Der Sprechende Vogel - Der Singende Baum - Das Goldene Wasser - Abd Al-Karim - E-Book

Der Sprechende Vogel - Der Singende Baum - Das Goldene Wasser E-Book

Abd Al-Karim

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Beschreibung

Als Quelle der Märchen diente ein in arabischer Handschrift verfasstes Manuskript, das von Antoine Galland in die französische Sprache übersetzt und im Jahre 1704 in Paris veröffentlich wurde. Das Buch gewann ungewöhnlich schnell eine außerordentliche Popularität. Die Übersetzung gilt seitdem als Quelle unzähliger Veröffentlichungen. Kurz gefasst ging es um einen König, der, sooft er ein Mädchen heiratete, es am Morgen nach der Hochzeit töten ließ. Er heiratete dann eine geistreiche Prinzessin, die Scheherasad hieß. Sie erzählte ihm Märchen und richtete es so ein, dass der König am nächsten Morgen begierig war, das Ende der Geschichte zu hören. So vergingen 1000 Nächte, während der sie seine Gattin war und ihm ein Kind gebar. Eins der spannendsten Märchen, das sie ihm über mehrere Tage und Nächte erzählte, hieß: Der Sprechende Vogel, Der Singende Baum und das Goldene Wasser.

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Seitenzahl: 85

Veröffentlichungsjahr: 2021

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DER SPRECHENDE VOGEL DER SINGENDE BAUM DAS GOLDENE WASSER

In Persien lebte Sultan Kosrouschah, ein König, dem es in seinem Palast so langweilig war, dass er nicht recht wusste, was er noch anstellen sollte. Morgens kam der Großwesir zu ihm und besprach mit ihm die Regierungsgeschäfte, die ihm mittlerweile zum Hals raushingen. Dann kam auch noch der Satzmeister. Und das war ein Mann, der ihm erst so richtig auf die Nerven ging. Denn er musste sich jeden Tag seine Klagen anhören, dass die Staatskasse wieder einmal leer ist. Die Schuld daran schob er wieder auf die Provinzgouverneure, die ihren Tribut an den König entweder selbst verbrauchten oder einfach vergaßen. Ja, er schwärzte sie schon seit längerem an. Aber in Wirklichkeit verdiente er selbst daran. Kosrouschah gab seinem Großwesir den Befehl, ihm morgen früh die Daumenschrauben anzulegen.

Ihm fiel wieder ein, dass er am nächsten Tag, wenn das Licht nachließ, mit seinem Großwesir durch die Straßen seiner Stadt ziehen wollte, um den einfachen Leuten aufs Maul schauen. Er wollte mit seinen eigenen Ohren hören, welche Sorgen sie hätten. Ob sie zufrieden waren mit seiner Regierung oder ob sie ihn, ihren König, zum Teufel wünschten, wie einer seiner Diener ihm erzählte. Oder ob sie vielleicht darüber nachdachten, einen Aufruhr in der Bevölkerung anzuzetteln.

Gleichgültig, was dabei herauskam, er wollte wissen, wie sie über ihn dachten. Er war gespannt darauf. Wie immer hatte er sich verkleidet und ging diesmal mit seinem Großwesir die Straßen entlang - niemand erkannte sie, denn beide sahen aus wie gewöhnliche Kaufleute, die ihren Laden gerade geschlossen hatten und nun auf dem Weg zu ihren Familien waren. Zur Tarnung trug jeder von ihnen einen Sack auf dem Rücken. Sie taten so, als ob sie es nicht besonders eilig hätten nach Hause zu kommen, denn von Zeit zu Zeit blieben sie stehen und unterhielten sich lang und breit über dies und jenes. Dann gingen sie wieder eine Weile, setzten Ihre Säcke ab und begannen wieder eine Unterhaltung, während sie mitten in einer verkehrsreichen Straße Ohren und Augen aufsperrten, um mitzubekommen, worüber die Bürger redeten. Ohne es zu merken hatten sie auf diese Weise einen Stadtteil erreicht, der etwas verrufen war – eine finstere Gegend, in der Gauner und Diebe in hölzernen Baracken wohnten.

Sie gingen an einigen unbewohnten Hütten vorbei, wichen ein paar Hundehaufen aus und bogen in die nächste Querstraße ein, wo ihre Schritte langsamer und langsamer wurden. Denn aus der Ferne hörten sie Stimmen, ein wildes Durcheinander – ein wahres Stimmengewirr. Es drang aus einem der Häuser, die etwas entfernt am Stadtrand lagen. Vorsichtig näherten sie sich dem Haus und den Stimmen, die immer lauter wurden, je näher sie kamen. Als sie schließlich vor dem Eingang standen und einen Spalt in der Haustür entdeckten, sahen sie unter einer Deckenlampe drei Frauen, die sich sehr ähnlich sahen und offensichtlich Schwestern waren. Sie hatten gerade ihr Abendessen beendet, die schmutzigen Holzteller standen noch auf dem Esstisch. Aber sie schienen sich zu streiten – ja, sie versuchten sich gegenseitig mit lauter Stimme zu übertönen.

Anfangs konnte der König nicht verstehen, warum sie sich so aufregten. Jede sprach in das Wort der einen hinein und diese wieder in das Wort der anderen. Zwischendurch kreischte auch jemand. Aus dem Stimmengewirr hörte er endlich heraus, dass sie sich darüber stritten, wer von ihnen den besten Ehemann bekommen würde.

Die älteste unter ihnen sagte: ‚Wenn ich hier schon meine Wünsche äußern darf, dann wünsche ich mir den Bäcker unseres Königs zum Ehemann. Bei ihm gibt es immer genug zu essen. Ich könnte jede Menge Brot essen, und zwar vom allerbesten. Ich bin verrückt nach Brot. Wenn ich irgendwo ein Stück Brot herumliegen sehe, muss ich unbedingt reinbeißen. Es ist schon wie eine Sucht bei mir. Abgesehen davon, würde ich dann das gleiche Brot essen, das sonst immer nur der König isst. Ich bin gespannt, ob ihr einen ähnlich guten Geschmack habt.’

‚Ich für meinen Teil,’ antwortete die mittlere Schwester, ‚wünsche mir den Chefkoch des Königs. Dann könnte ich die besten Speisen kosten und davon essen so viel ich nur wollte. Wie ich gehört habe, ist das Brot des Königs gar nicht so gut, wie Du denkst. Das essen viele dort. Jedenfalls möchte ich es nicht jeden Tag essen. Außerdem würde ich die leckeren Vorspeisen essen, die der König immer zu essen pflegt. Ihr wisst, wie gern er die Vorspeisen isst. Er denkt, dass sie wichtiger sind, als alles Weitere, das noch kommt. Wie Du siehst,’ und sie wandte sich ihrer älteren Schwester zu, ‚habe ich einen viel besseren Geschmack als Du.’

Die jüngste Schwester, die im Übrigen die Schönste unter ihren Schwestern war und mehr Charme und Witz besaß als sie, erwiderte: ‚Was mich betrifft, liebe Schwestern,’ sagte sie, ‚ich möchte meine Wünsche nicht auf diese einfachen und banalen Dinge richten. Meine Wünsche verlangen nach etwas mehr. Nach viel mehr. Ich möchte gern die Frau des Königs werden. Ich werde ihn zum Vater eines schönen Prinzen machen – seine Haare werden auf einer Seite golden, auf der anderen silberfarbig glänzen. Sollte er einmal weinen, werden sich seine Tränen zu Perlen verwandeln. Sollte er lachen, werden seine roten Lippen wie Rosenknospen aussehen, die sich im Sonnenlicht öffnen‘.

Über die Wünsche der zwei älteren Schwestern konnte der König nur schmunzeln. Aber der Wunsch der jüngsten Schwester berührte ihn. Er beschloss, ihn zu erfüllen. Zumal er nach seiner Thronbesteigung immer noch auf der Suche nach einer schönen Frau gewesen war, die als Königin an seiner Seite reiten würde. Ohne über seine Pläne lange zu reden, befahl er seinem Großwesir, sich die Lage des Hauses zu merken und die drei Schwestern für den folgenden Tag in den königlichen Palast einzuladen. Schon am frühen Morgen des nächsten Tages besuchte der Großwesir die drei Schwestern. Er forderte sie auf, ihre Festkleider anzuziehen und im Palast des Königs zu erscheinen. Auf ihre Fragen antwortete er nur, Befehl ist Befehl. Es ist der Befehl des Königs, und Ihr seid von ihm eingeladen. Mehr habe er nicht zu sagen. Eile sei angebracht! Der König warte nicht so gern. Er nahm sie gleich in seinem Wagen mit, der für vier Personen viel zu klein war, so dass sie zum Teil aufeinandersaßen. Auch das Binden ihrer Kopftücher geschah unterwegs, denn der Großwesir hatte sie ermahnt, schneller zu machen. Und sie hatten Angst vor ihm. Als sie zum Palast kamen, führte er sie gleich in den Thronsaal, wo sie König Kosrouschah schon erwartete.

Er sagte zu ihnen: ‚Erinnert Ihr Euch noch an Eure Wünsche gestern Abend? Als Ihr so schlechter Laune wart? Sagt die Wahrheit! Ich will wissen, was Ihr Euch dabei gedacht habt! Ich will wissen, was Ihr Euch gewünscht habt.“ Auf alles waren die drei Schwestern vorbereitet. Aber nicht auf diese Fragen. Sie waren ganz durcheinander und blickten auf den Boden, als hätte sie ihre Haarspange verloren und würden sie suchen. Ganz besonders berührten den König aber die leicht erröteten Wangen der jüngsten Schwester. Er konnte seine Augen nicht von ihr wenden. Sie blickte nicht auf den Boden und schaute ihm offen ins Gesicht. Von irgendwoher schien sie ihn schon einmal gesehen zu haben.

Aber niemand sagte etwas. Die drei Schwestern schienen ihre Stimmen verloren zu haben. Sie brachten kein einziges Wort über ihre Lippen. Der Schreck saß ihnen immer noch in den Gliedern. Denn sie befürchteten, dass sie durch ihre laute Unterhaltung und vor allen Dingen durch ihre dreisten Wünsche den König beleidigt hätten. Der König, der das bemerkte, versuchte sie zu ermutigen: ‚Ihr müsst nichts befürchten. Ich habe Euch nicht hergebeten, um Euch in Angst und Schrecken zu versetzen. Auch sehe ich, dass ich euch durch meine Fragen aus dem Gelichgewicht gebracht habe. Das wollte ich nicht. Deshalb will ich Euch nicht weiter quälen.“

‚Du, ’sagte er zur jüngsten Schwester, ‚Du hast Dir doch gewünscht, meine Frau zu werden. Diesen Wunsch will ich Dir heute noch erfüllen. Und Ihr, ’wandte er sich zu den zwei älteren Schwestern, ‚werdet auch meinen Chefbäcker und meinen Chefkoch zum Ehemann bekommen.“ Sobald der König das gesagt hatte, warf sich die jüngste Schwester ihm zu Füßen und sagte: ‚Majestät, meinen Wunsch, der Ihnen zu Ohren gekommen ist, habe ich nur so dahingesagt – wir haben uns nur unterhalten und ein bisschen amüsiert, nur so zum Spaß – ich bin es nicht wert, dass Sie mich zur Frau nehmen, wer bin ich denn, Majestät - ich bitte Sie um Verzeihung – ich bin wohl über das Ziel hinaus geschossen – ja, ich war zu hochmütig, ich war zu eingebildet!’

Die anderen zwei Schwestern wollten es ihr gleichtun und warfen sich ebenfalls dem König zu Füßen. Aber er unterbrach sie, bevor sie nur ein Wort sagen konnten: ‚Nein, nein – es bleibt so wie ich es gesagt habe, Schluss damit! Eure Wünsche werden heute noch erfüllt. Er rief seinen Großwesir zu sich, ‚bereite alles vor – ich wünsche keinen Aufschub!’

Die Hochzeiten wurden alle noch am gleichen Tage gefeiert. So wie es der König entschieden hatte, aber in unterschiedlicher Art und Weise. Die jüngste Schwester sollte eine prachtvolle Hochzeit erleben, wie es bei einer Hochzeitsfeier eines Königs von Persien üblich und auch Tradition war. Die zwei anderen Schwestern sollten eine Hochzeit bekommen, wie sie ihrem Stande entsprach - eine als die Frau des Chefbäckers, die andere als die Frau des Chefkochs im Palast des Königs. Sie empfanden die Hochzeit mit dem Chefbäcker und dem Chefkoch nicht so berauschend, sie hatten sich mehr erhofft - ja, sie fanden die Art, wie sie gefeiert wurde, enttäuschend. Das Gefühl, eine weniger prachtvolle Hochzeit erhalten zu haben als ihre jüngste Schwester, machte sie nicht gerade glücklich. Obwohl sich doch ihre Wünsche auf wunderbare Weise erfüllt hatten und obwohl sie durch ihre Heirat eine Stellung erreicht hatten, die sie sich nicht einmal im Traum hatten vorstellen können. Sie steigerten sich in eine Eifersucht hinein, die nicht nur die Freude an ihrer eigenen Heirat verdarb. Sie führte auch zu vielen Unannehmlichkeiten, die ihre jüngere Schwester, die Frau des Königs, erleiden musste.