Der wilde Planet - John Scalzi - E-Book

Der wilde Planet E-Book

John Scalzi

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Beschreibung

Wann gilt ein Lebewesen als intelligent?

Die Menschen haben die Galaxis besiedelt und beuten die Rohstoffe der Planeten nach Kräften aus. Für den Prospektor Jack Holloway ein einträgliches Geschäft, wird er doch an den Gewinnen beteiligt. Als auf Zara 23, einem paradiesischen Planeten, ein fossiles, in der Galaxis äußerst seltenes Material entdeckt wird, winkt plötzlich das große Geld. Aber keiner hat mit den geheimnisvollen Bewohnern dieser Welt gerechnet – und auch der Planet selbst hält noch einige Überraschungen parat …

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JOHN SCALZI

Der wilde Planet

Roman

Deutsche Erstausgabe

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

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Deutsche Erstausgabe 10/2011Copyright © 2011 by John ScalziCopyright © 2011 der deutschsprachigen Ausgabe byWilhelm Heyne Verlag, München,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbHNeumarkter Str. 28, 81673 München.Covergestaltung und -illustration: Nele Schütz Design, MünchenRedaktion: Ralf DürrSatz und eBook: Greiner & Reichel, Köln
ISBN 978-3-641-06976-6V002
www.heyne-magische-bestseller.de

Der wilde Planet ist folgenden Personen gewidmet:

Mary Robinette Kowal, einer guten Freundin und noch besseren Schriftstellerin, und Ethan Ellenberg, der mehr Arbeit als erwartet geleistet hat, um dieses Buch Wirklichkeit werden zu lassen, wofür ich ihm äußerst dankbar bin. Zusätzlich verbeugt sich der Autor aus sehr offensichtlichen Gründen tief vor H. Beam Piper.

Vorbemerkung des Autors

Der wilde Planet ist eine Neuerzählung der Ereignisse in Der kleine Fuzzy, dem 1962 für den Hugo Award nominierten Roman von H. Beam Piper. Genauer betrachtet übernimmt Der wilde Planet den allgemeinen Handlungsbogen, die Namen von Protagonisten und andere Elemente der Geschichte, um sie mit völlig neuen Elementen, Figuren und Ereignissen zu verknüpfen. Man könnte dieses Buch als »Neustart« des Fuzzy-Universums betrachten, ähnlich wie es J.J. Abrams kürzlich mit der Star-Trek-Filmreihe gemacht hat – wenn auch wissenschaftlich etwas fundierter, wie ich hoffe.

Weil Der wilde Planet eher eine Neuerzählung als eine Fortsetzung von Der kleine Fuzzy ist, muss man den Roman von Piper nicht gelesen haben, um Vergnügen an diesem finden zu können. Dennoch hofft der Autor inständig, dass jene von Ihnen, die Der kleine Fuzzy noch nicht gelesen haben, dazu angeregt werden, es zu tun. Dieses Buch soll weder ein Ersatz noch eine Verbesserung von Der kleine Fuzzy sein, was ohnehin unmöglich wäre. Es handelt sich lediglich um eine Variation der Geschichte, der Ereignisse und der Figuren, die vor einem halben Jahrhundert von H. Beam Piper ins Leben gerufen wurden.

1

Jack Holloway stellte den Gleiter auf SCHWEBEN, drehte sich mit seinem Sitz herum und sah Carl an. Er schüttelte traurig den Kopf.

»Ichverstehenicht,warumwirdasallesnocheinmaldurchgehenmüssen«,sagteHolloway.»Glaubmir,ichschätzedichsehralsTeilunseresTeams,Carl.Wirklich.AberirgendwiehabeichdasGefühl,dassichesdirnichtbegreiflichmachenkann.Wieofthabenwiresinzwischengeübt?EinDutzendMal?Zwei?UndjedesMal,wennwirhierdraußensind,scheinstduplötzlichallesvergessenzuhaben,wasdirbeigebrachtwurde.Dasistwirklichsehrenttäuschend.Sagmir,dassduverstehst,wasichdirerklärenwill.«

Carl blickte zu Holloway auf und bellte. Carl war ein Hund.

»Gut«, sagte Holloway. »Dann wirst du es dir vielleicht diesmal merken.« Er griff in einen Behälter und nahm einen weichen Klumpen heraus, den er in einer Hand hielt. »Das ist akustischer Plastiksprengstoff. Was werden wir damit tun?«

Carl legte den Kopf schief.

»Na los, Carl«, sagte Holloway. »Das war das Erste, was ich dir beigebracht habe. Wir deponieren ihn an strategisch günstigen Stellen an der Klippe. Genauso, wie ich es heute schon einmal gemacht habe. Du erinnerst dich? Du warst dabei.« Er zeigte auf Carl’s Cliff, eine massive Felsformation von zweihundert Metern Höhe. Die geologischen Schichten waren trotz der Vegetation, die fast den gesamten Felsen überwuchert hatte, gut zu erkennen.

Carls Blick folgte Holloways ausgestrecktem Finger, auch wenn er mehr am Finger als an der Klippe interessiert war, die sein Herrchen nach ihm benannt hatte.

HollowaylegtedenPlastiksprengstoffzurückundnahmeinanderes,kleineresObjektindieHand.»UnddasistdieferngesteuerteSprengkapsel«,sagteer.»DiewiramakustischenPlastiksprengstoffanbringenwerden,damitwirnichtinderNäheseinmüssen,wennwirihnzünden.WeilesdannBummmacht.UndwiefindenwirsoeinBumm,Carl?«

Carls Hundegesicht nahm einen besorgten Ausdruck an. Bumm war ein Wort, das er kannte. Und Carl fand Bumm gar nicht gut.

»Richtig«, sagte Holloway. Er legte die Sprengkapsel weg und achtete darauf, dass sie sich nicht in der Nähe des Plastiksprengstoffs befand und dass der Empfänger der Kapsel abgeschaltet war. Dann hob er ein drittes Objekt auf.

»Und das ist der Fernzünder«, fuhr Holloway fort. »An den erinnerst du dich bestimmt, nicht wahr, Carl?«

Carl bellte.

»Was soll das heißen, Carl?«, fragte Holloway. »Willst du den akustischen Plastiksprengstoff zünden?«

Carl bellte erneut.

»Ichweißnicht«,sagteHollowayzweifelnd.»TheoretischwäreeseinVerstoßgegendieSicherheitsvorschriftenderZarathustraCorporation,demAngehörigeneinernichtintelligentenSpezieszuerlauben,Sprengladungenzuzünden.«

Carl kam zu Holloway und leckte ihm mit einem Winseln über das Gesicht, als wollte er Bitte, bitte, oh, bitte! sagen.

»Also gut«, gab sich Holloway geschlagen und wehrte den Hund ab. »Aber wirklich zum letzten Mal! Zumindest bis du sämtliche Grundlagen dieses Jobs verstanden hast. Nicht, dass du wieder den Schwanz einziehst und mir die schwierige Arbeit überlässt. Ich werde dafür bezahlt, die Aufsicht zu führen. Ist das klar?«

Wieder bellte Carl und wich dann mit wedelndem Schwanz zurück. Er wusste, was als Nächstes kam.

Holloway blickte auf die Anzeige des Fernzünders und überprüfte zum dritten Mal, seit er heute früh die Sprengladungen angebracht hatte, dass der Zünder auf die Sprengkapseln eingestellt war, die in den Ladungen steckten. Er bestätigte die automatischen Sicherheitsabfragen, indem er auf der Anzeige jedes Mal JA drückte, und wartete ab, während der Fernzünder per Geolokation ermittelte, dass er sich tatsächlich außerhalb des Explosionsradius der Ladungen befand. Diese Sperre ließ sich knacken, auch wenn dazu gute Hackerfähigkeiten nötig waren, aber Holloway zog es ohnehin vor, sich nach Möglichkeit nicht selbst in die Luft zu jagen. Auch Carl war nicht von Bumm begeistert.

LADUNGENSINDBEREIT,standaufderAnzeigedesZünders.ZUMZÜNDENAUFDIEANZEIGEDRÜCKEN.

»Gut«, sagte Holloway und legte den Fernzünder vor Carl auf den Boden des Gleiters.

Carl blickte erwartungsvoll auf.

»Warte«, sagte Holloway und drehte sich mit seinem Sitz herum, damit er die Klippe beobachten konnte. Er hörte, wie Carls Schwanz aufgeregt gegen eine Kiste klopfte.

»Warte«, wiederholte Holloway und versuchte die Stellen zu erkennen, wo er heute früh Löcher in den Felsen gebohrt hatte. Dabei hatte er den Gleiter als Arbeitsplattform benutzt, während er die Ladungen in die Löcher gesteckt und gesichert hatte.

Carl winselte leise.

»Feuer!«, sagte Holloway und hörte, wie der Hund einen Satz nach vorn machte.

An vier Stellen stiegen Rauchwolken von der Klippe auf und schleuderten meterweit Gestein, Erde und Vegetation durch die Gegend. Die Felswand wurde dunkel, als die Vögel (beziehungsweise die hiesigen fliegenden Tiere, die Vögeln entsprachen) von ihren Nistplätzen an der Steilwand vom Lärm und den plötzlichen Erschütterungen aufgeschreckt wurden. Ein paar Sekunden später trafen kurz nacheinander vier Knallgeräusche im offenen Cockpit des Gleiters ein, wo sie nun auch Holloway und Carl vernehmen konnten. Sie waren laut, aber kein Bumm von der Art, die Carl nicht ausstehen konnte.

Holloway warf einen Blick nach rechts, wo sein Infopanel mit laufendem Akustikpeilungsprogramm lag. Die Akustiksonden, die er über die Klippe verteilt hatte, sendeten ihre Rohdaten an das Programm, das sie umrechnete und zu einer dreidimensionalen Darstellung der internen Struktur der Felsformation verarbeitete.

»Gut«, sagte er und drehte sich zu Carl herum, dessen Pfote immer noch auf dem Zünder lag. Er blickte mit heraushängender Zunge zu Holloway auf.

»Guter Junge!«, sagte Holloway und kramte in der Kiste, aus der er schließlich einen Zararaptor-Knochen hervorzog, an dem noch eine Menge Fleisch hing. Er wickelte ihn aus der Folie und warf ihn Carl zu, der sich glücklich darauf stürzte. So war es abgemacht: den Zünder drücken, einen Knochen kriegen. Holloway hatte mehrere Versuche gebraucht, um Carl dazu zu bringen, korrekt auf den Zünder zu drücken, aber die Mühe hatte sich gelohnt. Carl musste ihn ohnehin bei den Vermessungsausflügen begleiten. Also konnte er genauso gut etwas Nützliches oder zumindest Unterhaltsames tun.

Es war in der Tat eine Verletzung der Sicherheitsvorschriften der Zarathustra Corporation, einem Hund zu erlauben, Dinge in die Luft zu jagen. Aber Holloway und Carl arbeiteten sowieso meistens allein, viele Hundert Kilometer von der ZaraCorp-Niederlassung auf dem Planeten und 178 Lichtjahre von der Firmenzentrale auf der Erde entfernt. Streng genommen war er ohnehin kein Angestellter von ZaraCorp, sondern nur ein Subunternehmer, genauso wie alle anderen Prospektoren und Landvermesser hier auf Zara XXIII. So war es billiger.

Holloway kraulte liebevoll Carls Kopf. Carl war voll und ganz mit seinem Raptorknochen beschäftigt und schenkte Holloway nicht die geringste Beachtung.

Ein dringliches Piepen kam von Holloways Infopanel. Er hob es auf und sah, dass die angezeigten Werte auf einmal über die übliche Bandbreite hinausschossen.

Ein tiefes Rumpeln war im Gleitercockpit zu hören, und es wurde lauter, je länger es anhielt. Carl blickte von seinem Knochen auf und winselte. Dieser Lärm kam einem Bumm gefährlich nahe.

Holloway drehte sich um und sah eine Staubwolke, die rund um die Felsformation aufgewirbelt wurde und alles verhüllte.

»Ach du Scheiße«, sagte er. Diese Entwicklung gefiel ihm ganz und gar nicht.

Nach einigen Minuten hatte sich der Staub ein wenig gelichtet, und sein ungutes Gefühl wurde immer stärker. Durch den Staubschleier konnte Holloway erkennen, dass ein Teil der Felswand eingestürzt war. Der betroffene Teil entsprach ungefähr dem Bereich, in dem er seine Sprengladungen angebracht hatte. Die geologische Schichtung des Gesteins wurde deutlich sichtbar, wo sich zuvor Vegetation befunden hatte. Die Vögel kehrten zurück und suchten nach ihren Nestern, deren Überreste sich hundert Meter unter ihnen befanden. Der Explosionsschutt verschlammte den Fluss am Fuß der Klippe und leitete ihn um.

»Ach du Scheiße«, wiederholte Holloway und griff nach seinem Fernglas.

ZaraCorp würde verdammt sauer reagieren, weil er soeben eine Felsformation zum Einsturz gebracht hatte. Die Firma hatte in den letzten paar Jahren hart daran gearbeitet, ihr schlechtes Image in der Öffentlichkeit loszuwerden. Sie galt als rücksichtsloser Umweltzerstörer, doch dieses Image hatte sie sich dadurch erworben, dass sie bereits auf mehreren Planeten die Natur zerstört hatte. Die Öffentlichkeit kaufte ihr das Argument nicht mehr ab, dass unbewohnte Planeten eine höhere ökologische Toleranz hatten oder dass diese Ökosysteme sehr schnell wieder zu einem natürlichen Gleichgewicht zurückfinden würden, wenn ZaraCorp weitergezogen war. Für die Öffentlichkeit ließen sich die Auswirkungen des Tagebaus nicht wegdiskutieren, ob er nun in den Bergen von Pennsylvania oder in den Hügeln von Zara XXIII stattfand.

Angesichts der überwältigenden öffentlichen Kritik an den ökologischen Grundsätzen der Firma (beziehungsweise dem Nichtvorhandensein derselben) hatte Wheaton Aubrey VI., Vorstandsvorsitzender und Geschäftsführer der Zarathustra Corporation, nachdenklich genickt und »Na gut« gesagt. Daraufhin hatte er die Firma und alle Subunternehmer angewiesen, bei sämtlichen Arbeiten die ökologischen Richtlinien einzuhalten, wie sie von der Kolonialen Umweltschutzbehörde vorgeschlagen wurden. Aubrey war es im Grunde egal. Er war kein Freund der unterschiedlichen Ökologien der Planeten, auf denen seine Firma tätig war, aber im Nutzungsvertrag, den ZaraCorp mit der Kolonialverwaltung abgeschlossen hatte, war vereinbart, dass die Firma steuerlich begünstigt wurde, wenn sie sich an die Richtlinien der Kolonialen Umweltschutzbehörde hielt. Die Betriebskosten mussten lediglich oberhalb einer niedrig angesetzten Entwicklungskostengrenze liegen, die vor Jahrzehnten festgelegt worden war, als noch niemand an die ökologischen Schäden gedacht hatte, die man auf Welten anrichten könnte, zu denen man erst in ferner Zukunft würde reisen können.

Also sorgte die wunderbare neue Firmenphilosophie der ökologischen Nachhaltigkeit dafür, dass die steuerlichen Verpflichtungen von ZaraCorp praktisch auf null heruntergedrückt wurden, ein eleganter Trick für eine Organisation, deren Größe und Umsatzvolumen einem nicht unerheblichen Teil der Kolonialverwaltung gleichkam.

Aber das bedeutete auch, dass Ereignisse, die im Widerspruch zum neuen ökologischen Image von ZaraCorp standen, sehr streng unter die Lupe genommen wurden. Zum Beispiel, wenn eine komplette Felsformation zum Einsturz gebracht wurde. Der eigentliche Sinn von akustischen Sprengladungen lag darin, die Umweltschädlichkeit von geologischen Erkundungen zu minimieren. Holloway hatte nicht die Absicht gehabt, die halbe Felswand auszuradieren, aber angesichts des Rufs, den ZaraCorp hatte, würde es der Firma schwerfallen, die Leute davon zu überzeugen. Holloway hatte sich schon häufiger über Vorschriften hinweggesetzt und war meistens damit durchgekommen, aber diese Sache könnte tatsächlich dazu führen, dass man ihn von diesem Planeten verjagte.

Es sei denn …

»Na los, komm schon!«, sagte Holloway, während er immer noch durch das Fernglas blickte. Er wartete darauf, dass sich der Staub legte, damit er genauere Einzelheiten erkennen konnte.

Die Kommunikationsfunktion von Holloways Infopanel leuchtete auf und zeigte die Kennung von Chad Bourne, der bei ZaraCorp für den Kontakt zu den Subunternehmern zuständig war. Holloway fluchte und aktivierte den Modus NURAUDIO.

»Hallo, Chad«, sagte er und schaute wieder durch das Fernglas.

»Jack, die Freaks in der Datenzentrale melden soeben, dass bei Ihnen irgendetwas nicht stimmt«, sagte Bourne. »Bisher kamen die Daten klar und deutlich herein, dann drohten die Kanäle plötzlich unter einer Datenflut zusammenzubrechen.« Chad Bournes Stimme war kristallklar und von allen Seiten gleichzeitig zu hören, was am einzig wahren Luxus des Gleiters lag – einer atemberaubenden Soundanlage. Holloway hatte sie eingebaut, als ihm klargeworden war, dass er fast seine gesamte Arbeitszeit in diesem Gleiter verbrachte. Der Klang war ein Erlebnis, aber Bourne sprach nichtsdestotrotz mit seinem üblichen Näseln.

»Aha«, erwiderte Holloway.

»Sie sagen, so etwas passiert normalerweise nur bei einem Erdbeben. Oder vielleicht bei einem Bergsturz.«

»Wo Sie es erwähnen, fällt mir ein, dass ich das Gefühl hatte, so etwas wie ein Erdbeben zu spüren«, sagte Holloway.

»Tatsächlich?«

»Ja, kurzzuvorhatsichCarlziemlichseltsamverhalten.Esheißt,dassTieresoetwasalsErstespüren.«

»Also irritiert es Sie nicht im Geringsten, dass die Datenfreaks mir gerade erklärt haben, es gäbe in Ihrem Teil des Kontinents keinerlei Hinweise auf ein nennenswertes seismisches Ereignis?«

»Wem wollen Sie glauben?«, gab Holloway zurück. »Ich bin hier. Ihre Leute sind da.«

»Meine Leute haben hier Ausrüstung im Wert von ungefähr fünfundzwanzig Millionen Credits zur Verfügung«, sagte Bourne. »Und Sie haben ein Infopanel und den Ruf, dass bei Ihren Erkundungsmissionen immer wieder etwas schiefgeht.«

»Den angeblichen Ruf«, stellte Holloway richtig.

»Jack, Sie lassen Ihren Hund Sachen in die Luft jagen!«

»Das ist nicht wahr«, sagte Holloway. Allmählich lichtete sich die Staubwolke vor der Felsformation. »Das ist nur ein Gerücht.«

»Wir haben einen Augenzeugen.«

»Sie ist unglaubwürdig«, sagte Holloway.

»Sie ist eine zuverlässige Mitarbeiterin. Im Gegensatz zu anderen Personen, deren Namen ich nennen könnte.«

»Sie hat persönliche Motive«, sagte Holloway. »Glauben Sie mir.«

»Genau das ist der Punkt, Jack«, erwiderte Bourne. »Sie müssen sich das Vertrauen verdienen, wenn ich Ihnen glauben soll. Und im Moment befindet sich dieses Vertrauen auf dem Tiefststand. Aber ich will Ihnen etwas sagen. Ich habe hier einen Beobachtungssatelliten, der in etwa sechs Minuten über den Horizont kommt. Wenn er bei Ihnen ist, kriege ich ein Bild von der Felsformation herein, die Sie wahrscheinlich soeben gesprengt haben. Wenn alles aussieht, wie es aussehen sollte, werde ich Sie, wenn Sie das nächste Mal in Aubreytown sind, bei Ruby’s zum Essen einladen und Sie um Entschuldigung bitten. Aber wenn es dort so aussieht, wie ich vermute, werde ich Ihren Vertrag annullieren und Sie von ein paar Sicherheitskräften abholen lassen. Aber nicht von denen, mit denen Sie regelmäßig saufen gehen, Jack. Sondern von denen, die nicht Ihre Freunde sind. Ich werde Joe DeLise schicken. Er wird entzückt sein, Sie wiederzusehen.«

»Viel Erfolg, wenn Sie versuchen, ihn vom Barhocker zu zerren«, sagte Holloway.

»Wenn es um Sie geht, wird er keine Sekunde zögern«, versicherte Bourne. »Wie finden Sie das?«

Holloway antwortete nicht. Er hatte schon seit mehreren Sekunden nicht mehr zugehört, weil er mit dem Fernglas einen dünnen Streifen zwischen zwei dickeren Felsschichten entdeckt hatte. Der Streifen, der seine Aufmerksamkeit erregte, war schwarz wie Kohle.

Und er funkelte.

»Ja!«, sagte Holloway.

»Ja was?«, fragte Bourne. »Jack, hören Sie mir überhaupt noch zu?«

»Tut mir leid, Chad, die Verbindung ist gestört. Interferenzen. Sonnenflecken.«

»Mein Gott, Jack, Sie versuchen es nicht einmal!«, sagte Bourne. »Genießen Sie die nächsten fünf Minuten. Ich habe Ihren Vertrag bereits auf meinem Infopanel. Sobald ich das Satellitenbild reinbekomme, drücke ich auf LÖSCHEN.« Bourne unterbrach die Verbindung.

Holloway blickte sich zu Carl um und hob den Zünder auf. »Kiste«, sagte er zu dem Hund.

Carl bellte einmal, nahm seinen Knochen zwischen die Zähne und lief zu seiner Kiste, in der er im Fall eines Gleiterabsturzes in Sicherheit war.

Holloway warf den Zünder in die andere Kiste, sicherte sein Infopanel und schnallte sich auf seinem Sitz an.

»Es geht los, Carl«, sagte er und ließ den Gleiter beschleunigen. »Wir haben noch fünf Minuten, um zu verhindern, dass man uns von diesem Planeten verjagt.«

2

Fünf Minuten und dreißig Sekunden später schlug Holloway auf sein Infopanel, um das Kommunikationsprogramm zu aktivieren – wieder ohne Bildübertragung. »Ich vermute, Sie wollen mir jetzt sagen, dass mein Vertrag annulliert ist«, sagte er zu Bourne.

»Er ist so was von annulliert«, erwiderte Bourne. »Und in diesem Moment gebe ich den Befehl an die Sicherheitskräfte. Bleiben Sie einfach, wo Sie sind, und jemand wird Sie in ungefähr einer Stunde abholen. Man wird Sie direkt zur Bohnenstange bringen. Nehmen Sie nur leichtes Gepäck mit.«

»Keine Chance, dass ich Sie noch umstimmen kann?«, fragte Holloway.

»Keine Chance. Ich habe hier sechs Dutzend Subunternehmer, für die ich verantwortlich bin. Sechs Dutzend. Keiner von ihnen macht mir auch nur annähernd so viel Ärger wie Sie, Jack. Ich habe mir vorgenommen, von nun an ein angenehmeres Leben zu führen.«

»Und Sie sind sich ganz sicher, dass das Satellitenbild Ihnen zeigt, was Sie sehen wollen?«, fragte Holloway.

»Das Satellitenbild hat eine Auflösung im Zentimeterbereich«, sagte Bourne. »Es wird live übertragen, Jack. In diesem Moment sehe ich die Felswand, die Sie soeben in die Luft gejagt haben, und ich sehe Sie und Ihren Hund, wie Sie auf einem Felsvorsprung sitzen, der sich noch vor wenigen Augenblicken innerhalb der Klippe befand. Bestellen Sie Carl einen netten Gruß von mir.«

Holloway wandte sich an den Hund. »Ich soll dich von Chad grüßen.«

Carl blinzelte und legte sich hin.

»Carl ist ein netter Hund«, sagte Bourne. »Zu schade, dass es Ihr Hund ist.«

»Das wurde schon des Öfteren bedauert«, sagte Holloway. »Chad, wenn der Satellit eine Auflösung im Zentimeterbereich hat, sollten Sie einen genaueren Blick auf meine Hand werfen.«

»Sie wollen mir bestimmt nur Ihren ausgestreckten Mittelfinger zeigen«, sagte Bourne kurz darauf. »Nett. Seit wann sind Sie wieder zwölf Jahre alt?«

»Freut mich, dass Sie es bemerkt haben. Aber die Hand meinte ich gar nicht, sondern die andere.«

Für einen Moment war es still. »Scheiße«, sagte Bourne dann.

»Nein«, erwiderte Holloway. »Sonnenstein.«

»Scheiße!«, wiederholte Bourne.

»Und sogar ein ziemlich großer«, sagte Holloway. »Dieser hat die Ausmaße einer sprichwörtlichen Kinderfaust. Und hier auf dem Felsvorsprung liegen noch drei weitere, die genauso groß sind. Ich habe sie aus dem Boden gezogen, als würde ich Äpfel von einem Baum pflücken. Genau hier befand sich ursprünglich der Quallenfriedhof, mein Freund.«

»Infopanel«, sagte Bourne. »Hochaufgelöstes Bild. Sofort!«

Holloway lächelte und griff nach seinem Infopanel.

Zara XXIII war in fast jeder Hinsicht ein völlig unscheinbarer Planet der Klasse III: ungefähr erdgroß, von ungefährer Erdmasse, in einer Umlaufbahn, die innerhalb der »Goldilocks-Zone« lag, wo flüssiges Wasser möglich und demzufolge Leben unvermeidlich war. Hier gab es kein einheimisches intelligentes Leben, aber das gab es auf den wenigsten Planeten den Klasse III. Andernfalls wäre es ein Planet der Klasse IIIa, womit der Nutzungsvertrag von ZaraCorp hinfällig wäre, weil der Planet und seine Rohstoffe dann den denkenden Lebewesen gehören würden, die dort existierten. Da es auf Zara XXIII jedoch keine Lebensformen mit Vorderhirnen gab (oder einer Entsprechung zu Vorderhirnen), war es ZaraCorp gestattet, diese Welt zu erkunden und auszubeuten, die Metallerze zu fördern und das Erdöl zu gewinnen, das auf der Heimatwelt der Menschen schon vor langer Zeit versiegt war.

Doch in einer einzigen Hinsicht war Zara XXIII gegenüber all den anderen Planeten, auf denen ZaraCorp aktiv war, ein bemerkenswerter Sonderfall: Vor 100 Millionen Jahren wurden seine Ozeane von riesigen quallenähnlichen Geschöpfen beherrscht, die sich von Algen und Diatomeen ernährten, die wiederum vom mineralreichen Meerwasser von Zara XXIII lebten. Nach dem Tod dieser Quallen sanken ihre zerbrechlichen Kadaver in die sauerstoffarmen Tiefen, wo sie stellenweise über mehrere Kilometer den Meeresboden bedeckten. Schließlich wurden sie unter Schlamm begraben und im Laufe der Zeit unter dem immer höheren Druck der Ablagerungen in etwas anderes verwandelt.

Sie wurden zu Sonnensteinen. Diese opalartigen Steine fingen nicht nur auf faszinierende Weise das Licht ein, sondern waren obendrein thermolumineszent. Die Körperwärme einer Person, die einen solchen Stein bei sich trug, genügte, um ihn von innen heraus leuchten zu lassen. Nicht das grelle Licht eines Leuchtstabs bei einer Tanzparty oder eines Stimmungsrings, den man Kindern schenkte, sondern ein subtiles und elegantes Glühen, das die Hautfarbe wärmer machte und dem Träger schmeichelte. Da die Hauttemperatur der Menschen immer um einen winzigen Betrag voneinander abwich, sah derselbe Sonnenstein an verschiedenen Personen niemals gleich aus. Damit waren Sonnensteine ein hochgradig individuelles Schmuckstück.

ZaraCorp hatte sie entdeckt, während man etwas ausgegraben hatte, von dem man hoffte, dass es ein Kohleflöz war. Doch dann stellten die Leute fest, dass die herumrollenden seltsamen Steine viel interessanter als die Kohle waren. Seitdem hatte sich die Firma die Lehren der alten Diamantenkartelle zu Herzen genommen und die Sonnensteine als die seltensten aller Edelsteine vermarktet. Es gab sie nur auf einem einzigen Planeten, der Handel war streng limitiert, und aus diesen Gründen ließen sie sich zum höchstmöglichen Preis verkaufen. Der Sonnenstein, den Holloway in der Hand hielt, hatte einen Wert von ungefähr neun Monatseinkommen. In bearbeiteter und geschliffener Form wäre er mehr wert, als er selbst in drei Jahren als Subunternehmer verdienen würde.

Was er nun nicht mehr war.

»Heiliges Kanonenrohr«, sagte Bourne und betrachtete den Sonnenstein über die Kamera des Infopanels. »Das Ding ist der Hammer!«

»Das können Sie laut sagen«, erwiderte Holloway. »Mit diesem Baby könnte ich mich zur Ruhe setzen. Ganz zu schweigen von den anderen Steinchen aus dieser Schicht. Und ich denke, genau das werde ich jetzt tun, nachdem diese Fundstätte mir gehört.«

»Was?«, sagte Bourne. »Jack, Sie waren zu lange in der Sonne. Ihnen gehört hier überhaupt nichts.«

»O doch«, sagte Holloway. »Sie haben meinen Vertrag annulliert. Wenn ich nicht mehr in Ihren Diensten stehe, bin ich ein unabhängiger Prospektor. Und als unabhängiger Prospektor gehört mir alles, was ich finde. Ich habe die Nutzungsrechte an allen Adern, die ich entdecke. Das ist die gültige Rechtsprechung der Kolonialverwaltung. Schlagen Sie den Präzedenzfall Butters gegen Wayland nach.«

»Hören Sie auf zu spinnen, Jack! Sie wissen genau, dass die Firma auf ihren Planeten keine unabhängigen Prospektoren zulässt.«

»Ich war auch keiner, als ich auf diesen Planeten kam«, erwiderte Holloway. »Aber soeben haben Sie mich zu einem gemacht.«

»Außerdem ist ZaraCorp Eigentümer dieses Planeten.«

»Falsch«, sagte Holloway. »ZaraCorp hat die exklusiven Nutzungsrechte für den Planeten, die der Firma von der Kolonialverwaltung verliehen wurden. De facto ist ZaraCorp der Besitzer, aber nicht der Eigentümer des Planeten. De jure untersteht das Territorium der Kolonialverwaltung.«

»Haben Sie ein Problem damit, die Bedeutung des Wortes exklusiv zu erfassen?«, fragte Bourne. »Ein exklusiver Nutzungsvertrag bedeutet, dass nur ZaraCorp die Rohstoffe dieser Welt erkunden und erschließen darf.«

»Nein«, sagte Holloway. »Das bedeutet nur, dass ZaraCorp die einzige Firma ist, die auf dem Planeten tätig werden darf. Für Individuen gelten uneingeschränkte Nutzungsrechte auf jedem Planeten der Klasse III, solange sie sich an die Richtlinien der KUB halten und den Vertragsfirmen das Vorkaufsrecht für entdeckte Fundstätten einräumen. Präzedenzfall Buchheit gegen Zarathustra Corporation.«

»Sie schütteln diese sogenannten Präzedenzfälle aus dem Ärmel, Jack«, sagte Bourne.

»Keine Sorge, alle sind hieb- und stichfest. Schauen Sie nach und überzeugen Sie sich selbst. In meinem vergangenen Leben war ich Anwalt, müssen Sie wissen.«

Bournes verächtliches Schnaufen kam laut und deutlich aus dem Lautsprecher des Infopanels. »Ja, bevor Ihnen die Lizenz entzogen wurde!«

»Aber nicht, weil ich mich nicht mit den Gesetzen auskannte«, sagte Holloway. Was so weit sogar stimmte.

»All diese Fragen sind sowieso akademisch, weil Sie noch für ZaraCorp gearbeitet haben, als Sie die Ader erkundeten«, sagte Bourne. »Ich habe Ihren Vertrag erst danach gelöscht. Aus diesem Grund haben wir die Fundstätte entdeckt und verfügen demzufolge auch über die Nutzungsrechte.«

»Das wäre so, wenn ich bei der Erkundung Ausrüstung von ZaraCorp benutzt hätte. Aber ich arbeite mit meiner eigenen Ausrüstung, die ich aus eigener Tasche bezahlt habe, wie es im Vertrag vereinbart war, den Sie soeben gelöscht haben. Das bedeutet, dass die Rechte an diesem Fund an mich zurückgefallen sind, als Sie mir gekündigt haben. Präzedenzfall Levensohn gegen Hildebrand.«

»Blödsinn«, sagte Bourne.

»Schlagen Sie den Fall nach«, sagte Holloway. In Wirklichkeit hoffte er, dass Bourne nicht nachsah, denn im Gegensatz zu den anderen beiden Fällen, die er genannt hatte, war der Fall Levensohn gegen Hildebrand frei erfunden. Aber er stand ohnehin kurz davor, von diesem Planeten verjagt zu werden. Also war es einen Versuch wert.

»Ich werde diese Fälle nachschlagen«, kündigte Bourne an. »Glauben Sie mir.«

»Gut«, sagte Holloway. »Tun Sie das. Und während Sie das tun, werde ich diese Fundstätte abbauen. Und wenn Ihre Sicherheitsleute hier aufkreuzen und versuchen, mich von dieser Ader zu vertreiben, wäre ich überglücklich, weil ich dann das Recht habe, Sie alle zu verklagen, und zwar gemäß Präzedenzfall Greene gegen Winston.«

Holloway konnte es nicht sehen, aber er wusste genau, dass Bourne vor Schreck erstarrte. Greene gegen Winston war ein rotes Tuch für ZaraCorp, weil das Urteil in diesem Fall dazu geführt hatte, dass der Vorgänger von Wheaton Aubrey V. sieben Jahre lang in San Quentin gesessen hatte.

»Die Rechtsprechung wurde revidiert, Sie Klugscheißer«, sagte Bourne gepresst.

»Nein«, widersprach Holloway. »Im Verfahren Mieville gegen Martin wurde lediglich ein kleiner Ausnahmefall definiert, der hier jedoch nicht anwendbar ist.«

»Blödsinn!«, schnauzte Bourne.

»Wir werden sehen, wie die Gerichte entscheiden«, sagte Holloway. »Doch es wird voraussichtlich Jahre dauern, bis wir alle Instanzen durchlaufen haben, und in dieser Zeit wird ZaraCorp unter einer ziemlich schlechten Publicity zu leiden haben. Wir alle erinnern uns noch gut daran, was beim letzten Mal geschehen ist. Außerdem möchte ich Sie darauf hinweisen, dass ich dieses Gespräch mitschneide. Nur für den Fall, dass Sie auf die Idee kommen, DeLise und seinen Gorillas vorzuschlagen, mich von diesem Felsvorsprung zu schubsen, wenn sie mich gefunden haben.«

»Eine solche Unterstellung nehme ich Ihnen übel.«

»Freut mich, das zu hören, Chad«, sagte Holloway. »Aber ich gehe lieber auf Nummer sicher.«

Bourne seufzte. »Na gut, Jack. Sie haben gewonnen. Ich mache die Löschung Ihres Vertrags rückgängig. Zufrieden?«

»Keineswegs«, sagte Holloway. »Wenn der alte Vertrag annulliert wurde, habe ich das Recht, einen neuen Vertrag auszuhandeln.«

»Sie bekommen den gleichen Standardvertrag wie alle anderen.«

»Sie tun so, Chad, als würde ich nicht neben einer Ader im Wert von mehreren Milliarden Credits stehen«, sagte Holloway. »Die mir gehört.«

»Ich hasse Sie!«

»Geben Sie nicht mir die Schuld«, sagte Holloway. »Sie haben meinen Vertrag gelöscht. Aber meine Forderungen sind recht bescheiden. Erstens: Ich will nicht, dass ich juristisch für den Einsturz dieser Felsformation zur Rechenschaft gezogen werde. Es war ein Unfall, und wenn Sie sich Ihre Daten noch einmal ganz genau ansehen, werden auch Sie das erkennen.«

»Gut«, sagte Bourne. »Abgemacht.«

»Und ich möchte einen Finderlohn von einem Prozent.«

Bourne fluchte. Holloway verlangte das Vierfache des üblichen Finderlohns. »Auf gar keinen Fall«, sagte Bourne. »Man wird mich hochkant rauswerfen, wenn ich auch nur darüber nachdenke, mich auf so etwas einzulassen.«

»Es geht um ein einziges kleines Prozent.«

»Sie wollen zehn Millionen Credits dafür, dass Sie eine Felswand in die Luft gejagt haben?«

»Es könnte durchaus erheblich mehr werden. Ich sehe von hier aus sechs weitere Leuchtsteine.«

»Nein«, sagte Bourne. »Denken Sie nicht einmal daran. Das Höchste, was ich Ihnen anbieten darf, sind null Komma vier Prozent. Nehmen Sie an, und wir sind im Geschäft. Lehnen Sie ab, und wir sehen uns vor Gericht wieder. Und wenn ich deswegen gefeuert werden sollte, Jack, verspreche ich Ihnen, dass ich Sie quer durch das Universum jagen und Sie mit eigenen Händen töten werde. Und dass ich Ihren Hund klaue.«

»Es ist ziemlich mies, jemandem damit zu drohen, seinen Hund zu klauen.«

»Null Komma vier Prozent«, sagte Bourne. »Letztes Angebot.«

»Abgemacht. Schreiben Sie das in eine Zusatzklausel zum Vertrag, von dem weder Sie noch ich behaupten werden, dass Sie so blöd waren, ihn zu löschen. Wenn es eine Zusatzklausel ist, muss ich nicht nach Aubreytown fliegen, um sie zu bestätigen.«

»Schon geschehen«, sagte Bourne. »Ich sende Ihnen eine Kopie.«

Das Posteingangssymbol auf Holloways Infopanel blinkte. Er tippte darauf, überflog die Vereinbarung und setzte seine elektronische Unterschrift darunter.

»Es ist mir ein Vergnügen, Geschäfte mit Ihnen zu machen, Chad«, sagte Holloway, als er das Infopanel wieder abstellte.

»Bitte sterben Sie in einem Feuer!«

»Heißt das, Sie werden mich nicht zum Essen bei Ruby’s einladen?«, fragte Holloway, aber Bourne hatte die Verbindung bereits unterbrochen.

Holloway lächelte still und hielt den Sonnenstein hoch, um ihn im Licht zu drehen. Selbst ungeschliffen und schmutzig war er wunderschön, und Holloway hatte ihn lange genug in der Hand gehalten, um seine Körperwärme ins Innere des Steins eindringen zu lassen. Nun leuchteten die Filamente wie Blitze, die in Bernstein eingeschlossen waren.

»Du bleibst bei mir«, sagte Holloway zum Stein. ZaraCorp konnte den Rest haben und würde ihn sich nehmen. Aber dies war der Stein, der ihn soeben zu einem sehr reichen Mann gemacht hatte. Es war in der Tat ein Glücksstein. Und er hatte auch schon jemanden im Sinn, dem er ihn geben wollte. Als Entschuldigung.

Holloway stand auf und steckte sich den Sonnenstein in die Tasche. Er blickte zu Carl, der immer noch auf dem Felsvorsprung lag. Carl zog eine Augenbraue hoch und sah ihn an.

»Nun gut«, sagte Holloway. »Für heute haben wir hier genug Schaden angerichtet. Lass uns nach Hause fliegen.«

3

Holloways Gleiter hatte etwa die Hälfte des Heimwegs zurückgelegt, als sein Infopanel ihn darauf aufmerksam machte, dass soeben in sein Haus eingebrochen wurde. Der Bewegungsmelder der Alarmanlage war ausgelöst worden.

»Mist«, sagte Holloway. Er schlug auf die AUTOPILOT-Taste, worauf sich der Gleiter für einen Moment schief legte, als er das Signal und die neuen Navigationsdaten von Holloways Haus empfing. Hier gab es praktisch keinen Verkehr, denn Holloways Erkundungsterritorium lag tief in einem kontinentgroßen Dschungel, weit entfernt von menschlichen Ansiedlungen oder Menschen überhaupt. Also war der Kurs mehr oder weniger eine gerade Linie, die über die Hügel und Baumwipfel führte. Als der Autopilot aktiviert war, nahm Holloway sein Infopanel in die Hand und rief die Überwachungskamera seines Hauses auf.

DochaufdemBildwarnichtszusehen.HollowaysÜberwachungskamerastandaufseinemSchreibtisch,und erbenutztesiealsHutständer.DerBlickinseinHaus–undaufeinenmöglichenEindringling–wurdeihmdurcheinenabgewetztenDoktorhutverwehrt,denerausSpaßwährendseineszweitenJahresanderDukeUniversitygetragenhatte.

»BlöderHut!«,sagteHolloway.ErdrehtedieLautstärkedesMikrosanderKamerahochundhieltsichdenLautsprecherdesInfopanelsansOhr.FürdenFall,dassderEindringlingetwassagte.

Wieder nichts. Es waren keine Stimmen zu hören, und alles andere wurde von den Motorengeräuschen des Gleiters und dem Fahrtwind übertönt, der durch das offene Cockpit rauschte.

Holloway ließ das Infopanel wieder in die Halterung einrasten und blickte auf die Instrumentenkonsole des Gleiters. Das Gefährt bewegte sich mit gemächlichen achtzig Stundenkilometern vorwärts, was über dem Dschungel eine sichere Geschwindigkeit war, wo jederzeit Vögel von den Bäumen aufflattern und mit dem Gleiter kollidieren konnten. Bis nach Hause waren es noch zwanzig Kilometer. Das wusste Holloway, ohne die GPS-Daten abrufen zu müssen, weil sich der Mount Isabel genau rechts von ihm erhob. Die Ostseite des Vorgebirges war abgetragen worden, und die vier Quadratkilometer davor hatte man eingezäunt und gerodet, damit ZaraCorp hier das tun konnte, was euphemistisch als »Nachhaltiger Bergbau« bezeichnet wurde. Der Boden wurde im Tagebau abgetragen, doch angeblich bemühte man sich um minimale Verseuchung der Umwelt und stellte anschließend den ursprünglichen Zustand wieder her, nachdem die Arbeiten abgeschlossen waren.

Als ZaraCorp mit dem Tagebau am Mount Isabel begonnen hatte, hatte sich Holloway gefragt, wie man ein Gebiet wieder in den ursprünglichen Zustand versetzen wollte, wenn dort alles abgebaut wurde, was irgendeinen Wert hatte. Aber seine müßigen Überlegungen waren etwas ganz anderes als tatsächliche Besorgnis. Er selbst hatte die ersten Erkundungen am Mount Isabel vorgenommen. Die kleine Ader mit Sonnensteinen, die seine Aufmerksamkeit erregt hatte, war innerhalb weniger Wochen erschöpft gewesen, aber am Berg gab es ein reichhaltiges Vorkommen von Anthrazitkohle, und auf dem Vorgebirge bis hinunter zum Fluss wuchsen die recht seltenen Steinholzbäume. Holloway hatte sein Viertelprozent von der Ausbeute bekommen – eine ganz anständige Summe – und war weitergezogen.

Sein kritisches Auge schätzte, dass Mount Isabel noch ein oder zwei Jahre blieben, bis der Berg auf die Größe eines Maulwurfshügels abgetragen war. Danach würde ZaraCorp die Ausrüstung wegschaffen und eine Horde verängstigter Sommerpraktikanten absetzen, die hastig ein paar Säcke mit Steinholzbaumsamen ausschütteten – was dann als »Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes« zählte. Gleichzeitig beteten die Praktikanten, dass der Zaun, der das Gelände umgab, noch so lange hielt, bis sie mit ihrer Arbeit fertig waren.

Normalerweise hielten die Zäune. Heutzutage geschah es nur noch sehr selten, dass ein Praktikant einem Zararaptor zum Opfer fiel. Andererseits konnte Angst unglaublich motivierend wirken.

Ein lautes Krachen drang aus dem Infopanel. Wer auch immer sich in Holloways Haus befand, hatte soeben etwas Zerbrechliches zu Boden fallen lassen. Holloway fluchte und drückte den Knopf, der das Cockpit des Gleiters schloss. Dann schob er den Beschleunigungsregler bis zum Anschlag vor. Jetzt waren es nur noch fünf Minuten bis nach Hause. Die Vögel in den Baumwipfeln mussten einfach mit einem gewissen Risiko leben.

Als sich der Gleiter seinem Haus näherte, schaltete Holloway auf den SPAR-Modus. Dadurch wurde die Geschwindigkeit erheblich reduziert, aber gleichzeitig flog der Gleiter nun fast lautlos. In einem Kilometer Entfernung ließ er die Maschine in der Luft schweben und griff nach seinem Fernglas.

Holloway hatte ein Baumhaus – genauer gesagt, eine Plattform, die auf mehreren sehr hohen Stachelbäumen verankert war. An den Ecken dieser Plattform erhoben sich der bescheidene Fertigbau, in dem Holloway wohnte, und die zwei Verschläge, in denen er die Ausrüstung aufbewahrte, die er als Prospektor benötigte. Die Energie kam von Sonnenkollektoren, die von einem Turbinendrachen in der Luft gehalten wurden und mit dem Kraftwerk auf dem Grundstück verbunden waren. Daran waren auch Holloways Feuchtigkeitssammler und eine Müllverbrennungsanlage angeschlossen. Im Zentrum der Plattform befand sich eine Landefläche, die genug Platz für Holloways Gleiter und ein weiteres Fahrzeug bot, sofern es nicht zu groß war.

Auf diese Stelle blickte Holloway nun. Sie war leer.

Holloway entspannte sich ein wenig. Wer Holloways Haus auf einfachem Wege erreichen wollte, musste einen Gleiter benutzen. Es war durchaus möglich, zu Fuß zu kommen und hinaufzuklettern, aber wer so etwas tat, musste großes Glück oder viel Selbstvertrauen haben. Der Dschungelboden gehörte den Zararaptoren und den einheimischen Entsprechungen von Pythons und Alligatoren, und all diese Tiere betrachteten die weichen und langsamen Menschen als leicht zu fangende und leicht zu fressende Beute. Holloway wohnte oben in den Bäumen, weil sich all die großen Raubtiere am Boden aufhielten, abgesehen von den Pythons, die jedoch keine Stachelbäume mochten, und zwar aus den Gründen, die der Name dieser Bäume nahelegte. Außerdem stellte es eine große Herausforderung dar, einen Stachelbaum zu erklettern, wenn man größer als einen halben Meter war, was auf nahezu jeden Menschen zutraf.

Nichtsdestotrotz suchte Holloway die Plattform und die Baumwipfel ab und hielt nach Kletterseilen oder ähnlichen Dingen Ausschau. Nichts. Die einzige verbleibende Möglichkeit war die, dass jemand von einem schwebenden Gleiter abgesetzt worden war, der dann weitergeflogen war. Aber Holloway wäre auf jedes Fahrzeug im Umkreis von hundert Kilometern aufmerksam gemacht worden, als er den Autopiloten eingeschaltet hatte. Was nicht geschehen war.

Also lauerte in seiner Wohnung ein Ninja mit Superkräften, der Porzellan zu Boden warf, oder es war nur irgendein dummes Tier. Obwohl Holloway es Bourne grundsätzlich zutraute, einen Schlägertrupp loszuschicken, der ihm eine Abreibung verpassen sollte – insbesondere nach dem, was heute geschehen war –, bezweifelte er, dass Bourne auf die Schnelle einen hochkompetenten Killer auftreiben konnte. Das Beste, was er aufzubieten hatte, waren einige der weniger intelligenten Sicherheitskräfte von ZaraCorp, wie zum Beispiel den bereits erwähnten Joe DeLise. Doch diese Leute (und insbesondere DeLise) hätten sich niemals die Mühe gemacht, sich heimlich anzuschleichen und ihm aufzulauern.

Demzufolge standen die Chancen gut, dass es sich um ein dummes Tier handelte, wahrscheinlich eine der einheimischen Eidechsen. Sie hatten die Größe von Leguanen, waren also gerade klein genug, um sich in den Stachelbäumen nicht selbst aufzuspießen. Sie waren Vegetarier und kaum intelligenter als ein Stein. Sie krochen in alles hinein, wenn man ihnen die Gelegenheit dazu gab. Als Holloway nach Zara XXIII gekommen war und sein Baumhaus errichten ließ, hatte es hier von diesen Tierchen gewimmelt. Zuerst hatte er einen elektrischen Zaun angebracht, dann aber feststellen müssen, dass es ihn zutiefst deprimierte, jeden Morgen mit dem Anblick und dem Geruch gebratener Eidechsen aufwachen zu müssen. Dann hatte ein anderer Prospektor ihm verraten, dass die Eidechsen eine Heidenangst vor Hunden hatten. Kurz darauf war Carl in sein Leben getreten.

»Hallo, Carl«, sagte Holloway zu seinem Hund. »Ich glaube, wir haben ein Eidechsenproblem.«

Carl hob den Kopf. Er hatte großen Spaß an der Rolle, die er im Zusammenhang mit einem Eidechsenproblem zu spielen hatte. Holloway lächelte, übernahm die Kontrollen des Gleiters und setzte zur Landung an.

Carl war aus dem Gleiter gesprungen, sobald Holloway das Triebwerk heruntergefahren und das Cockpit geöffnet hatte. Er schnupperte begeistert und machte sich auf den Weg zu einem der Lagerschuppen.

»He, Blödmann!«, sagte Holloway zu Carls aufgeregt wedelndem Schwanz. Er ging zu seinem Hund und schlug ihm sanft gegen die Flanke. »Du läufst in die falsche Richtung. Die Eidechse ist im Haus.« Holloway zeigte in Richtung seines Hauses. Gleichzeitig blickte er zu seinem Haus und bemerkte die Katze, die ihn durch das Fenster seines Arbeitszimmers betrachtete. Holloway starrte die Katze an. Es dauerte etwa eine Sekunde, bis er sich daran erinnerte, dass er gar keine Katze hatte.

Es dauerte eine weitere Sekunde, bis ihm einfiel, dass Katzen normalerweise nicht auf zwei Beinen standen.

»Was zum Henker ist das?«, rief Holloway.

Als Carl den Tonfall seines Herrchens hörte, drehte er sich um und sah ebenfalls das Katzenwesen am Fenster.

Das Katzenwesen öffnete den Mund.

Carl bellte wie verrückt und rannte auf die Tür des Hauses zu. Da er keine Greifhand besaß, hätte er an dieser Stelle aufgeben müssen, wäre da nicht die Hundetür gewesen, die Holloway eingebaut hatte, als er es satthatte, jede Nacht geweckt zu werden, um Carl zum Pinkeln nach draußen zu lassen. Das Schloss der Hundetür empfing das Signal vom Chip in Carls Schulter und entriegelte sich, etwa eine Viertelsekunde bevor Carl mit dem Kopf und dem Rest des Körpers hindurchsauste und ungehindert in die Wohnung gelangte.

Von draußen konnte Holloway sehen, wie das Katzenwesen plötzlich vom Fenster verschwand. Eine knappe Sekunde später hörte er den Lärm von zerbrechenden Gegenständen.

»Ach du Scheiße«, sagte Holloway und rannte zur Haustür.

Im Gegensatz zu Carl hatte Holloway keinen in die Schulter implantierten Chip. Er musste nach seinem Schlüssel kramen, um das Riegelschloss in der Tür zu öffnen. Während er das tat, ging das Gebell und der Krach ohne Unterbrechung weiter. Holloway entriegelte das Schloss und riss die Tür auf. Im gleichen Moment sah er, wie das Katzenwesen auf ihn zurannte.

Es blickte auf, sah Holloway und versuchte verzweifelt zu bremsen, um seine Bewegungsrichtung zu ändern. Carl, der genau hinter dem Katzenwesen war, sprang hoch, um dem Geschöpf auszuweichen, und drehte sich im Flug. Dann knallte er mit der Seite gegen die Haustür, die vor Holloways Nase und Stirn zugeschlagen wurde. Holloway fluchte, fiel vor der geschlossenen Tür auf die Knie und hielt sich die Nase. Drinnen gingen wieder Sachen zu Bruch.

Nach ein paar Minuten drangen Holloway zwei Dinge ins Bewusstsein. Das erste war seine Nase, die zwar anschwoll, aber anscheinend nicht ausbluten würde. Das zweite war die Tatsache, dass der Krach aufgehört hatte und jetzt nur noch Carls unablässiges Gebell zu hören war. Holloway stand auf und berührte erneut seine Nase, um sich zu überzeugen, dass kein Blutstrom daraus hervorbrach. Dann öffnete er noch einmal und sehr vorsichtig die Tür zu seinem Haus.

In der Wohnung sah es aus wie in einem College-Schlafsaal am Ende eines Halbjahrs. Eine Explosion schien Papiere und andere Dinge, die eigentlich auf dem Schreibtisch oder den Regalen liegen sollten, über den Boden verstreut zu haben. Geschirr, das sich zuvor in der winzigen Spüle befunden hatte, war in Form von Scherben verteilt worden. Holloways zweites Infopanel lag ebenfalls mit dem Screen nach unten auf dem Boden. Er konnte sich nicht dazu überwinden, nachzusehen und sich zu vergewissern, dass es noch funktionierte.

Carl stützte sich mit den Vorderpfoten am einzigen Bücherregal des Hauses ab und bellte wie verrückt. Ein schneller Blick verriet Holloway, dass sich das Katzenwesen auf das oberste Brett des Regals geflüchtet hatte. Bücher und Heftmappen waren vom Regal gefallen, als entweder das Geschöpf hinaufgeklettert war oder Carl versucht hatte, es zu erwischen. Das Regal sah nicht danach aus, dass das Wesen hätte hinaufspringen können, und es war auch zu hoch, als dass es mühelos hätte hinunterspringen können – selbst wenn Carl nicht da gewesen wäre. Vorläufig hatte es sich vor dem Hund in Sicherheit gebracht, aber gleichzeitig saß es ausweglos in der Falle. Es starrte abwechselnd auf Carl hinunter und zu Holloway hinüber. Die Katzenaugen waren verängstigt aufgerissen.

»Ruhig, Carl!«, sagte Holloway.

Der Hund war jedoch viel zu sehr im Jagdfieber, um auf den Befehl seines Herrchens zu hören.

Holloway blickte sich im Raum um. Inmitten des Chaos entdeckte er den Eingang, durch den das Wesen in seine Wohnung gelangt war: das kleine Kippfenster in Holloways Schlafnische. Offenbar hatte er es nicht geschlossen, und dem Wesen war es gelungen, es aufzuhebeln und ins Haus einzusteigen. Anschließend hätte es jedoch nicht mehr auf dem gleichen Wege nach draußen gelangen können. Das Fenster war vom Dach aus zwar gut zugänglich, aber wie es schien, war es viel zu hoch für das Wesen, um es vom Boden oder vom Bett aus zu erreichen.

Er betrachtete wieder das Katzenwesen, das ihn unverwandt anstarrte. Es blickte auf das Fenster und dann wieder auf Holloway. Es war, als wüsste das Geschöpf, dass er sich denken konnte, wie es ins Haus gelangt war.

Holloway ging zum Kippfenster in der Nische, schloss und verriegelte es. Dann ging er zu seinem Hund und packte ihn am Nackenfell. Mit einem überraschten Urk hörte Carl auf zu bellen und wischte mit den Pfoten über den Boden, ohne damit etwas zu erreichen. Holloway manövrierte den Hund zur Haustür, öffnete sie und warf ihn hinaus. Mit dem Bein hielt er die Hundetür zu, bis er sie verriegelt hatte. Dann trat er zurück. Zweimal war ein dumpfer Aufprall zu hören, als Carl mit dem Kopf gegen die Hundetür knallte. Wenige Sekunden später tauchten seine Pfoten und sein Kopf hinter dem Fenster über Holloways Schreibtisch auf, wo er nun abwechselnd beleidigt bellte und winselte, um wieder hineingelassen zu werden.

Holloway achtete nicht mehr auf den Hund, sondern wandte sich dem Katzenwesen zu, das ihn immer noch verängstigt ansah, wenn auch nicht mehr so sehr wie kurz zuvor.

»Nun zu dir, du kleines Pelzding«, sagte Holloway. »Jetzt können wir uns in Ruhe miteinander beschäftigen.«

4

Wenn ich dieses Wesen wäre, warum würde ich mich dann hier aufhalten?, überlegte Holloway. Tiere waren keine allzu komplizierten Wesen. Ganz gleich, wo im Universum man welchen begegnete, im Grunde wollten sie alle nur eine von drei möglichen Sachen: essen, schlafen oder Sex haben. Holloway glaubte, die letzteren zwei Fälle ausschließen zu können. Also essen.

Er blickte sich im Chaos in seiner Wohnung um. Auf der Anrichte in der Küche, gleich neben der Spüle, stand der Teller, auf dem er sein Obst aufbewahrte. Er war mit einer Kunststoffglocke abgedeckt, um die einheimischen Insekten fernzuhalten. Während des Krawalls war der Teller verrückt worden, aber die Glocke war nicht heruntergefallen. Darunter lagen zwei Äpfel und eine Bindi, eine Frucht dieses Planeten, die die Form einer Birne hatte, aber eher nach Banane schmeckte. Sowohl die Äpfel als auch die Bindi hielten sich recht lange, was der Grund war, warum Holloway sie in seiner Küche aufbewahrte.

Holloway ging langsam zum Küchenbereich, wobei er das Katzenwesen im Auge behielt. Er wandte nur kurz den Blick ab, um die Glocke abzunehmen. Er griff nach einem Apfel, doch dann überlegte er es sich anders und nahm stattdessen die Bindi in die Hand. Die Bindi stammte von Zara XXIII, genauso wie das Katzenwesen. Er hatte noch nie davon gehört, dass ein außerirdisches Wesen an einem Apfel gestorben war, aber es gab keinen Grund, unnötige Risiken einzugehen.

Holloway öffnete eine Schublade und nahm ein Messer heraus. Das Katzenwesen rührte sich, als sein Blick darauf fiel. Holloway hielt das Messer flach, als er die Bindi schnell in Viertel schnitt. Dabei wurde er daran erinnert, dass Bindi recht weiche Früchte waren. Saft und breiiges Fruchtfleisch rannen ihm über die Finger. Doch er störte sich nicht daran und legte das Messer verstohlen in die Schublade zurück. Er würde es später abwaschen.

Das Katzenwesen schien sich ein wenig zu entspannen, doch dann wurde es wieder unruhig, als Holloway sich erneut dem Bücherregal näherte. Das Wesen hockte am äußersten Ende des obersten Regalbretts, und Holloway stellte sich ans andere Ende – zu weit entfernt, um das Tier greifen zu können. Das Katzenwesen kauerte auf dem Brett und starrte Holloway an, ohne zu blinzeln.

Holloway nahm ein Bindi-Viertel und warf es sich in den Mund. Er kaute langsam und mit offensichtlichem Genuss, während er beobachtete, wie das Katzenwesen ihn beobachtete. Er schluckte und legte dann ein Viertel der Frucht auf das gegenüberliegende Ende des Bücherregals.

»Das ist deins«, sagte er, als könnte er dem Tier mit seinen Worten verständlicher machen, was er meinte. Dann legte er die restlichen zwei Bindi-Stücke auf seinen Schreibtisch und wandte dem Katzenwesen ostentativ den Rücken zu, um damit zu beginnen, das Chaos in seiner Wohnung aufzuräumen.

Holloway hatte keine Ahnung, ob das Wesen verstehen würde, dass er ihm etwas zu essen angeboten hatte, oder ob es überhaupt Bindi mochte. Wenn es wirklich so etwas wie eine Katze war, wäre es ein Fleischfresser. Falls dem so war, hatte Holloway noch ein paar Eidechsenschnitzel im Kühlschrank. Damit könnte er es als Nächstes probieren.

Ein Teil von Holloways Gehirn, der sich für den vernünftigen Teil hielt, meldete sich laut protestierend zu Wort. Was zum Henker soll das? Was versprichst du dir davon, ein wildes Tier zu füttern? Du hättest die Tür öffnen sollen, damit Carl es aus deinem Haus jagt! So idiotisch hast du dich nie verhalten, wenn du Eidechsen in der Wohnung hattest.

Holloway wusste nicht recht, was er auf diese Vorwürfe erwidern sollte. Nur, dass ihn dieses Wesen aus irgendeinem Grund neugierig gemacht hatte. Die meisten Landtiere auf Zara XXIII waren reptilienartig; säugetierähnliche Spezies waren selten und dünn gesät. Holloway konnte sich überhaupt nicht erinnern, leibhaftig oder in einer Datenbank schon mal eins gesehen zu haben, das so groß wie dieses war. Er würde noch einmal in der Datenbank nachsehen müssen.

Was ihn jedoch am meisten interessierte, war das Verhalten dieses Geschöpfs. Das Katzenwesen hatte offensichtlich Angst, aber es verhielt sich nicht wie ein verängstigtes Tier. Es schien intelligenter zu sein als ein durchschnittliches wildes Tier, vor allem hier auf Zara XXIII, wo Holloway den Eindruck hatte, dass die Evolution nicht sonderlich an der Entwicklung von Gehirnen interessiert war.

Außerdem sah das Wesen einer Katze ähnlich, und Holloway hatte Katzen schon immer gemocht. Sein vernünftiger Persönlichkeitsanteil verpasste ihm dafür eine virtuelle Kopfnuss.

Holloway sortierte die Papiere, die er aufgelesen hatte, und legte sie auf seinen Schreibtisch, während er zum Katzenwesen hinaufblickte. Es war damit beschäftigt, das Bindi-Viertel zu verschlingen, als hätte es seit Tagen nichts mehr gegessen. Damit wäre diese Frage beantwortet, dachte Holloway. Dann hob er das Infopanel vom Boden auf und zuckte bereits vorsorglich zusammen, weil er mit einem gesprungenen Bildschirm oder Schlimmerem rechnete. Doch zu seiner Überraschung schien es unbeschädigt zu sein. Er schaltete das Gerät ein, das wie gewohnt zum Leben erwachte. Holloway seufzte erleichtert, dann blickte er wieder zum Katzenwesen, das die Bindi nun aufgegessen hatte.

»Du hast Glück, dass dieses Ding heil geblieben ist«, sagte Holloway zum Geschöpf. »Wenn es kaputt gewesen wäre, hätte ich dich vielleicht von Carl fressen lassen.«

Dazu sagte das Katzenwesen nichts (natürlich nicht), aber nun wanderte sein Blick zwischen den zwei übrigen Bindi-Vierteln und Holloway hin und her. Offenbar hatte es immer noch Hunger und überlegte sich, wie es an die Bindi-Stücke gelangen konnte, ohne Holloway zu nahe zu kommen. Holloway nahm ein Stück und bewegte sich vorsichtig auf das Tier zu. Er hielt das Bindi-Viertel am äußersten Zipfel zwischen Daumen und Zeigefinger.

»Na los, nimm es«, sagte Holloway.

Wunderbar!, sagte sein vernünftiger Anteil. Jetzt scheinst du auch noch unter der hiesigen Entsprechung von Tollwut zu leiden!

Das Katzenwesen schien mit ähnlicher Skepsis auf diese neue Entwicklung zu reagieren und wich vor dem angebotenen Fruchtstück zurück.

»Na los!«, sagte Holloway. »Wenn ich dich töten und essen wollte, hätte ich es längst getan.« Er wedelte mit dem Viertel vor dem Geschöpf herum.

Nach einigen Sekunden schob sich das Katzenwesen vorsichtig nach vorn. Es zögerte, doch dann griff es mit beiden Händen nach dem Bindi-Viertel. Es waren tatsächlich Hände. Holloway bemerkte drei Finger und einen langen Daumen, der tiefer an der Handfläche saß als bei einem Menschen. Holloway blinzelte, und im nächsten Moment waren die kleinen Hände verschwunden, als sich das Wesen wieder ans Ende des Regals zurückzog. Es ließ Holloway keinen Moment lang aus den Augen, während es sich über das zweite Bindi-Stück hermachte.