Der Seele eine Heimat geben - Christoph Kreitmeir - E-Book

Der Seele eine Heimat geben E-Book

Christoph Kreitmeir

0,0
12,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Es gibt eine große Sehnsucht nach innerem Frieden und Freisein von Sachzwängen, Anforderungen und Belastungen. In seinem neuen Buch geht Christoph Kreitmeir den Wünschen spirituell interessierter Leserinnen und Leser nach, bei sich selbst anzukommen, Quellen innerer Kraft zu entdecken und damit Ja zum Leben sagen zu können. Denn „das Glück deines Lebens hängt von der Beschaffenheit deiner Gedanken ab“ (Marc Aurel).

  • Die Quellen innerer Kraft entdecken
  • Ein Anker im Ozean spiritueller Heimatlosigkeit
  • Zur Ruhe finden in gehetzten Zeiten
  • Praxiserprobt und zeitgemäß

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 187

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Christoph Kreitmeir

Der Seele eine Heimat geben

Spirituelle Impulse für ein gutes Leben

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.

Trotz intensiver Recherche war es leider nicht in allen Fällen möglich, den jeweiligen Rechteinhaber ausfindig zu machen. Für Hinweise ist der Verlag dankbar, Rechtsansprüche bleiben gewahrt.

Copyright © 2019 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

Umschlagmotiv: pixabay.com

ISBN 978-3-641-24082-0V001

www.gtvh.de

»Ich bitte dich, lieber Fremdling,

komme doch endlich einmal nach Hause,

du bist stets nicht bei dir,

und es ist so hübsch bei dir.

Versuch es nur und komm zu dir selbst,

du wirst deine Heimat finden

und dann immer mit dir tragen.«

(Sophie Mereau)

© privat

Christoph Kreitmeir, geboren 1962, von 1984-2017 Franziskaner, Lic. Theol., Dipl. Sozialpädagoge (FH), zertifizierte Ausbildung in Logotherapie und Weiterbildung in klientenzentrierter Gesprächsführung und Wertimagination, langjährige Tätigkeit im Bereich der Seelsorge, der geistlichen Begleitung und kirchlichen Beratung zu Lebensfragen. Nach über 11 Jahren in der Wallfahrtsseelsorge in Vierzehnheiligen/Bad Staffelstein und einer Zwischenstation im Kloster Frauenberg/Fulda arbeitet Christoph Kreitmeir nun als Klinikseelsorger am Klinikum Ingolstadt in der Diözese Eichstätt. Neben seiner langjährigen Vortragstätigkeit zu Sinn- und Lebensfragen in der Erwachsenenbildung, im Radio Horeb und als Mitglied in der »Deutschen Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse« ist er ein erfolgreicher Buchautor.

www.christoph-kreitmeir.de

INHALT

VORWORT

SEHNSUCHT NACH HEIMAT

Was ist Seele?

Was ist Heimat?

Heimat ist wieder in

Heimat – Herkunft und Zukunft zugleich

SUCHE NACH SEELENRUHE UND SEELENFRIEDEN

Sehnsucht – Motor des Lebens

Ungewissheitsmanagement – Sicherheit in der Unsicherheit

William Paul Young – Undenkbares begreifbar machen

Ratlosigkeit – Wege zu einer inneren Wandlung

ENTSCHLEUNIGUNG FÜHRT ZUM ZIEL

Getriebensein – Das Grundgefühl moderner Menschen

Verlust des Jenseits – Gnadenloses Diesseits

Entschleunigung – Heilmittel gegen Ruhelosigkeit

Geduld und Warten-können als Lebenskunst

Der Marshmallowtest

Geduld lohnt sich

Geduld als geistliche Tugend

Die Kunst der Verlangsamung

Verschiedene Ausformungen der Slowbewegung

RÜCKZUG – ALLEINSEIN – AUFTANKEN

Unterscheidung zwischen Einsamkeit und Alleinsein

Die Schattenseiten des Alleinseins

Alleinsein als Lebenskunst

Alleinsein als heilsame Strategie

Wir müssen lernen, gern allein zu sein

Der Mehrwert positiven Alleinseins

Voraussetzungen für positives Alleinsein

STILLE – ANDERWELT UND LICHTBLICK

Geborgenheitserfahrungen machen die Seele reich

Räume der Stille als Ruheinseln

Stille – faszinierend und angstmachend zugleich

Stille – der Königsweg zu uns selbst

Stille führt in die Innenwelterfahrung, in die Mystik

DEN INNEREN RAUM ENTDECKEN UND DARIN LEBEN

Go not anywhere, go deep!

Schritte zu einem guten Leben

Das Tor zur Vertiefung geht nach innen auf

Weitere Königswege nach innen: Lieben und Leiden

Innere Seelenräume – Orte der Ruhe, Heimat und des Friedens

Geführte Wanderung durch die Innenwelt der Seele

Begegnung mit dem inneren Kind

Die Suche nach der Herzheimat

Wertschätzung der Meditation in der Psychologie

Stille und Meditation als Begegnungshilfen zu sich selbst

Die besondere Kraft stiller Menschen

INNERE TIEFE SPÜREN – DER WEG DER MYSTIK HEUTE

Ein persönliches Zeugnis

Entdecken der Jesus- oder Christusspur im eigenen Leben

Entwicklung der Mystik heute – von Ablehnung bis zur Notwendigkeit

»Mystiker – Der innere Weg zu Gott« 2018 und 2019

Moderne Wege in die Stille

Jörg Zink – Wegbeschreibungen der spirituellen Innenwelt

Kennzeichen moderner Mystik

Lebemeister UND Lesemeister

ANMERKUNGEN

LITERATURVERZEICHNIS

VORWORT

Ich empfinde beim Schreiben eines Buches immer wieder ein Wohlgefühl, auch wenn es natürlich Arbeit ist. Dieses Buch ist in einer persönlich bewegten Zeit meines Lebens meist abends oder an meinen freien Tagen entstanden, wenn ich nicht in die vielfältige Arbeit eines Klinikseelsorgers eingespannt war.

Seit Februar 2017 befinde ich mich in einem persönlichen Wandel in meinem Leben. Nach 33 Jahren im Orden der Franziskaner wechselte ich in die Diözese Eichstätt, wo ich seit Juli 2017 als Priester und Klinikseelsorger am Klinikum Ingolstadt arbeite. Der Wechsel vom Klosterleben in ein selbstverantwortliches Arbeiten innerhalb eines Teams in der Klinikseelsorge verbunden mit dem Eingewöhnen in eine neue Stadt und Umgebung und vor allem das Bewältigen von Haushalt und vielem mehr ist ein spannendes Abenteuer, das herausfordert, das ich aber nicht missen möchte.

Leider musste ich innerhalb des letzten Jahres selbst mit zwei Krankheitseinbrüchen zurechtkommen, die mir einerseits zeigten, wie wichtig es ist, eine gute Balance zwischen Arbeit und Freizeit herzustellen, die mir andererseits aber auch die Wichtigkeit meiner Seelsorgearbeit zeigten: Ich erlebte am eigenen Leib das Bedürfnis nach Verständnis, Trost, Sinn und einer nicht zuletzt religiösen Sehnsucht nach Heimat und Geborgenheit in der Ungeborgenheit einer Krankheitserfahrung bzw. eines Krankenhausaufenthaltes. Folgende persönliche Erfahrung soll dies unterstreichen.

Ende Januar 2019 war es endlich wieder einmal so weit: Ich konnte vor großem Publikum an einem freien Tag einen Vortrag im Zwischenbereich von Spiritualität und Lebenshilfe in der Nähe von Augsburg halten. Ich liebe es, Vorträge zu halten, und habe dies in meiner Zeit zwischen 2005 und 2016 in Oberfranken und darüber hinaus vielfach tun können.

Gleich zu Beginn meines Vortrages mit dem Thema »Wer sagt mir eigentlich, wo’s langgeht? Sinn- und Wertediskussion heute« – es ging mir am Vorabend und in der Nacht zuvor schon nicht gut – brach ich zusammen.

Danach das bekannte Procedere: Erstversorgung im Sanitätszimmer, Notarzt und Krankentransport mit Blaulicht und Sirene ins Zentralklinikum Augsburg, Notaufnahme, Intensivstation, Operation, Normalstation, Vierbettzimmer.

Zuerst war ich mit 56 Jahren der Jüngste, nach ein paar Tagen dann der Senior des Krankenzimmers. Eine Woche Aufenthalt mit großen Schmerzen, dem allmählichen Sich-wieder-Einpendeln und der Frage, was eigentlich mit mir los sei.

Sehr bald kam ich mit dem Krankenhausseelsorger in Kontakt, der für die Station zuständig war, auf der ich lag. Gegen Ende meines Aufenthaltes, nachdem ich mich wieder entsprechend bewegen konnte, entdeckte ich die Krankenhauskapelle und das Motto der Augsburger Klinikseelsorge: »Der Seele Raum geben.« Dort heißt es: »Oft ist ein Krankenhausaufenthalt mit großen Verunsicherungen verbunden: Lebensplanungen werden durchkreuzt, Fragen werden neu gestellt und der Glaube an einen wohlmeinenden Gott kann in Bedrängnis geraten.«1

Der Seele Raum geben. Mein Buch, das Sie nun in Händen halten, heißt: Der Seele eine Heimat geben. Ich finde diese »zufälligen« Zusammenhänge wirklich interessant …

Ich habe das Buch im Herbst 2018 zu schreiben begonnen in dem Wissen, dass die Fragen nach »Seele« und »Heimat« in moderner Zeit neue Antworten brauchen. Meine vielfältigen Kontakte mit Menschen zeigten mir im Laufe der letzten Jahre, dass die damit verbundenen Fragen auch heute, gerade heute vielen Zeitgenossen und Zeitgenossinnen auf den Nägeln brennen. Auf vielfältige Weise suchen sie, genauso wie auch ich selbst auf der Suche bin.

Die vielen Skandale der letzten Jahre vor allem innerhalb der katholischen Kirche lassen das meiner Überzeugung nach immer noch aktuelle Angebot dieser Religion leider in den Hintergrund treten. Die hilfreiche Botschaft des Christentums wird durch das derzeitige Auftreten von Teilen des Bodenpersonals Gottes massiv verdunkelt, was ich persönlich sehr schade finde und was mir richtig weh tut. Während des schon geschilderten Krankenhausaufenthaltes in einem Vierbettzimmer musste ich mich mit meinen eigenen Fragen auseinandersetzen. Gleichzeitig begegneten mir insgesamt sieben andere Biografien mit Krankheitsgeschichten. Anfangs hielt ich mich zurück im »Outen«, dass ich ein katholischer Geistlicher bin. Erst als persönliche Beziehungen geknüpft und vertieft wurden, indem ich eigenes und das Leid der anderen zu bewältigen suchte, entstand eine Atmosphäre sich gegenseitig unterstützender Solidarität. Gespräche zwischen den Zeiten, während der Essenszeiten, das gegenseitige sich Helfen, das sich Freuen an den Beziehungen und Besuchen der anderen und den eigenen, das Mitfühlen, wenn Freundschaften oder Beziehungen zerbrochen oder belastet sind, und immer wieder die Frage zwischen »tausend« Terminen im Klinikalltag und Schmerzen körperlicher und seelischer Natur: Wo bin ich daheim? Wo ist die Heimat meiner Leidensgenossen?

Diese Erfahrung möchte ich nicht mehr missen. Meine insgesamt sieben Zimmergenossen waren zwischen 26 und 84 Jahre alt mit schweren und sehr schweren Krankheiten, teilweise mit der Diagnose unheilbar. Die Fragen »Wo geht’s bei mir eigentlich hin?«, »Wo habe ich meine Heimat?«, »Worin liegt der Sinn dieser Erfahrung?«, »Gibt es einen Gott?«, »Warum lässt er mich das alles erleben und erleiden?« und viele mehr wurden zwar so nicht gestellt, sie waren aber immer wieder spürbar, ja greifbar im Raum des Krankenzimmers, im Raum der einzelnen Biografien und Seelen.

Ich hatte Ende Januar 2019 das Manuskript zu diesem Buch schon fast fertig. Dieses Vorwort schrieb ich im Februar, erstaunt darüber, dass ich diese Erfahrungen genau zu diesem Zeitpunkt machen musste. Mein geistlicher Begleiter aus München, P. Karl Kern SJ, schrieb mir während des Krankenhausaufenthaltes in seiner knappen, aber sehr wertvollen Art eine WhatsApp mit einem Ausspruch von Dietrich Bonhoeffer: »... in den Tatsachen ist Gott.«2

Das Reden von Gott ist nur sinnvoll, wenn es in Bezug auf die menschliche Existenz und sein existentielles Betroffensein in konkreten Situationen geschieht.3

Mir wurde bewusst, dass das im Buch Erarbeitete wirklich etwas sehr Wichtiges ist für die Beantwortung existentieller Fragen wie »Wo komme ich her?«, »Wo gehe ich hin?«, »Wo gehöre ich hin?« »Warum leiden?«, »Woher kommen mir Kraft und Hilfe?«.

Im Buch werden die Tatsachen des Lebens angesehen und dabei mehr und mehr entdeckt, dass Gott sich in den Tatsachen des Lebens zeigen kann. Es geht darum, die Sehnsucht nach Heimat, nach Seelenruhe und Seelenfrieden überhaupt wahrzunehmen und neu spüren zu lernen. Weiterhin geht es darum, gangbare Wege zu finden, um im Strudel des Lebens eine Lebenskönnerschaft zu entwickeln und ein Lebenskünstler zu werden. Entschleunigung, Rückzug, Alleinsein und Auftanken und das Entdecken der Anderwelt Stille sind solche positiven Wege, die zugleich die Tür nach innen aufschließen können. Und genau darauf zielt das Buch: Den inneren Raum entdecken, erschließen und darin leben, die eigene innere Tiefe erspüren lernen und dabei den altbewährten Weg der Mystik für sich selbst in moderner Aufwartung beschreiten.

»Ich bitte dich, lieber Fremdling,

komme doch endlich einmal nach Hause,

du bist stets nicht bei dir,

und es ist so hübsch bei dir.

Versuch es nur und komm zu dir selbst,

du wirst deine Heimat finden

und dann immer mit dir tragen.«

(Sophie Mereau)4

SEHNSUCHT NACH HEIMAT

Vereinsamt

Die Krähen schrei‘n

Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:

Bald wird es schnei‘n –

Wohl dem, der jetzt noch – Heimat hat!

Nun stehst du starr,

Schaust rückwärts ach! wie lange schon!

Was bist du, Narr,

Vor Winters in die Welt – entflohn?

Die Welt – ein Tor

Zu tausend Wüsten stumm und kalt!

Wer Das verlor,

Was du verlorst, macht nirgends Halt.

Nun stehst du bleich,

Zur Winter-Wanderschaft verflucht,

Dem Rauche gleich,

Der stets nach kältern Himmeln sucht.

Flieg‘, Vogel, schnarr‘

Dein Lied im Wüsten-Vogel-Ton! –

Versteck‘ du Narr,

Dein blutend Herz in Eis und Hohn!

Die Krähen schrei‘n

Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:

Bald wird es schnei‘n –

Weh dem, der keine Heimat hat! 5

(Friedrich Nietzsche)

Was ist Seele?

Ohne mir dessen bewusst zu sein, verwendete ich beim Entwerfen des Titels dieses Buches »Der Seele eine Heimat geben« zwei Schlüsselbegriffe, die Grundbedürfnisse heutiger Zeitgenossen ansprechen. Es sind die Worte »Seele« und »Heimat«.

»Seele« hat heute wieder Konjunktur, dieses Wort taucht in vielen Buchtiteln der letzten Jahre auf, es gibt ein neues und existentielles Interesse an Innerlichkeit, an einer Art Rückzug, weil unsere technisierte, materielle und ökonomisierte Welt zurzeit zu einem seelenlosen Ort zu verkommen scheint. Das Interesse an der »Seele« war nicht immer so groß. Die »Seele« verschwand paradoxerweise in den letzten 100 Jahren nahezu aus der Wissenschaft, die sich mit der »Seele« beschäftigt, der Psychologie. Ende 2015 stellt Steve Ayan in der Fachzeitschrift »Spektrum der Wissenschaft« fest: »Nach einer Auswertung des Psychologen Ulrich Weger von der Universität Witten/Herdecke enthielten im Jahr 2014 nur 387 Fachartikel in der Datenbank ›ISI Web of Knowledge‹ das Wort ›soul‹ – ›brain‹ (Gehirn) dagegen 37.422. In psychologischen Journalen war von der Seele im gleichen Jahr nur ganze zwei Mal die Rede. Die Seelenkunde, wie sie manchmal noch genannt wird, hat sich zu einer ›Wissenschaft ohne Seele‹ entwickelt.«6 Vier Jahre später, nämlich Anfang 2019, fragt Matthias Jung7 in der renommierten Zeitschrift »Psychologie Heute« danach, was von der Seele bleibt, ob dieser Begriff überholt erscheint und ob die Seele vielleicht doch nicht unverzichtbar ist?

Es gibt eine zunehmende Tendenz, all das, was bisher mit »Seele« umschrieben wurde, heute im Gehirn anzusiedeln. Das Gehirn, dessen viele Windungen sogar für Fachleute zu einem hohen Prozentsatz in seinem »Funktionieren« bis heute letztlich nicht erklärbar sind, wird das Organ des 21. Jahrhunderts werden. Es werden hier noch viele erstaunliche Erkenntnisse und medizinische Entwicklungen auf uns zukommen. Mittlerweile werden Neurologen und Neurowissenschaftler fast schon wie eine neue Priesterschaft einer neuen Quasireligion angesehen und kaum ein halbwegs ernstzunehmendes Buch kommt ohne Hinweise auf die Neurologie mehr aus. Gottlob gibt es mittlerweile auch Vertreter dieses Berufsfeldes, die Psychologie, Hirnforschung, Spiritualität und Seelenleben auf gute Weise verbinden. Dies unternimmt beispielsweise der französische Bestsellerautor Boris Cyrulnik in seinem Buch »Glauben – Psychologie und Hirnforschung entschlüsseln, wie Spiritualität uns stärkt«. Cyrulnik, selbst Atheist, stellt darin die Ergebnisse seiner Untersuchungen als Neuropsychiater und Resilienz- und Bindungsforscher dar. Er zeigt, wo im Gehirn spirituelles Bewusstsein angesiedelt ist und wie es uns verändert. Mit Hilfe seines Buches sollen sowohl Gläubige als auch Zweifler die eigenen spirituellen Ressourcen kennenlernen und stärken.

»Seele« ist nicht reduzierbar, sie ist unverzichtbar. Immer mehr Menschen lechzen nach Seelenoasen in den Wüsten seelenloser Alltagsrealitäten.

Der Psychologe, Psychotherapeut und Theologe Wunibald Müller schreibt der Psychologie allgemein ins Stammbuch: Sie »tut gut daran, sich wieder mehr um die Seele zu kümmern. Sie muss sich fragen lassen, ob sie nicht, wenn sie die Seele vernachlässigt, entthront oder entmythologisiert, das Wertvollste, was sie anzubieten hat, vergibt.«8 Und der meistgelesene spirituelle Autor Europas, der Theologe und Benediktiner Anselm Grün, ergänzt: »Bereits C.G. Jung bekämpft eine Psychologie ohne Seele und wirbt für eine Psychologie mit Seele. Damit meint er eine Psychologie, in der die Seele von einem geistigen Prinzip hergeleitet wird. ›Die Seele ist an und für sich ein unräumliches Wesen, und weil sie vor dem körperlichen Dasein und nach ihm ist, so ist sie auch zeitlos und praktisch unsterblich.‹ Jung ist sich bewusst, dass diese Auffassung für eine moderne wissenschaftliche Psychologie eine Illusion ist. Aber trotzdem erkennt er als Empiriker, dass die Seele Zeit und Raum übersteigt.«9

Und der Begriff »Heimat« mit allem, was er in uns zum Klingen bringt, ist heutzutage megain, wie wir später noch im Detail sehen werden. Auch hier häufen sich die Veröffentlichungen, um der Sehnsucht nach neuer Geborgenheit, Zugehörigkeit, Wärme und Wurzeln in einer modernen Unbehaustheit Nahrung zu geben. Die Franziskanerin Mirjam Schambeck ging dieser Sehnsucht in ihrem Buch »Unbehauste Heimat« nach und benannte die verschiedenen Formen der Sehnsucht nach Heimat sehr griffig10:

Heimat ist da, wo die Menschen sind, die ich liebe – Von der Sehnsucht nach Verlässlichkeit in Zeiten zerbrechlicher Beziehungen.Heimat ist da, wo man meine Sprache spricht – Von der Sehnsucht, verstanden zu werden.Heimat ist da, wo Erzählungen geteilt werden – Von der Sehnsucht dazuzugehören.Heimat ist da, wo ich wohne – Von der Sehnsucht nach einem Zuhause angesichts von Mobilität und Migration.Heimat ist da, wo Alltag und Feiern Halt geben – Von der Sehnsucht nach Struktur und Freiheit.Heimat ist da, wo ich bei mir zu Hause bin – Von der Sehnsucht, ich selbst zu sein.Heimat ist da, wo Gott ist – Von der Sehnsucht, die »transzendentale Unbehaustheit« in Gott zu beheimaten.Heimat ist Nicht-Ort und konkrete Erfahrung zugleich – Zwischen Utopie und Hoffnung.

Beim Schreiben des Buches ist mir nach und nach bewusster geworden, dass diese und ähnliche Themen auch meine Fragen sind, mein Unbewusstes mich also geleitet und gelenkt hatte, um für mich selbst Antworten zu finden und gleichzeitig dem Empfinden so vieler Zeitgenossen vielleicht für ihr Fragen und Suchen auch Formulierungshilfen zu geben.

Zurück zur »Seele« und der Frage, was die Seele ist, ob es sie überhaupt gibt, wie sie beschaffen ist, wo sie innerhalb oder außerhalb des Körpers wohnt …

Darüber sind schon Bibliotheken geschrieben worden. Diese Frage treibt die Menschen um, seit sie zur Spezies des Homo sapiens gehören. Schon vor ca. 15.000 Jahren stellten die Höhlenmalereien von Lascaux im Südwesten Frankreichs die Seele der Toten als einen Vogel dar. Die Onlineenzyklopädie Wikipedia zeigt in einem sehr ausführlichen und sehr guten Beitrag mit dem Stichwort »Seele«11 die ethymologische, geschichtliche, theologische, philosophische, psychologische, spirituelle und neuzeitliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen »Seele« in exzellenter Weise auf. All die verschiedenen Verstehensmodelle, all die Problematiken (z.B. Leib-Seele-Problematik, Dualismus, Monismus) und die neuzeitlichen Tendenzen, die Seele wegzudiskutieren oder neurobiologisch-verkürzt zu erklären, werden hier sehr gut dargestellt.

Im süddeutschen Raum gibt es Seelen beim Bäcker zu kaufen. Sie sind eigentlich kross gebackene Baguettes mit Salz und Kümmel, ca. 20 cm lang, und schmecken hervorragend. Dass dieses Gebäck »Seele« heißt, hängt mit dem Fest »Allerseelen« zusammen, wo dieses Gebäck aus der Taufe gehoben wurde.12

Da wir im europäischen Raum leben, ist hier die Bedeutung der Seele aus jüdischer Sicht von besonderem Interesse, da die jüdische Geistigkeit die Grundlage jüdisch-christlich-abendländischen Denkens ist. Der Chefredakteur der jüdisch-orthodoxen Zeitschrift »Chabad«13, Yanki Tauber, zitiert die Weisen der Thora, welche die menschliche Seele mit fünf Namen umschreiben: »Nefesch (Seele), Ruach (Geist), Neschama (Atem), Chaja (Leben) und Jechida (Einheit). Die chassidischen Meister erklären, dass die fünf Namen der Seele für fünf Stufen oder fünf Dimensionen stehen. Nefesch ist der Motor des physischen Lebens. Ruach bezieht sich auf das emotionale Ich und die ›Persönlichkeit‹. Neschama ist das intellektuelle Ich. Chaja ist das überrationale Ich – der Sitz des Willens, des Verlangens und des Glaubens. Jechida impliziert das Wesen der Seele – die Einheit mit ihrem Ursprung, dem einzigartigen Wesen von G-tt. Somit ist das Wesen der Seele des Menschen ›buchstäblich ein Teil von G-tt – ein Teil von G-tt in uns.‹«14

All die geistesgeschichtlichen Weiterentwicklungen des Verständnisses von »Seele« wären hochinteressant hier zu beschreiben, sprengen aber eindeutig das von mir Beabsichtigte.

Deshalb hier nur in Kürze: Die griechische Philosophie spielt bei der Entwicklung des Seelenbegriffes und Seelenverständnisses eine sehr wichtige Rolle. Aristoteles, Platon, Epikur, die Stoiker und deren Philosophieschulen sind hier besonders zu erwähnen. Die in den letzten Jahren in Berlin, Göppingen und Ingolstadt gezeigte Ausstellung mit dem Titel »Die Seele ist ein Oktopus« stellt beispielsweise das Verständnis der Stoiker dar, welche sich die Seele wie einen achtarmigen Oktopus dachten, »dessen Arme die fünf Sinne, das Denken, Sprechen und die Fortpflanzung symbolisierten.«15

Im Laufe der Geschichte gab es auch abenteuerliche Versuche, die Existenz der Seele nachzuweisen. So wog 1902 der amerikanische Arzt Duncan MacDougall »sechs sterbende Patienten – vor und nach deren Tod. Die Gewichtsdifferenz zwischen den lebendigen und toten Körpern betrug nach MacDougalls Angaben durchschnittlich 21 Gramm (die leichteste wog 8 Gramm, die schwerste 35).«16 Dass die Seele also 21 Gramm wiegen sollte, animierte 2003 den Regisseur Alejandro González Iñárritu dazu, einen Film mit dem Titel »21 Gramm« zu machen.

70 Prozent der Deutschen17 glauben laut einer repräsentativen Umfrage des Onlinedienstes Statista aus dem Jahr 2015 an die Existenz der Seele, wobei dieser »Glaube« von religiösen Überzeugungen im engeren Sinne relativ unabhängig zu sein scheint. »Seele« und die Idee einer unsterblichen Existenz prägte jahrhundertelang das Selbstverständnis der Menschen. »Seele« wurde und wird aber auch als Kompensation dafür gesehen, dass uns das eigene Nichtsein unbegreiflich ist: Wie wird es sein, wenn ich tot bin? Dies übersteigt unsere Vorstellungskraft. Daraus ergibt sich ein weiterer Denk- und Argumentationsstrang: Der Begriff »Seele« sei in erster Linie ein Trick, mit dem wir die Angst vor dem Tod vertreiben wollen.

»Seele« ist wie ein Platzhalter für ein »Mehr«, das sich letztlich nicht erklären lässt. Und noch viel wichtiger: Der Begriff »Seele« ist mehr als das psychologische Konstrukt des »Selbst«. Die Seelenvergessenheit der Moderne bringt dann z. B. Ethiker wie Peter Singer hervor, die Menschen das Menschsein absprechen, wenn sie wie z.B. Neugeborene, Schwerstgeistigbehinderte, Komatöse oder schwer Demente nicht über Rationalität oder Selbstbewusstsein verfügen. Solch gefährlichen Entwicklungen steht der Grundgedanke gegenüber, dass hinter der Seele eine Menschenwürde steht.

Die beiden Seelenkenner und Bestsellerautoren, der Psychologe, Psychotherapeut und Theologe Wunibald Müller und der Theologe und Benediktinermönch Anselm Grün, haben sich mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung in einem Buch mit der Seele auseinandergesetzt. Folgende wertvolle Aussagen mögen die weite Welt der Seele umrissartig beschreiben:

Anselm Grün18: Wir meinen heute »mit Seele die Einmaligkeit des Menschen, seine Innerlichkeit, eine andere Dimension als die Dimension des Machbaren. Wenn wir von der Seele sprechen, dann beziehen wir uns auf die innere Würde des Menschen, auf sein Herz, auf den inneren Bereich, in dem Fantasie und Kreativität walten, in dem er noch zu träumen versteht. Seele, das meint die zarten inneren Regungen, die wir haben. Die Seele enthebt uns der Alltagswelt. Wir können uns in unsere Seele zurückziehen, wenn wir leiden an der Seelenlosigkeit der Gesellschaft.« Wunibald Müller19: Es gilt, »unsere Aufmerksamkeit auf die Seele als Antreiberin zu Lebendigkeit und Kreativität, zu Sinnfindung in unserem Leben und zur Vertiefung unseres Lebens (zu) lenken. In unserer Seele wirkt ein Urprinzip, das darauf aus ist, dass der Mensch zu einem lebendigen Wesen wird. Ohne Seele wäre unser Leben leblos, farblos, kalt, sinnlos, eben seelenlos. (...) In der Seele verfügen wir über eine kostbare Kraft, die dafür Sorge trägt, dass wir nicht erstarren, nicht schon zu Lebzeiten tot sind, sondern kreativ und neugierig bleiben, Neues wagen, Grenzen überschreiten, aufstehen, wenn wir gefallen sind, und nicht aufgeben, selbst wenn alles aussichtslos erscheint. Für unser Leben heißt das: Soll es bis zum Schluss aufregend und lebenswert sein, soll es wirklich unser Leben sein, muss unsere Seele in unserem Leben zum Ausdruck kommen und die Führung übernehmen. (...) Um mit meiner Seele in Berührung kommen zu können, ist die Voraussetzung, mit der inneren Person von mir in Berührung zu kommen. Hier muss ich für mich entscheiden, ob meine Aufmerksamkeit ausschließlich meinem äußeren Leben gilt, zum Beispiel wie ich aussehe, ob ich diese oder jene Ziele erreiche, was andere von mir denken oder wie viel ich verdiene. Oder aber, ob ich meine Aufmerksamkeit auch meiner inneren Welt, der Welt, die mich mit meiner Seele verbindet, schenke. Ich mag mich noch so sehr mit den äußeren Dingen beschäftigen, wenn das zur Vernachlässigung des inneren Lebens führt, werde ich eine innere Leere spüren.«

Anselm Grün, Wunibald Müller, Was ist die Seele? Mein Geheimnis – meine Stärke. © 2008 Kösel Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH.

Was ist Heimat?