Der Tag, an dem Lotto-Werner verhaftet wurde - Jutta Wilke - E-Book

Der Tag, an dem Lotto-Werner verhaftet wurde E-Book

Jutta Wilke

0,0
11,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Eine Detektivin mit Herz & Humor! Finja ist sauer! Ihr Papa hat überhaupt keine Zeit mehr für sie und Emil hat nur noch Augen für seine neue Freundin Juma. Überhaupt scheinen alle im Viertel den Verstand verloren zu haben. Kreuz und quer wird sich verliebt. Und dann wird auch noch Lotto-Werner verhaftet! Zum Glück ist Finja eine echte Detektivin und wird diesen Fall lösen. Und zwar ganz allein! Auf einen Freund wie Emil kann sie nämlich gut verzichten – und erst recht auf diese Juma mit den unfassbar blauen Augen und der coolen pinken Haarsträhne … Oder etwa nicht? Ein Krimi für Kinder ab 10 Jahren

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 238

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Für Jenny.Und Frau Wischnewski.

eISBN 978-3-649-64088-2

© 2023 Coppenrath Verlag GmbH & Co. KG,

Hafenweg 30, 48155 Münster

Alle Rechte vorbehalten, auch auszugsweise

Text: Jutta Wilke

Umschlaggestaltung und Illustrationen: Ulf K.

Lektorat: Anja Fislage

Satz: Sabine Conrad, Bad Nauheim

www.coppenrath.de

Die Print-Ausgabe erscheint unter der ISBN: 978-3-649-61511-8

eISBN 978-3-649-67119-0

Jutta Wilke

Der Tag, an dem Lotto-Werner verhaftet wurde

Mit Illustrationen von Ulf K.

COPPENRATH

Finjas Detektivinnen-Notizbuch

Öffnen und darin herumschnüffeln strengstens verboten!!

Finjas und Emils Geheimschrift-Code

Inhalt

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

Es ist Nacht geworden über dem Büdchen. Das große Verkaufsfenster ist fest verschlossen, die leeren Getränkekästen sind nach innen verräumt und die Stühle und Tische sind aneinandergekettet bis zum nächsten Morgen. Die meisten Menschen in dieser Stadt schlafen schon lange, was schade ist, denn sonst könnten sie sehen, wie zwei dunkle Gestalten sich auf Zehenspitzen dem Büdchen nähern.

Zwei Männer, der eine lang und dünn, der andere eher klein und rundlich. Der Kies knirscht unter ihren Schuhen, als sie den Platz überqueren und zu den Schaukeln laufen.

»Bist du dir sicher, dass wir hier richtig sind?«, fragt der lange Dünne.

»Absolut sicher.« Der kleine Dicke nickt, was der Lange aber in der Dunkelheit nicht sehen kann. »Hier ist alles exakt so, wie es beschrieben wurde. Das muss es sein!«

»Und was machen wir jetzt?«, fragt der Lange.

»Wir sondieren die Lage. Wir gucken, ob wir etwas Auffälliges finden.« Der Kleine gibt der leeren Schaukel einen Schubs und schleicht zum Büdchen rüber. Dann rüttelt er einmal kräftig an der Tür. »Verschlossen«, murmelt er. »Natürlich.«

Der lange Dünne bewundert seinen Kollegen, wie der sich traut, hier in der Dunkelheit herumzuschleichen. Ein Käuzchen schreit vom Kastanienbaum herunter und er zuckt zusammen.

»Lass uns verschwinden!«, ruft er leise in die Dunkelheit. Keine Antwort.

»Hej, wo bist du?« Jetzt wird ihm wirklich mulmig zumute. Da schreit das Käuzchen schon wieder, diesmal aus einer anderen Richtung.

»Okay, genug jetzt. Wir können doch morgen wiederkommen!« Der lange Dünne will jetzt wirklich nur noch nach Hause, wo sein gemütliches Bett auf ihn wartet. Da trifft ihn ein winziger Kieselstein an der Stirn.

»He! Was soll das!«

Der kleine Dicke, der gerade einmal um das ganze Büdchen herumgeschlichen ist, ohne auch nur irgendetwas Verdächtiges zu finden, zischt über den Platz: »Was machst du denn für einen Lärm? Weckst ja die ganze Stadt auf!« Da trifft auch ihn ein Kieselsteinchen am Kopf. »Sag mal, spinnst du?«

»Ich? Wieso? Ich habe doch gar nichts gemacht!«

»Du wirfst mit Kieselsteinen nach mir!«

»Nein, du hast mit Kieselsteinen nach mir geworfen!«

Da schreit das Käuzchen zum dritten Mal.

Beide zucken zusammen.

»Wir sollten abhauen«, flüstert der Kleine.

»Sollten wir«, stimmt der Lange erleichtert zu. Und dann verschwinden die beiden in der Dunkelheit dorthin, wo sie hergekommen sind.

Sie sehen nicht mehr, wie jemand mit einem viel zu kleinen Hut auf dem Kopf hinter der Kastanie hervorkommt und sich den Bauch hält vor Lachen. Dann zieht er die Regenplane von dem alten Sofa und macht es sich darauf gemütlich. Hier wird ihn heute Nacht niemand mehr stören. Er ruft noch einmal zum Käuzchen hoch, aber das antwortet nicht mehr. Dann rollt er sich auf dem Sofa zusammen und schläft ein.

Wichtige Detektivregeln:

Detektivregel Nummer 1: Eine echte Detektivin hat Augen und Ohren überall.

Detektivregel Nummer 2: Eine echte Detektivin gibt niemals auf.

Detektivregel Nummer 3: Eine echte Detektivin ist geduldig und lässt die Dinge sich entwickeln.

Detektivregel Nummer 4: Eine echte Detektivin guckt immer hinter die Fassade.

Detektivregel Nummer 5: Eine echte Detektivin lässt sich durch nichts ablenken.

Detektivregel Nummer 6: Jeder Mensch hat ein Geheimnis.

Detektivregel Nummer 7: Zu jedem Rätsel gibt es auch eine Lösung.

1. Kapitel

In dem eine geheime Botschaft leider halb aufgefressen wird, alle nur noch von der Liebe reden und Lotto-Werner sich merkwürdig benimmt …

»Oh nein, Watson! Nicht schon wieder!« Ich drehe und wende den Zettel, aber weiter komme ich nicht. Den Rest von Emils Botschaft hat Watson leider aufgefressen. Ich platze fast vor Neugier. Schon den ganzen Nachmittag habe ich darauf gewartet, dass Emil sich meldet. Wir haben uns in den letzten Tagen kaum gesehen. Watson ist zwar ein paar Mal hin- und hergelaufen, aber das, was er mitgebracht hat, war eine zerkaute Socke. Keine Ahnung, wo er die gefunden hat.

Watson ist mein Hund, und es war eine meiner besten Ideen, ihn zu unserem Geheimboten zu machen. Seit Emils Mutter das Büdchen von Karl übernommen hat, läuft er total gerne dorthin und hofft, dass jemand ihm einen Hundekeks schenkt oder von einem der Wurstbrötchen eine Scheibe für ihn abfällt.

Und wenn Emil oder ich mal keine Zeit haben, läuft Watson eben hin und her und überbringt wichtige Botschaften. Wenn ich ihm jetzt nur noch beibringen könnte, die Zettel nicht immer halb aufzufressen, sondern vollständig abzuliefern. Es ist doch auch so schon schwer genug, unsere Geheimschrift zu entziffern. Ich öffne die Schublade, in der die Lupe und mein Notizbuch mit dem richtigen Code liegen. Eine gute Detektivin muss immer auf alles vorbereitet sein.

»Komm dringend«, entziffere ich. Und dann …

»Hallo Murkel, hast du kurz Zeit?«

Ich knalle die Schublade wieder zu. Fast hätte ich mir die Finger geklemmt.

»Kannst du nicht lesen?«, fauche ich Paps an, der schon mitten in meinem Zimmer steht.

An meiner Tür hängt nämlich ein Schild. Und darauf steht gut sichtbar für alle – auch für Väter:

»Aber ich habe doch geklopft!« Paps versucht, schuldbewusst auszusehen, aber so richtig gelingt ihm das nicht. Außerdem hat er die Fähigkeit, zu klopfen und innerhalb einer Nanosekunde die Tür aufzureißen. Falls ihr das nicht wisst: Eine Nanosekunde entspricht 0,000000001 Sekunden, also exakt einer milliarstel Sekunde. Lange dachte ich, Paps sei der einzige Mensch, der so etwas kann, aber Emil sagt, seine Mama habe diese Fähigkeit auch. Ist vielleicht so ein Elternding, das müsste man mal untersuchen.

Trotzdem hasse ich es, wenn Paps so plötzlich in meinem Zimmer steht. Da kann er noch so schuldbewusst gucken. Bestimmt zum hundertsten Mal nehme ich mir vor, einen Wassereimer auf meinem Türrahmen zu platzieren oder den Türgriff mit Zahnpasta einzuschmieren oder so.

Noch lieber würde ich mein Zimmer einfach von innen abschließen, wenn ich meine Ruhe haben will. Aber nachdem ich mich einmal fast zwei Tage darin eingeschlossen habe, hat Paps mir den Schlüssel weggenommen vor lauter Angst, ich könnte irgendwann überhaupt nicht mehr rauskommen.

Dabei ist das doch schon total lange her, mindestens drei Jahre oder so, und damals habe ich das nur gemacht, weil Mama weggegangen war.

Eigentlich war sie weggefahren mit diesem grässlichen Motorradtyp. Ich habe den Mann nur einmal gesehen und genau genommen konnte ich ihn gar nicht richtig erkennen unter seinen Lederklamotten und seinem Helm. Papa hat gerufen, Mama müsse sich endlich entscheiden, entweder der Motorradtyp oder er. Und da hat sich Mama entschieden. Sie ist zu dem Kerl aufs Motorrad geklettert und weg war sie.

»Aber das Kind bleibt hier!«, hat Papa noch hinter den beiden hergebrüllt. Das Kind war ich, und auf einmal bekam ich schreckliche Angst, dass der Mann mit dem Motorrad noch einmal zurückkommen und mich auch holen würde. Deshalb hatte ich mich in mein Zimmer eingeschlossen. Aber er kam nicht zurück, Mama auch nicht, und ich kam erst nach zwei Tagen wieder raus.

Mama wohnt jetzt in einer anderen Stadt, aber ohne den Motorradtyp. Der ist längst weitergefahren und hat sicher schon eine andere Frau abgeschleppt, sagt Papa. Mama will trotzdem nicht zu uns zurückkommen und das macht mich gleichzeitig ziemlich traurig, aber auch froh. Gleichzeitig froh und traurig zu sein, ist ein bisschen so, wie mit zwei Füßen auf zwei Skateboards zu stehen, die in verschiedene Richtungen rollen. Traurig bin ich, weil Mama so weit weg wohnt, dass ich sie nur ganz selten sehen kann. Froh bin ich, weil Paps und ich ein richtig gutes Team geworden sind, das auch wunderbar alleine klarkommt. Und weil Mama und Paps sich sowieso dauernd nur gestritten haben. Und weil ich Watson habe. Watson ist der süßeste Hund, den es gibt, und total schlau. Paps hat ihn eines Tages aus dem Tierheim angeschleppt, weil er dort so alleine war, sagt er. Ich glaube aber, dass er Watson nur geholt hat, weil er dachte, dass ich sonst so viel alleine bin, und weil er deswegen ein schlechtes Gewissen hatte. Aber das würde Paps nie zugeben.

Jedenfalls gibt Paps mir den Zimmerschlüssel nicht zurück. Er behandelt mich, als sei ich immer noch ein kleines Mädchen. Er nennt mich auch ständig Murkel, obwohl er genau weiß, dass ich Finja heiße und auch so genannt werden will. Ich habe mich nämlich verändert. Ich bin älter geworden. Und größer. Und viel mutiger. Erst im letzten Herbst habe ich mit Emil am Büdchen einen richtigen Einbrecher zur Strecke gebracht. Emil ist ganz klar mein allerbester Freund. Und der wartet jetzt am Büdchen wegen irgendeiner dringenden Sache auf mich.

»Ich muss noch mal weg heute. Kannst du dir später ’ne Pizza bestellen?« Paps wedelt mit einem Geldschein vor meiner Nase rum. »Vielleicht mit Emil zusammen?«

Pizza klingt gut, trotzdem werde ich sofort misstrauisch. Paps gehört nicht zu den Vätern, die dauernd Essen bestellen oder ihre Kinder mit Geld bestechen. Irgendwas ist da im Busch. Ich wäre keine gute Detektivin, wenn ich das nicht sofort merken würde. Überhaupt: War Paps etwa beim Friseur? Er sieht so anders aus. Und das Hemd, das er anhat, kenne ich auch noch nicht.

Ich schnappe mir den Geldschein, bevor er es sich doch anders überlegt.

»Wo musst du denn noch hin?«

»Nur zu einem Geschäftsessen. Mit einem Kollegen«, fügt Paps schnell hinzu, als er meinen misstrauischen Blick sieht.

»Mit wem denn?« Paps’ Kollegen treffen sich sonst eher auf dem Bolzplatz oder am Büdchen als bei einem Geschäftsessen.

»Mit – ähm – also der Name …«

Paps wird tatsächlich knallrot wie eine Tomate.

»Du hast ein Date«, stelle ich fest und verschränke die Arme vor der Brust.

Paps seufzt. Volltreffer.

»Wir gehen nur essen«, beschwichtigt er sofort.

»Wer ist sie, wie heißt sie, woher kennst du sie, wie sieht sie aus?« Ich fühle mich genauso grässlich, wie ich vermutlich gerade klinge. Aber tief in mir drin schrillen sämtliche Alarmglocken.

Natürlich ist mir klar, dass Paps nicht ewig alleine bleiben möchte. Aber ich will trotzdem gerne, dass alles genau so bleibt, wie es jetzt ist. Paps und ich und Watson. Das reicht doch völlig für eine Familie. Vielleicht hat die Neue schon eigene Kinder, die sie dann mitbringt und die den ganzen Tag an Watson rumzerren, oder die Neue kann Hunde nicht leiden und will Watson zurück ins Tierheim bringen oder vielleicht kann sie mich nicht leiden … Ich merke, wie mir Tränen in die Augen steigen, und das soll Paps ganz bestimmt nicht sehen. Deshalb drehe ich mich schnell von ihm weg.

»Ist gut. Viel Spaß! Ich geh noch mal zum Büdchen.«

Paps legt mir eine Hand auf die Schulter und will etwas sagen, aber ich schiebe seine Hand von mir runter.

»Komm, Watson!« Ich schnappe mir die Leine vom Haken und drücke mich an Paps vorbei. Ich muss ganz schnell raus hier.

»Wir gehen wirklich nur essen!«, ruft Paps noch, aber da fällt schon die Wohnungstür hinter mir ins Schloss.

Draußen springe ich auf mein Skateboard. Der Gedanke an Paps und sein Date macht mir richtig Bauchschmerzen.

»Hoffentlich ist sie total hässlich. Und doof. Und Paps kann sie überhaupt nicht leiden«, murmele ich und stoße mich einmal kräftig ab. Watson bellt zustimmend und zerrt an seiner Leine. Er liebt es, mich auf dem Skateboard zu ziehen. Dann rennt er so schnell vor mir her, dass ich aufpassen muss, nicht vom Board zu fallen, weil wir mit einem ganz ordentlichen Tempo über den Gehweg flitzen.

Kurz vor dem Büdchen springe ich ab und atme tief durch. Hier sieht es richtig gemütlich aus. Emils Mama hat zusammen mit Karl ein paar alte Stühle, kleine Tische und Sessel besorgt und sie rings um das Büdchen aufgestellt. Die beiden Kastanienbäume blühen um die Wette und an einem alten Sonnenschirm baumelt eine Lichterkette. Ich halte Ausschau nach Emil. Aber von ihm ist weit und breit nichts zu sehen. Dafür stehen Ali, Fred und Serhad zusammen und winken mir fröhlich zu. Die drei arbeiten bei der Städtischen Müllabfuhr und sind Kollegen von Paps. Ohne sie und Paps und die vielen anderen gäbe es das alles hier heute gar nicht mehr.

»Hallo, Finja!« Jetzt kommt auch Emils Mama aus dem Büdchen. Vor sich balanciert sie einen Karton, aus dem ein riesiger Berg Papiergirlanden herausguckt. »Bitte schön, die Herren!« Mit Schwung stellt sie den Karton ab. »Und danke noch mal, dass ihr mir helfen wollt! Ich wüsste ja gar nicht, wie ich das ohne euch schaffen sollte.«

Fred winkt ab. »Ach was, kein Problem. Für die Liebe tun wir doch fast alles!«

Emils Mama lacht. »Na, dann kann ja nichts mehr schiefgehen.«

»Love is in the air«, summt Fred und zwinkert mir zu.

Liebe liegt in der Luft? Was ist denn mit dem los?

»Und? Bist du auch verliebt?« Fragend sieht Serhad mich an.

Verliebt? Ich? Ganz sicher nicht. Verwirrt gucke ich von einem zum anderen.

»Na ja, jetzt im Mai«, erklärt Fred, »da sind doch fast alle verliebt.«

»Stimmt!« Ali nickt. »Wenn da ist die Fruhling und die Kastanienbaum hat viele Blumen, alle wollen kussen.«

»Küssen«, murmele ich ganz automatisch und spüre, wie ich rot werde.

»Sag ich doch!« Fred grinst. »Verliebt bis über beide Ohren.«

»Emil ist da drüben«, raunt Emils Mama mir zu. »Es gibt Neuigkeiten.«

Tatsächlich entdecke ich Emil erst auf den zweiten Blick. Er sitzt hinter dem Büdchen auf einer der leeren Getränkekisten und vor ihm steht ein Mann in einem schwarzen Anzug und gestikuliert wild mit beiden Armen: Lotto-Werner.

Eigentlich heißt er nur Werner, aber weil er jeden Freitag am Büdchen einen Lotto-Schein ausfüllt, wird er von allen hier nur Lotto-Werner genannt. Jetzt ist Lotto-Werner jedenfalls total aufgeregt, registriere ich sofort und überlege, ob ich das besser gleich in mein Detektivinnenbeobachtungsnotizbuch eintragen soll. Das habe ich nämlich immer dabei, und da kommt alles rein, was irgendwie einmal wichtig werden könnte. Emil hat mir sogar seine Steckbriefe gegeben, die er sich über die Menschen hier rund ums Büdchen gemacht hat. Er kann sie für seinen Krimi nicht mehr verwenden, sagt er, weil alle Personen ja jetzt schon in einem richtigen Krimi vorgekommen sind. Ich kann Emils Notizen aber noch gut gebrauchen, ich muss sie nur ab und zu ein bisschen überarbeiten. Und Lotto-Werner benimmt sich gerade sehr auffällig. Das muss ich notieren! Er fuchtelt mit den Armen, kniet vor Emil nieder und faltet die Hände. Dann steht er unter lautem Ächzen und Stöhnen wieder auf und macht eine Verbeugung. Gerade ist er wieder auf die Knie gefallen, als Emil mich entdeckt und mir zuwinkt.

»Hej, Finja, hallo, Watson, da seid ihr ja endlich!«

Watson springt sofort bellend an Emil hoch. Dann setzt er sich neben Lotto-Werner, legt den Kopf schräg, stellt ein Ohr hoch und schaut ihn erwartungsvoll an. Lotto-Werner stützt die Hände auf den Boden, ächzt und stöhnt wieder und steht auf.

»Ich glaube, das mit dem Niederknien sollte ich besser lassen«, sagt er und klopft sich den Staub von den Hosenbeinen. »Wäre doch zu peinlich, wenn ich dann nicht mehr hochkomme. Jetzt dreht Werner sich zu mir um. »Reicht eine Verbeugung auch aus?«

»Werner übt für einen Heiratsantrag«, erklärt Emil. »Mit allem Drum und Dran!«

»Du willst – ihr wollt – ähm – heiraten?« Fassungslos starre ich zwischen Emil und Werner hin und her. Heute sind wirklich alle total durchgeknallt.

»Pst! Nicht so laut!« Lotto-Werner zwinkert mir vertraulich zu. »Ist doch alles noch streng geheim. Soll eine Überraschung für Gerda werden.«

Gerda, das ist Frau Wischnewski, und endlich kapiere ich, dass sie es ist, der Werner einen Heiratsantrag machen will. Frau Wischnewski war schon einmal verheiratet, aber ihr Mann ist bereits vor vielen Jahren gestorben. Lotto-Werner war auch schon mal verheiratet, aber seine Frau ist mit dem Bankdirektor durchgebrannt. Ich will Werner gerade erklären, dass es statistisch gesehen nicht besonders klug ist, noch einmal zu heiraten. Jede zweite Ehe wird sowieso geschieden. Die Wahrscheinlichkeit, in einer unglücklichen Ehe zu landen, ist also viel höher als die, im Lotto zu gewinnen. Aber Emil und Werner lassen mich gar nicht richtig zu Wort kommen.

»Mama hat Rosen und Kerzen für alle Tische besorgt«, sagt Emil. »Ist das nicht total romantisch?«

»Und Ali, Fred und Serhad hängen Lichterketten und Girlanden auf.« Werner fuchtelt wieder mit den Armen. Er sieht in seinem schwarzen Anzug heute tatsächlich ganz besonders festlich aus. Aus der Tasche seines Jacketts guckt ein weißes gebügeltes Taschentuch. Und in das oberste Knopfloch hat er sich eine Rose gesteckt. Seine wenigen Haare kleben noch fester am Kopf als sonst, vermutlich hat er eine ganze Dose Gel darauf verteilt.

»Silke macht Frau Wischnewski gerade eine richtig tolle Brautfrisur.« Emil hüpft von einem Fuß auf den anderen.

»Dabei weiß sie ja gar nicht, dass sie die Braut ist«, kichert Werner.

»Vielleicht sollte ich doch besser einen Liebesroman schreiben. Mit viel Romantik und Herzschmerz und einem Happy End.« Emil sieht aus, als ob er am liebsten sofort loslegen würde.

»Es gibt kein Happy End«, entgegne ich und denke an die ewigen Streitereien zwischen Mama und Paps. »Bei Romeo und Julia sind am Schluss alle tot. Und das ist die berühmteste Liebesgeschichte aller Zeiten.«

»Hm.« Emil überlegt einen Moment. Dann strahlt er mich an. »Wenn am Ende alle tot sind, kann ich vielleicht doch noch den abgerissenen Finger aus dem Krimi einbauen.«

Was für ein Finger? Wovon redet er da? Ich will etwas erwidern, als mich eine sanfte, leise Stimme unterbricht: »Ich könnte nachher vielleicht ein Gedicht vorlesen.«

Ich bin mir sicher, dass ich diese Stimme noch nie zuvor gehört habe. Ich drehe mich um. Hinter mir steht ein Mädchen mit langen schwarzen Locken und den blauesten Augen, die ich je gesehen habe. Sie trägt ein schrecklich kitschiges pinkes T-Shirt mit ziemlich viel Glitzer darauf. In ihren Händen hält sie zwei große Gläser Limonade. In der Limonade stecken bunte Papierstrohhalme. Und Zitronenscheibchen.

»Du musst Finja sein.« Sie lächelt mich an, dann drückt sie eins der Gläser Emil in die Hand und setzt sich neben ihn auf eine der leeren Kisten. Sie saugt ein bisschen an dem Strohhalm. Watson legt seinen Kopf auf ihren Schoß, als hätte er nie etwas anderes getan. Ich fasse es nicht.

»Vielleicht könnten wir Watson ein paar Zöpfchen flechten. Oder kleine Schleifen in sein Fell knoten. Das wäre so romantisch!« Das pinke Glitzer-Mädchen krault Watson hinter den Ohren.

Schleifen ins Fell? Ich schlucke, aber das, was da in mir hochkommt, lässt sich nicht runterschlucken. Gerade noch habe ich mich auf Emil gefreut. Aber jetzt ist da dieses Mädchen, das ich überhaupt nicht kenne, das aber Emil offenbar sehr gut kennt, und sogar Watson scheint schon seinen Narren an ihr gefressen zu haben und lässt sich von ihr kraulen, als wären sie seit Jahren alte Bekannte. Neben ihrem Glitzer-Outfit fühle ich mich in meinen geringelten Leggins plötzlich irgendwie komisch.

»Das ist Juma«, höre ich Emil sagen. »Sie ist neu in meiner Klasse.«

Juma also. Von mir aus kann sie auch neu auf diesem Planeten sein. Mich interessiert sie trotzdem nicht. Jemand, der Gedichte vorlesen, Watson Zöpfchen flechten will und dazu ein Glitzer-Shirt trägt, hat ganz eindeutig einen Knall.

Emil

Vorname:

einfach Emil

Aussehen:

wuschelige braune Haare und blaue Augen. Das mit den Augen schreibe ich nur auf, falls man es einmal gebrauchen kann. Für eine Vermisstenanzeige oder so. Oder falls Emil entführt wird.

Alter:

so alt wie ich. Ungefähr jedenfalls.

Kleidung:

meistens Jeans und T-Shirt, wenn es kalt ist, auch einen Pullover. Neuerdings sind alle T-Shirts schwarz. Emil sagt, ein Krimi-Autor trägt immer schwarze Klamotten.

Merkmale:

Emil ist ein Schriftsteller und schleppt den ganzen Tag sein Notizbuch mit sich herum. Er schreibt einen Krimi über einen abgerissenen Finger. Wem der Finger gehört, weiß er aber noch nicht. Das muss er sich erst noch ausdenken.

Zusatz:

Emils Papa ist schon gestorben, was ziemlich traurig ist. Aber seine Mama arbeitet jetzt im Büdchen und darüber ist er sehr froh. Und ich auch, weil wir uns so fast jeden Tag sehen können.

2. Zusatz:

Emil ist der einzige, der den Code zur Geheimschrift kennt.

2. Kapitel

In dem Lotto-Werner ein sehr großes Taschentuch braucht, zwei geheimnisvolle Fremde Kuchen essen und Frau Wischnewski in Ohnmacht fällt …

Seit wann ist diese Juma überhaupt in Emils Klasse? Und woher kennt sie Watson schon so gut? Zum ersten Mal ärgere ich mich darüber, dass Emil und ich in verschiedene Schulen gehen.

Ich will Juma gerade sagen, was ich von Zöpfchen in Watsons Fell halte, als Emils Mama mich unterbricht:

»Hallo, Finja, kannst du mir eben die Rosen abnehmen?« Noch bevor ich antworten kann, drückt sie mir einen Strauß Rosen in die Hand. »Die Vasen stehen da drüben«, sagt sie und nickt mit dem Kopf in Richtung Büdchen. Ich schlucke meine Antwort an Juma runter und nehme die Blumen entgegen. Fein säuberlich aufgereiht, stehen noch ein paar kleine Vasen nebeneinander auf der Theke und warten darauf, erst mit Wasser und dann mit den Rosen gefüllt zu werden. Neben den Vasen steht einer im Schlafanzug und mit löchrigen Pantoffeln und guckt sich verwirrt um. Der Alte aus der Dreizehn. Irgendwie bin ich gerade dankbar für die Ablenkung. Schleifchen ins Fell. Ich fasse es immer noch nicht.

»Hallo, Herr Kaiser!«, rufe ich. »Heute gibt es hier einen Heiratsantrag. Wollen Sie auch helfen? Sie könnten das Wasser in die Vasen füllen.« Als der Alte aus der Dreizehn nicht reagiert, sondern sich nur weiter neugierig umschaut, weiß ich, dass er mal wieder seinen eigenen Namen vergessen hat.

»Sie können auch einfach zugucken«, murmele ich und greife zu der Gießkanne, die neben den Vasen steht.

In seinem früheren Leben war Herr Kaiser mal ein Rechtsanwalt und vermutlich ziemlich schlau, aber inzwischen ist er so alt, dass sein Kopf löchrig wie ein Sieb geworden ist und er ständig alles vergisst. Zum Beispiel, dass man nicht im Pyjama nach draußen geht, sondern erst etwas Richtiges anziehen muss, bevor man das Haus verlässt. Auch seinen Namen vergisst Herr Kaiser ständig, deshalb heißt er bei Emil und mir stets nur der Alte aus der Dreizehn.

»Ein Heiratsantrag bietet keinen Rechtsanspruch auf die Ehe«, sagt der Alte aus der Dreizehn jetzt laut und deutlich. »Auch dann nicht, wenn der andere eingewilligt und das Paar sich dadurch verlobt hat. Und Paragraf dreizehnhundert BGB wurde 1998 abgeschafft.« Er dreht sich um und schlurft davon. Ich schaue ihm mit offenem Mund hinterher.

Dann beeile ich mich aber doch, die Rosen in ihren Vasen und die Vasen überall auf den Tischen zu verteilen. Schließlich können Silke und Frau Wischnewski jederzeit um die Ecke kommen.

Gerade als ich die letzten Rosen noch schnell auf der Theke abstellen will, tauchen Emil und Lotto-Werner neben dem Verkaufstresen auf. Emil hüpft die ganze Zeit um ihn herum und kritzelt irgendwas in sein Notizbuch. Von Juma ist weit und breit nichts mehr zu sehen und ich werde ganz sicher nicht nach ihr fragen. Ich schlendere zu den beiden rüber.

»Was schreibst du denn da?«, will ich wissen und versuche, einen Blick in Emils Notizen zu erhaschen. Aber Emil klappt das Buch schnell wieder zu.

»Recherche«, flüstert er. »Ich frage ihn nach seinen Gefühlen. Wie es ihm geht und so. Damit mein Liebesroman auch authentisch wird.«

Authentisch? Seit wann schmeißt Emil mit solchen Fremdwörtern um sich? Authentisch heißt übrigens nichts anderes als möglichst echt. Und dass Lotto-Werner nervös ist, sehe ich auch so. Das muss ich ihn nicht erst fragen.

»Schreib lieber weiter an deinem Krimi«, raune ich Emil zu. »Tote haben keine Gefühle mehr, da ist es leichter, authentisch zu sein.«

Emil grinst, und ich spüre, wie der Knoten in meinem Bauch sich langsam auflöst.

»Hilf du mir lieber, ein Hindernis zu finden«, sagt er.

»Was für ein Hindernis denn?« Verwirrt schaue ich ihn an.

»Jeder gute Roman braucht ganz viele Hindernisse. Für den Spannungsaufbau«, erklärt er mir. »Wenn alles so glatt läuft und nichts passiert, wird es ja eine total langweilige Liebesgeschichte.«

»Was soll denn passieren?« Ich bin jetzt ehrlich ein bisschen verwirrt. »Lotto-Werner wird Frau Wischnewski fragen, ob sie ihn heiraten will, Frau Wischnewski wird begeistert Ja sagen, alle werden klatschen und sich freuen und irgendwann gibt es eine Hochzeit. Aus die Maus.« Ich verkneife es mir, noch einmal darauf hinzuweisen, was ich von der ganzen Sache halte.

Emil schüttelt unwillig den Kopf. »Ja, das passiert in echt. Aber für meine Geschichte kann ich das nicht gebrauchen. Da brauche ich ein Hindernis. Etwas, das es den beiden verdammt schwer macht, glücklich bis in alle Ewigkeiten zu werden. So wie bei Romeo und Julia, wo die Familien der beiden nicht wollen, dass sie heiraten.«

Emil hat wirklich gründlich recherchiert, stelle ich fest.

»Frau Wischnewski und Lotto-Werner haben keine Familie mehr«, wende ich ein. ein. »Und Paul hat ganz sicher nichts gegen eine Hochzeit.«

Emil stöhnt. »Das weiß ich doch. Deshalb muss ich mir etwas anderes ausdenken. Ich könnte den abgerissenen Finger einbauen.«

»Von welchem Finger redest du da eigentlich ständig?« Verwirrt sehe ich Emil an.

»Den findet ein Hund in einem Gebüsch. Das wollte ich schon letztes Jahr die ganze Zeit in meinen Krimi einbauen, aber dann kam immer was dazwischen. Jetzt habe ich den Finger noch übrig. Vielleicht kann ich ihn ja in dem Liebesroman verwenden.« Eifrig blättert Emil in seinem Notizbuch herum.

»Wem gehört der Finger denn?«, will ich wissen.

Emil zuckt mit den Schultern. »Das weiß ich selbst noch nicht. Das muss ich mir erst noch ausdenken.«

Ich verdrehe die Augen und starre hoch zu den Kastanien. Eine Liebesgeschichte mit einem abgerissenen Finger. Emil sollte wirklich besser einen Krimi schreiben.

»Hallo, ihr beiden! Na, schon aufgeregt?«

Ich fahre herum. Karl! Jetzt sind wirklich fast alle da.

»Jetzt fehlt nur noch die zukünftige Braut!«, ruft Karl dann auch fröhlich und Lotto-Werner zieht ein riesiges kariertes Taschentuch aus seiner Hosentasche und wischt sich damit den Schweiß von der Stirn. Emil klappt sein Notizbuch wieder auf, vermutlich um das mit dem Taschentuch zu notieren. Karl klopft Werner aufmunternd auf die Schulter, dass es nur so kracht, und dann kommen noch zwei Männer, die ich hier noch nie gesehen habe, und bestellen Kaffee und Kuchen bei Emils Mama. Die beiden Fremden wundern sich ein bisschen über den Alten aus der Dreizehn, der unterwegs offenbar vergessen hat, dass er nach Hause gehen wollte, und jetzt auf dem alten Sofa, das Karl eines Tages hier angeschleppt hat, ein Nickerchen macht. Sein Mund steht leicht offen und er schnarcht leise vor sich hin. Dann setzen die beiden Männer sich an einen der freien Tische und gucken sich neugierig um. Ein bisschen zu neugierig, wie ich finde. Ich würde Emil gerne unauffällig darauf aufmerksam machen, aber der ist ganz vertieft darin, Lotto-Werner zu beobachten und sich alle möglichen Hindernisse auszudenken.

Deshalb krame ich mein eigenes Notizbuch aus meiner Tasche, schlage es auf und notiere:

Dann halte ich das Notizbuch Emil unter die Nase. Er stutzt einen Moment, dann sieht er die Männer auch. Und schreibt zurück:

Eins steht fest: Die beiden sind ganz sicher nicht einfach nur zum Kuchenessen gekommen. Dafür sehen sie sich viel zu auffällig in alle Richtungen um. Auch wenn sie dabei versuchen, so unauffällig wie möglich auszusehen. Aber genau das verrät sie. Einen Moment lang schlägt mein Herz schneller. Sind das vielleicht Privatdetektive? Kollegen sozusagen? Vielleicht gibt es jemanden, der auch in Frau Wischnewski verliebt ist und jetzt verhindern will, dass Lotto-Werner sie ihm wegschnappt? Oder hat Frau Wischnewski Wind von den ganzen Heimlichkeiten bekommen und will