Der Tod läuft mit beim Schäferlauf - Andrea Pfrommer - E-Book

Der Tod läuft mit beim Schäferlauf E-Book

Andrea Pfrommer

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Beschreibung

In Bad Urach wird ein Toter gefunden – ermordet. Ausgerechnet kurz vor Beginn des traditionellen Uracher Schäferlaufs! Der Tote, Michael Lämmle, liegt in einem Schäferwagen. Noch am Vorabend hat er mit den Kommissaren Martina Kübler und Matthias Fischer das Theaterstück von der Schäferlies´ besucht und war im Restaurant Graf Eberhard unterwegs. Die Kommissare stoßen bald im Zuge ihrer Ermittlungen auf eine heiße Spur in Zusammenhang mit einem ungelösten alten Fall. Damals verschwand ein junger Schäfer samt Inhalt der Zunftlade. Gibt es da eine Verbindung? Für das Ermittlerduo beginnt eine aufregende Jagd. Denn der unbekannte Mörder schreckt auch vor weiteren Taten nicht zurück. Er hält während des bekannten Heimatfestes alle in dem sonst recht beschaulichen Bad Urach in Atem. Ein dunkler Schatten schwebt über dem Schäferlauf.

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Andrea Pfrommer

Andrea Pfrommer ist Schwarzwälderin, hegte schon immer eine Leidenschaft fürs Schreiben und für spannende, unterhaltsame Geschichten und hat ein Faible für Land, Leute und Besonderheiten der unterschiedlichen Regionen, die sie gerne bereist. Nach ihren erfolgreichen Krimis »Moselkork« und

»Der Fluch des Schorchwalds« ist das Buch »Der Tod läuft mit beim Schäferlauf« ihr dritter Kriminalroman mit den Ermittlern Martina Kübler, genannt Kübelchen und ihrem Kollegen Matthias Fischer.

Andrea Pfrommer

Der Tod läuft mit beim Schäferlauf

Krimi

Oertel+Spörer

Dieser Kriminalroman spielt an realen Schauplätzen. Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Sollten sich dennoch Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen ergeben, so sind diese rein zufällig und nicht beabsichtigt.

© Oertel + Spörer Verlags-GmbH + Co. KG 2023

Postfach 16 42 · 72706 Reutlingen

Alle Rechte vorbehaltenTitelbild: © Adobe Stock

Gestaltung: PMP Agentur für Kommunikation, Reutlingen

Lektorat: Bernd Storz

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-96555-157-2

Besuchen Sie unsere Homepage und informierenSie sich über unser vielfältiges Verlagsprogramm:www.oertel-spoerer.de

PROLOG

Es war so dunkel, dass man kaum die eigene Hand vor Augen sehen konnte, und das war gut so. Sie zog den warmen braunen Mantel enger und schlug den großen, spitz zulaufenden Kragen nach oben. Maria fröstelte vor Kälte. Ihre vollen, rot gemalten Lippen bibberten und ihr Atem entwich als weiße Nebelfahne. Die kleinen, glatten Muskeln in ihrer Haut zogen sich am ganzen Körper zusammen und die kurzen, feinen Härchen richteten sich auf. Zitternd steckte sie die zierlichen Hände in die Taschen ihres grauen Wollmantels, so als ob sie den Ehering vor sich selbst verbergen wollte. Immer wieder drehte sie sich verstohlen um. Hoffentlich war ihr niemand gefolgt.

Ein leises Rascheln im Unterholz ließ sie aufschrecken. Zum Glück huschte nur ein Mäuschen oder ein anderes kleineres Tier über den Weg an ihren Füßen vorbei. Sie konnte es nicht so deutlich erkennen. Es war nicht das erste Mal, dass sie mutterseelenallein durch diese einsame, dunkle Gegend lief. Aber heute fand sie es unheimlicher und düsterer als sonst.

Immer wieder zog es sie hierher, immer wieder war es wie ein Sog, und sie musste sich heimlich und still durch die Nacht an diesen Ort schleichen. Sie war ihren Gefühlen gegenüber völlig machtlos, zu schwach, um zu widerstehen, egal was ihr die Vernunft sagte. Auch die Gespräche mit dem Pfarrer und seine Ermahnungen hatten nicht helfen können.

Ihr Mann war ihr in diesen Momenten gleichgültig. Er hatte sie gegen den Willen seiner Eltern geheiratet, die sich eine Schäfertochter und keine Bauerntochter für ihren Sohn gewünscht hatten. Er hatte sich für sie entschieden, trotz des ewigen Streits zwischen ihren Familien, und nun betrog sie ihn. Ob er sie auch noch wie eine Prinzessin behandeln würde, wenn er dahinterkam?

Die Nacht war heute so finster, dass sie die Umrisse der Tannen kaum noch erkennen konnte. Der Nebel legte sich auf den Weg und umspann die dunklen Bäume wie Zuckerwatte. Am Himmel waren schwere Wolkenfetzen zu sehen, die ein düsteres Licht über dem Wald verbreiteten.

Irgendetwas war heute anders. Aus dem Dickicht drangen unheimliche Geräusche und sie zuckte erschrocken zusammen, als sie ein leises Knacken vernahm. War da doch jemand? Der Ruf eines Käuzchens schreckte sie aus ihren Gedanken auf und sie ging etwas schneller.

Endlich erreichte sie atemlos die alte Holztür. Plötzlich zögerte sie. So wie jedes Mal, wenn sie davorstand. Sie spürte die Anspannung und Vorfreude zugleich und konnte das Kribbeln, das ihren Körper durchdrang, fast nicht ertragen. Eine Gänsehaut überzog ihren ganzen Leib und ihre zitternde Hand machte das, was sie immer tat, wenn sie hier ankam. Sie klopfte. Erst schwach, und als niemand öffnete, stärker, fordernder. Da wurde die Tür aufgerissen. Die von ihr so geliebten haselnussbraunen Augen waren aus dem dunklen Wagen heraus nur zu erahnen. Eine kräftige, raue männliche Hand schnappte aus dem Schäferwagen heraus, voller Verlangen nach ihrer zierlichen, zarten, weichen Hand, und zog sie ungeduldig und doch zärtlich hinein. Da lief es ihr bei jedem Treffen kalt den Rücken herunter, weil sie es nicht mehr erwarten konnte. Jedes Mal durchflutete ihren Körper ein unbeschreiblich erregendes Gefühl der Vorfreude und Anspannung. Spätestens in diesem Moment verschwand die Eiseskälte aus ihrem Körper und wich der ansteigenden Hitze der Erregung.

Es wurde nicht viel gesprochen. Sie fielen übereinander her wie ausgehungert. Er war sowieso kein Mann der großen Worte. Seine Qualitäten lagen woanders. Trotzdem hatte sie ihn verdammt gern. Viel mehr, als für sie beide gut war. Ja, man konnte sagen, sie liebte ihn.

Zum Glück war noch niemand dahintergekommen, sonst »gnade Ihnen Gott«, wie der Pfarrer immer sagte.

Genauso schnell, wie es begonnen hatte, war das Ganze auch wieder vorbei. Von dem aufregenden Gefühl davor war nichts mehr übrig. Die Angst, entdeckt zu werden, begleitete sie die gesamte Zeit, in der sie zusammen waren. Immer waren sie wie gehetzt, während sie sich liebten. Kein gemütliches, verliebtes Kuscheln im Nachhinein, kein Sich-in-den-Armen-Liegen.

Er drehte sich auf den Rücken und blickte sie mit seinem warmen, liebevollen Blick an. Am liebsten hätte er sie wieder zu sich auf die Matratze gezogen. Sie zupfte ihren Rock zurecht, wickelte sich in ihren Mantel, hauchte ihm einen kurzen Handkuss zu, den er mit seinen verführerischen, vollen Lippen erwiderte. Ein kurzes Lächeln, bei dem seine perfekten schneeweißen Zähne zum Vorschein kamen, und sie schlüpfte zur Tür hinaus.

Sie begab sich ohne ein weiteres Wort und mit schlechtem Gewissen in die dunkle, kalte Nacht, wie sie gekommen war, und machte, dass sie nach Hause kam. Zurück in ihr »normales, geordnetes, langweiliges Leben«, zurück zu Mann und Kind und all dem Wohlstand, der ihr so viel bedeutete, dass sie auf die wahre Liebe an der Seite eines liebenswerten Mannes verzichtete. Dieser hatte zwar intellektuell nicht viel zu bieten, aber das hatte für sie keinen Einfluss darauf, wie sehr man jemanden liebte. Sie nahm dafür in Kauf, dass sie sich verstecken mussten, sich in Gefahr brachten.

Sie spürte, dass diesmal etwas anders war, wusste aber nicht, was.

Sie wurde beobachtet, als sie kam und als sie ging. Diesmal war ihr Tun nicht unbemerkt geblieben. Solche Heimlichkeiten blieben nie für immer im Verborgenen. Das Gefühl, dass ihr jemand gefolgt war, entsprach den Tatsachen. Sie hatte sich das nicht eingebildet.

Als das Dunkel des Waldes sie verschluckt hatte und sie weit genug entfernt war, klopfte es noch einmal an der alten knarrenden Holztür.

Nanu, was war das? Hatte sie etwas vergessen? Das war ungewöhnlich, dass sie zurückkam. Ein Schimmer Hoffnung überkam ihn. Vielleicht gehörte sie ihm endlich für immer. War sie jetzt bereit, mit ihm zusammen zu sein, zu kämpfen? Den Kampf zu führen gegen alles, was sich ihnen in den Weg stellte und gegen die Angst, nicht mehr im Überfluss versorgt zu sein? Mit ihrem Mann würde er schon fertigwerden, wenn er Schwierigkeiten machte.

Er erhob sich, ging zur Tür und öffnete. Eine grobe Hand packte ihn und zog ihn aus dem Wagen hinaus in die Dunkelheit. Ein harter, schwerer Gegenstand traf seinen Kopf. Dann ein Faustschlag und noch einer und noch einer … Er taumelte, während er immer weiter fiel, bis in seinem Schädel nur noch Dämmerung herrschte. Er war nicht tot. Nein, er spürte, wie sein Körper bewegt wurde, er spürte das Seil, das man ihm um Arme und Beine zog, bis es ins Fleisch schnitt. Den Stoff, der schmerzhaft seinen Mund verschloss und ihm die Luft nahm. Er war zu schwach, um Widerstand zu leisten. Sein Körper fühlte sich schwer an. Er spürte die Wunden an seinem Kopf, Blutstropfen, die über sein Gesicht liefen. Sein Schädel brummte wie eine Horde Hornissen und er ahnte, dass sein Ende nahte. Sein Körper wurde grob auf eine harte Fläche gehievt. Ein schmerzhaftes Stöhnen entwich seinen vermummten Lippen und alles drehte sich. Er hörte einen Motor aufjaulen, das Fahrzeug setzte sich in Bewegung und er wurde durcheinandergeschüttelt. Ihm wurde übel und langsam wurde das Geräusch des Wagens, in dem er lag, leiser. Erinnerungen schwebten durch seinen Kopf. Er wusste, es gab kein Entrinnen mehr und er hatte sich geirrt. Sie war nicht zurück und sie würden sich nie mehr wiedersehen. Ihre Gestalt verschwand vor seinem inneren Auge immer mehr. So lange, bis sie ganz verschwunden war. Sein Herz schnürte sich zusammen. Er war dem Tode geweiht. Dabei dachte er nur an sie. Es wurde still … immer stiller um ihn herum … und das Leben wich endgültig aus seinem Körper.

Verdammt, er war tot. Dass es jetzt so gekommen war, schien vielleicht sowieso das Beste, was passieren konnte. Was nun? Wohin mit ihm? Tot konnte man ihn schlecht wie geplant mitten im Wald aus dem Wagen werfen. Seine Leiche musste an einen versteckten Ort, wo man ihn hoffentlich für immer und ewig verschwinden lassen konnte. Wie konnte man verhindern, dass nach ihm gesucht wurde? Ein Plan musste her.

Die Eingebung kam prompt. Das Thema war wochenlang im Gemeinderat behandelt worden. Es gab etwas außerhalb einen Ort, den man aufgrund von Einsturzgefahr nicht betreten durfte. Dieser war vergittert und mit einem Schloss abgeriegelt worden. Mit dem Brecheisen war es schnell erledigt. Nachdem man den Toten dort hingebracht hatte, versperrte man den vergitterten Eingang einfach mit einem ähnlichen Schloss.

In derselben Nacht geschah daraufhin noch etwas anderes in dem beschaulichen Bad Urach. Etwas, das alle in die Irre führen würde und noch für sehr lange Zeit in den Köpfen der Menschen haften bleiben sollte.

Am nächsten Morgen war Maria wieder die brave, treu sorgende Ehefrau, die für die Familie da war, Frühstück zubereitete, sich liebevoll um ihr Kind kümmerte.

Als sie in der nächsten Nacht wiederkam, machte keiner auf. Keine Hand zog sie verlangend herein, es passierte nichts, egal, wie sehr sie klopfte und rief. Sie hatte ein ungutes Gefühl, weil er nicht da war. Sie vermisste ihn. Vielleicht war er einfach weitergezogen. Aber ohne ihr Lebewohl zu sagen? Das konnte nicht sein. Er liebte sie. Da war sie sich sicher. Irgendetwas musste passiert sein, doch die Ahnung, die sie dabei beschlich, löschte sie schnell wieder aus ihren Gedanken.

DAS WIEDERSEHEN

Matthias Fischer lenkte seinen alten Ford Mustang durch Schömberg und trat oben auf der Höhe mächtig aufs Gas. Die Julisonne lachte vom Himmel und beschien seinen Arm, der auf dem Türrahmen der Fahrerseite am offenen Autofenster lag. Seine schicke, neue Sonnenbrille saß auf seinem lockigen dunklen Haarschopf und er fand sich sehr lässig, als er in den Rückspiegel schaute.

Es war wirklich ein Traumwetter an diesem Freitag. Auf dem Rad- und Fußweg am Straßenrand waren sicher auch deshalb ziemlich viele Fußgänger unterwegs. Der Kommissar hing seinen Gedanken nach. In der vergangenen Zeit war einiges passiert. Man hatte ihn nach seiner langen und erfolgreichen Dienstzeit in Trier versetzt. Gut, seine Methoden waren schon immer etwas speziell, führten aber in der Regel zum erfolgreichen Abschluss eines Falles. Das letzte Mal hatte er es offenbar etwas übertrieben und ein Kollege war seinetwegen angeschossen worden. Zum Glück war die Verletzung nicht tödlich gewesen. Trotzdem war das ein triftiger Grund, und die Versetzung an den Fuß der Schwäbischen Alb nach Bad Urach hatte ihn schwer getroffen, auch wenn sie ihn immerhin um einiges näher zu Martina nach Calw brachte. Ihre Arbeitsstellen waren ab jetzt nur noch etwas mehr als eine Stunde Fahrtzeit voneinander entfernt. Kübelchen und er telefonierten immer sehr viel und sie war ihm in dieser schweren Zeit eine große Stütze gewesen. Das vertiefte ihre Freundschaft zueinander.

Rechts flog das Örtchen Oberlengenhardt vorbei und linker Hand konnte er den neuen Schömberger Turm erkennen, von dem Kübelchen ihm am Telefon erzählt hatte. Allerdings hatte er nicht vor, diesen zu erklimmen und anschließend mit einer Art Seilbahn namens Flying Fox an einem Gurt befestigt in den Kurpark hinabzurauschen, wie es Martina vorgeschlagen hatte.

Noch wenige Minuten und er würde an ihrer Haustür klingeln. Der Kommissar verspürte die Aufregung und freute sich auf die freien Tage mit ihr vor seinem Dienstantritt. Mit jedem Kilometer wurde sein Kopf befreiter und er konnte mal wieder so richtig durchatmen. Die letzten Wochen waren alles andere als einfach gewesen. Nach dem Leichenfund einer lang vermissten Studentin, einem Familiendrama, bei dem ein Vater erst seine beiden Kinder, seine Frau und dann sich selbst erschossen hatte und der versuchten Sprengung eines Geldautomaten im Edeka durch bislang unbekannte Täter in Trier-West, bei dem besagter Kollege seinetwegen in Gefahr geriet, hatte Matthias Fischer eine Auszeit nötig.

Das Wetter meinte es gut mit ihm. Die Sonne strahlte vom wolkenlosen blauen Himmel und färbte die Bäume und Wiesen des Schwarzwaldes in allerlei saftige Grüntöne. Das hatte etwas Beruhigendes, bei dem alle Vorkommnisse in den Hintergrund traten. Er durchquerte Ortschaften mit originellen Namen wie Igelsloch, Siehdichfür und Oberreichenbach, und als er mit rasantem Tempo die Bundesstraße durch den dichten Wald gefahren war, gelangte er endlich zu Martinas Wohnort. Sein Mustang jaulte auf, als er aus dem Wald herausfuhr.

An diesem Morgen musste Martina Kübler das erste Mal seit ihrem Arbeitsbeginn bei der Calwer Kripo nicht schon um sechs Uhr aufstehen. Sie hatte Urlaub und krabbelte langsam und gemütlich aus ihrem Bett. Sie gähnte, warf sich den Morgenmantel über, schlüpfte in die warmen Wollhausschuhe, die sie neben ihrem Bett geparkt hatte und schlürfte in ihre Küche, um sich einen Kaffee zu machen. Ihr langes braunes Haar hatte sie unordentlich mit einem Gummi zu einem Knäuel zusammengebunden. Schminken hatte noch Zeit.

Während sie die Kaffeebohnen in den Kaffeeautomaten rieseln ließ und den Tank mit frischem Wasser auffüllte, hing sie ihren Gedanken nach. Ganz darin versunken sah sie zu, wie der dunkelbraune Kaffeestrahl in die Tasse strömte und einen herrlichen Duft verbreitete. Während sie die weiße Milch hineinlaufen ließ und den ersten wohltuenden warmen Schluck nahm, dachte sie an Matthias Fischer.

Heute war es so weit. Er würde nach Wochen das erste Mal zu Besuch kommen. Endlich gab es mal wieder etwas Spannendes in ihrem Leben. Sie hatte sich ja eigentlich hierher versetzen lassen, um nicht mehr so viel Aufregung in ihrem Job zu haben. Dies hatte sich innerhalb kürzester Zeit als Irrglaube herausgestellt. Gleich der erste Fall in ihrer Heimat war aufregend und gefährlich gewesen. Allerdings hatte sich hier seit der Lösung des Verbrechens überhaupt gar nichts Weltbewegendes mehr ereignet. Nur malerische Dörfer und ansonsten »Friede, Freude, Eierkuchen« … Auch der zweite Grund für den Stellenwechsel der Kommissarin, ihre Schwäche für Matthias Fischer, hatte sich zerschlagen. Zuerst wollte sie auf Abstand gehen, weil er, so wie es damals für sie aussah, sich nicht von seiner Ex trennen wollte, dann waren sie sich während gemeinsamer Ermittlungen rund um Calw kurzzeitig nähergekommen. Anschließend musste er seinen Dienst bei der Kripo in Trier wieder antreten. Obwohl er sich offenbar inzwischen von seiner Frau getrennt hatte, sorgte dann die Entfernung dafür, dass es sich weiterhin nur um sehr zarte Bande handelte. Er nach wie vor in Trier und sie in Calw. Sie waren wohl nicht für eine Fernbeziehung gemacht.

Sie hatte eine Überraschung geplant, eine Übernachtung in einem Schäferwagen in Bad Urach. Martina hoffte, dass sie Matthias so mit seinem neuen Arbeitsort, der ihm sozusagen aufgezwungen wurde, versöhnlich stimmen könnte, und dass die romantische Übernachtungsgelegenheit ihr Übriges tun und sie sich doch wieder etwas näherkommen würden. Bei dem Gedanken wurde es ihr ganz warm ums Herz.

Bad Urach war eine tolle Stadt mit vielen Sehenswürdigkeiten und dem einmaligen traditionellen Schäferlauf, der alle zwei Jahre stattfand. Die UNESCO-Kommission hatte dieses Brauchtum 2018 ins bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Dieses Ereignis fand jetzt am Wochenende statt, und deshalb konnte man, wenn man früh genug buchte, in Schäferwagen übernachten.

Kürzlich hatte sie irgendwo gelesen, dass der bekannte Bildhauer Peter Lenk von der Stadt Bad Urach beauftragt worden war, dem Schäferlauf ein Denkmal zu setzen. Dabei stellte sein Entwurf wohl Schäfer dar, die unten herum ohne Hose um die Wette rannten, wie es von früheren Zeiten berichtet wurde. Sie kannte sein Kunstwerk, die Imperia, die als Wahrzeichen am Konstanzer Hafen thronte. Man konnte also gespannt sein, ob und was da enthüllt wurde.

Kübelchen schmunzelte bei dem Gedanken. Sie liebte Bad Urach und freute sich, dass Matthias bald nur noch etwa eine Stunde von ihr entfernt wohnte. Allerdings tat es ihr sehr leid, unter welchen Umständen der Wechsel zustande gekommen war. Das kratzte ganz schön an ihm.

Sie sah verträumt aus ihrem Küchenfenster und freute sich, dass das Wetter so gut war. Genau das Richtige für das, was sie geplant hatte. Zum Glück war noch ein wenig Zeit, um sich umzuziehen und sich etwas hübsch zu machen. Sie wollte alle Möglichkeiten nutzen, Matthias doch wieder für sich zu gewinnen. Als sie so grübelte, fuhr ihr der scheußliche Ton ihrer Haustürklingel ins Ohr und sie erschrak. Das konnte unmöglich Matthias sein! Viel zu früh! Auf jeden Fall musste sie dringend eine neue Klingel besorgen. Einfach schrecklich, dieser Ton!

Als sie die Tür öffnete, stand zu ihrer Erleichterung ihre Mutter vor der Tür und streckte ihr ein Lunchpaket entgegen.

»Guten Morgen Martina! Ich möchte nicht lange stören, aber ich dachte, eine Kleinigkeit zu essen könntet ihr gut gebrauchen. Man weiß ja nie! Liebe geht bekanntlich durch den Magen.«

Glaubte ihre Mutter tatsächlich, dass man einen Mann mit ein paar belegten Broten herumbekam?

Kübelchen nahm es mit einem kurzen »Danke, das ist lieb von dir!« entgegen. Ihre Mutter meinte es ja nur gut. Auch wenn man bis nach Bad Urach mit dem Auto nur etwa eineinhalb Stunden unterwegs war. Aber ihr war klar, dass in diesem Fall Widerstand zwecklos war.

Dann würden sie eben eine kurze Pause an einem schönen Plätzchen machen, sich auf eine Bank setzen, Matthias würde den Arm um sie legen und sie würde es genießen.

»Also dann, Martina. Ich wünsche euch viel Spaß und kämm dich, Kind! Du siehst aus wie ein Staubwedel!«, meinte ihre Mutter und nahm den schmalen Fußweg zurück über die Wiese hinter dem Haus von Kübelchens Großmutter. Zum Glück sah sie nicht, wie ihre Tochter die Augen verdrehte.

Man blieb eben immer das Kind seiner Eltern.

Inzwischen war Matthias Fischer nur noch wenige Meter von seinem Ziel entfernt. Linker Hand konnte er schon in der Ferne das Haus von Kübelchens Großmutter oben am Hang erkennen, in dem seine Ex-Kollegin seit ihrer Rückkehr in ihren Heimatort im Schwarzwald hauste. Knatternd tuckerte seine alte, aber sehr begehrte Rostlaube den kleinen Weg hoch. Dabei wurde er durch den losen Schotter und wegen der tiefen Schlaglöcher ordentlich durchgeschüttelt. Die Federung bei so alten Autos war wesentlich härter als bei den heutigen modernen Fahrzeugen, aber das war er ja gewohnt. Es störte ihn nicht, dass ihm aus diesem Grund hin und wieder ein Wirbel verrutschte.

Gerade sah er Martinas Mutter ums Eck laufen, nahm den Fuß vom Gas und begrüßte sie durch das geöffnete Autofenster.

»Hallo, Frau Kübler, wie geht es Ihnen?«

Als sie ihn beim Antworten anlächelte, konnte er Ähnlichkeit mit ihrer Tochter erkennen. Allerdings hatte sie ihr langes dunkles Haar zu einem strengen Knoten zusammengebunden.

»Sehr gut, danke, und selbst?«

»Etwas gestresst, aber das wird sich hier sicher schnell legen!«

Frau Kübler nickte zustimmend und zwinkerte. »Na, das will ich hoffen. Als Sie das letzte Mal hier waren, hat das ja nicht so gut geklappt. Aber das war sicher eine Ausnahme. Ich glaube, da wartet schon jemand auf Sie!«

Zum Glück hörte Martina nicht, was ihre Mutter da mit ihren Andeutungen zu steuern versuchte, sonst wäre sie im Erdboden versunken.

Matthias ging es allerdings nicht anders und er fuhr den restlichen sehr steilen Weg hoch. Endlich war er da. Wochenlang hatte er auf das Wiedersehen hingefiebert. Die Fahrt war aufgrund der langen Strecke ziemlich anstrengend gewesen und er spürte jeden seiner Knochen. Matthias warf noch mal einen kurzen, zufriedenen Blick in seinen Rückspiegel, stieg aus seinem Wagen, zupfte seinen Hemdkragen zurecht und streckte seine Arme der Sonne entgegen. Am Bauch drückte der Knopf seiner Hose. Da hätte auch keine Shapewear für Männer geholfen, um, wie es die Werbung versprach, für eine schöne Silhouette zu sorgen. Damit wäre der Ring um seinen wohlgenährten Bauch lediglich ein Stückchen weiter nach oben gewandert oder besser gesagt gequetscht worden. Man konnte den vorhandenen Überschuss ja nicht einfach wegzaubern. Bei diesem Gedanken sah er an sich herunter und legte die Hand auf die bewusste Wölbung.

Kübelchen hatte gerade das Bad erreicht und die Haarbürste in der Hand, als der furchtbare Klingelton ein zweites Mal ertönte. Sie drehte sich um, schritt energisch zur Haustür. Was wollte ihre Mutter denn noch? Manchmal ging sie ihr ganz schön auf die Nerven! Die Kommissarin riss die Tür auf und fragte schon während des Öffnens leicht genervt: »Was ist denn jetzt wieder?«

»Soll ich lieber wieder gehen und später zurückkommen? Deine Mutter meinte gerade, du könntest es kaum erwarten, bis ich komme!«, entgegnete Matthias Fischer grinsend. Er stand mit seiner Reisetasche vor der Tür, während er die Brille von der Nase auf die Haare schob, die seine ungewöhnlich stahlblauen Augen zum Vorschein brachten.

Kübelchen schüttelte peinlich berührt den Kopf und trat zur Seite. »Quatsch, nein. Komm rein! Schön, dass du da bist. Ich dachte, es wäre noch mal meine Mutter. Sie hat kurz vor dir geschellt. Was die wieder für einen Blödsinn erzählt!«, verdrehte sie die Augen.

Er sah sie erleichtert an. »Na da bin ich aber froh!«, überspielte er die Enttäuschung, dass man ihn scheinbar doch nicht herbeigesehnt hatte. Sie hatten sich ja aufgrund der Entfernung auf eine freundschaftliche Verbindung geeinigt.

In diesem Moment wurde ihr bewusst, dass sie mit zerzaustem Haar ungeschminkt im Morgenmantel vor ihm stand. Wie unangenehm! Ihre Vorstellung einer überschwänglichen Begrüßung mit perfektem Styling und freundlicher, vielleicht auch knisternder Begrüßung war zerplatzt wie eine Seifenblase. Das war ein holpriger Start, nachdem sie schon auf das Klingeln so unfreundlich reagiert hatte.

»Mach es dir in der Stube gemütlich, Matthias. Ich komm gleich«, stammelte sie und wollte schnell im Badezimmer verschwinden.

Ihr Kollege schmunzelte und rief ihr noch hinterher: »Warte noch kurz! Ich muss meinen Wagen irgendwo parken. Ich wollte ihn nicht ungefragt abstellen. Vielleicht hinter dem Haus, Martina?«

»Ja, mach das!«, antwortete sie, bevor sie im Bad verschwand.

Als sie einige Minuten später wieder herauskam, warf sie einen prüfenden Blick in den großen Spiegel ihrer Garderobe. Ihr dunkelbraunes Haar war nun gekämmt und ordentlich zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Das niedliche rundliche Gesicht kam dabei etwas mehr zur Geltung. Sie hatte nur etwas Wimperntusche, Eyeliner und eine leicht getönte Tagescreme aufgetragen. Das war angemessen und passend für eine Autofahrt. Sie dachte nur: »Hoffentlich hat er seine Erinnerung an mein vorheriges Outfit schon aus seinem Gehirn verbannt.«

Natürlich hatte er das ganz und gar nicht vergessen und war von ihrem Anblick ganz hingerissen. Draußen raste sein Herz bis zum Hals. Kübelchen konnte ja nicht ahnen, wie ihr Auftreten an der Tür wirklich auf ihn gewirkt hatte. Fischer wurde in diesem Moment schlagartig klar, dass das mit der Freundschaft schwieriger war, als er geahnt hatte. Aus der Entfernung und im Arbeitsalltag konnte man so einiges verdrängen.

Während Martina noch ihren Gedanken nachhing, hörte sie altbekannte Geräusche.

Fischer manövrierte seine noch immer fahrtüchtige Rostlaube wie besprochen ums Hauseck in den Hof hinterm Haus, und der Mustang gab noch lautere Töne von sich als beim letzten Mal. Er fand einen guten Platz für seinen Wagen und versuchte sich nach dem halb bekleideten Auftritt seiner ehemaligen Kollegin innerlich etwas zu beruhigen. Er konnte ja im wahrsten Sinne des Wortes nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Was für ein Gefühlskarussell! Martina hatte ja keine Vorstellung davon, wie unglaublich aufregend sie war. So pur und natürlich. Zur Ablenkung zündete Matthias sich eine Zigarette an und zog genüsslich daran. Ah, was für eine tolle Erfindung!, dachte er und spürte, wie das Nikotin seine Luftröhre hinunterschwebte und sich beruhigend auf seine Lunge legte.

Als er fertig geraucht hatte und entspannt durch die angelehnte Haustür eintrat, standen Kübelchens schwarze Reisetaschen samt Rucksack im Gang. Daneben lagen die Fahrradhelme. Kübelchen hatte überlegt, ob sie ihn zu einer Radtour überreden konnte. Sie würde es zumindest versuchen. In der Touristik konnte man welche leihen. Auch E-Bikes, damit er die anstrengenderen Stellen bewältigte. Ihre Eltern hatten es laut ihrer eigenen Aussage nicht nötig, sich von einem Motor unterstützen zu lassen. Ihr Vater meinte, es gäbe ja genug Leute, die so unsportlich wären und ohne so ein E-Bike überhaupt keinen »Buckel« hochkamen. Immer mal wieder geriet er dann laut Erzählungen von Martinas Mutter in irgendwelche hitzigen Auseinandersetzungen auf dem Radweg, bei denen sie nur mit Ach und Krach das Schlimmste verhindern konnte.

Martina freute sich jetzt schon auf Fischers Gesicht, wenn sie ihm von der Übernachtung und dem Schäferlauf-Wochenende erzählte. Sie hatten seit ihrem letzten Fall ja nur telefonischen Kontakt gehabt. Sie musste sich in ihre neue Stelle bei der Calwer Kripo einarbeiten und war oft ziemlich ausgepowert. Abends jedoch hatten sie sehr oft miteinander telefoniert, weil ihm die Versetzung so auf den Magen geschlagen war. Auch weil der Kollege wegen seines riskanten Einsatzmanövers angeschossen worden war.

Matthias sah sehr übernächtigt aus. Sie ging auf ihn zu und sie umarmten sich freundschaftlich. »Schön, dich zu sehen, Herr Kollege!«, sagte sie.

»Ich hatte ganz vergessen, wie gut du riechst!«, erwiderte er.

»Ich habe dir ja schon am Telefon angekündigt, dass ich eine Überraschung für dich habe, Matthias!« Wohin die Reise ging, hatte sie ihm bisher noch nicht verraten. Jetzt erzählte sie ihm endlich von der gebuchten Übernachtung im Schäferwagen beim Uracher Schäferlauf.

»Mensch, das ist aber eine tolle Idee!«, freute er sich. »Wirklich sehr nett von dir, dass du mir Bad Urach zeigen willst!«

»Dazu sind Freunde doch da!«, antwortete Martina.

»Aber wozu sind denn die Fahrradhelme?«

»Ich dachte, wir könnten dort Fahrräder leihen. Es gibt mehrere tolle Radstrecken, auch für Ungeübte«, erklärte sie begeistert.

Matthias fand die Vorstellung, mit dem Fahrrad herumzufahren, weniger prickelnd, auch wenn Kübelchen ihm versicherte, dass sie eine kurze, einfachere Tour ausgewählt hatte, was nicht ganz der Wahrheit entsprach.

Tatsächlich waren die meisten Strecken dort sehr anstrengend und nur mit guter bis sehr guter Kondition zu bewältigen. Allerdings sagte sie ihm das besser nicht. Nur die Runde Bad Urach – Metzingen hatte einen leichteren Schwierigkeitsgrad, war aber laut Kübelchens Recherchen im Internet auch nicht so ganz ohne.

»Das ist echt gut gemeint, Martina, aber muss das unbedingt sein? Ich bin ehrlich aus der Übung.« Doch als er ihr enttäuschtes Gesicht sah, gab er nach. »Na gut, wenn es nicht so anstrengend ist … Wir können es ja mal auf uns zukommen lassen und vor Ort entscheiden«, lenkte er ein und hoffte inständig, dass die Sache damit vom Tisch war und es nie dazu kommen würde.

Kübelchens Laune war trotzdem im Keller. Sie hatte sich alles so schön ausgemalt. Für sie gehörte ein wenig Bewegung einfach dazu. Was hatte er sich denn gedacht, wie sie die Tage bis zu seinem Dienstantritt verbringen würden? Vor der Glotze als Sofakardoffla? Die Kommissarin war nicht der Typ für untätiges Rumsitzen. Darin unterschieden sich die beiden ganz klar. Doch da war ja auch noch der Uracher Schäferlauf mit seinen vielen spannenden Highlights und sie fand ihre Vorfreude schnell wieder.

Matthias wäre es in diesem Moment eigentlich nach etwas ganz anderem zumute gewesen. Wie sollte er Martina nur klarmachen, dass er nicht von ihr loskam? Er wusste einfach nicht, was er wollte. Immer dieses Auf und Ab. Mal sehen, was die Zeit bringen würde.

Martina machte ein versöhnliches Gesicht, nachdem er auf das Radfahren nicht gerade erfreut reagiert hatte, und holte das Vesperpaket ihrer Mutter aus dem Kühlschrank. Matthias schnappte sich die Reisetaschen und wollte draußen hinters Haus gehen, als sie aus dem Küchenfenster rief.

»Halt, wo willst du denn hin? Mein Auto steht da vorne!«

Er sah sie mit seinem Hundeblick an.

»Ach bitte, ich hänge so an meinem Auto. Ich kann es doch nicht tagelang hier alleine stehen lassen und darauf verzichten. Es braucht Bewegung, damit es nicht einrostet. Da passt auch mehr Gepäck rein. Jetzt sei doch kein Frosch!«

Wenn es ihm so wichtig war, dann konnte sie ihm einfach nicht widerstehen. Martina willigte ein. »Na gut, dann nehmen wir halt deinen Klapperkasten anstatt meinem kleinen Flitzer, um nach Bad Urach zu fahren!«

BAD URACH

Das Eis war gebrochen, und kurze Zeit später fuhren sie mit Fischers Mustang nach Bad Urach, zuerst im Tal entlang auf der Landstraße Richtung Wildberg bis zur Abfahrt Holzbronn und dann auf der Höhe über Holzgerlingen, Reutlingen und Metzingen. Unterwegs lief im Radio das Schäferlied der Traufgängerinnen aus Bad Urach.

Martina summte nebenher mit: »… Schäferlauf, des isch dr Hit …« und »… lauf Schäfer lauf …« Sie hatte eine schöne Singstimme und Fischer lauschte ihr fasziniert.

Als sie nach Bad Urach hineinfuhren, sahen sie schon am Ortsanfang die Schilder und Plakate, die den Schäferlauf ankündigten. An den Häusern hingen überall Fahnen. Alles war sehr prächtig herausgeputzt.

Die Vorbereitungen waren in vollem Gange und es herrschte schon ein buntes Treiben. Man spürte die Vorfreude der Uracher auf dieses traditionelle Fest, das zu den ältesten historischen Heimatfesten im Lande zählt.

Der Pfählhof lag etwas außerhalb des Ortes. Auf der Wiese links neben dem Campingplatz sahen sie die Schäferwagen stehen und stiegen aus. Bei der Camping-Gaststätte hatte man einen Schlüssel für sie hinterlegt.

Als sie die Tür des Schäferwagens aufschlossen, entfuhr Kübelchen ein verzückter Schrei. »Ach wie gemütlich! Sieh mal, Matthias, sogar mit Tisch und Bänken!«

Matthias war ebenfalls beeindruckt. »Ich hätte nicht gedacht, dass das so komfortabel ist. Es gibt sogar ein richtiges Bett. Ich hatte schon die Befürchtung, dass wir im Heu übernachten müssen. Wobei, das hätte auch seinen Reiz«, fügte er schelmisch grinsend hinzu und sah sie etwas verrucht an. Insgeheim hoffte er, dass sie sich wieder näherkommen würden. So ein Schäferwagen hatte doch etwas von einem gemütlichen, romantischen Plätzchen für Verliebte.

»Also echt, Matthias!«, kicherte sie und errötete leicht.

Vor dem Schäferwagen gab es eine Holzterrasse mit Sonnenschirm, Feuerstelle und Sitzgelegenheiten. Beim Campingplatz Pfählhof direkt nebenan durfte man die sanitären Anlagen benutzen und im Kiosk konnte man das Nötigste einkaufen. Kübelchen hatte einen Frühstückskorb mitgebucht. Zum Abendessen wollte sie mit Matthias grillen.

»Na, em Camping-Shop werda mer scho no a baar Wirschtla auftreiba!«, verfiel Martina ins Schwäbische und Fischer grinste, weil das in seinen Ohren so niedlich klang.

Es gab noch weitere Schäferwagen. Am benachbarten Wagen war ein Hund angebunden, der mit seinem langen, glänzenden, dichten Fell an einen Bären erinnerte. Ohne aufzustehen, blickte er zu ihnen hinüber und wedelte mit dem Schwanz.

»Oh wie hübsch!« Martina sah zu ihm hin und sang immer wieder leise vor sich hin: »Schäferlauf, des isch dr Hit …«, dann ging sie näher heran, streichelte ihm das wuschelige Fell und kraulte ihn liebevoll hinter den Ohren. Er schien es sehr zu genießen.

Ein dunkelgelockter Kopf erschien im Türspalt.

»Nanu, was singt denn hier für eine Nachtigall?« Ein ausgesprochen attraktiver junger Mann mit breiten Schultern und stattlicher Größe kam zum Vorschein und präsentierte sich mit nacktem, durchtrainiertem Oberkörper vor dem Schäferwagen. Er beäugte Martina neugierig.

Sie lächelte ihn an. So ein attraktives Exemplar bekam man selten vor die Linse.

»Entschuldigen Sie meinen Aufzug, aber ich wusste ja nicht, dass ich heute Morgen so netten Damenbesuch bekomme. Michael Lämmle mein Name und das da ist Kuschel, mein Hirtenhund«, stellte er sich vor, während er mit dem Kinn in Richtung seines Hundes deutete und ihr die Hand entgegenstreckte. »Seltsam, dass er sich von Ihnen so einfach streicheln lässt, aber ich würde da in Ihrem Fall auch nicht Nein sagen, wenn Sie mich kraulen würden«, lachte er verschmitzt.

Flirtete er etwa mit ihr?

Kübelchen schüttelte ihm grinsend die Hand und stellte sich mit ihrem umwerfendsten Lächeln vor. »Martina! Sehr niedlich Ihr Hund. Was ist das für eine Rasse?«

»Kuschel ist ein Pyrenäenhund, speziell zum Schafe Hüten«, erklärte er.

»Ach übrigens, das da drüben ist Matthias! Speziell zum Verbrecher Fangen!«, lachte die Kommissarin und zeigte hinüber zum anderen Wagen.

Michael hielt ihre Hand einen Moment zu lange fest, während er ihr Gesicht in Augenschein nahm. Sein Interesse für Matthias schien sich in Grenzen zu halten.

Sie klärte ihren Spaß auf. »Matthias ist der neue Kriminalhauptkommissar von Bad Urach!«

Fischer, der gerade die Satteltaschen abgemacht hatte, beobachtete das Ganze misstrauisch mit grimmigem Blick. Jetzt ging das schon wieder los! Kübelchen hatte einfach einen »Schlag« bei den Männern und er konnte sich nicht daran gewöhnen. Ihr schien das gar nicht bewusst zu sein. Es konnte ihm ja eigentlich egal sein, war es aber leider nicht. Dabei hatte der Kerl so viele Brusthaare, dass man ein ganzes Kissen damit hätte füllen können. Einfach widerlich! Verstand einer die Frauen! Bei diesem Gedanken verdrehte er die Augen.

Er rief herüber: »Kommst du, Martina? Wir wollten doch noch kurz ein paar Getränke und Würstchen besorgen.«

Sie sah ihr Gegenüber an. »Also dann, man sieht sich.«

»Ach, ich komm am besten gleich mit zum Kiosk. Vielleicht kann ich tragen helfen«, schlug Michael Lämmle selbstbewusst vor. Er streifte sich ein T-Shirt über, während er sprach. Offenbar kam er nicht auf die Idee, dass er stören könnte.

Matthias sagte kein Wort und machte ein mürrisches Gesicht. Er musste diesen anhänglichen Typen unbedingt loswerden.

Michael schien nicht zu bemerken, dass er Fischer zu aufdringlich war, und plauderte ungeniert in einem fort.

Bei Michaels Redseligkeit erfuhren die beiden in kürzester Zeit, dass er Hobby-Schäfer war. Deshalb konnte er auch nicht beim Leistungshüten mitmachen, denn es waren nur hauptberufliche Schäfer zugelassen.

»Früher hatte ich immer in Bad Urach im Hotel Graf Eberhard ein Zimmer. Das war echt sehr schön, aber jetzt, wo ich einen eigenen Schäferwagen hier habe, fühle ich mich heimisch. Ich bin ja Einfacheres gewohnt. Allerdings lasse ich mich dort trotzdem jedes Mal im Hotelrestaurant sehen. Das Essen dort ist so dermaßen lecker, dass ich darauf nicht verzichten möchte. Den Abend könnten wir dann mit dem traditionellen Theaterstück D’Schäferlies ausklingen lassen. Was haltet ihr davon? Das darf man eigentlich auf keinen Fall verpassen. Wollt ihr vielleicht auch bei der Probe für den Schäferreigen zuschauen? Das ist sehr sehenswert. Die offizielle Tanzaufführung ist dann erst am Sonntag, aber da sieht man vor lauter Leuten nichts. Vielleicht habt ihr Lust? Danach gibt es Musik mit der Partyband alles roger?! und Tanzmöglichkeiten für jedermann.«

Matthias sah Martina flehend an, aber sie ignorierte seine Signale. Das hatte ihm gerade noch gefehlt! Der Typ wollte sich doch bloß an sie ranmachen! Bei diesem Gedanken zog sich sein Herz zusammen, dass es schmerzte.

»Wir würden sehr gerne mitkommen. Wann hat man schon die Möglichkeit, einen eigenen Schäferlauf-Führer zu haben! Das Theaterstück von der Schäferlies wollte ich auch schon lange Mal sehen. Ob es da wohl noch Karten gibt?« Kübelchen reagierte voller Begeisterung.

Matthias fragte sie erst gar nicht, ob er das wollte.

Er fühlte sich übergangen. Sie hätte sich wenigstens mit ihm absprechen können. Obwohl sie nur noch befreundet waren, hatte er trotzdem noch Angst, sie zu verlieren. Kein Wunder bei dem Typ!

Lämmle nickte, als ob er Gedanken lesen könnte. »Ich habe immer ein paar Freikarten, weil ich mir jedes Jahr ein paar fesche Mädels dazu mitnehme!«, zwinkerte er Kübelchen zu, ging hin und legte den Arm unter den kritischen Blicken von Matthias um ihre Schultern und drückte sie eng an sich. Martina störte das scheinbar nicht die Bohne.

»Diesmal bist du eine davon.«

»Oh Mann, du bist ein Schatz, Michael. Klingt nach einem perfekten Plan!«, erwiderte Martina freudestrahlend und machte sich nichts aus seiner körperbetonten Art.

Der Kommissar hatte das Gefühl, dass es ihr schmeichelte, wenn Lämmle so auf sie abfuhr.

»Wir kommen auf jeden Fall mit! Stimmt’s, Matthias? So ein großartiges Angebot bekommt man schließlich nicht alle Tage!«

Fischer bebte innerlich und hob die Augenbrauen. Das ging ihm jetzt wirklich zu weit. »Nanana …!«, entfuhr es ihm. Er sah Martina dabei beleidigt an und dachte: Jetzt nennt sie ihn auch noch Schatz!

»Ist er etwa eifersüchtig?«, wunderte sich Kübelchen. Sie tat den Gedanken jedoch gleich wieder ab. Schließlich waren sie auf seinen Wunsch hin nur Freunde. Darauf hatten sie sich gemeinsam geeinigt, nachdem Matthias sich gegen eine Fernbeziehung ausgesprochen hatte. So verlor sie ihn wenigstens nicht ganz. Das war nun schon einige Monate her und Kübelchen hatte sich noch immer nicht damit abgefunden. »Jetzt komm, wir werden sicher eine Menge Spaß haben!«

Da muss ich wohl oder übel in den sauren Apfel beißen und den Abend zu dritt verbringen, sonst zieht sie womöglich alleine mit dem ungehobelten Kerl los!, dachte er und brummelte: »Da wird es wohl nichts mit dem gemeinsamen Abend zu zweit!« Es blieb ihm nichts übrig, wenn er kein Spielverderber sein wollte, und er hörte sich sagen: »Na gut, warum nicht!« Er konnte ihr einfach nichts abschlagen. Außerdem war er ja derjenige gewesen, der nicht mehr wollte, was er seit ihrem erneuten Zusammentreffen bereits bitter bereute.

»Also, Leute, ich reserviere für heute Abend im Restaurant Eberhard einen Tisch. Ab morgen gibt es dann nur noch Bier, Schnaps, Pommes und Würstchen.« Michael lachte, als er das sagte.

»Super, danke!«, freute sich Kübelchen strahlend.

»So, und jetzt machen wir die Radtour, die du mir versprochen hast!«, forderte Fischer völlig unerwartet.

Sie war überrascht und dachte, sie hätte sich verhört. Man hätte fast meinen können, er wollte sie weglocken? Es sah ganz danach aus. Dafür war ihm scheinbar jedes Mittel recht. Sonst drückte er sich ja immer vor jeder Art von Bewegung. Auch gut. So bekam sie auf diesem Weg das, was sie wollte.

Sie nickte und machte sich von Lämmles Arm frei. »Na sicher, Matthias! Nichts lieber als das!«

Matthias war überrascht, dass sie so schnell zustimmte.

Lämmle ging irritiert seines Wegs.

Die beiden machten sich auf den Weg zur Kurverwaltung, um Räder zu leihen. Zu Fischers Leidwesen gab es nur noch welche ohne Motor. Alle E-Bikes waren verliehen, weil am Schäferlauf-Wochenende so viel los war. Da hatte er sich was eingebrockt! Er startete einen letzten Versuch. Vielleicht kam er so noch um die Sache herum.

»Und wo packe ich mein Geld hin? Ich habe einige Scheine dabei und beim Radfahren steigt man ja auch mal ab. Die Fahrradhose, die du mir gegeben hast, hat keine Hosentasche.«

»Machs doch in deine Schuhe, dann hast du es immer dabei und keiner kann es dir unter den Füßen wegklauen! Das macht mein Vater auch immer«, schlug Kübelchen vor und lief Richtung Toilette. Er tat, wie ihm geheißen und ärgerte sich, dass seine Strategie nicht aufging, doch noch um die Fahrradtour herumzukommen.

Dann ging es los über »Stock und Stein« und Fischer fluchte innerlich, dass er sich mal wieder selbst in so eine Situation gebracht hatte, als er schnaufend absteigen musste, um sein Rad den Rest eines Anstieges hochzuschieben. Sein Herz raste und er japste nach Luft.

»Warte, Martina …!« Ein Schmerz zog sich durch sein linkes Knie. Oh je, aus ihm würde niemals ein Sportler werden.

Sie bremste ab. »Sei bloß froh, dass mein Vater dich so nicht sieht.« Kübelchen grinste. »Er wäre entsetzt über deine schlechte Kondition. Da hättest du nichts zu lachen«, kicherte sie.

Er erwiderte nichts und zuckte nur mit den Schultern, weil ihm fast die Luft ausging. Endlich ging es in den schattigen Wald hinein und die Schilder zeigten zurück Richtung Bad Urach.

Nach einer kleinen weiteren Auffahrt rief Matthias schon wieder völlig außer Atem hinter Martina her: »Können wir kurz anhalten?«

Ein paar Bänke standen direkt am Rand des Radwegs. Leider waren alle Sitzgelegenheiten belegt. Es standen mehrere E-Bikes herum. Die allerwenigsten Leute hatten heutzutage noch ein »normales« Fahrrad. Das Einzige ohne Akku, außer den Rädern der beiden Kommissare, sah allerdings auch alles andere als normal aus. Es war vollkommen »zugemüllt«.

»Also so ebbes hab i meiner Lebtag no ned gsea!«, sagte eine ältere Frau mit Dauerlocken im Vorbeigehen und schüttelte den Kopf.

Das Fahrrad hatte vorne einen Korb am Lenker. Aus diesem hingen Schnüre, verschiedene Socken, Stoffstreifen und noch anderes Zeug heraus. Auf dem Gepäckträger waren Unmengen Plastikbeutel festgeklemmt. An einer dünnen seltsamen Stange, die am Gepäckträger befestigt war und oben so etwas wie eine kleine Schaufel hatte, waren verschiedenfarbige Fellstücke von irgendwelchen Tieren angebunden. Sogar Tierpfoten ragten aus einer der Tüten.

»Schau mal!«, deutete Matthias Richtung des überladenen und unappetitlich gepackten Fahrrades. Ob das wohl einem Messi gehört?«

Sie zuckte nur mit den Schultern. »Keine Ahnung, ich find es echt unverständlich, mit so viel Gerümpel auf dem Fahrrad herumzufahren!« Doch offenbar interessierte es sie nicht besonders und sie lockte Matthias mit den Worten: »Wenn wir zurück sind, gehen wir in den Biergarten auf dem Campingplatz. Bis heute Abend zum Theater und unserem Restaurantbesuch ist es noch lange.«

Das beflügelte Fischer ungemein und er fuhr mit wehenden Haaren grinsend an Martina vorbei. Dabei lachte er und schrie: »Überhol mich doch, wenn du kannst!«

»Na warte!«, rief sie hinter ihm her.

Sie strampelte gleich darauf mit wippendem Pferdeschwanz unter dem Helm wieder an ihm vorbei und Matthias musste Gas geben, um ihr folgen zu können. Er trat in die Eisen, was das Zeug hielt. Die dicht aneinandergereihten, saftig grünen Obstbäume rechts und links flogen nur so an ihnen vorbei. Der Duft von Wiesen und Blumen kroch in ihre Nasen, gepaart von landwirtschaftlichen Gerüchen nach gemähtem Gras und Kuhstall. Auf den Wiesen am Waldrand fuhr ein Bauer mit seinem Traktor und mähte Futter für seine Tiere. Ein paar Schafe grasten am Wegesrand und ein Mädchen führte gerade sein Pferd, das dem von Pippi Langstrumpf nicht ganz unähnlich war, auf die gegenüberliegende Koppel. Das weckte bei Kübelchen Kindheitserinnerungen.

Fischer, der jetzt hinter Martina fuhr, hatte dagegen ganz andere Ambitionen und fixierte den Blick auf die wippende Hüfte seiner Freundin, was ihn beflügelte. Das Radeln fing an, ihm fast schon Spaß zu machen.

Sie mussten einen weiteren kleinen Hang hochfahren, als es ungeduldig hinter ihm klingelte. Jemand schrie noch: »Aus dem Weg, alter Mann …!« So schnell, wie dieser unverschämte Radfahrer von hinten vorbeizog, konnte er gar nicht ausweichen. Dieser streifte ihn an der Seite und er flog in hohem Bogen in die Blumenwiese.

Kurz bremste der Fahrer ab und drehte sich um.

Fischer winkte ab, dass er weiterfahren sollte, bevor er ihm den Kragen umdrehte. »Verdammte E-Bike-Fahrer! Hätte ich einen Motor, dann wäre ich auch schneller!«, fuhr es dem Kommissar heraus, weil es ihm etwas peinlich war. Doch der junge Mann war schon zu weit weg.

»Das war ausnahmsweise kein E-Bike-Fahrer, Matthias!« Kübelchen kicherte. »Um dich zu überholen, braucht man keinen Motor.« Sie konnte sich nicht mehr zurückhalten und lachte lauthals los.

Er machte ein beleidigtes Gesicht und jammerte: »Du könntest ja wenigstens mal fragen, ob ich mir wehgetan habe, du herzloses Ding!« Mit diesen Worten stürzte er sich lachend auf sie, schnappte sich ihre Hände und zog sie mit auf die Wiese. Das Eis schien endlich gebrochen zu sein. Sie wälzten sich unter den neugierigen Blicken der vorbeikommenden E-Bike-Fahrer lachend und kreischend im Gras hin und her. Herrlich! Da musste er dem rücksichtslosen »Nicht-E-Bike-Fahrer« fast dankbar sein, der ihm zu dieser unerwarteten Chance verholfen hatte.

Anschließend stiegen sie wieder auf und radelten noch bis Metzingen-Neuhausen. Fischer hatte Mühe, das Gleichgewicht zu halten und sein Kopf war rot wie eine reife Tomate kurz vor der Ernte. Oder eher überreif und kurz vor dem Platzen. Kübelchen grinste und war gnädig. Sie machten bei den hübschen kleinen Weinbergen der Weingärtnergenossenschaft Metzingen-Neuhausen kehrt und fuhren zu Fischers Erleichterung nach Bad Urach zurück.

Das würde er gerade noch so schaffen. Puh!

Nur kurze Zeit später saßen sie endlich im Biergarten des Pfählhofs und Matthias Fischer war fix und fertig und völlig verschwitzt. Sein T-Shirt triefte vor Schweiß. Er trank ein großes Glas Bier fast in einem Zug leer. Zum Glück lässt sich Lämmle nicht blicken, dachte er. Den muss ich heute ja noch den ganzen Abend ertragen. Matthias wollte zügig zum Schäferwagen und mit Kübelchen alleine sein. In ihm war schon vom ersten Augenblick an, als er bei Martina an der Haustür geklingelt hatte, wieder ein Funke übergesprungen. Doch jetzt war das Feuer entfacht. Sobald er mit Martina zusammen war, waren auch seine Gefühle für sie wieder da und überwältigten ihn. Hoffentlich war sein Nebenbuhler unterwegs, sonst würde der ihm erneut einen Strich durch die Rechnung machen und seine Zweisamkeit mit Martina stören. Dieser unverschämte Kerl war so eine Nervensäge!

»Zahlst du bitte! Ich habe mein Geld im Schäferwagen drüben!«, unterbrach Martina seine Gedanken.

Er tastete nach seinem Geldbeutel. Ihm fiel ein, dass er doch gar keinen dabeihatte und sein Geld auf Kübelchens Empfehlung hin in die Schuhe gesteckt hatte. Er sah auf seine Füße.