Der Sommer hat vier Wände - Jenny Bünnig - E-Book

Der Sommer hat vier Wände E-Book

Jenny Bünnig

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Beschreibung

Ein herzerwärmender Roman für kühle Tage: Der Winter 1966 ist der kälteste, den die zwölfjährige Freddi bisher erlebt hat. Ihr Vater hat die Familie verlassen, ihre Mutter ist seither depressiv. Aus Paris reist die strenge Tante Noelle an, um zu helfen. Ihr oberstes Ziel ist es, Ordnung und Disziplin in den Haushalt zu bringen – Dinge, mit denen die freiheitsliebende, fantasievolle Freddi so gar nichts anfangen kann. Konflikte sind vorprogrammiert, doch die beiden müssen sich zusammenraufen. Da hat Freddi die zündende Idee, um die allgegenwärtige Kälte zu vertreiben: Der alte Schuppen wird zur Sauna umfunktioniert. Bei den prüden Nachbarn stößt dies auf Widerstand und Ablehnung – bis die ersten Neugierigen selbst das Schwitzhaus ausprobieren.

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Seitenzahl: 488

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© für die Originalausgabe und das eBook:

2015 LangenMüller in der

F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag und Illustration: atelier-sanna.com, München

Satz und eBook-Produktion:

Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

www.Buch-Werkstatt.de

ISBN 978-3-7844-8232-3

Dem kleinen Mädchen zum Geschenk

Dónde está el niño que yo fui,

sigue adentro de mí o se fue?*

Wo ist das Kind, das ich gewesen,

wohnt es in mir oder ist es fort?

Pablo Neruda*

»Hereinspaziert! Hereinspaziert! Der Sommer ist geöffnet!«, rief ich laut, und die Worte stoben mit meinem Atem als dicke weiße Wolke in die eiskalte Winterluft. »Treten Sie näher! Treten Sie näher! Und erleben Sie das Wunder der Wärme am eigenen Leib!« Mit einer weit ausholenden Handbewegung wies ich in Richtung Schuppentür, als handelte es sich dabei um den Eingang zu einer Schatzkammer aus Ali Baba und die 40Räuber und nicht um eine schiefe, morsche Platte aus Holz, durch die der Wind pfiff.

Zögerlich traten Frau Andörfer und die Witwe Bindernagel näher, die Arme fest um ihre Mäntel geschlungen und die Gesichter bis zur Nasenspitze in den Kragen verborgen. Ihre Stiefel schmatzten bei jedem Schritt, weil der Schnee an diesem Samstag im Februar 1966 nass und pappig war. Sie musterten mich mit misstrauischen Blicken, deshalb versuchte ich, sie zu mir heranzurudern, indem ich den rechten Unterarm so entschlossen kreiste wie ein Schaufelrad.

»Tropische Temperaturen und die sengende Sonne der Karibik warten«, fügte ich hinzu und klopfte mit meinem rechten Fäustling überschwänglich gegen die Hüttenwand. Ich verzog das Gesicht, als das kleine Holzhaus gleich darauf ein mitleiderregendes Ächzen von sich gab.

»Ist das auch sicher?«, fragte die Witwe Bindernagel besorgt und so leise, dass ich mich anstrengen musste, ihre Worte zu verstehen. Ich überlegte, ob sie flüsterte, um nicht gehört zu werden oder damit die Menschen sich besonders um sie bemühen mussten. Sie betrachtete erst mich, dann den Verschlag.

»Aber natürlich.« Ich nickte eilig. »Das ist solide schwedische Bauweise mit Qualitätsgarantie.«

»Schwedisch?« Sie hob zweifelnd die Augenbrauen, so hoch, dass sie beinahe in ihrer Wollmütze verschwanden. »Ich dachte, diese ganze … ähm … Schwitzhaussache käme aus Finnland.«

»Ja, genau, genau«, mischte sich nun auch Frau Andörfer ein und sprach so schnell, als rollten sich ihre Silben von einer Spule ab. Die Töne klapperten dabei so dicht aneinander, dass für Luft kein Platz blieb. »Das hat zumindest Frau Böhme gesagt, die es von einer Cousine weiß, die schon mal in einem solchen Bad in Recklinghausen gewesen sein soll. Das hat Frau Böhme gesagt und sie muss es ja wissen. Ihr Mann ist immerhin Pfarrer. Pfarrer ist er und arbeitet für Gott«, erklärte sie und beide Frauen machten ernste Gesichter, als stünde Letzterer in diesem Augenblick neben ihnen.

Ich runzelte kurz die Stirn, dann beeilte ich mich zu sagen: »Das ist natürlich richtig, aber das Schwitzhausbauen haben die Finnen von den Schweden, die die Schuppen als Ställe für ihre Elche benutzen.«

»Für ihre Elche?«

»Aber klar.« Ich lächelte. »Die wollen es schließlich auch schön warm haben, oder nicht?«

»Wahrscheinlich«, murmelte die Witwe Bindernagel.

»Wenn Sie dann Ihre Mäntel und Ihren Schmuck hier bei Arthur abgeben würden, unserem offiziellen Mantel- und Schmuckbeauftragten.« Ich wies auf meinen kleinen Bruder, der unser Gespräch aufmerksam verfolgt hatte und die beiden Frauen nun mit großen, abwartenden Augen ansah. Ich konnte sehen, dass er schluckte.

»Unseren Schmuck?«, erwiderte die Witwe Bindernagel entsetzt. »Aber den habe ich von meinem Mann, Gott hab ihn selig«, fügte sie hinzu und schloss die Hände augenblicklich zu einer Faust, als fürchtete sie, wir würden ihr im nächsten Moment den Ring vom Finger ziehen. »Der ist viel wert.«

»Kommt gar nicht in die Tüte!«, erklärte auch Frau Andörfer entschieden. »Auf keinen Fall! Das könnte dir so einfallen, was? Die Ketten, die ich trage, sind Erbstücke und unbezahlbar. Unbezahlbar, hörst du? Ich hab es doch immer schon gesagt.« Sie wandte sich an die Witwe Bindernagel und zischte: »Ganz der Vater, die Kleine. Ganz der Vater.«

Ich presste den Mund zusammen und warf ihr einen zornigen Blick zu, doch gerade, als mir eine patzige Antwort über die Lippen flutschen wollte, trat Frau Habermann aus dem Schuppen und den beiden Frauen blieben die Münder offen stehen. Sie war vollkommen nackt, die Wangen hochrot, und die gefärbten Haare klebten ihr nass auf der Stirn und im Nacken. Die dicke Schicht Schminke hatte sich gelöst und war nach unten gerutscht, sodass es aussah, als hätte Frau Habermann zwei Gesichter auf einmal; das gewohnte, das weiter oben saß, und das gemalte, das sich bereits in Richtung Kinn auf den Weg gemacht hatte. Frau Habermann schien ihre eigene Erscheinung nicht zu stören. Unbekümmert musterte sie die Frauen aus zusammengekniffenen Augen.

»Sie sind ja nackt!«, stellte Frau Andörfer entsetzt fest.

»Was hat mich verraten?«, gab Frau Habermann ungerührt zurück.

»Aber …« Frau Andörfers Blick hüpfte von Frau Habermann zu mir und wieder zurück. Dabei schien sie angestrengt darum bemüht, nichts zu sehen, was üblicherweise durch Kleidung versteckt war. »Wir … wir müssen uns doch nicht ausziehen, oder? Wir müssen doch nicht vollkommen …« Sie machte einige ruckartige Bewegungen mit der Hand, als wollte sie eine Fliege von Frau Habermanns unbekleideten Brüste verscheuchen. »Ich meine, ich meine … ausziehen tue ich mich nicht!«, erklärte sie schließlich entschlossen.

»Das kannste halten, wie du lustig bist«, entgegnete Frau Habermann. »Aber mit Schmuck würde ich da schon mal nicht reingehen.« Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn und ließ ihn zu Boden spritzen. Frau Andörfer verzog den Mund.

»Aber der ist wertvoll«, erwiderte die Witwe Bindernagel in diesem Moment kaum hörbar.

Frau Habermann schüttelte unwillig den Kopf. »Was sagste?«, fragte sie und beugte sich ein Stück vor.

»Sie hat ihren Schmuck noch von ihrem verstorbenen Mann, Gott hab ihn selig«, antwortete Frau Andörfer hastig. »Von ihrem verstorbenen Mann. Und meine Ketten sind Erbstücke. Die sind unbezahlbar. Unbezahlbar!«

»Von mir aus auch das.« Frau Habermann hob gleichgültig die Schultern. »Da drin wird es zwar heißer als in der Badewanne des Teufels«, sie wies hinter sich, »aber wenn ihr zwei euch die Brustwarzen wegbrennen wollt – tut euch keinen Zwang an.« Damit legte sie Arthur eine Hand auf den Kopf, als wäre diese ein Deckel, und stapfte ohne ein weiteres Wort durch den Schnee in Richtung Haus.

Die Witwe Bindernagel starrte ihr schockiert nach, und Frau Andörfer gab ein abfälliges Grunzen von sich. Einige Minuten verstrichen, doch dann sahen sich die Frauen gegenseitig an, langsam an sich herunter und schließlich fingen sie ebenfalls an, sich eilig ihre Ketten, Reifen und Ringe vom Leib zu zupfen.

1

»Ich zähle täglich meine Sorgen«

Peter Alexander

Bei meiner Geburt fehlte mir genau ein Zeh. Zwar stellte sich dieser Umstand schon kurze Zeit später als Unachtsamkeit der Hebamme heraus, die ihre liebe Not mit dem Zählen hatte, aber seit diesem Tag hatte ich immer das Gefühl, dass mit mir irgendetwas nicht stimmte. Als wäre ich mein Leben lang auf der Suche nach dem einen vermissten Zeh und als müsste ich auf meine Zehen immer ein bisschen besser aufpassen als alle anderen.

Auch heute zog ich die Füße schnell wieder zurück, als die Kälte in sie biss. Denn der Januar 1966 war so kalt, wie ich es bis dahin noch nicht erlebt hatte, und die Welt schien wie angehalten. Es war die Zeit, in der niemand über den Krieg reden wollte und die Leute stattdessen von einem wichtigen Mann sprachen, der ermordet worden war, von einer Musikgruppe, die irgendetwas mit Pilzen zu tun hatte, und von einer Mauer, die noch größer zu sein schien als die von Bauer Zeleschke, über die ich nicht einmal gucken konnte, wenn ich mich auf die Zehenspitzen stellte. Es war die Zeit der Kuba-Krise, die den Leuten noch in den Knochen steckte, wie die Frau des Metzgers oft sagte, die Zeit des Kalten Krieges, der die Welt mit seinem eisigen Atem anblies und die Temperatur in der Nacht unter Minus 20 Grad hatte fallen lassen. Und es war die Zeit, in der mein Vater weg, meine Mutter krank und ich zwölf Jahre alt war.

Ich zog die Knie an die Brust, vergrub das Gesicht unter der Decke und zögerte den Moment hinaus, in dem ich mich dem Morgen geschlagen geben musste. Schließlich gab ich ein ergebenes Knurren von mir, setzte mich auf und in derselben Sekunde schlang sich die erstarrte Luft im Raum um mich wie ein gefrorener Schal, der mir den Atem nahm. Ich japste, obwohl ich im Januar 1966 an den andauernden Frost eigentlich hätte gewöhnt sein sollen. Als ich die Füße zum Boden ausstreckte, fühlte sich dieser so kalt an, als tippte ich mit dem dicken Zeh in Eiswasser. Ich fuhr mir mit der rechten Hand über das Gesicht, während meinen linken Arm ein dicker weißer Gips zierte, der an meiner Schulter hing wie der Anker eines Schiffes und unter dem es schrecklich kribbelte. Vier Buntstifte hatte ich bereits an das Brennen und Prickeln unter dem Verband verloren.

Nachdem ich wieder atmen konnte, galt mein erster Gedanke meinem Nachttisch, genauer dessen oberster Schublade, und noch genauer einem Einmachglas, das sich in dieser versteckte, zu einem stolzen Drittel gefüllt mit Knöpfen jeder Form, Farbe und Größe. Ich hatte einmal gehört, dass Einbrecher auf der Suche nach Bargeld und Wertgegenständen immer mit dem untersten Fach eines Schranks anfingen, um die Schubladen nicht wieder schließen zu müssen und dadurch Zeit zu sparen. Nicht, dass es in unserer Gegend jemals einen Diebstahl gegeben hatte. Solche Geschichten kannte ich nur von Orten wie New York City, London oder Düsseldorf und nicht von einem gewöhnlichen 1000-Seelen-Dorf, wie es am Niederrhein so viele gab. Aber sicher war sicher, deshalb bewahrte ich alles, was wichtig war, ganz oben auf: ein kleines Stück übrig gebliebenes verkohltes Holz, eine Feder, den Abdruck eines Lippenstifts auf einem Stück Verband, eine Trüffelpraline in einer durchsichtigen Tüte, einen Brief, ein Bonbonpapier, einen kleinen geschnitzten Vogel, Wunderbare Reisen zu Wasser und zu Lande, Feldzüge und lustige Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen, ein dünnes Buch aus dem Jahr 1960 mit gelbem Einband, und natürlich das Glas mit Knöpfen, das ich jeden Morgen herausnahm, schüttelte und es dann oben auf das Tischchen stellte. Neben den alten Wecker, der manchmal so laut tickte, dass ich kaum denken konnte, vom Schlafen ganz zu schweigen.

Neunzehn große Knöpfe befanden sich in dem Behälter, dreiundzwanzig mittlere und siebzehn kleine, das machte neunundfünfzig insgesamt. Das war nicht schlecht, aber lange nicht genug. Ich ahnte bereits damals, dass der Mond sehr viel mehr kostete.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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