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Drei besonders ereignisreiche Jahre aus der Regierungszeit Helmut Schmidts (1974 bis 1976) bilden den Rahmen für das Experiment, sich mit den Geschehnissen dieser Zeit auf eine neue, fiktive Weise auseinander zu setzen. Dabei wird die Person des Altkanzlers komplett durch eine Fantasiefigur ausgetauscht und ersetzt (siehe Band I 'Deutschland, ein Frühlingsmärchen'). Damit ist die Möglichkeit offen, das Deutschland eine andere Entwicklung nehmen könnte als in der Realität. Ereignisse werden neu bewertet und verpasste Chancen für bedeutende Zukunftsorientierungen genutzt. Der Leser lernt einige der faszinierendsten Menschen dieser Ära, wenn auch nur fragmentarisch, kennen und vielleicht schätzen. Und eventuell vergisst der Bücherfreund auf seiner Reise in die Siebziger gar, das er sich mit einer Utopie eingelassen hat.
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Seitenzahl: 102
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Wie versprochen können die Hauptfiguren aus dem Deutschen Frühlingsmärchen weiter agieren und (natürlich nur fiktiv) die Geschichte der Bundesrepublik neu schreiben. Wieder eingebettet in einem realen geschichtlichen Hintergrund ist der größte Teil der Handlung, einschließlich der agierenden Personen, Fantasie. Lediglich die erfundene Figur Benno Ludwig orientiert sich in seinen Handlungen an realen Ereignissen aus der Amtszeit von Kanzler Schmidt in den Jahren 1974 bis 1976. Keinesfalls ist aber der Versuch unternommen worden, die herausragende Persönlichkeit von Helmut Schmidt auf die Figur des Benno Ludwig zu übertragen. Auch die streiflichter-ähnlichen Begegnungen mit solch besonderen Politikern wie Bruno Kreisky, Olof Palme, Anker Jørgensen und Urho Kekkonen erheben nicht den Anspruch auf biografische Korrektheit. Vielleicht aber wird die Neugier geweckt, sich auf anderem Weg mit diesen bemerkenswerten Menschen zu beschäftigen. Überhaupt ist mir aufgefallen, dass die Siebziger Jahre mit einzigartigen politischen Talenten gesegnet waren und ich befürchte manchmal, dass in dieser Zeit der gesamte Vorrat für Jahrzehnte aufgebraucht wurde. Die vielleicht spannendste und bedeutendste Entwicklung aber hat Deutschland ja noch vor sich. Ich bin selbst äußerst gespannt darauf, wie Benno und seine Freunde die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten meistern werden. Mit Sicherheit will sich dieser, hoffentlich bald veröffentlichte, dritte Band nicht in die schon zur Genüge auf dem Lesemarkt vorhandenen „Wir hätten alles besser gemacht“-Werke einreihen. Aber ich möchte nicht vorgreifen. Für Jetzt und Heute wünsche ich erst einmal viel Spaß beim Lesen der vorliegenden Lektüre.
Vorwort
1974
Rumble in the Jungle
Das Treffen
Man lebt sich ein im neuen Heim
Das Fest des Friedens
1975
Die Reise nach Wien
Die Dreckschweine
Nach der Katastrophe
Der Reisekater
Rise, rise, rise
Smörrebröd
Das Donnerwetter
Im Reich der Mitte
Panda, Panda
Begegnung mit einem Gott
Der Wind hört nicht auf zu blasen
Geschenke
1976
Panda Garden
In der rheinischen Sparkasse
Tage mit Dr. Wang – Nächte mit Anna
Die kupfernen Dächer von Stockholm
Hinweise und Quellenangaben
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Bereits beim ersten, noch dezenten, Klopfen an die Tür des Hotelzimmers war Benno Ludwig wach geworden. Nun aber, nach dem wiederholten etwas heftigeren Klopfzeichen, richtete er sich auf und rief mit belegter Stimme: „Alles klar, ich bin munter.“
Schlaftrunken rieb er seine Augen und versuchte sich zu orientieren. Langsam wanderte sein Blick durch das geschmackvoll im europäischen Stil eingerichtete Zimmer. Nichts deutete darauf hin, dass er soeben in der drittgrößten Metropole Afrikas, in Kinshasa, der Hauptstadt der Republik Zaire, geweckt wurde. Am Nachmittag des 29.10.1974 war er mit drei Begleitern, von Deutschland kommend, auf dem internationalen Flughafen N`djili Airport Kinshasa gelandet.
Da es in der Stadt so gut wie kein öffentliches Verkehrssystem gab, begnügten sie sich mit beengten Stehplätzen in einem der alten Dieselbusse. Eingezwängt zwischen einem bunten Menschengemisch unterschiedlichster sozialer Schichten, fuhren sie in nördliche Richtung in den Stadtteil Gombe. An einer Ecke, in der Nähe der Avenue de la Republique du Tschad, schafften sie es mit einiger Mühe den Omnibus zu verlassen.
Wenige Minuten später standen sie verstaubt und verschwitzt vor einem langgezogenen sechsstöckigen Gebäudekomplex, dem Hotel Memling. Für die Dauer ihres Aufenthaltes in Kinshasa sollte dies ihr Domizil sein. Die Formalitäten an der Rezeption waren schnell erledigt und alle Vier buchten nach Empfang ihrer Zimmerschlüssel eine Serviceleistung des Hotels. Zwei Stunden nach Mitternacht wollten sie bereits wieder geweckt werden und dies war soeben geschehen.
Benno duschte schnell und machte sich dann auf den Weg in die Brasserie. Hans Kröger und sein Sohn Kristian saßen bereits bei Kaffee und Toast. Erik Ekström, der Vierte im Bunde, hatte sich gerade dazugesellt. Müde lächelnd nickten sie sich zu als Benno ebenfalls Platz nahm und Kaffee bestellte.
Hans Kröger unterbrach als erster das Schweigen. Ganz so, als handele es sich um eine Nebensächlichkeit, sagte er mit gleichmütiger Stimme: „Ich habe meine Beziehungen spielen lassen und für uns eine Limousine samt Fahrer organisiert. Damit bleibt uns künftig der Elendsbus erspart.“
Mit erleichtertem Lächeln quittierten die drei Jüngeren die gute Nachricht, dann verließen sie gemeinsam das Hotel.
Sie schauten sich um und Hans Kröger zeigte auf einen fast neuen Peugeot 504. „Kommt mit“, rief er und näherte sich dem geräumigen PKW.
Der einheimische Fahrer öffnete ihnen beflissen die Türen und Kristian bemerkte ein wenig altklug: „Dieses Fahrzeug wird neuerdings auch hier in Afrika, in Nigeria gefertigt. Ich glaube aber, dieses Modell ist noch ein original Franzose.“
Erik, der als einziger fließend französisch sprach, übermittelte dem Chauffeur das Fahrtziel. Dann ging es los.
Kinshasa – vor kurzem noch Leopoldville genannt – war von der Tropennacht in geheimnisvolle Dunkelheit getaucht und so gut wie menschenleer. Sie passierten schnell die Stadt und fuhren weiter auf dem Boulevard du 30 Juin in südwestliche Richtung. Ab und zu konnte man am Straßenrand große, von Scheinwerfern angestrahlte Plakate erblicken. „Das ist unser Führer Mobuto Sese Seko“, erklärte der dunkelhäutige Fahrer des Mietwagens auf Französisch. Erik übersetzte bereitwillig und fügte hinzu: „1971 hat er die ehemalige Demokratische Republik Kongo in Zaire umbenannt und regiert seitdem das zweitgrößte afrikanische Land wie ein Diktator. Man munkelt, dass er in den letzten Tagen mehrere hundert wahllos ausgesuchte Verbrecher einfach so hinrichten ließ. Als Warnung an seine Untertanen, sich ja ruhig zu verhalten.“
Alle schwiegen betreten und schauten aus den geöffneten Autofenstern.
Eine moderne Straßenbeleuchtung hatte mittlerweile die angestrahlten Plakate abgelöst und in einiger Entfernung zeichnete sich bereits die Silhouette eines riesigen Stadions ab. Nach wenigen Kilometern hielt der Fahrer vor dem über hunderttausend Zuschauer fassenden Nationalstadion von Kinshasa.
Benno war überrascht von den Dimensionen der Anlage. Erwartungsvoll begab sich die kleine Gesellschaft zum Haupteingang. Hans Kröger bahnte ihnen mühelos einen Weg durch die unzähligen Besucher und nach einer gefühlten Ewigkeit standen sie vor ihren reservierten Plätzen. Erleichtert ließ sich einer nach dem anderen auf die unbequemen Bänke fallen.
Jetzt erst nahm Benno die immer wieder anschwellende, brodelnde Geräuschkulisse bewusst war und sein Blick wanderte über die wogende Menschenmasse um ihn herum.
Kurz nach vier Uhr Ortszeit herrschten gut dreißig Grad Celsius und die Luftfeuchtigkeit betrug 90%. Er wischte sich die Schweißperlen von der Stirn und schloss die Augen. Unbewusst huschte ein Lächeln über sein Gesicht als er sich jetzt daran erinnerte, wie ihn sein väterlicher Freund Hans Kröger vor einer Woche mit einem wahnwitzigen Vorschlag überraschte.
In seiner ganzen Größe hatte er sich vor ihm aufgebaut, vier Umschläge aus der Tasche gezogen und gesagt: „Du errätst nicht was ich hier habe. Das sind Tickets für den Weltmeisterschaftskampf von Muhammad Ali in Zaire. Hotelzimmer sind ebenfalls reserviert.“
Verunsichert war Benno dem erwartungsvollen Blick ausgewichen, der mit dieser überraschenden Offenbarung einherging und hatte erst nach einigem Nachdenken zögerlich geantwortet.
„Ich weiß ja, was dir der Boxsport bedeutet und noch vor einem Jahr wäre ich mit Freuden dabei gewesen. Aber als Bundeskanzler kann ich es mir nicht leisten einfach ein paar Tage in den Dschungel zu reisen, um mir einen Boxkampf anzuschauen. Sei mir bitte nicht böse.“
Hans Kröger aber hatte nicht lockergelassen.
„Meinst du damit, jemand, der an der Spitze eines Landes steht, hat kein Recht auf ein privates Leben? Oder hast du mittlerweile vergessen, wer dich überhaupt in dieses Amt gebracht hat? Denke in Ruhe darüber nach und gib mir schnell einen endgültigen Bescheid“, schnaufte er aufgebracht. Ohne ein weiteres Wort hatte er sich umgedreht und den Raum verlassen.
Benno blieb wie vom Blitz getroffen fassungslos zurück.
Am Abend, im Verlauf eines nicht zufälligen Gespräches mit seinen beiden Freunden Kristian und Erik, ergab sich dann eine völlig neue Wertung des ärgerlichen Zwischenfalls. Außenminister Erik Ekström erwähnte ganz nebenbei, dass der ältere Sohn des amerikanischen Präsidenten ebenfalls dem Boxereignis in Zaire beiwohnen würde. Erik hatte den Journalisten und Präsidentenberater John Gardner Ford während seines Besuches in den Staaten kennengelernt und pflegte Kontakt mit ihm. Die Chance, jemanden aus dem unmittelbaren Umfeld des mächtigsten Mannes der Welt zu treffen, wollte sich der Kanzler dann doch nicht entgehen lassen.
Noch am selben Abend übermittelte er Hans Kröger seine Zusage, an der abenteuerlichen Reise teilzunehmen. Eine Bedingung hatte er sich allerdings ausgebeten. Über diese private Unternehmung musste absolute Vertraulichkeit gewahrt werden.
Sowohl ein sanfter Stoß in die Rippen als auch das Anschwellen des Geräuschpegels brachten Benno wieder in die Gegenwart zurück.
„Es geht los“, rief Erik, der an seiner rechten Seite saß.
„Uns schien es, dass du gerade abwesend warst“, mischte sich nun auch Kristian ein, der links neben ihm Platz genommen hatte.
In wenigen Minuten würde er also dem legendersten Boxkampf aller Zeiten beiwohnen – dem „Rumble in the Jungle“.
Sieben Jahre nachdem der NYSAC und die WBA Muhammad Ali aus politischen Gründen seinen Weltmeistertitel aberkannt hatten, bekam er heute die Chance, den Gürtel zurück zu gewinnen. Die meisten Boxfans weltweit hielten das allerdings für unmöglich, denn sein Gegner war nicht nur sieben Jahre jünger, sondern in vierzig Profikämpfen ungeschlagen.
Es war der Olympiasieger von 1968 – George Foreman.
Gerade übersteigt Muhammad Ali mühelos die Seile des Boxrings, die offensichtlich nicht besonders straff gespannt sind. Trainer Angelo Dundee bemüht sich außerhalb des Ringes den tänzelnden Bewegungen seines Schützlings zu folgen und gibt einige Anweisungen. Ali aber ist hauptsächlich damit beschäftigt, ununterbrochen irgendwelche Sprüche ins Publikum zu rufen.
Nun betritt auch der amtierende Weltmeister den Ring und nach kurzem Blickkontakt begeben sich die beiden Boxer in ihre Ecken. Eine Art Blasorchester stimmt die Hymne der USA an, danach erklingt, verstärkt durch Chorgesang, die Nationalhymne von Zaire. Mit dem Verklingen der letzten Töne bekommen die Boxer ihren Mundschutz verpasst und während Ali das Publikum anfeuert vollzieht George, mit zur Schau gestellter Ruhe, an den Seilen eine Art Kniebeugen.
Fast auf die Sekunde wird, 04:30 Uhr Ortszeit, die erste Runde eingeläutet. George Foreman, in roten Boxershorts, stürmt auf Muhammad Ali zu und deckt ihn mit einem Hagel äußerst hart geschlagener Körpertreffer ein. Ali, in weißer Hose, steckt das weg und landet seinerseits einen rechten Außenhaken an Foremans Kinn.
Dann drückt er immer wieder den weit nach vorn gestreckten Kopf seines Kontrahenten nach unten und blockiert ihn. Immer wieder schafft er es, durch die Führungshand seines Gegners hindurch, punktgenaue Kopftreffer zu landen. Häufig geht er das Risiko ein für einen Moment die eigene Deckung aufzugeben, um fast ansatzlos links-rechts-links zu schlagen und zu treffen.
Dem darauffolgenden, fast pausenlosen Schlaghagel von Foreman nimmt Ali mit seiner Doppeldeckung einen großen Teil seiner Wirkung. Besonders die Aufwärtshaken, in die Foreman seine gesamte Kraft legt, gehen meist ins Leere und kosten enorme Kondition. Es erklingt das Pausenzeichen und die beiden Athleten begeben sich in ihre Ecken.
„Muhammad Ali hat sich erstaunlich gut verkauft“, kommentierte Erik den bisherigen Verlauf des Kampfes.
„Ich denke, die erste Runde geht sogar an ihn“, fachsimpelte Benno.
Die zweite Runde beginnt und Ali bewegt sich nun etwas weniger. Er wird jetzt öfter getroffen, aber dank ausgezeichneter Reflexe sowie seiner optimalen Kondition steckt er alles weg. Es zeigt sich, dass er auf den Punkt austrainiert ist.
In den elastischen Seilen hängend, schnellt er immer wieder blitzschnell nach vorn und platziert schwere Kopftreffer, die vom Publikum mit frenetischem Beifall quittiert werden.
Fasziniert und regelrecht gebannt verfolgte Benno die nächsten Runden, die ähnlich abliefen.
Mit Beginn der siebten Runde glaubte Benno zu erkennen, dass George Foreman zwar weiterhin verbissen kämpfte, aber auffällig langsamer wurde. Während er sich zur Pause schleppend in seine Ecke begab und ausgepowert auf den Schemel sank, blieb Ali stehen und rief unablässig ins Publikum: „Ich töte ihn! Ich töte ihn!“
So wie in jeder Pause erschien auch jetzt wieder ein attraktives Nummerngirl im Ring, um mit hochgehaltenem Schild die nächste Runde anzukündigen. Benno musste zweimal hinschauen um zu erkennen, dass dieses Mal die Ziffer waagerecht angebracht war. Irritiert zupfte er seinen Nachbarn am Ärmel und zeigte vielsagend nach vorn.
„Meinst du die liegende Acht? Das ist sicher nur ein Zufall“, erklärte Kristian und beide widmeten sich wieder dem gerade freigegebenen Kampf.
Den Anfang der Runde bestreitet Muhammad Ali fast ausschließlich mit seiner Führhand. Mehrmals landet Foreman mit dem Oberkörper zwischen den Seilen.