Galaktische Mission - John Scalzi - E-Book

Galaktische Mission E-Book

John Scalzi

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Beschreibung

Mit dem Rücken zur Wand

Die Menschen haben ferne Planeten und fremde Welten besiedelt – unter den misstrauischen Augen der Aliens und unter dem Schutz der Kolonialen Union. Wenn diese nun wie geplant aufgelöst wird, wären die menschlichen Kolonien den feindlich gesinnten Aliens hilflos ausgeliefert. Ausgerechnet in dieser prekären Lage taucht ein neuer Feind auf, der Menschen und Aliens gegeneinander ausspielt. Für Lieutenant Harry Wilson beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, denn sollte er nicht herausfinden, wer hinter dem intergalaktischen Intrigenspiel steckt, sind Menschen und Aliens gleichermaßen dem Untergang geweiht ...

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DAS BUCH

Die Menschen haben ferne Planeten und fremde Welten besiedelt – wo sie nicht nur eine Vielzahl außerirdischer Zivilisationen entdeckt haben, sondern mithilfe der Kolonialen Union eine ernstzunehmende Macht im All geworden sind. Die Kolonien waren dabei der Schutzwall gegen die nicht immer friedlich gesinnten Aliens, und die Erde lieferte der Union die notwendigen Ressourcen, vor allem menschlichen Nachschub für die Truppen der Kolonialen Verteidungsarmee – bis die Erde sich weigerte und den Kontakt abbrach. Jetzt haben die Kolonien höchstens noch ein paar Jahrzehnte, bis die Armee so ausgedünnt ist, dass die K.U. die Siedlungsplaneten nicht mehr halten kann. Und dann ist da noch eine geheimnisvolle Macht, eine einflussreiche Gruppe, die Menschen und Außerirdische gegeneinander ausspielt. Keiner weiß, warum und zu welchem Zweck. Darum werden Lieutenant Harry Wilson und die Diplomaten der Kolonialen Union losgeschickt, diese Gegenspieler auszuspionieren und um jeden Preis einen galaktischen Krieg zu vermeiden. Von ihrer Mission hängt nun das Überleben der Menschheit ab …

John Scalzis internationale Bestsellerserie um die Koloniale Union:

Krieg der Klone

Geisterbrigaden

Die letzte Kolonie

Zwischen den Sternen

Die letzte Einheit

Galaktische Mission

DER AUTOR

John Scalzi, Jahrgang 1969, wuchs in Kalifornien auf. Nach dem College arbeitete er zunächst als Filmkritiker und später als Redakteur des Internet-Magazins America Online. Bereits sein Debütroman Krieg der Klone war so erfolgreich, dass John Scalzi sich von da an hauptberuflich dem Schreiben seiner Science-Fiction-Romane widmete. Nebenbei unterhält er schon seit Jahren seinen viel besuchten Blog The Whatever. Der Autor lebt mit seiner Frau und seiner Tochter in Ohio.

Mehr über John Scalzi und seine Romane erfahren Sie auf:

JOHN SCALZI

GALAKTISCHE MISSION

Roman

Deutsche Erstausgabe

Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kempen

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

THE END OF ALL THINGS

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Deutsche Erstausgabe 09/2016

Redaktion: Ralf Dürr

Copyright © 2015 by John Scalzi

Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,

unter Verwendung von Shutterstock/Tsuneo MP

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-18614-2V001

www.diezukunft.de

Für Jay und Mary Vernau von Jay und Mary’s Book Center in Troy, Ohio;

Für Alan Beatts und Jude Feldman von Borderlands Books in San Francisco, Kalifornien;

Für Duane Wilkins und Olivia Ahl vom University Bookstore, University of Washington;

Und für alle anderen Buchhändler, die mein Werk den Lesern in ihren Läden zugänglich gemacht haben.

Ihr seid die Besten. Dieses Buch ist für euch, voller Dankbarkeit.

Inhalt

1. Das Leben des Geistes

2. Das ausgehöhlte Bündnis

3. Was Bestand haben kann

4. Siegen oder Untergehen

5. Eine alternative Fassung von »Das Leben des Geistes« aus gestrichenen und geänderten Szenen

6. Danksagung

Das Leben des Geistes

Für meinen Freund John Anderson, der leider verstorben ist, und für alle, die mit ihm befreundet waren.

Let the music play.

1

Also − soll ich Ihnen erzählen, wie ich zu einem Gehirn im Tank wurde?

Hm. Das fängt ein bisschen düster an, nicht wahr?

Außerdem weiß ich eigentlich gar nicht, wie man es mit mir gemacht hat, technisch gesehen. Es war nicht so, dass ich irgendwann als körperloses Gehirn aufwachte und man mir ein Informationsvideo zeigte, nur für den Fall, dass es mich interessieren sollte. Und jetzt kommt der Moment, wo wir alle Blutgefäße und peripheren Nerven abgeschnitten haben, würde es im Video heißen. So haben wir den Schädel und die Wirbelsäule entfernt, und hier sehen Sie, wie wir Ihr Gehirn mit raffinierten kleinen Sensoren gespickt haben, die Ihre Gedanken verfolgen. Hören Sie genau zu, denn später gibt es einen Test, bei dem das alles abgefragt wird.

Mann, in so etwas bin ich wirklich schlecht.

Ich bin kein Schriftsteller oder Redner. Ich bin kein Geschichtenerzähler. Ich bin Raumschiffpilot, das will ich Ihnen gleich zu Anfang sagen. Die Koloniale Union hat mich gebeten, alles zu erzählen, was mit mir geschehen ist, weil man glaubt, dass diese Informationen nützlich sein könnten. Also gut, ich werde es machen, freut mich, dass ich Ihnen helfen kann. Aber es wird keine, Sie wissen schon, klassische Literatur sein. Ich werde hin- und herspringen. Ich werde mich in der Erzählung verlieren und auf einige Dinge zurückkommen und mich dann wieder verlieren. Ich werde erzählen, was mir gerade durch den Kopf geht.

Metaphorisch gesprochen. Schließlich habe ich gar keinen Kopf mehr. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie meinen Kopf eingeäschert oder sonst wie entsorgt haben.

Verstehen Sie, was ich meine?

Irgendjemand wird das Ganze überarbeiten müssen, wenn es irgendeinen Sinn ergeben soll. Also, lieber armer anonymer Lektor der Kolonialen Union: Ich grüße Sie und bitte Sie um Entschuldigung. Ich versichere Ihnen, dass es nicht meine Absicht ist, Ihnen das Leben schwer zu machen. Ich weiß nur nicht, was die Leute eigentlich von mir wollen oder wie ich es machen soll.

Erzählen Sie uns einfach alles, wurde mir gesagt. Machen Sie sich keine Sorgen. Wir werden es schon sortieren. Was offenbar der Punkt ist, wo Sie ins Spiel kommen, mein anonymer Lektor. Viel Spaß beim Sortieren!

Und wenn Sie das hier lesen, bin ich davon überzeugt, dass der Lektor hervorragende Arbeit geleistet hat.

Wo soll ich mit der verdammten Geschichte anfangen? Ich glaube, niemand von Ihnen interessiert sich einen Dreck für meine Kindheit. Sie war ziemlich normal und glücklich, wenig ereignisreich, mit anständigen Eltern und Freunden. Die Schulzeit war ähnlich unauffällig, mit all den üblichen Dummheiten und libidinösen Ausschweifungen und dem gelegentlichen Büffeln für Prüfungen. Mal ehrlich, niemand will irgendetwas darüber hören. Ich will es eigentlich auch nicht, und ich habe es durchlebt.

Also denke ich, dass ich mit dem Bewerbungsgespräch anfange.

Ja, das ist ein guter Anfang. Die Bewerbung, die mir den Job verschaffte, der mich in ein kopfloses Wunder verwandelte.

Im Nachhinein betrachtet wünsche ich mir irgendwie, ich hätte diesen Job nicht bekommen.

Ach ja, vielleicht sollte ich noch sagen, wie ich heiße. Der Vollständigkeit halber.

Ich heiße Rafe. Rafe Daquin.

Ich bin Rafe Daquin, und ich bin ein Gehirn im Tank.

Hallo!

Der Grund, warum ich überhaupt zu diesem Bewerbungsgespräch eingeladen wurde, war ein Freund von mir, den ich von der Universität kenne. Hart Schmidt. Er arbeitet als Diplomat für die Koloniale Union, was für mich immer das Paradebeispiel eines undankbaren Jobs war. Vor Kurzem verbrachte er seine Freizeit in einer Bar in der Phoenix-Station, wo er mit dem Ersten Offizier der Chandler sprach, einem Frachtschiff, das die übliche Dreiecksroute zwischen Phoenix, Huckleberry und Erie bediente. Nicht gerade ein prestigeträchtiger Job, aber man tut, was man kann. Nicht jeder kann berühmt sein.

Jedenfalls beklagte sich der Offizier in diesem Gespräch, dass sie nach der Ankunft an der Phoenix-Station Besuch von einer Polizeitruppe bekommen hatten. Wie es schien, hatten die Piloten der Chandler ein paar Nebengeschäfte getätigt, unten auf Phoenix, dem eigentlichen Planeten. Die Einzelheiten sind mir immer noch nicht ganz klar, aber es ging offenbar um Erpressung, Einschüchterung, Bestechung und Bigamie, wobei Letzteres keine so große Sache war wie die anderen Punkte. Das Problem war, dass die Chandler einen Piloten zu wenig hatte und ganz schnell einen neuen brauchte.

Was ein Glücksfall für mich war, weil ich Pilot war und einen Job brauchte. Und auch noch schnell.

»Das verrät mir, dass Sie Programmierer waren, bevor Sie Pilot wurden«, sagte der Erste Offizier, als er einen Blick auf meinen Lebenslauf warf. Wir saßen in einem Burger-Laden in der Phoenix-Station. Ich war vom Planeten raufgekommen, sobald Hart mir von diesem Job erzählt hatte. Die Burger waren legendär, aber ich war nicht wegen kulinarischer Genüsse hier. Der Offizier hieß Lee Han und sah wie jemand aus, der nicht mehr als Dienst nach Vorschrift machte. Sofern ich ihm nicht anvertraute, dass es mir Spaß machte, vor Kindern niedliche Kätzchen zu ermorden, würde ich den Job auf jeden Fall bekommen.

»Ein paar Semester habe ich Technische Informatik studiert«, sagte ich. »Nach dem Abschluss habe ich auf dem Gebiet gearbeitet und einige Jahre lang programmiert. Für Eyre Systems, hauptsächlich im Bereich Raumschiffsnavigation und Wartungssoftware. Vielleicht haben Sie sogar eins unserer Systeme in der Chandler.«

»Das haben wir«, sagte Han.

»Als Zugabe könnte ich Ihnen technischen Support anbieten«, sagte ich. Das sollte ein Witz sein.

Aber ich war mir nicht ganz sicher, ob Han es so verstand. »Der Wechsel vom Programmierer zum Piloten ist nicht der übliche Berufsweg«, sagte er.

»Es war die Programmierung, die mein Interesse am Pilotenjob geweckt hat«, erklärte ich ihm. »Ich war einer der Programmierer, die eine gewisse soziale Kompetenz hatten, also wurde ich irgendwann zur Phoenix-Station geschickt, um Raumschiffssoftware kundengerecht einzurichten. Daher verbrachte ich viel Zeit in Schiffen, unterhielt mich mit der Besatzung und hörte zu, wenn die Leute darüber sprachen, wo sie überall im Universum gewesen waren. Wenn man das lange genug macht, kommt es einem wie eine große Verschwendung von Lebenszeit vor, an einem Arbeitstisch zu sitzen und Programmzeilen zu bearbeiten. Ich wollte sehen, was es da draußen alles gibt. Also begann ich eine Pilotenausbildung. Das war vor sieben Jahren.«

»Nicht gerade ein Aufstieg, was die Bezahlung betrifft«, sagte Han.

Ich zuckte mit den Schultern. Ich dachte mir, dass es beiläufig und cool rüberkam, nach dem Motto: He, es gibt wichtigere Dinge als Geld, und nicht wie: He, ich lebe noch bei meinen Eltern, denen ich allmählich auf die Nerven gehe, also nehme ich, was ich kriegen kann. Jedenfalls stimmte beides. Eine Menge Dinge können viel wichtiger als Geld sein, wenn man keine anderen Möglichkeiten hat.

Nicht dass ich hier meine Eltern als die Bösen hinstellen will. Es geht nur darum, dass sie mir klargemacht hatten, dass es eine Sache war, mich zu unterstützen, während ich mich die Karriereleiter hinaufarbeitete, aber eine ganz andere, einen zweiunddreißig Jahre alten Mann zu unterstützen, der sich zwischen den Aufträgen zu Hause den Hintern platt sitzt. Sie würden mich vielleicht nicht verhungern lassen, aber sie wollten mir das Leben auch nicht zu einfach machen.

Was völlig in Ordnung war. Schließlich war ich nicht arbeitslos, weil ich faul war.

»Hier steht, dass Sie die letzten neun Monate arbeitslos waren«, sagte Han.

»Ich hatte Ärger mit meinem letzten Job«, sagte ich.

»Wollen Sie das genauer erklären?«

Davor konnte ich mich wohl nicht drücken. »Ich wurde angeschwärzt«, sagte ich.

»Von wem?«

»Von Captain Werner Ostrander von der Lastan Falls.«

Ich glaubte, den Ansatz eines Lächelns auf Hans Lippen zu sehen. »Weiter«, sagte er.

»Dazu gibt es nicht viel mehr zu sagen«, erwiderte ich. »Ich war zweiter Pilot der Baikal, und es war klar, dass sich der erste Pilot in absehbarer Zeit beruflich nicht weiterentwickeln würde. Als ich dann hörte, dass der Posten des ersten Piloten der Lastan frei geworden war, habe ich diese Gelegenheit sofort genutzt. Allerdings wusste ich nicht, dass es einen Grund gab, warum die Lastan in zwei Jahren sechs Piloten verschlissen hat, und als ich es herausfand, war es bereits zu spät. Schließlich habe ich meinen Vertrag gebrochen.«

»Das muss teuer gewesen sein.«

»Es war jeden Cent wert«, sagte ich. »Außerdem habe ich gegenüber dem Chefsteward den Namen meiner Mutter fallen lassen. Sie ist Anwältin für Arbeitsrecht. Die anschließende Sammelklage gegen Ostrander verlief, sagen wir, sehr befriedigend.«

Dazu lächelte Han definitiv.

»Aber es bedeutet auch, dass Ostrander nun großen Wert darauf legt, jeden vor mir zu warnen, bei dem ich mich um einen Pilotenjob bewerbe«, sagte ich. »Niemand mag Leute, die Ärger machen.«

»Nein, das stimmt«, pflichtete Han mir bei, und innerlich stöhnte ich, weil ich mir dachte, dass ich mir damit meine letzten Chancen auf diesen Job versaut hatte. »Andererseits war ich selbst für ein Jahr Besatzungsmitglied der Lastan Falls, ganz zu Anfang meiner Karriere.«

Ich blinzelte. »Wirklich?«

»Ja«, bestätigte Han. »Sagen wir einfach, ich verstehe, dass Sie Ihren Vertrag auflösen wollten. Und irgendwann würde ich auch gern genauere Einzelheiten über das Gerichtsverfahren hören.«

Ich grinste. »Alles klar, Sir.«

»Ich werde ganz offen sein, Mr. Daquin«, sagte Han. »Dieser Posten wird für Sie ein Schritt zurück sein. Es geht um die Stelle des dritten Piloten und um rein kommerzielle Flüge. Wir kommen hierher, dann geht es nach Huckleberry, dann nach Erie, dann wiederholt sich alles. Es passiert nichts Aufregendes, und genauso wie an Bord der Baikal bestehen nur geringe Chancen auf Beförderungen.«

»Lassen Sie mich genauso offen sein«, sagte ich. »Ich habe neun Monate am Grund einer Schwerkraftsenke verbracht. Sie wissen genauso gut wie ich, dass ich dort festsitzen würde, wenn ich noch länger geblieben wäre. Sie brauchen in diesem Moment einen neuen Piloten, damit Sie auf Ihren Flügen nicht zu viel Zeit und Geld verlieren. Das habe ich verstanden. Ich muss von hier weg, damit ich anderswo eine Chance auf den Posten als erster Pilot erhalte, ohne dass Ostranders Veto über mir schwebt. Mir scheint, wir sitzen beide im selben Boot und können uns gegenseitig aushelfen.«

»Ich wollte nur sicherstellen, dass es bei allen Beteiligten keine zu großen Erwartungen gibt«, sagte Han.

»Ich mache mir keine Illusionen, Sir.«

»Gut. Dann kann ich Ihnen einen Tag Zeit geben, um hier all Ihre Geschäfte abzuschließen.«

Ich bückte mich und klopfte auf den Seesack zu meinen Füßen. »Alle Geschäfte sind erledigt. Es gibt nur noch eins, was ich tun muss: meinen Freund Hart suchen und ihm einen Drink spendieren, weil er dieses Bewerbungsgespräch arrangiert hat.«

»Es wäre gut, wenn Sie das schnell erledigen könnten, weil ein Shuttle zur Chandler in ein paar Stunden von Gate sechsunddreißig abfliegt.«

»Ich werde an Bord sein, Sir«, sagte ich.

»Sehr gut«, sagte Han, stand auf und reichte mir die Hand. »Willkommen in der Chandler, Pilot.«

Ich schüttelte seine Hand. »Vielen Dank, Sir. Es freut mich, dabei sein zu dürfen.«

Ich fand Hart eine halbe Stunde später auf der anderen Seite der Phoenix-Station bei einem Empfang für seine Chefin, Botschafterin Abumwe.

»Sie bekommt den Orden für verdienstvolle Leistungen«, sagte Hart. Er war bei seinem zweiten Glas gewürztem Punsch, und da er Alkohol noch nie gut vertragen hatte, war er bereits ein wenig beschwipst. Außerdem trug er eine förmliche diplomatische Uniform. Mir kam der Gedanke, dass er damit wie ein Portier aussah. Andererseits hatte ich soeben den größten Teil des vergangenen Jahres in Jogginghosen verbracht, also durfte ich mir streng genommen kein Urteil erlauben.

»Was für verdienstvolle Dinge hat sie getan?«, fragte ich.

»Zunächst einmal hat sie ihr gesamtes Team am Leben erhalten, als die Erdstation angegriffen wurde«, sagte Hart. »Du hast von der Erdstation gehört?«

Ich nickte. Die Koloniale Union war ziemlich gut darin, schlechte Nachrichten daran zu hindern, dass sie die Zivilisten in den Kolonien erreichten, aber manche Dinge waren schwieriger zu verheimlichen als andere. Zum Beispiel die Nachricht, dass die einzige Raumstation der Erde von unbekannten Terroristen zerstört wurde, dass dabei Tausende getötet wurden, einschließlich der Elite des diplomatischen Korps der Erde, und dass die Erde der Kolonialen Union die Schuld daran gab und sämtliche diplomatischen und wirtschaftlichen Verbindungen abgebrochen hatte.

Ja, so etwas war wirklich nicht so leicht zu verheimlichen.

Die offizielle Version der Kolonialen Union besagte lediglich, dass es ein terroristischer Angriff war. Alles Weitere hatte ich von früheren Schiffskameraden und Freunden wie Hart erfahren. Wenn man am Grund einer Schwerkraftsenke lebt, hört man üblicherweise nur die offizielle Geschichte. Menschen, die tatsächlich zwischen den Sternen unterwegs sind, hören viel mehr. Es ist schwierig, die offizielle Darstellung solchen Menschen zu verkaufen, die viel mit eigenen Augen sehen.

»Einige Leute konnten sich selbst retten«, sagte Harry Wilson, ein Freund von Hart, mit dem er mich kurz zuvor bekannt gemacht hatte. Wilson war ein Angehöriger der Kolonialen Verteidigungsarmee, was seine grüne Haut auf den ersten Blick verriet. Das und die Tatsache, dass er genauso alt wie mein jüngerer Bruder aussah, aber vermutlich um die 120 Jahre alt war. Es hatte gewisse Vorteile, einen genetisch modifizierten, nicht mehr ganz menschlichen Körper zu haben, solange es einen nicht störte, dass man die Farbe eines Avocado-Dips hatte. »Zum Beispiel dein Freund Hart. Er machte sich auf den Weg zu einer Rettungskapsel und katapultierte sich aus der Erdstation, während ihm buchstäblich alles um die Ohren flog.«

»Eine leichte Übertreibung«, sagte Hart.

»Nein, die Station ist dir buchstäblich um die Ohren geflogen«, sagte Wilson.

Hart winkte ab und sah mich wieder an. »Harry lässt es viel dramatischer klingen, als es war.«

»Es klingt ziemlich dramatisch«, räumte ich ein.

»Die Raumstation flog ihm um die Ohren«, wiederholte Wilson und betonte den letzten Teil.

»Während des Fluges zur Erde war ich die meiste Zeit bewusstlos«, sagte Hart. »Und ich glaube, das war auch gut so.«

Ich nickte in Richtung Botschafterin Abumwe, die ich von Fotos wiedererkannte. Sie befand sich auf der anderen Seite der Empfangshalle und schüttelte die Hände von Leuten, die sich in einer Reihe aufgestellt hatten, um sie zu beglückwünschen. »Wie war die Feier?«

»Schmerzhaft«, sagte Wilson.

»Es war ganz okay«, sagte Hart.

»Schmerzhaft«, wiederholte Wilson. »Der Typ, der den Orden überreicht hat …«

»Staatssekretär Tyson Ocampo, der stellvertretende Außenminister«, sagte Hart.

»… ist ein aufgeblasener Wichtigtuer«, fuhr Wilson fort. »Im diplomatischen Korps habe ich schon viele Leute getroffen, die in den Klang ihrer eigenen Stimme verliebt sind, aber dieser Kerl ist die Krönung.«

»So schlimm war es gar nicht«, sagte Hart zu mir.

»Du hast Abumwes Gesicht gesehen, während dieser Idiot herumgeschwafelt hat«, sagte Wilson zu Hart.

»Ocampo«, sagte Hart, dem es offensichtlich überhaupt nicht gefiel, dass der stellvertretende Außenminister als »dieser Idiot« bezeichnet wurde. »Die Nummer zwei im Ministerium. Und mit ihrem Gesicht war alles in Ordnung.«

»Sie hatte eindeutig ihren Bitte-halt-endlich-die-Klappe-Gesichtsausdruck aufgesetzt«, sagte Wilson zu mir. »Glaubt mir, den habe ich schon oft gesehen.«

Ich warf einen Blick zu Hart. »Das stimmt«, sagte er. »Harry hat das Klappe-halten-Gesicht der Botschafterin viel öfter als die meisten gesehen.«

»Wo wir grade vom Teufel sprechen«, sagte Wilson und machte eine leichte Kopfbewegung. »Schaut mal, wer da kommt.« Ich blickte mich um und sah einen Mann in mittlerem Alter in einer prächtigen diplomatischen Uniform der Kolonialen Union, der zusammen mit einer jungen Frau in unsere Richtung lief.

»Der aufgeblasene Wichtigtuer?«, fragte ich.

»Staatssekretär Ocampo«, sagte Hart mit Nachdruck.

»Läuft auf dasselbe hinaus«, sagte Wilson.

»Meine Herren«, sagte Ocampo, als er uns erreicht hatte.

»Guten Tag, Staatssekretär Ocampo«, sagte Wilson sehr freundlich, und ich glaubte zu sehen, wie sich Hart möglicherweise ein wenig entspannte. »Was können wir für Sie tun, Sir?«

»Nun, da Sie zwischen mir und dem Punsch stehen, könnten Sie vielleicht so freundlich sein, mir ein Glas zu reichen«, sagte er.

»Lassen Sie mich das übernehmen«, sagte Hart und hätte dabei fast sein eigenes Glas fallen gelassen.

»Vielen Dank«, sagte Ocampo. »Schmidt, nicht wahr? Einer von Abumwes Leuten.« Dann wandte er sich an Wilson. »Und Sie sind?«

»Lieutenant Harry Wilson.«

»Tatsächlich«, sagte Ocampo beeindruckt. »Sie waren es, der die Tochter des Außenministers der Vereinigten Staaten rettete, als die Erdstation zerstört wurde.«

»Danielle Lowen«, sagte Wilson. »Und ja. Sie ist natürlich auch eine eigenständige Diplomatin.«

»Natürlich«, sagte Ocampo. »Aber es kann nicht schaden, dass sie die Tochter von Außenminister Lowen ist. Das ist ein Grund, warum die USA eines der wenigen Länder der Erde sind, die auf jeder Ebene mit der Kolonialen Union reden wollen.«

»Es freut mich, dass ich helfen konnte«, sagte Wilson.

Hart reichte ihm einen Punsch.

»Vielen Dank«, sagte Ocampo zu Hart und wandte sich dann wieder Wilson zu. »Wie ich hörte, haben Sie mit Miss Lowen den Sprung von der Raumstation bis hinunter zur Erde überstanden.«

»Das ist richtig, Sir«, sagte Wilson.

»Das muss eine beeindruckende Erfahrung gewesen sein.«

»Ich erinnere mich hauptsächlich an meine Bemühungen, es am Ende nicht ›Platsch‹ machen zu lassen.«

»Natürlich«, sagte Ocampo. Als Nächstes sah er mich an, bemerkte das Fehlen einer Galauniform und den Seesack zu meinen Füßen und wartete darauf, dass ich mich selbst vorstellte.

»Rafe Daquin«, beantwortete ich seine unausgesprochene Frage. »Ich bin uneingeladen auf dieser Party, Sir.«

»Er ist ein Freund von mir, der sich zufällig in der Station aufhält«, sagte Hart. »Er ist Pilot eines Handelsschiffs.«

»Oh«, sagte Ocampo. »Welches?«

»Die Chandler«, sagte ich.

»Das ist ja interessant«, sagte Ocampo. »Ich habe eine Passage mit der Chandler gebucht.«

»Tatsächlich?«, sagte ich.

»Ja. Es ist schon einige Jahre her, seit ich zum letzten Mal Urlaub gemacht habe, und ich hatte beschlossen, mir einen Monat freizunehmen, um in den Connecticut-Bergen auf Huckleberry zu wandern. Das ist das nächste Flugziel der Chandler, sofern ich mich nicht irre«, sagte Ocampo.

»Ich hätte gedacht, dass Sie einfach ein Schiff des Ministeriums nehmen könnten«, sagte ich.

Ocampo lächelte. »Ich fürchte, es würde keinen guten Eindruck machen, ein Ministeriumsschiff als Privattaxi zu requirieren. Wie ich hörte, bietet die Chandler einige Kabinen für Passagiere an. Ich habe eine für mich und Vera gebucht«, sagte er und nickte seiner Assistentin zu. »Wie sind sie?«

»Die Kabinen?«, fragte ich. Ocampo nickte. »Ich bin mir nicht sicher.«

»Rafe wurde erst vor ungefähr einer Stunde angeheuert«, erklärte Hart. »Er war noch nicht mal an Bord des Schiffs. Er wird in etwa einer Stunde mit einem Shuttle hinüberfliegen.«

»Das wäre dasselbe Shuttle, das auch Sie nehmen werden«, sagte Vera zu Ocampo.

»Also werden wir diese Erfahrung gemeinsam erleben«, sagte der Staatssekretär zu mir.

»Es scheint so«, sagte ich. »Wenn Sie möchten, würde ich Sie und Ihre Assistentin gern zum Shuttle-Gate führen, sobald Sie bereit sind.«

»Vielen Dank, es wäre mir ein Vergnügen«, sagte Ocampo. »Ich lasse Ihnen von Vera Bescheid geben, wenn wir so weit sind. Bis dahin alles Gute, meine Herren.« Er nickte und spazierte mit seinem Punsch davon, dicht gefolgt von Vera.

»Sehr diplomatisch«, sagte Wilson zu mir, nachdem er außer Sichtweite war.

»Du bist aus einer explodierenden Raumstation gesprungen?«, wechselte ich das Thema.

»Zu diesem Zeitpunkt explodierte noch gar nicht so viel«, antwortete Wilson.

»Und du bist gerade noch rechtzeitig mit einer Rettungskapsel entkommen«, sagte ich zu Hart. »Wenn es um aufregende Dinge geht, bin ich offensichtlich in der falschen Branche der Weltraumfahrt.«

»Glaub mir«, sagte Wilson. »So viel Aufregung willst du nicht haben.«

Wie angekündigt war die Chandler ganz und gar nicht aufregend.

Aber das sollte sie auch gar nicht sein. Ich erwähnte bereits, dass die Chandler einer festen Dreiecksroute folgt. Das bedeutet, dass man drei Flugziele hat, die alle etwas haben wollten, das auf den anderen Planeten hergestellt und von dort exportiert wird. Huckleberry ist zum Beispiel eine landwirtschaftlich geprägte Kolonie – ein großer Anteil der Landmasse liegt dort in einer gemäßigten Zone, die wunderbar für menschlich genutzte Feldfrüchte geeignet ist. Wir übernehmen Weizen, Mais, Gaalfrüchte und ein paar andere pflanzliche Erzeugnisse und bringen sie nach Erie. Die Kolonisten von Erie bezahlen Höchstpreise für landwirtschaftliche Produkte von Huckleberry, weil sie … ich weiß nicht genau. Ich glaube, die Leute halten sie für gesünder oder so. Was auch immer der Grund sein mag, sie wollen das Zeug haben, und wir bringen es ihnen. Im Gegenzug verladen wir alle möglichen seltenen Erdmetalle, von denen Erie jede Menge besitzt.

Diese bringen wir nach Phoenix, dem Hightech-Zentrum der Kolonialen Union. Und von dort holen wir Sachen wie medizinische Scanner und PDAs und alles andere, was sich in der Massenproduktion günstiger herstellen und transportieren lässt, als würde man versuchen, es zu Hause selbst mit einem Drucker zusammenzusetzen. Dann bringen wir diese Sachen nach Huckleberry, wo es kaum Industrieanlagen gibt. Waschen, spülen, wiederholen. Solange man das Dreieck in der richtigen Richtung abarbeitet, kann man sehr reich werden.

Aber es ist nicht aufregend, ganz gleich, wie man »aufregend« definiert. Diese drei Kolonien sind etabliert und gut geschützt. Huckleberry ist die jüngste und inzwischen fast hundert Jahre alt, während Phoenix die älteste ist und von allen Planeten der Kolonialen Union über die beste Verteidigung verfügt. Das heißt, man erkundet keine neuen Welten, wenn man hier Handel treibt. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass man auf Piraten oder andere unangenehme Leute stößt. Man begegnet keinen fremdartigen neuen Aliens oder überhaupt irgendwelchen Aliens. Man transportiert Lebensmittel, Erz und Geräte. Das hat nichts mit der Romantik des Weltraums zu tun. Es ist einfach nur eine nette, bequeme Routine.

Andererseits war mir das alles ziemlich egal. Ich hatte schon genug vom Weltraum gesehen und gelegentlich ein wenig Aufregung erlebt. Als ich in der Baikal gearbeitet hatte, wurden wir vier Tage lang von Piraten verfolgt und mussten am Ende unsere Fracht ausschleusen. Sie jagen einen nicht mehr, wenn man das tut, weil man dann nichts mehr hat, woran sie interessiert wären. Normalerweise. Manchmal werden sie sauer, wenn man die Fracht abstößt, und versuchen dann, einem eine Rakete ins Triebwerk zu feuern, um ihr Missfallen zum Ausdruck zu bringen.

Also ja. Wie Harry Wilson betont hatte, wird Aufregung häufig überbewertet.

Wie auch immer, im Moment wollte ich keine Aufregung. Ich wollte nur eine Arbeit. Wenn das bedeutete, das Navigationssystem der Chandler zu hüten, während es Daten für einen Kurs verdaute, den sie schon tausendmal zuvor abgearbeitet hatte, konnte ich damit gut leben. Wenn ich mit diesem Job fertig war, hätte sich der schwarze Fleck auf meiner Weste verflüchtigt. Auch damit konnte ich gut leben.

Die Chandler selbst war ein normaler Frachttransporter, was heißt, dass sie eine ehemalige Fregatte der Kolonialen Verteidigungsarmee war, die man zum Fracht- und Handelsschiff umgerüstet hatte. Sie war natürlich eine Spezialanfertigung, aber solche Frachtschiffe wurden zumeist von großen Reedereien in Auftrag gegeben und genutzt. Die Chandler war das einzige Schiff des kleinen Eigentümerkonsortiums. Sie hatten die ausgemusterte Fregatte, die schließlich zur Chandler wurde, bei einer Auktion ersteigert.

Als ich vor dem Bewerbungsgespräch recherchiert hatte (man sollte immer recherchieren, was ich bei der Lastan Falls nicht gemacht hatte und mich teuer zu stehen kam), stieß ich auf Bilder der Fregatte während der Auktion, wo sie »wie gesehen« verkauft wurde. Irgendwann davor war sie übel zugerichtet worden. Aber nach der Generalüberholung war sie fast zwei Jahrzehnte lang im Dienst gewesen. Ich dachte mir, dass sie mich nicht versehentlich in den Weltraum ausspucken würde.

Ich unternahm den Shuttleflug mit Staatssekretär Ocampo und seiner Assistentin (deren Nachname, wie ich schließlich erfuhr, Briggs lautete, was ich aber nicht vom Staatssekretär erfuhr, sondern der Passagierliste entnahm) und verabschiedete mich an Bord des Schiffs von ihnen. Dann meldete ich mich bei Han und meiner unmittelbaren Vorgesetzten, der ersten Pilotin Clarine Bolduc, und dann bei Quartiermeisterin Seidel, die mir mein Quartier zuwies. »Sie haben Glück«, sagte sie zu mir. »Sie bekommen ein Privatquartier. Zumindest bis wir Erie erreicht haben, wo wir neue Besatzungsmitglieder aufnehmen werden. Dann können Sie sich mit zwei Mitbewohnern bekannt machen. Genießen Sie die Privatsphäre, solange es geht.«

Ich ging zu meinem Quartier, das die Größe einer Besenkammer hatte. Theoretisch konnte man dort drei Personen unterbringen. Aber nur, wenn man die Tür nicht schloss, weil sonst der Sauerstoff knapp wurde. Allerdings konnte ich mir meine Koje selbst aussuchen, was immerhin ein Pluspunkt war.

Beim Abendessen in der Messe stellte Bolduc mich den anderen Offizieren und Abteilungsleitern vor.

»Sie werden doch hoffentlich keine Gaunereien während Ihrer Freizeit durchziehen«, sagte Chieko Tellez, die stellvertretende Frachtmeisterin, während ich mit meinem Tablett Platz nahm.

»Ich habe ihn gründlich überprüft«, sagte Han zu ihr. »Er ist sauber.«

»Hab nur einen Witz gemacht«, sagte Tellez zu Han und wandte sich wieder an mich. »Sie haben von Ihrem Vorgänger gehört?«

»Ja, ein wenig«, sagte ich.

»Eine Schande«, sagte Tellez. »Er war ein netter Kerl.«

»Solange man ihm die Neigung zu Bestechung, Schiebung und Bigamie nachsieht«, sagte Bolduc.

»All das hat er nie mit mir gemacht, und das ist letztlich das Einzige, was zählt«, sagte Tellez und warf mir einen Blick und ein Lächeln zu.

»Ich kann nicht unterscheiden, wann Sie einen Witz machen und wann nicht«, gestand ich ein.

»Chieko macht niemals Witze«, sagte Bolduc. »Und jetzt wissen Sie es.«

»Manche von uns mögen ein wenig Humor«, sagte Tellez zu Bolduc.

»Witze machen ist nicht dasselbe wie Humor«, erwiderte Bolduc.

»Hmpf«, machte Tellez. Sie erweckte nicht den Eindruck, dass sie sich über die Bemerkung ärgerte. Vermutlich stichelten sich die beiden regelmäßig, was keineswegs schlecht war. Offiziere, die gut miteinander zurechtkamen, waren ein Zeichen für eine zufriedene Crew.

Tellez wandte mir wieder ihre Aufmerksamkeit zu. »Sie sind im Shuttle mit diesen Saftsäcken vom Außenministerium rübergekommen, nicht wahr?«

»Richtig«, sagte ich.

»Haben sie gesagt, warum sie dieses Schiff genommen haben?«

»Staatssekretär Ocampo wird Urlaub auf Huckleberry machen«, sagte ich. »Da wir dorthin unterwegs sind, haben er und seine Assistentin ein paar unbelegte Kabinen gemietet.«

»An seiner Stelle hätte ich einfach ein Ministeriumsschiff genommen«, sagte Bolduc.

»Er sagte, so etwas würde keinen guten Eindruck machen«, erwiderte ich.

»Ich bin mir sicher, dass er sich deswegen tatsächlich Gedanken macht«, sagte Bolduc.

»Seidel meinte, Ocampo hätte ihr erzählt, dass er unauffällig reisen will und ohne das Gefühl zu haben, dass er mit seinem Titel herumwedelt«, sagte Han.

»Glauben Sie das?«, fragte Bolduc. Han zuckte mit den Schultern. Dann wandte Bolduc sich mir zu. »Sie haben mit ihm gesprochen?«

»In der Tat«, sagte ich.

»Klingt das für Sie glaubwürdig?«

Ich dachte an das, was Wilson gesagt hatte − dass Ocampo in den Klang seiner eigenen Stimme verliebt war −, und wie Ocampo während des Shuttlefluges, nachdem der Austausch von Höflichkeiten erledigt war, Vera Briggs einige Notizen diktiert hatte. »Nein, er kommt mir nicht wie jemand vor, der gern unauffällig bleibt«, sagte ich.

»Vielleicht vögelt er nur seine Assistentin und will in dieser Hinsicht unauffällig bleiben«, sagte Tellez.

»Nein, das ist es nicht«, erwiderte ich.

»Erklären Sie das«, sagte Tellez.

Ich zuckte mit den Schultern. »Solche Schwingungen habe ich bei beiden nicht gespürt.«

»Und wie gut ist Ihr Sinn für Schwingungen im Allgemeinen, Daquin?«

»Recht gut.«

»Welche Schwingungen spüren Sie von mir?«, fragte Tellez.

»Sie haben einen sehr skurrilen Sinn für Humor«, sagte ich.

»Auf seine Intuition ist eindeutig Verlass«, sagte Bolduc.

Tellez warf Bolduc einen bösen Blick zu, den diese ignorierte. »Warum will überhaupt jemand Urlaub auf Huckleberry machen?«, fragte sie. »Wir waren schon dort. Mehrere Male. Dort gibt es nichts, was eine Urlaubsreise lohnen würde.«

»Er sagte, dass er in den Connecticut-Bergen wandern will«, sagte ich. »Was auch immer das sein mag.«

»Ich hoffe, er hat eine Jacke eingepackt«, sagte Han. »Die Connecticuts sind ein Polargebirge, und auf Huckleberrys nördlicher Hemisphäre herrscht gerade Winter.«

»Er hat mehrere Gepäckkisten dabei«, sagte ich. »Seine Assistentin beklagte sich, dass er dreimal so viel Kleidung mitgenommen hat, wie er braucht. Wahrscheinlich sind auch ein oder zwei Jacken in den Kisten.«

»Wollen wir es hoffen«, sagte Han. »Andernfalls wird der Urlaub eine große Enttäuschung für ihn sein.«

Aber wie sich herausstellte, sollte es überhaupt kein Urlaub sein.

Ich schaute von meinem Sitz auf und sah, wie Captain Thao und Lee Han auf mich herabblickten, Thao mit extrem angepisster Miene, und mein erster Gedanke war: Scheiße, ich weiß nicht mal, was ich jetzt falsch gemacht habe.

Mein zweiter Gedanke war Überraschung, dass ich sie überhaupt sah. Ich war der dritte Pilot, was bedeutete, dass ich die Schichten hatte, in denen der Captain normalerweise gar nicht auf der Brücke war. Für gewöhnlich schlief sie in dieser Zeit oder kümmerte sich um andere Schiffsangelegenheiten, während ich auf dem Pilotensitz hockte. In den drei Tagen, die ich bislang als Pilot tätig gewesen war, hatte der Erste Offizier Han auf dem Kommandosessel gesessen, und in dieser Zeit hatten wir hauptsächlich nichts gemacht. Der Kurs von der Phoenix-Station bis zu unserem Skip-Punkt war für uns von der Phoenix-Station berechnet worden, und ich musste lediglich darauf achten, dass wir nicht aus irgendeinem Grund abdrifteten.

Wir waren nicht abgedriftet. Ich hätte während meiner gesamten Schichten schlafen können, ohne dass irgendetwas anders abgelaufen wäre.

Es waren noch zwölf Stunden bis zum Skip. Wenn es so weit war, würde der Captain auf dem Kommandosessel sitzen, Bolduc wäre die Pilotin, mit dem zweiten Piloten Schreiber als Assistent, und wenn ich Glück hatte, würde ich in meiner Kabine schlafen. Wenn der Captain jetzt auf der Brücke erschien, konnte das nur bedeuten, dass irgendetwas nicht stimmte. Und wenn sie genau vor meinem Sitz stand, hatte das, was nicht stimmte, möglicherweise mit mir zu tun. Obwohl ich immer noch keine Ahnung hatte, was das sein mochte. Wie gesagt, auf unserem Flug zum Skip-Punkt waren wir genau dort, wo wir sein sollten. Es gab buchstäblich nichts, was ich falsch gemacht haben könnte.

»Ja, Ma’am?«, sagte ich. Wenn du nicht weiterweißt, sei bereit, einen Befehl anzunehmen.

Captain Thao hielt mir eine Speicherkarte hin. Ich blickte darauf, als wäre ich ein Idiot. »Das ist eine Speicherkarte«, sagte ich.

»Ich weiß, was das ist«, sagte Captain Thao. »Sie müssen mir damit helfen.«

»Gut«, sagte ich. »Wie?«

»Sie haben als Programmierer an den Navigationssystemen gearbeitet, nicht wahr? Lee hat mir davon erzählt.«

»Vor mehreren Jahren, ja«, sagte ich und blickte zu Han, dessen Miene völlig ausdruckslos war.

»Also wissen Sie, wie es funktioniert.«

»Ich hatte nie mit den neuesten Versionen der Software zu tun, aber sie wurden mit der gleichen Sprache und den gleichen Compilern programmiert«, sagte ich. »Es wäre kein großes Problem, mich auf den neuesten Stand zu bringen.«

»Das Navigationssystem ist imstande, codierte Befehle zu übernehmen, nicht wahr? Flugziele können eingegeben werden, ohne dass sie offen angezeigt werden.«

»Klar«, sagte ich. »Das ist eine Standardfunktion. Ursprünglich wurde sie für militärische Navigationssoftware entwickelt, damit es schwieriger wird, das Flugziel auszulesen, falls ein Schiff oder eine Drohne gekapert wird. Bei Handelsschiffen benutzen wir normalerweise nicht den gesicherten Modus, weil es keinen Sinn hätte. Wir müssen der Kolonialen Union sowieso unseren Kurs übermitteln. Man weiß, wohin wir unterwegs sind.«

»Ich habe hier ein verschlüsseltes Flugziel auf dieser Speicherkarte«, sagte Thao. »Können Sie mir sagen, welches es ist?«

»Nein«, sagte ich. »Es ist verschlüsselt.« Dann wurde mir bewusst, dass mir meine letzte Bemerkung möglicherweise im herablassenden Tonfall eines Nerds herausgerutscht war, also fügte ich hastig hinzu: »Damit meine ich, dass ich es nur mit dem Verschlüsselungscode machen könnte. Den ich nicht habe.«

»Das System hat ihn«, sagte Thao.

»Richtig, aber das System verrät uns nicht, wie er lautet«, sagte ich. »Der Sinn des gesicherten Modus liegt darin, dass nur der Navigationscomputer weiß, wohin das Schiff fliegen soll.«

»Könnten Sie es ohne den Code knacken?«

»Die Verschlüsselung?«, fragte ich. Thao nickte. »Wie viel Zeit habe ich?«

»Wie viel Zeit haben wir bis zum Skip?«

Ich konsultierte meinen Monitor. »Zwölf Stunden und dreiundzwanzig Minuten.«

»So viel Zeit haben auch Sie.«

»Nein«, sagte ich. »Vielleicht schaffe ich es, wenn Sie mir einen Monat Zeit geben. Oder wenn ich Passwörter oder biometrische Daten oder was auch immer hätte, mit dem die Person, die Ihnen diese Speicherkarte gegeben hat, den verschlüsselten Befehl eingegeben hat.« Ich zeigte auf die Karte. »Wurde die Verschlüsselung an Bord der Chandler eingegeben?«

»Nein.«

»Das heißt, dass ich viel mehr Zeit brauchen würde, als wir haben, Ma’am.«

Captain Thao nickte mürrisch und sah Han an.

»Darf ich fragen, worum es geht, Ma’am?«, sagte ich.

»Nein«, antwortete Captain Thao. Sie reichte mir die Speicherkarte. »Ich möchte, dass Sie dieses neue Ziel ins Navigationssystem eingeben. Sagen Sie Han Bescheid, wenn Sie damit fertig sind und das neue Flugziel bestätigt wurde.«

Ich nahm die Karte entgegen. »Es wird etwa anderthalb Minuten dauern«, sagte ich.

»Gut«, sagte Thao. »Sagen Sie Han trotzdem Bescheid.« Sie ging ohne ein weiteres Wort. Ich blickte mich zu Han um. Er arbeitete weiter daran, eine neutrale Miene zu wahren.

»Mr. Daquin«, sagte Staatssekretär Ocampo, als er die Tür zu seiner Kabine öffnete und mich im Korridor stehen sah. »Ein unerwarteter Besuch. Treten Sie bitte ein.« Er machte einen Schritt zur Seite, um mich hereinzulassen.

Ich ging in die Kabine, die ungefähr doppelt so groß wie meine war, also etwa so geräumig wie zwei Besenkammern. Ein großer Teil des Platzes wurde von Ocampos Gepäck beansprucht, das, wie Vera Briggs angedeutet hatte, recht viel für eine vierwöchige Urlaubsreise war. Meiner Einschätzung nach konnte Ocampo durchaus jemand sein, der stets mit großer Garderobe unterwegs war, also war diese Menge vielleicht gar nicht so ungewöhnlich für ihn.

»Entschuldigen Sie, dass es hier so beengt ist«, sagte Ocampo.

»Die Kabine ist größer als meine«, sagte ich.

»Das will ich doch hoffen!«, sagte Ocampo und lachte dann. »Nichts für ungut«, fügte er hinzu.

»Kein Problem.«

»Wir haben Glück, dass Vera nicht ebenfalls anwesend ist, dann könnten wir uns gar nicht mehr bewegen«, sagte Ocampo und setzte sich auf den Stuhl neben dem winzigen Tisch. »Nun lassen Sie mich raten, weswegen Sie hier sind, Mr. Daquin. Ich vermute, irgendwann in den letzten paar Stunden ist Ihr Captain mit einem neuen Flugziel zu Ihnen gekommen. Korrekt?«

»Gut möglich«, sagte ich.

»Sehr gut möglich«, erwiderte Ocampo. »Und dieses neue Flugziel ist geheim, weswegen ich den starken Verdacht hege, dass Sie und die übrige Besatzung der Chandler muntere Spekulationen angestellt haben, wo dieses neue Flugziel liegen könnte, warum wir dorthin fliegen und warum Ihr Captain einem Befehl folgt, den ihr eigentlich niemand hätte geben können. Liege ich damit ungefähr richtig?«

»Im Großen und Ganzen, ja.«

»Und ich wette, Sie wurden vom Rest der Besatzung auserkoren, sich wegen dieser Sache an mich zu wenden, weil wir im selben Boot zur Chandler herübergekommen sind.«

»Nein, Sir«, sagte ich. »Sie haben recht, dass die Besatzung darüber spekuliert. Aber niemand hat mich zu irgendetwas überredet. Ich bin aus eigenem Antrieb gekommen.«

»Das beweist entweder Initiative oder Dummheit, Mr. Daquin.«

»Ja, Sir.«

»Vielleicht etwas von beidem.«

»Das ist gleichermaßen möglich, Sir.«

Ocampo lachte. »Sie verstehen sicher, dass ich, wenn ich Ihrem Captain nicht sagen kann, wohin wir fliegen, es Ihnen auch nicht sagen kann.«

»Das verstehe ich«, sagte ich. »Es ist auch nicht das ›Was‹, weswegen ich hier bin. Ich bin wegen des ›Warum‹ hier.«

»Das Warum«, sagte Ocampo.

»Ja«, bestätigte ich. »Zum Beispiel die Frage, warum die Nummer zwei des Außenministeriums der Kolonialen Union vorgibt, eine Urlaubsreise zu einem arktischen Gebirgszug zu unternehmen und dazu ein Frachtschiff benutzt, statt einfach im Zuge einer offiziellen diplomatischen Mission ein Schiff des Außenministeriums zu nehmen, um sich mit seinem Gesprächs- oder Verhandlungspartner zu treffen.«

»Gut«, sagte Ocampo nach einer Weile. »Und ich dachte, ich hätte es besonders schlau angestellt.«

»Das haben Sie«, sagte ich. »Aber innerhalb des Schiffs sieht die Sache etwas anders aus als außerhalb.«

»Wohl wahr. Setzen Sie sich doch, Daquin.« Ocampo zeigte auf seine Koje, und ich setzte mich. »Für den Moment könnten wir ein paar theoretische Szenarien durchspielen. Wären Sie damit vorläufig zufrieden?«

»Klar«, sagte ich.

»Was wissen Sie über die derzeitige Lage in der Kolonialen Union?«

»Ich weiß, dass unsere Beziehungen zur Erde nicht mehr allzu gut sind.«

Ocampo schnaufte. »Sie haben unbeabsichtigt die Untertreibung des Jahres von sich gegeben. Zutreffender wäre die Feststellung, dass die Erde die Koloniale Union abgrundtief hasst, uns für das Böse schlechthin hält und uns allen den Tod wünscht. Sie geben uns die Schuld an der Zerstörung der Erdstation, die ihr Hauptzugang zum Weltraum war. Sie glauben, wir hätten es getan.«

»Was nicht stimmt.«

»Nein, natürlich nicht. Aber viele der gekaperten Schiffe, die man beim Angriff benutzt hat, waren Einheiten der Kolonialen Union. Wenigstens davon müssten Sie gehört haben. Frachtschiffe wie dieses, die erbeutet und zu Kampfeinheiten umgerüstet wurden.«

Ich nickte. Das war eins der wilderen Gerüchte, die derzeit im Umlauf waren – dass Piraten oder Leute, die sich als Piraten ausgaben, Schiffe enterten, nur dass sie es gar nicht auf die Fracht, sondern auf die Schiffe selbst abgesehen hatten. Diese Schiffe benutzten sie dann für Angriffe auf Ziele in der Kolonialen Union und in der Konklave, ein großes politisches Bündnis verschiedener Alien-Völker.

Ich hielt es für ein wildes Gerücht, weil es nicht allzu viel Sinn ergab. Nicht, was die Kaperung der Schiffe betraf – dass dieser Punkt stimmte, wusste ich. Jeder, der im Weltraum unterwegs war, kannte jemanden, der sein Schiff verloren hatte. Aber es ergab keinen Sinn, Frachtschiffe als Angriffseinheiten zu benutzen. Es gab einfachere Möglichkeiten, der Kolonialen Union und der Konklave schwere Schläge zu versetzen.

Aber nun erzählte Ocampo mir, dass dieser Teil nicht nur ein Gerücht war. Dass all das wirklich passierte. Vermutlich ein weiterer Grund, mich darüber zu freuen, auf einer sicheren Handelsroute innerhalb der Grenzen der Kolonialen Union unterwegs zu sein.

Nur dass wir jetzt nicht mehr auf einer sicheren Handelsroute unterwegs waren.

»Weil die Schiffe ursprünglich aus der Kolonialen Union stammen, sieht es danach aus, dass der Angriff von der Kolonialen Union kam«, sagte Ocampo. »Also wurden unsere diplomatischen Beziehungen zu fast allen Nationen der Erde komplett abgebrochen. Selbst zu denen, die nicht völlig abgeschreckt wurden, müssen wir jetzt sehr vorsichtig Kontakt aufnehmen. Haben Sie mich so weit verstanden?«

Ich nickte wieder.

Ocampo nickte ebenfalls. »In diesem Fall, Mr. Daquin, können Sie sich selbst folgende Frage stellen: Wenn die Nummer zwei im Außenministerium der Kolonialen Union einen vorsichtigen diplomatischen Kontakt zur Erde herstellen will, wirklich nur ganz vorsichtig und auf eine Weise, die nicht jeden Beteiligten zwingt, unverzüglich eine politische Position dazu einzunehmen, wie könnte dieser Mann so etwas in die Wege leiten?«

»Vielleicht indem er vorgibt, eine Urlaubsreise zu machen, aber in Wirklichkeit ein Handelsschiff requiriert, das ihn zu einem inoffiziellen Treffen an einem geheimen Ziel bringt.«

»Ja, das könnte eine Möglichkeit sein«, stimmte Ocampo mir zu.

»Aber dazu müsste er den Captain dieses Schiffs von seinem Vorhaben überzeugen.«

»Überzeugungsarbeit kann viele Formen annehmen«, sagte Ocampo. »Eine Form könnte eine offizielle Aufforderung durch die Koloniale Union sein, worauf eine Weigerung des betreffenden Schiffs dazu führen dürfte, dass ihm verweigert wird, an irgendeiner Raumstation anzudocken, die der Kolonialen Union untersteht. Was sämtliche Raumstationen wären, die sich innerhalb der Grenzen der Kolonialen Union befinden.«

»Und das würde passieren, weil der betreffende Captain nicht mitgespielt hat.«

»Offiziell könnten viele denkbare Gründe angegeben werden«, erklärte Ocampo. »Sie könnten sich sogar von Station zu Station und von Fall zu Fall unterscheiden. Aber in Wirklichkeit würde die Koloniale Union ihr Missfallen über den Mangel an Kooperationsbereitschaft zum Ausdruck bringen.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Captain damit glücklich wäre.«

»Nein, wahrscheinlich nicht«, pflichtete Ocampo mir bei.

»Außerdem wäre da noch das Problem, dass das Schiff und seine Eigentümer und die Besatzung Verlust machen würden, weil ihre Handelsroute gestört wurde.«

»Falls so etwas geschehen sollte, rein theoretisch, würden die Eigentümer und die Besatzung des Schiffs in voller Höhe von der Kolonialen Union entschädigt werden, auch für die verlorene Zeit und sonstige angefallene Kosten.«

»Tatsächlich.«

»Aber ja«, sagte Ocampo. »Und jetzt wissen Sie auch, warum so etwas nicht allzu oft geschieht. Weil es verdammt teuer ist.«

»Und all das haben Sie dem Captain gesagt.«

»Ich könnte es getan haben«, sagte Ocampo. »Aber wenn ich es getan habe, kann ich mir vorstellen, dass es sie keineswegs glücklicher macht. Kein Captain mag es, im eigenen Schiff herumkommandiert zu werden. Aber zu diesem Zeitpunkt lässt es sich nicht mehr vermeiden. Wie fühlen Sie sich damit, Mr. Daquin?«

»Ich weiß es nicht. Besser, glaube ich, weil ich jetzt eine ungefähre Vorstellung habe, was los ist. Zumindest falls das, was Sie mir erzählen, zutreffend ist, Sir.«

»Ich habe Ihnen gar nichts erzählt, Mr. Daquin«, sagte Ocampo. »Wir haben lediglich über theoretische Möglichkeiten gesprochen. Und diese Möglichkeit kommt mir recht wahrscheinlich vor. Kommt Ihnen diese Möglichkeit wahrscheinlich vor?«

Ich glaubte, ja.

Am nächsten Tag wurde mir in den Kopf geschossen.

Doch bevor das passierte, fiel ich aus meiner Koje.

Dass ich aus der Koje fiel, war gar nicht der entscheidende Teil. Das war die Tatsache, wie ich aus der Koje fiel. Ich wurde gestoßen – oder genauer gesagt, die Chandler wurde gestoßen, und ich blieb mehr oder weniger dort, wo ich war. Was bedeutete, dass ich eben noch eine Koje unter mir hatte und im der nächsten Sekunde nicht mehr, woraufhin ich durch die Luft zur nächsten Wand flog.

Als das passierte, hatte ich zwei Gedanken. Der erste Gedanke, der, wenn ich ehrlich sein soll, den größten Teil meines Gehirns beanspruchte, war: Waaaaaah!, weil ich zuerst abhob und dann gegen die Wand krachte.

Der zweite Gedanke in dem Teil meines Gehirns, der nicht gerade ausrastete, war, dass dem Schiff etwas Ernsthaftes zugestoßen sein musste. Das künstliche Gravitationsfeld der Chandler und fast aller Raumschiffe ist unglaublich widerstandsfähig – so muss es sein, weil sonst die leichteste Beschleunigung alle menschlichen Insassen zu Brei zermatschen würde. Außerdem dämpft es alle anderen Schiffsbewegungen. Also ist schon eine Menge Energie nötig, um einem Schiff einen so heftigen Stoß zu verpassen, dass Leute aus ihren Kojen fallen.

Darüber hinaus bemerkte ich, dass ich zwar aus der Koje geschleudert worden war, aber nicht zu Boden stürzte. Was bedeutete, dass die künstliche Schwerkraft ausgefallen war. Etwas war geschehen, das sie ausgeschaltet hatte.

Schlussfolgerung: Entweder waren wir auf etwas getroffen oder von etwas getroffen worden.

Was bedeutete, dass der Teil meines Gehirns, der zuvor nur Waaaaaah! gemacht hatte, nun dachte: Ach du Scheiße, wir werden alle sterben, wir sind tot wir sind tot wir sind tot!

Und dann ging das Licht aus.

All das passierte vielleicht innerhalb einer Sekunde.

Das einzig Gute war, dass ich vor dem Schlafengehen gepisst hatte.

Dann schaltete sich die Notbeleuchtung ein, genauso wie die Notschwerkraft, die auf 0,2 Standard-G eingestellt war. Das war nicht viel, und es würde nicht lange so bleiben. Der Sinn des Ganzen war, der Besatzung genug Zeit zu geben, Dinge festzuschnallen und wegzuschließen. Alles, was bislang in einem Quartier herumgeflogen war – Zahnpastatuben, Kleidungsstücke, ich – segelte nun zu Boden. Ich landete, zog mir schnell eine Hose an und öffnete die Tür zu meinem Zimmer.

Im nächsten Moment sah ich Chieko Tellez, die durch den Korridor rannte.

»Was ist passiert?«, fragte ich.

ENDE DER LESEPROBE