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Der Roman, in Wien handelnd, beschäftigt sich mit einer sehr traurigen Seite des Verbrechens: Dem Kindesmissbrauch. Der ökonomischen, der sexuellen Ausbeutung von Kindern, Jugendlicher. Ein Text, der in die Tiefen der menschlichen Natur führt, der versucht, diese Abgründe aufzuarbeiten. Getragen, erst genießbar gemacht, vom Team um Kommissar Schilling, das in kultureller und zwischenmenschlicher Beziehung den Ausgleich sucht und auch findet.
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Seitenzahl: 232
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
In der 2 . Loge des ersten Ranges, links, wartet Richard, Dr. Richard Schubert, am Sonntagabend auf seinen Freund. „Josef ist auch heute nicht pünktlich, immer kommt er erst im letzten Augenblick“, moniert Richard über Josef, „ist er wieder so spät aus seiner Küche hinaus?“ Langsam wird es dunkel im Saal. Die schon verschlossene Logentüre öffnet sich noch mals, Josef drückt sich an den weiter hinten Sitzenden vorbei. Lässt sich auf den noch freien Sessel der ersten Reihe mit einem leisen Seufzer nieder, schnauft noch etwas, und flüstert Richard „Ein alter Mann ist kein Schnellzug“ mit einem Begrüßungslächeln zu.
Doch nun kommt schon der Dirigent herein, Applaus empfängt ihn, veranlasst die Orchestermusiker mit einer schwunghaften, alle umgreifenden Bewegung des rechten Armes zum Aufstehen, völlige Stille macht sich im Saal breit. Nach Sekunden des Verharrens gibt er den Einsatz, Puccinis Klänge steigen in den Saal der Wiener Staatsoper empor.
Josef kann sich rasch, durch seine geliebte Musik gefördert, wieder entschleunigen, wird von der Musik weggetragen.
Trotzdem kommt ihm der Streit mit einem Gast von heute wieder in den Sinn, über den er sich so aufgeregt hatte. Aber Puccini behält doch die Oberhand.
Wie meist, die Pause bringen sie im Mahlersaal bei einem Glas Wein zu, „Hat Deine Frau heute Nachtdienst, die Arme?“
“Ja, leider! Und ‚Turandot’ ist eines ihrer Lieblingsstücke über haupt. Voriges Jahr in Graz haben wir eine Neuinszenierung gesehen, es war heiter gewesen, insbesondere wegen des Eisregens, der unser Eintreffen im Opernhaus fast vereitelt hätte!“
“Na, werde ich halt versuchen, sie würdig zu ersetzten!“
„Ersetzen kannt’s sie mir nie und nimmer, aber, wie öfters, gut vertreten“, lacht Richard, „freu mich, dass Du es gerade noch geschafft hast, rechtzeitig hierher zu kommen. War so viel los heute, bei Dir im Lokal?“
„Ja, mittags wieder über alle Maßen, aber das ist ja Gott sei Dank meist. Aber dann gab es mit einem Gast aus dem Osten großen Stunk. Hat die Michi angegangen, sie hätt` ihn nicht an den Tisch gesetzt, den er wollte, das Essen wäre nicht berauschend gewesen, noch dazu lauwarm, wie auch der Wein, es passte ihm halt nichts. Die arme Michi war ganz aus dem Häuschen“, dann lächelt er, „hab schon befürchtet, sie erleidet eine Frühgeburt, so echauffiert war sie! Du weißt ja, wie sehr sie sich mit dem Lokalidentifizieren kann!“
„Ja, Deine Michi ist schon eine ganz Besondere, kannst glücklich sein, dass sie bei Dir ist, sie ist Dir zugetan wie eine Tochter. Sonst hätt` sie den Job schon längst an den Nagel gehängt!“
„Glaub mir, bin schon so viele Jahre in diesem Geschäft, ein Haubenlokal ist immer schwieriger zu führen als ein normales Restaurant, die Gäste werden ja anspruchsvoller, bekritteln alles.“
„Hast recht, zuerst es sich gut schmecken lassen, dann knapp vor der Rechnung passt auf einmal dies und das nicht mehr. Josef, glaub mir, bei uns ist das kaum anders!“
„Kann ich nur bestätigen! Ärzte als Gäste sind angenehm, die verstehen vom hochwertigen Essen mehr, auch kennen sie ja das ewige Herumnörgeln aus ihrer Praxis genügend. Ich kann mich nicht erinnern, dass einer sich wegen nichts und wieder nichts so aufgepudelt hatte, wie der ungute Kerl heute. Bin gleich hinein zu ihm, hab Michi hinausgeschoben, will nicht, dass sie sich recht aufregt! Hab einmal von einer alten Tant gehört, dass dann das Kind recht ‚schiach’ wird!“, lacht Josef mit glücklichen Augen.
„Wirst wohl ein toller Opa werden!“
„Leider nur ein nomineller Großvater, so eine wie die Michi hätt ich mir schon zur Tochter gewünscht! Einmal hat mich ein Gast gefragt, ob meine junge Frau das erste Kind erwartet, da habe ich feuchte Augen bekommen, ich alter Depp!“
Das Läuten bricht die weitere Unterhaltung ab, beim Gang zu Loge kann Josef nur rasch noch sagen, dass er beim befreundeten Kollegen im Restaurant hinter der Oper einen Tisch für danach bestellt hat.
Nach dem letzten Vorhang gehen sie aus dem Opernhaus hinaus, leichter Regen fällt aufs Pflaster. Ohne Schirme laufen sie, Josef etwas langsamer, er schnauft schon sehr bei dieser Anstrengung, unter den Arkadengängen des Openhauses herum und in das Lokal, das Josefs Freund, dem Wolfgang Petzner gehört. Wolfgang begrüßt Josef Preinschmidt herzlich, auch Dr. Richard Schubert. Richard ist ihm kein Unbekannter mehr, mit seiner Frau, Mimi, war er schon einige Male nach der Oper hier.
Die Aperitifs, in hohen, schmalen, vorzüglich mit kräftigen Schaumkronen versehen Pilsner, sind rasch gekommen. Herrlich, wenn die Kehle so trocken ist. Die Bestellung, inklusive des von Josef ausgesuchten, zum Essen passenden Weines, ist unverzüglich aufgegeben. Zuerst noch ein großer Schluck, in der Oper ist ja so trockene Luft, nun setzt Josef die schon in der Pause begonnene Erzählung über die nachmittäglichen Ereignisse fort.
„Richard, da waren heute zwei so anmaßende Männer bei mir im Lokal. Schreckliche Leute, die in irgendeiner mir unbekannte Sprache gesprochen haben. Mit allem und jedem unzufrieden, taten sie so, wie wenn ihnen das Lokal gehörte, einer sagte böse zu Michi ’Wenn Laden gehört uns, Kleine, Du sofort fliegen hinaus!’ Michi war ganz verstört, als sie mich geholt hat!“
Petzner bringt bei diesen so befreundeten Gourmets höchstpersönlich das Amuse-Gueule. Zwei kleine Häppchen, ein so fein abgeschmecktes Beefsteak tartare mit einem halben gekochten, noch lauwarmen Wachtelei, kombiniert mit einer Wildschwein-Pastete! Und alles schön in einem kleinen Schüsselchen auf einem Salatblatt angerichtet, mit ein paar Tropfen Cumberlandsauce, dazu eine leicht angetoastete Brioche-Scheibe. „Lasst es Euch gut schmecken! Werde mich heute abends besonders anstrengen müssen, so illustren Gästen mit exzellentem Geschmackssinn zu genügen!“
Da können die beiden nicht widerstehen, vorsichtig prüfend versucht Josef zuerst von der Pastete, nimmt nur ein Eckchen mit dem kleinen Löffel in den Mund und lässt es auf der Zunge zergehen. „Gut,“ dann den Löffel in der Cumberlandsauce benetzend, „noch besser. Man spürt ganz leicht den guten alten Portwein heraus! Hast das sicher selbst zubereitet, Wolfi?“
„Das ist aber schon eigenartig, Josef, versteh ich nicht, was meinte der Mann im Lokal?“
Dabei schneidet Richard ein Stückchen vom warmen Wachtelei ab und belädt dieses mit etwas Beef, steckt es in den Mund und wartet auf ein berauschendes Geschmackserlebnis. Er braucht nur zustimmend Nicken, Wolfgang Petzner ist zufrieden, mit lächelndem Gesicht geht, nein, er schreitet in seine Küche zurück.
„Richard, Du und Mimi ward schon so oft bei mir, das Lokal läuft sehr gut, auch oder gerade, weil es ein wenig am Stadtrand liegt. Ich kann mir es nicht erklären. Naja, ist ja auch gleichgültig, bösartige Menschen gibt es überall, auch bei uns.“
„Hast Du gesehen, es regnet massiv! Wie Sturzbäche kommt es runter!“ Versonnen blickt Josef durch die nasse Fensterscheibe hinaus auf die Straße.
Das so zarte Vitello tonnato wird gerade serviert, beide machen den ersten Schluck vom prächtig temperierten Wein. „Die Sauce ist eine echte Kunst, dass es so wird wie hier, so sämig, geschmackvoll gewürzt, dass der Thunfischgeschmack das Kalbfleisch nicht erschlägt! Das kann er, der Wolfgang! Ist manchmal recht gut, ein wenig bei Freunden zu spionieren“, lacht er, der Haubenkoch mit den berühmten Fischspezialitäten.
Dabei rollt er fast kunstvoll eine der dünnen, gerade richtig geschnittenen Scheibchen des wohltemperierten Kalbfleisches so zusammen, dass eine passende Menge der Thunfischsoße sich innen findet. Schnuppert daran und steckt dies in den Mund, ein Lächeln überzieht sein Gesicht! „So ist es richtig!“
„Richard, wenn das Ganze nur nach Eiskasten schmeckt, kannst du den ganzen Wirten vergessen!“
„Na, der Petzner kann Dir noch lange nicht das Wasser reichen, aber bin schon Deiner Meinung, dieses Vitello ist sehr fein!“
„Binschon neugierig aufs Osso bucco!“
„Wird sicher sehr gutes Fleisch sein, bin eher gespannt auf den Geschmack des Safterl. Der Saft ist mir immer so wichtig, auch Mimi schätzt diesen immer besonders! Bei meinen Freunden, du weißt, meinen „Ersatzeltern“ in Malcesine, hat dieser eine ganz spezielle Würze, den kann nur die Maria-Louisa auf den Teller bringen!“
„Du und Deine Mimi, Ihr seid schon feine Leut’, hab eh so wenige echte Freunde, da wiegt jeder doppelt! Könnt Ihr über morgenkommen, ich hätt’ einen so schönen Waller für euch!“
„Gerne, morgen, Montag habe ich Nachtdienst, Dienstag abends ist dann super, bin überzeugt, Mimi freut sich auch.“
„Am Sonntagabend und am Montag hab ich sowieso geschlossen, ein ganzer Ruhetag muss auch sein, das ist wichtig für das Personal! Aber auch für mich!“
Josef kann, wenn es um neu zu kreierte Speisen geht, schon ins Schwärmen kommen. Da wird er zum Meister der Kulinarik.
„Aber hab mir schon was ausgedacht: Die Vorspeise wird eine Überraschung, eine neue Kreation von mir, eine schmackhafte Kombination aus Fleisch und Krustentieren, mehr will ich nicht verraten! Auf meine alten Tage werde ich immer einfallsreicher! Michi hat mir versprochen, sie wird extra für euch kommen! Sie ist so eine Liebe, wie Deine Mimi!“
„Als ein Gast sie als Deine junge Frau bezeichnet hat, da wird Dir der Kamm riesig geschwollen sein!“ Richard kann ihn sich vorstellen, den Josef.
„Hab sie immer wie eine Tochter gesehen. Die beiden, Franz und sie, machen mir solche Freude! Insbesondere seitdem das Kleine unterwegs ist! Franz ist so tüchtig, hilft mir viel, er hat die Betreuung des Fischwassers schon völlig über nommen! Was glaubst, was das Arbeit macht, wenn man alles richtig machen will!“
„Und wie ich Dich kenne, willst Du, dass alles wirklich ökologisch und bestens gewartet ist, so schmecken die Fische ja auch.“
Das Osso bucco wird serviert, Richard kann es fast nicht erwarten, vom ‚Safterl’ zu kosten, „Mum, sehr gut, fast, aber nur fast wie bei Dir! Und anders als bei Maria-Louisa, auch Mimi hat es nicht erforschen können, als wir letztes Mal in Malcesine waren. Vielleicht hat sie eine Kaper mehr oder auch weniger verwendet?“ Da müssen beide lachen.
„Weißt, ich will nicht, dass Markus einmal alles erben wird! Auf keinen Fall! Er ist zwar mein leiblicher Sohn, aber Du kennst ihn ja, so wirklich zuverlässig ist er ja nicht! Würde sich nie selbst engagieren im Geschäft, hat gleich gemeint, dass er es dann verpachtet! Da hab ich mir gedacht, ätsch!, du wirst es gar nicht bekommen, das Restaurant, das habe ich schon für Franz und Michi vorgesehen! Ich war deswegen vor einer Woche schon beim Notar, ist schon alles unter Dach und Fach! Nur weiß es noch niemand, außer Dir nun. Die Umschreibung vom Markus auf die Michi ist schon erfolgt! Soll auch keiner wissen, auch Michi erst, wenn das Kleine da ist und sie geheiratet haben! Nur das Wohnrecht in meinem Häuschen in Neuwaldegg möchte ich bis zu meinem Tod behalten! So hab ich mir das gedacht, schau, ich bin 63, werde auch nicht mehr jünger! Trotz Deiner vielen Pillen!“
„Wirst schon noch ein gerüttelt Maß an Jahren bleiben, wie ich Dich kenne! Kannst ja gar nicht anders, Dich wird man noch aus Deiner Küche hinaustragen müssen!“
„Ein wenig müder bin ich schon, weißt, fühle mich so abgeschlagen! Die Luft bleibt so schnell weg!“
Richard schaut ihn fragend an. „Kommdoch die nächsten Tage zu mir, so ein kleinerer Gesundheits-Check! Wäre doch dringlich angezeigt! Meinst Du nicht auch?“
„Reden wir nicht von der Gesundheit, mein Hausarzt hat mich zum Röntgen geschickt, hab noch kein Ergebnis bekommen.“
Richard ist betroffen, er schaut dem Josef ins Gesicht, „Etwas grau im Gesicht bist Du, kein Wunder bei der vielen Arbeit!“
„Ein bisschen bleib ich hoffentlich noch! Aber, ich hab noch ein Geheimnis, nur für Dich: Vor einigen Wochen waren zwei Damen bei mir, die eine etwa um die 50, schaut super aus und hat mir gleich so gefallen. Hab, wie heute der Wolfgang, den Gruß aus der Küche auch selbst serviert! Sie war dann noch zweimal seither im Lokal, aber allein! Ich glaube, da könnte was werden, ich will auf meine alten Tage nicht ganz allein sein! Gemeinsam mit dieser Dame könnte ich mir schon gut vorstellen, meinen Lebensabend zu verbringen, in meinem Häusl im Wald von Neuwaldegg. Wir haben uns schon ein wenig unterhalten, weißt ja wie das ist, keiner getraut sich aus sich herauszugehen, ich schon gar nicht Ob sich aber eine Beziehung noch rentiert, für mich Alten! Ich habe in der letzten Zeit einige Zweifel!“
„Ja, Deine Schüchternheit hat sich in den Jahren nicht verändert, bist nur weiser geworden! Dass Du Markus den Betrieb nicht geben willst, versteh ich sehr gut, glaube auch nicht, dass dies gut gehen würde! Auch Mimi, die wirklich einen trefflichen Geschmack hat, ist von Markus nicht positiv überzeugt, und den guten Geschmack meiner Mimi kann man nicht anzweifeln, sie hat ja auch mich genommen!“, lacht Richard seinen Freund an.
„Ich bin nur froh, dass ich damals, als Markus unterwegs war, seine Mutter, die Gretl, nicht geheiratet habe! Das wäre sowieso schief gegangen, die war nur aufs Geld aus!“
„Ich trink noch einen Kaffee, Du auch?“ hängt Josef noch an.
„Nein, lieber nicht, ich kann dann so schlecht einschlafen.“
Als die beiden das Lokal verlassen wollen, hat sich der Regen noch verstärkt, „der Himmel hat seine Pforten geöffnet, jetzt kommt die Sintflut!“ lachte Richard. Und, wie immer, wenn dies nötig wäre, haben sie keinen Schirm bei sich. Da kommt aber der Petzner ihnen nach und versorgt sie mit Schirmen, doch ein sehr gutes Lokal, „Das Petzner“!
Noch Richard bis zum Auto begleitend, sagt er zu ihm, „das ist für mein Fischwasser nicht gut, wenn es so plötzlich so extrem und massiv regnet! Und Franz ist nicht da, er musste nach Kärnten.“
„Der Franz ist aber ein Tüchtiger! Was der alles tut! Studium ist schon sehr belastenden, und die viele Arbeit bei Dir! Michi unterstützt ihn auch kräftigst. Die beiden sind so lieb zueinander!“
Schilling, oder wie er sich gern bezeichnet, „Schilling, Doktor, Kommissar“, ist ein etwas skurriler Mann, der den Anfechtungen durch die Damenwelt bisher erfolgreich widerstehen konnte. Den Vornamen kennt so gut wie niemand. Wahrscheinlich hätte kein weibliches Wesen mit ihm länger als ein paar Wochen ausgehalten, versucht haben es schon so zwei, drei in den Jahren, die er nun in Wien ist. Länger durchgestanden hat es nur eine Heldin, und dies fast ein halbes Jahr!
Er, Schilling, 36, hat so manche Gewohnheit, die Frauen nicht gerade anziehen. Eines der Hauptlaster ist die Ungeduld, das Zweite ist das absolute Unvermögen, Unfähigkeit zu verstehen! Und Ungeduld ist etwas ganz perfides, wenn man mit der Holden in die Oper, ins Burgtheater will, wenn man weiß, dass der abendliche Verkehr heute sehr stark sein wird. Wenn man weiß, dass schon wieder eine Demo auf der Ringstrasse abgehalten wird. Und sie, sie wird mit der Kriegsbemalung oder der Auswahl des richtigen Kostüms, des passenden Kleides nicht und nicht fertig! Schon im Mantel vom Vorzimmer ins Wohnzimmer und zurück, wieder ins Wohnzimmer, dann möglichst laut noch mit der Dienststelle telefonieren, dabei einen leidenden Ton anschlagen. Das kann und kann nicht lange gut gehen. Dann noch alle 3 Minuten laut fragen, „Bist du jetzt endlich fertig? Ich fahr nun los!“
Schillings Spitzenleistungen in Sachen Unverständnis gegenüber der Damenwelt war ein Besuch in einem seiner Lieblingsrestaurants, beim „Preinschmidt“. Nachdem die doch recht attraktive damalige Begleiterin endlich von der freundlichen, so geduldigen Empfangsdame beim Josef Preinschmidt richtig platziert worden war, sodass sie das Lokal gut überblicken konnte. Oder war eher ihr Wunsch federführend, dass sie auch von überall wohl gesehen werde. Dann hatte sie in der Speisekarte gelesen. So wirklich gelang dies ja nie, wenn sie ihre Lesebrille nicht bei sich hatte. Aber nur nichts zugeben, hübsche, geschmackvoll gekleidete Damen brauchen keine Brille! Schon gar nicht, wenn das halbe Lokal nach ihrem primadonnenhaftem Auftreten sie beobachtet. Dieser Zwicklage völlig verständnislos gegenüber stehend, beginnt Schilling, in einem monotonen Singsang, laut die Karte vorzulesen, dies ganz bewusst inklusive der Preisangaben! Diese Dame hatte er erfolgreich vergrämt, in seinen Worten klingt es anders, „Auch die habe ich abgewehrt!“
Den kompletten Tag dort, im Polizeipräsidium, im Büro, zu zubringen ist für ihn oftmals etwas deprimierend. Die Kollegen seien so uneinsichtig, sehen ihre Fehler nicht, und sind schon eingeschnappt, wenn er, der Chef, ihren Sonntagsfrieden stört! Überall lauert Unfähigkeit par excellence!
Trotz allem ist er bei seinen Mitarbeitern nicht unbeliebt. Sie wissen, sie können sich auf ihn verlassen! Dienstzeiten legt er sehr elastisch aus, wenn er ruft, sind aber alle sofort hier. Und wenn der Zweck die Mittel heiligt, werden auch einmal die Dienstvorschriften sehr weit auslegt. So manche Aktion hat er bewilligt oder auch selbst durchgeführt, die am Grat zwischen Legalität und gewünschtem Ermittlungserfolg balanzierte. „Die Aufklärung eines Verbrechens steht im Vordergrund, der Weg dorthin muss man oft flexibel handhaben“, meint er immer.
Ein wenig schade finden sie, die Mitarbeiter, es, dass trotz den Vorbilder aller Tatort- oder Soko-Ermittlerteams bisher keine weibliche Kollegin seinen Ansprüchen genügen konnte. Nicht dass sie sich eine Frau als Chefin herbeiwünschten, nein, das muss ja nicht gerade sein, aber so eine schicke Blondine wie bei Soko-Leipzig könnten sie sich schon vorstellen! Gerade die zwei älteren Kollegen sehen dies so! Und der junge Inspektor, ja, der würde sich doch recht freuen. Der ist, so wie der Chef, Junggeselle, wenn auch sein Privatleben etwas ausgeprägter als Schillings ist. Da kann es schon einmal sein, dass er einen überdimensionalen Schal benötigt. Um Mahnmale seines Liebeslebens zu verbergen.
Aber, auch wenn die Blondine fehlt, die Kollegialität ist großgeschrieben. In der Gruppe 2! Der Gruppe ›Schilling‹!
Auch diesen Dienstag spät abends ist er noch im Büro, sich der absolut sekkantesten Tätigkeit, der Aktenbearbeitung, widmend. Schillings Privatleben war wieder einmal am absoluten Tiefststand angelangt, als das Telefon Sturm läutete, der Journaldiensthabende hebt ab, macht sich Notizen, und sagt: „Ok. Wir sind schon unterwegs!“
„Wie geht es Dir, was macht das Kleine?“, überfällt Mimi die Michi. Die sieht in Mimì eine nur wenig ältere Schwester, beide mögen sich sehr, auch Mimi hat schon einmal gemeint, wäre schön eine Schwester wie Michi zu haben! Michi kann die Neuigkeit nicht bei sich behalten, „War gestern beim Ultraschall: Es wird ein Bub! Hab Franz gleich in Villach anrufen müssen, wir sind so glücklich!“
Mimi und Richard sind schon sehr früh gekommen, kaum noch Gäste hier, damit sie mit Michi noch etwas ratschen können. Die junge Frau steht mit beiden Beinen im Leben, eine rund um hübsche junge Frau, die eigentlich halbtags einem Schreibtisch-Job in der Wirtschaftskammer nachgeht, der ihr aber kaum Spaß macht. Viel lieber ist sie beim Josef, den sie wie einen Vater sieht, ihr eigener ist in ihrer Kindheit verstorben. Beim Josef hat sie schon in den Jahren vor ihrer Matura gejobbt, im Sommer besonders, dann auch an den Wochenenden. Seit das Kleine unterwegs ist, ist sie nicht mehr im Service tätig, Josef hat sie zur „Empfangsdame und Managerin des Service“ gekürt, was sie sehr gut ausfüllt und körperlich kaum belastet.
Ihren Franz hat sie im Lokal kennengelernt, der zur Finanzierung des Studiums so alles macht, was Josef ihm aufträgt: vom Helfen in der Küche über Einspringen im Service bis zur Versorgung des Fischteiches. Franz studiert an der Hochschule für Bodenkultur, wo er sich besonders mit der Lebensmittelkunde beschäftigt und sollte kommenden Sommer abschließen, was Michi jetzt schon so stolz macht. „Dann bin ich Frau Diplomingenieur, oder die Frau Dipling“, lachte sie einmal.
Mimi, Michi und Richard, auch Franz ist eingeschlossen, sind schon gut befreundet, wobei der Josef die wohl treibende Kraft dabei gewesen war.
„Richard, Du und der Chef, seid doch am Sonntag in der Oper gewesen, war da irgendwas? Ist da was vorgefallen? Gestern war ja Ruhetag. Aber der Chef ist heute noch nicht aufgetaucht! Hab schon versucht, Josef zu Hause zu erreichen, er schläft gerne am Nachmittag so ein oder zwei Stunden! Er hat sich aber nicht gemeldet! Was soll ich jetzt nur machen?“
„Ach, wird sicher gleich eintreffen, die Vorarbeiten haben die Mitarbeiter in der Küche ja schon alle erledigt, sodass er dann ins Volle einsteigen kann!“ Aber auch Richard ist etwas unruhig geworden, erfragt Michi: „Ist Franz da?“
„Nein! Das noch zusätzlich, Franz ist auf einer Uni-Exkursion in Kärnten, ist schon Sonntag mittags mit dem Zug nach Villach. Am Freitagabend wird er wieder heimkommen!“
Mimi ist sofort bereit, auch in der Küche zu helfen, soweit sie dies kann, sie ist ja schon eine begnadete Köchin. Aber eine Haubenküche ist alles andere als der heimatliche Kochtopf.
„Ich kenn das Haus in Neuwaldegg, in dem Josef wohnt, wir waren ja schon mehrmals bei ihm.“ Er, Josef, hat sich die kleine Villa hart erarbeitet, und sie ist auch nicht so weit entfernt. „Ich fahr zu ihm, Mimì, ich schau nach, ob sich der Küchen-Zampano verschlafen hat!“
„Ok, ich helfe inzwischen Michi und in der Küche,“ sagt Richards geliebte und immer so hilfsbereite Gefährtin fürs Leben!
Es ist später Herbst, nass, glitschige Blätter auf dem kleinen Gässchen in Neuwaldegg am Stadtrand, mühselig kämpft sich sein alter Wagen bergauf, ächzend über Stock und Stein. Die ausgefahrenen Fahrrinnen sind durch den starken Regen aus gewaschen, er quält sich die steile Strecke zum Haus hinauf. Kein Licht, alles ist dunkel. Solche Stille umgibt ihn!
Mit den Zweitschlüsseln, Michi hatte ihm diese, die am Bord hinter dem Kücheneingang hängen, mitgegeben, sperrt er auf. Das etwas angerostete Eisengittertor lässt sich nur schwer öffnen, knarrt herzerweichend. Dann hinauf auf der kleinen, wenigsten asphaltierten Straße bis zu Haus. Trotz dass er sturmläutet, keine Antwort!
Richard wartet, läutet wieder. Nun öffnet er selbst. Leer, es ist niemand da! So kalt, so unpersönlich steht das Haus am Waldrand.
Inder Küche ist noch etwas kalter Kaffee in der Maschine. Eingetrocknete Brotreste am kleinen Küchentisch, ein unverschlossenes Glas mit etwas Marillenmarmelade. Der Teller benutzt, schmutzig von den nun braun angetrockneten Marmeladenresten, das Besteck achtlos darüber gelegt, wie man die Küche hinterlässt, wenn man es eilig hat, wenn man vorhat, bald zurück zukommen.
Die gefensterte Türe ins Speisezimmer steht offen. Gar nicht Josefs Art. Im Wohnzimmer alles wie immer, das Klavier, ein Flügel von hoher Qualität, mit dem Überwurf und der darauf stehenden leeren Blumenvase. Er konnte so schön spielen!
Das Bett im Schlafzimmer ist noch zerwühlt, als wenn Josef eben erst aufgestanden wäre, das Bett ist kalt. Im anschliessenden Badezimmer liegt die Zahnpasta-Tube offen, der Verschluss achtlos daneben, ein Handtuch über dien Badewannenrand geworfen, das Rasierzeug unbenützt! Richards alter ‚Nick Knatterton’ kombiniert: Josef ist aufgestanden und wollte rasch weg, er, der sonst nie unrasiert auf die Straße ging, hat es eilig gehabt. Und ist nicht in die Stadt, nicht in sein Lokal!
Wohin ist er??
Im kleinen Nebengebäude steht ein Land-Rover, er benützt dies als Garage. Sein normales Auto, ein dunkler 7-er BMW, fehlt aber. Ist er also doch, unrasiert, in die Stadt? Er, der Josef, unrasiert, rasch in der Früh? Oder war es doch nachmittags, nach dem mittäglichen Schläfchen, gewesen? Richards Nick Knatterton versagt völlig, zu dessen Entschuldigung, er verfügt auch weder über Lupe noch eine passende karierte Kleidung inklusive dieser ulkigen Kappe!
Kleidung, das ist ein Anhaltspunkt! Nochmals inspiziert er die Wohnung. Im Vorzimmer hängt noch das Anzugsakko vom Opernabend, sehr dunkles Blau, kann er sich erinnern! Und die dazu passende Hose hat er im Schlafzimmer lässig über den Stuhl geworfen, unordentlich, ja unordentlich, der Josef! Naja, sollte die tolle Frau, die er im Lokal kennengelernt hatte, hier einmal einziehen, da wird dies aber anders sein, dessen ist er sich sicher! „Würde mich für Josef sehr freuen, wenn daraus etwas werden könnte, ich weiß aber, wie schwer es ist, zu zweit zu leben, wenn man immer allein gewesen war!“
Josefs Abendschuhe stehen ebenfalls im Vorzimmer, leicht verschmutzt. Sonst findet sich nichts, einfach gar nichts!
Richard ruft im Restaurant an, ob Josef inzwischen schon gekommen ist, Michi, den Tränen nahe, verneint dies!
Wo kann er nur sein?
Richard fährt ins Restaurant zurück. Kann es sein, dass er zu dieser uns unbekannten Dame gefahren ist, fragt er sich. Michi hat sie zwar kennengelernt und nur ein paar Worte mit ihr sprechen können, sie meint, sie habe recht nett gewirkt, eine elegante und attraktive 50-Jährige, sie weiß aber sonst nichts.
Michi hat auch ihren Franz angerufen, was sie tun soll. Inzwischen ist es später geworden, auch sind viele Gäste gekommen, sodass, so weit dies ohne Josef möglich ist, ein halbwegs normaler Betrieb gestartet werden muss. Die Mitarbeiter in der Küche sind erfahren, wissen, wie Josef kocht, sodass der Betrieb mit für den Laien kaum erkennbaren Einschränkungenvoll anläuft.
Wenn auch nicht den angekündigten Waller und natürlich nicht die niemand bekannte neue Vorspeisen-Kreation, Richard und Mimi haben inzwischen etwas gegessen.
Franz konnte sich auch nicht vorstellen, wo Josef hingefahren ist. Dann hat er später zurückgerufen, ob das Unwetter von Sonntagnacht wirklich so arg gewesen sei, wie er im Fernsehen gesehen hatte. Als Michi und dann noch Richard ihm sagen, dass es sehr schlimm gewesen sei, besonders im Norden von Wien, ist Franz auf die Idee gekommen, dass er vielleicht zum Fischteich unterwegs war. Um nachzusehen, ob alles in Ordnung sei, im Besonderen mit den Gittern beim Abfluss! „Das wäre sonst meine Aufgabe gewesen. Am Sonntag früh habe ich noch gefüttert. Vielleicht hatte er dann einen Unfall,“ meinte er noch, „es könnte wichtig sein, dort nachzusehen"!
„Mach mich gleich auf! Ich kenne den Weg zu dem Teich, Franz, bitte bleib erreichbar, sollte ich Fragen haben.“
„O. K., Richard, ich warte, bis Du Dich wieder meldest!“
Die etwas schwierige Zufahrt führt Richard zum oberen Teich. Josef ist immer mit dem Land Rover hierher, kann mich gar nicht erinnern, dass er auch mit dem BMW zum Fischwasser unterwegs war.
Es ist eigentlich ein kleiner See, tagsüber, bei Sonnenlicht eine direkt romantische Gegend! Die Ufer sind mit Bäumen und Sträucher bewachsen, ganz oben am See liegt das kleine Boot, mit dem Josef zum Fischen hinausfährt, fest vertäut. Und zu einem Gutteil mit Regenwasser gefüllt. ‚Dies kann er nicht benützt haben’, denkt sich Richard. Ganz still ist es. Und so dunkel!
Der Teich liegt schwarz und irgendwie so friedlich da, kein Auto zu sehen. Völlige Stille umfängt ihn. Keine Ente quakt, kein Vogel singt, etwas klamm fühlt sich Richard schon. Mit einer starken Taschenlampe bewaffnet sucht er das Wasser und die Ränder ab. Die Gitter vor dem Abfluss sind frisch gereinigt, keine Äste oder Blätter verlegen diese, nur eine tote Wildente hat sich im Gitter eingeklemmt.
Aber kein Josef, kein Auto!
Richard fährt den kleinen Weg entlang des Baches, der die drei Teiche nacheinander speist, weiter hinunter. Wobei nur der Oberste in Josefs Besitz ist, ein natürliches Fischwasser, teilweise schon seeartig erweitert. Auch der mittlere Teich ist mit dichten Büschen eingesäumt. Der kurvige Weg führt gut 50-60 Meter weiter, er muss alle drei Teiche abfahren, ein Umdrehen in der Nacht ist ihm auf dem recht engen Weg doch zu riskant.
Konzentriert auf den Teich blickend, Richard versucht etwas Verdächtiges zu sehen, er leuchtet mit der Taschenlampe das Ufer und den See ab. Das gegenseitige Ufer erreicht er aber mit dem Lichtkegel nicht. So übersieht er das Auto. Nur ganz kurz sah er im Rückspiegel im roten Licht seiner Schlussleuchten etwas aufleuchten. Er stoppt den Wagen, steigt aus, geht zurück: Da, auf einer kleinen Ausweichstelle am Weg, etwas von den Büschen verdeckt, schon im unteren Bereich des mittlerenWassers, steht Josefs BMW, er erkennt ihn sofort!
Richard leuchtet in das Auto, es ist leer.
Wo ist Josef?
Er fährt nun langsam rückwärts, bis er etwas hinter dem BMW zu stehen kommt. Er lässt den Motor laufen, auch um diese tiefe Stille zu durchbrechen, auch die Scheinwerfer voll ein geschaltet. Steigt aus, im Auto ist er also nicht! Die Umgebung des Autos sucht er ab, es ist schon schwer, bei den vielen Sträuchern und kleinen Bäumen etwas zu sehen. Es ist wie verhext!