Der Weg zur Energiewende - Fritz Dieter Erbslöh - E-Book

Der Weg zur Energiewende E-Book

Fritz Dieter Erbslöh

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Beschreibung

Die Ziele der Energiewende lassen sich nach gegenwärtigem Verständnis für Deutschland klar und einfach so benennen: Sie soll den Rückzug aus der Kernenergie bewirken und kompensieren, fossile Brennstoffe durch die erneuerbaren Energien ersetzen und den Ausstoß an klimaschädlichen Gasen, insbesondere des CO2, reduzieren oder neutralisieren. Was so einfach klingt, stößt in der harten Wirklichkeit auf große Probleme. Wirtschaftliche Folgen, technische Schwierigkeiten und politischer Streit sind schon heute zu beobachten und werden beim Fortschritt des Programms noch zunehmen. Soziale Verwerfungen durch eine zunehmend gereizte Öffentlichkeit sind nicht ausgeschlossen. Das darf nicht verwundern – die Energiewende ist ein Großprojekt, das die gesamte Gesellschaft erfasst und in Umfang und Folgen in der deutschen Geschichte einmalig dasteht. Wie dieses Projekt entstand, was bis zur Gegenwart mit welchen Mitteln erreicht wurde und wie es schließlich ausgehen könnte, ist Gegenstand dieses Buches.

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Fritz Dieter Erbslöh

Der Weg zur Energiewende

… mit besonderem Fokus auf Deutschland

Umschlagabbildungen (Copyrights von links nach rechts):

© iStock.com/fotojog, © ENERTRAG, © iStock.com/instamatics, © iStock.com/zhongguo

 

© 2021 • expert VerlagDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autoren übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen.

 

Internet: www.expertverlag.deeMail: [email protected]

 

ISBN 978-3-8169-3508-7 (Print)

ISBN 978-3-8169-0038-2 (ePub)

Inhalt

VorwortZum Thema1 Einführung: Der Begriff2 Die Anfänge: Ressourcen3 Club of Rome: Grenzen des Wachstums?4 Wahrnehmung und Beginn einer Klimapolitik4.1 Klimakonferenzen4.2 Weltklimarat5 Klimadiskussion: Treibhausgase5.1 Klimakonvention und Kyoto-Protokoll5.2 Pariser Abkommen 2015 (COP 21)6 Handlungsoptionen6.1 Wege in die Zukunft6.2 Sensitive Regionen und Sektoren6.3 Instrumente7 Aktionsfelder7.1 Energieeffizienz und Energiemanagement7.1.1 Historische Hintergründe7.1.2 Energiemanagement7.1.3 Energiemanagement nach ISO7.2 Zertifikatehandel7.2.1 Funktionsweise7.2.2 Der internationale Emissionshandel (nach Kyoto-Protokoll)7.2.3 Der Emissionshandel in der EU (EU-ETS)7.2.4 Das nationale Emissionshandelssystem (nEHS)7.3 Staatliche Eingriffe: Grenzwerte und Verbote7.3.1 Eingriffe im Bereich des Straßenverkehrs7.3.2 Regelungen für die Schifffahrt7.3.3 Eingriffe in das Gebäudewesen7.3.4 Eingriffe in die Industrie7.3.5 Regelungen Energiewirtschaft7.4 Regenerative Energien: Wasser, Photovoltaik, Bioenergie, Solarthermie, Wind7.4.1 Wasserkraft7.4.2 Photovoltaik7.4.3 Bioenergie-Anlagen7.4.4 Solarthermie7.4.5 Windenergie7.4.6 Erneuerbare Energien in der Bilanz7.4.7 Erneuerbare Energien brauchen Speicher7.4.8 Erneuerbare Energien brauchen Netze7.4.9 Erneuerbare Energien brauchen Förderung7.4.10 Brauchen Erneuerbare Energien eine Regulierung?7.5 Geothermie und Wärmepumpen7.6 Systemlösungen7.6.1 Kraft-Wärme-Kopplung7.6.2 Brennstoffzellen7.6.3 Von Power-to-Gas zu Power-to-X7.6.4 Sektorkopplung7.6.5 Energiemärkte7.6.6 Intelligente Netze7.6.7 Virtuelle Kraftwerke7.7 Kernspaltung und Kernfusion7.7.1 Kernkraftwerke7.7.2 Uranvorräte7.7.3 Kernfusion7.8 CO2-Verwendung und -Entsorgung7.8.1 CO2 als Rohstoff7.8.2 CO2-Speicherung8 Die Politik der (deutschen) Energiewende9 Energiewende, Wirtschaft und Gesellschaft10 Kollision der Interessen10.1 Einfluss der (organisierten und nichtorganisierten) Öffentlichkeit10.2 Parteien und Länder11 Kosten der Wende und ihre Finanzierung12 Folgen des (ungebremsten) Klimawandels13 Das Akzeptanzproblem14 Ausblick: Ein ergebnisoffener Prozess15 Abkürzungen16 Literatur und wichtige Quellen

Vorwort

Im physikalisch-chemischen Praktikum wurde uns, die wir Chemie studierten, deutlich vor Augen geführt: Kohlendioxid (CO2) ist ein besonderes Molekül. Die Absorptionseigenschaft für infrarotes Licht ist derart ausgeprägt, dass sie für die üblicherweise robusten Messaufbauten eines Praktikums leicht detektierbar war. Wir erinnern uns an die Tour de Force durch die mathematische Behandlung der verschiedensten Rotationsschwingungsspektren und weiterer prüfungsrelevanter Tiefgänge eines klassischen naturwissenschaftlichen Studiums. Aber damals war uns – auch dank der uns so deutlich vor Augen geführten spektralen Eigenschaften – schon eines klar: bereits geringe Mengen dieses infrarotaktiven Spurengases (und auch anderer) reichen aus, um den Wärmehaushalt des Planeten zu bestimmen.

Wenige Jahre später, als Doktorand, der sich mit Kohlenhydraten und dem Einsatz von Enzymen in der Synthese von physiologisch wirksamen Glycosiden beschäftigte, kam ich in meinem Arbeitsgebiet wieder mit dem CO2 in Berührung. Nur, eben jetzt als Photosyntheseprodukt mit der Summenformel C6H12O6. Und spätestens von hier an war es sonnenklar, dass die unbegrenzte Umwandlung von in der Erde gelagerten Kohlenstoffvorräten in Verbrennungsvorgängen die feine Balance zwischen Freisetzung und Bindung des CO2 in empfindlicher Weise stören würde.

Jetzt, gute dreißig Jahre später, ist die Problematik der steigenden CO2-Konzentrationen durch die anthropogene Zuführung dieses Gases in die Atmosphäre als Konsequenz der Verbrennung fossiler Kohlenstoffquellen längst im Alltag angekommen und wird breit akzeptiert, sieht man einmal von realitätsisolierten Meinungsblasen in Internetforen ab.

Umso wichtiger wird es, die Diskussion um die sich daraus ergebenden Möglichkeiten der Schadensbegrenzung – denn um nichts anderes mehr kann es sich zu diesem sehr späten Zeitpunkt im globalen Klimageschehen handeln – auf eine breite, allgemein verständliche Basis zu stellen. Nur eine informierte Bürgerschaft ist in der Lage, die politischen Ansätze zur Begrenzung der Kohlendioxidkonzentrationen miteinander zu vergleichen und abzuwägen.

Deutschland hat sich unter den letzten Regierungskoalitionen zur „Energiewende“ bekannt, die unter ihrer deutschen Bezeichnung in der New York Times bereits ein fester Begriff geworden ist, der einer internationalen Leserschaft nur noch sporadisch mit einem Zusatz wie „Angela Merkel’s Green Energy Plan“ erläutert werden muss.

Der nationale Plan der Verdrängung fossiler (und atomarer) Energieerzeugung zu Gunsten der aus Sonne, Wind und recyclingfähigen Energieträgern folgt dem Gedanken des kalifornischen „Clean Air Act“ und des deutschen Immissionsschutzgesetzes. Letzteres hat in den 1970er Jahren den Eingriff in die Grundrechte der Gewerbefreiheit von Unternehmern damit begründet, dass dadurch der Eintrag von Schadstoffen in den eigenen Grund und Boden verringert oder abgewendet werden sollte. Damit stellte dieser Ansatz eine klassische Rechtsgüterabwägung dar und hat die Freiheit des Einen dort eingeschränkt, wo die Unversehrtheit des Eigentums eines Anderen bedroht wird. Letztlich hat der Gesetzgeber die Gefahrenabwehr und Daseinsvorsorge damit priorisiert. Im Ansatz folgt man mit der Verdrängung fossiler Brennstoffe der gleichen Richtung.

Allerdings läuft die Debatte Gefahr, den eigentlichen Gedanken aus dem Auge zu verlieren: Es geht um die Reduktion der CO2-Konzentration in der Atmosphäre. Natürlich gibt es zahlreiche Vorschläge, der globalen Erwärmung auf andere Weise die Stirn zu bieten, wie etwa diese hinzunehmen und durch Anpassung der Umwelt zu begegnen, angefangen beim Deichbau bis hin zum Bioengineering, um Pflanzen hitzebeständiger zu machen. Oder die Senkung der Strahlungsaufnahme der Erde durch „Geoengineering“. Diese Anpassungsstrategien sind nicht Gegenstand des vorliegenden Buches und nach Ansicht dieses Autors darf bei den „Engineering“-Ansätzen durchaus bezweifelt werden, ob der Mensch es wirklich beherrscht, komplexe Systeme durch gezielte, technologiebegeisterte, ja geradezu ingenieurbesessene Eingriffe in die gewünschte Richtung zu drängen, ohne dabei gleich die nächsten Nebenwirkungen auf den Plan zu rufen. Das war nämlich in der Menschheitsgeschichte bislang immer wieder der Fall und zu selten von nachhaltigem Erfolg gekrönt. Versteppung, Monokulturen, Plagen, Flächenkontamination, Flutkatastrophen, Artensterben waren zumeist die Ergebnisse solcher Experimente. Bei kritischer Betrachtung war dann auch die Beseitigung unerwünschter Nebenwirkungen häufig teurer als die ursprüngliche Maßnahme.

Wenn es also um das Ziel Reduktion der CO2-Konzentration geht, dann bedarf es einer ganzheitlichen Denkweise, dann muss neben der Wärmedämmung von Gebäuden auch der Energieaufwand zur Herstellung und Anbringung der Isolationsmaterialien betrachtet werden, dann kann auch ein bei einem Geschwindigkeitslimit von 100 km/h gefahrenes Auto mit modernem Verbrenner eine durchaus niedrigere CO2-Bilanz aufweisen als ein batterieelektrischer SUV mit einem Leergewicht von 2 t bei freier Fahrt. Die Liste ließe sich durchaus beliebig erweitern.

Fest steht auf jeden Fall, dass alle Kreislaufeffekte bei jeder staatlichen Lenkung immer mitgedacht werden müssen. Statt also eine bestimmte Technologie zu fördern, statt eine andere zu bepreisen, sollte der Hebel nicht am Detail, sondern am Ergebnis, am Ziel ansetzen: Die Freisetzung von CO2 zu verteuern.

Dabei liegt eine Frage natürlich auf der Hand: Warum sollte sich eine technologiebasierte Volkswirtschaft wie die der Bundesrepublik, mit ihrem nicht mehr als zweiprozentigen Beitrag am globalen Kohlendioxidgeschehen überhaupt dazu Gedanken machen? Schließlich ist es eine Binse, dass Gase keine Grenzen kennen und die Emissionen anderer Emittenten − der Menge nach geordnet China, USA, Indien, Russland, Japan und Iran, bevor Deutschland in der Statistik an der Reihe ist − wesentlich deutlicher unsere Unversehrtheit aufs Spiel setzen.

Jenen, die daraus ableiten, besser nichts zu tun, muss man vorhalten, dass gerade in der Entwicklung von Strategien, Verfahren und Technologien enorme Marktpotentiale schlummern, die gerade Deutschland als Hochtechnologie- und Hochlohnland heben kann – nein – heben muss. Um diese Technologien dann dort anzuwenden, wo sie am effizientesten ihre Wirkung entfalten können, also dort, wo gerade jetzt viel CO2 freigesetzt wird. So ließe sich die Entwicklung von geeigneten Technologien in einen wirtschaftlichen Nutzen umsetzen und bei globaler Bepreisung von CO2-Emission ein Anreiz schaffen, der biotischen Umwelt und dem Erhalt der Klima- wie Ökosysteme zu dienen.

Um die Grundsteine für eine eher allumfassende Betrachtung der Problematik zu legen, ist ein solides Verständnis der sehr komplexen Zusammenhänge von Energiegewinnung, Energietransport, Energiespeicherung, Energieumwandlung und der Regulierung der Distribution notwendig. Dazu versucht das vorliegende Buch Beiträge zu leisten, indem es Zusammenhänge darstellt, statt sich in Technikecken zu vergraben, indem es den Leser den Gesamtzusammenhang zu erfassen anleitet. Damit stellt es eine sinnvolle wie natürliche Ergänzung zum früher vorgelegten Band über „Energietransport und Energiespeicherung“ dar.

Wohltuend ist zudem, dass es zum Selbstdenken animiert, indem es keine Rezepte verordnet, indem es die Intention hinter den verschiedenen staatlichen Eingriffen erläutert und dabei durchaus dazu anregt, die Perspektive zu ändern und effiziente, technologieoffene Lösungen für ein mittlerweile unbestrittenes Problem aufzusuchen.

Viel Zeit bleibt nicht mehr – aus heutiger Sicht sind es bereits 2,5 °C durchschnittlicher Temperaturerhöhung, die noch erreichbar scheinen. Aber nur, wenn dieser Gefahr mit den geeigneten Mitteln beherzt und vor allem global begegnet wird.

Bereits Seneca hat uns gelehrt: „Es ist nicht wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist viel Zeit, die wir nicht nutzen.“

 

Essen, im Februar 2021    Prof. Dr. Werner Klaffke

    Haus der Technik e. V.

Zum Thema

Die Ziele der sogenannten Energiewende lassen sich nach gegenwärtigem Verständnis klar und einfach, wenn auch etwas verkürzt, so benennen: Sie soll den Rückzug aus der Kernenergie bewirken und kompensieren, fossile Brennstoffe durch die erneuerbaren Energien ersetzen und den Ausstoß an klimaschädlichen Gasen, insbesondere des CO2, reduzieren bzw. neutralisieren und schließlich das Schadstofflevel bis zum Ende des Jahrhunderts dauerhaft absenken.

Was so einfach klingt, stößt in der harten Wirklichkeit auf große Probleme. Wirtschaftliche Folgen, technische Schwierigkeiten, politischer Streit sind schon heute zu beobachten und werden beim Fortschritt des Programms noch zunehmen. Soziale Verwerfungen durch eine zunehmend allergisch reagierende Öffentlichkeit sind nicht ausgeschlossen.

Das darf nicht verwundern – die Energiewende ist ein Großprojekt, das die gesamte Gesellschaft erfasst und in Umfang und Folgen in der deutschen Geschichte einmalig dasteht.

Wie dieses Projekt entstand, was bis zur Gegenwart mit welchen Mitteln erreicht wurde und wie es schließlich ausgehen könnte, ist Gegenstand dieses Buches. Dabei wird sich einerseits ergeben, dass die Energiewende eine durchaus längere Vorgeschichte hat. Es wird ferner deutlich werden, dass die Energiewende in der beschriebenen Form ein spezifisch deutsches Projekt ist. Und es wird sich auch zeigen, dass angesichts der Größe und Vielgestaltigkeit ein Erfolg am Ende zwar wünschenswert, aber nicht sicher ist.

Deutschland ist nicht allein auf der Welt, und CO2 und andere Schadstoffe machen nicht an Grenzen halt. Deshalb sind insbesondere die Entwicklungen in den Nachbarländern, speziell den Ländern der Europäischen Union mit einbezogen, zumal inzwischen die EU in etlichen Feldern die Maßnahmen in den Mitgliedsländern vorgibt. Die weiter ausgreifende weltweite Perspektive auf Forschungsstand, internationale Vereinbarungen und Daten macht schließlich deutlich, dass die deutsche Energiewende nur ein Beitrag zur Lösung eines größeren Problems sein kann, der jedoch durch die beispielgebende Entwicklung der technischen Möglichkeiten einen besonderen Stellenwert einnimmt oder diesen zumindest beansprucht.

Was die Technik angeht, so wird in diesem Buch eine Vielzahl von praktizierten und zukünftigen alternativen Lösungen behandelt, die sich teils ergänzen, teils auch miteinander konkurrieren. Wie das Schlusskapitel aufzeigt, besteht der Weg in die Zukunft möglicherweise darin, diese Vielfalt von Pfaden bewusst beizubehalten und damit zuzugeben, dass es die eine große, alles abdeckende und allen willkommene Lösung nicht gibt.

Die Umsetzung der Energiewende ist ein Prozess, der sich rasch entwickelt. Auch der Ausbruch von Covid-19 hat ihn kaum verlangsamen können. Die vorgelegte Veröffentlichung gibt den Stand von Oktober 2020 wieder, mit einigen bis Dezember 2020 reichenden Aktualisierungen.

1Einführung: Der Begriff

Die sogenannte Energiewende ist ein Begriff, der in Deutschland geboren wurde. Seine Inhalte sind älter und gehen auf den US-amerikanischen Autor A. LOVINS zurück, der 1976 den Ausdruck »Soft Energy Path« benutzte, unter dem er seine Vorstellung eines zukünftigen Energiesystems schlagwortartig in die Öffentlichkeit trug. Sein Hauptanliegen war es, das klassische Energieversorgungssystem durch Energiegewinnung aus erneuerbaren Quellen zu ersetzen und mit forcierter Energieeffizienz eine weitere Energieressource zu installieren. Der Begriff findet sich in einem Artikel für die Z. Foreign Affairs, veröffentlicht unter dem Titel „Energy Strategy: The Road Not Taken?“.

LOVINS stellte hier zwei Entwicklungspfade einander gegenüber: den harten und den weichen Pfad, s. nachstehende Abbildung.

Abb. 1‑1:

‚Soft‘ and ‚Hard‘ Energy Paths; Quelle: A. Lovins, Energy Strategy: The Road Not Taken, 1976

Ein Jahr später präzisierte LOVINS sein Programm ausführlicher mit der Buchveröffentlichung „Soft Energy Paths: Towards a Durable Peace”.1 Es erschien 1978 auch in Deutschland.

Abb. 1‑2:

Lovins bei Präsident Carter, Okt. 1977. Carter galt als Freund regenerativer Energiequellen; Quelle: Rocky Mountain Institute (RMI)

LOVINS’ Ideen fanden große Publizität, bis zum Interview mir Präsident CARTER im Weißen Haus, s. Abb. 1‑2. In Deutschland übernahmen der Frankfurter F. KRAUSE und seine beiden Co-Autoren H. BOSSEL und K.-F. MÜLLER die Überlegungen LOVINS‘ und wandten sie auf Deutschland an. Ihr Alternativ-Bericht „Energie-Wende. Wachstum und Wohlstand ohne Erdöl und Uran“ erschien 1980 im Selbstverlag der Autoren2 und wurde kurz darauf als Bericht des neu entstandenen Freiburger Öko-Instituts bei S. Fischer verlegt.3 Die These der Autoren war, „dass eine grundsätzliche und radikale Wende in der Energiepolitik der Bundesrepublik (und der Industriestaaten im Allgemeinen) unabdingbar geworden ist.“4 Diese Publikation gilt als Ursprung des heute geläufigen Begriffs.

Das Verständnis der Energiewende als Übergang zu nachhaltiger Energiepolitik findet sich 2002 erstmals in Deutschland in der vom deutschen Bundesumweltministerium in Berlin ausgerichteten Fachtagung „Energiewende – Atomausstieg und Klimaschutz”.5 Das Bundesumweltministerium veranstaltete diese Tagung gemeinsam mit der Forschungsstelle für Umweltpolitik (FFU) der Freien Universität Berlin am 15. und 16. Februar 2002 im Deutschen Architektur Zentrum, Berlin. In den Folgejahren wurde dann „Energiewende“ zunehmend zum Leitbegriff und Schlagwort der energiewirtschaftlichen Diskussion in Deutschland und auch der offiziellen deutschen Politik.

Erst viel später, wohl zuerst 2011 im Bostoner Christian Science Monitor, findet sich der Begriff auch im englischen Sprachraum, als dieser über die Beschlüsse der deutschen Bundesregierung nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima berichtete und Kanzlerin MERKEL zitierte. Hier und danach finden sich Übersetzungen wie „energy transition“ (Energieübergang) oder „energy switchover“ (Energiewechsel), zunehmend aber auch das deutsche Wort Energiewende.6

Energiewende ist also ein Wortbegriff der jüngsten Vergangenheit. Seine komplexen Inhalte sind jedoch älteren Ursprungs, zumindest in Teilen, und haben ihre eigene Geschichte.

Das wird in den folgenden Kapiteln deutlicher werden.

2Die Anfänge: Ressourcen

Energie wurde schon im Altertum zu einem wichtigen Gewerbe- und Handelsgut, im Wesentlichen in der Form von Holz. Es lohnt, die Geschichte dieser Ressource zu verfolgen – es ist dies ein erstes Beispiel für intensivste Nutzung, hieraus entstehende Probleme, deren Bewusstwerden und schließlich auch für ihre zumindest partielle Lösung.1

Die griechische und römische Antike verwendete umfangreich Holz als Brennstoff für den häuslichen Bereich, also zum Kochen und Heizen in relativ einfachen Öfen, aber auch in den anspruchsvolleren Hypokaustenanlagen. Die meist für das Kochen verwendete Form war die der Holzkohle (anthrax im Griechischen, carbo bei den Römern), weil sie langsamer brannte, weniger Rauch entwickelte und leichter über Fächer oder Blasebälge zu regeln war.2 Holzkohle wurde in der Antike auch gebraucht für Metallschmelzöfen, da sich mit ihr hohe Temperaturen (nach LANDELS bis 1500 °C) erreichen ließen. Da sich nur bestimmte Hölzer (Steineiche, Buche) für die Köhlerei eigneten und deren Meiler von den Verwendungsstätten wegwanderten, dürfte die Transportfrage aufgekommen sein und Holzkohle zu einem durchaus teuren Brennstoff gemacht haben.

Ganz wesentlich war schon früh der Einsatz von Holz für die Salzgewinnung. Zwar war im sonnenreichen antiken Mittelmeerraum die Gewinnung von Salz aus dem Meer naheliegend. Nördlich entwickelte sich jedoch der Trockenabbau von Steinsalz und damit die auf Brennholz angewiesenen Salzsiederei. Eines der ältesten Salzbergwerke befindet sich in Wieliczka in Polen, eine Salzsiederei gab es dort seit 3500 v. Chr., unterirdischen Abbau seit dem 13.Jahrhundert. Aus der Bronzezeit gibt es Hinweise auf Salzabbau in Hallstatt im Salzkammergut. Der konkurrierende Nassabbau geht auf die Jungsteinzeit und die Bronzezeit zurück, als im heutigen Sachsen-Anhalt Salz aus der Sole gewonnen wurde. In der Eisenzeit (Hallstattzeit) bestanden Salinen an zahlreichen Solequellen und an den Küsten. Wichtigste Standorte in Deutschland waren: Halle (Saale), Bad Nauheim, Schwäbisch Hall, Werl (Westfalen). Die Solequellen waren meist im Besitz der Landesherren; sie vergaben den Betrieb an die selbständigen „Pfänner“, die eigentlichen Hersteller des Salzes, die dann auch den Vertrieb übernahmen. In Halle hatte die im Jahre 1491 gegründete „Salzwirker-Brüderschaft im Thale zu Halle”, deren Mitglieder Halloren genannt wurden, das Recht zu Gewinnung und Vertrieb über Jahrhunderte hinweg. Ähnlich war es in Werl, wo die Gilde der Erbsälzer schon 1246 erstmalig genannt wurde, als der Kölner Erzbischof die besonderen Privilegien der Werler Sälzer bestätigte und ihnen das erbliche Recht der alleinigen Salzgewinnung in der Stadt zuerkannte. 1708 wurden sie schließlich noch in den Adelsstand erhoben – was den Stellenwert herausstellt, den das kostbare Salz vermitteln konnte.3

Abgesehen von der Gewinnung aus dem Meer war für die verschiedenen Verfahren ein hoher spezifischer Energiebedarf typisch. Aber auch die Menge an produziertem Salz war erheblich. Allein für Lüneburg mit den bedeutendsten Salinen des Nordens stieg im 13.Jahrhundert der Jahresertrag an Salz auf 15–16.000 Tonnen und der Verbrauch an Holz stieg mit.4 Schätzungen aus späterer Zeit kommen im Mittel auf 1:100 als Relation von 1kg Salz zum Raummeter Holz.5 Die Folge waren umfangreiche Rodungen, die zu Holzverknappung und in der Folge zu beträchtlichem Holzhandel führten. Die These, dass hierauf die Entstehung der Lüneburger Heide zurückzuführen sei, gilt inzwischen zwar als widerlegt – jedoch bleibt es aufgrund der aufgefundenen Lieferscheine bei weiten, umfangreich genutzten Transportwegen und -mengen.

Zu berücksichtigen ist dabei, dass Holz auch als Werkstoff und nicht nur als Brennholz Verwendung fand. Die entstehende Holznot brachte die mittelalterliche Gesellschaft an sozial umkämpfte Grenzen der Waldnutzung und verstärkte sich im ausgehenden Mittelalter noch aufgrund der expandierenden gewerblichen Nutzung von Brennholz, v.a. im Bergbau (Metalle, Salz) und in der „protoindustriellen Produktion“ (RADKAU)6. Das führte zur Verlängerung der Transportwege und zur steigenden Bedeutung des Holzhandels.

Der Bergbau auf Erz, die Salinen zur Salzgewinnung und die Holzköhlerei für die Aufbereitung des Erzes ließen im Mittelalter Holzgroßverbraucher entstehen. Salinen und Hüttenwerke bekamen ganze Waldungen „gewidmet”. Sie hatten Anrecht auf riesige Holzmengen zu geringen Preisen, was zu großen Entwaldungen und immer längeren Transportwegen führte. Die Folge waren erste Eingriffe der Obrigkeit. So ist aus Dortmund ein früher Bericht über verordneten Holzanbau erhalten. Im Jahre 1343 wurde dort im Dortmunder Reichswald eine Laubholzpflanzung angelegt.

Bekannt sind auch erste Aufforstungen im Nürnberger Reichswald. Mit dem Ende der letzten Eiszeit wurde die dort ursprünglich waldfreie Tundra von Bäumen besiedelt und nach 9.000 Jahren hatte sich ein geschlossener Waldbestand aus Kiefern-, Birken-, Eichen-, Buchen- und anderen Waldformen entwickelt. Im Mittelalter war der Wald Krongut der deutschen Kaiser, in der Verwaltung durch die Stadt Nürnberg. Von daher stammt auch die Bezeichnung Reichswald, die es auch für andere Wälder in Deutschland gibt, s. oben. Im 13.Jahrhundert wurde der Nürnberger Forst durch Entnahme von Holz, Streu und Rodungen stark übernutzt.

P. STROMEIR, als Nürnberger Ratsherr wie als Miteigentümer von Berg-, Hütten- und Hammerwerken an der Bewirtschaftung der verödeten Flächen und speziell an der Holzversorgung interessiert, experimentierte 1368 auf einigen hundert Morgen des Lorenzer Reichswaldes mit der Anpflanzung von Nadelbäumen, die ihm durch ihr schnelles Wachstum für eine Holzwirtschaft geeignet erschienen. Er hatte tonnenweise Tannen-, Fichten- und Kiefernzapfen sammeln lassen, deren Samen er in den tief umgepflügten Boden streuen ließ. Vor allem mit den Tannen- und Kiefern-Saaten hatte er schließlich Erfolg.7

Abb. 2‑1 zeigt diesen Innovator, der es auch schaffte, mit seinen „Dannensäern” ein ganz neues Geschäftsfeld für Nürnberg zu eröffnen.

Abb. 2‑1:

Der Nürnberger Rats- und Handelsherr Peter Stromeir ließ als erster Nadelbäume aussäen; Quelle: R. Lohberg, Der deutsche Wald kann mehr als rauschen, 1966. Kap. Geschichte der Forstwirtschaft

Nürnberg war damals eine der regsamsten, fortschrittlichsten Städte Europas. Den Nürnberger Kaufleuten wurde rasch klar, welches wirtschaftliche Potenzial in den Ideen STROMEIRS lag und taten es ihm nach, mit beachtlichem Erfolg: Nürnberg exportierte neue Wald-Samen „aller drei Sorten“ überallhin nach Europa. Wo immer Angst vor Holzmangel herrschte, fanden sich Käufer. Nürnberger Fachleute, eben die Dannensäer, reisten mit, um das Anpflanzen zu überwachen. Das kam die Kunden zwar teurer zu stehen als der Erwerb der Samen, war aber letztlich billiger, als noch Zeit zu verlieren mit eigenen Experimenten.

Ab 1500 beginnt dann eine lange Reihe der Forstordnungen. Die Gefahren des Kahlschlages wurden erkannt und führten zumindest regional zur Vorsicht in der Waldnutzung. In Reichenhall wurde so bereits im 16. Jh. eine „nachhaltige“ Holzwirtschaft betrieben. Das kommt in einem späteren Zitat von 1661 deutlich zum Ausdruck: „Gott hat die Wälder für den Salzquell erschaffen, auf daß sie ewig wie er kontinuieren mögen; also solle der Mensch es halten: ehe der alte ausgehet, der junge bereits wieder zum Verhacken herangewachsen ist.”8 Prominente Zeitgenossen nahmen sich des Problems an. So prophezeite MELANCHTON, es werde „der Welt an drei Dingen mangeln: an guter Münze, an Holz und an guten Freunden.” Das Problem war nicht nur ein deutsches: COLBERT, der Finanzminister LUDWIGS XIV, meinte pessimistisch: „Frankreich wird aus Mangel an Holz zugrunde gehen.” Er erließ 1669 eine Forstschutzverordnung. Auch der Physiker RÉAUMUR warnte 1721 eindringlich vor Holzmangel. Der französische Marineinspekteur DUHAMEL DU MONCEAU verfasste zwischen 1755 und 1767 eine Reihe grundlegender Schriften zum Forstwesen und gehört damit zu den Begründern einer Wissenschaft vom Forst.

Parallel mit dem Wandel vom reichlich vorhandenen Naturprodukt zum knappen Wirtschaftsgut mit festen Preisen lief eine gesellschaftliche Veränderung. Indem die Bauern den Gemeindewald als Privatbesitz unter sich aufteilten, entzogen sie der unterbäuerlichen Schicht, die den Wald für ihr Vieh zur Mast und Weide nutzte, die Existenz. Auch die Waldgewerbe wie Köhler, Pechbrenner und Pottaschesieder wurden verdrängt. Im Bayerischen Wald galten Pechbrenner zum Teil als vogelfrei und durften von den Förstern niedergeschossen werden. Holzdiebe wurden gnadenlos verfolgt.

Holzmangel und Holzteuerung waren speziell im Übergang zum 19.Jahrhundert wichtige allgemeine Themen. Rückblickend wurde für diesen Zeitraum oft von Holznot gesprochen – ein Begriff, den J. RADKAU so nicht stehen lassen wollte und damit eine lebhafte Diskussion unter den Historikern auslöste.9,10 1780 musste eine durchschnittliche Berliner Familie erstmals mehr Geld für Brennholz als für Brot ausgeben. 1821 wurde in Preußen ein Allgemeines Holzdiebstahlgesetz erlassen. 1850 kamen dort auf 35.000 gemeine Diebstähle 265.000 Holzdiebstähle, die so konsequent verfolgt wurden, dass sich K. MARX als junger Anwalt 1842 empörte, dass dem modernen Staat das Holz wichtiger sei als der Mensch.

Das Problem war allerdings auch ein großes: Der Waldbestand in Kontinentaleuropa hatte sich bis 1600 schon auf 20 % der Landfläche reduziert (von ursprünglich 90 % in römischer Zeit). Und der Energieverbrauch einer mittelalterlichen Stadt war recht hoch. Er wird auf etwa 20 Watt pro Quadratmeter bebaute Fläche geschätzt; eine Hilfsrechnung ergibt dann, dass hierfür eine Waldfläche vom etwa 100-fachen der Stadtfläche erforderlich war.

Übermäßiger Holzverbrauch und die damit einhergehende drohende Holzverknappung und Degradierung der Wälder führten dazu, dass Anfang des 18. Jahrhunderts systematische Ansätze einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung entwickelt wurden. Im Jahr 1713 brachte der sächsische Oberberghauptmann H. C. VON CARLOWITZ ein Werk heraus, das ihm später den Ruf als Vater der modernen Forstwirtschaft eintrug. In „Sylvicultura Oeconomica“ forderte er, dass Holzeinschlag und planmäßige Aufforstung immer im Gleichgewicht sein müssten. Er benutzte sogar den Begriff der Nachhaltigkeit, ohne ihn allerdings näher zu erläutern (was dann 1795 der Forstwissenschaftler G. L. HARTIG nachholte).

Die erste Energiekrise der Menschheit konnte damit überwunden werden – durch einen Sprung in die Nachhaltigkeit des Wirtschaftens.

Bei der nicht nachwachsenden Kohle ist dies naturgemäß anders. Der Rohstoff Kohle wurde nach Nutzungsanfängen im Mittelalter im 19.Jahrhundert zum entscheidenden Faktor für die von Europa ausgehende Industrialisierung. Die Förderung und die Verwendung von Kohle standen im Mittelpunkt der Strukturveränderungen, sowohl der Technik wie auch des wirtschaftlichen und sozialen Lebens. Kohle lieferte im Vergleich zum seit der Antike vorherrschenden Holz preiswerte und zuverlässige Energie. Kohle wurde im Verlauf des 19. Jahrhunderts die Basis für die Leitsektoren Eisengewinnung und -verarbeitung und Verkehrs- und Transportwesen.

Auch die Kohleförderung und -nutzung wurde von kritischen Stimmen begleitet. Die Einsicht, dass die Kohlevorräte irgendwann erschöpft sein könnten und Knappheit drohte, kam Einzelnen schon früh, zunächst im Kohleland England. Es wird berichtet, dass es dort bereits im 16.Jahrhundert vereinzelt zu Befürchtungen kam, dass die Kohle endlich sein könnte, und in deren Folge in den Parlamenten Exportverbote für Kohle debattiert wurden.11

Ab dem späten 18.Jahrhundert spielten zunehmend sich ändernde Vorstellungen von Wachstum und Verbrauch hinein. Bis dahin galt das Dogma der Merkantilisten, die den Staat für die Wirtschaft in der Rolle des Initiators, des Handelnden und der Aufsichtsführung sahen.12 Diese praktisch-politischen Ansätze hatten zwar das Ziel der Steigerung der nationalen Wirtschafts- und Handelskraft (auch der Bevölkerung), basierten jedoch auf keiner in sich geschlossenen wirtschaftstheoretischen und -politischen Konzeption. Es war mehr eine Sammlung punktueller, jeweils problembezogener Ideen und Rezepte, ausgerichtet auf Schaffung einer gewerbefördernden Infrastruktur und staatlicher Manufakturen, auf Preisvorgaben, Privilegien, Produktionsvorschriften und Regelung von Ein- und Ausfuhr, und dies alles zur Mehrung des Staatsschatzes.13

A. SMITH war der erste, der das Individuum in den Vordergrund stellte und die Rolle des Staates nur noch in der Herstellung und Sicherung eines Ordnungsrahmens sah. Mit seiner Theorie von Angebot und Nachfrage, letztlich vom Markt, wurde er zum Vater künftiger Generationen von Volkswirtschaftlern. Er erklärte auch die Mechanismen des wirtschaftlichen Wachstums, vor allem in Buch 2 seines Hauptwerks „Wohlstand der Nationen“14(1776). Stadt- und Landwirtschaft sah er aufeinander bezogen an, eine grundsätzliche Betrachtung der Ressourcen, auch ihre Begrenzung, fehlt jedoch noch bei ihm. Für ihn ersetzte die Kohle das Holz ad infinitum.15 So gilt er heute (auch) als Vordenker des „fossilen Kapitalismus“.

Das änderte sich erst mit A. ST. JEVONS und dessen Hauptwerken „The Coal Question“ mit dem Untertitel „An Inquiry Concerning the Progress of the Nation, and the Probable Exhaustion of our Coal-mines“ von 1865 und „Theory of Political Economy“ (1871). Während letzteres stark beachtet und rezipiert wurde, blieb die Resonanz für The Coal Question begrenzt, was wir heute wohl anders sehen würden.

Für JEVONS, der auch Geologe war, war klar, dass sich die Kohlevorräte erschöpfen würden: „[…] a vague notion that some day our coal seams will be found emptied to the bottom, and swept clean like a coal-cellar.“16

JEVONS’ numerische Analyse ging von zwei Annahmen aus: einer jährlichen Verbrauchssteigerung von 3,5 % und einer deutlichen Preissteigerung für immer tiefere, bis 4000 Fuß reichende Gruben. Im Ergebnis kam er auf 100 Jahre (oder auf nur zwei Generationen) bis zum Fördermaximum mit anschließendem Abstieg.17 Wie recht er im Grundsatz hatte, zeigt Abb. 2‑2. The Coal Question wurde zeitgenössisch attackiert, jedoch kam es zu mehreren Royal Commissions, die zu prüfen hatten, ob ein Erreichen des Fördermaximums Englands führende wirtschaftliche Position gefährden könnte.18

Abb. 2‑2:

British Coal Production 1830 – 1980; Source of Data: Mitchell (1988)

Bekannter als diese Aussagen wurde ein Detail aus seiner ökomischen Theorie, das sogenannte JEVONSSCHE Paradoxon. Es bestand im Beispiel darin, dass Englands Kohlenverbrauch nach der Einführung der WATTSCHEN Dampfmaschine anstieg, obwohl sie sehr viel effizienter war als die von NEWCOMEN. Die Erklärung lag und liegt auf der Hand: der erreichte sparsame Energieverbrauch hatte eine steigende Verbreitung der Dampfmaschine und eine Ausdehnung der Anwendung in andere Bereiche zur Folge und führte damit zu dem insgesamt erhöhten Kohlenverbrauch. Übersetzt ins Allgemeine: Die effizientere Nutzung eines Rohstoffes ermöglicht Preissenkungen, die einen Anstieg der Nachfrage und neue Marktsegmente ermöglichen und damit die ursprüngliche Effizienzsteigerung aufheben – was heute in der ökonomischen Theorie unter Reboundeffekt bekannt ist.

Ressourcenschonung und ökologische Aspekte wurden in der Technik erst vergleichsweise spät wahrgenommen. Um 1850 stand fast ausschließlich die Produktgenerierung bis zur Fertigung im Mittelpunkt. Speziell der Fertigungsprozess und alle späteren Phasen des Produktlebenszyklus waren noch kein Gegenstand der Reflexion. Das Bewusstsein für ökologische Zusammenhänge und für die Endlichkeit von Energie- und Materialressourcen war nur schwach ausgebildet.

Die industrielle Entwicklung hatte die Begrenztheit der agrarwirtschaftlichen bzw. vorindustriellen Ressourcenbasis überwunden, oder man glaubte dies zumindest. In der Ökonomie fand das seine Spiegelung im Bild eines säkularen Wirtschaftswachstums, das aus immer wiederkehrenden, sich selbst regulierenden Umläufen von Güter- und Geldströmen entsteht. Auf der Seite der Technik entsprach diesem ökonomischen „perpetuum mobile“ die Idee eines ständigen Fortschritts, der aufgrund kontinuierlich verbesserter Methoden auch die für das Wachstum erforderliche fossile Energie und die notwendigen Rohstoffe beschaffte.

Es war eine Art von Kreislaufmodell19, das auch von den Naturwissenschaften gestützt schien. Die notwendige Korrektur kam 1824 von S. CARNOT mit dem Verständnis des thermodynamischen Wirkungsgrades und der Folgerung, dass alle realen Vorgänge irreversible Komponenten enthalten und die Rückkehr in den Urzustand immer nur über die Zufuhr von Energie läuft.20

Die beiden sogenannten Hauptsätze der Thermodynamik21 verallgemeinerten um 1850 diese Einsichten, sodass H. VON HELMHOLTZ 1862 von einem konstanten „Kraftvorrat des Weltganzen“ sprechen konnte, der aus zwei Teilen bestünde, nämlich einem ständig kleiner werdenden „Vorrat, der die Änderungen unterhält“, und einen dauernd zunehmenden „Vorrat, der keine Änderungen mehr möglich macht“.22

Bei den Technikern wurde vor allem der „Erhaltungssatz“ rezipiert und als Bestätigung des Kreislaufmodells verstanden. Es war R. CLAUSIUS, der hier deutlicher wurde und verständlicher formulierte, „daß ein Naturgesetz aufgefunden ist, welches mit Sicherheit schließen läßt, daß in der Welt nicht alles Kreislauf ist, sondern daß sie ihren Zustand fort und fort in einem gewissen Sinne ändert und so einem Grenzzustande zustrebt“.23 Und später, in einer gesonderten Veröffentlichung von 1885 ganz konkret hinsichtlich der sorglosen Verwendung der Kohle: „Diese verbrauchen wir nun, und verhalten uns dabei ganz wie lachende Erben, welche eine reiche Hinterlassenschaft verzehren. Es wird aus der Erde heraufgeschafft, so viel sich durch Menschenkraft und technische Hilfsmittel nur irgend heraufschaffen lässt, und das wird verbraucht, als ob es unerschöpflich wäre.“ Er forderte in der gleichen Schrift, den Bedarf künftig so weit wie möglich mit heute so genannten regenerativen Energiequellen zu decken, insbesondere mit elektrisch übertragener Wasserkraft. Während das vergangene Jahrhundert der Menschheit die Naturkräfte dienstbar gemacht habe, „werden die folgenden Jahrhunderte die Aufgabe haben, in dem Verbrauch dessen, was uns an Kraftquellen in der Natur geboten ist, eine weise Ökonomie einzuführen, und besonders dasjenige, was wir als Hinterlassenschaft früherer Zeitepochen im Erdboden vorfinden, und was durch nichts wieder ersetzt werden kann, nicht verschwenderisch zu verschleudern.“24

Auch der langjährige VDI-Direktor F. GRASHOF rügte 1877 den verschwenderischen Kohlenraubbau und forderte einen schonenden Umgang mit den Energieressourcen, vor allem durch „Gleichgewichts- und Kreislauftechniken, die die auf der Welt insgesamt konstante Arbeitsmenge nur immer wieder nutzbringend umschichten“ sollten.25 Das lief auf eine Notwendigkeit des Haushaltens mit den endlichen Naturvorräten hinaus.

Die Mahnungen blieben jedoch ohne Folgen. Die Erschließung immer neuer Rohstoffvorkommen und Kraftquellen im Inland und vor allem in den Kolonien ließ die Vorräte als nahezu unendlich erscheinen, wie Veröffentlichungen von z.B. 1888 zeigen: „Hiernach würde Deutschland bei einer gleichen Gewinnung wie die gegenwärtige von rund 60 Millionen Tonnen für 1 Jahr noch für etwa 6.000 Jahre Kohle besitzen oder den gegenwärtigen Verbrauch Europas auf etwa 1.500 Jahre decken.“26

Dann kam es Ende des 19. Jahrhunderts jedoch mit der „energetischen Bewegung“ des Physikochemikers A. W. OSTWALD zu einem neuen Impuls. Sein übergreifender metaphysischer Ansatz verband Physik, Technik und Staat durch sein Grundprinzip von der Verbesserung des Nutzens: „Der ökonomische Koeffizient der Energietransformation ist so wirklich der allgemeine Maßstab menschlicher Angelegenheiten.“27 1912 formulierte er seinen Energetischen Imperativ: „Vergeude keine Energie, sondern nutze sie!“28

OSTWALDS Verdienst ist es damit, ein normatives Leitbild einer „dauerhaften Wirtschaft“ geschaffen zu haben, letztlich ein Vorläufer der „sustainable economy“. Er hatte damit auch Resonanz, allerdings mehr zufällig aufgrund des „Kohlennot-Alarms“ von 1900, einer hochkonjunkturbedingten massiven Kohlenknappheit.29

Das Denken in Wirkungsgraden verbreitete sich schnell in der Technik und führte vor dem Ersten Weltkrieg zu einer „progressiv-technokratischen Ingenieurbewegung, die sich z. T. auch kritisch gegen die Kaufleute in den Unternehmungsleitungen richtete und latent antikapitalistisch war. Ziel dieser Bewegung war der Kampf gegen jegliche Vergeudung von Energie-, Material- und Arbeitsressourcen in der Gesamtwirtschaft.“30

Der erste Weltkrieg verschärfte unter dem Eindruck der Knappheit die Bemühungen um rationelleren Umgang mit den Ressourcen. Namentlich sind hier W. RATHENAU und W. VON MÖLLENDORF zu nennen, die sich für eine generelle Verbrauchssenkung von Energie und Rohstoffen einsetzten, bei RATHENAU 1917 dazu noch verbunden mit allgemeinen gesellschaftspolitischen Zielsetzungen: „Heute ist jeder Verlust, jede Verschwendung Sache der Gemeinschaft.“31 Ähnliche Reformansätze gab es in den USA, auch hier von den Ingenieuren ausgehend. Sie reichten dort über das Kriegsende hinaus und manifestierten sich in einer „Revolt of Engineers“.

Mit der Rückkehr zu „normalen“ Verhältnissen nach dem Krieg mit gutem Angebot von Energie und Rohstoffen in den 1920er Jahren verflachte in den USA wie in Deutschland die energetische Bewegung zu einer Rationalisierungsstrategie nach TAYLOR und FORD. Der „Energetische Imperativ“ war etwas für Notzeiten gewesen, den man bei einem reichen Angebot an Rohstoffen und Energieträgern schnell wieder vergaß. Fast typisch wiederholte sich dieser Prozess im und nach dem zweiten Weltkrieg. Erst die Debatte über die Grenzen des Wachstums der 1970er Jahre und vor allem die beiden Ölpreiskrisen 1973–1975 und 1979–1982 beendeten diese Phase des sorglosen Umgangs mit Rohstoffen und Energie.

Die Mahnungen aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts hatten zwar keine unmittelbaren praktischen Folgen für den Umgang mit Energie gehabt, wie oben erläutert. Aber sie hatten doch die Reichweitendiskussion angestoßen, die auch nach dem Aufkommen des Erdöls die Szene bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts beherrschte, als sich mit der Kernenergie eine scheinbar unerschöpfliche Energiequelle auftat. Ihre Ergebnisse wurden zwar jeweils zur Kenntnis genommen, gaben jedoch keinen Anlass zum grundlegenden wirtschaftlichen oder technischen Wandel, zumal sich immer Korrektive auftaten. So bewahrheitete sich die Prognose einer schnellen Kohlenkrise nicht – mit dem Beginn der Erdölnutzung ab 1859 gab es für die Kohle Konkurrenz und zumindest partiellen Ersatz.

Die Problematik der Reichweite der Vorräte stellte sich allerdings auch hier. Sie wurde sogar offensichtlicher und führte zu etlichen Kassandra-Rufen: die mühsam erschlossenen Ölfelder erschöpften sich oft binnen weniger Jahre. Das zeigte sich früh in den USA, die den Erdölboom 1859 mit der Bohrung von DRAKE in Pennsylvania angestoßen hatten. DRAKES Bohrung war zwar nicht der erste erfolgreiche Fund – 1844 hatte schon der russische Ingenieur F. N. SEMYENOV mit einem Schlagbohrsystem eine erste Ölquelle im auch heute noch genutzten Ölfeld von Bibi-Eibat erschlossen – jedoch verfügten die Amerikaner über das Patent des kanadischen Arztes und Geologen A. P. GESNER auf die Herstellung von Petroleum aus Kohle oder Erdöl. Das gab dann den Ausschlag für ihre künftig führende Rolle im neu entstehenden Ölmarkt.

„Schon 1910 erklärte das US-Bergbauamt, die Erdölvorräte würden nur noch für 10 Jahre reichen.“32 1919 findet sich mit 20 Jahren eine nächste kurze Reichweitengabe und 1922 ermittelten US-Regierungsgeologen, dass die amerikanischen Quellen 1940 versiegt sein würden. Sogar der Begriff „Ölnot“ zirkulierte und wurde von ROCKEFELLER im Kampf um weltweit neue Erschließungsrechte politisch genutzt.33

In der Folge mehrten sich die Reichweiten-Prognosen für Kohle und Öl, die häufig nicht vergleichbar waren, da die Begriffe wechselten oder unscharf verwendet wurden. Schon länger unterscheidet man korrekt34

Reserven (bestätigte Reserven): Teil des Gesamtpotentials, der mit großer Genauigkeit erfasst wurde und mit den jeweiligen technischen Möglichkeiten wirtschaftlich gewonnen werden kann.

Ressourcen: Teil des Gesamtpotentials, der entweder nachgewiesen, aber derzeit nicht wirtschaftlich gewinnbar ist, oder geologisch noch nicht genau erfasst ist.

Gesamtpotential: Die Summe aus Reserven und Ressourcen, also das verbleibende Potenzial für den zukünftigen Verbrauch.

Statische Reichweite: Der Wert entspricht dem Verhältnis der jeweils bekannten Reserven zur Ölproduktion des jeweils abgelaufenen Jahres (engl. Reserve-to-Production-Ratio). Dass die statische Reichweite lediglich eine Momentaufnahme liefert und künftige Nachfrageänderungen in die Berechnung nicht einfließen, war zwar grundsätzlich bekannt, fand aber erst viel später Eingang in die offiziellen Statistiken.35

Mit den 1920er Jahren haben wir jedoch schon eine Epoche erreicht, in der ein neuer und letztlich bedrohlicherer Aspekt Beachtung fand: die ökologischen Folgen der Nutzung von Bodenschätzen und fossiler Energie. Zu Beginn des Jahrhunderts war erstmals ein Zusammenhang zwischen der Oberflächentemperatur der Erde und einem Anstieg des CO2 in der Atmosphäre durch die Industrialisierung thematisiert worden. Allerdings fehlten damals die Daten für einen Nachweis der These, s. Kap 4, Klimadiskussion: Treibhauseffekt.

Schon im 19.Jahrhundert hatte es bereits erste Schritte zum Naturschutz gegeben. 1872 beschloss der amerikanische Kongress die Einrichtung des Yellowstone National Park. Dies gab Anregung auch für andere Nationen, z.B. Schweden, das 1909 die ersten Nationalparks einrichtete. Einige der ersten internationalen Bemühungen um den Naturschutz waren dann36

1911, erste internationale Konferenz für Vogelschutz in Paris,

1913, erste internationale Konferenz für Naturschutz in Bern,

1923, 1. Internationaler Kongress für Naturschutz in Paris,

1925, 1. Deutscher Naturschutztag in München.

Bis zu internationalen Abkommen war es jedoch noch ein weiter Weg – erst mussten zwei Weltkriege geschlagen und überwunden werden.

Regenerative Energien und deren Nutzungsmöglichkeiten waren Anfang der 1930er Jahre durchaus bekannt. Ihre Entwicklung, insbesondere der Weg zu Solar- und Windenergie, wird in späteren Kapiteln beschrieben.

Der Ersatz von Kohle und Öl durch nachhaltige Quellen wurde jedoch erst langsam zum Thema. Einer der ersten war der Sachbuchautor H. GÜNTHER, der sich hier grundsätzliche Gedanken machte.37 Er propagierte im Hinblick auf die Endlichkeit der Kohlevorräte eine Welt ohne Kohle und eine Energieversorgung über Solarenergie, Wellenkraftwerke, Windtürme, etwaige Zyklonenergienutzung sowie Wärme aus tropischen Meeren und der Erde als Energiequellen.

Aufmerksamkeit erreichten solche Publikationen – Konsequenzen hatte sie jedoch lange nicht. Dies hatte mindestens vier Ursachen:

In den 1930 bis 1950er Jahren war die Welt mit dem Phänomen des Nationalsozialismus, den Kriegsvorbereitungen Deutschlands, der Kriegsführung selbst und nicht zuletzt den Folgen des Krieges mehr als beschäftigt.

1910 wurden die ersten Erdgasfunde in Deutschland bei Neuengamme nachgewiesen. Die erste „Deutsche Verordnung zur Suche nach Erdöl und Erdgas” aus dem Jahr 1934 machte sichtbar, dass die Nutzung von Erdöl und Erdgas inzwischen auf dem Weg zum Allgemeingut war. Die Verordnung regelte die Konzessionsvergabe und formulierte Sicherheitsvorgaben für Förderung und Verarbeitung. In den 1960er Jahren wurde Erdgas erstmals im großen Stil zum Beheizen von Häusern genutzt. Damit war eine weitere neue Energiequelle gefunden und für die Energieversorgung nutzbar.

Im August 1955 begann in Genf auf der ersten Konferenz der Vereinten Nationen das Zeitalter der zivilen Nutzung der Kernenergie. Auf Präsident D. D. EISENHOWER geht die Initiative zurück, die friedliche Nutzung der Kernenergie auch für jene Staaten zu öffnen, die (noch) nicht im Besitz atomarer Waffen waren. Vor allem in der jungen Bundesrepublik war die Euphorie besonders groß. K. ADENAUER gründete im Oktober 1955 ein Bundesministerium für Atomfragen; zuständiger Minister wurde F. J. STRAUSS, der für Deutschland die Chance sah, sich mittels Kerntechnik in der „vordersten Reihe der Industrienationen“ zu behaupten.

Die ursprünglich als begrenzt angesehenen Reserven und damit Reichweiten von Kohle und Erdöl, später auch von Erdgas vergrößerten sich entgegen den Erwartungen massiv.

Was den letzten Punkt der Reichweiten betrifft, begnügen wir uns hier mit der Sicht auf Bilanzen um die Jahrtausendwende. Hierzu gab und gibt es immer wieder neue Schätzungen, die es näher zu verfolgen nicht lohnt. Für die Kohle deutet sich in Abb. 2‑3 ein Phänomen an, das auch bei Öl und Gas wiederkehrt: die relative Konstanz der prognostizierten Reichweiten über die Erhebungsjahre, bei Öl und Gas sogar deren Anstieg, s. Abb. 2‑4 und Abb. 2‑5.

Abb. 2‑3:

Weltweite Kohleförderung, Preis und Vorräte in Verbrauchsjahren, Förderung in Mrd. Tonnen1888–1999, Preis pro Tonne in US-$ von 2000 und Vorräte in Verbrauchsjahren 1975–1999 in hundert Jahren; Quelle: B. Lomborg, Apocalypse No!, Abb. 70

Dass sich trotz steigenden Verbrauchs die Reserven bis zur Gegenwart konstant oder leicht ansteigend zeigen, hat nachvollziehbare Gründe:

Die Exploration geschieht nur mit kurzem Vorlauf zu Verbrauch bzw. Nachfrage, nicht auf Vorrat – das wäre zu teuer. So werden immer neue Funde gemeldet.

Die Ausbeutung der Ressourcen verbessert sich ständig. So werden Vorkommen interessant, deren Förderung bis dahin nicht lohnend erschien. Ein Beispiel sind die Ölsande in Nordamerika, speziell Kanada.

Abb. 2‑4:

Ölvorräte in Verbrauchsjahren, Ölreserven weltweit Im Vergleich zur Jahresproduktion, 1920–2000 (bis 1944 nur USA); Quelle: B. Lomborg, Apocalypse No!, Abb. 66

Abb. 2‑5:

Weltweite Erdgasförderung. Erdgaspreise, Vorräte in Verbrauchsjahren. Förderung in Exajoule 1925–1999, Preise 1949–2000 in US-$ von 2000 pro Gigajoule und Vorräte in Verbrauchsjahren 1975–1999; Quelle: B. Lomborg, Apocalypse No!, Abb. 69

Während sich also die Reichweitenproblematik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts relativierte, nahm die Wahrnehmung von Natur und Umwelt national und international zu, wie mehrere Abkommen und Bündnisse belegen:

1946 KRW, Internationale Konvention zur Regelung des Walfangs,

1948 Gründung der Welt-Naturschutzorganisation,

1959 Antarktisvertrag,

1961 Gründung der OECD, der Gesellschaft für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung,

1968 Europäische Wassercharta.

Erste Regierungsverantwortung für den Umweltschutz in Deutschland übernahm im Herbst 1969 Innenminister GENSCHER in der sozialliberalen Koalition BRANDTS38. Er erkannte, welche Gestaltungsmöglichkeiten ihm der Themenstrauß in der neu übernommenen Abteilung „Gewässerschutz, Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung“ bot. Er suchte als erstes nach einer Alternative zum sperrigen Namen der Abteilung und entschied sich für „Abteilung U“, mit U für den in Deutschland noch kaum bekannten Begriff „Umweltschutz“ (wohl vom englischen environmental protection). Bald stellte GENSCHER ein „Sofortprogramm zum Umweltschutz“ vor, 1971 folgte das erste Umweltprogramm einer deutschen Bundesregierung.39 Bis zu seinem Wechsel an die Spitze des Auswärtigen Amts im Jahr 1974 setzte GENSCHER ein ambitioniertes Reformprogramm um, für das es nicht nur in Deutschland kein Vorbild gab. Er legte u.a. das Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm, das Benzinbleigesetz, das Abfallbeseitigungsgesetz und das Bundesimmissionsschutzgesetz vor, schuf den Sachverständigenrat für Umweltfragen und gründete das Umweltbundesamt in Berlin. Zum Naturschutzbeauftragen der Bundesregierung machte er den international anerkannten Frankfurter Tierarzt und Verhaltensforscher B. GRZIMEK.

1972 wurde dann für den Umweltschutz zum Schlüsseljahr. Die UNO stellte sich diesem Thema und berief eine Weltkonferenz über die menschliche Umwelt mit dem Ziel einer Bestandsaufnahme aller Umweltgefahren ein (5.−16. Juni 1972 in Stockholm).

Mit der Konferenz in Stockholm 1972 begann die internationale Umweltpolitik. Ihr kalendarischer Beginn, der 5. Juni, ist heute noch der „Internationale Tag der Umwelt“.

Im Abschlussdokument der Umweltschutzkonferenz, der „Deklaration von Stockholm”, bekennen sich die 122 Teilnehmerstaaten (ohne die Ost-Staaten) zur Grenzen überschreitenden Zusammenarbeit, zu 26 Prinzipien für Umwelt und Entwicklung und dazu, dass zwar jeder Staat seine eigenen Ressourcen heben kann, dabei aber anderen Staaten kein Schaden zugefügt werden darf.

Auf Vorschlag der Stockholmer Konferenz wurde im gleichen Jahr durch die UN-Vollver-sammlung das UN-Umweltprogramm (UNEP) mit Sitz in Nairobi/Kenia gegründet. Ins Leben gerufen wurde auch das Erdbeobachtungssystem „Earthwatch”, ein Aktionsplan zum Monitoring und zur Bewertung der globalen Umwelt.40

3Club of Rome: Grenzen des Wachstums?

1972 ist auch das Jahr der ersten und bekanntesten Veröffentlichung des Club of Rome, der „Grenzen des Wachstums“ mit D. MEADOWS als Herausgeber.

Der Club of Rome ist, wie „Club“ nahelegt, ein informeller Zusammenschluss von etwa 70 Mitgliedern aus 25 Staaten. Seine spektakuläre Geschichte beginnt 1967 mit einer Begegnung zwischen A. PECCEI, einem Manager der FIAT, und A. KING, einem schottischen Chemiker. Während seiner Arbeit um die Welt reisend, wurde PECCEI über das Tempo der sozioökonomischen Entwicklung, die Umweltzerstörung und das Nord-Süd-Gefälle zunehmend besorgter. Seine Bedenken äußerte er in einer Grundsatzrede vor ADELA, einer neuen Investmentgesellschaft. Zufällig landete sein Redetranskript auf dem Schreibtisch von A. KING, der so beeindruckt war, dass er PECCEI kontaktierte und ein Treffen vorschlug.1

Auf Einladung der beiden versammelten sich 1968 rund 30 europäische Wissenschaftler, Ökonomen und Industrielle in Rom, um über globale Probleme zu diskutieren. Das Treffen war nicht unbedingt ein Erfolg, auch weil das Hintergrundpapier für die Diskussion zu abstrakt, kompliziert und kontrovers geraten war. Bei einem Abendessen in kleiner Gruppe waren sich die Teilnehmer einig, dass sie „zu dumm, naiv und ungeduldig“ gewesen seien und sich eingehender mit der Thematik beschäftigen müssten. Sie beschlossen, sich hierfür ein Jahr Zeit zu geben und sich dann neu in einem Diskussionskreis zu treffen, den sie fortan den „Club von Rom“ nannten.2

Bis 1969 war der Club eine informelle Gruppe von Personen, die sich häufiger trafen, um globale Probleme besser zu verstehen. Als ihre Zahl wuchs, wurde es notwendig, eine rechtliche Struktur zu schaffen und A.PECCEI als Präsidenten zu ernennen. Sein Credo war, dass das Verständnis der „Problematique“, wie der Club die miteinander verbundenen Herausforderungen nannte, unerlässlich sei, um für die Zukunft zu planen.3

Auf Einladung der Schweizer Regierung hielt der Club 1970 seine erste offizielle Sitzung in Bern ab. PECCEI hatte den türkischen Zukunftsforscher H. OZBEKHAN eingeladen, ein Modell vorzuschlagen, um die missliche Lage der Menschheit zu untersuchen. Dem Forum erschien dies Modell nicht geeignet; es akzeptierte dann aber einen Vorschlag des MIT-Professors J. FORRESTER, das Potential seiner Computermodelle zu nutzen. Der Club beschloss, eine Gruppe von MIT-Forschern mit der Entwicklung des sogenannten „World3-Modells“ und der Erstellung eines ersten Berichts an den Club of Rome zu beauftragen.4

1971 wurden Entwürfe des Berichtes unter dem Titel „The Limits to Growth“ der niederländischen Presse zugespielt und lösten eine überwältigende Resonanz aus. F. BOETTCHER, der Leiter der niederländischen Delegation im OECD-Ausschuss für Wissenschaft und Technologie, überredete den Club daraufhin, „The Netherlands Association for the Club of Rome“ zu gründen, den ersten nationalen Verband. Die Gründung anderer nationaler Verbände, auch eines deutschen, folgte schnell.5 1972 war der Bericht an den Club of Rome fertig, erstellt von Forschern am MIT unter der Leitung von D. MEADOWS, die die Methoden J. FORRESTERS nutzten.

„The Limits to Growth“ gilt als Klassiker der Nachhaltigkeitsbewegung und war die erste Studie, die die Lebensfähigkeit des anhaltenden Wachstums vor dem Hintergrund des menschlichen ökologischen Fußabdrucks in Frage stellte.

Die Veröffentlichung betrat auch Neuland als erstes globales Modell, das von einem unabhängigen Gremium und nicht von einer Regierung oder der UNO in Auftrag gegeben wurde. Übersetzt in über 30 Sprachen hat sich das Buch mehr als 16 Millionen Mal verkauft.6

Für „Die Grenzen des Wachstums“ nutzte MEADOWS den Ansatz einer „Dynamik komplexer Systeme“ (= „Systems Dynamics“) für die Modellierung einer homogen angenommenen Welt. Es berücksichtigte die Wechselwirkungen zwischen Bevölkerungsdichte, Nahrungsmittelressourcen, Energie, Material und Kapital, Umweltzerstörung, Landnutzung usw. Das Modell ermöglichte mittels Computersimulation eine Reihe von Szenarien, mit Annahmen über verschiedene „stabilisierende“ politische Maßnahmen.

Die Aussagen aller Modelle liefen darauf hinaus, dass sich die Weltbevölkerung und ihr Wohlstand in den nächsten hundert Jahren dramatisch reduzieren würde, wenn der Ausbeutungstrend (nach Stand von 1972) unverändert anhielte. MEADOWS hatte bewusst vereinfacht, um überhaupt zu Ergebnissen zu kommen. Er wollte auch keine Prognosen mitteilen, sondern Modelle aufstellen und testen. Die Öffentlichkeit sah das anders und nahm den Bericht als Hiobsbotschaft – was ihm weltweite Publizität und dem Club of Rome vor allem in Großbritannien und den USA das Image unverantwortlicher Schwarzmalerei eintrug. In Deutschland dagegen wurde der Club of Rome für „Grenzen des Wachstums” 1973 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.

Der Veröffentlichung von 1972 folgten weitere Berichte des Club of Rome, so D. Meadows [u.a.]: Die neuen Grenzen des Wachstums, 1992; D. Meadows [u.a.]: Grenzen des Wachstums. Das 30-Jahre-Update, 2006. Sie modifizierten die Ergebnisse der Ursprungsveröffentlichung, kehren sie jedoch nicht um. Wenn auch inzwischen Emissionen mit aufgenommen sind – die Berichte des Club of Rome sind keine Klimareports geworden und enthalten auch keine diesbezüglichen Prognosen, sehr wohl aber Handlungsanweisungen für die Politik vor dem Hintergrund begrenzter Ressourcen. So ist der sparsame Umgang mit Energie mehrfach thematisiert. Typisch für die Handlungsempfehlungen der MEADOWS (zu den Autoren gehörte auch die Ehefrau D. MEADOWS‘, Prof. Dr. DONELLA MEADOWS, † 2001) sind die allgemeinen Maximen, von denen hier drei zitiert seien:

„Wir brauchen nicht Wachstum, sondern Entwicklung. Sofern für die Entwicklung ein materieller Zuwachs erforderlich ist, sollte dieser gerecht erfolgen und unter Berücksichtigung sämtlicher realen Kosten finanzierbar und nachhaltig sein.“

„Wir müssen Techniken fördern, die den ökologischen Fußabdruck der Menschheit verkleinern, die Effizienz erhöhen, Ressourcen stützen, Signale deutlicher machen und materielle Benachteiligung beenden.“

„Wir müssen unsere Probleme als Menschen angehen und außer der Technik noch weitere Möglichkeiten zu ihrer Lösung einsetzen.“7

4Wahrnehmung und Beginn einer Klimapolitik

4.2 Weltklimarat

Neben WMO, Weltklimakonferenzen, Weltgipfeln, COP, CMP gibt es noch eine weitere internationale Einrichtung, die sich um das Weltklima und seine Stabilisierung kümmert: den IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) als Gremium der Experten.

Der IPCC wurde 1988 von der UN-Umweltorganisation (UNEP) und der WMO gegründet. Seine Aufgabe ist es, die Politik neutral über die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Klimaveränderung und zu möglichen Gegenmaßnahmen zu informieren. 195 Staaten sind Mitglieder des IPCC. Sie benennen jeweils Experten, meist Fachwissenschaftler, die ihre Berichte eigenständig erstellen und als (weitgehend) unabhängig gelten. Das Gremium hat seinen Sitz in Genf und betreibt keine eigene Forschung, sondern wertet eine große Zahl von anerkannten Studien aus und fasst die zentralen Erkenntnisse daraus zusammen. Den breiten wissenschaftlichen Konsens sichern mehrere tausend beim IPCC registrierte Gutachter, die die Berichte kommentieren und natürlich auch kritisieren können (und sollen).

Publizität gewinnt der IPCC regelmäßig durch seine großen Sachstandsberichte, von den bisher nach einem ersten im Jahr 1990 vier weitere im Abstand von 5‒6 Jahren erschienen sind. Der bislang letzte ist der Fünfte Sachstandsbericht (AR5) von 2013/14, der als Ergebnis eines fünfjährigen Arbeitsprozesses in drei Bänden vorgelegt wurde. Die Kernergebnisse des ersten, die naturwissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels und künftige Entwicklungen des Klimasystems behandelnden Bandes zeigt die nachstehende Auflistung:1

Die atmosphärische CO2-Konzentration liegt heute rund 40 % über vorindustriellem Niveau.

Die Durchschnittstemperatur an der Erdoberfläche stieg zwischen 1880 und 2012 um 0,85 °C.

Auch die Ozeane haben sich deutlich erwärmt.

Die drei Jahrzehnte seit 1980 waren jeweils wärmer als jedes andere Jahrzehnt seit 1850.

Eindeutig der Mensch ist verantwortlich für den größten Teil der Erwärmung zwischen 1951 und 2010.

Mit wenigen Ausnahmen schrumpfen weltweit die Gletscher, und das Tempo beschleunigt sich.

Die Ausdehnung des arktischen Meereises sinkt seit 1979 um durchschnittlich 3,8 % pro Jahrzehnt.

Etwa 30 % des durch menschliche Aktivität freigesetzten CO2 wurden von den Ozeanen aufgenommen, die deutlich versauern.

Die weltweiten Meeresspiegel werden bis ca. 2100 um etwa 2682cm steigen.

Steigt der Treibhausgas-Ausstoß weiter wie bisher, erwärmt sich die Erde bis ca. 2100 um 2,6 bis 4,8 °C.

Der sechste IPCC-Sachstandsbericht als Hauptprodukt des aktuellen Berichtszyklusses (2016‒2022) wird 2021/22 veröffentlicht. Daneben kennt der IPCC Sonderberichte, von denen sich der jüngste vom Oktober 2018 auf das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels fokussierte.

Die Berichte sind in der Regel etwa 1.500 Seiten stark und durch eine Vielzahl von Mitwirkenden erstellt. Angesichts der Vielzahl zusammengetragener Informationen und der breiten Mitwirkung anerkannter Klimawissenschaftler gelten diese Berichte als der heilige Gral der Klimaforschung – sie geben letztlich den Mainstream vor.