Diamanten im Staub - Frauke Bolten-Boshammer mit Sue Smethurst - E-Book

Diamanten im Staub E-Book

Frauke Bolten-Boshammer mit Sue Smethurst

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Beschreibung

Das E-Book basiert auf: 1. Auflage 2020, Dumont Reiseverlag

Die inspiriende Geschichte einer starken Frau, die in einer der unbarmherzigsten Regionen auf der Erde zur erfolgreichsten Diamantenhändlerinnen Australiens wird.
Australien 1981: Innerhalb weniger Minuten nach der Landung in Kununurra fasst Frauke den Entschluss, schnellstmöglich nach Deutschland zurückzukehren. Die staubige Grenzstadt ist kein Ort für eine Frau. Frauke bleibt dennoch, wild entschlossen, ihrem Mann Friedrich zu helfen, ein neues Leben in der Landwirtschaft aufzubauen. Drei Jahre später nimmt Friedrich sich das Leben – und Frauke bleibt alleine mit den Kindern im Outback zurück. Doch mit harter Arbeit und unerschütterlicher Hoffnung erschafft sie für sich und ihre Familie ein neues Zuhause.

  • Eine Frau zwischen Hoffnung, Verzweiflung und dem großen Glück
  • Ein bewegendes Schicksal, persönlich erzählt
  • Tiefe Einblicke in das Leben im Outback

Tipp: Setzen Sie Ihre persönlichen Lesezeichen an den interessanten Stellen und machen Sie sich Notizen… und durchsuchen Sie das E-Book mit der praktischen Volltextsuche!

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Seitenzahl: 416

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FRAUKE BOLTEN-BOSHAMMER MIT SUE SMETHURST

DIAMANTEN

im

STAUB

Die Geschichte einer starken Frau, die im Outback ein Diamanten- Imperium  aufbaut 

AUS DEM ENGLISCHEN VON TEA DIETTERICH

Kontakt zur Autorin Frauke Bolten-Boshammer über [email protected]

1. Auflage 2020

© 2018 by Frauke Bolten-Boshammer and Sue Smethurst

Published by Arrangement with Frauke Bolten-Boshammer and Sue Smethurst

© 2020 für die deutsche Ausgabe: DuMont Reiseverlag, Ostfildern

Alle Rechte vorbehalten

Die englische Originalausgabe ist 2018 unter dem Titel »A Diamond in the Dust« bei Simon & Schuster in Australien erschienen.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Übersetzung: Tea Dietterich, 2M Language Services

Lektorat: Dr. Kristina Wengorz, Berlin

Gestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Umschlagfotos: Chris Magnay Photography, www.magnay.photos (Porträt vorn); Michael Franchi, www.franchi.com.au (Porträt Klappe); Shutterstock.com/Philip Schubert (Landschaft)

Fotos innen: Frauke Bolten-Boshammer

www.dumontreise.de

Für meine Familie und meine Freunde von Kappeln (Deutschland) bis Kununurra (Australien)

Prolog

April 1981, Perth

Die Flugbegleiterin hob eine Augenbraue, während sie unsere ­Tickets studierte. »Wissen Sie eigentlich, was Sie in Kununurra erwartet?«, fragte sie ein wenig von oben herab.

Ihre Neugier auf jemanden, der ohne Rückflugticket in diesen entlegensten Teil Australiens reiste, war wohl verständlich – besonders aber bei einem jungen Paar, das kaum Englisch sprach und drei kleine Kinder im Schlepptau hatte.

Als sie unsere Koffer auf einem Gepäckwagen verstaut hatte, der bereits hoch mit Zeitungen, Mehlsäcken und diversen Ausrüstungsgegenständen beladen war, hob ich das Baby auf meiner Hüfte etwas höher, strich mir selbstbewusst eine widerspenstige braune Locke aus dem Gesicht und kratzte das letzte bisschen falscher Zuversicht zusammen, um ein Lächeln auf mein Gesicht zu zaubern.

Das eigensinnige deutsche Blut in meinen Adern ließ nicht zu, dass ich mir auch nur im Geringsten die lähmende Angst anmerken ließ, die mir den Schlaf raubte, seit mein Mann Friedrich vor sechs Monaten die Bombe hatte platzen lassen: Wir würden nach Australien ziehen.

Flüge von Perth ins Outback waren selten, ebenso Passagiere auf ihnen. Der Flug MV 392 von Perth über Derby nach Kununurra, bekannt als Milk Run, lieferte dringend benötigte Vorräte und Ersatzteile für die abgelegenen Rinderfarmen und winzigen Siedlungen, die weit verstreut in dieser riesigen Wüstenregion lagen. Für die Menschen, die dort lebten, war dieser Flug die einzige Verbindung zur Außenwelt.

Es gab weder besonderen Service an Bord noch ein »Lehnen Sie sich zurück, entspannen Sie sich und genießen Sie den Flug« vom Flugkapitän. Bei uns handelte es sich um Fracht, mensch­liche Fracht, die in die entlegenste Ecke der Wüstenregion geliefert werden sollte.

Nachdem unsere Tickets kontrolliert waren, rasten der elfjährige Fritz und die zehnjährige Margret über das Rollfeld und die Metalltreppe zum Flugzeug hinauf, um ihre Plätze zu finden, während der Rest unseres Gepäcks im Frachtraum verstaut wurde. Wir hatten nicht viel dabei. Die dicken Wollmäntel und Mützen, die man brauchte, um zu Hause den Winter zu überstehen, hatten wir auf dem Dachboden unseres Bauernhauses im norddeutschen Seedorf verstaut, wo sie jetzt auf unsere Rückkehr warteten. Ein paar Koffer und die Kleidung, die wir trugen, waren alles, was wir für unser Abenteuer brauchen würden.

Wir waren auf dem Weg in eine der entferntesten und abgelegensten Regionen Australiens, möglicherweise der ganzen Welt. Ein Winkel des Outback voller Krokodile, acht Autostunden von der nächsten größeren Stadt entfernt. Unser neues Zuhause würde eine Farm sein, die ich noch nie gesehen hatte, an einem Ort, von dem ich noch nie gehört hatte, mit einem Namen, den ich kaum aussprechen konnte, 3200 Kilometer von Perth entfernt, an der Grenze zwischen den beiden Bundesstaaten Northern Territory und Western Australia, mitten im Nirgendwo.

Ich schnallte mich an – für die Reise meines Lebens.

1

Schleswig-Holstein, wo ich geboren und aufgewachsen bin, ist bekannt für seine malerischen sanften Hügel, sattgrünen Felder und einsamen Seen, die wie in Szenen aus The Sound of Music (Meine Lieder – meine Träume) aussehen. Ich muss gestehen, dass ich jedes Mal, wenn ich diesen Film sehe, ein wenig Heimweh bekomme.

Meine Mutter war die große Liebe meines Vaters. Sie hatten sich kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verlobt, und als er von der Wehrmacht eingezogen wurde, schrieben sie einander mehr als 400 Liebesbriefe, um in Verbindung zu bleiben.

Jeder einzelne Brief meines Vaters begann mit den Worten: »Meine allerliebste Lotte! Unsere Gedanken sind beieinander.« Er schrieb Seiten über Seiten in seinem sehr schönen Stil, voller Geschichten über das Leben in den Schützengräben. Meine Mutter sandte ihm tröstende und aufmunternde Worte von zu Hause zurück. Als er auf Heimaturlaub war, heirateten sie, aber die Flitterwochen mussten warten, da er zurück an die Front musste. Sie hassten es, voneinander getrennt zu sein.

Erst nach dem Krieg und der Rückkehr meines Vaters konnten sie ihr gemeinsames Leben auf dem Hof meines Großvaters in Neuheim beginnen, wo sie wohnten und arbeiteten. 1943 wurde mein Bruder Jürgen geboren, und zwei Jahre darauf folgte meine Schwester Dorte. Ich wurde am 3. Oktober 1947 als Frauke Seemann geboren. Frauke ist eine Verkleinerungsform von Frau, ich war also eine »kleine Dame«.

Kurz nach meinem zweiten Geburtstag starb meine Mutter Liselotte im Alter von gerade einmal 34 Jahren an Krebs. Ich habe sie nicht wirklich kennengelernt, und es bricht mir bis heute das Herz, dass ich keine eigenen Erinnerungen an sie habe. All meine Erinnerungen stammen von anderen, es sind geborgte Erinnerungen, zusammengeklaubt aus Geschichten und Anekdoten, die meine Familie mir auf meine Bitten hin erzählt hat. Auf diese Weise habe ich ein Bild von ihr zusammengestückelt, eine wertvolle Vorstellung, die ich für immer in meinem Herzen trage.

Ich habe ein kostbares Foto von uns beiden, eine verblassende Schwarz-Weiß-Aufnahme, die gerahmt in meinem Schlafzimmer steht. Ich sehe sie jeden Tag, wenn ich aufwache. Als das Foto gemacht wurde, war ihr Krebs schon weit fortgeschritten. Sie ist dünn und blass und weist keinerlei Ähnlichkeit mehr mit den kräftigen Frauen in meiner Familie auf. Trotzdem bin ich dankbar für dieses eine Bild; es gibt mir etwas, woran ich mich festhalten kann.

Mein Vater Johannes war am Boden zerstört, als sie starb. Den Sarg meiner Mutter hatte er mit ihren Lieblingsblumen auspolstern lassen, sodass ihr Kopf auf einem dicken Kissen aus dunkel- und purpurroten Nelken ruhte. Nachdem der Sarg geschlossen war, wurden lange Blumengirlanden über ihn gelegt. Mein Bruder, meine Schwester und ich durften nicht zur Beerdigung kommen – wir wussten bis nach dem Begräbnis nicht einmal, dass sie gestorben war. Wir konnten uns also nicht von ihr verabschieden.

In seiner Grabrede sprach mein Vater mit Stolz davon, dass ihre Liebe mit jedem Tag stärker geworden sei, und nannte sie seine »liebe Lebensgefährtin«. Er erinnerte sich an die seltenen Momente, in denen er während des Krieges hatte bei ihr sein können, und daran, wie traurig es jedes Mal gewesen war, wenn er sich von ihr hatte verabschieden müssen. »Es war schrecklich, nie zu wissen, ob wir uns wiedersehen würden, aber ihre stillen Gebete, ihre Tapferkeit und ihre Liebe – all dies trug dazu bei, dass ich den Krieg überlebte.« In den letzten Stunden ihres Lebens habe sie seine Hand gedrückt, während er sie zärtlich in seinen Armen gehalten habe, »bis der Tod stärker war und sie nicht mehr die Kraft hatte, ihn zu besiegen«, erzählte er der trauernden Gemeinde. Jahre später erfuhr ich, dass er in Tränen ausbrach, als er seine letzten Worte vorlas: »Mein einziger Wunsch ist, dass die Kinder und ich dich nur noch ein letztes Mal sehen können.«

Ich habe seine Grabrede oft gelesen; in ihr wird ganz klar, dass er meine Mutter abgöttisch liebte. Ich glaube, sowohl sein Herz als auch sein Geist zerbrachen am Tag ihres Todes. Den Rest seines Lebens trug er stets eine Strähne ihres Haares bei sich.

Nach ihrem Tod sprachen wir kaum über meine Mutter; es schmerzte meinen Vater zu sehr. Wann immer einer von uns sie erwähnte, fing er an zu weinen. Wir konnten sehen, wie unglaublich traurig es ihn machte; sein Herz war gebrochen. Wir wollten ihm nicht noch mehr Schmerz zufügen, also hörten wir einfach auf, über sie zu sprechen. Es war, als hätte sie nie existiert.

Mein Vater bemühte sich sehr, sich ohne Frau um uns zu kümmern – etwas, das damals nicht als die Aufgabe eines Mannes angesehen wurde. Er war ein sehr traditionsverhafteter Mann, ein kräftiger deutscher Bauer, dessen Aufgabe es war, uns ein Zuhause zu bieten, ein Dach über dem Kopf und Essen auf dem Tisch – all das tat er, aber es fiel ihm schwer, uns seine Liebe zu zeigen.

Am meisten sehnten wir uns nach Zuneigung, nach der zärtlichen Umarmung eines Vaters, nach jemandem, der unsere Tränen trocknete und uns sagte, dass alles gut werden würde; er aber war dazu erzogen worden, sich nicht unterkriegen zu lassen und immer weiterzumachen. Das erwartete er auch von uns; außerdem war er der Meinung, dass Kinder zwar gesehen, aber nicht gehört werden sollten.

Vor dem Mittag- oder Abendessen mussten wir mucksmäuschenstill und mit geradem Rücken hinter unseren Stühlen stehen, wenn unser Vater den Raum betrat. Wir durften uns erst setzen, wenn er es uns erlaubte.

Als wir einmal am Essen herummäkelten, versuchte er, uns klarzumachen, wie dankbar wir dafür sein sollten.

»Ihr Kinder habt ja keine Ahnung, wie das während des Krieges war!«, brüllte er, bevor er in den Garten hinausstürmte.

Als er wieder hereinkam, hatte er einen Spatz in der Hand, der sich nicht rührte. Er hatte ihn mit bloßen Händen umgebracht, und wir sollten ihn essen. Wir waren entsetzt, als er ihn in die Küche trug.

»Das haben Soldaten im Krieg gegessen«, sagte er, als er zurückkam und rasch unsere Teller leerte, um Platz für den gebratenen Vogel zu machen.

Wir haben uns nie wieder über unser Mittagessen beschwert.

Dortes einzige richtige Erinnerung an meine Mutter ist die an das letzte Weihnachten, das wir mit ihr feierten, nur einen Monat vor ihrem Tod. Als ich vier oder fünf Jahre alt war, entschied Vater, dass wir keinen Weihnachtsbaum mehr brauchten. Er sagte uns, Weihnachten sei abgesagt; es war ihm einfach zu viel. Wir waren sehr unglücklich, und schließlich gab er nach und holte in letzter Minute einen Baum. Aber seine Traurigkeit hatte auch uns angesteckt.

Als ich sechs Jahre alt war, fand mein Vater, ich sei alt genug, gemeinsam mit Jürgen und Dorte auf dem Hof zu helfen. Also arbeiteten wir nach der Schule auf dem Feld, um die Ernte einzubringen. Wir hackten Zuckerrüben, damit sie nicht so dicht beieinanderstanden, was mühsam war, aber bei Weitem nicht so anstrengend wie das Aufsammeln von Kartoffeln. Im Spätherbst liefen wir sowohl am frühen Morgen als auch spätabends auf dem Acker hinter dem Kartoffelroder, einer Art Pflug, der die Kartoffeln ausgrub, her und mussten alle einsammeln, die dabei freigelegt wurden. Kartoffeln sind sehr frostempfindlich, also mussten wir sie schnell aufsammeln, bevor sie verderben konnten. Wir klaubten Hunderte fast gefrorene Kartoffeln aus der Erde. Sie waren so kalt, dass es wehtat, sie zu halten. Manchmal hatte ich das Gefühl, meine kleinen Finger könnten jederzeit abbrechen.

Mit alldem wollte Vater uns stark machen; wir sollten lernen, wie man schwierige Zeiten übersteht.

Trotzdem blieb auch Zeit zum Spielen, und als Kinder hatten wir viele Freiheiten. Die einzigen anderen Kinder, die in der Nähe lebten, waren die Jungs auf einem benachbarten Bauernhof, aber das machte Dorte und mir nichts aus. Solange wir jemanden zum Spielen hatten, war es uns egal, ob es ein Junge oder ein Mädchen war. Wir hatten eine weitläufige Scheune für das Heu, und mithilfe der Jungs gruben wir an einem Ende eine geheime Höhle und stützten sie mit Brettern ab. Es war wirklich toll. Die Höhle lag versteckt hinter dem ganzen aufgetürmten Heu, sodass wir durch das Heu kriechen mussten, um hineinzukommen. Ich erinnere mich noch gut daran, dass wir eines Tages Kerzen in unsere Heuhöhle mitnahmen und anzündeten. Heutzutage schaudere ich, wenn ich darüber nachdenke, was da hätte passieren können.

Jeden Tag liefen wir die zweieinhalb Kilometer zu unserer Grundschule in Mehlby zu Fuß – hin und wieder zurück. Ich war ein schrecklich schüchternes Kind und saß lieber still im Klassenzimmer, als die Aufmerksamkeit der anderen auf mich zu ziehen. Um mich aus meinem Schneckenhaus zu locken, rief der Lehrer mich oft auf, was natürlich die gegenteilige Wirkung hatte. Wenn ich mich doch einmal traute, mich von mir aus zu melden, machte er abfällige Bemerkungen wie: »Oh, sie spricht«, oder, wenn meine Antwort falsch war: »Was könnte man auch sonst von der kleinen Frauke erwarten?« Er sorgte dafür, dass ich mich dumm fühlte, also gab ich einfach auf.

Mein Vater beschäftigte Schülerinnen von der nahe gelegenen Hauswirtschaftsschule, die ihn bei der Hausarbeit unterstützten. Die Aufgabe der jungen Frauen war es, zu kochen, zu putzen und das Haus in Ordnung zu halten. Sie machten ihre Arbeit gut, aber wir sehnten uns nach mütterlicher Fürsorge und der Mutter, die wir nicht hatten. Adele, meine Großmutter mütter­licherseits, war wunderbar, und Dorte wurde wie eine Mutter für mich. Sie war diejenige, die mich tröstete und umarmte, wenn ich es brauchte, aber sie war ja selbst noch ein Kind.

Die Rettung kam, als eines Tages eine Frau mittleren Alters aus Ostpreußen an unserer Haustür klopfte: Margarete Brandstädter. Am Ende nannten wir alle sie Tante Banta.

Sie stammte aus einem kleinen Ort in der Nähe von Soldahnen im Kreis Angerburg. Nach der Eroberung Ostpreußens und ihres Heimatdorfes durch die Sowjetarmee hatte sie mit ihrer Tochter Ursula fliehen müssen. Und jetzt stand sie vor unserer Tür und suchte nach einer Bleibe. Mein Vater nahm sie in unser Haus und in unser Leben auf, und schon bald liebten wir sie sehr. Diese große, dünne Frau mit ihrer runden Drahtbrille, den dicken Strümpfen und vernünftigen Schnürschuhen umarmte uns aufs Geratewohl, backte Kekse und las uns Geschichten vor; sie machte uns glücklich. Wir wussten, dass sie nicht ewig bleiben würde, aber wir klammerten uns an jeden wertvollen Moment mit unserer eigenen Mary Poppins.

Als ich acht Jahre alt war, heiratete Vater wieder. Wir freuten uns sehr für ihn und hofften, dass Frieda etwas Sonnenschein in sein Leben zurückbringen würde. Aber ihre Ehe war lieblos; er hatte nur jemanden gesucht, der ihm mit den Kindern half.

Frieda bemühte sich redlich um uns, aber sie war keine besonders warmherzige Frau, und da mein Vater Zuneigung als ein Zeichen der Schwäche ansah, ermutigte er sie nicht. Er befürchtete, wir würden sonst verhätschelt. Glücklicherweise zog Tante Banta nicht weit weg und blieb ein wichtiger Teil unseres Lebens – und das bis zu ihrem Tod im Jahr 1991.

Meine eigene Erziehung sollte die Art von Mutter prägen, die ich einmal werden würde. Ich gab mir damals selbst das Versprechen, meine Kinder mit Zuneigung und Liebe zu überschütten, denn man verzieht ein Kind nicht, wenn man ihm zu viel Liebe schenkt.

Meine Zukunft und mein Schicksal wurden 1965 besiegelt, als ich im Alter von 17 Jahren auf den Bauernhof der Familie Bolten geschickt wurde, um dort zu arbeiten. Nach der Schule hatte ich, so wie es auch meine Mutter getan hatte, eine Hauswirtschaftslehre begonnen. Wir lernten alle möglichen häuslichen Pflichten zu erfüllen, lernten bügeln, kochen und gärtnern – also alles, was eine Frau können muss, um einen Haushalt zu führen.

Einen Teil unserer Ausbildung absolvierten wir bei einer Familie auf einem Bauernhof, so wie es die jungen Hauswirtschaftsschülerinnen bei uns getan hatten. Ich wurde gemeinsam mit einem anderen jungen Mädchen, Elisabeth, zu Familie Bolten geschickt. Die Boltens besaßen einen sehr erfolgreichen landwirtschaftlichen Betrieb, den Sünderuphof. Er lag am Stadtrand von Flensburg, etwa 45 Kilometer von Kappeln entfernt, wo ich aufgewachsen bin.

Als wir auf das Anwesen der Boltens zuliefen, konnten wir von der Straße aus sehen, dass dieser Bauernhof etwas Besonderes war. Zuerst war ein riesiges Reetdach zwischen den Baumkronen hindurch zu erkennen, und dann erschien das weitläufige weiße Backsteinhaus am Ende einer langen, kurvigen Zufahrt, die von dicken grünen Hainbuchenhecken gesäumt war.

In dem Moment, in dem ich das schöne Haus der Boltens betrat, verliebte ich mich – sowohl in ihr Zuhause als auch in sie. Ihre Gastfreundlichkeit und Wärme waren überwältigend.

Ihr Zuhause war ein schönes, großes, traditionelles deutsches Gutshaus. Es hatte fünfzehn Zimmer, von denen jedes in einem anderen Stil eingerichtet und mit anderen Farben gestaltet war und einen Blick auf sattgrüne Weiden bot. Das ursprüngliche Haus war 1941 bombardiert worden und brannte ab. Die Familie hatte es wiederaufbauen lassen. Während die Fassade wieder wie vor dem Krieg aussah, bot das Innere jeden modernen Luxus, den man sich nur vorstellen konnte, einschließlich einer dekadenten Zentralheizung – etwas, das ich von zu Hause nicht kannte. Solange ich in diesem Haus lebte, würde mir nie kalt werden.

Elisabeth und ich bekamen Schlafzimmer im Obergeschoss, und unsere Aufgabe war es, Frau Bolten bei der Hausarbeit zu helfen. Auf dem Hof war sehr viel los, und unser Tag begann um 6:30 Uhr, wenn wir das Frühstück für die Männer machten, die auf den Feldern arbeiteten, und die Milchsuppe für Großmutter Bolten zubereiteten, die ebenfalls in dem Haus lebte.

Wenn alle zu Abend gegessen hatten und alle Hausarbeiten erledigt waren, lud Frau Bolten uns ein, noch bei der Familie zu bleiben und mit ihnen zu plaudern. Ich genoss ihre Gesellschaft, insbesondere die von Herrn Bolten, der sehr großzügig war und mich oft zum Lachen brachte. Frau Bolten, eine geborene Petersen, aufgewachsen auf dem Gut Lundsgaard, war sehr anspruchsvoll – sie erwartete, dass alles perfekt war und ihren außergewöhnlich hohen Ansprüchen entsprach –, aber sie strahlte auch eine Wärme aus, nach der ich mich seit meiner Kindheit gesehnt hatte. Sie brachte mir viele Dinge bei, unter anderem auch, ein Glas guten Weins zu genießen, und gab Elisabeth und mir das Gefühl, Teil der Familie zu sein.

Etwa einen Monat nach unserer Ankunft heiratete Hedi, eine Tochter der Boltens. Der Empfang sollte im Haus stattfinden, also liefen Elisabeth und ich uns in den Tagen davor die Hacken ab, um dafür zu sorgen, dass nirgendwo auch nur ein Staubkorn zu finden war. Die Gläser funkelten, die Wäsche war gestärkt und gemangelt worden, bis sie frisch und steif war, Blumen füllten Vasen in jeder Ecke des Hauses, und das Besteck war poliert, dass man sich darin spiegeln konnte.

Wir bereiteten ein königliches Fest vor, schenkten Cham­pagner aus, bedienten die Gäste und sorgten dafür, dass alles reibungslos verlief, damit Herr und Frau Bolten sich ihren Gästen widmen konnten. Am späten Abend, als alles Essen serviert war und die letzten Gäste an ihren Getränken nippten, konnten wir uns endlich entspannen. Die meisten der älteren Gäste waren bereits früher gegangen, aber ein paar jüngere waren noch da und tanzten bis spät in die Nacht.

Hartwig, der jüngste Sohn der Boltens, streckte mir seine Hand entgegen und fragte mich, ob ich mit ihm tanzen wolle. Er war charmant und selbstbewusster als jeder andere junge Mann, den ich je getroffen hatte. Frau Bolten ermutigte Elisabeth und mich, ebenfalls das Tanzbein zu schwingen, also nahm ich Hartwigs Hand.

An diesem Abend wurden wir ein Paar. Hartwig war ein hinreißender Verehrer. Manchmal nahm er mich mit zum Tanzen oder ins Kino, und wir hielten Händchen oder küssten uns, aber zu mehr kam es nicht.

Wir waren etwa ein Jahr zusammen, als Hartwig unsere Beziehung plötzlich beendete. Ich würde demnächst auf die Frauenfachschule in Flensburg gehen, um meine Ausbildung fortzusetzen, und er erklärte mir, dass er nicht wollte, dass sich unsere Beziehung weiter vertiefte, und sagte: »Ich will meine erste Freundin nicht heiraten.« Er wollte sich lieber noch ein wenig austoben.

Ich war traurig und fürchtete zudem, ich würde die Boltens nicht mehr wiedersehen, und ich liebte diese Familie doch so sehr.

Nach meiner Ausbildung zog ich weg, zunächst nach Hamburg und dann weiter in den Süden, nach Bad Nenndorf bei Hannover, wo ich eine Stelle in einem Sanatorium mit 400 Patienten bekam. Es war ein ziemlich deprimierender Ort – ein großes altes Backsteingebäude voller sehr kranker Menschen –, aber es gab eine riesige Küche und es wurde viel Personal benötigt, um den Laden am Laufen zu halten.

Die Arbeit im Sanatorium war anstrengend, und ich war jeden Abend ziemlich erschöpft, aber ich habe in dieser Zeit enorm viel gelernt. Ich verdiente mein eigenes Geld und war finanziell unabhängig, worauf ich sehr stolz war – und endlich konnte ich meinen Führerschein machen.

Kurz nach meinem neunzehnten Geburtstag lud mich Frau Bolten zu einem Besuch auf den Gutshof ein. Zufällig war auch Friedrich, der älteste Sohn, zu Hause. Nach dem Militärdienst, den er verabscheut hatte, hatte er im fünf Stunden entfernten Soest Landwirtschaft studiert. Friedrichs Schicksal hatte sich schon in frühen Jahren entschieden: Als ältester Sohn würde er den Hof der Familie Bolten erben. Große Erwartungen lasteten somit auf seinen Schultern.

Friedrich war eine blonde Bohnenstange. Dünn und mit dichtem Haar, war er das Ebenbild seines Vaters. Beide hatten einen durchtrainierten Körper, dem man die harte Arbeit ansah. An diesem Tag verstanden wir uns gut, und er schenkte mir viel Aufmerksamkeit. Kurz darauf fasste er sich ein Herz und bat mich, mit ihm auszugehen. Erst Jahre später gestand er mir, dass er schon immer ziemlich angetan von mir gewesen war und es ihn geärgert hatte, dass sein kleiner Bruder mich als Erster um eine Verabredung gebeten hatte.

Wir wurden gute Freunde und genossen die Gesellschaft des anderen. Friedrich war nicht so selbstsicher wie Hartwig, und es dauerte ein paar Monate, bis er es wagte, mich zu küssen. Das zwischen uns war also keine Herzrasen verursachende, leidenschaftliche Romanze, stattdessen wuchs ganz natürlich mit der Zeit unsere Liebe zueinander. Er versuchte nicht, mein Herz im Sturm zu erobern, aber genau dafür liebte ich ihn: Er war geduldig, sanft und freundlich, nachdenklich und rücksichtsvoll, und er war stark und einfühlsam.

Friedrich war kein großer Redner und mochte es nicht, im Mittelpunkt zu stehen, aber er dachte viel nach. Er hatte große Träume und war entschlossen, seine Spuren auf der Welt zu hinterlassen und sich seinen eigenen Namen zu machen.

Seine Familie war sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Geschäftswelt sehr erfolgreich. Friedrichs Ururgroßvater August Bolten war Mitbegründer mehrerer Hamburger Reedereien, darunter die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft, kurz Hapag, eine Reederei, die später mit der Norddeutschen Lloyd zur Hapag-Lloyd fusionierte, heute eines der größten Transport- und Logistikunternehmen Deutschlands, und die Hamburg-Brasilianische Dampfschifffahrt-Gesellschaft, die bis heute als Hamburg Süd weiterexistiert.

Es wäre für Friedrich ein Leichtes gewesen, einfach irgendwie vor sich hin zu leben, bis er den Familienbetrieb erben würde, aber das war nicht seine Art. Er hatte den Unternehmergeist seiner Vorfahren geerbt. Er war stolz und klug, hatte Träume und einen unruhigen Geist. Er wollte hart arbeiten und alles aus seinem Leben herausholen. Er wollte sehen, was er durch seine eigene harte Arbeit erreichen konnte, und sich nicht mit dem zufriedengeben, was ihm in die Wiege gelegt worden war.

Auf ungewöhnlichem Weg fand ich heraus, dass Friedrich mich heiraten wollte.

Eines Tages schlich sich seine Schwester Hedi leise zu mir in die Küche der Boltens und fragte mich: »Hat Friedrich eigentlich schon mit dir über eure Zukunft gesprochen?«

Ich wusste, worauf sie anspielte, und vermutete, dass sie in Friedrichs Auftrag bei mir vorfühlen sollte. Ich lächelte sie an und sagte: »Nein.«

Mit dem Wissen, dass ich Ja sagen würde, eilte sie zu ihrem schrecklich schüchternen Bruder und sagte: »Friedrich, warum hast du sie noch nicht gefragt? Worauf wartest du denn!« Mit den Worten der Ehestifterin Hedi im Ohr fragte er mich an einem Nachmittag in der Folgewoche, ob ich mit ihm nach Bockholmwik fahren wolle, sobald er mit der Arbeit auf dem Hof fertig sei.

Wir hatten vor einiger Zeit ein abgeschiedenes Plätzchen mit Blick auf die Ostsee gefunden, als wir einen Ort gesucht hatten, an dem wir ein wenig feiern konnten, nachdem die Ernte eingebracht war und Friedrich etwas Zeit gehabt hatte, sich zu entspannen – obwohl sich die Bauern eigentlich nie wirklich entspannen. Ein Auge haben sie immer auf den Himmel und das andere auf die Erde gerichtet. Manchmal waren wir nur hierhergekommen, um allein zu sein. Jetzt breiteten wir eine Picknickdecke aus, auf die wir uns legten, um die Sterne am Himmel zu zählen, während die Meeresbrise sanft über unsere Haut strich.

An diesem Spätsommerabend merkte ich, dass Friedrich etwas im Kopf umherging. Er blickte immer neugierig auf das Leben – immer gab es noch etwas zu sehen, etwas anderes zu entdecken, etwas Neues zu lernen. Er konnte sehr schüchtern und manchmal sehr ernst sein, aber wenn sein Verstand auf Hochtouren lief, war es aufregend, dabei zu sein.

Er nahm meine Hand, blickte mich mit seinen leuchtend blauen Augen an und, untermalt von dem friedlichen Geräusch des Wassers, das an die Rümpfe der in der Nähe liegenden Fischerboote schlug, fragte mich, ob ich seine Frau werden wolle.

Für einen Landwirt hatte er sehr weiche Hände, und seine gepflegte blasse Haut war erstaunlich makellos, obwohl er jeden Tag viele Stunden auf den Feldern verbrachte, um sich um die Ernte zu kümmern.

Ich drückte seine Hand. »Du kennst meine Antwort doch schon«, sagte ich und grinste von einem Ohr zum anderen.

Mich zu fragen war der einfache Teil gewesen. Nachdem Friedrich mir den Antrag gemacht hatte, musste er allerdings noch meinen Vater um meine Hand bitten. Also besorgten wir am nächsten Tag Blumen für meine Stiefmutter, und während ich Tee für uns alle kochte, nahm Friedrich all seinen Mut zusammen, um meinen Vater zu fragen, ob er mich heiraten dürfe.

Dass er zustimmen würde, war alles andere als eine abgemachte Sache: Als der Freund meiner Schwester ihn zwölf Monate zuvor gefragt hatte, war seine Antwort Nein gewesen. Dortes Freund war Lehrer und mein Vater war wenig begeistert von ihm; erst als die beiden bekannt gaben, dass sie ein Baby erwarteten, gab er schließlich seinen Segen.

Vorsichtig trug ich das Tablett mit dem Tee zurück ins Wohnzimmer und versuchte, so leise wie möglich zu sein, um ihr Gespräch belauschen zu können. Offenkundig waren meine Sorgen unbegründet gewesen: Als ich Friedrich am Kartentisch meines Vaters sitzen sah, wusste ich, dass er seine Einwilligung gegeben hatte. Mein Vater lud nicht jeden ein, sich an seinen kostbaren Kartentisch zu setzen – dafür musste man schon jemand ganz Besonderes sein –, das war so etwas wie ein päpst­licher Segen! »Du musst lernen, Karten zu spielen«, sagte mein Vater gerade zu ihm.

Friedrich und ich gingen zusammen zu einem Juwelier in Flensburg und suchten einen Verlobungsring mit einem kleinen Diamanten und Eheringe aus. Beides zu tragen war durchaus extravagant im Nachkriegsdeutschland, und ich war so stolz auf die Ringe an meinen Fingern.

Einen Monat nach meinem 21. Geburtstag, im November 1968, wurden Friedrich und ich getraut. Zuerst gingen wir aufs Standesamt in Mehlby und waren somit rein rechtlich schon am Vormittag Ehemann und Ehefrau.

Am Nachmittag wurden wir dann zum zweiten Mal getraut, diesmal in einem schönen Gottesdienst in der evangelischen Kirche in Maasholm, von der aus man auf die Ostsee blicken konnte. Meine Vorbereitungen auf diese Trauung waren sehr unkom­pliziert. Erst mittags fing ich an, mich schön zu machen, wobei Dorte mir half. Sie hatte ein Jahr zuvor geheiratet, also trug ich ihr Kleid. Es war ein Empirekleid mit einer hohen Taille, ­damit es Dorte mit ihrem sich wölbenden Schwangerschaftsbauch passte. Mir war das Kleid ein wenig zu groß, aber mein ­Vater hatte kein Geld, um mir ein neues zu kaufen. Es war aus weißer Organza, und das Mieder war spitzenbesetzt. Mein Schleier wurde oben auf meinem Kopf mit einer Blume festgesteckt und reichte bis knapp unter meine Schultern. Mein Brautstrauß aus roten Rosen und weißen Freesien hatte eine lange Tropfenform.

Hartwig, der sich sehr für uns beide freute, fuhr uns durch das hübsche kleine Fischerdorf, dessen Kopfsteinpflasterstraßen von traditionellen deutschen Fachwerkhäusern gesäumt waren, zur Kirche.

Ich war weder nervös noch hatte ich Schmetterlinge im Bauch, stattdessen überkam mich ein Gefühl des Friedens, als ich die Steintreppe zu der weißen Backsteinkirche hinaufging. Friedrich würde sich um mich kümmern, und ich freute mich darauf, mich um ihn kümmern zu können.

Der einzige Hauch von Traurigkeit, den ich an einem ansonsten glücklichen Tag empfand, war der über die Abwesenheit meiner Mutter und der meiner kranken Großmutter Adele. Ich wünschte mir, sie würden in der ersten Reihe sitzen und darauf warten, dass ich den Gang entlanggeschritten kam. Obwohl meine Mutter nicht bei mir sein konnte, spürte ich irgendeine Anwesenheit ihres Geistes.

Dann standen wir vor der kleinen Gruppe aus Familienmitgliedern und Freunden und gelobten, einander treu zu sein, bis dass der Tod uns schied. Wir versprachen, Verständnis füreinander zu haben, für die Welt und Gott, in guten wie in schlechten Zeiten, »solange wir leben«.

Es gab keine Hochzeitstorte und kein großes Festessen – das war einfach nicht üblich im damaligen Deutschland. Alles war sehr schlicht. Unser Empfang für 30 enge Freunde und Familienmitglieder fand im Haus meines Vaters statt, und um Mitternacht fuhren Friedrich und ich in unsere Flitterwochen auf das windgepeitschte Sylt.

In unserer Hochzeitsnacht, als die wilde Nordsee vor unserer Hütte an die Küste schlug, drückte Friedrich mich an sich und küsste mich zärtlich, und zum ersten Mal wurden wir wirklich eins.

Fast genau neun Monate nach unserer Hochzeit, an einem warmen Augustmorgen, wurde unser Flitterwochenkind Friedrich Georg Bolten geboren. Er kam bei einer Hausgeburt auf dem Familiengut der Boltens zur Welt, auf dem Sünderuphof, wo wir seit unserer Heirat ein eigenes kleines Häuschen bewohnten. Er war der fünfte Friedrich Georg in der Familie Bolten, ein weiterer Erbe der Bauerndynastie.

Ich hatte Friedrich noch nie so emotional erlebt. Tränen ­liefen ihm über die Wangen, als die Hebamme das schreiende Bündel hochhob, damit sein Vater es sehen konnte. »Wunderbar, Frauke. Wunderbar!«, rief er.

Während die Krankenschwester den kleinen Friedrich Junior oder Fritz, wie wir ihn nennen würden, in eine Decke wickelte, rannte Friedrich aus dem Haus und begann, allen Arbeitern auf dem Hof die gute Nachricht zuzurufen.

»Es ist ein Junge!«, schrie er, während er durch die Scheunen lief und glücklich mit den Armen wedelte. Wir beobachteten ihn durch das Fenster und kicherten, als er auf das Dach des Getreidespeichers kletterte, ununterbrochen »Es ist ein Junge!« schreiend.

Ich bin mir sicher, dass alle Arbeiter auf dem Boltenhof und auf jedem anderen Bauernhof in der Nähe die freudigen Neuigkeiten mitbekamen. Sie hörten wahrscheinlich auch Friedrichs schreckliche Schreie, als er auf dem Weg zurück nach unten den Halt verlor und fünf Meter tiefer auf der betonharten Erde aufschlug.

Es gab einen scheußlichen, dumpfen Schlag, dann herrschte Stille.

Die Hebamme rannte nach draußen; als sie Friedrichs schlaffen Körper im Dreck liegen sah, dachte sie für den Bruchteil einer Sekunde, er sei tot. Aber mit ein paar tiefen Atemzügen brachte er Luft zurück in seine Lungen, schüttelte sich und begann zu ­lachen. Die Hebamme half Friedrich, der nicht nur verletzte Rippen, sondern auch ein verletztes Ego hatte, hinein und steckte ihn zu mir und unserem neuen Baby ins Bett.

»Friedrich!«, schluchzte ich. »Du alberner Mann!« Er war ganz blass im Gesicht. Der Sturz hatte ihm jegliche Farbe genommen, und er brauchte einige Tage, um sich davon zu erholen.

Die Boltens waren so stolz, dass wir einen weiteren Erben hervorgebracht hatten, dass sie mir einen kostbaren Diamantring schenkten, ein Erbstück, das Friedrichs Vater meiner Schwiegermutter bei der Geburt Friedrichs gegeben hatte. Das bedeutete mir sehr viel.

Als Fritz sechs Monate alt war, wurde ich erneut schwanger. Wie ihren Bruder brachte ich auch Margret Liselotte Bolten als Hausgeburt wohlbehalten auf die Welt. Es war kurz vor Weihnachten 1970. Zwei Babys innerhalb von zwei Jahren waren ganz schön viel Arbeit, aber Mutter zu sein war etwas ganz Besonderes, und ich liebte jeden einzelnen Moment.

Wie mein Vater hatte auch Friedrich ein sehr traditionelles Rollenverständnis. Seine Aufgabe sah er darin, den Hof zu leiten, während es meine war, mich um den Haushalt und die Familie zu kümmern. Er liebte seine Kinder, aber er hat nie auch nur eine einzige Windel gewechselt, und ich habe mich nicht darüber beschwert – so war das damals einfach. Bei uns lief es gut: Wir führten einen erfolgreichen Hof, und der Haushalt war sehr gut organisiert. Wir waren ein großartiges Team.

Wir bewirtschafteten 170 Hektar mit Weizen, Gerste und Raps, züchteten jedes Jahr 200.000 Fleischhühnchen und hatten irgendwann sogar 90 Milchkühe. Aber Friedrich war nie zufrieden und lehnte sich nicht zurück, er war immer auf der Suche nach der nächsten Möglichkeit, alles größer und besser zu machen, immer neue Wege zu finden und mehr über die Landwirtschaft zu lernen. Ich kann also nicht wirklich sagen, dass ich total überrascht war, als er mir eines Abends beim Essen eher beiläufig mitteilte, dass wir nach Afrika ziehen würden.

2

»Mhoro, mauya, hallo und willkommen in Salisbury«, sagte der Flugkapitän. Nach einer anstrengenden, 18 Stunden langen Reise mit Umsteigen in London, noch dazu mit zwei lebhaften Kleinkindern im Schlepptau, waren wir endlich gelandet.

Doch die heiße Luft, die uns entgegenschlug, als wir aus dem Flugzeug auf das Rollfeld stiegen, weckte unsere reisemüden Knochen sofort. Die Luftfeuchtigkeit war drückend und mit nichts vergleichbar, was wir jemals in Deutschland erlebt hatten, nicht einmal an den heißesten Tagen. Aber ich genoss die Sonne, die meinen Rücken wärmte, und die warme Luft, die meine Lungen füllte. Lyn Matsukis wartete bereits auf uns, um nach Shamva zu fahren.

Ein Teppich aus dicken violetten Blütenblättern begrüßte uns in Rhodesien, das heute Simbabwe heißt. Es war der Beginn der Regenzeit, und die Jacarandabäume standen noch in voller Blüte. Die Straßen rund um den internationalen Flughafen waren gesäumt von den blühenden Bäumen. Aus den majestätischen Baumkronen regnete es jedes Mal leuchtende malvenfarbene Blütenblätter auf die trockene rote Erde, wenn eine Brise vom Indischen Ozean über Mosambik herüberwehte. Ein lila Blütenmeer zog sich bis zum wolkenlosen Horizont.

Ich dachte, ich wäre im Himmel.

Ich war so aufgeregt, als Friedrich uns sagte, dass wir nach Afrika gehen würden. Die weiteste Reise, die ich bis dahin unternommen hatte, war ein Ausflug nach Frankfurt nach meinem Schulabschluss gewesen. Als ich Friedrich heiratete, hatte ich zwar gewusst, dass eine Welt voller Abenteuer auf uns wartete, aber Afrika lag jenseits meiner kühnsten Träume. Gleichzeitig freute ich mich darauf, dem kalten deutschen Winter zu entkommen.

Friedrich hatte das Angebot bekommen, zehn Monate lang bei George und Lyn Matsukis zu arbeiten, deren Land außerhalb von Salisbury, dem heutigen Harare, lag. George, der mit einer deutschen Familie befreundet war, die wir kannten, war für seine verblüffende Fähigkeit bekannt, Nutzpflanzen sogar in trockenen, subtropischen Klimazonen zum Gedeihen zu bringen.

Seine Einladung war eine wunderbare Gelegenheit für Friedrich, zu lernen, wie man die Pflanzen an schwierige Bedingungen anpasste, und bot uns außerdem die Gelegenheit, einen Teil der Welt kennenzulernen, von dem ich gedacht hatte, ich würde ihn nur in Büchern und Filmen sehen. In vielerlei Hinsicht war es wie ein langer Arbeitsurlaub.

Bevor wir Flensburg verließen, suchte ich in alten Zeitschriften und Büchern aus der Bibliothek nach Bildern von Rhodesien und anderen afrikanischen Ländern und versuchte so, den Kindern eine Vorstellung davon zu vermitteln, wo wir bald leben würden. Sie waren zu dem Zeitpunkt noch sehr klein – Fritz war drei und Margret noch nicht einmal zwei Jahre alt –, und ich glaube nicht, dass sie wirklich verstanden, was wir vorhatten. Als wir in Salisbury landeten, kamen wir aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.

Die Farben der Landschaft änderten sich schnell, als wir aus der Stadt zu unserem neuen Zuhause in Shamva, eine Stunde nordöstlich von Salisbury, fuhren. Die fruchtbare rote Erde, die Kilometer um Kilometer mit dem stacheligen Gestrüpp der Savanne bedeckt war, gab ein ganz anderes Bild ab als die endlos hügeligen grünen Weiden unserer Heimat – und so anders war auch die rhodesische Bevölkerung, eine vielfältige Mischung aus hellhäutigen Auslandsbriten und dunkelhäutigen Afrikanern, die sich in 16 verschiedenen Sprachen unterhielten.

Unser Zuhause während der nächsten zehn Monate war ein rustikales Holzhaus mit zwei Schlafzimmern, das sich inmitten von einigen Hektar Nutzfläche befand. Von der Veranda aus, die das gesamte Haus umgab, blickte man auf der einen Seite auf endlose Reihen schenkelhoher grüner Baumwollpflanzen, auf der anderen Seite verbargen die nahen Berge, in denen auch die Goldmine Shamva lag, den Horizont.

Das Haus war einfach, aber gemütlich, und wir hatten auch gar keinen Luxus erwartet. Einzelne duftende Frangipanibäume standen im Garten und spendeten Schatten, den wir dringend benötigten. Meine Gebete um Sonne und Wärme waren in Rhodesien eindeutig erhört worden. Wir waren in der heißesten Regenzeit seit 50 Jahren angekommen und konnten Tag für Tag den wolkenlosen Himmel und Sonnenschein genießen – Sonne, herrliche Sonne.

Ich gewöhnte mich sehr schnell an das Wetter – ich liebte es –, für Friedrich hingegen war es ziemlich schwierig, da er in dieser großen Hitze arbeiten musste, ohne die Annehmlichkeit, die es zu Hause gab. Es war praktisch unmöglich, auch nur irgendein Elektrogerät zu bekommen, da Sanktionen gegen Rhodesien verhängt worden waren, nachdem die Regierung unter Ian Smith 1970 die Republik ausgerufen und die Unabhängigkeit vom Commonwealth erklärt hatte. Das alte Bügeleisen aus Gusseisen musste man auf dem Herd erwärmen, es gab keine Ventilatoren, und unser Kühlschrank war primitiv im Vergleich zu dem, den wir zu Hause in Deutschland hatten. Wir hatten eines der wohl fortschrittlichsten Länder der Welt verlassen, um an einem Ort zu leben, an dem die Zeit stehen geblieben war.

Eines Morgens, als ich die Kinder durch den Garten jagte, sah ich einen der jungen Landarbeiter, der zielstrebig auf uns zukam und eine riesige silberne Waffe auf der Schulter trug. Sie war etwa einen Meter lang, sah aus wie ein Rasiermesser, war offenkundig ebenso scharf und funkelte in der Sonne. Mein Magen verkrampfte sich, und ich wurde unruhig.

»Zeit für den Morgentee, Kinder, beeilt euch!«, rief ich fröhlich und hob Margret auf meine Hüfte, während ich Fritz ins Haus schob. Sorgfältig verriegelte ich die Tür hinter uns und schaute durch das Fliegengitter – neugierig und ziemlich beunruhigt –, um zu sehen, wohin er wollte.

Der sehnige Mann, der nicht älter als vierzehn oder fünfzehn aussah, blieb direkt vor unserem Gartentor stehen. Er löste den Lederriemen, mit dem er den schweren Gegenstand getragen hatte, und stellte sich mitten auf das Gras vor unserem Haus. Mit einer weit ausholenden Bewegung hob er die Klinge über seine Schulter und schwang sie rasch in Richtung Boden – der Auftakt zu einem rhythmisch schwingenden Hin und Her. Bei der Waffe, einer Mischung aus Machete und Sichel mit einem riesigen, scharf aussehenden Haken am Ende, handelte es sich in Wirklichkeit um einen Rasenmäher – afrikanischer Ausführung.

Stundenlang schaute ich ihm bei seiner Arbeit zu, ließ mich von dieser gleichmäßigen, uralten Bewegung hypnotisieren; es war, als führte er einen schönen, fast spirituellen Tanz auf: die Zähmung des wilden Grases.

Abgesehen von einer Handvoll kleiner Geschäfte und einer winzigen Bäckerei gab es nicht viel in Shamva, weshalb wir für die meisten unserer Einkäufe einmal im Monat nach Salisbury fuhren. Das war immer eine ziemlich abenteuerliche Angelegenheit. Ich brauchte Friedrichs Hilfe, weil wir alles in großen Mengen kaufen mussten, um einen Monat lang damit auszukommen. Wir kauften riesige Säcke voller Mehl und Kisten voller Milchpulver, da wir nur manchmal wundervoll frische Milch vom Matsukishof bekamen. Es war der erste Vorgeschmack darauf, wie es war, an einem abgelegenen Ort zu leben.

Fritz und Margret liebten es, herumzustromern und die Umgebung zu erkunden, und es machte ihnen besonders viel Spaß, zu den Kanälen zu gehen, die die Felder im hinteren Bereich des Hofes durchzogen. Ganz in der Nähe floss der Mazowe, aber man hatte uns davon abgeraten, darin zu schwimmen. In allen Flüssen der Umgebung gab es Parasiten, die Bilharziose, auch bekannt als Schneckenkrankheit, verursachten, eine Krankheit, die im schlimmsten Fall zu Organversagen führen kann. Selbst an den heißesten Tagen, wenn die Arbeiter das Flusswasser zur Bewässerung der Felder nutzten, mussten sie Regenmäntel und Stiefel tragen, um sich vor den Parasiten zu schützen.

Auch die anderen Flussbewohner waren nicht besonders freundlich.

Bei unserem ersten Ausflug zum Fluss konnten wir einen von ihnen in der Ferne sehen, seinen ledrigen Rücken, der aus dem Wasser ragte, während er sich im seichten Wasser herumrollte. Dann hob er seinen riesigen Kopf und entdeckte uns ebenfalls.

Das riesige Nilpferd starrte uns direkt an, öffnete sein höhlenartiges Maul so weit wie möglich und brüllte, um uns davor zu warnen, auch nur einen Schritt näher zu kommen – der Fluss war sein Revier. Fritz’ Augen wurden groß wie Untertassen, als das Nilpferd langsam durch das schlammige Wasser watete, während es mit beiden Ohren, die wie die eines Kälbchens aussahen, lauschte und seine Augen jeder unserer Bewegungen folgten.

Es war ein majestätisches Tier, aber Nilpferde sind aggressiv. Wir saßen still im dichten Gras hoch oben am Flussufer und beobachteten das Nilpferd aus sicherer Entfernung, das uns beobachtete, während es am Flussufer entlangtrottete. Ohne uns aus den Augen zu lassen, verspeiste es genüsslich sein Mittagessen, indem er mit seiner langen rosa-grauen Zunge Blätter vom Gestrüpp pflückte, das an den schlammigen Flussufern wuchs. Es war berauschend, dieses majestätische Wesen in seiner natür­lichen Umgebung zu beobachten.

Ich sehnte mich nach kleinen Abenteuern wie diesem, da ich auf dem Hof schnell angefangen hatte, mich zu langweilen. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass Bauern einheimische Arbeitskräfte beschäftigten, die nicht nur bei der Landarbeit, sondern auch im Haushalt mithalfen. Es waren wunderbare Menschen, die für uns arbeiteten, darunter auch eine Haushälterin und ein Kindermädchen, das sich um Fritz und Margret kümmerte. Es war purer Luxus, so viel Hilfe im Haus zu haben, allerdings war ich es gewohnt, einen ziemlich trubeligen Haushalt zu führen und meine Kinder selbst großzuziehen. Plötzlich war ich arbeitslos.

Den Ehefrauen der anderen Landwirte auf den benachbarten Höfen erging es ähnlich, weshalb wir uns gegenseitig regelmäßig Besuche abstatteten. Auf diese Weise fand ich einige wunderbare Freundinnen. Jeden Samstag trafen wir uns auf dem Hof unserer Nachbarn, Herrn und Frau Muton. Herr Muton brachte uns das Schießen bei, damit wir uns schützen konnten, falls wir jemals ­angegriffen würden. Ich genoss die Gesellschaft der Frauen, und gemeinsam hatten wir viel Spaß dabei, den Umgang mit einem Gewehr zu lernen, aber ich betete, dass ich nie eines benutzen musste.

Im Land, das von einer weißen Minderheitsregierung geführt wurde, wuchsen seit einiger Zeit die politischen Spannungen. Obwohl es inzwischen vielen Landarbeitern gut ging, wurden viele Schwarze immer noch unterdrückt. Die Zimbabwe African National Liberation Army (ZANLA) wollte ihr Volk befreien und führte einen brutalen und blutigen Guerillakrieg.

Kurz nachdem wir nach Rhodesien gekommen waren, bekamen wir einen ersten Vorgeschmack darauf, was es bedeutete, mitten in einem Bürgerkrieg zu leben. ZANLA-Aufständische griffen mit Granaten und Sturmgewehren die Tabakfarm einer weißen Familie an, die nur etwa eine Autostunde von uns entfernt lag. In der darauffolgenden Nacht wurde ein weiteres Grundstück mit Granaten beschossen.

Die meisten Farmen im Land wurden von Weißen geleitet, und zwar sehr gut. Aber die Schatten dunklerer Tage hingen noch über ihnen, und die ZANLA hatte eine Liste von Farmern aufgestellt, die sie angreifen wollte. Die Farm, auf der wir lebten, war von der Hilfe der Arbeiter abhängig, die wie Familienmitglieder behandelt wurden, und wir waren überzeugt, dass unser guter Ruf uns schützen würde.

Ich beschäftigte mich damit, die schwierigen Landessprachen zu lernen. Die meisten Leute sprachen Shona oder Ndebele. Friedrich stand jeden Tag um vier Uhr auf und vertiefte sich in die Sprachübungen, bevor er auf die Felder ging, damit er sich mit den Landarbeitern besser verständigen konnte.

Fritz, der erst drei Jahre alt war, beherrschte Shona und Englisch fast sofort und sprach die Sprachen nur wenige Wochen nach unserer Ankunft fließend.

Monatelang beobachtete ich, wie sich die Baumwollpflanzen langsam in Richtung Himmel streckten, sah die folgende, fast magische rosa- und cremefarbene Blüte und die Reifung der ­Samenkapseln, ein Zeichen dafür, dass sich die Baumwolle – mudonje, wie sie auf Shona genannt wird – ankündigte. In der Erntezeit arbeiteten über 300 Menschen Tag und Nacht mit uns auf der Farm und pflückten die Baumwolle von Hand.

Nach wochenlanger Arbeit war um Mitternacht endlich der letzte der riesigen Ballen auf einen Lkw verladen, der zur Entkörnungsmaschine in Bindura unterwegs war. Es war unsere erste Baumwollernte, und wir jubelten vor Freude, als der Lkw die Kieszufahrt hinunterrollte.

Wir waren ein wenig traurig, als wir uns von Rhodesien verabschieden mussten. Die zehn Monate waren eine Zeit voller Glück gewesen. Ja, die Landschaft konnte rau sein, die Menschen aber waren wundervoll und der einfache Lebensstil angenehm erfrischend. Ich würde die Wärme, den wolkenlosen Himmel und den süßen Duft der Frangipanibäume vermissen, der morgens durch unser Schlafzimmerfenster wehte. Ich hatte mich in Afrika verliebt und kehrte mit Erinnerungen nach Deutschland zurück, die meine Seele während des kalten Winters wärmten.

Erst später würde mir klar werden, dass auch Friedrich einen Teil seines Herzens in Afrika zurückgelassen hatte. Er kam mit Staub und Wüste im Blut nach Hause, verliebt in die körperlichen und geistigen Herausforderungen und den überwältigenden Triumph, der kargsten Erde Leben abgetrotzt zu haben. Rhodesien hatte ihm einen Samen der Zuversicht eingepflanzt, der bei der Landung unseres Flugzeugs in Frankfurt bereits Wurzeln in ihm geschlagen hatte.

Nur wenige Sekunden, nachdem ich den Wasserhahn aufgedreht hatte, sprudelte das heiße Wasser heraus, lief meinen Rücken herab und entspannte meine Muskeln – oh, was für eine Wonne es war, das erste Mal seit einem Jahr fließend Heißwasser zu spüren! Ich stand eine gefühlte Ewigkeit lang unter der Dusche und ließ den warmen Dampf meine Haut aufweichen. Wir waren zu Hause und schätzten den Komfort sehr, den wir vor unserer Reise für selbstverständlich gehalten hatten.

Da unsere Rückkehr mit Fritz’ viertem Geburtstag zusammenfiel, planten wir ein besonderes Fest. Es machte mich glücklich, im Garten die letzten Sonnenblumen zu pflücken. Ich füllte große Vasen mit den leuchtend gelben Blumen, die sofort ein lautes »Willkommen« ins Haus zauberten.

Zu ihren Geburtstagen backte ich Fritz und Margret immer einen Baumkuchen, den sie über alles liebten. In diesem Jahr fügte ich ein paar zusätzliche Schichten des feinen Gebäcks hinzu und war stolz darauf, wie hoch der Baumkuchen geworden war, der auf dem Tortenständer nur darauf wartete, verspeist zu werden.

Kochen hat mir schon immer viel Spaß gemacht, und ich war begeistert, wieder in meiner eigenen Küche zu sein, mit einem randvollen Speiseschrank und einem Herd, den man einfach nur anschalten musste. Nachdem abends die Teller abgeräumt waren, blies mein kleines rotblondes Geburtstagskind noch die Kerzen auf seiner Torte aus und schlief dann sofort ein.

Friedrich trug ihn nach oben, und ich steckte ihn ins Bett. Ich flüsterte: »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Fritz. Ich hab dich lieb«, und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn.

Er fühlte sich wärmer an als sonst, aber nach einem langen Tag, an dem er sich mit jeder Ecke des Hofes wieder vertraut gemacht hatte, war er natürlich ziemlich kaputt und musste sich ausruhen. Ich ging in Margrets Zimmer, um auch ihr einen Gute-Nacht-Kuss zu geben, sie fühlte sich ebenfalls etwas wärmer an.

Beide Kinder hatten Fieber, und Margret hustete die ganze Nacht. Ich glaubte, dass sich die beiden nach dem langen Flug und aufgrund der Aufregung, wieder zu Hause zu sein, erkältet hätten und sich lediglich am nächsten Tag ein wenig ausruhen müssten.

Beide Kinder wachten nörglig und gereizt auf, und am Nachmittag zeigte sich ein roter Ausschlag auf Margrets Gesicht.

»Fritz, zieh mal dein Hemd hoch«, sagte ich, ahnend, dass es sich um mehr als nur eine Erkältung handelte. »Tut dein Bauch weh?«, fragte ich. Er nickte, und ich entdeckte, dass sich auch auf seiner Haut ein feiner roter Ausschlag bildete. Ich wusste, was das bedeutete. Wir fuhren zu unserem Hausarzt in die Stadt, der meine Vermutung bestätigte: Fritz und Margret hatten Röteln.

Abgesehen von den Haferflockenbädern, die ihre Haut ein wenig beruhigen sollten, und dem Paracetamol gegen ihre Schmerzen gab es sehr wenig, was wir für Fritz und Margret tun konnten. Wir konnten nur warten, dass sie wieder gesund wurden. Beiden Kindern wurde eine Woche Bettruhe verschrieben, bis der Ausschlag weg wäre und sie sich wieder besser fühlten. Wir hofften sehr, dass sich nicht auch andere mit dem Virus infiziert hatten, aber das würde erst die Zeit zeigen.

Obwohl ich keine der Symptome hatte, hatte der Arzt vorsichtshalber auch von mir eine Blutprobe genommen. Drei Tage später rief er an und teilte mir mit, dass auch ich Röteln hatte. Außerdem sei ich in der achten Woche schwanger. Mir wurde schwer ums Herz.

Röteln können in der Schwangerschaft zu den schwerwiegendsten Komplikationen führen. Der Arzt erklärte mir, dass eine Tot- oder Fehlgeburt sehr wahrscheinlich sei, möglich seien auch ausgeprägte Fehlbildungen des Babys. Je früher während der Schwangerschaft man sich infiziere, desto höher sei das Risiko. In der achten Woche sei ich gerade in der gefährlichsten Phase.

Aus medizinischer Sicht entschied man sich damals üblicherweise dafür, eine solche Schwangerschaft abzubrechen. Das war für Friedrich und mich unglaublich schwer, aber wir beide wussten tief in unserem Herzen, dass es die einzige Lösung war. In dieser Nacht weinte ich mich in den Schlaf. Wir wünschten uns sehnsüchtig ein weiteres Kind.

Nach dem Schwangerschaftsabbruch zeigten die Testergebnisse, dass der kleine Fötus ernsthaft erkrankt gewesen war. Obwohl die Erfahrung grauenvoll war, hatten wir also die richtige Entscheidung getroffen.

Wir leckten unsere Wunden, und als alle wieder gesund und die Röteln längst verschwunden waren, nahmen wir den Versuch, ein weiteres Kind zu bekommen, wieder auf, im Glauben daran, dass Gott uns mit einem neuen Baby segnen würde, wenn die Zeit reif war.

3

Nach allem, was er in Afrika gelernt hatte, war Friedrich begeistert von dem Potenzial der Kulturpflanzen, die wir hier in Deutschland anbauen konnten. Nicht weniger angetan war er von der Aussicht auf internationale Partnerschaften.

Der Herzog zu Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg war ebenfalls davon begeistert und lud eine Gruppe deutscher Landwirte, darunter auch Friedrich, zu einem Gespräch über die Entwicklungsmöglichkeiten ihrer Betriebe ein. Sie begannen, sich regelmäßig mit den Methoden, Erfolgen und Misserfolgen anderer Betriebe vertraut zu machen. Ich gönnte Friedrich diese Zeit, da es für die Männer, die in der Regel jeder für sich arbeiteten, eine wunderbare Gelegenheit war, sich auszutauschen und Zeit miteinander zu verbringen.

Nur wenige Monate nach unserer Rückkehr aus Rhodesien fiel mir auf, dass Friedrich unruhig wurde; in seinem Kopf wimmelte es nur so von Ideen, und er sehnte sich nach neuen Herausforderungen. Oft sprach er darüber, eine Farm in einem anderen Teil der Welt aufzubauen, und überlegte, wieder nach Afrika zurückzukehren. Obwohl es so fern von unserer Heimat war und dort ein Bürgerkrieg drohte, war Friedrich vom ungenutzten Potenzial der subtropischen Region überzeugt.