Deutschland zu Fuß - Enno Seifried - E-Book

Deutschland zu Fuß E-Book

Enno Seifried

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Beschreibung

Enno Seifried machte sich auf, um Deutschland ganz neu kennenzulernen. Abseits der Touristenmassen wanderte er in 160 Tagen durch das ganze Land – ohne viel Planung, einfach und spontan. Auf einsamen Wegen, in außergewöhnlichen Landschaften erlebte er seine Heimat in einer ganz neuen Weise. Ein unvergessliches Abenteuer, das ihm nicht nur die teils ungezähmte Natur, sondern auch die Gastfreundlichkeit der Menschen in diesem Land näher brachte.

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Aufziehende Sturmfront im Naturschutzgebiet Ribnitzer Moor. Nicht mehr lange, und dann würde hier Weltuntergangsstimmung herrschen (→S. 48).

Inhalt

Vorfreude ist die schönste Freude

Der Norden

Mein ganz persönliches Endzeitszenario

Schmerzen und Hunger

Wind und Wetter

Erste Begegnungen

Wildcampen mit Vierbeinern

Abenteuer Schlafplatzsuche

Eine neue Etappe

Wandern ohne Wanderweg

Erste Unwetter

Naturgewalten am Weststrand

Der Nordosten

Auf dem Festland zum Hünengrab

Begegnungen auf der Seenplatte

Mit Heißhunger nach Waren

Slapstick

Karin und der Wolf

Sabrina

Sehnsüchte und Vorurteile der Anderen

Ursula und mein eigener Strand

Geräusche in der Abenddämmerung

»Schraube«

Sue und Thomas

Traumhafte Ausblicke

Die Mitte

Probleme im Erzgebirge

Leerstand im Spielzeugland

Julia und die Glöckners

1937 bis 2019

Grenzgebiet

Johannisbeeren auf dem Rennsteig

Nich lange schnacken, Kopp in Nacken

Abseits des Weges

Vicci und Jonas

Bierdurst

Schönste Stadt – schönster Fluss

Zwischen Laurenburg und Bad Ems

Der Südwesten

Nina und Florian

Moselfest

Neue Sohlen

Wenn der Körper streikt

Pilgerleben

Deutsche Gastfreundschaft

Ich komme wieder

Bärenbrüder

Peggy und Tilo

Regen lieben lernen

Maik und Steffen

Ziele

Es lohnt sich immer aufzubrechen

Ein besonderer Dank

Impressum

Für

Florian, Jonas, Julia, Maik,Nina, Pat23, Peggy, Sabrina, Steffen,Sue, Thomas, Tilo und Victoria.

Es war mir eine Freude,dass ihr mich ein Stück des Wegesbegleitet habt.

Vielen Dank auch an Nadine und Nicofür die gelungene Überraschungam Ziel der Reise.

Vorfreude istdie schönste Freude

Die Aufregung bei einem solchen Vorhaben ist für mich am Anfang am größten, also wenn es losgeht und ich mich auf das freue, was vor mir liegt. Man sagt ja: Vorfreude ist die schönste Freude. Das Glücksgefühl unterwegs oder der Punkt, an dem man realisiert, dass das Vorhaben gelingen wird, ist noch mal ein ganz anderes. Schon einige Tage vor Erreichen meines Ziels wurde mir klar, dass eigentlich nichts mehr zwischen mir und dem Endpunkt am Haldenwanger Eck steht. Obwohl ich auch zuvor nie daran gezweifelt hatte, überwältigte mich dieser Gedanke doch regelrecht. Doch die Gewissheit am Ende meiner Tour, dass ich das Vorhaben wirklich durchgezogen hatte, verlieh mir ein unfassbares Gefühl von Glück und Zufriedenheit. Was dabei wirklich in mir vorging, lässt sich kaum in Worte fassen. Ich war einfach nur glücklich und dankbar für den Weg, der hinter mir lag, und wusste, dass jede Entscheidung, die ich unterwegs getroffen hatte, die richtige war. Doch bevor ich zum Ende meiner Reise komme, möchte ich euch von meinem Weg dahin berichten, den tollen Begegnungen, auch den weniger angenehmen Begebenheiten, den aufregendsten Momenten und natürlich dem ganz normalen alltäglichen Wahnsinn, der mich unterwegs begleitete.

Bereits nach meiner 700-Kilometer-Tour durch den Harz fragten mich die Leute: »Wie kommt man auf die Idee, so viele Kilometer zu Fuß zurückzulegen? Der Harz ist doch gar nicht so groß?« Meine Standardantwort lautete immer: »Wenn man im Zickzack läuft und so viel wie möglich entdecken möchte, kommt man auch in einer kleinen Region schnell auf 700 Kilometer.« Ähnliche Fragen erreichten mich nach meiner 3442-Kilometer-Fernwanderung durch Deutschland. Natürlich hätte ich die Bundesrepublik auch in rund 1000 Kilometern von Nord nach Süd durchwandern können, doch das reizte mich nicht. Ich wollte mehr von dem Land sehen, mir Zeit dafür nehmen und nicht nur die üblichen Top Trails gehen. Alle für mich interessanten Landschaften und die Verbindungen zwischen ihnen ergaben diese Summe. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass auch der Gedanke verlockend war, der Erste zu sein, der eine solch weite Strecke nur in Deutschland am Stück zu Fuß zurücklegt. Da ich von vornherein plante, einen Dokumentarfilm über dieses Vorhaben zu drehen, sollte es natürlich auch etwas Besonderes sein.

Meine Route durch Deutschland plante ich nur in groben Zügen. Die tatsächliche Strecke ergab sich unterwegs spontan, von Woche zu Woche. Gerade auf so einer Tour mag ich es nicht, wenn alles vorhersehbar und durchgeplant ist. Ich möchte spontan agieren können und mich selber überraschen. Mir ging es hauptsächlich darum, in der Natur unterwegs zu sein. Die Besorgung von Vorräten musste sich dem unterordnen. Sehenswürdigkeiten spielten bei meiner Planung ebenfalls keine große Rolle. Sie waren, wenn sie zufällig auf meiner Route lagen, eher ein zusätzlicher Bonus am Wegesrand.

Auch wenn ich sonst ein Freund von traditionellen Wanderkarten bin, wären diese auf so einer langen Tour zu umständlich gewesen. Ich hätte ständig neue Karten organisieren und zusätzlich überflüssiges Gewicht mit mir herumschleppen müssen. Also entschied ich mich für die Deutschland-Wanderkarte der Kompass-App. Da ich sonst immer diesen Verlag nutze und die App optisch ähnlich aufgebaut ist, kam ich damit schnell gut klar.

Deutschland bietet viele spannende Fernwanderwege, und selbst nach 3442 Kilometern zu Fuß durchs Land hat man noch lange nicht alles gesehen, was es in diesem Land zu entdecken gibt.

Auch abseits der bekannten Fernwanderwege Deutschlands lohnt es sich, einen Blick zu riskieren. Unweit vom Rennsteig befindet sich zum Beispiel der höchste frei stehende Kletterfelsen Thüringens.

Um eins vorwegzunehmen: Eine genaue Auflistung der einzelnen Wege meiner Tour gibt es nicht, auch keinen GPS-Track. Jeder, der eine Tour in diesem Stil machen und das damit verbundene Gefühl von Freiheit erleben will, sollte sich seinen eigenen Weg suchen. Denn genau das ist Teil einer solchen Tour. Eine Route nachzulaufen ist einfach, doch definitiv weniger spannend. Das ist wie im Leben: Sucht, findet, geht euren eigenen Weg und nicht den, der euch von jemand anderem vorgelegt wurde. Dieses Buch soll also kein Wegweiser für Menschen sein, die vielleicht eine ähnliche Reise planen. Ich wünsche mir allenfalls, dass es vielleicht den ein oder anderen inspiriert, loszuziehen.

Der Norden

576 km

Motivation für das, was vor mir liegt: ein traumhafter Sonnenuntergang am ersten Abend meiner Reise im Norden der Insel Sylt.

Mein ganz persönlichesEndzeitszenario

Am Morgen des 20. Mai 2019 ging mein Zug von Leipzig nach Sylt. Neun Stunden Fahrt lagen vor mir. Für die ersten zwei Nächte hatte ich mir auf Sylt eine Unterkunft gebucht und wurde gleich mit einem für Deutschland ungewöhnlichen Preisniveau konfrontiert. Sylt wird nicht umsonst als Insel der Reichen und Schönen betitelt. So buchte ich die billigste Unterkunft, die ich finden konnte: für schlappe 150 Euro pro Nacht. Der Eigentümer der Pension holte mich persönlich am Bahnhof ab. Er drehte in seinem SUV noch ein paar Runden mit Umwegen, während er mir einiges über die Insel erzählte.

Sylt ist nach Rügen, Usedom und Fehmarn die viertgrößte Insel Deutschlands und die größte deutsche Nordseeinsel. Sie erstreckt sich über 38 Kilometer in Nord-Süd-Richtung. An der Ostseite das Wattenmeer, das bei Niedrigwasser weitgehend trocken liegt und Teil des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer ist. Sylt ist die einzige Nordseeinsel, auf der heute noch Wanderdünen zu bestaunen sind. Viele Jahrzehnte lang wurden im Norden und im Süden der Insel immer wieder Acker- und Weideflächen, aber auch Häuser unter den Sandmassen begraben. Um ihre Häuser, Grund und Boden zu schützen, begannen die Anwohner, die Dünen mit Strandhafer zu bepflanzen. Durch die bis zu zwölf Meter langen Wurzeln kann ein Wandern der Dünen verhindert werden. Die größte der heute noch existierenden Wanderdünen steht unter Naturschutz und darf nicht betreten werden. Allerdings gibt es gut angelegte Wanderwege, auf denen man den Wanderdünen im Listland nahe kommen kann. Westerland ist das Zentrum der Insel, wo knapp die Hälfte der rund 18 000 Einwohner von Sylt lebt. Wer es ruhiger mag, genießt lieber die ausgedehnten Heide- und Dünenlandschaften im Inselnorden. Dort, in der Nähe von List, hatte ich mir für die ersten zwei Nächte ein Zimmer gesucht, um mich auf die Tour vorzubereiten und am nördlichsten Punkt Deutschlands meine Wanderung zu beginnen.

Ich wanderte vom Norden der Insel zum elf Kilometer langen Hindenburgdamm, der Sylt mit dem Festland verbindet. Meine letzte Nacht verbrachte ich im Freien, unterhalb des Morsum-Kliffs, einer mehr als 20 Meter hohen und bis zu zehn Millionen Jahre alten Felsformation. Bereits am Hindenburgdamm musste ich meine Wanderung kurz unterbrechen, da dieser nicht begehbar ist, sondern nur mit dem Zug passiert werden kann.

Die ersten 517 Kilometer meiner Tour führten nach Sylt entlang der Nordsee, über den Nord-Ostsee-Kanal bis auf die Halbinsel Fischland-Darß-Zingst. An der Ostsee war ich auch früher schon oft, die Nordsee hingegen war mir bis dahin unbekannt. Gerade die Stimmung bei Ebbe faszinierte mich. Von Klanxbüll bis nach Husum bewegte ich mich hauptsächlich auf dem Nordsee-Radweg vorwärts, der um diese Jahreszeit menschenleer war. Allerdings hatte ich dafür noch nie zuvor so viele Schafherden gesehen, die auf der östlichen Seite meines Weges unermüdlich das frische grüne Gras stutzten.

Auf der westlichen Seite lag die Nordsee, die zwischen den Gezeiten wechselte und unermüdlich kalten Wind von der See an Land blies. Meine Fantasie wurde von dem kalten, rauen Wetter und der unendlichen Weite bei Ebbe beflügelt. Gleichzeitig machte sich eine Art Endzeitstimmung in mir breit. Das war es wohl auch, was mir einen solchen Kick gab. Schon seit ich denken kann, verschlinge ich Endzeitromane und lasse keinen Hollywoodfilm aus, der sich diesem Thema widmet. Endlich konnte ich meine zugegebenermaßen etwas bizarre Vorliebe für Endzeitszenarien ungehindert ausleben. Ich fühlte mich ein wenig wie Denzel Washington in »Book of Eli« oder wie der Revolvermann Roland Deschain in Stephen Kings Fantasy-Saga »Der dunkle Turm«.

Der stetige Wind kennt keine Pause.

Die Wolkenformationen und der weite Blick bei Ebbe beflügeln meine Fantasie.

Schmerzen undHunger

Bereits an den ersten Tagen meiner Wanderung bildeten sich erste Blasen an meinen Füßen. Ich sollte noch lange damit zu kämpfen haben. Das wunderte mich sehr, da ich solche Probleme von vorangegangenen Touren nicht kannte. Leider gibt es kein Patentrezept gegen Blasen. Egal, wie sehr man sich durchs Netz googelt, man findet zwar Tipps wie doppelte Socken, Trailrunning-Schuhe etc., doch jeder Mensch und jeder Fuß sind anders. Ich gewöhnte mich schnell an das übliche Prozedere: Blase aufstechen und desinfizieren, Pflaster mit einem Stück Binde verstärken und ran an die zerriebene Stelle. In den folgenden Wochen testete ich wirklich alles, was ich je darüber gehört oder gelesen hatte, bis ich mir fest vornahm, die Schmerzen zu ignorieren, egal, wie sehr es brannte. Ich beobachtete mich sogar bei Selbstgesprächen, die nur um die schmerzenden Stellen kreisten, was der Sache nicht gerade förderlich war. Mit Ignoranz hoffte ich, die betroffenen Stellen früher oder später abzuhärten und konzentrierte mich auf andere Körperteile, um meine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Irgendwann gelang mir das ganz gut. Am Ende half völlig unerwartet mein gefühlt dreißigstes Paar neue Einlegesohlen, das ich auf der Tour ausprobierte.

Auf einer kleinen Landzunge bei Dagebüll, direkt gegenüber der Insel Föhr, übernachtete ich auf einem Campingplatz. Meine Füße sehnten sich nach einer Erholung und ich mich nach einer warmen Dusche und einem guten Essen. In der Nähe meines Schlafplatzes, den ich weit abseits der vielen Wohnwagen auswählte, stand ein weiteres Zelt. Es dauerte nicht lange, und der langhaarige, vollbärtige Besitzer des Zeltes kam in auffällig bunter Outdoor-Kleidung auf mich zu. Er war begeisterter Bergsteiger und gönnte sich eine Auszeit von seiner Heimatstadt Wien, da er endlich mal das Flachland erkunden wollte. Ihm ging es wie mir mit der Nordsee. Nie hatte es ihn von den Bergen weggezogen, da er sich einfach nicht vorstellen konnte, dass es an der See etwas Spannenderes als Wasser zu sehen geben könnte. Nun war er froh, das Experiment gewagt zu haben, und begeistert von der Weitsicht, die ihm diese Landschaft bot. Wir tauschten uns ausgiebig über unser Outdoor-Equipment aus und fachsimpelten über diverse Ausrüstungsgegenstände, die auf so einer Tour sinnvoll oder auch weniger sinnvoll sind. Da ich annehme, dass viele Leser*innen sich für das Equipment interessieren, das ich auf solch einer Tour auf meinem Rücken trage, hier ein kleiner Einblick in meine Outdoor-Ausrüstung:

KLEIDUNG

– Unterhose

– Socken

– T-Shirt langärmlig

– Merino-Hoodie

– Polartec-Hoodie

– Daunenjacke

– Regenjacke

– Regenponcho

SCHLAFEN

– Doppelwandzelt inklusive Unterlegplane, Gestänge und sechs Heringe

– Aufblasbare Isomatte

– 3–4 Jahreszeiten Schlafsack

KOCHEN

– Wasserdichter Packsack

– Titanium-Topf

– Gaskocher

– Gaskartusche

– Löffel

– Wischtuch

– Zwei 2,5-Liter-Wassersäcke

– Selbstgebauter Duschaufsatz

– Wasserfilter

– Feuerzeug

– Multifunktionsmesser

PFLEGE

– Wasserdichter Packsack

– Zahnbürste und Zahnpasta

– Sonnenschutz

– Biologisch abbaubares Waschmittel

– Acryl-Spiegel

– Nagelzwicker

– Ohrenstäbchen

– Handspiegel

– Rasierapparat

– Toilettenpapier

– Handtuch

ERSTE HILFE

– Verbandsmaterial

– Pflaster

– Schmerzmittel

– Entzündungshemmer

REPARATUR

– Reparaturset Zelt

– Reparaturset Isomatte

– Drei Meter Paracord

– Nähzeug

LUXUS

– Outdoor-Kopfkissen

– Campingstuhl

– Schlafmaske

– Ohropax

In Husum nahm ich mir ein Hotelzimmer. Ich wachte auf einer Matratze auf, in der ich schlichtweg versank. Ich hatte das Gefühl, auf einem Marshmallow zu schlafen, was keineswegs meinem Bedürfnis nach einer wohltuenden Schlafunterlage entsprach. Egal. Ich machte mich frisch und peilte voller Vorfreude den Frühstücksraum an. Bei einem Übernachtungspreis von 89 Euro hatte ich mir fest vorgenommen, so viel wie möglich in mich hineinzuschaufeln. Da lohnt es sich doch, gleich Brote für unterwegs vorzubereiten. Gesagt, getan. Vier Brötchen, Unmengen Obst und zwei Stullen in Servietten verpackt, fielen für mich als Vorrat ab. Jetzt fühlte ich mich gut und konnte auch über den Preis schmunzeln. So satt war ich schon seit Tagen nicht mehr. Eigentlich plagte mich auf der gesamten Reise ein ständiges Hungergefühl. So viele Kalorien, wie ich verbrannte, konnte ich gar nicht aufnehmen, geschweige denn in meinem Rucksack mit mir herumschleppen.

Verpflegung für vier bis fünf Tage hatte ich immer im Rucksack dabei. So konnte ich eine Zeit lang in der Natur bleiben und mich von der Zivilisation fernhalten. Morgens gab es einen Apfel und eine Schüssel Müsli. Damit es nicht zu trocken ist, vermischte ich es mit einem »Obstquetschi« und ein wenig Wasser. Quetschis sind eigentlich eine ökologische Katastrophe, und es ist mir ein Rätsel, warum Menschen 90 Gramm zerquetschtes Bio-Obst in Kunststoffverpackung zum Auslutschen kaufen. Als Outdoor-Proviant sind sie allerdings optimal. Die Zwischenmahlzeit bestand aus zwei Scheiben Brot mit Tomaten und einem Gemüse-Aufstrich. Noch zwei, drei Powerriegel am Tag und abends eine Fertignudelsuppe. In meinem Fall sollte es vegan, zumindest vegetarisch sein.

Hin und wieder bietet auch die Natur unterwegs verschiedene Köstlichkeiten, die man direkt vom Baum oder vom Busch pflücken und essen kann. Allerdings sollte niemand denken, dass man davon satt wird. Definitiv nicht. Ich habe in den 165 Tagen meiner Wanderschaft mindestens zwölf Kilo abgenommen. Obwohl ich mich, sobald sich ein Café oder Ähnliches bot, mit Kuchen und Eisbechern vollgestopft habe. Zwei Stück Torte und ein Eisbecher waren auf der Tour keine Seltenheit. Auch in den Ortschaften, in denen ich mir eine Unterkunft nahm, suchte ich gezielt nach Restaurants, die meinen gefühlt ständig leeren Magen bis zum Bersten füllten.

Wind undWetter

Bei Ostenfeld machte ich Rast unter einem Windrad. Irgendwie war das spannend, da ich schon immer mal ganz nah an so ein Ding heranwollte. Erst wenn man direkt darunter steht, realisiert man, was für monströse Bauwerke das sind. In der ganzen Gegend waren die Windräder zu sehen, und alle rotierten fleißig, um Strom zu erzeugen. Bis auf das, unter dem ich saß. Aber das war gut so, denn die Dinger machen auch ordentlich Lärm. Grundsätzlich genieße ich lieber den Blick in die Ferne, ohne dass er am Horizont von Stromerzeugern gestört wird. Auf der anderen Seite bin natürlich auch ich an erneuerbaren Energien interessiert und halte sie für eine vernünftige Alternative zu fossilen Brennstoffen. Eines der Hauptargumente gegen Windräder ist der Vogelschlag. Jährlich sterben dadurch wohl zwischen 50 000 und 100 000 Vögel. Betrachtet man jedoch andere Zahlen, relativiert sich die Zahl schnell. Alleine durch Kollisionen im Bahn- und Straßenverkehr kommen jährlich etwa 70 Millionen Vögel um. Durch Glasscheiben an Gebäuden sind es alleine in Deutschland sogar 100 Millionen. Der Vogelschlag durch Windräder ist wiederum problematisch, da es häufiger seltene Arten trifft wie zum Beispiel den Rotmilan oder Fledermäuse. Weitere Störfaktoren sind der Lärm, erzeugter Infraschall, Schattenwurf oder die Veränderung des Landschaftsbildes. Einerseits sollten diese Probleme in meinen Augen nicht ignoriert werden. Andererseits ist in unserer Gesellschaft eine weitaus schlimmere Lärmbelästigung in anderen Bereichen allgegenwärtig. Das durch Windkraftanlagen veränderte Landschaftsbild ist auch mir ein Dorn im Auge, jedoch empfinde ich die Erweiterung des Acker-, Städte- und Straßenbaus ebenso wenig als Augenweide. So nehme ich also lieber diese durchaus berechtigten Einwände in Kauf, als weiterhin auf fossile Energie zu setzen. Der Mensch hat sich nun mal auf diesem Planeten breit gemacht und benötigt Energie. Daher müssen wir mit der bisher bestmöglichen Erzeugung leben, denn darauf verzichten können wir alle nicht.

Regen ließ in diesen Tagen nie lange auf sich warten. Vier Kilometer vor Hollingstedt waren meine Klamotten, vor allem meine Hose, so durchnässt, dass ich mir für die kommende Nacht eine Unterkunft suchen wollte. Vor dieser Tour habe ich bei der Vorbereitung bewusst auf eine Regenhose verzichtet. Als meine Wanderhose nur noch wie ein nasser Lappen an mir herunterhing, fragte ich mich allerdings, auf was für komische Ideen ich manchmal komme, nur um Gewicht zu sparen. Keine Regenhose, aber Kissen, Stuhl und Kameradrohne. Ich nahm mir vor, die Hose bald aus Leipzig nachschicken zu lassen. Das setzte ich allerdings nie in die Tat um, und würde sie nun – nach Abschluss der Reise – auch beim nächsten Mal zu Hause lassen.

Im Schutz des Daches einer Bushaltestelle bemühte ich mich, über mein Smartphone eine Unterkunft in Hollingstedt ausfindig zu machen, was mir nicht gelang. Daraufhin rief ich in einer Gaststätte an und fragte, ob man mir dort weiterhelfen könnte. Der Frau, mit der ich telefonierte, meinte: »Vielleicht vermietet Frau Pepper noch.« Im Netz fand ich die Nummer von besagter Frau Pepper und rief sofort an. Sie klang zunächst nicht begeistert, da das Zimmer nicht hergerichtet sei. Nach einem kurzen Plausch und der Versicherung, keine hohen Ansprüche zu haben, sagte sie schließlich zu. Kurz vor Ende des Gesprächs fragte ich noch nach dem Preis für die Nacht. »Ich nehme 25 Euro«, antwortete Frau Pepper. Ich dachte, ich höre nicht recht, tat aber unbeeindruckt und freute mich. Selbst wenn die 25 Euro nur für eine Nacht in der Garage gewesen wären, hätte ich sie in diesem Moment gern bezahlt.

Nach einem regenreichen Tag bekomme ich trotz anfänglicher Schwierigkeiten doch noch eine sehr gemütliche Unterkunft, um mich und meine Kleidung zu trocknen.

Eine Stunde später klingelte ich völlig durchnässt bei Frau Pepper, die mir gleich meinen Poncho abnahm, um ihn zum Trocknen in den Fahrradschuppen zu hängen. Mit den Worten »Ach, hätten Sie doch gleich gesagt, dass Sie Wanderer sind, dann hätte ich sofort zugesagt. Bei Radfahrern und Wanderern sage ich niemals nein«, bat sie mich herein und zeigte mir das Zimmer. Alles ein wenig in die Jahre gekommen, aber sehr gemütlich. Was will man mehr? Ich mochte Frau Pepper, da sie so zurückhaltend und bescheiden wirkte. Auch als ich ihr 30 statt der ausgemachten 25 Euro in die Hand drückte, wollte sie diese erst gar nicht annehmen. Dabei war die Pension weitaus behaglicher und das Bett weniger durchgelegen als in dem teuren »Marshmallow«-Hotel in Husum.

Im Anschluss fragte ich noch, wo ich im Dorf essen gehen kann. Dabei dachte ich an die Gaststätte, deren Mitarbeiterin mir den heißen Tipp mit Frau Pepper gegeben hatte. Meine Vermieterin verneinte. Das Wirtshaus habe nur am Wochenende geöffnet. Im gleichen Atemzug bot sie mir Brot, Mettwurst und Käse an. Das Einzige, was sie vorrätig hätte. Ich schloss Frau Pepper immer mehr ins Herz, lehnte aber dankend ab und erwähnte, noch Brot im Rucksack zu haben. Ich wollte ihr nicht unnötig zur Last fallen, war ich doch schon froh, dass ich überhaupt bei ihr übernachten konnte. Zugegeben, mein Brot blieb an diesem Abend im Rucksack. Stattdessen packte ich den Kocher aus und kochte mir im Zimmer eines meiner Fertiggerichte. Zum Glück gab es dort einen Tisch mit Steinplatte. Auf dem Teppich hätte ich den Kocher nur ungern angeschmissen.

ErsteBegegnungen

Ich lief, bis ich in Groß Rheide an einem Bäcker vorbeikam. Mein Bauch freute sich riesig auf zwei Stück Kuchen und eine Rumkugel, die mir aus der Theke sofort ins Auge stachen. Perfektes Frühstück. Vor dem Bäcker lungerten ein paar Jugendliche herum. Ich fiel ihnen scheinbar besonders auf, woraufhin eine ungefragte Frage-Antwort-Runde startete: »Woher, wieso, weshalb, warum, wohin?« Auch wenn ich in Gedanken nur bei meinem Kuchen war, schwatzten wir kurz. Sie stellten unzählige Fragen, und ich kam mir vor wie im Geografieunterricht: »Kennst du den Schwarzwald? Kennst du die Sächsische Schweiz? Kennst du dies? Kennst du jenes? Und warst du da schon?« Artig beantwortete ich jede einzelne. Als ich dann wiederum fragte, ob einer von ihnen denn schon mal an einem der genannten Orte war, kam ein kurzes »Nö!« Eine seltsame Unterhaltung. Dennoch freute es mich, dass ihnen diese Orte zumindest bekannt waren. Und dann musste ich wieder los, denn mein Magen knurrte wie wild. Ich konnte es kaum noch erwarten, meinen Kuchen zu verschlingen.

Weiter ging es durch Kropp, vorbei am Owschlager See – die Orte in der Gegend trugen seltsame Namen – bis zum Nord-Ostsee-Kanal, dessen Ufer ich nun folgte. Wie der Name schon sagt, verbindet der Kanal Nord- und Ostsee und gehört weltweit zu den meistbefahrenen künstlichen Wasserstraßen. Ich hatte gelesen, dass pro Jahr etwa 30 000 Schiffe diesen Kanal passieren. Gleichzeitig wunderte ich mich, warum ich seit Stunden kein einziges Schiff gesehen hatte, als der erste Frachter plötzlich am Horizont auftauchte. Als hätte ich sie mit meinem Gedanken heraufbeschworen, tuckerten ab diesem Moment vom kleinen Segler bis zum monströsen Frachter die Schiffe im Minutentakt an mir vorüber.

Bei meiner Ankunft am See im Naturschutzgebiet Ahrensee und nordöstlicher Westensee war es noch beschaulich und ruhig. Das sollte sich am kommenden Morgen ändern.