Der Wald, der die Seele nahm. - Marcel Kraeft - E-Book

Der Wald, der die Seele nahm. E-Book

Marcel Kraeft

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Beschreibung

"Der Wald, der die Seele nahm" gibt Einblicke in Steves Gedankenwelt und zeigt einen tief verunsicherten Mann, der keinen Ausweg mehr als Selbstmord sieht. Doch genau diese Absicht ruft Mächte auf den Plan, die von Steve nichts anderes erwarten, als dass er den verbannten Seelen seines Dorfes endlich Ruhe bringt. Dazu muss sich Steve seinen inneren Dämonen und jenen, die das Dorf und seine Bewohner beherrschen, stellen.

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Seitenzahl: 403

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Der Wald, der die Seele nahm

Marcel KraeftDas BuchDer AutorDer Wald, der die Seele nahmDer TraumDas SchiffAuf der SucheDer schwarze ReiterHelenDer ArztDer SonnenuntergangDer König von RaklettanDie Befreiung von RaklettanDie WahrheitDie AufgabeDer SturmDie vergessene StadtDas falsche SchlafzimmerDie HetzjagdDie RückkehrSarahs RacheDer einsame ReiterDas RathausTrauerEin trauriger TagNeue HoffnungDer AufstandDer letzte TagZwei Tage späterDanksagungImpressum

Marcel Kraeft

Der Wald, der die Seele nahm.

Das Buch

Der Wind rauschte und warf seine Klänge ab, wenn er um die Häuser und durch die Gassen, die vielleicht ihre eigenen Geschichten erzählen konnten, zog. Der Wind rauschte, wenn er über die Felder zog und die Getreidehalme dabei beinahe umknickte. Der Wind brachte die Blätter der Bäume in den Wäldern zum Flüstern.

Steve genoss den Wind, wenn er auf dem Weg zu seinem Steinbruch war.

An diesem Rückzugsort beschließt Steve, seinem einsamen Leben ein Ende zu setzen. Doch genau dieser Entschluss setzt Ereignisse in Gang, die Steve an der Realität zweifeln lassen. Verbannte Seelen, Dämonen und seine große Liebe Helen stellen Steves Leben auf den Kopf und er muss sich nicht nur seinen Selbstzweifeln stellen, sondern auch der Vergangenheit des Dorfes.

Der Autor

Marcel Kraeft ist in Hannover geboren. Er ist gelernter Karosseriebauer und hat 2016 seinen Karosseriebau- und Fahrzeugbaumeister absolviert. Seine Leidenschaft zum Schreiben fand er vor etwa 7 Jahren. Der Wald der die Seele nahm ist sein erstes Buch. Trotz seiner Schreib- und Leseschwäche ist es ihm gelungen dieses Buch zu verfassen. Weitere werden mit Sicherheit folgen.

Der Steinbruch

Der Wind rauschte und warf seine Klänge ab, wenn er um die Häuser und durch die Gassen, die vielleicht ihre eigenen Geschichten erzählen konnten, zog. Der Wind rauschte, wenn er über die Felder zog und die Getreidehalme dabei beinahe umknickte. Der Wind brachte die Blätter der Bäume in den Wäldern zum Flüstern.

Steve genoss den Wind, wenn er auf dem Weg zu seinem Steinbruch war. Er beobachtete alles ganz genau und freute sich, wenn er dabei zuschauen konnte, wie ein Blatt, durch den Wind aufgewirbelt, auf dem Weg um ihn herumtanzte. Solche Momente machten ihn glücklich. Es war das Einzige, was er noch hatte. Steve Readon war sehr einsam und gezeichnet von dem Leben, das hinter ihm lag. Er war groß und hatte zu seiner stattlichen Größe ein sehr markantes Gesicht, das schon ziemlich in Mitleidenschaft gezogen und über die Jahre hinweg gezeichnet war. Aus Bekleidung machte er sich auch nichts, seine kleine Garderobe genügte ihm. Die Sachen, die in seinem Schrank hingen, ähnelten denen eines Försters, nur die Flinte fehlte noch. Er war ein einfacher, jedoch schwieriger Mensch Anfang vierzig. Es störte ihn nicht, was Andere von ihm dachten. Dafür war er viel zu stolz und genoss die Ruhe, die er dadurch hatte. Das stellte er schon damals fest, bei seinen Bekanntschaften, die er hatte. Für die war er ein interessanter, geheimnisvoller Mensch. Manchmal nervten sie ihn nur, aber manchmal war er auch froh, dass er nicht alleine war. Nach einiger Zeit trennten sich die Damen immer von ihm. Sie hielten es nicht lange mit ihm aus, mit seiner kalten und mürrischen Art. Bis auf eine, die letzte Frau, Helen. Sie war anders und blieb am längsten an seiner Seite. Was die Leute aus dem Dorf hinter ihrem Rücken tuschelten, störte sie nicht. Die Dorfbewohner fragten sich immer, wie so eine Frau mit einem wie Steve zusammen sein konnte. Für Steve lag das Problem bei ihm selbst, er wusste, es lag an ihm, an seinem Verhalten. Er konnte und wollte sich nicht ändern, hing aber sehr an ihr. Umso trauriger war er, als sie ihn eines Tages doch verließ.

Für sein Problem gab es nur eine Lösung. Steve liebte es über alles, zu seinem Steinbruch zu wandern, und so ging er, wie jeden Tag, durch den Wald dorthin, um alles zu vergessen. Er packte sich immer vor der Arbeit seinen kleinen Rucksack. Er nahm ein paar Kekse oder Kuchen mit. In der Frühe des Morgens setze er sich einen Fencheltee auf, der im Laufe des Tages abkühlen konnte. Er mochte ihn nur kalt. Fröhlich und gut gelaunt stürmte er wie ein kleiner Junge durch sein bescheidenes, heruntergekommenes Haus, das eigentlich nur noch zum Abreißen einlud, schnappte sich seinen Rucksack und machte sich auf den Weg zum Steinbruch. Manchmal, wenn er dort oben auf seinem Stein saß und über seine Vergangenheit nachdachte, verspürte er das Gefühl, Anlauf zu nehmen und sich vom Steinbruch stürzen zu wollen.Komisch. Irgendwie hatte alles keinen Sinn mehr. Aber im nächsten Moment dachte er, wie schön es doch ist, hoch zum Steinbruch zu gehen. Der Steinbruch war riesig, atemberaubend, so gewaltig von der Natur erschaffen, dass man das Gefühl hatte, als könnte man fliegen. Denn das Letzte, das man sehen konnte, war, wie sich das Ende des Horizonts abzeichnete und mit der Kante des Steinbruchs verschmolz. Gemütlich stopfte er seine Pfeife und genoss den Rest des Tages. Wenn er wieder den Heimweg antrat, war er traurig, dass seine Zeit am Steinbruch schon vorbei war, die Zeit an seinem schönen Plätzchen. Wie immer, wenn er durch das Dorf ging, kam er an Helens Haus vorbei und tat so, als würde er es nicht bemerken. Ständig redete er sich ein, dass es mit ihr vorbei war. Sie soll doch an Land gewinnen, aber im tiefsten Innersten fehlte sie ihm. Was er aber nicht wusste, war, dass Helen sich jeden Tag hinter einer Gardine versteckt, um ihn beim Vorbeigehen zu beobachten. Manchmal überlegte Steve sich, ob er nicht einfach an ihre Tür klopfen und fragen sollte, wie es ihr in der letzten Zeit ergangen war. Doch das könnte er niemals tun. Sein Stolz ließ das nicht zu und in diesem Moment war es ihm auch egal, dass er Schuld am Ende ihrer Beziehung hatte, dass alles so verlaufen war, denn schließlich hatte sie sich von ihm getrennt. Oft tat er so, als ob er noch einen dringenden Termin hätte, und ging zügig an ihrem Haus vorbei. Es hätte ja sein können, dass Helen plötzlich aus dem Haus kam und er würde dann in eine unerwartete Situation geraten, in der er vor lauter Aufregung nicht wüsste, was er sagen sollte. Diese Blöße wollte er sich vor ihr nicht geben. So verging ein Tag nach dem anderen, ganze Monate, immer derselbe Ablauf. Bis zu jenem Tag.

Die ganze Nacht schon plagten ihn Alpträume, er konnte sie aber nirgends einordnen. Ein Gefühl von Vorwürfen ließ ihn nicht los. Er stand die ganze Zeit vor seinem Spiegel, schaute sich an und merkte, dass er gar nicht wusste, wer er war.So viele Jahre, was war nur geschehen? Später, auf der Arbeit, dachte er die ganze Zeit über sich nach, sodass er sich nicht einmal auf das Wesentliche konzentrieren konnte. Er beschloss, ein paar Tage Urlaub zu nehmen.

Steve hatte so viele Urlaubstage angesammelt, dass sein Chef sie eigentlich hätte auszahlen müssen. Als er um den Urlaub bat, schickte der Chef ihn gleich, wenn auch mit einem leicht vorwitzigen Lächeln, früher nach Hause. Selbst auf dem Heimweg dachte Steve ununterbrochen nach, es ging ihm schlechter, so sehr, dass sich schon Schweißperlen auf der Oberlippe bildeten. Wie immer gab es für ihn nur eine Lösung. Er musste zum Steinbruch, dann würde es ihm schon wieder besser gehen. Er war wie besessen vom Steinbruch. Diesmal ging er gar nicht erst nach Hause, sondern gleich weiter. Er vernahm eine unnatürliche Ruhe im Dorf. Niemand war zu sehen. Irgendwas stimmte nicht. Auch der sanfte Wind, der ihn sonst immer begleitete, war nicht da. Es war so ruhig und so still, als hätte jemand die Zeit angehalten. Aber er ließ sich nicht aufhalten und ging zielstrebig in den Wald. Als er auf der Hälfte des Weges angekommen war, bemerkte er, dass er schon ziemlich außer Atem war. Er musste kurz anhalten, um zu verschnaufen. Plötzlich vernahm er undefinierbare Stimmen, die aus dem Wald kamen. Erschrocken drehte Steve sich um.Ist da jemand? Niemand antwortete, die Stille war alles, was er vernehmen konnte. Er schüttelte den Kopf, dachte sich nichts mehr dabei und setzte seinen Weg fort. Plötzlich, ein Windstoß traf ihn mit der Wucht eines Schlages, sodass er im selben Moment seinen Atemrhythmus verlor und zu Boden fiel. Zugleich waren wieder diese Stimmen da, sie umkreisten ihn. Steve versuchte aufzustehen, aber beim ersten Versuch gelang es ihm nicht und er fiel abermals zu Boden. Er versuchte sich zum nächsten Baum zu schleppen, um sich daran abzustützen. Wieder kam ein Windstoß, ließ ihn zurückrollen, sodass er den Baum gar nicht erst erreichte. Was ist hier los? Er wurde, wie es seine Art war, wütend und bekam es gleichzeitig mit der Angst zu tun. Er schob dieses Gefühl weit von sich weg und versuchte wieder auf die Beine zu kommen – diesmal gelang es. Schaudernd und immer um sich blickend und angestrengt lauschend ging er weiter. Der Wind und die Stimmen waren so schnell verschwunden, wie sie gekommen waren. Als er, mit den Nerven am Ende und völlig erschöpft, am Steinbruch ankam, atmete er erstmal tief durch. Noch immer fragte er sich, was das wohl gewesen war und setzte sich auf seinen Stein, auf dem er immer saß. Fragen über Fragen überkamen ihn. Was ist los mit mir? Diese Alpträume, das Geschehen im Wald. Zum ersten Mal hatte er keine Lösung für ein Problem. Unvermittelt waren die Stimmen wieder da, sie peitschten direkt an ihm vorbei und verschwanden in der Weite des Steinbruchs. Er versuchte den Stimmen zu lauschen, konnte aber nichts heraushören. Langsam kroch die Angst wieder in ihm hoch. Ein Trampeln in der Ferne ließ seinen Atem stocken. Unmittelbar vor ihm schlug ein Blitz ein. Voller Angst sprang er rückwärts, hinter einen Felsen, an dem er sich eine Platzwunde am Hinterkopf zuzog und sich fast das Genick gebrochen hätte. Im selben Moment hörte er, wie das Trampeln immer lauter wurde. Es klang wie eine Pferdeherde. Er versuchte sich hinter diesem Felsen zu verstecken und schüttelte den Kopf. Was passiert denn hier? Der Boden fing an zu vibrieren, im selben Takt wie das Trampeln, das geradewegs auf ihn zukam. Steve versuchte sich zu beherrschen, aber sein Puls schlug so heftig und er wusste nicht, was er machen sollte. Er fror und zitterte am ganzen Körper, die Temperatur fiel und fiel, es wurde bitterkalt und es fing an zu schneien. Er versuchte sich zusammenzureißen und sich zu beherrschen, aber es ging nicht. Aus Angst liefen ihm Tränen über die Wangen, die er sich immer wieder mit den Armen wegwischte. Das ist alles ein Traum, alles ein Traum, nurein Traum. Auf einmal wurde es ruhig, das Trampeln hörte auf, die Stimmen waren verschwunden.

Steve versuchte sich so klein wie möglich zu machen, als würde er versuchen, sich unter dem Stein zu verkriechen. Er wartete einen Moment. Plötzlich erreichte ihn ein grüner Nebel, der langsam über den Boden schlich und ihn verschlang. Es war immer noch still.So still, als hätte jemand die Welt angehalten und wartete nur darauf, dass wir alle herunterfallen. Vorsichtig versuchte Steve, über den Stein zu schauen. Er erschrak so heftig, dass er gleich wieder nach hinten fiel und sich an der Steinwand hinter ihm wieder den Kopf stieß. Was ist das? Das kann doch nicht echt sein! So etwas hatte er noch nie gesehen. Trotzdem, er war neugierig, lehnte sich abermals nach vorne und schaute vorsichtig über den Stein. Er schüttelte den Kopf, rieb sich die Augen und konnte es immer noch nicht glauben. Da stand eine riesige Kutsche, die Tür offen und hundert Pferde davor gespannt. Der Atem, der aus ihren Nüstern und Mäulern dampfte, glich dem grünen Nebel, der schon überall zu sein schien. In der Kutsche stand ein Mann, er war ziemlich groß, trug einen langen Mantel und einen langen Bart. Steve nahm seinen Mut zusammen, stand vorsichtig auf und versuchte sich mit kleinen Schritten zu nähern. Langsam durchbrach er den Nebel, der sich gleich hinter ihm wieder schloss. Mit ängstlicher Stimme rief Steve dem Mann zu: „Wer sind Sie?“ Er zeigte keine Regung, also versuchte Steve es erneut: „Wer sind Sie, wo kommen Sie her?“ Er wagte sich weiter heran, versuchte auf dem Weg dorthin mehr zu erkennen und sah, dass die Kutsche mit den vielen Pferden direkt vor der Steinbruchkante schwebte. Es war unglaublich. Dort, von wo man sonst bis zum Horizont schauen konnte, war ein Gebräu von braunen und schwarzen Wolken, durchzogen von Blitzen und grünen Nebel. Es entstand der Eindruck, als würde die Kutsche direkt aus der Hölle kommen. Steve war schon sehr nahe herangekommen, rief immer wieder zu dem Mann, erhielt aber nie Antwort. Als er an der Kante des Steinbruchs ankam, nur noch einen Schritt von der Kutsche entfernt war, drehte der Mann unvermittelt seinen Kopf herum, von einer Sekunde auf die andere. Steve zuckte zusammen, fiel erschrocken nach hinten auf sein Gesäß und hielt den Atem an. Der Mann öffnete seinen Mund und der grüne Nebel kroch heraus auf den Boden. Steve war so geschockt, dass er fast vergaß zu atmen. Im selben Moment sagte der Mann mit tiefer, vibrierender, rauer und lang gezogener Stimme: „Du hast uns gerufen, steig‘ ein.“

Voller Angst und Panik sprang Steve schreiend vom Boden auf und versuchte, so weit wie möglich wegzulaufen. Aus der Ferne hörte Steve den Mann etwas sagen, es klang wie ein an die Pferde gerichteter, lauter Zuruf und das Trampeln begann erneut. Steve drehte sich vor Angst um, stolperte dabei über eine Baumwurzel und fiel im selben Moment, als er sah, wie die vielen Pferde mitsamt Kutsche und dem Mann über ihn hinwegsetzten. Steve versuchte sein Gesicht mit den Armen zu schützen und wurde, von der Gewalt der Eindrücke übermannt, ohnmächtig.

Nach einiger Zeit kam er langsam wieder zu sich, hielt aber die Augen immer noch vor Angst geschlossen. Er atmete erst einmal tief ein und bemerkte, dass er auf etwas Weichem lag. Noch immer roch es nach Pferden und er vernahm ein Wiehern. Vor Angst zuckte er sofort zusammen.Er ist noch immer hier! Vorsichtig öffnete er die Augen und musste ungläubig schmunzeln. Er konnte es nicht fassen. Die Umgebung kam ihm bekannt und sehr vertraut vor. Dann wusste er es. Es war der Pferdestall seines Nachbarn. Er lag in einer Box, in der sich ein Pferd befand, das gerade äpfelte. Wie bin ich vom Steinbruch hierher in den Stall gekommen?

Der Traum

Sehnsucht überkam Steve. Ein Gefühl von Heimweh, er fühlte sich jetzt richtig einsam. Seit jenem mysteriösen Abend hatte Steve Angst, wieder zum Steinbruch zu gehen.

Sein Urlaub war vorbei und bei der Arbeit machte man sich auch schon Gedanken über ihn, obwohl Steve seinen Arbeitskollegen eigentlich immer egal war. Wegen seiner mürrischen Art und Weise wollte niemand etwas mit ihm zu tun haben. Nur das Nötigste, nicht mehr, nicht weniger. Steve war aber immer ein sehr zuverlässiger Mitarbeiter, und stets pünktlich. Seit einiger Zeit bemerkten sie, dass etwas mit Steve ganz und gar nicht stimmte. Er ging nach der Arbeit direkt nach Hause und hatte absolut keine Energie mehr. Selten ging er einkaufen, es war ihm angenehmer, nach der Arbeit auf dem Sofa zu liegen und zu hungern. Den Hunger stillte er dann meistens mit einem Glas Wasser.Dafür muss ich nur in die Küche oder das Badezimmer gehen. Meistens schlief er direkt nach der Arbeit ein, auf seinem alten braunen Sofa, an dem die Polster und die Lehnen so durchgesessen waren, dass er den Federkern hartnäckig an seinem Gesäß spürte. Dass er deswegen seit geraumer Zeit Rückenschmerzen davontrug, war ihm auch egal. Irgendwie hatte alles keinen Sinn mehr für ihn. Das Einzige, was er noch hatte, war sein Wald, den er immer durchkreuzte, um zu seinem geliebten und jetzt gefürchteten Steinbruch zu kommen. Das Schlimmste war, dass er sich die Geschehnisse noch immer nicht erklären konnte. Was war da passiert?Bilde ich mir das nur ein? Er versuchte, sich selber Ausreden einfallen zu lassen, um zumindest irgendeine Erklärung zu finden, damit er wieder zum Steinbruch gehen könnte.

Eines Morgens verspürte er eine Besinnungslosigkeit, die in Gleichgültigkeit umschlug. Er redete sich ein, alles, was nur möglich war, dass alles, was er in seiner Vergangenheit erlebt hatte, ihm egal geworden war, ob er noch Angst hatte oder dabei sterben könnte. Nachdem er für sich alles durchdacht, bedacht und mit sich beredet hatte, hatte seine Lösung gefunden: Er musste hoch, sich wieder aufraffen. Mit seinem letzten Mut, der letzten Entschlossenheit, die er noch zusammenraffen konnte, machte er sich auf den Weg. Schon auf den ersten Metern bemerkte er, dass er die ganze Zeit über sehr schwach geworden war. Er hatte ja kaum noch gegessen, er war nun doch sehr abgemagert und wirkte zudem sehr krank. Einen Schritt nach dem anderen setzte er, immer wieder ein paar Schritte. Noch nie war ihm etwas so wichtig gewesen. Er kämpfte mit sich selbst. Immer wieder und wieder hielt er an, um zu verschnaufen. Sein kariertes Hemd war schon völlig klamm, klamm von seinem Körperschweiß. Haare und Hemdkragen waren durchnässt. Er zog einen Geruch hinter sich her, als hätte er schon mehrere Tage nicht mehr geduscht und seine Kleidung nicht gewechselt. Vor Anstrengung fiel ihm das alles gar nicht auf. Es gab nur ein Ziel –ich muss die Steinplatte oben am Steinbruch erreichen. Die Puste ging ihm immer wieder aus, und während er durch den Wald ging, stützte er sich an den Bäumen ab. Ein Ast, den Steve von einem Baum brach, war ihm eine Hilfe. Auf dem Weg zur Steinplatte überlegte er die ganze Zeit, was ihn wohl erwarten würde. Werde ich meine Angst bekämpfen können? Er redete sich ständig ein, dass dort bestimmt nichts Außergewöhnliches sein würde. Nach unendlich langer Zeit und einem letzten Durchatmen kam er endlich an. Sofort setzte er sich und genoss die wundervolle Aussicht. Der Wind rauschte, wie immer, an seinem Rücken vorbei und verschwand hinter einer Felswand, bis der nächste Windstoß kam. Steve saß einfach nur da und war selig. Plötzlich vernahm er ein Knacken aus dem Wald, der neben der Steinplatte verlief. Steve zuckte sofort zusammen, bekam schnappte nach Luft und sein Puls schnellte in die Höhe. Dann hörte er wieder die Stimmen, sie kamen direkt auf ihn zu! Nicht schon wieder! Er blinzelte, um vielleicht irgendetwas im Wald zu erkennen. Die Stimmen wurden immer lauter, es schien, als würde jemand lachen. Vorsichtig rutschte er mit seinem Rücken die Felswand entlang, bis er mit dem Gesäß den Boden berührte und versteckte sich. Noch immer konnte er nichts sehen. Erleichterung machte sich breit – es war nur ein Pärchen, das den Waldpfad herunter kam. Sie waren gut gelaunt und scherzten über die Sachen, die sie sich gegenseitig erzählten. Sie bekamen gar nicht mit, dass Steve sich hinter dem Felsen versteckte. Sie waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Durchatmend stand er wieder auf und freute sich, dass seine Befürchtungen sich in Rauch aufgelöst hatten. Er saß noch eine ganze Weile zufrieden und glücklich auf seinem Stein, genoss die Umgebung und spürte, wie sehr ihm das alles gefehlt hatte. Aber trotzdem fragte er sich immer wieder, was eigentlich an dem Tag, als er im Stall erwacht war, geschehen war. Er beschloss, dass es nicht weiter von Interesse oder Wichtigkeit für ihn war.

Es fing an zu dämmern und er hatte noch ein Stück Fußmarsch vor sich. In der Dunkelheit wollte er nicht durch den Wald gehen, schon der Tiere wegen, die dann den Wald durchstreiften. Fröhlich pfeifend trat er den Heimweg an.Nichts ist passiert, alles ist gut. Selbst später, als er ins Bett ging, bekam er das Lächeln gar nicht mehr aus dem Gesicht. So schlief er zufrieden ein.

Von diesem Tag an kam er nur noch gut gelaunt nach Hause. Er wusste, dass nichts mehr passieren würde – so dachte er zumindest. Steve verdrängte, was damals oben am Steinbruch passiert war und versuchte, nicht mehr darüber nachzudenken, sagte sich jedes Mal, wenn die Erinnerung wie der grüne Nebel durch seinen Kopf geisterte, dass es nur Einbildung gewesen war, oder dass er eingeschlafen sein, geträumt haben musste. Denn manchmal, wenn er oben auf dem Stein saß, schlichen sich die Bilder doch in seine Gedanken, es wollte ihm einfach nicht aus dem Kopf gehen. Ständig sah der diese Wurzel, über die er gestolpert war, von seinem Sitzplatz aus. Noch immer war es für ihn ein Rätsel, wie er nach Hause gekommen war.

Als er an einem Herbsttag etwas unterkühlt nach Hause kam, ging er sofort in die Küche, um Teewasser auf seinem Gasherd aufzusetzen. Plötzlich knackte es und Steve sackte zusammen. Eine Holzdiele war gebrochen. Sie war schon so morsch, dass sie Steves Gewicht nicht mehr standgehalten hatte. Es war vorhersehbar, dass die anderen bald folgen würden. Egal war es ihm trotzdem, auch wenn er sich gerade beim Durchbruch das Fußgelenk blutig geschrammt hatte. Steves Gleichgültigkeit siegte, er sah nur kurz mit schmerzerfülltem Blick an sich hinunter, sah seinen blutigen Fuß und freute sich eigentlich. Darüber, dass er kein Pflaster brauchte, denn seine Socke würde die Aufgabe eines Verbandes erledigen. Das Einzige, das ihn ärgerte, war, dass es jetzt noch mehr stank. Nach altem Fachwerkhaus. Er öffnete sogleich ein Fenster in der Küche. Er wusch sich kurz im Badezimmer, holte sich anschließend seinen Tee aus der Küche und ging in seine Wohnstube. Skeptisch las er die Tageszeitung und fand an jedem Artikel etwas auszusetzen. Seine Augen wurden müde und nach einiger Zeit schlief Steve ein. Seine Zeitung deckte ihn zu, sie hatte sich durch seine Atembewegungen wie eine Decke über ihn gelegt. Die Kerze, die er angezündet hatte, verglühte und ließ den Raum langsam abdunkeln. Es war Nacht geworden.

Plötzlich ein lauter Knall. Steve wachte sofort auf und sprang vom Sofa.Was war das? Von wo kam der Knall her?Ein Einbrecher, vielleicht? Er nahm vorsichtig die Forke, die aus schwerem Gussmetall bestand, vom Karmin. Das Adrenalin schoss ihm durch den ganzen Körper, vorsichtig und auf jedes Geräusch achtend arbeitete er sich von Raum zu Raum. Aber da war niemand. Leise ging er die Treppe hoch und lehnte sich dabei mit der Rückseite an die Wand, um mehr zu sehen. Es war so still im Haus, dass er selbst sein trockenes Schlucken hören konnte. Auch oben befand sich niemand. Es muss etwas umgefallen sein. Noch schnell wollte er, bevor er wieder hinunterging, von oben aus dem Fenster auf die Straße schauen. Von dort aus hatte er eine sehr gute Aussicht auf das Dorf. Es sollte nur ein schneller, prüfender Blick werden. Hin und sofort wieder weg. Als er das tat, brach er zusammen, sein Herz blieb fast stehen. Steve war geschockt. Sein Gesicht verzerrte sich angsterfüllt, leise wimmernde Schreie entfuhren seiner Kehle.

Er schluckte kurz und heftig, zwei, drei Mal, sodass seine Kehle kratzte. Dann stand er auf und ging wieder zum Fenster. Er hatte das Gefühl, dass er im Haus ziemlich sicher war und ihm nichts passieren würde. Leicht von der Seite des Fensters, um nicht gesehen zu werden, schaute er nochmals runter auf die Straße, die direkt vor seinem Haus verlief, und fasste sich mit beiden Händen auf den Kopf. Unten stand die Kutsche mit dem mysteriösen Mann. Überall war wieder der grüne Nebel. Für Steve hatte es den Anschein, als würde es nur noch sein Haus geben. Die anderen Häuser vom Dorf waren verschwunden, verschlungen vom grünen Nebel. Steve wusste nicht, was er tun sollte. Er dachte, der Mann würde ihn nicht sehen, wie er sich neben dem Fenster versteckte, doch der öffnete seinen Mund und sprach. Steve zuckte zusammen. Es hörte sich an, als stünde er direkt neben ihm: „Du hast uns gerufen …“. Wieder diese tiefe, vibrierende Stimme. Steve schaute vorsichtig über die Fensterbank, um den Mann zu sehen und stellte fest, dass dieser direkt in seine Augen sah. Vollkommen verängstigt kauerte Steve am Fenster.Er kann nicht ins Haus … Ich bin hier sicher … Plötzlich fing sein Haus an zu beben, Bilder fielen von den Wänden, Türen und Schränke gingen auf, Regale fielen herunter. Steve schaute wieder aus dem Fenster, um zu sehen, was der Mann tat. Er hörte wieder die Stimme: „Ich hol‘ dich!“ Auf einmal schoss, wie eine Rakete, sein alter Gasofen aus der Küche senkrecht nach oben, durchschlug den Boden der ersten Etage und das Dach, bevor er in einem riesigen Feuerschwall davonflog. Fassungslos verfolgte Steve den Flug seines Ofens. Was ist hier nur los? Er schaute zu dem Mann und sah, wie dieser einen dicken Stab hochhielt und in Richtung des Hauses zeigte. Steve schluckte und in derselben Sekunde explodierte das gesamte Obergeschoss. Ein heulender Sturm tobte um Steves Haus und verzehrte alle Überreste des Hauses. Der Sturm heulte, finster, schauerlich, bedrohlich. Steve sah nur, dass der Mann keine Miene verzog, nur seinen Arm bewegte. Er wusste, gleich würde wieder etwas passieren und sprang schnell auf, so schnell er konnte, und versuchte, sich in den Kellner zu retten. Dabei drehte er sich um und sah, wie Stück für Stück seines Bodens in die Lüfte verschwand. Es heulte fürchterlich. Panisch stürzte Steve die Kellertreppe hinunter und schlug sich beide Knie auf. Er sah, dass auch hier unten schon Teile seines Hauses fehlten und seine Küche, durch die entzündete Gasleitung, einem Flammenmeer glich. Kurz dachte er daran, als ein Teil der Decke auf ihn fiel, dass er den Küchenboden nun nicht mehr zu reparieren brauchte.

Ohne Vorwarnung war es vorbei, der Wind war verschwunden, jaulte nicht mehr, und von seinem Haus waren nur noch vereinzelte, traurige Reste der Grundmauer übrig. Mehr war nicht übrig geblieben. Das Feuer in der Küche war, als hätte jemand einen Schalter umgelegt, verschwunden. Obwohl, Küche konnte man das auch nicht mehr nennen. Steve wischte sich den Staub aus dem Gesicht und schüttelte ihn mit seinen Händen aus den Haaren. Er blinzelte kurz und sah, dass der Mann vor ihm stand. Vor Schreck wollte Steve wegrennen, doch im selben Moment prallte er hart mit dem Rücken auf den Boden. Der Mann hatte ihn schon am Kragen gepackt und zu Boden geworfen. Dann bückte er sich, griff wieder nach Steves Kragen und schleifte ihn, den Boden entlang, in Richtung Kutsche. Steve versuchte sich zu wehren, hatte aber keine Chance. Der Mann war übermenschlich stark. Er holte aus und beförderte Steve, ohne jegliche Anstrengung, in die Kutsche. Die Tür schloss sich von selbst und die Pferde liefen sofort, mit enormem Tempo, los. Steve wurde ruckartig gegen die Wand gepresst und stieß sich so den Kopf, dass er wie betäubt war und sich nicht bewegen konnte. Bevor er ohnmächtig wurde, sah er noch, wie die Kutsche abhob.

Nach einiger Zeit kam Steve, völlig nass und durchgeschwitzt, wieder zu sich. Er fühlte sich schöpft. Er lag auf dem Bauch, tastete vorsichtig den Boden ab und merkte, dass seine Hände sich in tiefen Sand vergruben. Langsam öffnete er die Augen und sah, dass er auf einem Strand gelandet war. Bedächtig stand er auf und schaute sich um. Leere, reine Leere, nichts war da, außer heißen Sand und einer unerträglich heißen Sonne, die direkt auf ihn herunterbrannte. Steve rief um Hilfe, so laut er nur konnte. Doch anstatt eines kräftigen Rufs rang er seiner Kehle nur ein Krächzen ab. Egal wohin er schaute, er sah nichts außer Sand. Er rannte ein Stück, fiel aber nach kurzer Zeit völlig erschöpft zu Boden. Er hatte Durst, seine Kehle war vollkommen ausgetrocknet. Diesmal schrie Steve vor Wut.WAS SOLL DAS HIER? WARUM BIN ICH HIER? Doch nicht einmal ein Echo antwortete ihm, seine Stimme wurde einfach von den Sandmassen verschluckt. Plötzlich schossen überall, in unregelmäßigen Abständen, Sandfontänen hoch. Steve versuchte wegzurennen, aber direkt vor ihm schoss die nächste Fontäne in die Höhe. Er lief in die andere Richtung. Wieder schossen Fontänen hoch, diesmal waren es gleich fünf oder sechs. Er fiel hin, stand gleich wieder auf, und als er sich fassungslos umdrehte, stand jemand vor ihm. Erschrocken wich er einen Schritt zurück. Wer ist das? WAS ist das?! Es sah aus wie eine große, weibliche Person, um Welten größer als er, und bestand scheinbar völlig aus Sand. Sie kam direkt aus dem Boden hervor und der Sand rieselte wie ein Wasserfall von ihrem Kopf. Er versuchte sie anzufassen, um sich zu versichern, dass sie wirklich vor ihm stand, bekam aber im selben Moment einen Schlag aus dem Nichts, der ihn mehrere Meter wegschleuderte. Wieder und wieder trafen ihn die Schläge. Er wurde durch die Luft gewirbelt und hin und her geschleudert. „WAS SOLL DAS?“ Steve schrie verärgert. Im gleichen Augenblick musste er schmunzeln und überraschte sich damit selbst. Die Sandfigur sprach und ihre Stimme hörte sich so zart und weich, so liebevoll und vertraut an, dass er sich gleich etwas geborgener fühlte. Sie sagte: „Ich bin die Göttin Quanta, ich werde Dir helfen Deinen Weg zu finden!“ Steve wollte sie unterbrechen, ihr ins Wort fallen, denn er hatte jede Menge Fragen, aber kam nicht dazu. Erneut wurde ihm ein Schlag aus dem Nichts versetzt und er wurde wieder durch die Luft gewirbelt, bevor er hart auf dem Boden landete. „Deine Fragen werden sich bald von selbst beantworten, Du hast uns gerufen!“ sprach die Göttin. Steve stand langsam auf, streckte sich, weil durch den Aufschlag sein Rücken schmerzte. Die Sandfigur schwebe langsam über den Boden auf ihn zu. Steve war unheimlich zumute, denn es gab tatsächlich einen Abstand zwischen dem, was ihre Füße waren, und dem Boden. Vorsichtig wollte Steve versuchen etwas zu sagen. Sobald er den Mund aufmachte, wurde die Göttin schneller und überrannte Steve, sodass er schon wieder nach hinten fiel und zudem noch voller Sand war. Der Sand war überall, im Mund, in der Nase, in den Taschen, unter seinem Hemd und in der Unterhose. Steve musste sich fast übergeben, weil er sich an dem ganzen Sand fast verschluckt hätte. Während er den ganzen Sand, der einfach nur salzig schmeckte, ausgespuckte, langsam wieder Luft bekam und fast wieder sprechen konnte, flog sie ganz vergnügt umher und schlug Saltos. Steve war nun wieder er selbst, war wütend, nur traute er sich nicht, seinem Ärger freien Lauf zu lassen. Er wusste schließlich nicht, was sie als Nächstes vorhatte und so hielt er sich lieber bedeckt. Langsam kam sie aus der Luft auf ihn zu, beuge sich ein wenig zu ihm herunter und schaute in sein Gesicht. Flüsternd, fast konnte man sie schon gar nicht mehr verstehen, sagte sie: „Sei bereit, sie werden Dich bald abholen, sei am Steinbruch!“ Dann schoss sie wie ein Pfeil durch die Luft, ihr Lachen klang im Gegensatz zu ihrer Stimme beinahe gehässig, und sie rief: „Es ist Dein Krieg!“ Lachend verschwand sie und nichts als feiner Sand, wie Staub, rieselte vom Himmel. Er war wieder ganz alleine, Stille legte sich um ihn. Er legte sich auf den Rücken und versuchte sich etwas auszuruhen. Er war erschöpft und hatte höllische Schmerzen im Rücken. Irgendwann schlief er ein.

Es knisterte. Und wieder knisterte es. Steve wurde wach und saß sofort auf. Es knisterte wieder. Es war dunkel, sehr dunkel, und er konnte nichts sehen. Er versuchte mit seinen Händen etwas zu ertasten. Steve fühlte sein altes Sofa.Ich bin wieder zu Hause! Vorsichtig stand er vom Sofa auf und suchte nach dem Lichtschalter, der ja irgendwo da sein musste. Und tatsächlich! Als er den Schalter betätigte, stand er in seiner hell erleuchteten Wohnstube. Steve war erst einmal glücklich, dass sein Haus noch stand. Sei Blick fiel auf das Sofa und er sah, was so geknistert hat. Es war die Zeitung, auf der er im Schlaf gelegen und die seinen Körper bedeckt hatte.

Das Schiff

Der Winter war hereingebrochen, es wurde kälter und die Bäume trugen schon lange keine Blätter mehr. Es war schön anzuschauen, wie der Boden von einem Meer aus unterschiedlich kräftigen Farben bedeckt wurde. Es war still geworden im Wald, die Vögel, die sonst immer ihre schönen Lieder gesungen hatten, waren fort. Stattdessen fiel langsam, als würde man es in Zeitlupe betrachten, der erste Schnee. Wenn die Sonne schien und ihre Strahlen an den vielen kahlen Bäumen vorbeistreifte, erschien der Schnee wie eine Decke aus unzähligen kleinen Kristallen, die in jede Richtung funkelten. Es war immer eine der schönsten Jahreszeiten für Steve. Er hielt dann die Hand auf, sodass sich einer der wunderschönen Kristalle auf ihr absetzten und schmelzen konnte.

Diesmal aber nicht, diesmal war alles anders. Eine Woche war seit dem letzten Traum vergangen. Statt sich, wie das letzte Mal zu verkriechen, hielt er stand und ging erst recht jeden Tag hoch zum Steinbruch. Er nahm sich wieder Urlaub, um noch mehr Zeit auf der Steinplatte verbringen zu können. Er beschloss, viel einzukaufen, um wieder zu Kräften zu kommen. Selbst die Ladenbesitzerin wunderte sich schon. Erst sah man ihn gar nicht mehr und dann kam er gleich vier Mal an einem Tag. Er kaufte so viel ein, dass er gar nicht alles auf einmal nach Hause bringen konnte. Um Hilfe zu bitten, kam für ihn nicht in Frage, er war viel zu stolz. Außerdem mochte Steve die Ladenbesitzerin nicht. Er fand, sie war viel zu eingebildet und hochnäsig. Sie schminkte sich übertrieben stark und roch wie eine billige Parfümerie. Da sie selber kein Geld hatte, vergriff sie sich manchmal an ihrem eigenen Inventar, um etwas zu Essen zu haben. Als er vor dem Laden die letzte Schubkarre mit Lebensmittel belud, musste er doch, er konnte es sich einfach nicht verkneifen, gehässig schmunzeln.Und ich habe einen ganzen Monatslohn bei der blöden Kuh gelassen.

An Geld sollte es bei Steve nie scheitern. Eigentlich hatte er viel zu viel davon, er hatte eine Menge Geld nach dem Tod seiner Eltern geerbt und gespart. Seine Eltern hatte er nie recht kennengelernt und keiner konnte ihm sagen, wie sie gestorben waren. Auf ihn wirkte es wie ein Geheimnis. Außerdem wusste er auch gar nicht, wie und wann er sein Geld ausgeben sollte, mit wem oder wofür denn auch. Er hatte das nicht einmal getan, als er mit einer seiner Bekanntschaften in die Stadt fuhr. Er sah einfach gar keinen Grund, das Geld auszugeben. Das eine Mal, als er eine Frau kennengelernt hatte, sollte es eben in die Stadt gehen. Eigentlich war er für sie uninteressant gewesen, doch sie hatte herausgefunden, dass er Geld hatte. Sie hatte in ein Kaffeehaus gewollt, Steve aber nicht. Sie hatten eine Weile gestritten, dann rannte sie wutentbrannt weg. Er hatte es einfach nicht eingesehen einen Kaffee trinken zu gehen und dafür zu zahlen, wenn er doch welchen daheim im Schrank hatte. Für ihn war es klar, dass er nicht doppelt Geld ausgeben würde. Obwohl Geld keinen Wert für ihn hatte, achtete er doch immer darauf. Manchmal kam der Bürgermeister zu Besuch, aber Steve schickte ihn immer gleich wieder fort, denn er mochte ihn nicht. Er wollte immer nur Geld für irgendwelche Sanierungen von ihm haben. Das Dorf, in dem er lebte, war nicht groß, und die Bewohner hatten nicht die Absicht, etwas aus ihren Häusern zu machen. So sah das Dorf schon sehr heruntergekommen aus und Steves Haus fiel unter den übrigen Häusern gar nicht mehr auf. Es stand sowieso weiter abseits.

Nach dem Einkauf sah Steves Haus wie der Laden aus. Überall waren Obst, Gemüse und Fisch, die geräucherte Salami hängte er im Wohnzimmer über dem Kamin auf. Steve war glücklich und freute sich über seinen Einkauf. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass er überhaupt schon einmal so viel eingekauft hatte. Er ging in die Küche, riss sich ein Bier auf und machte sich über die Lebensmittel her. Für jeden Tag bereitete er sich Rationen vor und packte alles in Alufolie ein. Er wollte vorbereitet sein, sodass er morgens nur noch seinen gepackten Rucksack schnappen brauchte und sofort losgehen konnte. An Essen musste er so viel mitnehmen, dass er von morgens bis abends da oben am Steinbruch sein und auf etwas, was auch immer es war, warten konnte. Das Wochenende war zu Ende und sein erster Urlaubstag brach an. Er hatte ein Kribbeln im Bauch. Steve war so aufgeregt, als würde er auf die Suche nach einem Abenteuer gehen, aber das sollte es eigentlich nicht werden. Er hatte einen Plan, er suchte den richtigen Tag, um endlich von der Klippe zu springen. Für jeden Tag, den er hoch zum Steinbruch ging, wollte er seine Henkersmahlzeit dabei haben.

Seit dem letzten Traum hatte Steve den Lebensmut verloren. Die grimmige Entschlossenheit war gewichen, die geschäftigen Vorbereitungen hatten nur diesen einen Zweck gehabt. Es gab nichts mehr für ihn, nur noch den Steinbruch. Er hatte aufgegeben und wartete nur noch auf den richtigen Tag, um sich zu erlösen. Trotzdem schlichen sich immer kleine Zweifel ein, die ihn davon abhielten, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen.Diese ständige Einsamkeit kann doch nicht alles im Leben gewesen sein. Ich muss verrückt geworden sein. Er ging noch schnell in die Scheune. Dort gab es das Einzige, was er noch von seinen Eltern hatte, zumindest erzählte man es ihm so. Als er älter geworden war, hatte man ihm einen dicken Mantel, innen mit Fell gefüttert, der ihm bis zu den Knien ging, überreicht. Er roch ziemlich unangenehm, aber das war Steve egal. Der Mantel war schön warm. Dass der Mantel von seinem Vater war, war ihm sehr wichtig. Es schneite leicht, als Steve sich auf den Weg machte. Als er oben auf der Steinplatte ankam, setzte er sich sofort auf seinen Stein, lehnte sich an der Felswand an, wartete, stand wieder auf, ging hin und her, und setzte sich schließlich wieder. Steve streckte sich wie ein alter Mann, aß ein Brot und trank dazu seinen Fencheltee und wartete weiter. Dann stand er wieder auf, ging zur Kante des Steinbruchs und schaute, etwas vorgebeugt, erwartungsvoll die Klippe hinunter. Unvermutet rief aus der Ferne ein Mann herüber: „Sie da, lehnen Sie sich nicht zu weit 'rüber, nicht, dass Sie hinunterfallen!“. Steve schrak zusammen, sodass er beinahe, vor Schreck, wirklich hinuntergefallen wäre. Er atmete kurz durch, drehte sich um in die Richtung, aus der die Stimme kam, aber da war niemand. Komisch. Steve zuckte kurz die Schultern. Dann musste er sich doch freuen, dass er noch lebte. Beinahe wäre er dort tatsächlich hinuntergefallen und er bemerkte, dass er noch nicht so weit war, zumindest nicht an diesem Tag.

Er ging mit schlurfenden Schritten zurück, in Richtung seines Rucksackes. Dann nahm er hinter sich ein Pfeifen wahr. Es war laut, nahezu tosend, und kam aus der Ferne. Er blieb stehen, kratzte sich kurz am Kopf und drehte sich langsam um. In derselben Sekunde lief er so schnell er konnte zum Felsen und sprang hinter ihn, um sich zu verstecken. Dann explodierte es auch schon neben ihn. Ein Einschlag. Steve traute seinen Augen nicht mehr. Es kamen Feuerkugeln auf ihn zu, immer mehr und mehr. Wieder ein heftiger Einschlag. Und noch einer. Er wusste gar nicht mehr, wie ihm geschah. In kürzester Zeit stand der Wald in Flammen. Immer wieder achtete er darauf, nicht getroffen zu werden und noch rechtzeitig auszuweichen. Wieder ein Einschlag. Diesmal zischte die Kugel direkt über seinen Kopf hinweg. Dann hörte er eigenartige Stimmen, die überall rund um ihn herum sausten. Inzwischen waren so viele brennende Kugeln heruntergekommen, dass er nicht einmal mehr flüchten konnte. In der Richtung, in der der einzige Pfad war, versperrten schon überall brennende und umgeknickte Bäume Steves Weg. Er war gefangen. Die Angst packte Steve. Überall diese Stimmen und die Feuerkugeln, die aus heiterem Himmel kamen. Als würde das nicht schon reichen, bebte plötzlich der Boden.Vielleicht kann ich die Klippe runterklettern … Das ist der einzige Ausweg! Schnell rannte er zur Kante, legte sich auf den Bauch, um hinunterzuschauen, und um wegen des Bebens nicht zu fallen. Wieder musste er den Kopf schütteln, er konnte es langsam wirklich nicht mehr glauben. Hilflosigkeit machte sich in ihm breit. Der ganze Steinbruch lief voll Wasser und es stieg rasend schnell an. Alle werden ertrinken! Unten im Tal, am Ende des Steinbruchs befand sich ja noch das Dorf. Das Wasser reichte bis zu der Linie, an der der Horizont mit dem Boden verschmolz. Er hörte, wie das Wasser, einem tosenden Meer gleich, an die Felswände peitschte. Schnell sprang er wieder auf und versteckte sich dort hinter einem Felsen. Hier bleibe ich, entweder ich sterbe heute oder eben nicht. Von einer Sekunde auf die andere fielen keine Feuerbälle mehr vom Himmel und der Wald hörte auf zu brennen. Nur der Boden bebte weiter und die Stimmen steigerten sich zu einem brodelnden Heulen. Sie kreisten immer wieder um ihn herum und verschwanden im Nichts. Traurig schaute er zu seinem Wald hinüber, der nun von den Bränden und Einschlägen völlig zerstört war. Er blickte zum Horizont und sah schon von hier, dass das Wasser bald an der oberen Kante angekommen sein würde. Was dann wohl passieren wird?

Plötzlich knackte es ganz laut, wieder und wieder. Erwartungsvoll schaute Steve in diese Richtung. Er zitterte so heftig am ganzen Körper, dass seine Lippen von den klappernden Zähnen schon blutig waren und das Salz vom aufsteigenden Meer, nichts anderes war der Steinbruch geworden, in der Wunde brannte. Kleine Steine, die am Boden lagen, wurden in die Luft geschleudert. Es sah aus, als würden sie im Takt der Vibrationen tanzen. Es war soweit. Das Wasser erreichte die Kante der Steinplatte.Muss ich jetzt ertrinken? Steve bemerkte, trotz, oder gerade wegen seiner Panik, dass er eigentlich noch nicht sterben wollte. Er überlegte, wie er sich aus der Situation retten konnte. Plötzlich knallte es so laut, dass seinen Ohren wehtaten. Es folgte noch ein Knall. Vorsichtig stand er auf, um sich umzusehen und sah, dass das Wasser nicht mehr anstieg, es schwappte etwas über die Kante und beruhigte sich ein wenig. Es schien, als wäre ein riesiges, uferloses Meer entstanden. Es war so viel Wasser. Das Land, welches er kannte, das Dorf im Tal, alles war mit Wasser bedeckt. Es musste bis zur Stadt reichen, die viele Kilometer entfernt lag. Abermals folgte ein heftiger Knall, dann wurde es so still, dass er Gänsehaut bekam. Nur kurz hatte er Zeit sich zu sammeln und zu realisieren, was gerade geschehen war. Wieder ein Knall, der Boden vibrierte und knirschte. Wie Asche fielen große Schneeflocken vom Himmel und lösten sich im Wasser auf. Aus dem Wald, oder aus dem, was davon noch übrig war, hörte er ein Knacken und Brechen. Auf einmal sprang der Boden auf, ein gewaltiger Riss zog sich, aus dem Wald kommend, den Boden entlang, an ihm vorbei, bis zum Wasser. Kleine Steinchen und sogar größere Brocken wurden aus dem offenen Boden in alle Richtungen geschleudert. Ein kleiner Stein traf sein Auge. Für einen Moment wurde es wieder still. Steve fasste sich an den Kopf und drehte die Augen nach oben. Hypnotisiert schaute er dem Schnee entgegen, der in der Zwischenzeit heftiger geworden war. Staub schoss aus dem Riss und er begann sich mit Wasser zu füllen.

Das Knacken fing wieder an und wurde ohrenbetäubend laut. Und dann passierte das Unfassbare. Der Spalt driftete weiter auseinander, die gesamte Steinplatte trennte sich in zwei Teile, die sich immer weiter voneinander entfernten. Wasser flutete den ganzen Spalt und der klaffte jetzt so weit auseinander, dass man nicht einmal mehr hinüberspringen konnte. Steve war auf seiner Seite gefangen. Er kam nicht mehr weg. Nach wenigen Minuten war auch der Spalt komplett mit Wasser gefüllt. Steve versuchte das Ende des Spaltes, das irgendwo im Wald sein musste, zu entdecken, konnte aber nicht so weit sehen. Was er aber sah, ließ ihn erschauern. Es war der grüne Nebel, der sich langsam und beinahe durchsichtig über dem Wasser ausbreitete und weiter in den Wald wanderte. Wieder wurde es still. Er setzte sich und wartete. Es passierte nichts, nur der Schneefall wurde heftiger und die Flocken tanzten wild über dem Wasser. Nach diesen Ereignissen legte sich Erschöpfung über Steves Körper, er konnte unmöglich an eine Lösung denken.Wo soll ich jetzt hin? Alles steht unter Wasser. Was ist mit den Dorfbewohnern? Sind alle ertrunken? Seine Gedanken drehten sich wild im Kreis, der Name Helen tauchte mehrmals in seinen wirren Gedanken auf.

Plötzlich hörte er aus der Ferne Stimmen, ein Poltern und Knallen. Er kletterte die Felsen hoch, die sich durch das Beben hoch aufgetürmt hatten. Vielleicht konnte er etwas erkennen. Der Weg nach oben war schwer. Als er über den letzten Felsen kletterte, konnte er seinen Augen kaum Glauben schenken. Er war auf einer Insel. Alles Land um ihn herum war unter Wasser verschwunden. Etwas Riesiges versuchte sich durch den Spalt zu zwängen. Von dort kamen auch die Stimmen. Langsam kletterte er wieder hinunter, er wollte sehen, was da gleich an ihm vorbeikommen würde. Etwas aufgeregt stellte er sich vor den Spalt. Er hatte das Gefühl, dass ihn eigentlich nichts mehr aus der Fassung bringen könnte. Was da aber aus dem Spalt kam, erschrak ihn umso mehr. Langsam, ganz langsam schob es sich durch. Es schob Matsch und Geröll vor sich her. Baumstämme zerbrachen wie kleine Äste. Steve sah, dass der Spalt gar nicht breit genug war, viel zu eng war, für das, was da kam. Laut und krachend schob es sich immer weiter vor, es drückte sich einfach durch, schob den massiven Fels zur Seite, als wäre es lockerer Boden. Man hörte ein stumpfes Geräusch, so, als würde sich Stahl verbiegen. Steve lief es bei diesem Geräusch kalt den Rücken hinunter. Langsam konnte er es erkennen. Es war einfach gigantisch, riesig. Nie hatte er auch nur etwas Ähnliches gesehen. Ein gewaltiges Schiff mit breitem Rumpf. Auf den Seiten ragten riesige Kanonentürme auf, die schwenkbar aussahen. Es war so lang, dass es eine Weile dauerte, bis Steve das Ende sehen konnte. Die Masten des Schiffs, die sich in die Höhe reckten, waren gigantisch, sechs Stück an der Zahl. Er konnte einige Leute, die an Deck herumsprangen, ausmachen. Die waren jedoch so klein wie Fliegen, die in der Luft tanzten. Er hörte Geschrei auf dem Schiff, das wie Befehle klang. Steve musste ein wenig zurückweichen. Das Schiff schob eine gewaltige Welle aus Schlamm und Gestein vor sich her. Dann kam es direkt vor Steve zum Stehen. Er hörte jede Menge aufgeregte Stimmen, Leute liefen eilig hin und her. Eine Falltür öffnete sich am Stahlrumpf. Das Bild der Sandgöttin drängte sich in seinen Kopf. Ein leicht flackerndes und gedämmtes Licht strahlte aus dem Schiff heraus. Ein klackendes Geräusch vom Rumpf her erreichte seine Ohren. Steve konnte seinen Blick nicht von der Falltür abwenden. Ohne zu zögern, sprang ein Pferd mit einem Mann darauf heraus. Laut schnaubend wieherte das Pferd. Der Reiter blieb kurz stehen und beruhige es, doch das Pferd war hektisch und drehte sich zweimal um die eigene Achse. Da bekam es die Hacken zu spüren und raste auf Steve zu. Im Galopp rief der Mann hoch zum Schiff: „Los! Weitermachen, los!“ Es hatten sich nämlich schon Neugierige an der Reling versammelt. Dann gab der Mann dem Pferd noch einmal die Sporen, es wieherte schrill auf und raste noch schneller auf Steve zu. Er ging ein, zwei Schritte zur Seite, aber der Mann zog ein Schwert seitlich von der Hüfte und hielt die Spitze unter Steves Kinn. Er erstarrte. Das Pferd war immer noch unruhig, stapfte hin und her und wühlte die Erde auf. Der Mann aber hielt es mit einer Hand am Zügel und mit der anderen hielt er das Schwert weiterhin ruhig ausgestreckt an Steves Hals. Eine falsche Bewegung von Steve, und die Schwertspitze würde sich durch seine Kehle bohren. Steve war noch immer starr vor Angst und brachte kein Wort heraus.

Der Reiter gab einen unendlich enttäuscht klingenden Ton von sich, drehte sich von Steve weg und sprang vom Pferd. „Schon wieder so eine Enttäuschung!“ sagte er. Der Unbekannte ging direkt auf Steve zu und schleifte sein Schwert über den Boden hinter sich her. „Du hast uns gerufen. Da sind wir – DEIN Krieg – also?“ rief er und lachte gehässig. Steve brachte kein Wort hervor, er hätte es auch nicht gekonnt, wenn er gewusst hätte, was er dem Mann erwidern sollte, und ging nochmals einen Schritt zurück, um sich den Mann genauer anzuschauen. Er sah so finster aus, als würde er aus einer anderen, dunkleren Welt kommen. Er war zwar sehr schlank, trotzdem konnte man sehen, dass sein Körper nur aus Muskeln bestand. Sein Alter war schwer zu schätzen, aber er war eher alt als jung. Seine Haare waren zu einem Zopf nach hinten gebunden. Der Mann trug einen roten Umhang, der ziemlich verdreckt aussah und an seinen Schultern befestigt war. Darunter trug er ein Lederhemd und Fellstiefel. Aus das Pferd sah ähnlich aus, mager, aber auch so, als ob es nur aus Muskeln bestünde. Die Ledermaske, die den ganzen Schädel des Tieres verdeckte, verlieh ihm etwas Böses. Dann nahm Steve seinen ganzen Mut zusammen. „Was macht ihr hier? Ich habe keinen Krieg!“ schrie er dem Mann entgegen. Wütend streckte der Mann seinen Arm aus, um Steve an der Kehle zu packen. Laut schnaufend hob er ihn langsam hoch. Steve würgte und versuchte Luft zu bekommen, um nicht an der Hand baumelnd zu ersticken. Mit gereizter, böser Stimme sagte der Mann: „Ich bin Akleta, Kapitän der ‚Extensa‘, und so was wie Du ist mir noch nie untergekommen! Du hast uns gerufen, weil Du Dich umbringen wolltest, erinnerst du dich?!“ „Was hat das eine mit dem anderen zu tun?“ Steve würgte die Frage hervor und hielt sich krampfhaft mit beiden Händen am Arm des Reiters fest, um etwas Luft zu bekommen. Plötzlich hörte er aus der Ferne einen weiteren Reiter auf sich zukommen. Der rief: „Schluss damit!“, zog sein Schwert und hielt die Spitze in Richtung Akleta. Wutentbrannt schleuderte der Kapitän Steve zu Boden. Er stieg auf sein Pferd und sagte zu Steve: „Wir werden dich holen!“, lachte wieder gehässig und ritt davon. Der andere Reiter half Steve hoch und stellte sich freundlich vor: „Ich bin Leonides, er meint es nicht so, wir haben nur eine schwierige Zeit hinter uns. Wir waren in zu vielen sinnlosen Schlachten und Kriegen.“ Steve rieb sich den schmerzenden Nacken und versuchte sich, die beiden in einer Schlacht vorzustellen. „Was mache ich hier? Was soll das Ganze? Ist das hier nur ein Traum?“ Die Fragen sprudelten aus Steve hervor. „Hör‘ zu“, meine Leonides, „Du hast uns gerufen und wir kämpfen Deinen Krieg, mehr kann ich Dir noch nicht sagen, Du wirst bald selbst die Antworten finden.“ Mit diesen Worten half er Steve auf sein Pferd zu steigen und sie ritten in das Schiff hinein. Steve schloss überwältigt die Augen. Er konnte noch immer nicht glauben, was er sah. Die Größe des Schiffs, die vielen Leute, die wie das Schiff finster und alt aussahen.

Überall roch es nach altem, nassem Holz. Als er wieder die Augen öffnete, bemerkte er schockiert, dass er zu Hause war, auf seinem Sofa lag und dass ebendieses Sofa nach altem, nassem Holz roch.

Auf der Suche

Nichts ist so, wie es scheint, und nichts scheint so, wie man es sich vorgestellt hat. Steve traf die Erkenntnis, dass er nicht das tun durfte, was er sich vorgenommen hatte.Nun, das kann sich positiv, aber auch negativ anfühlen. Steve erkannte, dass er sich eigentlich doch das Leben nehmen wollte. Diese merkwürdigen Träume, die sich so real anfühlen.Ist das vielleicht gar kein Traum?

Er schloss sich zwei Tage im Haus ein, versuchte sich selbst wiederzufinden und sich seine Fragen selbst zu beantworten. Allerdings schien es ihm unmöglich, Antworten zu finden. Die Stunden vergingen, Kopfschmerzen kamen.Vielleicht gibt es doch eine Möglichkeit, vielleicht gibt es doch eine Lösung. Seitdem er wieder auf dem Sofa erwacht war, schneite es draußen unaufhörlich. Der Winter war mit seiner vollen Kraft hereingebrochen und verzauberte das ganze Land in eine weiße Traumwelt. Steve ging durch sein Haus und haderte mit seiner Vergangenheit. Passiert das alles, weil ich damals nicht alles richtiggemacht habe? Er hatte das Gefühl, etwas verpasst zu haben. Er fasste sich ans Herz und ging zum Spiegel. Auch der – und das Spiegelbild darin - hatte schon bessere Zeiten gesehen. Der Spiegel war völlig verstaubt und matt, aber es reichte noch aus, dass Steve sich erkennen konnte. Lange stand er davor und spürte, wie sich ein Kloß in seinem Hals bildete. Er spürte etwas, dass er zuvor noch nie verspürt hatte, sodass er in seinen Körper hineinhörte. Ein Ziehen in seinem Herzen. Je länger er vor dem Spiegel stand, umso schmerzhafter wurde es. Der Kloß wanderte immer weiter in seinem Hals hoch, sein Mund wurde ganz trocken und sein Körper fing leicht zu zittern an. Nerven zuckten in seinen Wangen. Plötzlich waren sie da, die richtigen Antworten. Im selben Moment sackte er zusammen, ging auf die Knie und konnte sich gerade noch so an der Kommode abstützen, die vor dem Spiegel stand. Er fing so bitterlich an zu weinen, dass er sich am Boden krümmte.

Steve verspürte das Gefühl von Leben.Ich muss, nein ich WILL nachholen, was ich verpasst habe!