Wasserstofftechnologie - Fritz Dieter Erbslöh - E-Book

Wasserstofftechnologie E-Book

Fritz Dieter Erbslöh

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Beschreibung

Zur Umsetzung der Energiewende und Erreichung der Klimaziele werden zunehmend alternative Energieträger benötigt. Dem Wasserstoff kommt hierbei als Energieträger, der CO2-frei oder CO2-arm produziert werden kann, eine Schlüsselrolle zu. Das Buch gibt Einblicke in technische Verfahren zur Herstellung und Speicherung von Wasserstoff und in Verfahren der Energieerzeugung. Es erläutert, welche Rolle diesen Technologien im Rahmen der Energiewende zukommt und welche Anwendungen zukünftig wichtig sein werden.

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Fritz Dieter Erbslöh

Wasserstofftechnologie

Technische, wirtschaftliche und politische Aspekte

Umschlagabbildung: © iStock.com/audioundwerbung

 

DOI: https://doi.org/10.24053/9783816985334

 

© 2023 expert verlag

‒ ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

 

Internet: www.expertverlag.deeMail: [email protected]

 

ISBN 978-3-8169-3533-9 (Print)

ISBN 978-3-8169-0126-6 (ePub)

Inhalt

Vorwort1 Einleitung2 Das Element Wasserstoff3 Die frühe Geschichte4 Die Technik 14.1 Gewinnung4.1.1 Schwarzer und brauner Wasserstoff4.1.2 Grauer Wasserstoff4.1.3 Blauer Wasserstoff4.1.4 Türkiser Wasserstoff4.1.5 Grüner Wasserstoff4.1.6 Roter Wasserstoff4.1.7 Überblick4.2 Speicherung4.2.1 Die Verfahren4.2.2 Umsetzungsbeispiele4.3 Transport und Verteilung4.3.1 Individualtransporte4.3.2 Transport über Leitungen4.4 Speicherung und Transport von Derivaten5 Die Technik 2: Wandler für Wasserstoff5.1 Motorische Nutzung5.1.1 Verbrennungsmotor5.1.2 Dampfturbine5.1.3 Gasturbine5.1.4 Wasserstoffmotoren, Wasserstoffturbinen5.2 Brennstoffzellen: Strom und Wärme5.3 Verfahrenstechnik: Chemische Prozesse6 Perspektiven der Anwendung6.1 Energiewirtschaft6.1.1 Umweltbilanz Energiewirtschaft6.1.2 Energiewirtschaftliches Programm6.1.3 Die Rolle des Wasserstoffs6.1.4 Wasserstoffproduktion6.1.5 Wasserstofffabriken6.1.6 Roadmap für die Energiewirtschaft6.2 Industrie6.2.1 Umweltbilanz Industrie6.2.2 Wasserstoff für die Industrie6.2.3 Gesamtbedarf und Roadmap6.3 Verkehr6.3.1 Umweltbilanzen Luftverkehr, Seeverkehr6.3.2 Wasserstoff für den Verkehr?6.3.3 Roadmap für den Verkehr6.4 Gebäude6.4.1 Umweltbilanz Gebäudesektor6.4.2 Wasserstoff oder Wärmepumpe für den Gebäudesektor?6.4.3 Zukunft offen6.5 Wasserstoffbedarf und Preise6.6 Wasserstoffwirtschaft7 Wasserstoff als Teil der Energiewende7.1 Der Weg zur Energiewende7.2 Welt-Klimakonferenzcen7.3 Nationale Wasserstoffstrategie7.4 Europäische Wasserstoffstrategie7.4.1 Das Europäische Parlament7.4.2 Die Kommission7.5 Wasserstoffstrategie in Frankreich7.6 Wasserstoffstrategie in Großbritannien7.7 Europa im Überblick und Vergleich7.8 Wasserstoff in USA7.9 Wasserstoff in Japan7.10 Wasserstoff in China7.11 Wasserstoff in Australien7.12 Wasserstoff in Saudi-Arabien7.13 Wasserstoff in Qatar und VAE8 ZusammenfassungAbkürzungenLiteratur und QuellenRegister

Vorwort

Häufig in öffentlichen Diskursen, zumal bei denen um eine zukunftsgerechte Gestaltung von Produktion, Mobilität und Energieversorgung, kommen mir Zweifel ob der Grundlagen, auf denen diese geführt werden. Und es drängt sich die Hegel’sche Einsicht auf:

„Preßfreiheit definieren als die Freiheit, zu reden und zu schreiben, was man will … gehört der noch ganz ungebildeten Rohheit und Oberflächlichkeit des Vorstellens an.“ (G. W. F. Hegel)

Nur eine aufgeklärte Gesellschaft, die sich mit gesicherten – oder besser: mit nicht falsifizierten Hypothesen und Modellen auseinandersetzt – kann zu tragbaren Kompromissen und Entscheidungen kommen; nur sie kann daraufhin politisches Personal in Parlamente wählen, das geeignete Rahmenbedingungen für eine vorteilhafte wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung absteckt und in Gesetze fasst.

Die Realität heute sieht nur zu oft anders aus: Es flirren Meinungen durch die Welt, Kommentare und objektive Berichterstattung werden nicht mehr sauber getrennt, eine gemeinsame Faktenbasis wird nicht mehr geschaffen. Für so fundamentale Entscheidungen, wie der über den Umbau der Energieversorgung, Mobilität und Produktion ist das überaus gefährlich.

Erste Szene: Die Situation

Mit der Vergabe des Physik-Nobelpreises an Syukuro Manabe, Klaus Hasselmann und Giorgio Parisi im Jahr 2021 für die Erstellung von Klimamodellen (Letzterer für die grundlegende Beschreibung chaotischer Systeme) darf als anerkannt gelten, dass die globale Erwärmung mit der CO2-Konzentration nicht nur korreliert, sondern in einem Kausalzusammenhang steht.

Durch anthropogenen Eintrag von Kohlenstoff schaffen wir uns also eine Atmosphäre, die unsere Lebensgrundlagen zu vernichten droht und dies bereits in großen Gebieten der Erde tut. Ökonomisch ein Schneeballsystem, werden doch die Kosten des Wohlstands externalisiert und deren Begleichung in die Zukunft verlagert. Damit ist die Faktenbasis eindeutig.

Nächste Szene, Auftritt: Der Wasserstoff.

Seine Gewinnung kann CO2-frei gestaltet werden, sein Oxidationsprodukt liefert Wasser. Als chemischer Energieträger ist er, seiner geringen volumetrischen Energiedichte zum Trotz, sehr wohl geeignet, seine physikalischen Eigenschaften sind technisch beherrschbar und seine Handhabung industriell gut eingeübt, seine Einsatzmöglichkeiten als Reduktionsmittel für metallurgische Verfahren und als Grundstoff für chemische Prozesse lange bekannt. Es ist gerade die Universalität im Einsatz für die Energiewirtschaft, die direkte Nutzung als Brennstoff im Gebäudesektor und der Industrie, als Kraftstoff in der Mobilität, die den Nachteil der Komplexität in sich birgt.

Egal, ob er direkt, komprimiert, verflüssigt, in Verbindungen als Ammoniak, durch Hydrierung und Dehydrierung an Carrier, in synthetischen Kraftstoffen durch Fischer-Tropsch-Synthese Verwendung findet. Ob er durch Power-2-Gas, durch Erdgaspyrolyse, im Synthesegasprozess mit anschließender CO2-Verpressung zur Verfügung gestellt wird. Die technischen Lösungswege zur Versorgung in der Zukunft sind mannigfaltig und liegen prozessual weit auseinander.

In diese Vielfalt gilt es Ordnung zu bringen, Ordnung in Köpfen, Ordnung für eine Gesellschaft, die sowohl politisch zu entscheiden hat und letztlich auch den technischen Wandel herbeiführen muss. Dazu dient der vorliegende Band.

Den Leserinnen und Lesern dieses Buches erschließen sich nach der Lektüre die Zusammenhänge und die Technologie des Wasserstoffs. Auch deshalb bin ich Fritz Dieter Erbslöh für dieses dritte Werk seiner „Energietrilogie“ dankbar: Voraussetzung für das Verständnis ist lediglich ein in der Schule erworbenes Wissen elementarer naturwissenschaftlicher Zusammenhänge, alles Weitere wird sachkundig erklärt und darüber hinaus auch in den historischen Kontext gestellt.

Deutlich wird, dass es keinen „Königsweg“ per se gibt, dass die großflächige Umsetzung dieser Technologien systembedingt teuer, dass sie idealerweise in Verbundsystemen zu realisieren sind und dass mit Energie deutlich intelligenter – vulgo: sparsamer – umzugehen sein wird als bislang. Fehler und Fehleinschätzungen der Vergangenheit werden ebenso beleuchtet wie die Blicke in die Zukunft.

Der Aufwand des erwähnten Wandels ist enorm und nicht zum Nulltarif zu haben. Gleichwohl ist er lohnend, denn er fördert Tugenden zu Tage, in denen unser Kontinent immer schon gut war: Verfahren zu entwickeln, Prozesse zu optimieren, Effizienzen zu steigern – eine Aufgabe, die wie geschaffen ist für eine Wissensnation wie Deutschland, für eine hochentwickelte Industrie- und Dienstleistungsgemeinschaft wie die Europäische Union.

Belohnt werden Sie nach dem Lesen oder Nachschlagen, indem Sie auch die Grundpfeiler des Pariser Klimaabkommens, die der jeweiligen nationalen Wasserstoffstrategien und die zukünftigen Entscheidungsansätze der Landtage und des aktuellen sowie der kommenden Bundestage technisch besser einzuordnen wissen.

Und damit – so schließt sich der Kreis zu Hegel – können Sie fundiert an der Meinungsbildung teilnehmen. Betrachten Sie es als Zugabe, wenn Sie dieses Buch beruflich oder privat zudem noch vor der einen oder anderen klimaschädlichen Fehlinvestition bewahrt.

 

Essen, im Juni 2023

Prof. Dr. Werner Klaffke

Haus der Technik e.V.

1Einleitung

Es gibt in der Geschichte der Menschheit Großereignisse, die zu Wendepunkten der weiteren Entwicklung wurden. Sie sind in ganz unterschiedlichen Formen aufgetreten, wie es ausgewählte Beispiele aus historischer Zeit zeigen, die selten punktuell zu verorten sind und oft den Charakter von Prozessen haben:

Völkerwanderung mit Niedergang des Römischen Reiches

1492 Entdeckung Amerikas

Reformation und Aufklärung, kulturelle Wende zur Neuzeit

Pestwellen von Asien nach Europa und von dort wieder nach China

1789 Französische Revolution als Wegbereiter unserer Demokratien

Industrialisierung im 19. Jahrhundert

Weltkriege I und II und deren politische und wirtschaftliche Folgen

KlimawandelKlimawandel und EnergiewendeEnergiewende gehören zweifellos in diese Kategorie. Sie sind weltumspannend, tief in unsere Zivilisation eingreifend und erzwingen technischen, wirtschaftlichen und sozialen Wandel im kurzen Zeitraum von weniger als einem Jahrhundert.

KlimawandelKlimawandel und EnergiewendeEnergiewende gehören in dem Sinn zusammen, dass das Zweite die Antwort des Menschen auf das Erste ist. Und auch für das Erste gilt der Mensch mit den von ihm verursachten TreibhausgasemissionenTreibhausgasemissionen als verantwortlich.

Die EnergiewendeEnergiewende allein wird die vorindustriellen Zustände nicht wiederherstellen können, aber doch den weiteren Anstieg der EmissionenEmissionen begrenzen. Mit dem Rest an KlimawandelKlimawandel, auch mit einem kontrollierten Anstieg der weltweiten Temperaturen, müssen wir lernen zu leben. So etwa stellt sich, stark verkürzt, unsere globale Zukunft dar. Der Weg dahin ist ohne Alternative: Ein Zurück zur Steinzeit, auch in der gemäßigten Form der Suffizienz, also des Verzichts und der Rückführung zivilisatorischer StandardsRückführung zivilisatorischer Standards, wäre nur für wenige Exoten akzeptabel.

EnergiewendeEnergiewende bedeutet im Kern Wechsel der Energieträger − weg von Kohle, Erdöl und ErdgasErdgas, hin zu emissionsfrei gewonnenen und emissionsfrei nutzbaren Energieformen. Hier ordnen sich neben dem Strom als Träger elektrischer Energie der Wasserstoff und seine DerivateDerivate ein. In der Perspektive für das Jahr 2050, wenn KernenergieKernenergie schon lange nicht mehr verfügbar ist und die vertrauten nicht-​regenerativen Primärenergien ebenfalls ausgeschieden sind, sind diese beiden Energieformen die einzigen verfügbaren Träger für Industrie, Mobilität und privaten Konsum in Deutschland.

Strom und Wasserstoff einschließlich seiner DerivateDerivate findet man anders als Kohle, Erdöl und Gas nicht in der Natur – beide sind synthetische Energieformen, Produkte eines oder mehrerer Arbeitsschritte. Für den Strom ist das inzwischen mit Windenergieanlagen und Photovoltaikfarmen bürgernah vertraut, für den Wasserstoff und seine DerivateDerivate dagegen Experten-​Wissen, das seinen Stand durch Forschung und Entwicklung ständig mitlaufend verändert.

Hier setzt der vorliegende Band an. Er verfolgt zunächst den Nutzungsweg des Wasserstoffs von seinen Anfängen an – schließlich geht seine Entdeckung auf die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert zurück. Lange Zeit war Wasserstoff nur als TraggasTraggas für Luftfahrzeuge gefragt, bis dann im 20. Jahrhundert seine stofflichen Eigenschaften interessant wurden, von der HydrierungHydrierung bis hin zur Verwendung als Raketentreibstoff.Raketentreibstoff.

Ein großes Kapitel beschäftigt sich mit den Verfahren zu Gewinnung, SpeicherungSpeicherung und TransportTransport nach gegenwärtigem Stand, ein weiteres mit der Wandlung von Wasserstoff in andere nutzbare Energieformen.

Einen Schwerpunkt bilden die Anwendungen des Wasserstoffs unter dem Aspekt der DekarbonisierungDekarbonisierung in den großen, maßgeblich zu den Treibstoffgas-​EmissionenEmissionen beitragenden Bereichen EnergiewirtschaftEnergiewirtschaft, Industrie, Verkehr und Gebäude. Hier ist jeweils ein Ausblick in die Fortentwicklung hin zu einer künftigen WasserstoffwirtschaftWasserstoffwirtschaft mit aufgenommen.

Dass Wasserstoff seinen Stellenwert als Partner der EnergiewendeEnergiewende gewonnen hat, reflektiert die nationale wie die internationale Energiepolitik, deren Entstehung und Stand vor dem Hintergrund der Erkenntnisse der Klimawissenschaften ausführlich behandelt werden. Ohne umfangreiche staatliche und weltumspannende Maßnahmen, tiefe strukturelle Eingriffe und groß dimensionierte finanzielle Förderung wird es weder WasserstoffwirtschaftWasserstoffwirtschaft noch erfolgreiche Energiewende geben.

Der Ausblick über die Grenzen wird zeigen, dass Wasserstoff inzwischen international zu einem Schlüsselelement der weltweit verfolgten EnergiewendeEnergiewende geworden ist. Die grenzüberschreitende Sicht ist für Deutschland auch deshalb essenziell, weil der große Bedarf an Wasserstoff im eigenen Land keinesfalls gedeckt werden kann. Unumgänglich notwendig sind ImporteImporte großen Umfangs – entweder von „grünem“ Wasserstoff oder von „grünem“ Strom oder auch von beiden Energieträgern.

Der Autor sieht das Gelingen der EnergiewendeEnergiewende maßgeblich mit dem breiten Einsatz des Wasserstoffs verbunden und hofft, dass die in diesem Band angesprochenen Möglichkeiten und Perspektiven letztendlich zu ihrem Erfolg beitragen. Sicher ist das leider nicht. Das Zieljahr 2030 wird zeigen, ob die zweifellos erkennbaren Anstrengungen tatsächlich ausreichen.

Zwei Einschränkungen sind jedoch notwendig: Der Text gibt im Wesentlichen den Stand zum Jahresende 2022 wieder. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich in den kommenden Jahrzehnten neue Wege ergeben, die mehr als die gegenwärtig sichtbaren bewegen. Das gilt insbesondere für die Gewinnung des Wasserstoffs, für die sich nach Kap. 7 neue, nicht strombasierte Alternativen andeuten.

Die zweite Einschränkung bezieht sich auf die seit dem Frühjahr 2022 andauernde russische Invasion der Ukraine. Zu den Antworten des Westens gehört neben umfangreichen wirtschaftlichen Sanktionen auch eine veränderte Zukunftssicht, die auf eine massive Reduzierung der wirtschaftlichen Abhängigkeiten von Russland hinausläuft, im Wesentlichen gegeben im ImportImport von Primärenergie (Kohle, Erdöl, ErdgasErdgas), landwirtschaftlichen Produkten und einer Reihe anderer Rohstoffe.

Hier sind zumindest indirekte Folgen für den Aufbau einer europäischen WasserstoffwirtschaftWasserstoffwirtschaft zu erkennen, die in Umfang und Intensität schwer einschätzbar sind. Einige Tendenzen konnten gleichwohl vor Drucklegung berücksichtigt werden.

2Das Element Wasserstoff

In der Natur kommt Wasserstoff anders als Kohle, Erdöl und ErdgasErdgas nicht als unmittelbar zugänglicher Rohstoff vor, ist jedoch in fast allen organischen Verbindungen, in vielen chemischen Verbindungen wie Kohlenwasserstoffen und natürlich im verbreitet vorhandenen Wasser gebunden enthalten. Der WasserstoffvorratWasserstoffvorrat ist damit unerschöpflich, denn die Erdkruste besteht zu ca. 50 % aus Wasserstoff − er ist damit das häufigste Element auf der Erde.

Wasserstoff ist unter Normalbedingungen gasförmig, viel leichter als Luft und leicht entflammbar. Er hat einen sehr weiten Zündbereich von 4–77 % bei einer Zündtemperatur von 560 °C und ist damit hochreaktiv.1 So kann sich das Gas bei hohen Ausströmgeschwindigkeiten selbst entzünden. Das Gefahrenpotential von Wasserstoff gilt jedoch als nicht größer als das von Erdöl, ErdgasErdgas oder Uran. Von daher gelten für den Umgang mit Wasserstoff in Deutschland die allgemeinen Sicherheitsvorschriften für brennbare Gase, insbesondere die Technischen Regeln für Gefahrstoffe, und hier wiederum speziell die TRGS 407, (Tätigkeiten mit Gasen – Gefährdungsbeurteilung). Die technischen Regeln werden vom Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) festgelegt, der das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu Fragen der GefahrstoffverordnungGefahrstoffverordnung berät und seine Rechtsgrundlage im § 20 der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) hat. Druckgasflaschen zum Beispiel erhalten danach einen den Inhalt kennzeichnenden Farbanstrich, bei Wasserstoff rot (Schulterkappen).

Brenngas

Heizwert HU in MJ/kg

Heizwert HU in MJ/m3

Methan

50,013

35,883

Acetylen

48,222

54,493

Ethylen

47,146

59,497

Ethan

47,486

64,345

Propan

64,354

93,215

n-​Butan

47,715

123,810

Wasserstoff

119,972

10,783

Tabelle 1-1:

EnergiedichteEnergiedichte relevanter Heizgase, hier als Heizwerte HU; beim HeizwertHeizwert HO, auch Brennwert genannt, wird zusätzlich die Kondensationswärme des Wasserdampfes berücksichtigt; Quelle: Industriegase Lexicon

Für den Gegenstand dieses Buches besonders relevant ist die EnergiedichteEnergiedichte. Wasserstoff hat mit 120 MJ/kg einerseits den höchsten gravimetrische HeizwertHeizwert, s. Tab. 1-1. Die gravimetrische Energiedichte von Wasserstoff ist damit höher als die von Batterien, Akkumulatoren oder Pumpspeicherwerken, jedoch geringer als die Energiedichte von Kohlenwasserstoffen wie Benzin oder Dieselkraftstoff.

Bei seiner Verbrennung entsteht ausschließlich Wasser; dies gilt auch für die „kalte“ Verbrennung in Brennstoffzellen. Seine hohe Flammgeschwindigkeit erfordert allerdings für eine Nutzung in konventionellen Motoren und Gaskraftwerken konstruktive Änderungen.

Wichtiger für den technischen Umgang mit Wasserstoff ist die Frage, inwieweit sich das durch die geringe Molekülgröße bedingte hohe Diffusionsvermögen störend bemerkbar macht. Quantitative Rechnungen nach dem FICKSCHEN Gesetz ergeben für eine Stahlflasche mit einer Höhe von 1, 5 m, einem Innendurchmesser von 120 mm und einer Wandstärke von 10 mm bei Umgebungstemperatur und 30 bar Druck einen diffusionsbedingten Massenstrom von nur 5, 5 10−11 kg/s, was nach Umrechnung zu einem stündlichen Mengenverlust von 20 Millionstel führt. Das ist technisch wie wirtschaftlich ohne weitere Maßnahmen tolerierbar und als Störgröße von 2. Ordnung klein: Der häufig berichtete Nachteil der Wasserstoffdiffusion ist damit eher theoretischer Natur.

Ernster zu nehmen ist die durch Wasserstoff verursachte VersprödungVersprödung,Versprödung was im Regelfall auf eine Reduzierung der Festigkeit hinausläuft. Die unterschiedlich ausgeprägte Anfälligkeit für Wasserstoffversprödung bei sonst vergleichbaren Festigkeitseigenschaften schränkt die Werkstoffauswahl ein. Viele metallische Werkstoffe neigen bei intensivem Kontakt mit Wasserstoff zur Versprödung, worunter man allgemein das Absinken der Zähigkeit und damit der Festigkeit durch äußere oder innere Einflüsse beziehungsweise Gefügeumwandlungen versteht. Dies betrifft z. B. gewöhnlichen Stahl wie auch Titan. Ein Wechsel des Werkstoffs schafft hier Abhilfe: Austenitische, i. e. mit Nickel (Ni), Kobalt (Co) und Mangan (Mn) legierte Stähle sind weitgehend unempfindlich und sind so die meistverwendeten Werkstoffe im Umgang mit Wasserstoff geworden.2 Auch eine Auskleidung mit Kunststoffen gehört zu den technischen Möglichkeiten, von denen häufig bei Wasserstofftanks Gebrauch gemacht wird, s. Kap. 4.2, SpeicherungSpeicherung.

3Die frühe Geschichte

Entdeckt wurde Wasserstoff 1766 vom Engländer H. CAVENDISHCAVENDISH und dann noch einmal, unabhängig von CAVENDISH, 1787 durch A. LAVOISIERLAVOISIER, der die ersten systematischen Experimente durchführte. Ihm gelang so u. a. die Zerlegung von Wasser über heißem Eisen in Eisenoxid und Wasserstoff – ein Weg, um die Natur des Wassers aufzuklären, von dem man lange annahm, es sei ein elementarer Stoff. Dass Wasserstoff mit Luft (heute genauer: dem Sauerstoff der Luft) zu Wasser verbrannte, führte ihn zur Namensbildung „hydro-​gène“1, die bis heute mit „Hydrogen“ im englischen Sprachgebrauch überlebt hat.

Abb. 3-1:

Ritter und seine Apparatur; Quelle: Peter Kurzweil, Elektrochemische Speicher, S. 363–472

„1800 führte J. W. RITTERRITTER, Physiker und romantischer Naturphilosoph, die erste quantitative WasserelektrolyseWasserelektrolyse durch, nachdem W. NICOLSON und A. CARLISLE kurz zuvor erstmals Wasser elektrolytisch zerlegt hatten. Allerdings war das von ihm ermittelte Verhältnis von Wasserstoff- zu Sauerstoffgas (2,5:1) noch nicht exakt und seine Deutung des Experiments unzutreffend. Er betrachtete das Wasser als Element und vermutete, dass dieses unter dem Einfluss der Elektrizität zwar die Gestalt von Wasserstoff- und Sauerstoffgas annehme, dabei jedoch nicht zerfalle.“2 RITTERS Apparatur zeigt Abb. 3-1.

Wasserstoff, deutlich leichter als Luft, war und ist auch ein TraggasTraggas. Seine Verwendung in Ballons geht auf J. CHARLESJ. CHARLES zurück. Nachdem er am 27. August 1783 auf dem Marsfeld in Paris mit einem unbemannten Ballon von 4 m Durchmesser und 9 kg Traglast erfolgreich experimentiert hatte, wagte er einen bemannten Versuch: Am 1. Dezember 1783, kurz nach dem Start der Brüder MONTGOLFIER mit einem Heißluftballon, stieg J. CHARLES mit einem mit Wasserstoff gefüllten gummierten Seidenballon auf und erreichte 914 m Höhe sowie eine durchaus größere Flugweite. Sein Ballon, von ihm „Charlière“ genannt, war von einem Netz ummantelt, an dem eine kleine bootsähnliche Gondel hing.

Abb. 3-2:

Luftschiff Erbslöh 1909 vor seinem Hangar, Technische Daten: Länge: 53,20 m, Antrieb: Motor mit 92 kW (125 PS), zweiflügelige Luftschraube, 1909; Quelle: 2016 FAMILIENVERBAND ERBSLÖH

Auch Luftschiffe, durch F. GRAF VON ZEPPELIN ab 1900 populär gemacht, wurden zunächst mit Wasserstoff befüllt. Unfälle blieben nicht aus. Am 1. Dezember 1909 absolvierte das von O. EBSLÖH konstruierte Luftschiff Erbslöh seine offizielle Jungfernfahrt. Die Erbslöh unternahm eine Reihe erfolgreicher Fahrten – bis zum 13. Juli 1910, an dem die Erbslöh verunglückte. Ihr Namensgeber O. ERBSLÖH und vier Begleiter kamen ums Leben. Wie später ermittelt wurde, hatten Motorfunken den als Traggas verwendeten Wasserstoff entzündet und zur Explosion gebracht. Abb. 3-2 zeigt die Erbslöh mit ihrer eigentümlichen Gondel.

Die leichte Entzündlichkeit von H2-Luft-​Gemischen provozierte weitere Unfälle. Als größte Katastrophe in diesem Zusammenhang gilt das nie vollständig geklärte Unglück der Dixmude, die als LZ-114 in Deutschland gebaut worden war und 1920 als Reparationsgut von einer deutschen Mannschaft nach Maubeuge verbracht wurde, wo sie den neuen Namen Dixmude erhielt. Sie explodierte 1923 auf dem Flug von Toulon nach Salah, etwa 930 Meilen südwestlich von Tunis. 50 Personen waren an Bord, die Mannschaft und sieben Passagiere; ein Mahnmal in Pierrefeu-​du-​Var in der Provence erinnert an sie.

Bekannter wurde noch das Unglück der Hindenburg im Jahr 1937, bei dem 37 Menschen starben. Es dauerte nur wenig mehr als eine halbe Minute, um das seinerzeit und bis heute weltgrößte Flugobjekt zu zerstören, das im Anflug auf Lakehurst war, den US-​Luftschiffhafen rund 100 Kilometer südlich von New York. 22 Besatzungsmitglieder, 13 Passagiere und ein Landehelfer kamen ums Leben. Auch wenn trotz des Sturzes aus etwa 80 Meter 62 der insgesamt 97 Personen an Bord überlebten, ging das Unglück als Katastrophe um die die Welt und bedeutete letztlich das (vorläufige) Ende der zivilen Luftschifffahrt.3

Die Katastrophe hatte einen letztlich politischen Hintergrund: Wasserstoff als TraggasTraggas war zwar aus Sicherheitsgründen mittlerweile durch Helium ersetzt, jedoch hatte es die amerikanische Marine abgelehnt, Helium an das nationalsozialistische Deutschland zu liefern. Die Mannschaft hatte also keine Wahl und musste die Hindenburg, wie die anderen deutschen Luftschiffe auch, mit Wasserstoffgas füllen.

Wasserstoff als TraggasTraggas ist heute nur noch gelegentlich in Sonderfällen in Gebrauch, z. B. mit entsprechend hohe Sicherheitsvorgaben für die täglichen Wetterballone.

Die ElektrolyseElektrolyse wurde im 19. Jahrhundert rasch populär und auf empirischer Basis praktisch zu einem Standardverfahren. Mit ihrer Hilfe gelangen die verschiedensten Zerlegungen: 1802 stellten HISINGER und J. J. BERZELIUS Chlorat aus Kochsalz her. Im Zeitraum 1807–1818 gelang H. DAVY der Reihe nach die elektrolytische Gewinnung von Natrium, Kalium, Magnesium, Calcium, Strontium und Barium und schließlich auch noch von Lithium. 1849 berichtete KOLBE über die Elektrolyse von organischen Verbindungen. 1855 erhielt BUNSEN aus einer Schmelze größere Mengen an Lithiummetall. 1864 nutze der Amerikaner GIBBS die Elektrolyse zur quantitativen Analyse und schied Kupfer und Nickel elektrolytisch ab.

Abb. 3-3:

Theodor von Grotthus (*1785, † 26. März 1822); Quelle: Zeitschrift für Physikalische Chemie, Bd. 58; 1907, Verlag von Wilhelm Engelmann, Leipzig

TH. GROTTHUß,GROTTHUß der zeitgenössisch kaum beachte wurde und den Abb. 3-3 noch einmal in die Gegenwart zurückholt, versuchte im Jahr 1805 eine erste Erklärung am Beispiel der Wasserzersetzung. Er unterstellte, dass die angelegte Spannung eine Aufteilung in positiven Wasserstoff und negativen Sauerstoff bewirkte. Was TH. GROTTHUß mit seiner Theorie jedoch nicht erklären konnte, war die elektrolytische Abscheidung bei der Verwendung von Salzen, Säuren und Basen.

Das tiefere Verständnis der ElektrolyseElektrolyse ließ allerdings auf sich warten ‒ erst S. ARRHENIUSS. ARRHENIUS entwickelte 1884–1887 eine brauchbare Theorie der elektrolytischen Dissoziation.

Auch Brennstoffzellen sind keine Entdeckung des 20. Jahrhunderts. Ihr Wirkungsprinzip, das auf der Umkehrung der WasserelektrolyseWasserelektrolyse beruht, fand 1838 C.- F. SCHÖNBEINSCHÖNBEIN heraus. Er benutzte einen flüssigen Elektrolyten und tauchte zwei Platindrähte ein, denen er Wasserstoff bzw. Sauerstoff zuführte. Sein Ergebnis war der Nachweis einer Spannung, die sich daraufhin zwischen den Drähten aufbaute. Seine Entdeckung veröffentlichte er 1839, also ein Jahr später. Meist wird hier SIR WILLIAM GROVEGROVE als Entdecker genannt, der jedoch auf den Arbeiten von SCHÖNBEIN aufbaute und so zu seinem „Groveschen Element“ von 1844 kam. Die Reihenschaltung solcher Zellen lieferte ihm schließlich eine brauchbare Spannungsquelle, die er „Gasbatterie“4 nannte. Seine später auf zehn Elemente erweiterte Anordnung zeigt Abb. 3-4.

Abb. 3-4:

Gasbatterie nach Grove; Quelle: W. Ostwald, Elektrochemie, Leipzig 1896, Fig. 180

Der Weg zu einer Spannungsquelle mit kontinuierlichem Betrieb schien gelungen, zumal sich auch andere Brenngase anboten wie das aus Kohle, Luft und Wasser hergestellte „MondgasMondgas“, das auf den Chemiker C. LANGER und den deutsch-​englischen Chemie-​Industriellen L. MOND zurückgeht. Im Zuge ihrer Versuche 1889 entstand auch ein neuer Begriff: BrennstoffzelleBrennstoffzelleBrennstoffzelle (fuel cell).5

Da hatte der Wasserstoff schon begonnen, die Fantasie der Menschen zu beflügeln: „Wasserstoff und Sauerstoff werden zur unerschöpflichen und bezüglich ihrer Intensität ganz ungeahnten Quelle der Wärme und des Lichts werden – und dies mit einer Intensität, zu der Kohle nicht fähig ist.“6

Nicht alle Erwartungen erfüllten sich, so auch nicht der von F. W. OSTWALDOSTWALD vorgeschlagene Weg, Kohle als Brennstoff zu verwenden. Seine Erwartungen formulierte er so:

„Der Weg nun, auf welchem diese grösste aller technischen Fragen, die Beschaffung billiger Energie, zu lösen ist, dieser Weg muss von der Elektrochemie gefunden werden. Haben wir ein galvanisches Element, welches aus Kohle und dem Sauerstoff der Luft unmittelbar elektrische Energie liefert, und zwar in einem Betrage, der einigermaßen im Verhältnis zu den theoretischen Werten steht, dann stehen wir vor einer technischen Umwälzung, gegen welche die bei der Erfindung der Dampfmaschine verschwinden muss.“7

OSTWALDS Beitrag zur Entwicklung der BrennstoffzelleBrennstoffzelle war erheblich. Seine Theorie bescheinigte der Brennstoffzelle bei Raumtemperaturen einen WirkungsgradWirkungsgrad von 83 %, passend zu seinem Hinweis von 1884, dass Brennstoffzellen keine Wärmekraftmaschinen sind und so auch nicht den Begrenzungen des CARNOTschen Wirkungsgrades unterliegen, der für hohe Wirkungsgrade hohe Temperaturen verlangt.

Einen letzten Beitrag im ausgehenden 19. Jahrhundert lieferte dann W. NERNSTNERNST mit seiner NERNST-​Lampe, die die Eignung fester Elektrolyte für technische Anwendungen aufzeigte (was deutlich später zu Brennstoffzellen mit festen Elektrolyten führte). Statt Kohlefäden benutzte der als Brenner dienende „Nernst-​Stab“ eine Keramik, die bei einem Gleichstrom von z. B. 1-2 A ein sehr gleichmäßiges, weißes Licht erzeugte – die Elektronen-​Leitung wurde in heutigen Worten durch elektrolytische Leitung ersetzt. Die setzt allerdings erst bei hohen Temperaturen ein, was NERNST mit einer Vorheizung löste.8 Die technische Weiterentwicklung übernahm die AEG, die die neue Lampe im Jahre 1900 mit großem Erfolg auf der Weltausstellung in Paris präsentierte. Dass sie sich nicht lange am Markt der Beleuchtungskörper halten konnte und rasch durch die neuen Osmium-​Lampen abgelöst wurde, ist hier nicht von Belang.

Dass die Nachrichten zur Weiterentwicklung von Brennstoffzellen im letzten Viertel des Jahrhunderts seltener werden, hat einen einleuchtenden Grund: Die anfangs als neue Stromquelle gehandelte BrennstoffzelleBrennstoffzelle hatte mit dem elektrischen Generator einen übermächtigen Konkurrenten erhalten, der mit den ersten Blockstationen in den frühen 1880er Jahren seine Praxiseignung bewiesen hatte.

Für den Wasserstoff als Element endete das 19. Jahrhundert mit einem wichtigen Fortschritt: 1898 gelang dem Engländer J. DEWARDEWAR die VerflüssigungVerflüssigung. Er schaltete mehrere Kühlkreisläufe mit jeweils verschiedenen Kältemitteln zu einer Kaskade hintereinander und erreichte so 21,5 °K, den Siedepunkt des Wasserstoffs bei atmosphärischem Druck. Das etwa zur gleichen Zeit entwickelte Linde-​Verfahren (C. VON LINDE 1895), das auf dem Joule-​Thomson-​Effekt beruht und (in der Ursprungsversion) eine Kälteerzeugung im Temperaturbereich von 77 bis 100 °K erlaubte, diente zeitgenössisch zunächst der Luftzerlegung und war in diesem Sinne nicht konkurrierend.

Wirtschaftlich bestand um die Jahrhundertwende noch kein Bedarf für flüssigen Wasserstoff. An den bei der VerflüssigungVerflüssigung von Wasserstoff notwendigen tiefen Temperaturen hatte zunächst nur die akademische Forschung Interesse. Bis 1950 war die Zahl der Laboratorien, die Verflüssigungsanlagen unterhielten, auf gerade einmal zwölf angewachsen.9

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ging die Weiterentwicklung der Brennstoffzellentechnik nur langsam voran. Zwei Arbeiten von A. SCHMID10, 1923 und 1924, deren Gegenstand die Verwendung von Gasdiffusionselektroden mit größerer innerer Oberfläche war, brachten einen Fortschritt: Sie lieferten deutlich stärkere Ströme. E. BAUR und H. PREIS entwickelten eine BrennstoffzelleBrennstoffzelle mit Festelektrolyt nach NERNSTNERNST, die bei 1.000 °C betrieben werden konnte. Sie machten dies 1937 mit ihrer Veröffentlichung „Über Brennstoff-​Ketten mit Festleitern“ bekannt.

Der Russe O. K. DAVTYAN, der ab 1935 am Moskauer Institut für Öl und Gas tätig war, arbeitete in den 1940er Jahren an Festoxidbrennstoffzellen, untersuchte dafür verschiedene Oxidmischungen und promovierte 1944 mit einer Arbeit über Brennstoffzellen. Seine 1947 veröffentlichte Monografie gilt als das erste Buchwerk zum Thema Brennstoffzellen.

1932 trat Francis T. BACONBACON auf den Plan, ein Ingenieur, der sein ganzes berufliches Leben der Entwicklung von Brennstoffzellen widmete, ab 1940 im King’s College in Cambridge. Sein Ansatz konzentrierte sich auf das Zelldesign, das bisher auf poröse Platinelektroden und den Elektrolyten Schwefelsäure ausgerichtet war. BACON ersetzte die Platinelektroden durch Nickelelektroden und benutzte einen weniger aggressiven alkalischen Elektrolyten. Das nach ihm so benannte Bacon-​Design ergab schließlich 1959 eine brauchbare Anwendung: Ein 5-kW-​Stack, mit dem er ein Schweißgerät antreiben konnte. Auf BACON gehen auch erste Anregungen zur industriellen Nutzung zurück, z. B. als Antriebsaggregat in Unterseebooten.

Damit ging für die BrennstoffzelleBrennstoffzelle die Zeit der ersten Grundlagenforschung zu Ende. Was nun folgte, war Anwendungsentwicklung.

Eine der frühen technischen Verwendungen des Wasserstoffs ist die synthetische Herstellung von AmmoniakAmmoniak (NH3) aus Wasserstoff und Stickstoff nach der Reaktion

N2 + 3 H2 => 2 NH3

AmmoniakAmmoniak ist Grundstoff für die Herstellung stickstoffhaltiger Verbindungen, insbesondere von Salpetersäure (HNO3) und deren Verbindungen (Nitrate, im Oberbegriff auch Salpeter). Unter ihnen ist das Natriumnitrat wichtig, das unter der Kurzbezeichnung Chilesalpeter als ausgezeichneter Pflanzendünger gilt. Kaliumnitrat wiederum dient der Herstellung von Schwarzpulver. Salpeter war also ein wichtiges Wirtschaftsgut, das im 19. Jahrhundert zum Aufblühen der „Salpeterfahrt“ geführt hatte, dem TransportTransport von Salpeter von seinen natürlichen Fundorten in Südamerika, überwiegend Chile, in die europäischen Häfen.11

Diese beiden Salpeter-​Eigenschaften wurden zum Anreiz für die Wissenschaft – und später zum Innovationstreiber, als Deutschland zu Beginn des 1. Weltkriegs durch die alliierte Seeblockade von seinen natürlichen Stickstoffquellen abgeschnitten wurde. Der deutsche Chemiker F. HABERHABER wies den richtigen Weg zur Synthese. Er hatte in den Jahren 1903 bis 1909 die oben beschriebene Reaktion zwischen Stickstoff und Wasserstoff untersucht und dabei hohen Druck und einen Edelmetallkatalysator verwendet: Es bildete sich dabei in einer Gleichgewichtsreaktion das gesuchte AmmoniakAmmoniak, das er abtrennen konnte, während die nicht verbrauchten Reagenzien in die Synthesereaktion rückführbar waren. Das erste Ammoniak erhielt HABER in seinem Labor im Jahre 1909.

Die technische Synthese von AmmoniakAmmoniak aus Stickstoff und Wasserstoff schien damit möglich. Man brauchte allerdings drei Verfahrenselemente: hohe Temperaturen, hohen Druck und Katalysatoren.

Der nächste Schritt war eine Wirtschaftskooperation mit der BASFBASF, die HABERHABER für eine großindustrielle Umsetzung seines Verfahrens gewinnen wollte. Sie erwies sich als fruchtbar, jedoch waren noch technische Schwierigkeiten zu lösen, hauptsächlich die Wahl des Ofenmaterials. Die Reaktoren mussten hohe Temperaturen und Drucke aushalten und dicht für den leicht diffundierenden Wasserstoff bleiben. Der BASF-​Chemiker C. BOSCHBOSCH fand nach vier Jahren die Lösung, sodass der Laborversuch auf die großtechnische Produktion der BASF übertragen werden konnte. Das ingenieurtechnische Ergebnis waren betriebssichere Apparaturen und spezielle Reaktionsöfen, beides unter Verwendung neuer Stahlsorten. Die dritte Problemkomponente war die Auswahl eines brauchbaren und zugleich wirtschaftlich vertretbaren Katalysators. Er stand schließlich 1910 nach Tausenden von Versuchen des BASF-​Chemikers A. MITASCHMITASCH als Eisen mit Oxidanteilen aus Aluminium, Kalium und Calcium fest. Den gesamten Verfahrensablauf zeigt Abb. 3-5 im Schema.

Abb. 3-5:

Funktionsschema des Haber-​Bosch-​VerfahrenHaber-Bosch-Verfahrens in der Anwendung; Quelle: Skriptum zu Vorlesung: Allgemeine und Anorganische Chemie (WS 08/09) für Chemie-​Ingenieurwesen und Verfahrenstechnik – Priv.-Doz. Dr. Carsten von Hänisch

Die AmmoniaksyntheseAmmoniaksynthese erhielt später nach seinen Entwicklern die Kurzbezeichnung „Haber-​Bosch-​VerfahrenHaber-Bosch-Verfahren“. 1913 begann mit der Produktionsaufnahme des ersten Synthesewerks in Ludwigshafen-​Oppau die wirtschaftliche Nutzung – mit einem Ausstoß von zunächst 30 t/d.

Die Weiterentwicklung bis zur großindustriellen Produktion fand 1914 auf Druck des deutschen Generalstabschefs E. VON FALKENHAYN statt, der die BASFBASF zu Abgabe des sogenannten Salpeterversprechens nötigte.12 Im Ergebnis konnte die Munitions- und Düngemittelproduktion im Deutschen Reich während des gesamten Krieges aufrechterhalten werden.

Schon vor dem ersten Weltkrieg begann mit der Kohlehydrierung ein neues Kapitel der Wasserstoffnutzung, zunächst in der Forschung, sehr bald aber auch in der großtechnischen Nutzung. Wie der Begriff schon sagt, ist die Zuführung von Wasserstoff das entscheidende Moment:

m C + n H => CmHn

Die Gewinnung des hierfür notwendigen Wasserstoffs hat ihre eigene Geschichte, die auf F. FONTANA zurückgeht. Er hatte 1780 die endotherme Reaktion

gefunden. Auf ihn geht auch die Bezeichnung „WassergasWassergas“ zurück.13 Wassergas wurde in England ab 1828 hergestellt, das Verfahren 1873 durch den Amerikaner TH. S. C. LOWE verbessert, was dann den privaten und gewerblichen Gebrauch von Wassergas in Heizung und Beleuchtung ermöglichte.

Es fehlte noch ein Verfahren, das bei der Wassergasreaktion erhaltene Kohlenstoffmonoxid vom Wasserstoff abzutrennen. Es gelang schließlich am Ende des Jahrhunderts, indem man in einem zweiten Schritt das Kohlenstoffmonoxid mit überschüssigem Wasserdampf reagieren ließ und dabei zugleich die Wasserstoffausbeute vermehrte:

Das ist die sogenannte „WassergasWassergas-Shift-​Reaktion“; sie ist leicht exotherm. Ihre Entdeckung geht auf die bereits erwähnten MOND und LANGER zurück, die im Jahr 1890 von ihren Versuchen über Ni berichteten: „The carbon contained in this substance is very readily attacked by steam; at the comparatively low temperature of 350 C, hydrogen and carbon dioxide are obtained without a trace of carbon monoxide.“15

Die ersten WassergasWassergas-Shift-​Reaktoren wurden im Entwicklungsverlauf der oben besprochenen AmmoniaksyntheseAmmoniaksynthese von BOSCHBOSCH und WILD entwickelt und 1915 für den industriellen Maßstab ausgelegt ‒ die Ammoniaksynthese setzt ja elementaren Wasserstoff voraus.

Dass HydrierungHydrierung Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland ein wichtiges Arbeitsfeld der Forschung wurde, hatte mehrere und eigentlich wissenschaftsfremde Gründe, die Wirtschaft und Politik eintrugen. Mit dem Versailler Vertrag konfiszierte die Entente der Siegermächte allen ausländischen deutschen Besitz als Reparation. Dazu gehörten auch ausländische Beteiligungen Deutschlands an Erdölfeldern und Bohrgesellschaften, die bereits zum Teil vor Ausbruch des 1. Weltkrieges erworben worden waren. Deutschland war arm an Erdöl ‒ es besaß seinerzeit nur geringe Vorkommen in Niedersachsen, die jedoch den inländischen Bedarf nicht deckten. Nachträgliche Verhandlungen, wieder in den ehemaligen Besitz der ausländischen Beteiligungen und Konzessionen zu gelangen, scheiterten. Deutschland war damit praktisch vollständig von ausländischen Erdölimporten abhängig. In den deutschen Markt drangen amerikanische und britische Unternehmen bzw. sowjetrussische Staatsbetriebe ein, was sich im Grunde bis in die 1930er Jahre kaum änderte.

Die deutsche chemische Industrie, groß geworden durch die Kriegsnachfrage des Reiches, suchte nach neuen Betätigungsfeldern. Die Chance bot sich 1923 mit der Studie der amerikanischen Regierungsbehörde für Bergbau „US Federal Bureau of Mines“, die prognostizierte, dass die weltweiten Erdölvorkommen bald erschöpft wären. Dies löste eine weltweite Suche nach Alternativen aus. Mit dem Wissen um die AmmoniakAmmoniak- und MethanolsyntheseMethanolsynthese traute sich speziell die BASFBASF zu, auch die Mineralölsynthese zur Industriereife zu bringen.

Abb. 3-6:

Der Fusionsweg zur IG Farbenindustrie 1904–1925; Quelle: K. H. Roth, Die Geschichte der I.G. FarbenI.G. Farbenindustrie AG von der Gründung bis zum Ende der Weimarer Republik, Norbert Wollheim Memorial, J. W. Goethe-​Universität / Fritz Bauer Institut Frankfurt am Main, 2009

Die chemische Industrie Deutschland war inzwischen und nicht nur als Kriegsfolge in einem tiefgreifenden Wandel begriffen. Im Bewusstsein, dass Großinvestitionen für Forschung und Entwicklung kaum noch von einem Unternehmen allein zu stemmen waren, hatten sich schon 1904 Unternehmensverbünde zusammengefunden, die zunächst 2er- bzw. 3er-​Bündnisse waren, bis sich dann schließlich noch vor Kriegsende eine Interessengemeinschaft von acht großen Chemieunternehmen gebildet hatte, s. Abb. 3-6.

Am Ende stand dann am 9. Dezember 1925 die Organfusion zur „I.G. FarbenI.G. Farbenindustrie AG“, mit über 70 Tochterunternehmen. Eine Großfusion also, die die meisten chemischen Unternehmen Deutschlands einschloss. Es dauerte verständlicherweise einige Zeit, i. e. Jahre, bis eine arbeitsfähige Struktur geschaffen war. Dies gelang schließlich dank einiger national gesinnter Unternehmensführungen, unter denen sich vor allem der Chef der Firma Bayer, C. DUISBERGDUISBERG, besonders hervortat, der den gesamten Prozess von Beginn an forciert hatte. Die Gründung dieses Industriekomplexes erregte internationales Aufsehen, zumal in der Folge auch Unternehmen jenseits der deutschen Grenzen hinzuerworben wurden. Die Fusion deutscher Chemiefirmen zur I.G. FarbenI.G. Farben fand Nachahmer. So entstand in England die ICI, ein Zusammenschluss der bedeutendsten britischen Chemiefirmen zur „Imperial Chemical Industries“, was durchaus als Antwort auf die deutsche Gründung I.G. Farben verstanden und angesehen wurde.

I.G. FarbenI.G. Farben und ICI waren nun nach Beschäftigtenzahlen die beiden größten Chemiekonzerne der Welt. Den dritten Rang in der Chemiesparte nahm Du Pont in den USAUSA ein, s. Tabelle 3-1:

 

I.G.

Du Pont

ICI

Umsatz in Mio. $

350

203

170

Beschäftigte

80.000

35.000

57.000

 

23

78

28

Tabelle 3-1:

Die drei größten Chemiekonzerne der Welt 1929, Quelle: Daten aus W. Teltschik, Geschichte der deutschen Großchemie. Entstehung und Einfluß in Staat und Gesellschaft. Weinheim: VCH Verlagsgesellschaft 1992, S. 82

Nach 1926 begann in Deutschland eine zunächst maßvolle, später dynamische Erholung in der chemischen Industrie. Das spiegelte sich auch in der zunehmenden Zahl der Beschäftigten, einem Anstieg der Produktion und in einer beachtlichen Zahl technischer Innovationen wider. Hierzu gehörten vor allem katalytische Großsynthesen wie die Kohlehydrierung. Sie wurde in der Einschätzung einiger Historiker „das gewaltigste Entwicklungsprojekt der chemischen Industrie jener Jahre und erlangte eine nationalökonomische, ja, politische Bedeutung“14.

F. BERGIUS war der erste Chemiker, dem eine Kohlehydrierung gelang. Als Wissenschaftler tätig an der TH Hannover, hatte er die 1913 patentierte Idee: Unter Druck und mit Zuführung von Wasserstoff lassen sich aus Steinkohle (flüssige) Kohlenwasserstoffe gewinnen, die als synthetische Kraftstoffe dienen konnten. Bei diesem Verfahren wird Kohle gemahlen und mit Wasserstoff versetzt. Unter hohem Druck und Wärme plus einer gewissen Verweildauer entsteht ein Kohleöl, das dann ähnlich wie Erdöl weiterverarbeitet werden kann.

Großtechnische Anlagenreife erlangte dieses Verfahren jedoch bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges nicht mehr, so dass es keine Berücksichtigung in der ersten großen Auseinandersetzung des 20. Jahrhunderts fand. 1923 gelang M. PIER die MethanolsyntheseMethanolsynthese. Beflügelt von diesem Erfolg drängte C. BOSCHBOSCH (BASFBASF) auf eine Entwicklung hin zur Mineralölsynthese, die 1924 unter PIER bei der BASF begann. Im Jahr 1925 gelang es PIER, das Verfahren zur Kohlehydrierung unter Verwendung von Katalysatoren weiterzuentwickeln. Es wird lexikalisch zusammengefasst so erläutert:

„Beim klassischen Bergius-​VerfahrenBergius-Verfahren wird feingemahlene Braun- oder Steinkohle zusammen mit Eisenoxidpulver und einem Schweröl zu einem Kohlebrei angemaischt und bei 400 bis 490 °C und einem Druck von 23 bis 70 MPa mit Wasserstoff hydriert. Das Reaktionsprodukt zerlegt man anschließend in Benzin, Mittelöl, Schweröl und einen festen Rückstand. Um die Benzinausbeute zu erhöhen, wird das Bergius-​Verfahren in zwei Stufen durchgeführt. In der ersten Verfahrensstufe erfolgt die HydrierungHydrierung des Kohlebreis in der feststoffhaltigen flüssigen Phase, der Sumpfphase, zu Benzin, hauptsächlich aber zu Mittel- und Schweröl. In der zweiten Verfahrensstufe findet in der Gasphase sowohl die Vorhydrierung des Mittelöls als auch die Spaltung des Mittelöls zu Benzin statt (Benzinierung).“15

Jetzt war es möglich, Benzin industriell zu erzeugen. Die gerade entstandene I.G. FarbenI.G. Farben kaufte 1925 einen Teil der deutschen Bergius-​Patente auf, sowie ein Jahr später 60 % der internationalen Patente16. C. BOSCHBOSCH, ein Anhänger der Vision einer universell einsetzbaren Syntheseindustrie, setzte bei I.G. FarbenI.G. Farben die weiteren Forschungsarbeiten durch. Dieses war durchaus nicht leicht, da die Forschungskosten immens hoch waren.

Nach dem Erwerb des größten Teils der Patente baute die IG Farben in Leuna eine Anlage zur Produktion, die 1927 als Braunkohlehydrierungsanlage in Leuna eröffnet wurde. 1926 hatte die IG Farben die Ölsparte des zerfallenden Stinnes Konzern aufgekauft und baute sie zur Vertriebsorganisation „Deutsche Gasolin AG“ um.

Die Anlage in Leuna war auf einen Durchsatz von 100.000 t Jahresmenge konzipiert und lieferte ab April 1927 das sogenannte „Leuna-​BenzinLeuna-Benzin“. Die Entwicklung lief danach weiter − bis zur großtechnischen Reife 1932 summierten sich die Kosten auf stattliche 400 Mio. Mark.

In den 20er Jahren lag der Preis des Leuna-​BenzinLeuna-Benzins gut 4,- RPf pro Liter über dem aus Erdöl erzeugten Benzin. Mit der Weltwirtschaftskrise Ende der 20er Jahre sank jedoch der Benzinpreis dramatisch auf jetzt 5,- RPf, während Leuna jetzt verfahrensbezogen 21,- RPf pro Liter fordern musste. I.G. FarbenI.G. Farben geriet damit 1931 in eine dramatische Schieflage. Die Aufgabe des weltweit modernsten Werkes, des Standortes Leuna, wurde erwogen, falls sich keine andere Lösung finden würde. Im Juli 1932 beschloss ein Gutachtergremium dann endgültig, die Synthese weiterzuführen, da das Verfahren inzwischen so ausgereift war, dass sich weitere aufwendige Großversuche erübrigten.

Poltische Hilfe war die bevorzugte Option. Verstärkte Lobby-​Arbeit gegenüber den Wirtschaftsbehörden erreichte, dass die jährlichen Verluste des Leuna-​Projekts durch protektionistische Stützungsmaßnahmen zunehmend abgefedert werden konnten. Seit 1930 wurden die Einfuhrzölle für Mineralölprodukte und Stickstoffdünger mehrfach erhöht. Nachdem die Praxis der Schutzzölle und flankierender Steuernachlässe erschöpft war, forderte die Konzernführung von der Reichsregierung die zusätzliche Einführung einer Preisgarantie, um die auch in Normalzeiten unerreichbaren Herstellungskosten der aus Erdöl gewonnenen Benzinsorten auszugleichen.

Die technokratischen Visionen der Hydrier-​Freunde konnten nur noch durch eine Steigerung der Einflussnahme des Konzerns auf die staatliche Wirtschaftspolitik realisiert werden, wofür sich der Leitbegriff „Autarkie“ anbot. Die deutsche „Autarkie“-Politik begann in der Tat schon in der Agoniephase der Weimarer Republik und die I.G. war ihr wichtigster Nutznießer.17 In der Folge waren Mitarbeiter und Sympathisanten der I.G. unmittelbar in der Wirtschaftspolitik des Reiches aktiv, bis hin zu Besetzung von Ministerposten. Sie verfolgten dort u. a. die Perspektiven einer „national- und großraumwirtschaftlichen Abkehr von der multilateralen Weltwirtschaft“. Zweifellos tendierten die Präsidialkabinette zunehmend in diese Richtung, aber ihre Maßnahmen erschienen in den Augen der Vordenker der I.G. FarbenI.G. Farben zu zögerlich. Deshalb lag der Gedanke nahe, sich der immer massiver auftretenden faschistischen Massenbewegung der NSDAP zu nähern, und zu klären, ob und wie weit sie sich mit den bei der IG verfolgten Perspektiven anfreunden konnte. Im Frühjahr 1932 nahmen Vertreter der I.G. erstmals Kontakt zur Wirtschaftspolitischen Abteilung der NSDAP auf. Sie überzeugten sie von der Dringlichkeit einer Mobilisierung öffentlicher Kredite zur Arbeitsbeschaffung, die dann im Sommer 1932 über G. FEDER Eingang in das wirtschaftspolitische Programm der NSDAP fanden. So avancierte die NSDAP zur ersten Partei, die für eine aktive wirtschaftspolitische StaatsinterventionStaatsintervention eintrat.

Das war letztlich ein „dritter Weg“ zur Krisenüberwindung. Die Experten und Lobbyisten der Berliner Stabsstelle der I.G. FarbenI.G. Farben hatten daran erheblichen Anteil. Hinzu kamen Sondierungen der Konzernleitung mit führenden Köpfen der NS-​Bewegung, um die politischen Chancen ihrer Unternehmensstrategie im direkten Kontakt zu testen. NSDAP-​Funktionäre ließen sich seit dem Herbst 1931 mehrfach vor Ort die technische und „nationalpolitische“ Bedeutung des Leuna-​Projekts erklären. Als der technische Direktor von Leuna HITLER ein Jahr später zusammen mit einem I.G. Farben-​Vorstandskollegen zu einem Gespräch aufsuchte, war dieser deshalb schon gut unterrichtet, zumal BERGIUS und BOSCHBOSCH 1931 den Nobelpreis für Chemie erhalten hatten. HITLER sagte die Unterstützung der Benzinsynthese zu − Bestrebungen dieser Art von Autarkie passten gut in sein politisches Konzept zum Ausbau der Motorisierung und dem Bau von Autobahnen.

Im Januar 1933 wurde HITLER Reichskanzler. Noch im gleichen Jahr, am 14. Dezember 1933, kam es zum Abschluss des Feder-​Bosch-​Abkommens18, des sogenannten „Benzinvertrags“, der HITLERS Autarkiestreben sehr entgegenkam. Der Vertrag regelte Preisgarantien des Staates gegenüber dem Werk, so dass das unternehmerische Risiko bei den Gestehungskosten und Abschreibungen gemindert werden konnte. Das Leuna-​WerkLeuna-Werk in Merseburg verpflichtete sich im Gegenzug, seine Produktion von Treibstoffen auf 300.000–350.000 t/a hochzufahren. Eine Profitrate von 5 % wurde vereinbart. In den Anfangsjahren 1934/ 35 erhielt Leuna aus dem Vertrag ca. 5 Mio. RM, da die Gestehungskosten über den vereinbarten 18,5 RPf pro Liter lagen. Im Jahr 1936 kehrte sich die Lage um. Auf Grund von Verfahrensverbesserungen konnte das Werk die Gestehungskosten auf 13,6 RPf senken. Nun erhielt das Reich laut Vertrag die Differenz – ein Zustand, der bis Kriegsende anhalten sollte und dem Reich 90 Mio. RM einbrachte.

Leuna und allgemein die HydrierungHydrierung waren damit gerettet, wiewohl das Verfahren wegen des hohen Wasserstoffverbrauchs und der teuren Hochdruckanlagen eigentlich unwirtschaftlich war. Das belegen die Zahlen zum Bergius-​VerfahrenBergius-Verfahren:

14 Mio. t Ausgangsmaterial (Rohbraunkohle), aufgeteilt nach

Einsatz zur WasserstoffgewinnungWasserstoffgewinnung (40 %)

Einsatz zur HydrierungHydrierung (37 %)

Energieerzeugung (Rest)

Ergebnis: Produktion von 1 Mill. t Benzin

EffizienzEffizienz des Verfahrens 36 %

Damit ist ein Zeitraum erreicht, als schon länger mit dem Fischer-​Tropsch-​VerfahrenFischer-Tropsch-Verfahren ein zweiter Weg der Kohlehydrierung auf dem Weg war. Beide, F. FISCHER und H. TROPSCH, forschten am Kaiser Wilhelm Institut für Kohleforschung in Mühlheim a.d.R.. 1925 hatten sie ein Patent auf ihr Verfahren erhalten:

„Die Fischer-​Tropsch-​SyntheseFischer-Tropsch-Synthese ist ein großtechnisches Verfahren zur Kohleverflüssigung durch katalytische Umwandlung von WassergasWassergas (s. oben) in ein breites Spektrum gasförmiger und flüssiger Kohlenwasserstoffe. Die Reaktionen treten in Gegenwart von Metallkatalysatoren bei Temperaturen von 150–300 °C und Drücken von 1–10 bar auf. Die Syntheseprodukte werden als schwefelarme synthetische Kraftstoffe (XtL-​Kraftstoffe), als synthetische Motoröle und als Rohstoffbasis für die chemische Industrie genutzt. Als Nebenprodukte fallen sauerstoffhaltige Kohlenwasserstoffe wie Ethanol und Aceton sowie Ethen, Propen und höhere Olefine an.“19

Das Fischer-​Tropsch-​VerfahrenFischer-Tropsch-Verfahren hatte insofern einen Vorteil, als es am Kaiser-​Wilhelm-​Institut in der Grundlagenforschung entwickelt wurde und so frei zugänglich war. Auch konnte im Fischer-​Tropsch-​Verfahren so gut wie jede Kohlequalität verwendet werden und die Palette der Endprodukte war viel weiter gefächert. Der Nachteil lag in der niedrigeren Oktanzahl der Treibstoffe gegenüber dem Bergius-​Pier-​Verfahren.

1934 erwarb die Ruhrchemie AG, die 1927 von zahlreichen Betrieben des Ruhrbergbaus als Kohlechemie AG gegründet und im April 1928 in Ruhrchemie AG umbenannt worden war, die Patente20. Das Unternehmen begann 1929 in Oberhausen-​Holten mit der Produktion von Düngemitteln. Gleich nach dem Erwerb ging dort die erste nach dem Fischer-Tropsch-Verfahren arbeitende und jetzt Kobalt-Katalysatoren nutzende Pilotanlage in Betrieb. Die Generallizenz erlaubte laut Vertrag Unterlizenzen, so auch gegeben an die Wintershall für ihre Anlage Gewerkschaft Victor in Castrop Rauxel und das spätere Werk in Lützkendorf bei Mücheln / Geiseltal.

In den folgenden Jahren wurde HydrierwerkeHydrierwerke beiderlei Typs gebaut – Bergius-​Pier- und Fischer-​Tropsch-​Anlagen. Zu Beginn des Krieges, also 1939, produzierten sieben Werke jährlich 1,2 Millionen Tonnen. Im Jahre 1943 war deren Zahl auf 12 angewachsen, im Frühjahr 1944 schließlich gab es 15. Die Hydrierwerke versorgten die Wehrmacht zu mehr als 50 %, die Luftwaffe ausschließlich mit dem dringend benötigten Treibstoff. Das größte Werk blieb Leuna bei Merseburg.

Abb. 3-7:

I.G. FarbenI.G. Farben board member Fritz ter Meer (fifth from right) explains to Adolf Hitler the significance of synthetic rubber, Berlin, 1936; Quelle: National Archives, Washington, DC

Die HydrierwerkeHydrierwerke wurden erst spät Ziele des alliierten Bombenkrieges. Nur rd. 1 % aller abgeworfenen Bomben trafen die Hydrierwerke bis zum Mai 1944, die anschließend umso massiver attackiert wurden, bis schließlich im Herbst 1944 nur noch. 8 % der im April 1944 erreichten Menge produziert werden konnten. Das Oberkommando der deutschen Luftwaffe war im April 1944 selbst erstaunt, „warum der Angloamerikaner diese Anlagen noch nicht zerschlagen hat, wozu er bei seiner in letzter Zeit so hoch entwickelten Angriffstechnik ohne weiteres in der Lage wäre. Mit der Zerstörung unserer wenigen großen Raffinerien und Hydrierwerke könnte er einen Erfolg erringen, der tatsächlich die Möglichkeiten einer Fortsetzung des Krieges in Frage stellen würde.“21

Nach dem Krieg wurde die enge Verstrickung der I.G. FarbenI.G. Farben in die nationalsozialistische Politik öffentlich sichtbar. Sie hatte schon früh begonnen. Der oben besprochene „BenzinvertragBenzinvertrag“ ist nur ein Beispiel von vielen. Abb. 3-7 zeigt ein Vorstandsmitglied der I.G. Farben, F. TER MEER, im Gespräch mit HITLER zum Thema Synthesekautschuk.

Am 3. Mai 1947 begann in Nürnberg der Prozess gegen 23 leitende Mitarbeiter des Unternehmens, mit den Anklagepunkten „Planung und Vorbereitung von Angriffskriegen, wirtschaftliche Ausplünderung der von Deutschland während des Krieges besetzten Länder, Beschäftigung und Misshandlung von Sklavenarbeitern“. Abb. 3-8 zeigt die Bank der Angeklagten.

13 Mitarbeiter wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, die übrigen freigesprochen. Einige kehrten wieder auf ihre früheren Posten im Unternehmen zurück, dessen Auflösung allerdings vom alliierten Kontrollrat verfügt worden war. Dieser Vorgang dauerte – erst 1952 wurde die I.G. FarbenI.G. Farben in den westlichen Besatzungszonen entflochten. Es entstanden elf eigenständige Unternehmen. Das Unternehmen selbst ging als I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft i. L. in die Liquidation.

Abb. 3-8:

Die Angeklagten im IG-​Farben-​Prozess, 27. August 1947; Quelle: Alexander Jehn, Albrecht Kirschner, Nicola Wurthmann: IG Farben zwischen Schuld und Profit. Abwicklung eines Weltkonzerns., Historische KommissionKommission für Hessen, Marburg 2022

Die Urteile im I.G. FarbenI.G. Farben-Prozess wurden bereits zeitgenössisch als äußerst milde empfunden, was wohl auch an der Formulierung der Anklage lag, die auf eine Interessenidentität zwischen Unternehmen und Regime aufgebaut war – und die war in der Tat nur bedingt gegeben.

Nach dem Krieg verlor die Kohlehydrierung im Westen angesichts der niedrigen Ölpreise an Bedeutung. Die HydrierwerkeHydrierwerke wurden, so noch vorhanden, auf die wirtschaftlichere Verarbeitung von Erdöl umgestellt.

Eine Ausnahme ist hier Südafrika, wo das Verfahren in den 1970er Jahren eine neue Heimat fand. Grund hierfür war die Ölknappheit infolge des wegen der Apartheidpolitik gegen das Land verhängten Embargos. Da Südafrika aber über große und leicht zugängliche Kohlevorräte verfügt, bot sich hier das Kohleverflüssigungsverfahren als Ausweg an. Es wird heute mit dem Kürzel CtL (Coal-​to-​Liquid) bezeichnet. Nach einer CtL-​Pilotanlage wurden zwei große HydrierwerkeHydrierwerke errichtet; die Anlagen decken in Südafrika auch heute noch gemeinsam den Großteil des Bedarfs.

Nach der Epoche der Kohlehydrierung spielte Wasserstoff in der Nachkriegszeit und bis heute eine Rolle als zunehmend wichtiger Rohstoff für die chemische und petrochemische Industrie: Schwerpunkte der Verwendung sind die Herstellung von AmmoniakAmmoniak (insbesondere für Düngemittel und Kunststoffe) nach dem Haber-​Bosch-​VerfahrenHaber-Bosch-Verfahren und die Herstellung von Kraftstoffen aus Erdöl.

Wasserstoff wurde und wird in geringerem Umfang auch für Reduktionsprozesse in der Metallurgie, im Generatorbau zur Verringerung von Verlusten, als Schutzgas in der Elektronik, zum Schweißen und Trennen im Gerätebau sowie zur Härtung von Fetten in der Lebensmittelproduktion verwendet.

Abb. 3-9:

Spektrum chemischer Produkte mit Wasserstoff als Ausgangsbasis; Quelle: Eigene Zeichnung, Daten EnergieRegion NRW 2009, S. 8

Der gegenwärtige Bedarf an Wasserstoff liegt weltweit bei rd. 540 Mia. Kubikmeter jährlich – davon zwanzig in Deutschland. Man kann annehmen, dass die Nachfrage nach Chemie-​Wasserstoff ganz unabhängig von neueren Initiativen zur energetischen Nutzung deutlich zunehmen dürfte.

Zum einen wird wegen der wachsenden Erdbevölkerung eine weltweit zunehmende Kunstdüngerproduktion notwendig sein; zum anderen nehmen die schwefelarmen Erdölvorräte rasch ab. Für die Herstellung „schwefelfreier“ Kraftstoffe ist Wasserstoff notwendig, ebenso für die Aufbereitung von schwerem Rohöl und Ölsanden durch das sogenannte „Hydrocracking“. Die Palette der chemischen Nutzung zeigt Abb. 3-9.

Die Raumfahrt profitierte vom hohen spezifischen Impuls des Wasserstoff. Diese Nutzungsart des Wasserstoffs für Oberstufen wurde fortan typisch. Nicht so allerdings beim europäischen Ariane-​Programm: Vielmehr wurden und werden alle Ariane-​Versionen der zweistufigen Serie bis auf die Feststoffbooster mit Flüssigwasserstoff-​Triebwerken ausgerüstet Darauf geht ein Vorteil im Know-​how gegenüber der Konkurrenz zurück: die Ariane Group, die seit Jahrzehnten Flüssigwasserstoff nutzt, beherrscht die Technik sowohl von Flüssigwasserstoff / Sauerstoffantrieben wie auch die hierfür notwendige Infrastruktur perfekt.22 Von ihr stammt auch die Abb. 3-10.

Abb. 3-10:

Das wasserstoffbetriebene Triebwerk der „Ariane 6“-Hauptstufe im Prüfstand beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt; Quelle: ArianeGroup Holding

4Die Technik 1

Der Umgang mit Wasserstoff erfordert besondere Techniken, die von anderen Feldern zum Teil grundsätzlich abweichen: Wasserstoff ist kein natürlicher Rohstoff – er muss erst gewonnen bzw. hergestellt werden. Seine SpeicherungSpeicherung ist sowohl wegen seiner atomaren Eigenschaften wie auch wegen seiner explosiven Neigungen nicht ohne Probleme. Dies gilt vermehrt noch für alle Transportvorgänge, seien sie individuell organisiert oder zur Verteilung netzgestützt.

Diese Aspekte bilden den Inhalt des Hauptkapitels „Die Technik 1“.

4.1Gewinnung

Wasserstoff kann auf vielfältige Art und Weise gewonnen werden. Neben der WasserelektrolyseWasserelektrolyse gehören thermische Verfahren zu den Standardprozessen. Die photolytischen Verfahren sind noch weitgehend Gegenstand der Grundlagenforschung. Industriell wird Wasserstoff heute mehrheitlich über die DampfreformierungDampfreformierung erzeugt, global fast ausschließlich auf der Basis fossiler Kohlenwasserstoffe:

aus Erdgas 48 %,

aus flüssigen Kohlenwasserstoffen, also Erdöl und seinen Derivaten 30 %,

aus Kohle 18 %,

mittels Wasserelektrolyse 4 %.1

Abb. 4-1:

Die Farben des Wasserstoffs; Quelle: IKEM, Kurzstudie Wasserstoff 2020

Die globale WasserstoffherstellungWasserstoffherstellung und -nutzung ist schwer zu quantifizieren, da große Mengen in der Industrie vor Ort erzeugt und verbraucht und dadurch statistisch nicht erfasst werden. Auch ist Wasserstoff oft Teil von Synthesegas und wird als solches weiterer Verwendung zugeführt, ohne gesondert in Erscheinung zu treten.

Es ist üblich geworden, dem Wasserstoff Farben zuzuordnen, die seine Herkunft und die genutzten Verfahrensweisen der Gewinnung kennzeichnen. Der „Regenbogen“ der Abb. 4-1 ist durchaus geeignet, das Kapitel Gewinnung sinnvoll zu gliedern.

4.1.2 Grauer WasserstoffGrauer Wasserstoff

Aus ErdgasErdgas hergestellter Wasserstoff wird als grauer Wasserstoff geführt. Das Erdgas wird in der Regel wie bei der zuvor besprochenen KohlevergasungKohlevergasung unter Hitze in Wasserstoff und Kohlendioxid (CO2) gespalten (Dampfreforming).

Gegenüber der KohlevergasungKohlevergasung ändert sich der Ausgangsstoff – bei ErdgasErdgas im Wesentlichen auf Methan. Die Hauptreaktion ist jetzt damit

CH4 + H2O ⇌ CO + 3 H2

Die Industrie liefert Anlagen für die Methan-​DampfreformierungDampfreformierung zur WasserstofferzeugungWasserstofferzeugung in jedem gewünschten Maßstab. An einem Beispiel des Hauses Air Liquide sei der Prozess erläutert, s. Abb. 4-4:

Zunächst wird der vorab entschwefelte Kohlenwasserstoff-​Einsatzstoff (also ErdgasErdgas, Raffineriegase, Flüssiggas oder Naphtha) vorgeheizt, mit Dampf vermischt und gegebenenfalls vorreformiert. Dann wird das Gemisch in eigentlichen Reformer, der im Fall Air Liquide mit einer Deckenfeuerung arbeitet, über einen Katalysator geleitet, um katalytisch Wasserstoff, Kohlenmonoxid (CO) und Kohlendioxid (CO2) zu erzeugen. Das CO wird mit Dampf zu zusätzlichem Wasserstoff und CO2 umgesetzt (Wasserstoff-​Shift-​Reaktion zu Synthesegas) und schließlich der Wasserstoff aus dem entstandenen Gasgemisch in einer Druckwechseladsorption (PSA-​Anlage) abgetrennt. Eine Anlage nach dem Muster der Abb. 4-4 der Air Liquide hat einen Output von 10.000 bis 200.000 Nm3/h Wasserstoff.

Abb. 4-4:

Dampfreforming von ErdgasErdgas im industriellen Maßstab; Quelle: Air Liquide Eng. and Construction

Die DampfreformierungDampfreformierung mit dem Ergebnis Wasserstoff ist kostengünstig und energieeffizient. Die Nachschaltung einer Druckwechseladsorptionstechnologie (PSA) bewirkt eine hohe Reinheit des Endproduktes. Leider wird häufig das mit entstandene Kohlendioxid ungenutzt in die Atmosphäre entlassen; es trägt damit zum globalen Treibhauseffekt bei, und das nicht wenig: Bei der Produktion einer Tonne Wasserstoff entstehen rund 10 Tonnen CO2.

4.1.3 Blauer WasserstoffBlauer Wasserstoff

Vor dem Hintergrund der technischen Möglichkeiten überzeugt zunächst der Gedanke, das bei der Herstellung von grauem Wasserstoff anfallende CO2 herauszufiltern und abzuspeichern, wie es die verschiedenen CCSCCS-Verfahren vorsehen. Das Ergebnis wäre dann der „blaue“ Wasserstoff.

Für den Weg zu einem 100 % grünen Wasserstoffszenario kann blauer Wasserstoff ein Interim sein, da es auf absehbare Zeit nicht gelingen wird, den gesamten WasserstoffbedarfWasserstoffbedarf regenerativ zu befriedigen. Blauer WasserstoffBlauer Wasserstoff ist allerdings nur kohlenstoffarm und nicht kohlenstoffneutral., wie es die Politik gern formuliert. Die verfügbaren CCSCCS-Techniken sind immer mit der Emission eines Treibhausgasanteils in die Atmosphäre verbunden.

Techniken zur Abscheidung und SpeicherungSpeicherung von Kohlendioxid (CCSCCS) werden in Deutschland zwar diskutiert. Die Verwendung des Verfahrens ist jedoch nach einer Evaluierung im Jahr 2018 durch die BundesregierungBundesregierung verboten ‒ erlaubt sind lediglich Erprobungs- und Demonstrationsvorhaben. Dagegen betonen Experten die großen Möglichkeiten, auf diese Weise den Einsatz von Kohle- und Gaskraftwerken klimafreundlicher zu gestalten. Auch international, z. B. in der EU, wird CCS immer wieder als klimaschonende Option mitgeführt, sogar als Zieltechnik apostrophiert.

Es sind verschiedene Wege gangbar, CO2 unter der Erde zu speichern, s. Abb. 4-5. Es gibt dazu eine Anzahl von technischen Möglichkeiten, CO2 abzutrennen und einer wirtschaftlichen Nutzung zuzuführen. Kritiker und Übereifrige warnen jedoch vor negativen Folgen. Das Forschungszentrums Jülich hat schon 2012 eine Gesamtschau zu technischen, ökonomischen, gesellschaftlichen und Umweltaspekten des CCSCCS vorgelegt und auch die Erfolgsaussichten bewertet.1

Abb. 4-5:

Möglichkeiten für CCSCCS, hier für eine CO2-Abscheidung aus Kraftwerksabgaben; Quelle: Creative Commons, File Carbon Sequestration. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Carbon_sequestration-2009-10-07.svg, buf 22. September 2022

Mitgewirkt haben Ingenieure und Wissenschaftler aus Hochschulen und prominenten Forschungseinrichtungen.2

Bei der Umweltbewertung liegt CCSCCS relativ weit vorn, wenn man mit anderen Kriterien vergleicht. Bei Pipelinetransport und On-​Shore-​SpeicherungSpeicherung gibt es zwar einige Probleme, das Risiko hält sich jedoch in Grenzen. Ein Einsatz in der Industrie ist technisch machbar. Die Frage nach der Rentierlichkeit von Investitionen bleibt allerdings offen. Falls CCS als Technik ausscheidet, bedeutet das für Deutschland dringenden Bedarf an technischen Alternativen. Ein wesentlicher Aspekt in den notwendigen Entscheidungen ist die mangelnde Akzeptanz in der Bevölkerung.

Das nationale CCSCCS-Gesetz von 2012 ist ein Abbild der gesellschaftlichen Situation, indem es die Entscheidung zur Einführung von CCS vertagt.3 Akzeptanz und Kostenfrage stehen jedoch nach Meinung der Autoren bei der Entscheidung zur Nutzung an erster Stelle. Die Frage der Verwendung ist auch international offen: Die EU hat beispielsweise für CCS vorgesehene Fördermittel noch nicht vergeben. So ist CCS im Moment nicht mehr als eine letzte Perspektive, zu der man greifen müsste, wenn die im Augenblick für die EnergiewendeEnergiewende gewählten Wege nicht zum gewünschten Ergebnis führen.

Möglicherweise findet sich eine externe Lösung. Die Machbarkeitsstudie H2morrow des norwegische Energieunternehmens Equinor und des Essener Fernleitungsnetzbetreibers OGE (Open Grid Europe) zeigt, wie die großen Mengen des anfallenden CO2 unter dem Meeresboden in der norwegischen Nordsee gespeichert werden können. In Norwegen ist das weltweit erste CCSCCS-Projekt, bei dem CO2 im großen Maßstab abgeschieden und gespeichert wird, im „Longship“-Projekt verwirklicht worden. Der norwegische Botschafter P. ØLBERG erklärte im Februar 2021 in Berlin CCS für eine dort bewährte und sichere Technologie: „Die Kohlenstoffspeicherung in Norwegen ist eine echte und gute Alternative für die DekarbonisierungDekarbonisierung der Industrie in ganz Deutschland. Wir haben genug Kapazitäten.“ Damit ergibt sich eine neue Option, die die traditionell großen Bedenken in Deutschland durch Export ausräumt.

4.1.5Grüner WasserstoffGrüner Wasserstoff

Grüner WasserstoffGrüner Wasserstoff ist die einzige wirklich nachhaltige Wasserstoffoption, da sie wie von der deutschen Regierung klassifiziert „aus erneuerbaren Quellen gewonnen werden muss“.

Die vielversprechendste Methode ist die Nutzung erneuerbarer Elektrizität als Energiequelle zur Herstellung von Wasserstoff über ElektrolyseureElektrolyseure. Sowohl die Kosten für Elektrolyseure als auch für erneuerbare Energien sind in den letzten Jahren deutlich gesunken und werden auch in Zukunft weiter sinken. Es ist jedoch noch eine weitere Kostensenkung erforderlich, um mit anderen nichtregenerativen Wasserstoffquellen konkurrieren zu können.

4.1.5.1Elektrolyse

Unterschieden werden die Wasser-, die PEMPEM-ElektrolyseElektrolyse mit festem Elektrolyten und die Hochtemperatur-​ElektrolyseHochtemperatur-Elektrolyse.

4.1.5.1.1Alkalische WasserelektrolyseAlkalische WasserelektrolyseWasserelektrolyse (AELAEL)

Die ElektrolyseElektrolyse von Wasser bedarf eines leitfähigen Mediums, des sogenannten Elektrolyten. Das Medium kann sauer oder alkalisch gewählt werden.

Durchgesetzt hat sich aus technischen und Handhabungs-​Gründen die alkalische WasserelektrolyseWasserelektrolyse (AELAEL), bei der dem Wasser z. B. Kaliumhydroxid (KOH) hinzugefügt wird, s. auch Abb. 4-7.

Abb. 4-7:

Alkalische WasserelektrolyseWasserelektrolyseAlkalische Wasserelektrolyse, Arbeitsprinzip; Quelle: Ahmad Kamaroddin, Mohd Fadhzir et al., Hydrogen Production by Membrane Water Splitting Technologies, 2018

Das Wasser enthält dissoziierte Anteile, die positiv geladenen Oxonium-Ionen H3O+ und die negativen Hydroxid-​Ionen OH-. Im elektrischen Feld wandern die Oxonium-Ionen zur negativ geladenen Elektrode (i. e. Kathode), wo sie jeweils ein Elektron aufnehmen. Die Reaktion im Kathodenraum sieht so aus:

2 H3O+ + 2 e− → H2 + 2 H2O

Es entsteht also molekularer Wasserstoff, der gasförmig an der Kathode aufsteigt. Die negativ geladenen Hydroxid-​Anionen wandern zur positiven Anode und geben dort im Anodenraum ihre Ladung ab, im Einzelnen:

2 OH‾ → 2 OH + 2e‒

4 OH → 2 H2O + O2