist sogar in die Dienste des ältesten Sohns des Kaisers, des Markgrafen Ludwig von Brandenburg (1315–1361), aufgenommen worden, der ihn im Jahr 1354 zum Rat ernannte.10

Die Jagd im Mittelalter: Adelsprivileg und Wissenschaft

So exklusiv wie die hochadligen Kreise, in denen sich Hadamar bewegte, war auch die Jagdmotivik, die er sich für seine Minneallegorie erwählt hatte.

Denn seit dem Hochmittelalter war in Deutschland wie in Frankreich das Jagdrecht auf ein Privileg des Adels eingeschränkt worden.11 Gleichzeitig ist die Ausübung der unterschiedlichen Jagdarten in die ‚Septem Artes mechanicae‘ (Sieben Handwerkskünste) aufgenommen worden, und damit zugleich wissenschaftlich geadelt worden. Dementsprechend sind lateinische Traktate mit detaillierten Anleitungen und Regeln für ein kunstgerechtes Waidwerk verfasst worden, zunächst in der lateinischen Gelehrtensprache, im Spätmittelalter außerdem in den Nationalsprachen.

Abb. 2: Kaiser Friedrich II. mit seinem Falken auf dem Titelbild seines Traktats über die Beizjagd ‚De arte venandi cum avibus‘ (Vatikanische Apostolische Bibliothek, Codex Pal. Lat. 1071)

Die berühmtesten Jagdtraktate stammen bekanntlich aus der Feder hochadliger Autoren wie Kaiser Friedrich II. und Gaston III. Fébus (Phoebus), Graf von Foix (1331–1391)12.

Als Handlungsmodell hatte Hadamar von Laber die Hetzjagd auf Rotwild gewählt, eine Form der Jagd, die nicht nur in der höfischen Artusepik zum königlichen Waidwerk par excellence gehörte, sondern ebenfalls vom Hochmittelalter bis in die Neuzeit hinein ein prestigeträchtiger Bestandteil adliger Lebensformen bildete.

Abb. 3: Gaston Fébus: Le livre de la Chasse, 1387/89; Autorbildnis in der Handschrift der Bibliothèque nationale de France (Ms. Fr. 616)

Bereits zu Hadamars Lebzeiten hatten sich für die Hetzjagd bestimmte Praktiken und Regeln herausgebildet, die der Dichter dementsprechend in seiner Allegorie zur Grundlage seiner Handlungsführung macht.

Ein vornehmer Jäger versammelt seine Meute an abgerichteten Jagdhunden und zieht in den Wald. Der Leithund, den der Jäger an der Leine führt, hat die Fährte des Wildes aufzuspüren, um die Meute auf die Verfolgung des Wildes zu hetzen. Die Meute muss versuchen, das Wild zu stellen und zu umzingeln. Das Umzingeln und Stellen des Wildes (mittelhochdeutsch „bîl“) bildete normalerweise den Abschluss der ersten Jagdphase, an die sich weitere Umzingelungsversuche anschließen konnten, falls es dem Wild gelingen würde, zu entkommen. Die Schlussphase, das Ende der Jagd, war erreicht, wenn der Jäger dem Wild den Todesstoß versetzte.

Die Formen der Allegorie in Hadamars ‚Jagd‘13

Wie in seiner Formkunst so gelingt es Hadamar von Laber in gleichem Maß, seine inhaltliche Gestaltung dank besonderer Kunstgriffe von Beginn an auf Ebenen intellektueller Hochspannung zu heben. Der Dichter setzt nämlich nicht Jagdgesellen als allegorische Figuren ein, sondern er personifiziert seine Jagdhunde mittels sprechender Namen. Die Rolle des Jägers und des Erzählers vereint Hadamar aber in seinem eigenen Ich. Dabei bleibt offen, inwieweit das Jagdgeschehen, von dem er in der Rückschau berichtet, sich in seiner Innenwelt oder doch auch in seiner Außenwelt abgespielt hat. Denn so beschreibt Hadamar den Aufbruch zur Jagd:

Durch suochen wildes genge

fuor ich an einem morgen.

Wie ez wirt mangem strenge,

daz hân ich sît erfunden wol mit sorgen.

Doch lêrt mich iagen frôlich frouwe Minne

Ein fart, dâ mir sît dicke

ist zerrunnen aller mîner sinne. (Strophe 8, Edition Schmeller)14

„Auf der Suche nach der Fährte des Wildes brach ich eines Morgens auf. Wie schwierig dieses Unterfangen für so manchen Jäger ist, habe ich wenig später leidvoll erfahren. Obgleich Frau Minne es war, die mir den Weg zur Jagd wies, habe ich doch später unterwegs mehr als einmal beinahe den Verstand verloren.“ (Übersetzung von S. Emmerling, Strophe 6)15

Wie hoch hier der Spannungsbogen aufgebaut wird, erweist sich in den unmittelbar folgenden Versen, als der Dichter bekannt gibt, dass er sein eigenes Herz zum Leithund machte (Strophe 9, Edition Schmeller). Soll diese Personifikation des Herzens in der Gestalt eines Hundes hier eine Persönlichkeitsspaltung andeuten? Vielleicht doch nicht. Denn das Herz ist als Leithund Teil der übrigen Meute, die aus zwölf Jagdhunden (Strophe 11 bis 18) besteht, welche die inneren Eigenschaften, Sehnsüchte und Liebestugenden des Minnejägers verkörpern. Voller Vorfreude ruft das Regie führende Ich alle einzeln auf und schickt seine Hunde namens ‚Glück‘, ‚Lust‘, ‚Liebe‘, ‚Leid‘, ‚Gnade‘, ‚Freude‘, ‚Wille‘, ‚Wonne‘, ‚Trost‘, ‚Beständigkeit‘, ‚Treue‘ und das Beharrungsvermögen, personifiziert im alten Jagdhund ‚Harre‘, zur Jagd in den Wald voraus.

Er selbst folgt mit seinem Leithund an der Leine und so nimmt das Vexierspiel mit der virtuellen Welt der Allegorie seinen Lauf, und zwar in hohem Tempo, bis sich die Ereignisse geradezu überschlagen. Denn kaum hat der Leithund Herz die Fährte des Wildes aufgespürt, jagt die Hundemeute los, spürt das Wild auf, der Minnejäger eilt zu dem umzingelten Wild, aber sein Leithund reißt sich von der Leine, das Wild verwundet ihn schwer und entkommt (Str. 121). Mithin ist der erste Versuch, das Wild zu stellen, gescheitert.

Der Minnejäger muss seinen Leithund wieder einfangen, da ereilt ihn ein weiteres Missgeschick. Sein Pferd hat ein Hufeisen verloren, die Fortsetzung der Jagd scheint aussichtlos, zumal sich auch die Hundemeute zerstreut hat.

In dieser fatalen Lage begegnet dem Jäger ein erfahrener Waidmann. Der Minnejäger bittet ihn um Rat und Hilfe. Der Alte rät dem Jungen, statt nach weltlicher Minne nach der Liebe Gottes zu streben. Der junge Jäger hat sich jedoch mit Leib und Seele dem weltlichen Minnedienst verschrieben. Deshalb beginnt er die Jagd von Neuem.

Abb. 4: Darstellung einer mittelalterlichen Hetzjagd auf Großwild mit Hundemeute und Jagdgesellen im Autorbildnis des Minnesängers Der von Suonegge im Codex Manesse, Zürich, Anfang des 14. Jahrhunderts

Inzwischen sind jedoch andere Jäger in sein Revier eingedrungen. Da wendet sich plötzlich das Jagdglück. Wie von Zauberhand herbeigeführt, tauchen die Jagdhunde des rechtmäßigen Jagdherrn wieder auf, das Wild wendet seinen Lauf und flieht vor den Eindringlingen direkt auf den Minnejäger zu. Die Hunde Wille, Freude und Wonne stellen das Wild. Nun kommt der Jagdgeselle mit dem Hund ‚Ende‘, um dem Wild das Ende zu bereiten.

Da erschrickt der Minnejäger. So als ob er aus einer Traumwelt erwachte, ruft er: „Solt ich ez danne morden?“ (Strophe 355,1 – Sollte ich das Wild denn töten?)

Nun überschlagen sich wieder die Ereignisse. Während der Minnejäger einen zornerfüllten Streit mit dem Jagdgesellen ausficht, fallen Wölfe ein, das Wild entkommt, der Leithund Herz wird abermals schwer verwundet. So endet auch der zweite Jagdversuch in einem eklatanten Misserfolg.

Bezeichnenderweise startet der Dichter keinen dritten Versuch. Stattdessen ergeht er sich in Reflexionen über den Misserfolg; bis zum Schluss folgen Klagen, Selbstanklagen, auch eine Klage des Herzens vor einem imaginären Minnegericht, alles ohne waidgerechte Lösungen.

Denn das Dilemma, wie man das Wild erjagen könnte, ohne es zu töten, bleibt ungelöst. Der Minnejäger beendet seine Überlegungen schließlich mit einem Scheinschluss: Er wolle sich von seinem Liebesleid nie mehr trennen, und wenn der Tod ihn von seinem Leib scheide, solle seine Seele die Jagd mit seinem Hund Beharrung auf ewig fortsetzen.

Am Beispiel dieser Scheinlösung wird vollends klar, warum sich Hadamars ‚Jagd‘ nicht über das Mittelalter hinaus als Modell für das männliche Liebeswerben erhalten hat. Die umworbene Minneherrin und Herzensgeliebte zu erjagen, würde bedeuten, sie und die Herzensliebe zu töten.

Mithin würde die Jagd das Gegenteil von dem bewirken, was die höfische Minnekonzeption mit ihrem Leitbegriff der Herzensliebe intendiert hatte: die Sinnmitte einer neuartig sittlich veredelnden Kraft zu schaffen.

Die mythische Dimension von Hadamars Liebesjagd

Jetzt stellt sich aber doch noch eine Frage grundsätzlicher Art: Hatte mit Hadamars Jagdallegorie zugleich die Allegorie als poetisches Darstellungsmuster und Deutungsverfahren ausgedient?

Meines Erachtens, nicht wirklich, auch nicht aus der Rückschau des 21. Jahrhunderts. Denn nachweislich sind Allegorien in Kunst und Literatur bis ins 20. Jahrhundert verwendet worden.

Abb. 5: Die Vision des Hl. Hubertus, Niederländischer Meister, um 1600