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Als Quelle der Märchen diente ein in arabischer Handschrift verfasstes Manuskript, das von Antoine Galland in die französische Sprache übersetzt und im Jahre 1704 in Paris veröffentlich wurde. Das Buch gewann ungewöhnlich schnell eine außerordentliche Popularität. Die Übersetzung gilt seitdem als Quelle unzähliger Veröffentlichungen. Kurz gefasst ging es um einen König, der, sooft er ein Mädchen heiratete, es am Morgen nach der Hochzeit töten ließ. Er heiratete dann eine geistreiche Prinzessin, die Schehera-zade hieß. Sie erzählte ihm Märchen und richtete es so ein, dass der König am nächsten Morgen begierig war, das Ende der Geschichte zu hören. So vergingen 1000 Nächte, während der sie seine Gattin war und ihm ein Kind gebar. Einige der vielen spannenden Märchen, die sie ihm über mehrere Tage und Nächte erzählte, hießen: Gulnare aus dem Meer, die als Sklavin verkauft wird - Prinz Agip, der als Opfer seiner Neugier ein Auge verliert - Der König der Schwarzen Inseln, der halb als Mensch und halb als Marmorstein auf seinem Thron sitzt.
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Veröffentlichungsjahr: 2021
GULNARE AUS DEM MEER
PRINZ AGIB
DER KÖNIG DER SCWARZEN INSELN
Märchen aus alten Zeiten gehen nicht verloren. Sie werden in mündlicher Form von Generation zu Generation weitererzählt. Eine der vielen Möglichkeiten wird durch Märchenerzähler wahrgenommen, die hunderte Geschichten in ihrem Kopf aufbewahren und zum Beispiel auf dem Gauklerplatz in Marrakesch, dem Djama al-Fna weitererzählen. Durch sie erfuhren wir auch die mystische Geschichte von Gulnare aus dem Meer.
In Persien regierte ein König, der den bedeutenden Namen Shahzeman trug. Seine Residenz befand sich im Land der aufgehenden Sonne, in Khorassan, einer historischen Region in Zentralasien. Das königliche Leben verlief nicht immer so, wie er es sich vorgestellt hatte, als er den Thron seines Vaters bestieg. Zwar gelangen ihm viele Reformen in seinem Land, die er durchgesetzt hatte, auch konnte er einen Krieg gegen zwei aggressive Nachbarn für sich entscheiden, die einen Teil seines fruchtbaren Landes für sich beansprucht hatten. Aber sein sehnlichster Wunsch blieb unerfüllt.
Dabei hatte er sich sein Leben lang bemüht, an sich zu arbeiten, um den Vorstellungen seines Vaters, einmal seine Nachfolge antreten zu dürfen, gerecht zu werden. In seinen jugendlichen Jahren war er nicht nur auf die Jagd gegangen und hatte sich auch nicht mit den Schönen seines Landes vergnügt. Er hatte ernsthafte Studien in Damaskus und anderen Hochburgen der Wissenschaft betrieben. Dort hatte er auch einen wesentlichen Teil seiner Regierungskunst erlernt. So entwickelte er sich im Laufe der Zeit zu einem Mann der Praxis, der wusste, wo er den Hebel ansetzen musste, um ein Land zur vollen Blüte zu entwickeln. Er gründete später, als er bereits die Nachfolge seines Vaters angetreten hatte, Städte, die er dicht ans Meer ansiedelte, mit einem großen Hafen, der seinen Bürgern einen regen Handel mit ausländischen Waren ermöglichte.
Nicht nur wegen des daraus erfolgten Reichtums, den seine Untertanen im Laufe der Jahre erwarben, gewann er ihre Zuneigung. Irgendwie glaubten sie auch einem Gerücht, das in der Bevölkerung in Umlauf war, dass er mit einem ihm wohlgesinnten Dschinni verwandt sein musste – dies bewies schon die Aussage eines Astrologen, der errechnet hatte, dass er unter einer glücklichen Sternkonstellation geboren wurde denn alles, was er in Angriff nahm, gelang ihm – ja, er hatte manchmal selbst die Befürchtung, dass ihn das Schicksal zu sehr begünstigte. Ein Wunsch jedoch, der ihm besonders am Herzen lag, wurde ihm über Jahre hinweg nicht erfüllt.
Er bekam weder einen Sohn noch eine Tochter, die eines Tages seine Nachfolge antreten und nach ihm seinen Thron besteigen sollten. Einen Thron, den er von seinem Vater geerbt hatte, und dieser wiederum von seinem Vater. Die Fortsetzung seiner Dynastie schien gefährdet, zumal er den größten Teil seiner Lebenszeit bereits hinter sich hatte.
Als er eines Tags draußen auf seiner Veranda saß und darüber nachdachte, wie er seine Nachfolge regeln sollte, näherte sich ihm einer seiner Mameluken und meldete ihm:
‚Mein Herr und Gebieter, vor der Tür stehen ein Kaufmann und ein Sklavenmädchen, das zwar einen Schleier trägt, das aber eine ungewöhnliche Schönheit zu sein scheint. Sollte ich beide vorlassen?‘ Der König erwiderte:
‚Lass Sie zu mir kommen, den Kaufmann und das Sklavenmädchen. Wir wollen sehen.‘
Der Kaufmann wurde mit dem Sklavenmädchen in den Thronsaal geführt, wo sie sich vor den König tief verbeugten. Als er beide sah, fragte er sich, warum der Kaufmann, mit dem er früher schon mehrere lukrative Geschäfte abgeschlossen hatte, zu ihm kam. Bisher waren es Waren, mit denen er handelte. War es mit ihm so weit gekommen, dass er jetzt mit Menschen handeln musste? Voller Misstrauen empfing er ihn.
Der Kaufmann stellte sich vor, dann auch seine Begleiterin. Er erzählte, dass er mit ihr schon einige Jahre durch die Lande zöge. Sie sei ihm immer eine große Hilfe gewesen, wenn es darum ging, ganze Schiffsladungen aus dem Hafen aufzukaufen und sie einzeln weiterzuverkaufen. Draußen vor seinem Palast stünden zehn Kamele und zwanzig Maultiere, vollbeladen mit den kostbarsten Stoffen und auserlesenem Schmuck aus Edelsteinen, Smaragden und Rubinen. Aber zuallererst und der Höflichkeit halber stelle er ihm seine Begleiterin vor, die außerordentlich schön sei und die er bisher mit zwei bewaffneten Kriegern vor allen Begehrlichkeiten heiratslustiger Männer bewahren und beschützen musste.
Der König, immer noch misstrauisch, warf einen kurzen Blick auf die Sklavin und war, ohne es zu wollen, vom ersten Augenblick an von ihrer schlanken Gestalt eingenommen. Ihre aufrechte Haltung, die einer Lanze ähnelte, zeigte ihm, dass sie von höherer Geburt sein musste. Der Seidenstoff, der ihren geschmeidigen Körper umhüllte, war mit Goldfäden reich bestickt. Der Kaufmann hob ihren Schleier hoch, wodurch der König für einen kurzen Augenblick lang den Eindruck hatte, dass der Saal, in dem sie sich befanden, durch ihre Schönheit zu leuchten begann.
Von ihrer Stirn hingen sieben Lockenstränge, die bis zu ihren goldenen Fußkettchen an den Knöcheln reichten. Der König wunderte sich über ihre ebenmäßigen Gesichtszüge, wie er sie in ihrer Vollkommenheit noch nie gesehen hatte. Es fehlten ihm die Worte etwas zu sagen, ein Zustand, der ihm völlig fremd war und der ihn zwang, sie weiterhin wortlos anzuschauen. Nach langer Überlegung fragte er den Kaufmann:
‚Kaufmann! Wieviel würdest Du für die junge Frau verlangen?‘
Er antwortete: ‚Mein König und Gebieter! Ich zahlte dem Kaufmann, der sie besaß, zweitausend Goldstücke. Seitdem war ich drei Jahre lang unterwegs und unternahm weite Reisen mit ihr. Für sie und ihren Unterhalt mit Kost und Logis gab ich weitere dreitausend Goldstücke aus. Sie ist ein Geschenk für Sie, mein König!‘
Der König war es nicht gewöhnt, von einem Kaufmann beschenkt zu werden. Er witterte gleich eine Gegenforderung, die gewöhnlich unangemessen hoch war und auf dem Fuße folgte. Er bot ihm deshalb, um ihm zuvorzukommen, auch ein Geschenk an, das aus einer Ehrenrobe und zehntausend Goldstücken bestand, die ihm der Schatzmeister sofort aushändigen sollte.
Es wäre eine große Beleidigung gewesen, wenn der Kaufman angefangen hätte, die zehntausend Goldstücke nachzuzählen. Er bedankte sich, füllte seinen Ledersack mit den Goldstücken und küsste die Hände des Königs. Er verabschiedete sich, während die Haushofmeisterin des Königs den Auftrag erhielt, die Sklavin mitzunehmen, sie zu baden und neu einzukleiden. Auf Befehl des Königs richtete sie ihr ein privates Gemach ein, in dem sie sich wohl fühlen sollte. Auch die Kämmerin sollte ihr jeden Wunsch erfüllen, den sie äußerte.
Seine Residenz befand sich in der Nähe der Meeresküste. Sie trug den Namen ‚Weiße Stadt‘. Seine Untertanen hatten sie ihm zum zehnten Jahrestag seiner Thronbesteigung zum Geschenk gemacht. In diesem Gebäude, in der Nähe der Meeresküste, mit einem freien Blick auf das weite Meer, hatten sie auch das private Gemach der Sklavin eingerichtet. Der König befahl ihren Hausdamen, alle anderen Türen zu verschließen, nachdem sie sich alle Mühe gegeben hatten, ihre Wünsche zu erfüllen. Anschließend entschloss sich der König, die junge Frau zu besuchen. Aber sie machte keine Anstalten, sich für ihn zu erheben - ja, ihn überhaupt zu beachten. Er sagte zu ihr, vielleicht etwas zu sehr von oben herab:
‚Es scheint, dass Sie mit Leuten zusammen waren, die Ihnen nicht beigebracht haben, wie man sich in Anwesenheit eines Königs zu benehmen hat.‘
Während er die junge Frau betrachtete, konnte er nicht umhin, ihren außerordentlichen Liebreiz zu bewundern – ja, ihr Gesicht leuchtete wie die Mondscheibe in vollem Glanze oder die untergehende Sonne am strahlenden Himmel. Von ihrer Schönheit war er buchstäblich hypnotisiert – ja, nur Allah konnte diese Vollkommenheit erschaffen.
Auch ein König ist nur ein Mann, und ein Mann überlegt nicht lange, wenn er auf ein Ziel zusteuert, er setzte sich zu ihr, nahm sie in seine Arme und küsste sie auf ihre Lippen, die ihm süßer erschienen als Honig. Er ließ die auserlesensten Delikatessen servieren, mit schmackhaften Früchten und süßen Nachspeisen. Als er aß, reichte er auch ihr Häppchen für Häppchen – ja, er fütterte sie mit den leckersten Bissen wie einen kleinen Vogel, der immer wieder seinen Mund aufsperrte. Sie gab ihm schließlich ein Zeichen, dass sie genug hatte, sprach aber kein einziges Wort zu ihm.
Der König ließ sich aber nicht von ihrer Schweigsamkeit beeindrucken, er wollte wissen, mit welchem Namen er sie ansprechen sollte, aber sie blieb ihm eine Antwort schuldig. Sie schwieg wie ein Grab, kein einziges Wort kam über ihre Lippen. Was sie vor dem Ärger des Königs schützte, war nur ihre Schönheit und ihre empfindsame Art, wie sie mit ihm umging. Der König dachte sich: