Der Wettlauf zum Südpol - Guido Knopp - E-Book

Der Wettlauf zum Südpol E-Book

Guido Knopp

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Beschreibung

2011 jährt sich zum 100. Mal der Wettlauf von Amundsen und Scott zum Südpol

Der Norweger Roald Amundsen erreichte mit seinen Leuten 1911 als Erster den Südpol; sein Konkurrent, der Engländer Robert F. Scott, kam 35 Tage später an – und überlebte den Rückweg nicht. Auch heute ist ein Wettlauf zum Südpol eine extreme physische und psychische Herausforderung. Zum Jubiläum brachen zwei Teams, aus Deutschland und Österreich, auf, um sich auf den Spuren ihrer legendären Vorläufer diesem weltweit einmaligen Abenteuer zu stellen. Das deutsche Team unter Leitung des Moderators Markus Lanz, das österreichische geführt von Ski-Legende Hermann Maier. 15 Tage bei bis zu minus 40 Grad, in bis zu 3500 Metern Höhe und bei Windgeschwindigkeiten bis 200 km/h; täglich 30 Kilometer auf Skiern mit einem 50-Kilo-Schlitten im Schlepptau. Das Buch zu diesem waghalsigen Unternehmen erzählt vom historischen und vom modernen Wettlauf, enthält Auszüge aus den Tagebüchern der Teilnehmer und zahlreiche Fotos.

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Seitenzahl: 388

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Inhaltsverzeichnis

VorwortDer weiße KontinentAufbruch ans Ende der WeltDer Wettlauf beginntTriumph und TragödieDer eisige TodLiteraturPersonenregisterOrts- und SachregisterAbbildungsnachweisCopyright

Vorwort

Es war das letzte große Abenteuer im Zeitalter der Entdeckungen, das 400 Jahre zuvor mit dem Aufbruch Europas ins Unbekannte begonnen hatte: Die Reise zum – im wahrsten Sinne des Wortes – letzten weißen Fleck, den der unbändige menschliche Forschergeist zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch unberührt gelassen hatte. Ein gefährlicher Marsch von mehr als 3000 Kilometern durch Schnee und Eis der Antarktis. Und ein dramatischer Wettlauf zum Ende der Welt. Denn der Engländer Robert Falcon Scott und der Norweger Roald Amundsen hatten beide denselben Traum: Sie wollten für ihr Land den Südpol erobern. Für dieses Ziel waren sie bereit, ihr Leben aufs Spiel zu setzen.

Es waren zwei Männer, wie sie unterschiedlicher kaum sein konnten. Scott, der britische Marineoffizier, mehr durch Zufall zum Polarforscher geworden, der im ewigen Eis auf moderne Technik und menschliche Leidensfähigkeit setzte, und Amundsen, der »letzte Wikinger«, der Pelzkleidung trug und bei kanadischen Inuit den Gebrauch von Schlittenhunden gelernt hatte.

Amundsen hatte eigentlich als erster Mensch zum Nordpol gelangen wollen. Doch als gleich zwei amerikanische Forscher unabhängig voneinander vorgaben, diesen Pol bereits vor ihm erreicht zu haben, nahm der eigenwillige Abenteurer Kurs nach Süden. Erst kurz vor dem Aufbruch teilte er seiner Mannschaft das neue Ziel mit. Seinen Konkurrenten Scott informierte er per Telegramm. Der ließ sich nicht auf den von Amundsen angezettelten Wettlauf ein – und sollte dies bitter bereuen.

Denn der Norweger organisierte seine Expedition strategisch auf das Genaueste. Er wählte einen völlig unerforschten Weg von der Küste zum Pol: rund 120 Kilometer kürzer als Scotts Route. Auf jedem Breitengrad errichtete er Depots mit Nahrungsmitteln und Brennstoff, die gesamte Strecke wurde sorgfältig markiert. Während die Norweger mit ihren Hundeschlitten manchmal Entfernungen von mehr als 50 Kilometern täglich bewältigten, kam Scott mit seinen mitgebrachten Ponys und Motorschlitten nur mühsam voran. Als die Motoren bald ihren Geist aufgaben und die Ponys vor Erschöpfung nicht mehr weiterkonnten, mussten die Männer ihre schweren Schlitten selber hinauf auf das 3000 Meter hoch gelegene Polarplateau ziehen.

Hundert Jahre nach dem historischen Wettlauf haben ZDF und ORF die dramatische Expedition in der Antarktis nachgezeichnet. Zwei Teams aus Deutschland und Österreich traten gegeneinander an – angeführt von TV-Moderator Markus Lanz und Musiker Joey Kelly sowie Skilegende Hermann Maier und Radiomoderator Tom Walek. Wie wurden sie mit den Strapazen einer Antarktisexpedition fertig? Bei minus 40 Grad Kälte und trockener Luft, in der Höhenluft des Polarplateaus und bei Windgeschwindigkeiten von bis zu 200 Stundenkilometern sehen sich auch modern ausgestattete Teams mit einer harten Probe konfrontiert. Nicht nur körperliche, auch mentale Stärke ist gefragt. Man ist der, der man wirklich ist. Und wie vor hundert Jahren kann es auch heute nur einen Gewinner geben.

Damals erreichten nach zahlreichen Entbehrungen sowohl Scott als auch Amundsen mit ihren Männern den Pol. Und während der eine als strahlender Sieger des Wettlaufs das Feld verließ, wurde der andere zum tragischen Helden einer ganzen Generation. Wie es dazu kam – davon erzählt dieses Buch.

Der weiße Kontinent

Als der britische Dreimaster Terra Nova am späten Abend des 12. Oktober 1910 vor dem Hafen von Melbourne den Anker setzte, wurde das Schiff mitten im australischen Frühling von kaltem und stürmischem Wetter empfangen – ganz so, als würden die eisigen Weiten der Antarktis schon frostklirrende Grüße nach Norden senden. War es ein gutes oder ein schlechtes Omen? Längst kreisten alle Gedanken der Männer an Bord um den weißen Kontinent. Nichts weniger als die endgültige Eroberung der Antarktis war das Ziel der Reise. »Das Hauptziel der Expedition besteht darin, den Südpol zu erreichen und sicherzustellen, dass die Ehre dieser Leistung dem britischen Empire zufällt«, hatte Robert Falcon Scott, der Kapitän der Terra Nova und Leiter der Expedition, bei der Vorstellung seiner Pläne im Herbst 1909 in London öffentlich verkündet. Dass ihm als Briten und Offizier der Royal Navy die Ehre dieser Heldentat gebührte, galt für ihn als ausgemachte Sache: Schließlich waren es seine Landsleute, die seit dem 18. Jahrhundert die Entdeckung des weißen Kontinents vorangetrieben hatten. Auch er selbst hatte schon einmal den beschwerlichen Weg nach Süden gewagt, war jedoch wenige hundert Meilen vor dem ersehnten Ziel gezwungen gewesen aufzugeben. Im Jahr zuvor war der irischstämmige Ernest Shackleton – vormaliger Weggefährte Scotts und nun erbitterter Konkurrent – ebenfalls unverrichteter Dinge aus der Antarktis zurückgekehrt. Und so sah sich Scott im Vorhinein bereits als der sichere Sieger des Wettrennens zum Pol.

Entsprechend selbstbewusst gab er sich vor den australischen Zeitungsreportern, die von einem Zollschiff zur auf Reede liegenden Terra Nova gebracht worden waren und nun den Kapitän mit Fragen bestürmten. Scott hatte nichts zu verheimlichen – und so erklärte er noch einmal geduldig, was er Monate zuvor schon vor der Presse in England verkündet hatte: Der Angriff auf den Pol werde am McMurdo-Sund, einer geschützten Meeresbucht am Rand der sogenannten Großen Eisbarriere, beginnen und mit einer Kombination von Transportmitteln aus Motor-, Pony- und Hundeschlitten durchgeführt. Im Februar und März 1911 werde man auf dem Weg nach Süden zunächst Vorratsdepots anlegen und dann den antarktischen Winter abwarten, ehe im Oktober desselben Jahres die eigentliche Polfahrt beginne. »Am Pol selbst möchte ich am Mittsommertag, dem 22. Dezember, ankommen, wenn die Sonne ihre größte Höhe erreicht.« Im Übrigen werde man nicht eher umkehren, bis die Sache erledigt sei.

Noch ahnte Scott nicht, welche Bombe in der Post tickte, die man ihm vom Festland mitgebracht hatte. Früh am nächsten Morgen wurde Tryggve Gran, ein junger norwegischer Abenteurer, den Scott als Skiexperten mit auf die Reise genommen hatte, in die Kajüte des Kapitäns gerufen. »Er überreichte mir ein geöffnetes Telegramm«, erinnerte sich Gran später, »das lautete: ›Erlaube mir mitzuteilen, dass die Fram zur Antarktis fährt. Amundsen.‹ – ›Wie verstehen Sie das?‹« Gran war nicht weniger perplex als Scott. Der Name Amundsens war den Männern durchaus nicht unbekannt. Der Norweger hatte sich als unerschrockener Polarforscher einen Namen gemacht und war in seiner Heimat zum Volkshelden aufgestiegen. Zuletzt jedoch, so hatten es auch britische Zeitungen gemeldet, hatte er eine Expedition zum anderen Ende der Welt, der Arktis, vorbereitet. Eingeschlossen vom Packeis, wollte er sich in einer mehrjährigen Reise mit seinem Schiff, der Fram, in Richtung Nordpol driften lassen und mit etwas Glück als erster Mensch den entgegengesetzten Extrempunkt des Globus erreichen. Was also hatte jenes Telegramm zu bedeuten? Handelte es sich vielleicht nur um einen Übermittlungsfehler? Oder hatte man unversehens einen Herausforderer beim Kampf um den Pol bekommen? Sollte aus dem geplanten Triumphzug zum Südpol ein erbitterter Wettlauf werden?

Die Faszination des Unbekannten

Die Antarktis, jene Terra Incognita des Südens, hat die Menschen seit jeher fasziniert. Schon im antiken Griechenland existierten Vorstellungen eines riesigen Südkontinents. Da sich die damaligen Gelehrten den Aufbau der Erde nur symmetrisch vorstellen konnten, erforderte eine große Landmasse im Norden naturgemäß ein entsprechendes Äquivalent im Süden. Claudius Ptolemäus, wissenschaftliches Multitalent und Verfechter des später nach ihm benannten geozentrischen Weltbilds, ordnete 150 n. Chr. in seinem Standardwerk Geographia die Terra Australis (»Südliches Land«) entsprechend an. Er gab ihr auch den Namen »Antarktis« – das Land, das der Arktis, dem »Nordland« unter dem Sternbild des Großen Bären, gegenüberliegt. Bis zum Ende des Mittelalters, mehr als 1500 Jahre lang, sollte der sagenumwobene Südkontinent in dieser Form immer wieder in Kartenwerken auftauchen – manchmal sogar ausgeschmückt mit fiktiven Gebirgszügen, Flüssen oder Küstenformationen. Dabei war die Antarktis in den Vorstellungen der Zeit kein eisiger, öder Kontinent, sondern ein üppiges, fruchtbares Land unter der wärmenden Sonne des Südens – eine Art Eldorado und Schlaraffenland, besiedelt von glücklichen und gastfreundlichen Eingeborenen.

Auch die Entdeckung und Erkundung Amerikas und Australiens oder die Weltumsegelungen Ferdinand Magellans und Francis Drakes erschütterten dieses Fabelbild vom irdischen Paradies nur wenig. Noch bis ins 18. Jahrhundert hinein wurden in Europa immer wieder Schiffsexpeditionen losgeschickt, um endlich den rätselhaften Kontinent zu finden – und in Besitz zu nehmen. Einem der Seefahrer, dem Franzosen Jean-Baptiste Charles Bouvet de Lozier, dämmerte als Erstem jedoch eine bittere Erkenntnis. Am Neujahrstag des Jahres 1739 sichtete er südlich des 54. Breitengrads eine nebelverhangene, eisbedeckte Küstenlinie – ein Eiland, das nach seinem Entdecker später Bouvetinsel genannt wurde. Statt tropischem Überfluss gab es dort jedoch nichts als gewaltige tafelförmige Eisberge sowie zahlreiche Pinguine und Robben. Bouvet hatte zwar immer noch nicht die Antarktis entdeckt, doch seine Reise gab eine Ahnung von der eisigen Ödnis, die dahinter nur noch warten konnte.

Abb 4

Eine unwirkliche, menschenfeindliche Welt: Aus dem All wirkt die Eiswüste der Antarktis inmitten ihrer tiefblauen Meeresumgebung wie ein glitzernder, kalt funkelnder Eiskristall. Satellitenufnahme vom August 2001.

Gut dreißig Jahre später schließlich stach der britische Weltumsegler James Cook in See, um endlich das Geheimnis um den mysteriösen Südkontinent zu lüften. Mit 71°10’ segelte er weiter nach Süden, als es jemals zuvor einem Menschen gelungen war, ehe ihn undurchdringliches Packeis zur Umkehr zwang. Er wäre wohl nur noch eine Tagesreise von der Antarktis entfernt gewesen, doch zu Gesicht bekam auch Cook den weiter im Verborgenen liegenden Kontinent nicht. Immerhin war nach Cooks Entdeckungen klar, dass die Antarktis kein sonniges Eiland sein konnte, sondern nur eine menschenfeindliche Eiswüste, »verurteilt zu ewiger Erstarrung«, wie Cook notierte. »Wer immer den Mut und die Ausdauer besitzt, diese Frage zu klären, weil er weiter vorgestoßen ist als ich, ich werde ihn um die Ehre der Entdeckung nicht beneiden. Doch ich bin kühn genug zu behaupten, dass die Entdeckung der Welt keinen Gewinn bringen wird.«

Abb 42

Die »Terra Australis Incognita« mit ihrem »Polus Antarcticus«, umgeben von anderen kontinentalen Landmassen, darunter Südamerika, publiziert Mitte des 17. Jahrhunderts auf einer Karte des niederländischen Kartografen Johannes Jansonius (Jan Janson).

Fast ein halbes Jahrhundert lang versank der Südkontinent danach wieder im Nebel des Vergessens, ehe ihn endlich ein Mensch zu Gesicht bekommen sollte. Im Jahr 1819 kam das britische Handelsschiff Williams auf der Fahrt um Kap Hoorn vom Kurs ab und wurde nach Süden abgetrieben. Der Kapitän der Williams, James Smith, geriet auf diese Weise zu einer Inselgruppe, die er Südliche Shetlandinseln nannte. Ein Jahr später kehrte Smith gemeinsam mit Kapitän Edward Bransfield von der Royal Navy in dieses Seegebiet zurück und drang weiter Richtung Süden vor. Am 30. Januar 1820 sichteten sie eine eisbedeckte Landzunge. »Es war der düsterste Anblick, den man sich denken kann«, berichtete ein Besatzungsmitglied später. »Die einzige Aufmunterung war die Hoffnung, dass es sich dabei tatsächlich um den lange gesuchten südlichen Kontinent handeln würde.« In der Tat hatten Bransfield und Smith die Nordspitze der Antarktis, das später so genannte Graham Land, erblickt. Ob sie allerdings wirklich die Ersten waren, die den Südkontinent sichteten, ist umstritten. Denn nur drei Tage zuvor hatte Kapitän Fabian Gottlieb von Bellingshausen, der in Diensten der russischen Marine die Region erkundete, ebenfalls die Entdeckung eines eisbedeckten Stückchens Land in sein Logbuch eingetragen. Er befand sich zu dieser Zeit allerdings mehr als 2500 Kilometer südöstlich vor der Küste des später Königin-Maud-Land genannten Teils der Antarktis.

Abb 1

Statt üppiger tropischer Flora und Fauna nur gewaltige zerklüftete Eisberge, bevölkert von Pinguinen und Robben: Der Anblick dieser Ödnis dürfte den frühen Entdeckern eine Vorstellung von den Strapazen vermittelt haben, die sie bei einem weiteren Vordringen erwarteten. Ölgemälde des englischen Marinemalers Robin Brooks.

Die Berichte der Forschungsreisenden über einen großen Reichtum an Seehunden und Walen lockten nun immerhin britische und US-amerikanische Robbenjäger wie Nathaniel Palmer, James Weddell oder John Biscoe nach Süden. Diese ebenso kaltblütigen wie tollkühnen Männer übernahmen jetzt das Kommando im Südpolarmeer und erkundeten neben der Ausübung ihres blutigen Geschäfts weitere Küstenabschnitte des weißen Kontinents – was ihnen zumindest den Ruhm von Namenspatronen für einsame Meeresbuchten, eisbedeckte Landzungen oder von Pinguinen bewohnten Eisinseln eintragen sollte.

Abb 2

Sir James Clark Ross (1800 – 1862) war der Erste, der 1840/41 die Südpolregion systematisch erkundete.

Erst im Jahr 1839 trat die Royal Navy wieder auf den Plan und beauftragte Kapitän James Clark Ross mit einer systematischen Erkundung der Antarktis. Erstmals spielte bei dieser Forschungsreise auch der Südpol eine Rolle. Als Ross im August 1840 mit seinen beiden Schiffen in Neuseeland eintraf, kamen ihm jedoch beunruhigende Nachrichten über eine US-amerikanische und eine französische Expedition zu Ohren, die vor ihm aufgebrochen waren und offenbar ähnliche Ziele verfolgten wie er selbst. Er entschloss sich deshalb, eine direktere, weiter östlich gelegene Route zur Antarktis zu wählen als seine vermeintlichen Konkurrenten.

Die Entscheidung, entlang des Meridians 170 Grad Ost nach Süden zu segeln, sollte sich für die weitere Erforschung des eisigen Kontinents als außerordentlich bedeutsam erweisen, denn gerade deshalb gelangen Ross zahlreiche wichtige Entdeckungen. So erreichten seine beiden Schiffe, nachdem sie sich mehrere Tage lang durch das antarktische Packeis gekämpft hatten, im Januar 1841 plötzlich weitgehend eisfreie Gewässer, die heute ihrem Entdecker zu Ehren Rossmeer genannt werden. Er setzte seine Fahrt fort und erblickte bald südwärts Land – eine gewaltige Kette schneebedeckter, hoch aufragender Berge. Ross und seine Männer waren tief beeindruckt von dem majestätischen Anblick. In den folgenden Wochen hatten sie alle Hände voll zu tun, die zahlreichen neu entdeckten Landmarken zu benennen – sei es nach Mitgliedern des englischen Königshauses (Victoria Land), nach Freunden und Förderern ihrer Expedition (Kap Adare) oder britischen Staatsmännern und akademischen Zirkeln (Royal-Society-Gebirge, Mount Melbourne). Zwei gewaltigen Vulkanen, die Ross bei seinem Weg nach Süden auf einer dem Festland vorgelagerten Insel bemerkte, gab er die Namen seiner beiden Schiffe: Mount Erebus und Mount Terror.

Abb 3

Diese Lithografie des Briten John Arrosmith aus dem Jahr 1841 veranschaulicht Ross’ Entdeckungsreise mit den Schiffen Erebus und Terror durch antarktische Gewässer.

Noch war Ross der Überzeugung, die Polregion bestehe aus zahlreichen eisbedeckten Inseln, zwischen denen er nur den richtigen Durchschlupf finden müsste, um letztendlich per Schiff zum Pol zu gelangen. Doch spätestens, als er ein weiteres, bis dahin völlig unbekanntes Naturphänomen zu Gesicht bekam, musste der Seemann alle derartigen Hoffnungen begraben. »Als wir uns dem Land näherten«, trug er am 15. Januar 1841 in sein Logbuch ein, »bemerkten wir eine niedrige, weiße Linie, die sich, so weit das Auge reichte, nach Süden erstreckte. Es war ein ungewöhnlicher Anblick: Die Linie nahm, als wir näher kamen, langsam an Höhe zu und erwies sich schließlich als eine senkrechte Eisklippe, die 150 bis 250 Fuß [45 bis 75 Meter] über dem Meeresspiegel lag.« Ross nannte dieses Phänomen The Great Ice Barrier – die Große Eisbarriere. Heute wird sie auch als Ross-Schelfeis bezeichnet – es ist eine gewaltige Eisplatte von der Größe Spaniens, die auf dem Rossmeer schwimmt und durch Gletscher mit dem Festland verbunden ist. Mit dem Schiff einen Weg durch diesen Riegel zu finden, schien ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. »Wir könnten mit ebenso viel Aussicht auf Erfolg durch die Klippen von Dover hindurchzusegeln versuchen wie durch eine solche Eismasse«, bemerkte Ross mit typisch britischem Humor. Immerhin gelang es ihm, an einer niedrigen Stelle einen Blick auf die Oberfläche der Barriere zu werfen. »Die Fläche schien ganz glatt zu sein und vermittelte den Eindruck einer unendlich weiten Ebene aus gefrorenem Silber. « Als freilich während der weiteren Erkundung immer wieder gewaltige Eisbrocken aus dem Riegel herausbrachen und die dicht an der Eiskante entlangsegelnden Schiffe in Gefahr brachten, hatte Ross genug gesehen. Er ließ wenden und nahm 1843 Kurs Richtung Heimat.

Die ersten Menschen in der Antarktis

Nach der Abreise von Ross war das Südpolarmeer für mehr als ein halbes Jahrhundert wieder die Domäne der Robbenjäger und Walfänger. Seltsamerweise schien auch die Wissenschaft die Erforschung des immer noch weitgehend unbekannten Kontinents im Süden im wahrsten Sinne des Wortes auf Eis gelegt zu haben. Alle Blicke richteten sich jetzt nach Norden. Dort suchten Männer wie der britische Admiral John Franklin nach der sogenannten Nordwestpassage, einem Schifffahrtsweg nördlich des amerikanischen Kontinents. Polarforscher wie der Norweger Fridtjof Nansen durchquerten Grönland auf Skiern und trachteten danach, den Nordpol per Schiff zu erreichen. Andere vermaßen das Nordpolarmeer oder versuchten, den vom geografischen Nordpol abweichenden Magnetpol zu bestimmen.

Abb 21

Carsten Borchgrevink (1864 – 1934) gilt als Begründer der norwegischen Antarktisforschung.

Dass schließlich in den Jahren um die Jahrhundertwende auch wieder die Antarktis ins Blickfeld der Öffentlichkeit geriet, hatte mit einem begeisterten Laien zu tun. Gleichzeitig betrat mit ihm eine Nation die Bühne der Antarktiserforschung, die sich fortan im dauernden Wettstreit mit den bis dahin maßgeblichen Briten befinden sollte. Nansens norwegischer Landsmann Carsten Borchgrevink hatte in seiner Jugend die Expeditionsberichte von Cook, Bellingshausen oder Ross verschlungen und wünschte sich nichts sehnlicher, als eines Tages selbst als Forscher in die Antarktis zu reisen. Seinen Neigungen zum Trotz führte er zunächst eine ganz normale bürgerliche Existenz und übte, nachdem er nach Australien ausgewandert war, dort zehn Jahre lang den Beruf eines Landvermessers aus.

Als er freilich 1894 hörte, dass im Hafen von Melbourne ein Schiff vor Anker lag, das im Südpolarmeer nach neuen Fanggründen für die Walfangflotte eines norwegischen Reeders suchen sollte, gab es für ihn kein Halten mehr: Er bestürmte den Kapitän, ihn mit an Bord zu nehmen. Mitreisen durfte er freilich erst, als ein Matrose des passenderweise Antarctic getauften Seelenverkäufers im alkoholisierten Zustand über Bord gefallen und im Hafenbecken ertrunken war, und Borchgrevink versprach, die Bordpflichten des Mannes zu übernehmen. Nach der Einfahrt in das Rossmeer überredete er Kapitän Leonard Kristensen, an einer eisfreien Bucht unterhalb von Kap Adare ein Beiboot zu Wasser zu lassen und gemeinsam an Land zu rudern. Borchgrevink, von der plötzlichen Furcht getrieben, Kristensen könnte ihm zuvorkommen, sprang kurz vor dem Ufer aus dem Boot und watete durch das eiskalte Wasser an Land. So war er am 24. Januar 1895 der erste Mensch, der antarktisches Festland betrat.

Ein großer Schritt für die Menschheit? Borchgrevink war davon zutiefst überzeugt. Auf eigene Kosten reiste er nach London, wo im Sommer desselben Jahres der 6. Internationale Geografen-Kongress stattfand. Wegen »unstandesgemäßer Kleidung« wurde ihm zunächst der Zutritt zum Sitzungssaal verwehrt. Im geliehenen Frack konnte er schließlich vor den Delegierten auftreten und wirbelte die gediegene akademische Atmosphäre im prächtigen Imperial Institute gehörig durcheinander. Zwar wäre es wohl vermessen zu behaupten, sein Auftritt allein hätte die Antarktisforschung aus ihrem Mauerblümchendasein gerissen, hatten sich wissenschaftliche Arbeitsgruppen doch schon zuvor mit dem Thema beschäftigt. Aber Borchgrevinks begeisterte Schilderungen und der Eindruck seiner mitgebrachten Fundstücke rissen die anwesenden Wissenschaftler aus aller Herren Länder derart mit, dass der Kongress schließlich »die Erforschung der antarktischen Regionen für das bedeutendste der noch zu lösenden geografischen Probleme« bestimmte und empfahl, »in Anbetracht der aus derselben voraussichtlich für alle Zweige der Wissenschaft sich ergebenden Vorteile, dass die verschiedenen gelehrten Gesellschaften auf dem ihnen am wirksamsten erscheinenden Weg danach trachten, diese Aufgabe vor Ablauf des 19. Jahrhunderts gelöst zu sehen«.

Mit dieser Terminvorstellung freilich drohte es eng zu werden. Denn sosehr sich verschiedene Teilnehmer des Londoner Kongresses nach der Rückkehr in ihre Heimatländer auch bemühten, Expeditionen in die Antarktis auf die Beine zu stellen, sowenig waren Politik und Verwaltung in den europäischen Staaten angesichts der horrenden Kosten und des zweifelhaften Nutzens eines solchen Unternehmens bereit, die südwärts gerichteten Aktivitäten zu unterstützen. Auch die traditionell in der Polarforschung engagierte britische Royal Navy zeigte zunächst wenig Interesse an der neuerlich aufgeworfenen Problematik, hatte sie doch angesichts der verstärkten deutschen Flottenrüstung unter Kaiser Wilhelm II. in erster Linie alle Hände voll mit der Modernisierung und Neuaufstellung der eigenen Verbände zu tun.

Abb 5

Der Belgier Adrien de Gerlache (1866 – 1934) überwinterte mit seinem Team als Erster in der Antarktis.

So waren die – nicht selten selbst ernannten – Polarforscher darauf angewiesen, bei begüterten Privatleuten Geldquellen zu erschließen. Wie Borchgrevink gehörte auch der belgische Marineoffizier Adrien de Gerlache zu jenem Menschenschlag, dessen Vertretern es nicht reichte, ein Leben lang nur bei der Küstenwache Dienst zu tun. Er hoffte auf Ruhm und Ehre als Polarforscher. Vom Königreich Belgien und dessen Herrscher Leopold II. konnte er keine finanzielle Unterstützung für eine Antarktisexpedition erwarten. Doch ausgerechnet ihm als blutigem Neuling gelang es, genügend Kapital aufzutreiben, um eine Expedition in die Antarktis finanzieren zu können. Mit einer bunt zusammengewürfelten, abenteuerlustigen Mannschaft aus Belgiern, Rumänen, Polen, Norwegern und US-Amerikanern stach er im August 1897 von Antwerpen aus in See. Der Zweite Offizier an Bord hieß – Roald Amundsen.

Der Norweger war wie sein einstiger Spielgefährte Borchgrevink einer jener Enthusiasten, welche als Jugendliche durch Reiseberichte von Polarforschern für das Thema begeistert wurden. »Auf unerklärliche Weise wünschte ich mir sehnlichst, eines Tages auch so etwas zu erleben«, schrieb er später. »Vielleicht handelte es sich um jugendlichen Idealismus – der ja oft die Form eines Martyriums annimmt –, als ich mich selbst als Held im Kampf bei einer Nordpol-Expedition sah. Auch ich wollte für eine Sache leiden, aber nicht in der heißen Wüste auf dem Weg nach Jerusalem, sondern im frostigen Norden.« 1872 in eine Familie von Seeleuten und Schiffseignern hineingeboren, hatte er sich im oft monatelang tief verschneiten Norwegen früh mit dem eisigen Element vertraut gemacht. Schon als Kleinkind wurde er auf Skier gestellt und unternahm später nach dem Vorbild des Grönlandbezwingers Nansen ausgedehnte Skitouren durch das menschenleere norwegische Bergland, wobei er einmal fast erfroren wäre.

Abb 6

Bereits früh wurde Roald Amundsens (hier ein Porträt von ca. 1880/81) Begeisterung für die Polarforschung entfacht.

Den Schulabschluss schaffte er nur mit Ach und Krach. Seiner Mutter zuliebe – der Vater war früh gestorben – begann Amundsen danach ein Medizinstudium an der Universität der norwegischen Hauptstadt, die damals noch Kristiania hieß. Aber auch an der Uni war er oft nur halb bei der Sache. Höchstens interessierten ihn Vorträge wie der von Eivind Astrup, der an einer US-amerikanischen Grönlandexpedition teilgenommen hatte und über die Vorzüge von Eskimohunden während solcher Reisen referierte. Als schließlich 1893 auch noch Amundsens Mutter starb, war er endlich frei, das zu tun, was er wollte. Er hängte sein Studium umgehend an den Nagel und heuerte auf verschiedenen Robbenfängerschiffen als Matrose an. Zwei Jahre später erwarb er das Steuermannspatent, um als zukünftiger Forscher sein eigenes Schiff führen zu können.

Da kam es im Juli 1896 im Hafen von Sandefjord zu einer schicksalhaften Begegnung. Denn genau dort, wo Amundsens Schiff nach einer Fangfahrt aus arktischen Gewässern zurückkehrte, ließ de Gerlache einen ausgedienten Robbenfänger für seine Antarktisexpedition umbauen. Als Amundsen von de Gerlaches Plänen hörte, war er sofort Feuer und Flamme und bot sich als Expeditionsmitglied an. Der Belgier akzeptierte – nicht nur, weil Amundsen vorschlug, ohne Heuer zu arbeiten, sondern auch, weil Männer mit seemännischem Hintergrund und Polarerfahrung in seinem Team rar gesät waren.

Von Anfang an freilich stand die Reise des Belgica getauften Schiffs unter keinem glücklichen Stern. Offiziere und Matrosen konnten sich untereinander kaum verständigen. Schon auf der Hinreise drohte das Schiff mehrfach zu kentern, Stürme und Riffe beschädigten es schwer, zuletzt wurde sogar ein Matrose über Bord gespült. Allen Unbilden zum Trotz traf die Belgica im Januar 1898 vor der Küste der Antarktis ein, und die Mannschaft begann mit ozeanografischen Messungen. Mehrfach gingen Expeditionsteilnehmer auch an Land und führten geologische Untersuchungen durch. Auch Amundsen betrat am 26. Januar erstmals den Boden einer dem Festland vorgelagerten antarktischen Insel, probierte seine Skier aus und unternahm ein paar Tage darauf mit dem Kommandanten und drei anderen Gefährten eine mehrtägige Schlittentour auf Brabant Island. Am 31. Januar übernachteten die ersten Menschen in einem Zelt auf antarktischem Boden. »Als die heiße Erbsensuppe vor uns steht, sind Wind und Schnee vergessen«, trug ein zufriedener Amundsen in sein Tagebuch ein. »In einem Königspalast könnte man nicht glücklicher sein.«

Doch de Gerlache wollte mehr: Seine ehrgeizigen Pläne sahen vor, nicht nur irgendwelche Gesteinsproben mit nach Hause zu bringen, sondern als Erster in der unwirtlichen Einöde der Antarktis zu überwintern. Dafür waren eigentlich nur vier Männer vorgesehen, die an einer geeigneten Stelle auf dem Festland in einer wetterfesten Hütte leben und wissenschaftlich arbeiten sollten. Das Schiff mit der restlichen Mannschaft sollte unterdessen nach Australien zurückkehren und die Forscher später wieder abholen. Bevor dieses Vorhaben jedoch in die Tat umgesetzt werden konnte, hatte das Packeis die Belgica schon umfasst, und das Schiff saß fest. »Leider zeigen die Wissenschaftler offen ihre Furcht«, notierte der tatendurstige Amundsen verstimmt. »Weshalb, so frage ich, sind wir hierhergekommen? Wollten wir nicht die unbekannten Regionen erforschen? Das kann man nicht, wenn man außerhalb des Eises liegen bleibt.« Nun war die gesamte achtzehnköpfige Besatzung gezwungen, den antarktischen Winter, der wegen der Lage auf der Südhalbkugel in unsere Sommermonate fällt, auf dem eingefrorenen ehemaligen Robbenfänger zu verbringen. Dies bedeutete für die Männer nicht nur, mit völlig unzureichender Ausrüstung Temperaturen weit unterhalb des Gefrierpunkts aushalten zu müssen. Es hieß auch, für mehrere Monate in vollkommener Dunkelheit zu leben, da die Sonne über diesem Teil der Antarktis von Mitte Mai bis Ende Juli überhaupt nicht mehr aufging. Zudem zehrte die Ungewissheit an den Nerven: Könnte man dem Eis jemals wieder entrinnen? Würde die altersschwache Belgica womöglich von den Eismassen zerdrückt werden wie eine Pappschachtel? Angesichts der widrigen Umstände verloren mehrere Matrosen den Verstand, andere raffte der Skorbut dahin.

Frühe Forschungsreisen in die Antarktis. Erst ein Dreivierteljahrhundert nach seiner Entdeckung setzte der erste Mensch seinen Fuß auf den Boden des eisigen Kontinents.

Abb 14

In klirrender Kälte: Eigentlich hätte sich die Belgica für die Wintermonate nach Australien zurückziehen sollen, doch dann wurden Schiff und Besatzung vom Packeis überrascht.

Skorbut war seit jeher die Geißel der Seefahrer, die oft längere Zeit von der Zufuhr frischer Lebensmittel abgeschnitten waren und nur von konservierten Nahrungsmitteln leben konnten. Heute weiß man, dass die Krankheit durch akuten Vitamin-C-Mangel verursacht wird, doch damals war das segensreiche Wirken von Vitaminen noch völlig unbekannt. Der Krankheitsverlauf zeigte sich zunächst an geschwollenen Gliedern und Zahnfleischbluten, dann fielen Zähne ganz aus, die körperliche Leistungsfähigkeit nahm rapide ab, es kam zu geistiger Verwirrung und Depressionen, ehe schließlich der Tod eintrat. Zwar war seit Mitte des 18. Jahrhunderts bekannt, dass der Verzehr von Zitrusfrüchten gegen die tückische Krankheit half. Doch weil man nicht wusste, welche Inhaltsstoffe diese positiven Wirkungen hervorriefen, wählte man oftmals die falschen Früchte oder benutzte eine falsche Dosierung. So enthielt auch die auf der Belgica mitgeführte Limonade viel zu wenig Vitamin C, um tatsächlich als Antiskorbutmittel wirken zu können. Den schließlich vom Schiffsarzt Dr. Frederick A. Cook vorgeschlagenen Verzehr halbrohen Robben- oder Pinguinfleischs, den er während einer Grönlandexpedition bei den dortigen Ureinwohnern kennengelernt hatte, lehnten die meisten Matrosen und auch Expeditionsleiter de Gerlache selbst ab. Erst als Cook den rettenden Einfall hatte, das Fleisch nicht mehr als Nahrungsmittel, sondern als Medizin zu verabreichen, besserte sich der Zustand seiner Patienten rasch.

Wenn sich nun auch kein Besatzungsmitglied mehr in Lebensgefahr befand, gab der Gesundheitszustand der zumeist vollkommen ausgemergelten Männer weiteren Anlass zur Besorgnis. Viele schienen um Jahre gealtert, auch Amundsen hatte über Nacht graue Haare bekommen. Er hatte ebenfalls an Skorbut gelitten, war durch die Frischfleischkur jedoch rasch wieder auf die Beine gekommen. Dass gerade Cook und Amundsen die schwere Zeit an besten überstanden, lag jedoch auch daran, dass sie im Gegensatz zum Rest der Besatzung keinen trüben Gedanken nachhingen. Stattdessen waren beide ständig damit beschäftigt, ihre vielfach mangelhafte Ausrüstung den polaren Witterungsbedingungen anzupassen. Ihr »Meisterstück« war ein aerodynamisch geformtes Zelt, das sich leicht aufbauen ließ und Wind und Wetter bestmöglich trotzte. Aber auch über Fragen der Ernährung, Bekleidung und übrigen Ausrüstung machten sie sich Gedanken und führten zahlreiche Tests mit Schlafsäcken, Schuhen oder Schlitten durch.

Freilich kam es dennoch eines Tages zum Eklat, als Amundsen feststellte, dass de Gerlache der Belgischen Geographischen Gesellschaft zugesagt hatte, bei einer eventuell notwendigen Übertragung des Kommandos ausschließlich belgische Offiziere zu berücksichtigen. Als Zweiter Offizier wäre er in einem derartigen Fall übergangen worden. Amundsen fühlte sich persönlich beleidigt: »Ich habe mich Ihnen ohne Soldforderung angeschlossen. Es war für mich eine Frage der Ehre, nicht des Geldes.

Der Wettlauf zum Südpol – hundert Jahre danach

Hundert Jahre, nachdem Roald Amundsen und Robert Falcon Scott darum rangen, als Erste am südlichsten Punkt der Erde zu stehen, gibt es erneut einen Wettlauf zum Südpol. Diesmal jedoch soll kein Duell zwischen Norwegern und Briten ausgetragen werden – stattdessen ist die freundschaftliche Rivalität zwischen Deutschland und Österreich die Basis für ein neues Rennen zum Pol. ZDF und ORF spiegeln auf diese Weise das historische Ereignis und würdigen die außergewöhnlichen Leistungen der beiden großen Entdecker.

Für Deutschland stellen sich TV-Moderator Markus Lanz und Extremsportler Joey Kelly der Herausforderung Antarktis. Markus Lanz ist begeisterter Skiläufer und in extremen Expeditionen erfahren. Schon seit Jahren zieht es Lanz immer wieder nach Grönland. Dort lebte er mit den Inuit (Eskimos) im nördlichsten Dorf der Welt, ging mit ihnen auf die Jagd und übernachtete in Biwaks. Der Wettlauf zum Südpol jedoch sei für ihn das Härteste, was er jemals gemacht habe, so Lanz. »Es ist eine extreme Natur dort, und da kann vieles passieren. Es ist eine Eiswüste, wir reden über Gletscherspalten, Schneestürme und extreme Kälte«, erklärt er. »Die Kälte macht mir ehrlich gesagt ein bisschen Angst. Weil ich weiß, dass es am Südpol auch sehr hoch hinausgeht, 3000 Meter über dem Meeresspiegel teilweise, und das ist nicht ganz ohne.« Er freut sich jedoch auf das einzigartige Naturerlebnis.

Abb 38

Markus Lanz (rechts) und Joey Kelly führen das deutsche Team.

Den bekannten Musiker Joey Kelly brachte eine Wette mit seiner Schwester zum Sport. 1996 nahm er an seinem ersten Triathlon teil. Inzwischen genießt er den Ruf eines Ausnahmeathleten. Bereits im Jahr 2000 sammelte er erste Erfahrungen beim Idita-Lauf in Alaska bei minus 20 Grad. Es folgten weitere Wettkämpfe in extremer Kälte. »Ich weiß, was auf mich zukommt«, sagt Kelly. »Genau deswegen habe ich auch so viel Respekt und auch Angst.«

Abb 39

Hermann Maier (rechts) und Tom Walek gehen für Österreich ins Rennen.

Österreich schickt ein Team um den mehrfachen Skiweltmeister und Doppelolympiasieger Hermann Maier sowie Radiomoderator Tom Walek ins Rennen auf der Antarktis. »Ich sehe das nicht als Wettkampf, sondern als Abenteuer und als Herausforderung«, so »Herminator« Maier. »Das ist eine einzigartige Geschichte, so was wird’s nie wieder geben – wie oft hat man schon die Möglichkeit, zum Südpol zu gehen?« Und er fügt hinzu: »Es ist sicher einfacher, den Mount Everest zu besteigen – denn dazu hat man eher die Möglichkeit –, als an den Südpol zu kommen.«

Sein Mitstreiter Tom Walek: »Diese Chance ist einmalig. Mit der Kälte umzugehen, wird für mich die größte Herausforderung sein. Hermann tut sich da berufsbedingt etwas leichter.«

Der Marsch zum Südpol wird für alle zur größten Herausforderung ihres Lebens.

Abb 15

Schiffsarzt Frederick A. Cook aus New York, dessen »Medizin« gegen Skorbut letztlich von Erfolg gekrönt war.

Abb 7

Amundsen mit erlegten Pinguinen: Er nahm den Rat Cooks an, dem Skorbut durch den Verzehr halbrohen Fleischs zu begegnen.

Abb 16

Cook verbesserte gemeinsam mit Amundsen ständig die Expeditionsausrüstung. Unter anderem entwickelten sie ein »aerodynamisch« geformtes Zelt.

Abb 17

Noch immer hat das Packeis die Belgica nicht freigegeben: Die Besatzung versucht, eine Fahrrinne zur offenen See aufzuhacken.

Diese Ehre haben Sie beleidigt, indem Sie mir mein Recht verweigerten«, schleuderte er dem konsternierten de Gerlache ins Gesicht. »Eine belgische Antarktisexpedition existiert für mich nicht mehr. Ich sehe in der Belgica nur noch ein gewöhnliches Schiff, das im Eis festsitzt. Es ist meine Pflicht, den Männern an Bord beizustehen. Deshalb, Kapitän, setze ich meine Arbeit fort, als sei nichts geschehen.« Fortan war das Tischtuch zwischen den beiden Männern zerschnitten, und Amundsen sollte den Namen des Kapitäns zukünftig nicht mehr erwähnen.

Als die Sonne Ende Juli 1898 endlich wieder am Horizont erschien, richtete sich die Hoffnung der meisten Expeditionsteilnehmer nun darauf, möglichst rasch Richtung Heimat aufbrechen zu können. Doch zu ihrem Entsetzen hielt das Packeis die Belgica weiterhin fest im Griff. Sollte der Expedition, deren Vorräte langsam zur Neige gingen, ein weiterer Winter in der Antarktis drohen? Diese Vorstellung schien den Männern zu schrecklich, als dass sie hätte Realität werden dürfen. Als sie in einiger Entfernung eine offene Wasserrinne entdeckten, versuchten sie verzweifelt, einen Kanal in das Eis zu sägen und zu sprengen. »Kein Anarchistenknast hat je eifrigere Bombenbastler gesehen als die Belgica«, bemerkte Henryk Arctowski, der polnische Geologe an Bord, dazu später sarkastisch. Erst am 14. März 1899, mehr als ein Jahr nach der Ankunft in der Antarktis, gab das Eis das Schiff endlich wieder frei, und die Belgica konnte sich Meter für Meter hinaus ins offene Meer kämpfen. Als de Gerlache mit dem Rest seiner Truppe, Amundsen hatte das Schiff wegen seines Streits mit dem Kapitän bereits bei einem Zwischenstopp in Chile verlassen, im November 1899 wieder in Antwerpen eintraf, wurde er begeistert gefeiert – und ebenso schnell wieder vergessen. Der Belgier konnte zwar durchaus bedeutsame Forschungsergebnisse vorweisen – unter anderem hatte er den ersten vollständigen meteorologischen Jahresbericht der Antarktis aufgezeichnet, eine große Zahl von Pflanzen-und Gesteinsarten katalogisiert und die Westküste der Antarktis erstmals umfassend kartografiert: Wissen, auf das alle zukünftigen Expeditionen aufbauen konnten. Und doch fehlte ein zündendes Moment, ein Rekord, eine Heldengeschichte, die den Weg zur Unsterblichkeit gewiesen hätte.

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Carsten Borchgrevinks (hier in »Camp Ridley« bei der Überprüfung von Forschungsobjekten) Bemühungen um britische Sponsorengelder für eine Antarktisexpedition unter britischer Flagge waren der RGS ein Dorn im Auge.

Daran versuchte sich nun der Mann, dessen fulminanter Auftritt in London das neue Interesse am Südkontinent erst eingeleitet hatte: Carsten Borchgrevink. Der Norweger hatte sich danach ebenfalls bemüht, Geldgeber für eine Antarktisexpedition zu gewinnen, konnte außer vagen Absichtserklärungen zunächst jedoch keine Erfolge verzeichnen. Im Frühjahr 1898 aber meldete sich der britische Zeitungsbaron Sir George Newnes bei ihm und bot ihm an, die Expeditionskosten von 35 000 Pfund zu übernehmen, wenn Borchgrevinks Unternehmen unter britischer Flagge segeln würde. Der Norweger nahm an – und schuf sich damit erbitterte Feinde. Denn auf das Markenzeichen »The British Antarctic Expedition«, unter dem Newnes die ganze Sache zu vermarkten plante, glaubten ganz andere Kräfte das Copyright zu besitzen.

Das waren vor allem jene »arktischen« Navy-Admiräle a. D., die sich in der Royal Geographical Society (RGS), der Königlichen Geographischen Gesellschaft, zusammengefunden hatten. An ihrer Spitze stand der Präsident der RGS, Sir Clements Markham, ein damals bereits fast 70 Jahre alter ehemaliger Kolonialbeamter. Markham war einst im Alter von 14 Jahren selbst in die Navy eingetreten und hatte als junger Mann 1850/51 an der Suchaktion nach Sir John Franklin teilgenommen, dessen beide Schiffe während der Erkundung der Nordwestpassage verschollen waren. Aus dieser Zeit rührten Markhams leidenschaftliche Begeisterung für die Polarforschung und seine schwärmerische Verklärung der britischen Marine, obwohl er selbst wenig später auf eigenen Wunsch aus dem aktiven Dienst ausgeschieden war. Seine Lebensaufgabe sah er darin, die britische Polarforschung unter dem Dach der Navy, die er als »die Kinderstube unserer Seeleute, die Schule unserer künftigen Nelsons und für junge Marineoffiziere die beste Gelegenheit, sich in Friedenszeiten auszuzeichnen« pries, wiederzubeleben.

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Er war die treibende Kraft hinter der britischen Polarforschung: Sir Clements Markham (1830 – 1916).

Vor allem jene jungen Marineoffiziere hatten es ihm in durchaus »unangemessener« Art und Weise besonders angetan – auch wenn er offenbar diskret genug war, sich in der Heimat keine Affären zuschulden kommen zu lassen. Er war häufiger Gast der Königlichen Marineschule in Greenwich und liebte es, wenn die jungen Leutnants und Fähnriche in ihrer schmucken Paradeuniform vor ihm Haltung annahmen. In seinen Tagebüchern finden sich Aufzeichnungen zu Hunderten dieser »Jungs«, die er schon lange vor seinem Amtsantritt als Präsident der RGS 1893 auf Tauglichkeit für sein großes Projekt abklopfte: eine britische Antarktisexpedition unter Federführung der Royal Navy. Doch sowohl das Schatzamt als auch die Admiralität gaben sich zunächst zugeknöpft. In einer Zeit zunehmender internationaler Konflikte konnte man etwaige Nebenkriegsschauplätze an den Polen nicht gebrauchen. Also verlegte sich auch Sir Clements darauf, private Geldgeber für seine Expedition zu finden – mit äußerst geringem Erfolg. Ende 1898 hatte er von den kalkulierten 50 000 Pfund erst 12 000 beisammen. Umso mehr erzürnte es ihn, dass es einem Privatmann, einem Außenseiter und Ausländer, scheinbar mühelos gelungen war, das notwendige Geld zu erhalten, und dass dieser zu allem Überfluss dann auch noch als Leiter einer offiziellen britischen Antarktisexpedition in See stach. Aber alles, was er einstweilen tun konnte, war, dass die RGS Borchgrevink nach Kräften ignorierte.

In der Tat war diese Expedition, die offiziell unter dem Union Jack segelte, ein fast rein norwegisches Unternehmen. Als Konzession an seinen Geldgeber Newnes hatte Borchgrevink lediglich drei britische Wissenschaftler mit an Bord der Southern Cross genommen. Im Februar 1899, als die Männer der Belgica noch gegen das Packeis in der Bellingshausen-See kämpften, traf die Southern Cross vor Kap Adare ein, wo Borchgrevink vier Jahre zuvor als Erster seinen Fuß auf antarktischen Boden gesetzt hatte. Auch der Norweger plante, in der Antarktis zu überwintern. Doch er war klug genug, nicht seiner ganzen Mannschaft diese Tortur zuzumuten. Nachdem die Southern Cross ihre Ladung gelöscht und die Männer ein »Camp Ridley« genanntes Lager mit Wohn- und Lagerschuppen von jeweils knapp fünf Metern im Quadrat sowie ein Beobachtungszelt errichtet hatten, wurde das Schiff für die Dauer des antarktischen Winters nach Neuseeland verabschiedet.

Diese Expedition war sicherlich gründlicher vorbereitet und besser ausgestattet als die de Gerlaches; die zehn Männer an Land wussten, welche Belastungen sie erwarten würden. Dennoch wurde ihr körperliches und geistiges Durchhaltevermögen auf eine harte Probe gestellt. Auch sie hatten mit der anhaltenden Langeweile und zunehmenden Depressionen während der langen Polarnacht zu kämpfen. »Die Dunkelheit und die Stille lasten schwer auf dem Gemüt. Die Stille dröhnt in den Ohren; es sind Jahrhunderte von aufeinandergehäufter Einsamkeit«, notierte Borchgrevink im Juni 1899 niedergeschlagen in sein Tagebuch. Auch diese Expedition hatte mit Vitaminmangel und daraus resultierenden Krankheiten wie Skorbut zu kämpfen. Ein Forscher, der norwegische Zoologe Nicolai Hansen, erlag im Oktober 1899 den Strapazen und wurde als erster Mensch in der Antarktis beerdigt. Sein Grab musste mit Dynamit in den tiefgefrorenen Boden gesprengt werden.

Das Winterquartier der Gruppe lag gut geschützt vor allen Witterungsunbilden am Fuße einer Bergkette. Das allerdings verhinderte auch weitergehende Erkundungen im Landesinneren. So blieb der wissenschaftliche Ertrag der Reise zunächst beschränkt. Einer spontanen Eingebung folgend, segelte Borchgrevink jedoch nach der Rückkehr der Southern Cross Ende Januar 1900 nach Süden bis zur Großen Eisbarriere und folgte dann auf Ross’ Spuren dem Eisriegel »in ehrerbietigem Abstand« in östlicher Richtung. Am 16. Februar tat sich dann bei ungefähr 164 Grad westlicher Länge plötzlich ein Riss in der Mauer auf. Das Schiff wurde vorsichtig in die kleine Bucht hineinbugsiert und verankert. Wie sich zeigte, fiel das Eis an dieser Stelle ziemlich sanft zum Meer hin ab. Borchgrevink konnte gemeinsam mit zwei Gefährten zur Ebene emporsteigen und auf einem Hundeschlitten gut 20 Kilometer in Richtung Südpol fahren, ehe er umdrehte und zum Schiff zurückkehrte. Es war der südlichste Punkt, den bis dahin ein Mensch erreicht hatte. Damit hatte der Norweger den Weg für alle weiteren Forschungsreisen in die Antarktis bereitet: Als Erster hatte er auf dem antarktischen Festland überwintert, als Erster die große Barriere erklommen und sich auf den Weg zum Pol gemacht. Der Startschuss für den Wettlauf zum südlichsten Punkt der Erde war damit endgültig gefallen.

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Zum Abschluss seiner Antarktisexpedition wagte sich Borchgrevink gemeinsam mit zwei Gefährten auf Hundeschlitten erstmals 20 Kilometer auf der Eisbarriere nach Süden und war damit zu diesem Zeitpunkt dem Südpol am nächsten gekommen.

Ein Held wird gesucht

Dass Borchgrevink nach seiner Rückkehr aus der Antarktis nicht die Ehre zuteil wurde, die ihm eigentlich zustand, hatte einmal mehr mit Sir Clements Markham und seiner Royal Geographical Society zu tun. Als die Southern Cross im Juni 1900 wieder in Großbritannien eintraf, fiel der Empfang eher kühl aus. Die öffentliche Aufmerksamkeit hatte sich längst auf ein anderes Unternehmen gerichtet, das mit großem Propagandagetöse aus der Taufe gehoben worden war: die »offizielle« britische Antarktisexpedition unter Federführung Markhams. Sir Clements war im Frühjahr 1899 bei der Suche nach finanzieller Unterstützung unverhofft doch noch erfolgreich gewesen: Ein Londoner Geschäftsmann hatte ihm 25 000 Pfund für das Unternehmen versprochen. Nun gab auch die britische Regierung ihre Zurückhaltung auf und sagte 45 000 Pfund zu. Die plötzliche Freigebigkeit des Schatzamts hatte freilich weniger mit einem unerwarteten Sinneswandel der politisch Verantwortlichen als vielmehr mit Fragen des nationalen Prestiges zu tun. Man hatte in London in Erfahrung gebracht, dass auch das Deutsche Reich eine offizielle Expedition in die Antarktis plante, und wollte den Deutschen keinesfalls das Feld überlassen. Dass die schwarz-weiß-rote Flagge des Kaiserreichs als Erste am Südpol aufgepflanzt würde, sollte unter Aufbietung aller verfügbaren Mittel verhindert werden.

Sir Clements hatte nun die wichtige Frage zu klären, wer die finanziell inzwischen auf Rosen gebettete Expedition leiten sollte. Natürlich kam für ihn nur ein Marineoffizier infrage; Wissenschaftler oder Angehörige der Handelsmarine lehnte er grundsätzlich ab. Jung musste der Kandidat sein, da Markham sicher nicht ganz zu Unrecht glaubte, dass die Aufgabe »physische Kraftreserven und Mut, aber auch die geistige Flexibilität der Jugend erfordere«, wie die Historikerin Diana Preston schreibt. Auch sollte der Leiter der Expedition nach Markhams Vorstellungen aus den besseren Gesellschaftskreisen stammen und dementsprechendes Ansehen genießen. Dem Präsidenten der RGS wurde bald klar, dass die Suche mit diesem Anforderungsprofil zu einer aussichtslosen Jagd nach Mr. Perfect zu werden drohte, denn ein ins Auge gefasster Offizier nach dem anderen fiel aus. Einige Kandidaten wurden von der Admiralität erst gar nicht freigegeben. Andere sagten von sich aus ab, da sie nicht jahrelang bei Dunkelheit und Kälte versauern wollten – in einer Zeit, in der der forcierte Ausbau der Navy glänzende Karrieremöglichkeiten bot. Ein weiterer Favorit Markhams war in Ungnade aus der Marine entlassen worden und somit ebenfalls aus dem Rennen. Somit wurde am 25. Mai 1900 als Kompromisskandidat ein 31 Jahre alter Oberleutnant der Torpedowaffe präsentiert: Robert Falcon Scott.

Wohl kaum ein anderer Offizier der Royal Navy schien für die Aufgabe schlechter geeignet zu sein als Scott. Er entstammte einer Mittelschichtfamilie aus Devonport, einer Marinebasis vor den Toren der südenglischen Hafenstadt Plymouth. Zwar hatte die Familie einen starken Bezug zur Navy – Scotts Großvater Robert hatte es als Zahlmeister der Marine zu einigem Vermögen gebracht und nach seiner Rückkehr ins Zivilleben eine kleine Brauerei in Plymouth erworben. Dessen jüngster Sohn John Edward – Robert Falcon Scotts Vater – hatte den Betrieb jedoch bald wieder verkauft. Von den Erlösen lebte er mit seiner vielköpfigen Familie und einigen Bediensteten auf dem Familiensitz »Outlands« – in einem Haus, das seine besten Tage allerdings schon lange hinter sich hatte und für die vielen Bewohner eigentlich zu klein war. Rosenzucht und Gartenbau, die der Vater im Stil eines Landadligen zudem betrieb, brachten zu wenig ein, als dass die Familie auf allzu großem Fuß hätte leben können.

Robert Falcon war ein feingliedriges und oftmals kränkliches Kind mit einem starken Hang zu Tagträumerei und Einzelgängertum. Nach dem Willen seines Vaters sollte er als ältester Sohn der Familie dennoch Karriere in der Marine machen. Im Sommer 1881 bestand er die Kadettenprüfung und wurde im zarten Alter von 13 Jahren in die Königliche Marineschule in Dartmouth aufgenommen. Mit dem steten Drill und der strikten Disziplin der Marineerziehung hatte der sensible Junge seine Schwierigkeiten; zudem musste er bald feststellen, dass er notorisch an der Seekrankheit litt. Dennoch biss er die Zähne zusammen und bestand alle notwendigen Examen. 1883 wurde er zum Fähnrich ernannt und trat seine erste Dienststellung an. Wie die anderen Offiziersanwärter sollte er praktische Erfahrungen sammeln, die für das Kommando eines Kriegsschiffs notwendig waren. Es fiel ihm schwer, sich im oftmals rauen Klima der Mannschaftsdienstgrade durchzusetzen. Doch wieder überwand er seine inneren Hemmungen und gewann zunehmend an Selbstsicherheit, sodass seine Karriere einen steten, wenn auch nicht glänzenden Verlauf nahm. Nach einem Jahr am Royal Naval College in Greenwich wurde er 1888 zum Leutnant zur See befördert, ein Jahr später zum Oberleutnant.

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Robert Falcon Scott als 14-jähriger Kadett der Königlichen Marineschule Dartmouth (1882, links) und als schmucker Navy-Offizier in Paradeuniform (um 1890).

Eine Möglichkeit zu einem weiteren Karrieresprung schien ihm eine Spezialisierung zu sein. Deshalb bewarb er sich 1891 für einen Ausbildungslehrgang bei der Torpedowaffe, einer damals relativ neuen Waffengattung, die einen erhöhten Bedarf an Führungskräften versprach. Obwohl er während einer Übung ein von ihm kommandiertes Torpedoboot auf Grund gesetzt hatte, konnte er 1893 die Ausbildung mit Auszeichnung abschließen und verrichtete in den darauf folgenden Jahren seinen Dienst als Torpedooffizier auf verschiedenen Schiffen der Kanalflotte. Auf mehr konnte Scott zunächst jedoch nicht hoffen. Zum einen hegten die Kapitäne, unter denen er Dienst tat, andauernde Zweifel an seinem Talent zur Führung von Schiffen und Menschen. Zum anderen zwangen ihn familiäre Angelegenheiten zu Einschränkungen. Zuerst musste er seinem Vater wieder auf die Beine helfen, der Mitte der 1890er-Jahre das Vermögen der Familie endgültig ruiniert hatte. Als der Vater einige Zeit später starb, waren die Mutter und zwei jüngere Schwestern auf die Unterstützung Scotts angewiesen. Der weitere Weg nach oben schien ihm zunächst versperrt – bis Sir Clements Markham auf den Plan trat.

Glaubt man den Memoiren des RGS-Präsidenten, so hatte er Scott schon Jahre zuvor für die Leitung seiner Polarexpedition ausersehen. In Wahrheit dürfte das freilich ein Fall von nachträglicher Legendenbildung sein. Im Frühjahr 1887 war Markham – damals noch nicht Präsident, sondern ehrenamtlicher Sekretär der Geographischen Gesellschaft – während einer seiner Reisen auf der Karibikinsel Saint Kitts Zeuge einer Kleinbootregatta von Vertretern dreier Schlachtschiffe der Royal Navy gewesen. Aus dem Wettrennen war der gerade 18 Jahre alte Robert Falcon Scott als strahlender Sieger hervorgegangen. Vier Tage später wurde dieser Markham dann bei einem Essen vorgestellt – »ein charmanter Junge«, so Markham in seinem Tagebuch. Später schrieb er, er habe schon zu diesem frühen Zeitpunkt gewusst, dass Scott dazu bestimmt sei, die Antarktisexpedition einmal anzuführen. Tatsächlich war Scott noch lange einer unter vielen, die Markham für sein großes Projekt unter die Lupe nahm.

Zehn Jahre später sah er Scott dann im spanischen Vigo erneut. Wieder, so Markham, sei er tief beeindruckt gewesen von dessen »offenkundiger Berufung« für den Platz auf der Kommandobrücke seiner Antarktisexpedition. In Wahrheit spielte bei der Entscheidung der pure Zufall die Hauptrolle. Es war ein Tag Anfang Juni 1899, an dem sich Scott auf Urlaub in London befand. »Als ich die Buckingham Palace Road hinunterging, erspähte ich Sir Clements auf dem Gehsteig gegenüber«, schrieb er später, »natürlich überquerte ich die Straße, und ebenso natürlich kehrte ich um und begleitete ihn zu seinem Haus. An diesem Nachmittag hörte ich zum ersten Mal, dass es so etwas wie eine künftige Antarktisexpedition gab; zwei Tage später bewarb ich mich um ihre Leitung.«

Nichts qualifizierte ihn zu diesem Kommando. Schnee und Eis kannte er nur aus Büchern. An der Erforschung der Polargebiete hatte er keinerlei Interesse; von den wissenschaftlichen Herausforderungen einer Antarktisexpedition keine Ahnung. Noch nicht einmal jenes Maß an irrationalem Abenteurertum, das Männer wie Borchgrevink oder de Gerlache nach Süden trieb, hatte sich bislang bei ihm gezeigt. Warum in drei Teufels Namen drängte er sich dann nach der Führung dieser Expedition? Scotts Marinekarriere war in jener Zeit an einem Scheideweg angekommen. Seit zehn Jahren war er nun schon Oberleutnant. Ihn plagte der Gedanke, dass er das entscheidende Nadelöhr, die Ernennung zum Kapitänleutnant, nicht würde passieren können. Aus der automatischen Beförderung nach Dienstalter war nichts geworden; für den außerplanmäßigen Aufstieg fehlten ihm die notwendige Protektion und gute Beziehungen. Die Polarexpedition war für Scott deshalb eine Art letzte Chance, seine vor ihm beförderten Altersgenossen einzuholen und zu überholen. Gleichzeitig sah er sehr deutlich, dass Sir Clements die Zeit davonlief, zumal inzwischen nicht nur die Deutschen, sondern auch die Schweden eine offizielle Antarktisexpedition planten. Da Scott, wie ein Kamerad später bemerkte, äußerst liebenswürdig sein konnte und es ihm gelang, Menschen im persönlichen Gespräch für sich einzunehmen, hatte er Markham rasch überzeugt: Robert Falcon Scott sollte die offizielle britische Antarktisexpedition leiten.