Deutschland unter Starkstrom - Andreas Popp - E-Book

Deutschland unter Starkstrom E-Book

Andreas Popp

4,8

Beschreibung

Die kurze Geschichte eines mittelständischen Unternehmers, der in finanzielle Schwierigkeiten gerät, soll als Fallbeispiel unserer derzeitigen Situation dienen. Dabei werden in praxisnaher Form die konkreten Probleme unseres Systems erläutert. Ein Unternehmer kämpft mit seinem Prokuristen um das Überleben des Betriebes. Von der Hausbank haben sie keine Hilfe zu erwarten. Einfach zu lesen, sehr informativ und spannend zugleich! Sachbuchteil Der entscheidende Systemfehler Deutschland ist bankrott, unser Wirtschaftssystem kollabiert, die Politiker sind orientierungslos und die Bürger verlieren ihre Existenz. Arbeitslosigkeit und Resignation machen sich breit und eine Umkehr ist in diesem System nicht mehr möglich, egal ob Regierungswechsel oder nicht! Der Autor spiegelt in diesem Teil die verschiedenen Sichtweisen aus traditioneller Volkswirtschaft, alternativer Volkswirtschaft und einer ganz "neuen" alten Kenntnis, die eine Umkehr dieser Misere erwirken würde, aber von den "wirklichen Entscheidern" der Hochfinanz nicht gewünscht ist.

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e-mail: [email protected]

Popp AG Unternehmensgruppe, Schmersahlstraße 26, 29664 Walsrode

Tel. 05161-802080, Fax: 05161-802088

Internet: www.popp-ag.com

www.vermoegensicherung.de

Inhaltsverzeichnis

Einführung

Kurzroman Ein Unternehmer startet durch

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

Sachbuchteil Der entscheidende Systemfehler

Vorwort

Erstes Kapitel

Mensch und Markt aus Sicht der traditionellen Ökonomie

Steuern

Subventionen

Der Sozialstaat

Die Arbeitsschutzgesetze

Die Tarifautonomie

Das Vergreisungsproblem

Der Rohstoff »Bildung«

Die EU-Osterweiterung

Die EU-Verfassung

Fazit und Lösungsansätze der deutschen Situation

Arbeitszeitverlängerung

Abschaffung der Arbeitsschutzgesetze, die Arbeitsplätzevernichten

Steuerreform total

Wegfall von Subventionen

Radikale Sozialreform

Echte Familien- und Rentenförderung

Die Zuwanderung regeln

Die reale Wende in Ostdeutschland

Zweites Kapitel

Veto! Die alternative Ökonomie kommt zu Wort

Der Fehler mit der Globalisierung

Schuld ist das Geldsystem

Arbeitszeit wirklich verlängern?

Brauchen wir unendliches Wachstum?

Wo liegen die Ursachen der Arbeitslosigkeit?

Zu viel Kapital und zu wenig Arbeit

Humankapital, was für ein Wort?

Die Nachfrageauswirkungen

Der Sozialabbau! Bahnt sich die Krise an?

Fazit aus der Sicht der alternativen Ökonomie

Drittes Kapitel

Wo liegt die Wahrheit?

Die Zerstörung der marktwirtschaftlichen Ordnung

Die Lösung dieses Geldsystems

Die physische Ökonomie

Wo bleibt die Innovation unserer Wirtschaft?

Die Ignoranz der Probleme durch die Verantwortlichen

Die Vergewaltigung der Ökologie

Der Überwachungsstaat

Wie geht das alles weiter?

Einführung

Liebe Leserin, lieber Leser,

ich beschäftige mich nun seit über 20 Jahren mit unserem Wirtschafts- und Finanzsystem. Die Frage, die ich mir nahezu täglich stelle: Wie lange geht es noch gut mit unserem Heimatland? Die Sozialsysteme sind realistisch betrachtet schlicht pleite, die Arbeitslosenzahlen schnellen in astronomische Höhen, Wirtschaftswachstum ist in unserem Binnenmarkt kaum noch möglich. Die Staatsverschuldung ist außer Kontrolle geraten. Unsere nachfolgenden Generationen wurden und werden mit unendlichen Schulden belastet. Die Globalisierung fordert immer geringere Einkommen für die arbeitende Bevölkerung, während die Zinserträge einiger weniger astronomisch anwachsen. Halt, es geht nicht um Schuldzuweisungen oder Einteilung der Menschen in Gut und Böse. Es geht lediglich um eine Bestandsaufnahme unseres Systems und eine realistische Prognose.

Doch wie lassen sich die Probleme lösen bzw. lassen sie sich überhaupt lösen?

Eine der größten Schwierigkeiten liegt darin, den Menschen die Zusammenhänge näher zu bringen. Unser System ist kein Buch mit sieben Siegeln, im Gegenteil. Es ist sehr einfach, logisch und verständlich, aber komplex!

Mit dieser Arbeit habe ich versucht, anhand eines Fallbeispiels und einem theoretischen Teil dem interessierten Bürger einfach nur Grundlagen zu vermitteln, die eigentlich zum Allgemeingut gehören sollten. Der erste Teil des Buches beschreibt einen mittelständischen Betrieb in Deutschland, der durch die volkswirtschaftliche Lage in finanzielle Schwierigkeiten gerät und dann von seiner Bank gnadenlos im Stich gelassen wird. Bei dem Betrieb handelt es sich um eine Beratungsfirma für Finanzfragen. Ich habe mich für diese Branche entschieden, da ich mich hier sehr gut auskenne. Ähnlichkeiten zu meinem Leben sind nicht zufällig, wenn auch der größte Teil der Geschichte meiner Fantasie entsprungen ist. Ein Unternehmer kämpft mit seinem Prokuristen und dem Steuerberater um das Überleben der Firma.

Im zweiten Teil des Buches möchte ich die Volkswirtschaft und die aktuellen Problemlösungen aus schulökonomischer Sicht kundtun. Ich werde gerade die Argumente der Standardvolkswirtschaft so darstellen, als würde ich voll dahinter stehen. Auch die alternativen gegenteiligen Meinungen von Wissenschaftlern möchte ich mit Hingabe zum Besten geben. Mein Ziel ist es dabei, Ihnen deutlich zu machen, dass es keinen Königsweg zur Rettung der Volkswirtschaft gibt, sondern die Wahrheit irgendwo in der Mitte der Extreme liegt.

Es gibt grundsätzlich nur ein Hauptproblem: die Kapitalverzinsung! Wenn wir das verstehen, haben wir eine gute Chance, die Ungerechtigkeiten dieser Welt zu lindern. Andernfalls bleiben uns nur die Standardlösungen, die auf Wirtschaftswachstum und Globalisierung aufgebaut sind.

Wir alle haben unsere Zukunft selbst in der Hand, und wir können etwas ändern. Dazu müssen wir allerdings vieles in Frage stellen. Was ich damit meine, soll ein Beispiel verdeutlichen.

Vor Jahren führte man an einem Institut ein Tierexperiment durch. Keine Angst. Alle, die mich kennen, wissen, dass ich aktiver Tierschützer bin und selbst aus ethischen Gründen nicht einmal Fleisch esse.

In einem Gehege wurden fünf Affen gehalten. In der Mitte des Raumes hing an einem Deckenhaken eine Staude Bananen. Darunter stand ein Stuhl. Klar, dass der erste Affe sofort auf den Stuhl sprang, um an die Früchte zu gelangen. Doch Wissenschaftler »spülten« den Affen mit einem druckintensiven Wasserschlauch herunter. Beim zweiten Versuch erfuhr der Affe das Gleiche. Er gab natürlich auf und akzeptierte, dass die Bananen unerreichbar sind. Die anderen Affen nahmen die Erfahrungen des »Kollegen« zur Kenntnis und versuchten erst gar nicht, auf den Stuhl zu klettern. Nun wechselten die Wissenschaftler einen Affen aus und ersetzten ihn durch einen Externen, der noch keine Erfahrungen mit dem Wasserstrahl auf dem Stuhl hatte. Er wollte natürlich sofort an die Bananen, aber die anderen hielten ihn mit warnendem Gekreische und Festhalten ab. Der »Neue« akzeptierte auch ohne eigene Erfahrung, dass die Bananen nicht zu erreichen sind. Nach und nach wechselte man einen Affen nach dem anderen aus, aber niemand versuchte, durch Warnungen der anderen abgehalten, die Früchte zu erobern. Spannenderweise zog sich dieses Verhalten auch noch durch, als überhaupt kein Affe der »ersten« Generation mehr im Gehege war. Jeder Neuzugang wurde von den Alten an dem Versuch gehindert, obwohl keiner in dem Gehege je die Erfahrung mit dem Wasser machen musste.

Dieser Versuch zeigt deutlich, wie man konditioniert wird. Wir lernen häufig von unseren Vorfahren, ohne über den Sinn unserer Verhaltensmuster auch nur nachzudenken. So gibt es heute noch Rassendiskriminierungen in fast allen Ländern der Erde.

So wird aber auch unser Wirtschaftssystem nicht mehr hinterfragt. Man spricht in fast allen politischen Talkshows von Wirtschaftswachstum, ohne einfach einmal zu fragen: »Wozu brauchen wir das eigentlich?«

Ich wünsche Ihnen trotz des ernsten Themas ein paar entspannte Lesestunden, beginnend mit dem Kurzroman. Auch hoffe ich, durch diese Arbeit mehr kritische Stimmen gegen unsere Funktionäre aus Wirtschaft und Politik zu aktivieren, die unsere Welt über unsere Köpfe hinweg bestimmen, und das ohne nennenswerte Kritik.

Walsrode im Herbst 2005

Andreas Popp

Kurzroman

Ein Unternehmer startet durch

1. Kapitel

Wie so oft in letzter Zeit lag er auch diese Nacht wieder wach im Bett. Sein Blick fiel wieder und wieder auf den Radiowecker. Viertel vor drei, die Zeit zog sich schier ins Unendliche, und seine Gedanken drehten sich immer wieder um das eine Thema. Was hatte seinen Banker getrieben, als er ihm den Kontokorrentkredit aufkündigte? Die menschliche Ader war doch immer sein Kapital gewesen, und nun machte man ihm diese Eigenschaft zum Vorwurf? »Ihre Kosten sind zu hoch, und Sie haben sich zu spät auf die auf uns zukommende Krise vorbereitet«, sagte Herr Simon von seiner Bank und sah dabei verlegen zu Boden. Er kannte ihn nun seit vielen Jahren, und bis zu diesem Termin war er immer von einer intakten Zusammenarbeit der Unternehmen ausgegangen. Man spürte deutlich Simons Unwohlsein bei diesem Gespräch.

»Wenn ich auch nur den Hauch einer Möglichkeit hätte, ich würde Ihnen sofort helfen, aber Sie wissen ja, dieser neue Vorstand in Frankfurt … ich kann einfach nicht anders!«

Die Zeit schleppte sich in Form von wechselnden Leuchtziffern auf dem Wecker mühsam dahin. Nachts waren alle Probleme viel intensiver. Das Unternehmen war nun in der dritten Generation. Gott sei Dank erlebte sein Großvater, der die Firma 1930 gegründet hatte, dieses Drama, das nun sein Lebenswerk bedrohte, nicht mehr. Sollte er seinem Vater davon berichten? Nein, lieber nicht. Er hatte ihm doch vor 20 Jahren ein ordentliches mittelständisches Unternehmen übergeben und wollte nun seinen wohlverdienten Ruhestand genießen. Nein, solange es eine Chance zur Abwendung einer Insolvenz gab, würde er die Situation allein durchstehen. Er fühlte sich einfach schuldig. Draußen fuhren die ersten Autos vorbei und er beobachtete die Lichtspiele an den Wänden. Irgendwann fielen seine Augen wieder zu.

Der Tag war grau, leichter Nieselregen fiel vom Himmel und er fühlte sich wie gerädert, als er in seinen Wagen stieg. Eine leichte Aufregung stieg in ihm auf, je mehr er sich seinem Büro näherte. In der Morgendämmerung schien ihm schon von weitem der Schriftzug »Solbach Consult AG« entgegen. Das Büro, das sein Vater in den Siebzigern erworben hatte, war an mehreren Stellen sanierungsbedürftig, was man bei dieser Witterung nicht wahrnahm. Um elf Uhr musste er mit diesem Herrn Winkelmann von der Cardan Invest sprechen. Leichter Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. Wie würde er reagieren, wenn Winkelmann wieder um Zahlungsaufschub bat? Die 300.000 Euro wären jetzt so unendlich wichtig für ihn, aber Winkelmann hatte mit seinen Kunden dieselben Probleme. Die Zahlungsmoral in dieser verdammten Situation war dramatisch geworden. Was war bloß falsch gelaufen? Cardan Invest lief hinter ihrem Geld genauso her wie Solbach Consult. Eine Kette von Problemen.

Solbach war immer ein grundehrlicher Mann, der sich nie etwas zu schulden kommen ließ. Er war ca. eins achtzig groß, dunkelhaarig und eine seriöse und stattliche Erscheinung. Er trug eine dunkelblaue Jeans und ein blaues Hemd mit feinen Streifen, wie man es normalerweise zu einem festlichen Anzug trug.

»Guten Morgen, Herr Solbach, ich hoffe, Sie hatten eine gute Nacht«, sagte Frau Kühn mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen. Sie war eigentlich immer eine Garantie für gute Laune und motivierte grundsätzlich ihre Kolleginnen in der Anmeldung. Sie trug einen dunklen Hosenanzug und machte wie immer eine gute Figur. Das lange blonde Haar war mit einer Spange streng nach hinten gelegt. Offensichtlich hatte sie noch nicht erkannt, in welch kritischer Lage die Firma und somit auch ihr Arbeitsplatz war.

»Guten Morgen Frau Kühn, danke, wunderbar. Gibt’s irgendetwas Neues?«

»Nein, Herr Solbach – ach ja, nur Herrn Winkelmanns Sekretärin rief an und lässt ausrichten, dass Herr Winkelmann an einer starken Bronchitis leidet und erst nächste Woche wieder im Einsatz ist. Er meldet sich dann bei Ihnen.«

Augenscheinlich suchte sie auf ihrem Schreibtisch hinter dem Mahagoni-Counter einen Notizzettel. Irgendwie gehörte sie schon zum Inventar wie er selbst. Für ihre 45 Jahre sah sie immer noch verdammt gut aus. Sie waren altersmäßig nur drei Monate auseinander und arbeiteten nun seit rund 20 Jahren zusammen.

»Danke, Frau Kühn«, erwiderte Sollbach ruhig, »bringen Sie mir bitte Kaffee in mein Büro.« Er wunderte sich selbst über seine coole und kontrollierte Haltung, selbst jetzt, wo er spürte, wie ihm der Teppich unter den Füßen weggezogen wurde. Winkelmann schiebt Zeit …

Sein Büro lag im dritten Stock. Auf dem großen Glasschreibtisch lagen nur zwei Briefe. Er hasste volle Schreibtische und bekam grundsätzlich nur die wichtigste Post. Ja, delegieren konnte er immer, und das war gut so. Er hatte als Kind seinen Vater beobachtet, der nahezu immer alle Vorgänge auf Herz und Nieren prüfen wollte und dabei für die wichtigsten Tätigkeiten, nämlich die Unternehmensführung, zu wenig Zeit hatte.

Um neun Uhr war die erste Besprechung anberaumt. Er saß allein im Meeting-Raum im ersten Stock und bereitete den Beamer sowie die modifizierten Planungen für den Steuerberater und den Bilanzbuchhalter vor. Der Himmel riss an zwei Stellen gleichzeitig auf und ließ das wenige Sonnenlicht nun durch die großen Panoramafenster fallen. Ein leichtes Lächeln huschte über Solbachs Gesicht. Er dachte einen kurzen Moment an die langen Spaziergänge mit seinem Hund, die er gerade bei sonnigem Wetter so liebte. Der nüchterne Raum mit Glasfaserwänden, verziert mit einem Druck des alten Kubisten Feininger in einem Edelstahlrahmen, und einer grauen Auslegeware auf dem Boden inspirierten die Sinne wahrlich nicht besonders zu kreativer Arbeit. Bei nächster Gelegenheit wollte er seinem Haus eine persönliche Note und somit Leben einhauchen. Bei nächster Gelegenheit? Ihm wurde heiß. Gab es die überhaupt?

»Guten Morgen, Herr Solbach!« Mit seiner typisch bodenständigen Art polterte Herr Clemens ins Zimmer. Der etwas untersetzte Mittvierziger war eigentlich immer gut aufgelegt und behielt ständig seinen kühlen Kopf. Wie oft hatte er die Solbach Consult schon vor dem Finanzamt bis aufs Messer verteidigt, wenn irgendwelche Beamten mal wieder nicht verstanden, was es heißt, ein Unternehmen eigenverantwortlich zu führen, und in ihrem eingeschränkten »Verordnungswissen« den Geschäftsbetrieb behinderten.

»Morgen, Herr Clemens«, erwiderte Solbach, »Kaffee?« Ohne eine Antwort abzuwarten, schenkte er ein.

In dem Meeting erarbeiteten die beiden unter der teilweisen Zuhilfenahme des Chefbuchhalters eine realistische »Ist-Situation« des Unternehmens.

»Als Ihr Steuerberater möchte ich Ihnen sagen, dass wir eine gute Chance für das Unternehmen prognostizieren können. Allerdings sind schmerzliche Einschnitte bei der Kostenstruktur unumgänglich.«

Solbach wusste sehr gut, was diese Worte bedeuteten. »Wissen Sie, Herr Clemens, ich möchte alle Wege und Möglichkeiten ausschöpfen, bevor ich auch nur einen Mitarbeiter entlasse. Wir sind ein mittelständischer Betrieb und die Menschen hier arbeiten treu und brav, teilweise seit Jahrzehnten.«

Clemens sah Solbach ernst an. »Ich weiß genau, wie Sie fühlen, aber es bringt Sie nicht weiter. In solch kritischen Zeiten sollte mit Besonnenheit und klarem Sachverstand entschieden werden. Ihre Unternehmensgruppe muss sich dringend strategisch komplett neu ausrichten, um zu überleben. Sehen Sie sich doch nur um. Die ganze Finanzbranche schwächelt. Banken befinden sich in kritischem Zustand und drohen zu zerbersten, deutsche Lebensversicherungen, die angeblichen Garanten für Sicherheit, stehen am Abgrund, und der Staat mit seiner unglaublichen Verschuldung wurstelt sich von Jahr zu Jahr durch.«

Clemens hatte Recht. Wie oft hatte er genau mit diesen Worten auf seinen vielen Vorträgen den Gästen die Situation deutlich gemacht. Die meisten seiner Zuhörer waren Finanzmakler und andere Unternehmer. Nahezu alle waren nun seit Jahren in der »Findungsphase«. Die Unsicherheit war groß, die Zukunftsangst deutlich zu spüren. Eigentlich wussten alle, dass es so nicht weiterging. Die Wirtschaft war zur Pseudowirtschaft verkommen. Die Märkte waren gesättigt und ein echtes Wachstum nicht mehr möglich. Jeden Tag gingen mehr als 1500 Arbeitsplätze verloren, Tendenz steigend! Ja, das alles war ihm bekannt, und Handeln ist die einzige Möglichkeit, den aufkommenden Sturm zu durchstehen.

Doch nun war er selbst dran. Die eventuellen Forderungsausfälle waren zu ernst, um einfach weiterzumachen.

»Mahlzeit!«, klang es aus dem Hintergrund. Thomas Kaiser aus der EDV-Abteilung grüßte freundlich. Der groß gewachsene junge Mann mit den langen dunklen Haaren war wie immer gut drauf. Mit Mitte dreißig wirkte er ein wenig »berufsjugendlich« in seiner lockeren, formlosen Jeans und dem knallbunten Sweatshirt. Die Brille hatte er ins Haar hochgeschoben. Auch er war heute Mittag mit einem Praktikanten bei Solbachs Stammitaliener, der sich durch seinen leckeren Mittagstisch einen guten Namen gemacht hatte.

»Lassen Sie es sich schmecken«, erwiderte Solbach lächelnd. Er saß mittags gern allein und alle Kollegen respektierten das. Der Kaiser aus der EDV arbeitete schon seit sieben Jahren bei ihm. Würde sein Platz von einer Rationalisierung betroffen sein? Der Gedanke an die persönlichen Entlassungsgespräche mit einigen Mitarbeitern ließen ihm den Appetit schwinden. Er stand auf und verließ das Lokal. Völlige Leere im Kopf. Es machte keinen Sinn, wieder ins Büro zurückzugehen.

Eine Viertelstunde später saß er in seinem Auto, hörte leise klassische Musik, die sehr gut zu seiner Stimmung passte, und glitt mit ca. 80 Stundenkilometern durch die wunderschöne Landschaft des Rhein-Neckar-Gebietes. Das goldene Laub des Herbstes empfand Solbach als unglaublichen Genuss. Die Sonne hatte sich an diesem Tag doch noch durchgesetzt. In diesen Augenblicken konnte er immer abschalten und es war wie ein Stundenurlaub vom täglichen Stress.

Das Autotelefon klingelte. Frau Kühn bestätigte nur kurz den morgigen Banktermin mit einem Direktionsbeauftragten von seinem offensichtlich entmachteten Bankfilialleiter Simon, bei dem auch der Steuerberater anwesend sein sollte. Trotz des psychischen Drucks dieses vor ihm liegenden Ereignisses, das die Zukunft des Unternehmens stark bewegen würde, war er innerlich relativ ruhig geworden. Es war eine richtige Entscheidung, nicht mehr ins Büro zu fahren, sondern dem Körper ein wenig Ruhe zu gönnen. Heute hätte er eh nichts mehr machen können. Alle Kraft brauchte er nun für den morgigen Banktermin. Zu Hause angekommen, genoss er erst einmal einen guten spanischen Brandy. Diesen Luxus gönnte er sich nahezu jeden Abend, wenn er den Tag Revue passieren ließ.

Wie lange lebte er jetzt schon allein in der kleinen Wohnung in diesem 6-Parteien-Mietshaus. Es war tatsächlich schon ein Jahr her, als ihn seine Frau verließ. Gott sei Dank hatten sie wieder so viel Kontakt miteinander, dass sie ohne Schlichter reden konnten. Die Schmerzen der Trennung waren wirklich erträglich geworden. Nur noch selten durchfuhr es ihn wie ein Blitz bei den Gedanken an die Trennungskatastrophe. Schließlich hatte sie Recht, denn die Arbeit war auf Platz eins in seinem Leben und danach kam lange nichts. Jeder Mann hat es leicht, eine so vernachlässigte Frau zu erobern. Nun gut, so kam es ja auch, und nun saß er hier in seinem alten braunen Ohrenledersessel, eines der letzten Relikte aus seinem vorigen Leben.

Die Stunden vergingen wie im Fluge, während seine Gedanken um eine vorläufige Zwischenbilanz seines gesamten Lebens kreisten. Wann hatte er sich das letzte Mal Zeit für sich selbst genommen? Wieder dachte er an seinen Hund zurück, den er selbst nach einem langen erfüllten Leben im Garten seines Privathauses beerdigt hatte. Als Candy noch lebte, war seine Lebensqualität um Längen höher. Sobald diese Krisensituation in der Firma vorüber war, wie auch immer das aussehen mochte, nahm er sich vor, wieder einem Hund aus dem Tierheim ein neues Zuhause zu geben. Tiere waren immer ein wichtiger Bestandteil seines Lebens gewesen. Einen treueren Freund als einen Hund gab es einfach nicht.

Als er morgens aufwachte, es war schon hell, zuckte er zusammen. Wie spät war es? Acht Uhr. Mist, um zehn war der Banktermin! Er stürmte ins Bad. Ein mächtig zerknittertes Gesicht sah ihn aus dem Spiegel an. Im Schnellgang putzte er sich die Zähne und formte sein Haar, welches auch immer dünner wurde, mit ein bisschen Gel. »Ich will ja keinen Schönheitswettbewerb gewinnen«, sagte er zu sich selbst und schmiss sich in den dunklen Anzug, nachdem er sein schlecht gebügeltes Hemd untergezogen und eine graue Krawatte umgebunden hatte. »Ich glaube, das ist trist genug für einen Banktermin«, murmelte er weiter und stürmte aus der Wohnung.

Vor dem Büro wartete schon der Steuerberater Walter Clemens in seinem roten Kombi. Solbach lehnte dieses von Clemens’ Kindern meist komplett heruntergewohnte Fahrzeug ab und machte unmissverständlich klar, dass sie mit seiner Limousine zur Bank fahren würden. Im Auto saßen beide wortlos nebeneinander. Alles war gesagt. Nun ging es nur noch um diesen Termin. Solbach wunderte sich über seine eigene Gelassenheit, obwohl er in die Höhle des Löwen fuhr.

Der Geruch von Bohnerwachs und Spießigkeit schlug beiden Männern beim Betreten der Bankdirektion entgegen. Die beigefarbenen Textiltapeten, der dicke braune Teppich und die nussbaumfurnierten Möbel, die wie aus einem Guss etwas Angsteinflößendes vermittelten, waren eine Zumutung für jeden Besucher.

»Guten Morgen, die Herren.« Eine junge Dame Anfang dreißig grüßte pflichtgemäß. Solbach hatte das Gefühl, dass diese Atmosphäre hier wohl jeden Menschen zu einem Funktionär umkrempelte. Die junge Frau trug ein biederes hellbraunes Kostüm. Sie passte zu den Wandverkleidungen und wirkte schon so alt, wie er nie werden wollte. »Sie hatten einen Termin mit Herrn Dr. Schwarz und Herrn Simon?«

»Ich denke schon«, antwortete Clemens kurz. Auch ihm schien das unmenschliche Foyer dieser Bank aufs Gemüt zu schlagen. Die Dame, die ihren Namen nicht nannte, brachte die beiden Herren ins Vorzimmer des Vorstandes. Der Stil des Gebäudes war offensichtlich in allen Etagen konsequent durchgezogen worden.

»Bitte kommen Sie herein, meine Herren«, grüßte Herr Simon recht selbstbewusst. Sie nahmen an dem großen Konferenztisch aus Nussbaum Platz. Herr Dr. Schwarz fehlte noch.

»Nun, wollen wir mal sehen, wie wir die Kiste wieder flottmachen.« Herr Simon versuchte witzig zu wirken. Dieser Termin war auch für ihn alles andere als angenehm. Seine Errötung vor Aufregung zog sich bis in die Glatze hinein. Er wirkte manchmal wie ein Trinker auf Entzug. Seine Körperfülle nahm von Jahr zu Jahr sichtbar zu. Gesund war das nicht mehr.

Die Seitentür öffnete sich und ein großer schlanker Mann Anfang dreißig betrat den Raum. Er wirkte ein wenig gebückt, wie man es häufig bei sehr großen Menschen sieht, die versuchen, ihre Maße ein wenig kleiner wirken zu lassen. Eine dicke schwarze Brille saß tief auf der Nase. Sein kurzes dunkles Haar wirkte trotz des akkuraten Schnitts nicht besonders gepflegt. »Mein Name ist Dr. Schwarz«, sagte dieser Mann, dessen hohe Stimme so gar nicht zu seinem Äußeren passen wollte.

»Angenehm«, antworteten Solbach und Clemens fast gleichzeitig.

»Machen wir es kurz«, kam Schwarz gleich zur Sache. »Ihr Unternehmen passt leider nicht mehr in unser Anforderungsprofil. Aus diesem Grunde müssen wir von einer weiteren Kundenbeziehung Abstand nehmen.«

Solbach schluckte tief. Das sollte nun ein Abschied sein nach einer über 50-jährigen Geschäftsbeziehung? Es war nicht zu fassen. Simon intervenierte sofort. Der kleine dicke Mann schien ebenso geschockt über die unsensible Aussage seines jungen Vorgesetzten.

»Moment, Herr Dr. Schwarz«, sagte Simon, »so einfach geht es nun wirklich nicht. Wir müssen uns erst einmal die Innovationskonzeption der beiden Herren anhören, um dann eine Entscheidung zu treffen.«

Dr. Schwarz war sichtlich bemüht, seine Fassung zu bewahren. Der junge Karrieremensch war wohl Widerspruch nicht gewohnt. Das von Ehrgeiz gezeichnete Gesicht wurde griffig. »Herr Simon«, sagte er knapp, »es bringt uns allen wenig, um den heißen Brei herumzureden.«

Nun schaltete sich der Steuerberater ein. »Mein Name ist Clemens. Ich denke, wir sollten schlicht und ergreifend versuchen, einen normalen Informationsaustausch auf die Reihe zu bekommen.« Clemens war bekannt für seine überlegene Art der Kommunikation. »Vorab möchte ich Ihnen folgende Unterlagen aushändigen, die den Status Präsens des Unternehmens detailliert beschreiben.«

Er legte jedem einen gebundenen Vorgang aus diversen Papierseiten auf den Tisch. »Maßnahmen der Solbach Consult Unternehmensgruppe« war auf der Titelseite zu lesen. In aller Ruhe stellte Clemens den Bankern die Ist-Situation der Firma dar. Die Zahlen waren eigentlich nicht schlecht, wenn auf der Guthabenseite nicht so viele Forderungen wären.

»Tja«, sagte Schwarz, »Ihre Liquidität lässt deutlich zu wünschen übrig. Von Forderungen kann man nicht leben.«

Das Gespräch dauerte ungefähr zwei Stunden, und irgendwie hatte Solbach das Gefühl, sich im Kreis zu drehen. Wahrscheinlich um der Diskussion ein Ende zu setzen, schlug Dr. Schwarz vor, einen komplett neuen Businessplan zu erstellen, der wirklich zukunftsträchtig sein sollte und sich von den alten Strategien verabschiedete. Sie vereinbarten einen neuen abschließenden Termin in einem Monat. Dr. Schwarz stand auf und ging mit einem gemurmelten »Wiedersehen« aus dem Raum. Dieser Mann war wirklich unangenehm.

Die Solbach Consult war in der Unternehmensberatung tätig, Schwerpunkt Finanzanlagen. Die Mandanten waren in erster Linie Finanzmakler, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Anwälte, die sich auf Vermögensnachlässe und sonstige Anlagen spezialisiert hatten. Die Banken hatten ihn und ähnlich gelagerte Betriebe immer mit Missmut betrachtet, weil sie einfach der Meinung waren, man bräuchte keine unabhängige Beratung bei Kapitalanlagen. Solbach war mehr denn je der Meinung, dass man dringend kompetente externe Berater benötigte, denn wie man sich auf das Banksystem verlassen konnte, spürte er in diesem Moment sehr deutlich.

2. Kapitel

»Frau Kühn, bitte richten Sie Herrn Stahl aus, dass er in einer halben Stunde in mein Büro kommen möchte.« Wolfgang Stahl war das zweite Herz im Unternehmen. Für Bernd Solbach war der Prokurist nicht nur ein Leistungsträger der Finanzberatung und Planung, sondern vor allem ein wirklicher Freund und langjähriger Gefährte im Unternehmen. Sie kannten sich schon aus der Schulzeit, wobei Stahl drei Jahre jünger war, was in der Kindheit wirklich nennenswert ist. Auf dem Besprechungstisch in Solbachs Büro standen Kaffee und die Lieblingskekse für den Mitarbeiter bereit. Die weiß lackierte Tür des Büros war nur angelehnt und wurde mit einem Stoß aufgetan.

»Hallo Bernd«, trällerte es Solbach entgegen. »Was ist los – Probleme?« Stahl war ein kleiner, sehr schlanker Mann mit schütterem blondem Haar, der im ersten Augenblick ein wenig kauzig wirkte. Seine viel zu große Brille wirkte komisch auf dem schmalen Gesicht. Seine typische braune Cordhose hing völlig verdreht auf seinen Hüften, was sein T-Shirt in Mitleidenschaft zog.

»Guten Tag, Wolfgang. Schön, dass du da bist. Wir müssen dringend reden.«

Solbach ließ sich in einen der grünen Besprechungssessel fallen und Stahl spürte sofort, dass etwas Ernstes anlag. »Wir haben bisher jedes Problem gelöst«, tröstete Stahl seinen Chef, ohne zu wissen, worum es eigentlich ging.

»Das glaube ich auch, Wolfgang, aber die momentane Situation ist schon besonders brisant, weil sie die komplette Unternehmensgruppe betrifft.« In einem langen Gespräch klärte Solbach seinen Mitarbeiter über die sich häufenden Forderungsausfälle auf, die er ihm bisher gekonnt weitgehend vorenthalten hatte, und ging dann dezidiert auf das Bankgespräch mit diesem Dr. Schwarz ein.