Der überflüssige Mensch - Ilija Trojanow - E-Book

Der überflüssige Mensch E-Book

Ilija Trojanow

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Beschreibung

Ein Essay zur Würde des Menschen im Spätkapitalismus.Wer nichts produziert und nichts konsumiert, ist überflüssig - so die mörderische Logik des Spätkapitalismus. Überbevölkerung sei das größte Problem unseres Planeten - so die internationalen Eliten. Doch wenn die Menschheit reduziert werden soll, wer soll dann verschwinden, fragt Trojanow in seiner humanistischen Streitschrift wider die Überflüssigkeit des Menschen. In seinen eindringlichen Analysen schlägt er den Bogen von den Verheerungen des Klimawandels über die Erbarmungslosigkeit neoliberaler Arbeitsmarktpolitik bis zu den massenmedialen Apokalypsen, die wir, die scheinbaren Gewinner, mit Begeisterung verfolgen. Doch wir täuschen uns: Es geht auch um uns. Es geht um alles.

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Ilija Trojanow

Der überflüssige Mensch

Aus der Reihe »UNRUHE BEWAHREN« Residenz Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

www.residenzverlag.at

© 2013 Residenz Verlag im Niederösterreichischen Pressehaus Druck- und Verlagsgesellschaft mbH St. Pölten - Salzburg - Wien

Alle Urheber- und Leistungsschutzrechte Vorbehalten.

Keine unerlaubte Vervielfältigung!

ISBN ePub: 978-3-7017-4358-2

ISBN mobi: 978-3-7017-4404-6

ISBN Printausgabe: 978-3-7017-1613-5

Inhalt

Impressum

Auf Sie können wir verzichten

La Méduse

Zu viel, zu viele

Von Milliardären, Elchjägern und anderen Malthusianern

Schuld haben immer nur die anderen

Mensch und Müll

Prekär, der Prekäre, das Prekariat

Ein Sprungbrett nach unten

Die Ein-Euro-Reservisten

Die Oligarchen sind unter uns

Die Rache des Kellners

Stigmatisiert, selbstoptimiert

Lohnarbeit ade

Die Segnung der Maschinen

Apokalypse soon

Auswege

Bibliografische Hinweise

Auf Sie können wir verzichten

Kein Mensch kein Problem.

Josef Wissarionowitsch Stalin

Sind Sie überflüssig? Natürlich nicht. Ihre Kinder? Nein, keineswegs. Ihre Verwandten, Ihre Freunde? Geradezu eine unverschämte Frage, ich weiß. Ehrlich gesagt empfinde ich mich selbst auch nicht als überflüssig. Wer tut das schon? Höchstens an ganz schlechten Tagen. Und doch gelten viele Menschen auf Erden als überflüssig, aus Sicht von Ökonomen, internationalen Organisationen, global agierenden Eliten. Wer nichts produziert und – schlimmer noch – nichts konsumiert, existiert gemäß den herrschenden volkswirtschaftlichen Bilanzen nicht. Wer keinen Besitz sein Eigentum nennt, ist kein vollwertiger Bürger. »Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein«, lautet die allgegenwärtige Werbung des Drogerieprimus dm. Das Sein ist ersetzt worden durch das Konsumieren. Mit anderen Worten auf den spätkapitalistischen Punkt gebracht: Die Gesetze des Marktes markieren die Grenzen der Freiheit.

Der Subsistenzbauer gilt als Anachronismus, als Bremse der entfesselten Entwicklung, weswegen er enteignet und vertrieben wird. Der Langzeitarbeitslose gilt als Belastung für die Gesellschaft, weswegen er schikaniert und verachtet wird. Der Kleinbauer und der landlose Landarbeiter gehören nicht nur zu den ärmsten Menschen auf Erden, sie werden zudem in dem Maße als Ressource wertlos, in dem sich die industrielle Agrarwirtschaft weltweit ausbreitet. Wo sollen sie unterkommen, wovon sollen sie zukünftig leben? In den Städten wachsen zwar die Slums, die Zahl der gesicherten Arbeitsplätze in der Produktion nimmt hingegen ab, eine Entwicklung, die angesichts der rasant fortschreitenden Automatisierung der Prozesse in einem System entschiedener Konkurrenz unaufhaltsam ist. Der Dienstleistungssektor, ein Euphemismus für niedrig bezahlte und stupide bis erniedrigende Arbeiten, hat die wachsende Zahl überflüssig werdender Menschen teilweise auffangen können (allein McDonald’s hat weltweit 1,7 Millionen Angestellte), doch das kann nur ein vorübergehender Trend sein.

Unser Planet sei voll, übervoll, wird immer wieder gewarnt, und dies schon seit Längerem. Wie viele Besatzungsmitglieder das Raumschiff Erde im besten aller Fälle tragen kann, ist eine spekulative und strittige Frage, die in diesem Zusammenhang keine Rolle spielt. Schwer wird sich ein Kompromiss finden lassen zwischen einem eingefleischten Optimisten, der selbst bei zwölf Milliarden Menschen keinen ökologischen Zusammenbruch vorhersieht, und einem in der Wolle gefärbten Misanthropen, der den Menschen als »Virus, von dem der Planet sich heilen muss« (James Lovelock) begreift. Entscheidend ist die Formulierung des Problems. Wenn sich vermeintlich zu viele Menschen auf einem Floß zusammendrängen, gelten keineswegs alle als überzählig, sondern nur einige von ihnen, wie uns die dramatischen Ereignisse nach Schiffbrüchen in früheren Jahrhunderten vorgeführt haben.

La Méduse

Als das französische Schiff La Méduse 1816 unter der Führung eines unfähigen Kapitäns vor der Küste Senegals auf eine Sandbank auflief, zwang der Mangel an Rettungsbooten 147 Passagiere auf ein Floß, das so seeuntauglich war, dass jene, die es notdürftig zusammengezimmert hatten, sich weigerten, darauf Zuflucht zu nehmen. Der Kapitän versprach vor versammelter Mannschaft, die fünf Rettungsboote würden in einem vertäuten Konvoi das Floß zur Küste ziehen. Die Befehlselite des Schiffes hatte sich selbst sichere Plätze im vordersten Boot zugeteilt. Der als Gouverneur Senegals vorgesehene Julien-Désiré Schmaltz wurde auf einem Sessel zu einem gut ausgerüsteten Kahn hinabgelassen, auf dem nur drei Dutzend seiner Verwandten und Vertrauten Platz finden durften. Um ihr Leben schwimmende Matrosen wurden mit Säbelgewalt daran gehindert, sich auf das Boot zu retten. Das Meer war unruhig, die Wellen hoch, und das Floß stand zur Hälfte unter Wasser. Bald schon erlag Gouverneur Schmaltz der Versuchung, die eigene Last zu verringern; er gab den Befehl, das Rettungsseil zu kappen – ein Akt reiner Feigheit und Selbstsucht. Die Schicksalsgemeinschaft auf dem Floß – zwanzig Matrosen, einige Diener, ein Metzger, ein Bäcker, ein Waffenschmied, ein Fassbinder, ein Hauptmann, ein Sergeant und einige einfache Soldaten sowie Mitglieder der Société Philanthropique – war von nun an sich selbst überlassen, zu trinken hatten sie nicht mehr als zwei Fässer Wein und zwei Fässer Wasser, zu essen nur einen bescheidenen Vorrat an durchweichten Keksen. Als diese nach wenigen Tagen fast aufgezehrt waren, standen unangenehme Entscheidungen an, denn obwohl nicht wenige Schiffbrüchige in der Zwischenzeit gestorben waren (manche hatten sich ins Meer gestürzt, andere waren in Scharmützeln zwischen rivalisierenden Gruppen erdolcht worden), befanden sich weiterhin zu viele Menschen auf dem Floß. Der innere Zirkel der Anführer (die sich ihre aus den Hierarchien der Zivilisation geschöpfte Macht auch in der Wildnis anmaßten) beratschlagte auf einem erhöhten Deck in der Floßmitte, ob die Geschwächten nicht auf halbe Ration gesetzt werden sollten, entschied sich aber schließlich für eine eindeutige Lösung: die Schwächsten würden ins Meer geworfen werden, damit die zur Neige gehenden Vorräte für die Stärkeren übrig blieben. Wir wissen genau über die Beratschlagungen Bescheid, weil mehrere der insgesamt fünfzehn Überlebenden nach ihrer Rettung Berichte verfasst haben, die Aufsehen erregten, vor allem wegen des mit schlechtem Gewissen beschriebenen Kannibalismus. Da auf dem Floß einige frische Leichen herumlagen, musste im Gegensatz zu manch anderer Katastrophe auf hoher See niemand zu Ernährungszwecken geopfert werden. 1766 hatte die Besatzung der havarierten The Tiger einen der transportierten Sklaven getötet und sein Fleisch geräuchert. Nach dem Schiffbruch der amerikanischen Slup Peggy wurde ebenfalls ein Afrikaner zum Wohle der weißen Gemeinschaft durch einen Kopfschuss geopfert und in Salzlake eingelegt, was den Überlebenden für neun weitere Tage Nahrung sicherte. So brutal und bestialisch diese Ereignisse uns erscheinen mögen, sie unterscheiden sich nicht grundsätzlich von den sozialen und wirtschaftlichen Interdependenzen, die gegenwärtig global vorherrschen, und ihren katastrophalen Folgen.

Die entscheidende Frage bei real oder vermeintlich existierender Überbevölkerung lautet: Auf wen können wir verzichten? Diese Frage wird niemals im Sinne der Gemeinschaft reflektiert, sondern von der Evidenz der Machtverhältnisse beantwortet – die Schwächsten gehen über Bord oder werden aufgefressen. Die Elite hegt keinen Zweifel an der eigenen Unersetzlichkeit, die Reichen zweifeln nicht an ihren gottgegebenen Privilegien, und die Oberschicht glaubt sich per se wertvoller als die Unterschicht. Insofern birgt der oft leichtfertig dahingesagte Satz »es gibt zu viele Menschen« enormen ethischen Sprengstoff.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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