Der Versteckspieler - Herbert Günther - E-Book

Der Versteckspieler E-Book

Herbert Günther

3,8

Beschreibung

Wilhelm Busch (1832–1908), Schöpfer von rabenschwarzen, abgründigen Bildergeschichten, war schon zu Lebzeiten eine Legende. Er selbst jedoch maß diesen Geschichten wenig Bedeutung bei, für ihn waren sie seine 'leichte Betriebsamkeit', und er fühlte sich vom Ruhm seiner skurrilen Gestalten verkannt. Doch seine Gemälde, das für ihn eigentlich Bedeutsame, hat er ängstlich vor den Augen der Welt verborgen. Schein und Sein war ein ewiges Thema seines Lebens. Mit kritischer Sympathie erzählt Herbert Günther, Niedersachse wie Busch, den Lebensweg des verletzlichen, sensibel-mürrischen und oft einsamen Menschen nach. Im Wechselspiel von Nähe und Ferne entsteht vor den Augen der Leser ein facettenreiches Bild vom Leben, Werk und von der Zeit des erfolgreichsten deutschen Humoristen, der eigentlich ein Maler und ein wenig auch ein Philosoph sein wollte.

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Herbert Günther

Der Versteckspieler

Die Lebensgeschichte des Wilhelm Busch

»Der Versteckspieler« erschien 1991 beim Union Verlag, Fellbach, und 2002 bei Beltz & Gelberg, Weinheim.

© 2011 zu Klampen Verlag • Röse 21 • D-31832 [email protected] • www.zuklampen.de

Umschlag: »In Zeiten wie diesen« – Büro für Kommunikation, Konzept & Kreation, Hannover

ISBN 978-3-86674-132-4

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über «http://dnb.d-nb.de» abrufbar.

»Kein Ding sieht so aus, wie es ist.

Am wenigsten der Mensch,

dieser lederne Sack voller Kniffe und Pfiffe.«

Wilhelm Busch

Feldweg bei Wiedensahl. Zeichnung von Wilhelm Busch

Was weiß ich denn noch aus meinem dritten Jahr?

Knecht Heinrich macht schöne Flöten für mich und spielt selber auf der Maultrommel, und im Garten ist das Gras fast so hoch wie ich, und die Erbsen sind noch höher; und hinter dem strohgedeckten Hause, neben dem Brunnen, stand ein Kübel voll Wasser, und ich sah mein Schwesterchen drin liegen wie ein Bild unter Glas und Rahmen, und als die Mutter kam, war sie kaum noch ins Leben zu bringen.

Wilhelm Busch, Von mir über mich

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Zitat

Vorwort

I. Draußen vorm Dorf

Sammelbilder: 1832-1841

II. Moritz trifft Max

Sammelbilder: 1841-1851

III. Der Versager

Sammelbilder: 1851-1865

IV. Im Haus der besseren Leute

Sammelbilder: 1865-1873

V. Fanny und Wilhelm

Sammelbilder: 1874-1880

VI. Der Skandal

Sammelbilder: 1881-1908

Rotjacken in kühler Umgebung

Zeittafel

Quellen- und Literaturverzeichnis

Empfehlung

I Draußen vorm Dorf

Auf dem Weg von der Schule ist auf einmal Krischan neben ihm. Sie schlendern um den Teich in der Mitte des Dorfes, beäugen sich misstrauisch aus den Augenwinkeln. Endlich rückt Krischan raus mit der Sprache.

»Ihr habt doch Pulver in eurem Laden?«

»Was für Pulver?«, fragt Wilhelm.

»Peng!«, macht Krischan und lacht. Er zieht einen großen verrosteten Kirchenschlüssel hervor und hält ihn Wilhelm unter die Nase. Der Schlüssel ist mehr als doppelt so lang wie seine Hand und innen hohl.

»Da«, sagt Krischan und zeigt auf ein fingerkuppengroßes Rostloch am Schlüsselhals. »Blei ist schon drin. Brauch nur noch das Pulver. Und dann …« Er bläst die Backen auf. »Pamm! … Peng! … Bum!« Krischan explodiert förmlich vor Wilhelms Augen. Sein Grinsen wirkt ansteckend.

»Und wenn wer was merkt?«, fragt Wilhelm.

»Pah«, macht Krischan und sieht ihn verächtlich an.

Schon ist Wilhelm wieder der brave Kaufmannssohn, der er nicht sein will. Er weiß, wo Pulver zu finden ist.

»Wann denn?«, fragt er und hat sich noch längst nicht entschieden.

»Heute Nachmittag«, sagt Krischan. »Draußen im Wald. Du kommst mit mir mit.«

Dieser letzte Satz gibt den Ausschlag. Wilhelm nickt.

»Das gibt einen Knall, das hören sie bis Loccum rüber!«

Bloß nicht, denkt Wilhelm. Aber standhaft bleibt er diesmal dann doch.

Eine halbe Stunde später schleicht er auf den Speicher und füllt aus dem steinernen Krug eine Tüte mit Pulver ab.

Am Nachmittag wartet er draußen vorm Dorf auf Krischan. Endlich kommt er über den Grasweg zwischen den Ackerstreifen. Er führt die beiden Kühe des Küsters am Strick, eine schwarze und eine braune. Schon von weitem winkt er herüber und johlt. Muss er so einen Spektakel machen, ärgert sich Wilhelm.

Aber je weiter sie sich dann vom Dorf entfernen, je kleiner das Elternhaus hinter ihnen wird, umso höher steigt seine Erwartung. Er spürt eine kribblige Vorfreude auf Weißnichtwas, nicht nur auf den Knall. Im Tempo gemächlicher Kuhschritte nähern sie sich dem Wald.

Barfuß, mit mehrfach geflickter Hose, zerrissenem Hemd, kräftigen Armen, mit rundem, offenem Gesicht, so gehört Krischan hierher in Wiesen und Wald wie die Ähre zum Halm. Krischan sagt Ja oder Nein, entweder ist man sein Freund oder man prügelt sich mit ihm. Alles »vielleicht« oder »weiß nicht« gilt nicht für Krischan.

Tatsächlich ist der Knall so mächtig, wie er es noch nie vorher gehört hat. Sogar die Kühe, die Wilhelm am Rand der Waldwiese am Strick hält, heben neugierig die Köpfe. Schwarz verkohlt liegt der Kirchenschlüssel im Gras. Krischan tanzt von einem Bein auf das andere, rundherum um den Schlüssel, tanzt durch den abziehenden Rauch, springt hinüber und herüber wie Luzifer und schreit ein vielfaches Echo heraus: »Bam! Peng! Bum!«

Als hätte er die Geister heraufbeschworen, laufen sie aus allen Richtungen auf die Lichtung: Hinnerk und Kord, Johann, Anna, Grete und Christine. Johlend umkreisen sie Krischan, der hält den Schlüssel triumphierend hoch in die Luft, tut, als ob er noch heiß wäre, schleudert ihn zurück ins Gras, johlt und tanzt wie wild.

Wilhelm bindet die Kühe an den nächsten Baum, und dabei sieht er auf dem Waldweg jenseits der Lichtung die spindeldürre Gestalt des Bauern Bolte, der neugierig herübersieht. Für einen Moment treffen sich ihre Blicke und der alte Bolte kratzt sich hinter dem Ohr. Dass die Hütekinder lärmen und Unfug treiben, das ist er gewohnt; dass der Sohn des Krämers dabei ist, ist neu. Eilig wendet er sich ab und stiefelt schnurstracks in Richtung Dorf.

Wilhelm zögert. Aber das Johlen im Ohr überstimmt alle Bedenken. Er dreht sich um und rennt in den Kreis der ausgelassenen Kinder. Sie nehmen ihn auf ohne ein Wort, ohne einen scheelen Blick, und bald spürt er Christines warme Hand in seiner Linken, Johanns Warzengerunzel in seiner Rechten, sie tanzen um Krischan herum und singen: »Der Has ist tot! Der Has ist tot!«

Dann entzünden sie mitten auf der Waldwiese ein Feuer. Krischan holt aus seiner Reisighütte von seinem Kartoffelvorrat, auch Anna und Harmschlüters Hinnerk sind heute damit an der Reihe. Alles geschieht mit wenigen Handgriffen, entschlossen und schnell. Eine eigene, wortlos geregelte Ordnung herrscht hier draußen, und als sie ums Feuer herumsitzen, wundert sich Wilhelm auch nur noch wenig, als hinter dem großen selbstsicheren Krischan, der sich schläfrig zurücklehnt, Grete kniet, ihm die Flöhe aus dem Haar pult und einen nach dem anderen zwischen den Fingern zerdrückt. Anna sucht Hinnerks Haar ab, nur Christine scheint weder Kord noch Hinnerk zuzugehören. Sie sitzt ein wenig abseits und hat keinen Blick für die Pärchen.

Während des dösigen Schweigens streift ihn Johanns Blick und der scheint nun doch so etwas zu sagen wie: »Was will der hier, der Hosenscheißer?« Aber Krischan weist Johann zurecht; Krischans Augen sagen: »Er steht unter meinem Schutz. Er hat das Pulver besorgt.« Wortlos ist auch das schnell erledigt.

Dann bewundert Wilhelm ausführlich Kords großes Messer mitsamt Lederscheide, ein Geschenk von seinem weggelaufenen Vater, um das Wilhelm ihn ehrlich beneidet. Kord prüft damit die Kartoffeln im Feuer, und als sie ihm weich genug erscheinen, spießt er sie auf und teilt jedem zu.

Herrlich schmecken die gebackenen Kartoffeln, aber sie machen durstig. Krischan hockt sich unter die braune Kuh, zieht eine Zitze zu sich her und melkt ein paar Spritzer in den weit geöffneten Mund. Dann fordert er Wilhelm auf, es ihm gleichzutun, aber Wilhelm fährt der warme Kuhmilchstrahl über die Wangen, rinnt unter den Kragen, bis in die Achselhöhlen hinein.

Die anderen lachen, aber fürsorglich ist da Christine mit einem Grasbüschel und wischt ihm die Milch aus dem Gesicht, selbstverständlich und ohne Getue.

Dann macht Hinnerks Tonpfeifenstummel die Runde. Die Mädchen sind davon ausgeschlossen. Nur wenn das knisternde, trockene Kraut keinen Dampf mehr absondert, fällt es den Mädchen zu, einen brennenden Span über den Pfeifenkopf zu halten.

Der Nachmittag vergeht wie im Flug. Sie treten das Feuer aus und ziehen mit den Kühen ein Stück am Waldrand entlang. Johann findet ein seltsam verwachsenes Wurzelstück, das dem Gesicht des Lehrers Bohnhorst gleichen soll. Sie werfen es von einem zum anderen, jeder treibt seinen Spott mit dem Abbild des Peinigers, und als es wieder bei Johann landet, wirft er es hinter sich auf die Erde, dreht sich um und pinkelt darauf. Johlend ziehen sie weiter.

Die Sonne senkt sich dem Horizont zu, die Abendglocke tönt herüber und gemächlich trotten Mensch und Tier dem Dorf entgegen. Zufrieden fühlt Wilhelm sich, tief einverstanden mit allem, was um ihn herum ist, angenehm schwer und müde in den Gliedern, als hätte er den ganzen Tag lang gearbeitet. Am Dorfrand wehen ihnen Essensgerüche entgegen, Bratkartoffelherrlichkeiten, geröstete Zwiebeln, hier und da vielleicht sogar Speck. Wilhelm läuft das Wasser im Mund zusammen; wie noch nie freut er sich auf das Essen. Als er sein Elternhaus erreicht, ist er voll gepumpt mit Freude, und die Bilder des Nachmittags drehen sich in ihm, geheimnisvoll lockend.

Aber vor der Haustür erwartet ihn der Vater mit strengem Gesicht. Sofort weiß Wilhelm Bescheid. Er hat es im Wald schon gewusst, aber nicht wahrhaben wollen und dann einfach vergessen. Der Vater schiebt ihn vor sich her, die Treppe zum Speicher hinauf, drängt ihn vor den steinernen Krug und sagt nur ein schneidendes Wort: »Nun?«

Wilhelm schlägt die Augen nieder und schweigt.

Der Vater greift ihn am Ohr, dreht es herum, und dann pfeift der Rohrstock durch die Luft, trifft Wilhelms Rücken, er schreit und rennt los, immer rund-herum um den Krug, der Vater hinter ihm, hält ihn am schmerzenden Ohr.

Der Vater brüllt. Das Ohr schmerzt. Wilhelm rennt und schreit, als solle er aufgespießt werden. Die Schläge treffen ihn im Nacken, am Knie, in der Seite, überallhin. Am schlimmsten aber brennt ihm das Ohr.

Endlich kann er entwischen und flüchtet stolpernd die Treppe hinunter. Unten wartet die Mutter, die alles mit angehört hat. Aber sie weicht aus, als er sich weinend in ihre Arme stürzen will. Sie zieht ihn hinein in die Kammer.

Ohne Abendessen geht Wilhelm ins Bett. Lange noch liegt er mit offenen Augen und die Gedanken wollen keine Ruhe geben. Er fährt sich durchs Gesicht und spürt die klebrige Milch auf der Wange. Mit der Zunge leckt er danach, reicht aber nur bis zum Rand.

Da ist was, denkt er, draußen vorm Dorf. Prickelnd, warm wie Kuhmilch, schwebend. Da ist die Freiheit, das Leben. Vielleicht hat es mit dem Bösen zu tun, wovor sie ihn warnen, die Eltern, der Lehrer, der Pfarrer. Herrlich ist es. Unbeschreiblich. Zerbrechlich aber. Wenn nur einer dran rührt, springt’s entzwei. Verstecken wird er’s. Keiner soll es ihm nehmen.

Schlag du nur, denkt er trotzig zu seinem Vater hin. Schlag du nur. Diesen Nachmittag wirst du nicht aus mir herausprügeln können.

Sammelbilder 1832-1841

Das Dorf, das Zuhause, Bauernhöfe links und rechts der Straße, der Besitz, die Weiden und Acker, handtuchförmig ausgestreckt hinter jedem Hof bis weit in das flache Land hinein. Der Mensch hat die Natur gezeichnet mit bäuerlichem Nutzungswillen, alles ist ausgemessen und zugeordnet, die Ackerstreifen bis zu 1300 Meter lang, manchmal nur sechs Meter breit. Wiedensahl im Königreich Hannover, 140 Häuser, 850 Einwohner, ein Hagen-Hufen-Dorf aus dem 13. Jahrhundert, zwischen Stadthagen und dem Kloster Loccum, nahe dem Steinhuder Meer. Übersichtlich scheint alles, die Verhältnisse geordnet, bescheidener Wohlstand oder Armut je nach Geburt vorbestimmt.

Dass in diese Strenge hinein am 15. April 1832 ein Humorist geboren wird, scheint auf den ersten Blick verwunderlich. Auch ein Blick in die Ahnenreihe lässt wenig Scherzhaftes erwarten. Väterlicherseits sind es ausschließlich bäuerliche Vorfahren, mütterlicherseits Wundärzte, Apotheker, Pfarrer, der Reformator Corvinus, Hofräte, Bürgermeister und Handwerker. Und doch gibt es beiderseits etwas, das der Norm nicht entsprach.

Friedrich Wilhelm Busch, der Vater, Bauernsohn aus dem westfälischen Ilvese bei Minden, war vorehelich geboren, und Wilhelm Busch hieße Wilhelm Emme, hätte nicht der Großvater Busch darauf gedrungen, dem Enkel auch nach der Heirat seiner Tochter mit dem Kindsvater den Namen Busch zu belassen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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