Didaktik. Eine Einführung - Ewald Terhart - E-Book

Didaktik. Eine Einführung E-Book

Ewald Terhart

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Beschreibung

In der Didaktik geht es um Lehren und Lernen. Diese bewährte Einführung vermittelt eine Übersicht über die Grundlagen des Lehrens und Lernens sowie über traditionelle und neuere didaktische Theorien und Modelle. Sie stellt so wichtige Voraussetzungen für die erfolgreiche Gestaltung und Reflexion von Unterricht bereit.Neu sind in dieser aktualisierten und erweiterten Ausgabe Kapitel zur Hattie-Studie, zur Heterogenität von Schülergruppen und zu den neuesten Unterrichtstheorien.

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Ewald Terhart

Didaktik

Eine Einführung

Reclam

Für Gabriele

 

2009, 2019 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Aktualisierte und erweiterte Ausgabe 2019

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2019

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961431-1

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-018515-5

www.reclam.de

Inhalt

VorwortTeil I Grundlagen des Lehrens und Lernens1. Einleitung: Übersicht und Ziel2. Einige kurze begriffliche Vorklärungen3. Zur Geschichte des organisierten Lehrens und Lernens3.1 Antike3.2 Mittelalter3.3 Neuzeit4. Lehren und Lernen – zwischen Psychologie und Didaktik4.1 Erkenntnisse über das Lernen – Vorgaben für das Lehren?4.2 Kognitive Wende und das neue Menschenbild4.3 Konstruktivistisches Lernverständnis und Lehren4.4 Erkenntnisse über das Lernen – Bedeutung für die didaktische Praxis4.5 Welches Lernen wollen wir eigentlich?5. Neue Lernkulturen5.1 Lehren und Lernen in der Erwachsenenbildung5.2 Elemente Neuer Lernkulturen5.3 Prozesse informellen Lernens6. Gute Lehrer = besserer Unterricht? Konzepte und Befunde empirischer Forschung6.1 Der gute Lehrer – ein Phantom?6.2 Das Prozess-Produkt-Paradigma6.3 Das Experten-Paradigma6.4 Lehrerkompetenz und ihr Beitrag zum Lernen der Schüler6.5 Lehrerkompetenz: Nicht nur Unterrichten6.6 Berufsbiographie, Belastungen und ihre Bewältigung7. Der Beitrag der Neurowissenschaften zu Lehren und Lernen7.1 Die Aktualität der Neurodidaktik7.2 Welche Geschichte hat das Thema?7.3 Was erklärt das hohe Interesse der Lehrerschaft?8. Heterogenität der Schülergruppe: Anforderungen an die Professionalität der Lehrenden8.1 Implikationen des Begriffs »Heterogenität«8.2 Heterogenität produktiv nutzen8.3 Welche Konsequenzen sind zu ziehen?Teil II Didaktische Theorien und Modelle1. Einleitung: Übersicht und Ziel2. Was ist Unterricht?2.1 Zentrale Kennzeichen von Unterricht2.2 Ansatzpunkte für unterrichtsbezogenes Denken2.2.1 Die Inhalte: Von der Bildungstheorie zu den Bildungsstandards2.2.2 Das Lernen: Von Herbart zur kognitiven Unterrichtspsychologie2.2.3 Die Erziehung: Von der Schulzucht zum sozialen Lernen2.2.4 Die Grenzen: Von der Unterrichtsanstalt zur Offenen Schule3. Modelle der Allgemeinen Didaktik3.1 Metaphern, Modelle, Theorien3.2 Traditionelle Modelle3.2.1 Bildungstheoretische Didaktik3.2.2 Lehrtheoretische Didaktik3.2.3 Kommunikative Didaktik3.3 Neuere Modelle3.3.1 Konstruktivistische Didaktik3.3.2 Bildungsgangdidaktik3.3.3 Neurodidaktik3.4 Allgemeine Didaktik und empirische Unterrichtsforschung4. Unterrichtsmethoden: Konzepte, Entwicklung, Forschung4.1 Was sind Unterrichtsmethoden?4.2 Zur Methodenpraxis im Unterricht: Realitäten4.3 Theoriegeschichte der Unterrichtsmethode: Ideen und Ideale4.4 Dimensionen der Definition von Unterrichtsmethode: Systematik4.5 Empirische Forschung zu Unterrichtsmethoden: Entwicklungen4.6 Die Hattie-Studie: Leistungen und Grenzen5. Wie geht es weiter mit der Allgemeinen Didaktik?5.1 Zur Lage der Allgemeinen Didaktik5.2 Erbschaftsanwärter – und solche, die es seinmöchten5.2.1 Fachdidaktische Lehr-Lern-Forschung5.2.2 Bildungsstandards5.2.3 Bildungsgangforschung6. Unterrichtstheorie und Allgemeine Didaktik: Beobachtungen und Einordnungen6.1 Drei Zugangsweisen6.2 Drei strukturelle Probleme6.3 Allgemeine Didaktik und/oder Unterrichtspsychologie6.4 Das Potential des Angebots-Nutzungs-Modells – ungenutzt?LiteraturhinweiseA. Empfehlungen zur weiterführenden LektüreZu Teil I: Grundlagen des Lehrens und LernensZu Teil II: Didaktische Theorien und ModelleB. Verwendete und zitierte LiteraturListe der Abbildungen und graphischen Darstellungen

Vorwort

Auf dem Feld der Didaktik kann man schnell des Guten zu viel tun. Dies gilt zunächst einmal aufgrund von Erfahrungen im Alltag. Ein allzu belehrender Ton im Gespräch, eine allzu suggestiv aufbereitete Ausstellung, eine allzu aufdringlich angelegte Werbekampagne: man spürt die Absicht – und ist verstimmt. Der genannte Vorbehalt gilt jedoch auch für solche Kontexte, in denen Didaktik notwendigerweise und zu Recht zum Zuge kommt: in den Kontexten von Lehren und Lernen, von Schule und Unterricht, von Bildung und Ausbildung. Auch hier erschwert manchmal eine übermäßige didaktische Auf- und Zubereitung der zu vermittelnden bzw. anzueignenden Inhalte und Aufgaben den Lernprozess bzw. senkt ihn auf ein unverantwortlich niedriges Niveau ab.

Ein Zuviel an Didaktik wäre dann gegeben, wenn die Lerngegenstände allzu stark vereinfacht und vereindeutigt werden, bis sie in ihrem Sachanspruch schließlich völlig verschwinden. Diese Gefahr droht, wenn der Lernprozess zu stark und einlinig vorstrukturiert wird oder wenn aus Gründen der didaktischen Unterstützung und Hilfe jede eigenständige und widerständige Erfahrungsmöglichkeit der Schüler vorsorglich beiseite geräumt wird. Eine solche Didaktik nimmt dem Lernenden alles ab – im doppelten Sinn. Aber es gibt auch ein didaktisches Zuwenig: Wenn alle Lern-Sachen Ansichtssache sind und jedes Lernen als ein Prozess individueller und interaktiver Konstruktion betrachtet wird, wenn alles Neue selbstständig und selbsttätig eigenaktiv erschlossen werden soll, wenn jedes Lernen ein individuelles Navigieren durch Informationsreservoirs wird, wobei das Ergebnis nur noch berichtet werden kann, es aber nicht mehr bewertet werden darf – dann löst sich die didaktische Aufgabe in das Spiel vielfältiger, beliebiger Konstruktionen auf. In diesem Fall ist jeder sein eigener Didaktiker.

Wie bei vielen praktisch-pädagogischen Fragen, so liegt das Problem der Didaktik in der richtigen Dosierung: Es muss eine situations-, adressaten- und aufgabenspezifische Balance zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig an Hilfe und Unterstützung, Anleitung und Führung gefunden werden. Als Lehrender diese Balance finden und halten zu können, ist gar nicht so leicht. Und wie groß der Anteil von wirklichen Naturtalenten am insgesamt mit Lehren beschäftigten Personal im Bildungswesen ist, wagt wohlweislich niemand genau zu beziffern.

Didaktisch kompetent handeln zu können will also gelernt sein und kann auch zu einem sehr großen Teil erlernt werden. Angehende Lehrer gehen mit einem im Studium sowie im Referendariat erworbenen Rüstzeug in die Berufspraxis – und lernen vor diesem Hintergrund dann aus anschaulich-praktischer Erfahrung. Auf der Basis eigener Erfahrung kann ein angehender Lehrer sicherlich die allernotwendigsten beruflichen Fähigkeiten erwerben. Über dieses funktionale Minimum hinaus lassen sich berufliche Erfahrung und Kompetenz jedoch nur dann in Richtung auf anspruchsvollere Fähigkeitsniveaus steigern, wenn sie denkend und urteilend verarbeitet und auf diese Weise zum Ausgangspunkt für weitere, neue Erfahrung gemacht werden. Das aber gelingt nur, wenn folgende Voraussetzungen gegeben sind: Es muss ein Hintergrund, es müssen Begriffe, Denkwerkzeuge und Urteilskategorien zur Verfügung stehen, mit denen man die eigene didaktische Praxis, das eigene lehrende, unterrichtende Handeln und Entscheiden reflektieren kann, um in einen solchen Prozess der produktiven Verarbeitung von beruflicher Erfahrung eintreten zu können.

Diesen Hintergrund kann die Allgemeine Didaktik darstellen. Sie wird dieser Aufgabe aber nur gerecht, wenn sie in ihrem Grundduktus selbst so geartet ist, dass sie die Reflexion und Weiterentwicklung der eigenen Handlungspraxis weder in ein Zuwenig noch in ein Zuviel an Didaktik abgleiten lässt. Um derartige Verengungen möglichst gar nicht erst aufkommen zu lassen, empfiehlt es sich, mit geeigneten begrifflichen Mitteln die notwendige Reflexion auf die eigene didaktische Praxis vorzubereiten, zu unterstützen und zu begleiten. Die Vermittlung der Fähigkeit zu didaktischem Denken braucht also letztendlich selbst eine Didaktik.

Die folgende Einführung in die Didaktik, die auf Studienmaterial zurückgeht, das für die Fernuniversität Hagen erstellt wurde, zielt darauf ab, eine Übersicht über grundlegende Dimensionen und Problemstellungen des didaktischen Denkens und Handelns bereitzustellen. Der Text setzt keine Erfahrungen mit erziehungswissenschaftlicher Literatur voraus. Er will angehende, aber vielleicht auch erfahrene Lehrer zu didaktischer Reflexion anregen.

 

 Münster, Juni 2008    Ewald Terhart

 

 

Die Nachfrage nach dieser kleinen Einführung in die Didaktik ist konstant hoch – zugleich haben sich die Diskussion um Didaktik sowie die Forschung zu Unterricht und Lehrerhandeln in den letzten zehn Jahren weiterentwickelt. Durch Ergänzungen und Aktualisierungen habe ich versucht, neuere Entwicklung in diese Neuausgabe mit aufzunehmen, um sicherzustellen, dass Leserinnen und Leser in den aktuellen Stand der Diskussion eingeführt werden.

 

 Münster, September 2018    Ewald Terhart

Teil IGrundlagen des Lehrens und Lernens

1. Einleitung: Übersicht und Ziel

Lehren und Lernen – zwei Dinge, die schon vom Klang ihrer Bezeichnungen her eng zusammengehören. Wenn es jedoch um die beiden Sachverhalte und ihr Verhältnis zueinander geht, dann spielt der Wortklang natürlich keine Rolle. Die analogen englischen Bezeichnungen teaching und learning ähneln sich klanglich keineswegs. Aber auch von der Sache her scheinen Lehren und Lernen im alltäglichen Sprachgebrauch und auf den ersten Blick eng zusammenzugehören: Lehren zielt darauf ab, dass der oder die Belehrte(n) etwas lernen; Lernen geht vielleicht besonders gut, wenn es angeleitet ist, wenn es also einen Lehrer gibt. Kurzum: Einer lehrt – und die Belehrten lernen. Insofern wird auch von unseren Sprachroutinen her immer schon eine sehr enge Verknüpfung zwischen Lehren und Lernen hergestellt. Natürlich ist das verdächtig. Die eingespielte enge Verknüpfung lockert sich in dem Maße, je länger man gesondert über die beiden Gegenstände Lehren und Lernen nachdenkt, und vor allem: je länger man die vermeintlich enge Relation zwischen beiden Sachverhalten überprüft. Was meinen wir eigentlich, wenn wir das Wort »Lehren« benutzen, und was meinen wir bei der Verwendung des Wortes »Lernen«? Und wie stark ist die Verknüpfung zwischen den beiden so bezeichneten Sachverhalten wirklich, und zwar gesondert betrachtet auf der Ebene der Worte und auf der Ebene der Dinge, die wir damit bezeichnen.

Lehren fällt als eine bewusste, zielgerichtete Tätigkeit zunächst einmal in den Bereich der Kompetenz von Lehrern. Sofern diese Lehrer in Bildungsinstitutionen und mit pädagogischer Intention Lehren als Berufsarbeit ausüben, fällt die theoretische und empirische Beschäftigung mit deren Tätigkeit in den Bereich der Pädagogik bzw. Erziehungswissenschaft. Lehren und Unterrichten sind Gegenstand der Schulpädagogik, der Allgemeinen Didaktik und Unterrichtsforschung. Bei Lernen hat man es demgegenüber mit einem anders gearteten Sachverhalt zu tun: Lernen geschieht immer! Anders formuliert: Lernen ist ein ständig ablaufendes Grundelement der menschlichen Existenz und des menschlichen (Selbst-)Erlebens – auch wenn unser Alltagswissen das Wort »Lernen« für solche Situationen reserviert, in denen wir uns bewusst und konzentriert etwas Neues aneignen. Lernen ist jedoch eine der geistigen Grundfunktionen des Menschen.

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Lernen fällt zunächst einmal in den Bereich der Psychologie. Bemerkenswerterweise gehört die Beschäftigung mit Lernen zur Allgemeinen Psychologie, die sich mit Grundlagen der geistigen Prozesse des Menschen befasst. Die Beschäftigung mit dem Organisieren von Lernen – also dem Lehren und Unterrichten – fällt dagegen in den Bereich der Pädagogischen Psychologie und dort in den der Unterrichtspsychologie. Innerhalb der Erziehungswissenschaft fällt die Beschäftigung mit Lehren und Lernen – wie schon erwähnt – in den Bereich der Schulpädagogik, der Allgemeinen Didaktik und Unterrichtsforschung. Die Unterrichtspsychologie und die Allgemeine Didaktik haben also einen sehr ähnlichen Gegenstandsbereich, gehen diesen jedoch, wie noch zu zeigen sein wird, in unterschiedlicher Weise an. Jedenfalls wird man bei der näheren Befassung mit Lehren und Lernen letztlich immer auch über das Verhältnis von psychologischen Erkenntnissen und pädagogischen Konzeptionen, allgemeiner: von Psychologie einerseits und Pädagogik bzw. Didaktik andererseits sprechen müssen.

So gesehen ist das Verhältnis von Lernen und Lehren etwas asymmetrisch: Wir lernen ununterbrochen, aber wir lehren nicht ununterbrochen, und glücklicherweise werden wir auch nicht permanent belehrt. Darüber hinaus ist unmittelbar einsichtig, dass nicht jedes Lehren auch tatsächlich zum Lernen auf Seiten der Belehrten führt. Wäre dies grundsätzlich und immer so, wäre Lehrerarbeit viel leichter! Ziel des ersten Teils dieser Einführung in Themen und Probleme der Didaktik ist es, in die Grundlagen von Lehren und Lernen und in deren Beziehung zueinander einzuführen.

Zu diesem Zweck werden zunächst einige begriffliche Vorklärungen unternommen. Dies ist notwendig, denn beim Denken werden Begriffe benutzt, und diese Begriffe müssen möglichst klar sein, damit man klarer denken kann.

Im Anschluss wird in Form einer Skizze eine Übersicht über die historische Entwicklung des institutionalisierten Lehrens und Lernens in Schulen vermittelt.

Im dritten Kapitel geht es um unterschiedliche Vorstellungen von Lernen und deren Bedeutung für das Lehren, also um den Versuch, bestimmte Lernprozesse auszulösen und dadurch auch vorgestellte Lernergebnisse zu erzielen.

Zunehmend befreit sich das Lernen von speziell dafür vorgesehenen Institutionen und Professionen: nicht-organisiertes, informelles, eigenständiges Lernen in neuen Lernkulturen wird in dem Maße wichtiger, wie lebenslanges Lernen an Bedeutung gewinnt.

Das fünfte Kapitel wendet sich stärker der lehrenden Tätigkeit des Lehrers, seinen Kompetenzen und Wirkungen zu. Was ist guter Unterricht, was ist ein guter Lehrer, wie wirkt sich seine Kompetenz auf das Lernen der Schüler aus, wie kommt man als Lehrer selbst mit seinem Beruf zurecht?

Das vorletzte Kapitel wendet sich wieder eher grundsätzlichen Fragen zu: Die modernen Neurowissenschaften erzeugen immer mehr Erkenntnisse über unser Gehirn. Was bedeutet es, wenn man diese neurowissenschaftlichen Erkenntnisse in einen pädagogisch-didaktischen Kontext bringt?

Das abschließende Kapitel befasst sich mit der zunehmenden Heterogenität der Lernenden und den Herausforderungen, die sich daraus für das Lehren und Lernen ergeben.

Gleich an dieser Stelle ein wichtiger Hinweis: Die erfolgreiche Durcharbeitung von Einführungen, Fachbüchern und Spezialdarstellungen zur Didaktik vermittelt nicht die praktische Fähigkeit zum Unterrichten. Diese Fähigkeit kann immer nur in konkreten Klassenzimmern erlernt werden und nicht durch das Studium von Texten. Sofern es im Folgenden gelingt, in didaktisches Denken einzuführen und das Nachdenken über Lehren und Lernen, über deren Voraussetzungen, Formen und Folgen anzuregen und weiterzuentwickeln, hat diese Darstellung ihren Zweck erfüllt.

2. Einige kurze begriffliche Vorklärungen

»Lehren ist Lernenmachen« schreibt Willmann (1889, S. 188). Nimmt man dies wörtlich, vollzieht er damit eine in dreifacher Hinsicht optimistische Einschätzung des Beitrags von Lehren für das Lernen:

als ob nämlich Lehren immer Lernen bewirkt, also nie erfolglos sein kann,

als ob allein Lehren das Lernen macht, also nichts anderes zu Lernen führen könnte, und

als ob Lehren schließlich das Lernen macht, also in einem mechanischen Sinn Lernen erzeugt.

Das ist sicherlich so nicht der Fall, und Willmann sieht das im Weiteren sehr wohl. Vielmehr sind alle drei Unterstellungen zu problematisieren: Häufig wird gelehrt, ohne dass überhaupt (oder das Intendierte) gelernt wird. Weiter: Lernen kann natürlich auch stattfinden, ohne dass es durch Lehren angeleitet oder begleitet wird. Schließlich: Die Verbindung zwischen Lehren und Lernen ist nicht kausal-mechanischer Art, denn Lernen ist immer auch Eigenaktivität desjenigen, der lernt.

In diese Überlegungen gehen aber bereits starke Annahmen über tatsächliche oder vermutete Realitäten des Lehrens und Lernens ein. Bevor man Argumente, Erfahrungen und Einsichten zu den Realitäten des Lehrens und Lernens austauscht, sollte man sich klar darüber werden, welche Implikationen in den dabei verwendeten Begriffen »Lehren« und »Lernen« sowie in der Verbindung zwischen diesen Begriffen stecken. Begriffsanalyse mit dem doppelten Ziel (a) der Aufdeckung solcher häufig nicht mitbedachter Implikationen und (b) der damit dann verbundenen Präzisierung des Begriffsgebrauchs sind das hauptsächliche Arbeitsfeld der analytischen Philosophie der Erziehung.

Die sprachanalytische Erziehungsphilosophie mit ihrer Konzentration auf die Analyse und Kritik der im Reden über Erziehung und Unterricht verwendeten Begriffe unterscheidet in diesem Zusammenhang einen Erfolgsbegriff des Lehrens von einem Absichtsbegriff (vgl. Terhart 1977; ausführlich Oelkers 1985, S. 158 ff.).

Unter Zugrundelegung des Erfolgsbegriffs wird einer Aktivität nur dann die Bezeichnung »Lehren« zugesprochen, wenn auch gelernt wird, Erfolg also eingetreten ist. Bleibt dieser aus, hat dann eben per definitionem kein Lehren stattgefunden. Hier wird also auf begrifflicher Ebene ein überaus enges, inklusives Verhältnis zwischen Lehren und Lernen behauptet. So gesehen, beinhaltet die Verwendung des Begriffs »Lehren« immer schon das Vorliegen der Tatsache Lernen. Die Frage ist dann natürlich, wie man diejenigen Aktivitäten eines Lehrers im Unterricht bezeichnet, die nicht zum Lernen geführt haben. Das wäre dann pure Kommunikation und Interaktion – oder bestenfalls ein Lehrversuch. Im Grunde ließe sich eine Aktivität des Lehrers immer erst nach der Feststellung ihres Erfolges im Lernen der Schüler als Lehren qualifizieren. Damit aber entsteht die Aufgabe, »Erfolg« näher zu bestimmen: Wie schnell muss er eingetreten sein? Ist es ein Erfolg, wenn ein anderes als das durch die Lehre angestrebte Lernen eingetreten ist? Und schließlich: Was ist zu tun, wenn einige Schüler gelernt haben, andere nicht. Ein und dieselbe Tätigkeit des Lehrers wäre dann Lehren und zugleich Nicht-Lehren!

Der Absichtsbegriff von Lehren dagegen bindet die Verwendung des Begriffs »Lehren« nicht an den Erfolg im Lernen, sondern an das Vorliegen der Absicht, durch Lehren bei anderen Lernen auszulösen, zu unterstützen, zu befördern etc. Damit können auch diejenigen Aktivitäten des Lehrers als Lehren bezeichnet werden, die kein oder ein anderes als das angestrebte Lernen zur Folge hatten. Der Absichtsbegriff des Lehrens erhebt darüber hinaus nicht den Anspruch exklusiver Determination: Die Absicht des Lehrens ist vielleicht nur durch Mitwirkung anderer Faktoren realisiert worden. Und schließlich: Es wird kein mechanisches Determinationsverhältnis zwischen Lehren und Lernen behauptet. Umgekehrt wird aber auch nicht davon ausgegangen, dass Lehren und Lernen völlig losgelöst voneinander sind. Oelkers (1985, S. 231 f.) fasst diese Position folgendermaßen zusammen: »Man kann unterrichten, ohne dass Lernen stattfindet, und man kann lernen, ohne unterrichtet zu werden. Das Ziel des Unterrichtens ist es, ein bestimmtes (!) Lernen zu ermöglichen. Aber die Aktivitäten des Unterrichtens sind mit diesem Ziel situativ wie prozessual nur kontingent verbunden. Dabei mildern subjektive Wahrscheinlichkeitsannahmen diese Kontingenz, aber heben sie faktisch nicht auf.« Oder anders: »Man kann lehren, ohne Erfolg zu haben, aber man kann nicht lehren, ohne es zu intendieren« (ebd., S. 211).

Eine Analogie mag diese Unterscheidungen noch einmal verdeutlichen (vgl. Smith 1977): Wie sieht es eigentlich mit dem Verhältnis der Begriffe »Verkaufen« und »Kaufen« aus? Ein Verkaufen kann es nur geben, wenn es zugleich jemanden gibt, der kauft. Umgekehrt kann es einen Kauf nur geben, wenn zugleich das Gegenstück – »Verkaufen« – stattfindet. (Analog: Wenn A den/die B heiratet, heiratet B auch A.) So gesehen haben wir es bei der Relation der Begriffe »kaufen/verkaufen« mit einer sehr engen Verknüpfung zu tun – so, wie es beim Erfolgsbegriff des Lehrens der Fall ist. Und lässt sich auch ein Absichtsbegriff des Verkaufens finden? Gedanklich ja, denn ein Verkäufer verkauft ja nicht ununterbrochen während der Arbeitszeit. Er wartet darauf, dass ein Kauf zustande kommt, er bereitet alles vor, er versucht, einen Kunden zum Kauf zu bewegen etc. Dieses Handeln wäre dann – streng genommen – nicht »verkaufen« (im Sinne von erfolgreichem Vollzug), sondern »verkäufern«: ein Handeln, dass mit der Absicht und als Versuch vollzogen wird, zu einer tatsächlichen Verkauf-/Kauf-Situation zu kommen.

Wozu führen diese zunächst etwas sterilen, vielleicht auch etwas wortklauberisch erscheinenden Überlegungen?

Erst unter Zugrundelegung des Absichtsbegriffs von Lehren kann man das Verhältnis von Lehren und Lernen als eine sinnvolle Problemstellung ansehen und untersuchen, denn beim Erfolgsbegriff sind Lehren und Lernen per definitionem nahtlos verklammert. Es kann dann nichts mehr dazwischenliegen.

Ebenfalls nur unter Zugrundelegung des Absichtsbegriffs wird die Rede von Unterricht und Lehren als Bedingungen für Lernprozesse verständlich, denn Bedingungen müssen begrifflich von dem getrennt sein, was sie bedingen.

Weiterhin ist nur der Absichtsbegriff des Lehrens kompatibel mit einem Verständnis von Lernen als aktivem Aneignungsprozess des Lernenden selbst. Wenn nämlich von dessen Aktivität und Eigendynamik, und im Klassenunterricht sogar von vielen verschiedenen Eigendynamiken auszugehen ist, kann Lehren de facto nie über seinen Erfolg, das Lernen verfügen – und dies bringt nur der Absichtsbegriff zum Ausdruck.

Und schließlich: Es muss zwischen verschiedenen Lernarten oder Lernqualitäten unterschieden werden, für die dann jeweils das Lehren als Bedingungskonstellation nicht nur anders aussieht, sondern sich eben auch anders auswirkt.

Speziell diese letzte Differenzierung innerhalb der Realprozesse von Lehren und Lernen macht deutlich, dass Begriffsanalysen trotz aller Verfeinerung doch noch zu grob ansetzen, wenn sie sich lediglich global mit »Lehren« und »Lernen« sowie deren Verhältnis zueinander beschäftigen. In der Wirklichkeit selbst existieren viele Formen von Lehren und ebenso auch viele Formen, Ebenen und Verläufe des Lernens.

Entsprechend ihrer Aufgabenstellung bleiben analytische Bemühungen immer an die Ebene der Begriffe geknüpft und machen auf die Implikationen des Begriffsgebrauchs aufmerksam. Den mit diesen Begriffen belegten Sachverhalten begegnet man nach dem Durchlauf durch solche Analysen mit einer viel differenzierteren Wahrnehmung und vor allem: mit viel mehr Vorsicht. In diesem Sinn ist der Wert analytischer Begriffsexplikation für das Denken über Lehren, Lernen und Unterricht hoch anzusetzen. Über die Ebene der Wirklichkeit, über die Sachen selbst, ihre empirisch-materiale Beschaffenheit etc. vermögen Begriffsanalysen selbstverständlich keine Auskunft zu geben. Interessiert man sich für den sachlichen Beitrag von Unterricht und Lehren für das Lernen bzw. das Erreichen bestimmter Lernqualitäten, so ist man auf die Lern- und Unterrichtspsychologie sowie auf die Instrumente und Befunde empirischer Lehr-Lern-Forschung verwiesen. Aber noch einmal: Erst analytische Klarheit und empirische Fundierung zusammen vermögen das Erkenntnispotential empirisch-analytischer Erziehungswissenschaft zu entfalten.

3. Zur Geschichte des organisierten Lehrens und Lernens

Die historische Entstehung des organisierten Lehrens und Lernens (in Form eines Unterrichtswesens) ist eng an die Entstehung und Etablierung des Schulwesens sowie an die parallel laufende Verberuflichung der Unterrichtstätigkeit geknüpft. Insofern ist jede Geschichte des organisierten Lehrens und Lernens eng mit der Geschichte der Schule und des Lehrerberufs verwoben. Eine umfassende Geschichte des Unterrichtens liegt in der erziehungswissenschaftlichen Literatur nicht vor; wohl aber existieren zahlreiche, mehr oder weniger breit angelegte Studien zu einzelnen historischen Abschnitten, regionalen Besonderheiten sowie zu Aspekten und Problemen der Geschichte des Unterrichtens und der Lehrerarbeit in einzelnen Schulformen und -fächern. Eine solche Geschichte zu schreiben ist auch deshalb schwierig, weil ein Bild vom tatsächlichen Geschehen in den Klassenzimmern nur noch anhand von mehr oder weniger indirekten Quellen und Indizien (nach)gezeichnet werden kann. – Im Folgenden halte ich mich an die sicherlich grobe und problematische, aber für eine erste Orientierung immer noch brauchbare traditionelle Einteilung in Antike (1000 v. Chr. – 500 n. Chr.), Mittelalter (500–1500) und Neuzeit (ab 1500).

3.1 Antike

Organisierte Unterrichtstätigkeit ist im europäischen Raum bereits seit der Antike bekannt. Die Antike bildet also nicht nur den Ursprungsbereich für europäische Philosophie und Bildungstheorie, sondern ebenso auch für die Entstehung eines Schul- und Unterrichtswesens. Die Tätigkeit eines Schullehrers in einer Stadt des antiken Griechenland kann man allerdings bei weitem nicht mit der heutigen Situation vergleichen: Das Unterrichten war eine Art privates Gewerbe, die soziale Stellung der Schullehrer sehr niedrig, ihr Verdienst gering, ihre Methoden nicht selten – für heutige Verhältnisse – brutal und dazu noch vergleichsweise erfolglos. Um die (damals) notwendigen Kulturtechniken zu erlernen, bezahlten die Eltern auf der Elementarschulebene (7.–14. Lebensjahr) verschiedene Sport-, Musik- und Schreiblehrer. Erziehungsaufgaben im weiteren Sinn wurden den verschiedenen ›Kindertrainern‹ aber nicht übertragen. Diese übernahm die Familie selbst bzw. der von ihr angestellte »Paidagogos«, der Knabenführer, der dieser Aufgabe auch in einem kontrollierenden, beaufsichtigenden Sinn nachkam.

Ein Schullehrer – Sammelbezeichnung: »Didaskalos« – vermittelte elementare Kenntnisse und Fertigkeiten als Vorbereitung auf die später ansetzende, eigentliche Bildung und Erziehung in der Jugend- und Erwachsenenphase. Die Kindheit war noch nicht als ein anspruchsvoller pädagogischer Raum entdeckt; irgendeine Vorstellung über die besondere Psychologie des Kindes belastete die Lehrer noch nicht. Der »Unterricht« fand ganz im Sinne eines einfachen Vormachens – Nachmachens statt: »Der Lehrer versteht es nicht, dem Kind den Zugang zum Wissen zu erleichtern. Er erhebt sich nicht über die passive Belehrung. Die antike Schule ist der Typ jener ›rezeptiven Schule‹, die bei den heutigen Pädagogen verschmäht wird. Da die Überlieferung […] die Ordnung des aufzunehmenden Wissens festgelegt hat, erschöpft sich die Bemühung des Lehrers darin, wiederzukäuen und abzuwarten, bis der Geist des Kindes die hemmende Schwierigkeit überwunden hat. Um über das, was er als Ungelehrigkeit betrachtet, zu siegen, bleibt ihm nur ein Mittel, und er verfehlt nicht, von ihm Gebrauch zu machen: körperliche Züchtigung« (Marrou 1977, S. 304).

In der Höheren Schule (14.–18. Lebensjahr), die von sehr viel weniger Heranwachsenden besucht wurde, änderten sich die Formen des Unterrichtens nicht sonderlich. Wohl aber wurde auf inhaltlicher Ebene der Grundstein für den »Lehrplan des Abendlandes« (Dolch 1959) gelegt, d. h. für die Sieben Freien Künste (eher formal und grundlegend: Grammatik, Rhetorik, Dialektik; eher material: Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik/Musiktheorie) sowie für ein Bildungsideal, welches sich am Begriff des Allgemeinen, der Zweckfreiheit und des Individuellen orientierte. Es war ein sprachlich-literarisch-ästhetisch bestimmtes Ideal, das sich auf die Selbstverfeinerung des Einzelnen als letzten Bezugspunkt richtete. Es war zugleich ein ebenso aristokratisches wie traditionsverhaftetes Bildungsideal, welches am Kanon der Klassiker festhielt und allen Erwägungen in Richtung auf eine gesellschaftliche Aktualität oder berufliche Nützlichkeit von Bildung (im Sinne von Ausbildung, Qualifizierung für Berufe) eine Absage erteilte. Auch die spätere inhaltliche und soziale Trennung zwischen »niederer« (bloß praktischer, nützlicher berufsbezogener) und »höherer« (sprachlich-literarischer, wissenschaftlicher, zweckfreier) Bildung ist in gewisser Weise hier bereits vorprogrammiert.

Für den Unterricht heißt dies: Er ist an Sprachlichkeit und Schriftlichkeit (und damit: an Intellekt) gebunden, hat einen definierten Kanon von Inhalten und ist auf die Tradierung des Klassischen gerichtet, dem sich die Individualität der einzelnen Schüler zu beugen hat. Die allgemeine Erziehungs- und Bildungsvorstellung hat den Einzelnen und seinen Anspruch auf Allseitigkeit im Blick und (noch) nicht den umgekehrten Anspruch der Allgemeinheit auf spezialisierte Nützlichkeit des Einzelnen. Das Bildungsproblem wurde eben noch nicht als ein Schul- oder gar Unterrichtsproblem angesehen, sondern als eine Aufgabe der lebenslangen Selbstveredelung. Dies erklärt vielleicht den großen Unterschied zwischen den philosophisch entwickelten hohen Ansprüchen an »Bildung« einerseits und den daran gemessen deutlich bescheideneren Realitäten des Lehrens und Lernens in Schulen und Klassenräumen andererseits – ein Element im Grundmuster abendländischer Bildungstradition, das bis heute Bestand hat.

3.2 Mittelalter

Mit dem Ende der antiken Welt und der Ausbreitung des Christentums wurde die Kirche zur einzigen Institution, in der das Erbe der antiken Tradition in modifizierter Form aufbewahrt und weitergeführt wurde. Das ganze Mittelalter über bis weit in die Neuzeit hinein waren Bildungs- und Schulangelegenheiten, waren organisiertes Lehren und Lernen Kirchenbelange. In den Dom- und Klosterschulen wurde der Nachwuchs für den Klerikerstand ausgebildet; die Bildungs- und Lebenswege der Laien verliefen anders und schlossen heutige elementare Kulturtechniken (Schreiben, Lesen) und somit institutionalisierten Unterricht nicht mit ein. Der Unterricht in den genannten klerikalen Schulen verlief weitgehend mechanisch als ein Aufnehmen und Nachvollziehen unbezweifelbarer Inhalte. Selbstständige Durchdringung und Befragung, gar Hinterfragung des kanonisierten Lehrgutes war undenkbar, hätte es doch den Beginn einer möglichen Abweichung, einer Häresie markiert.

In Gestalt der deutschen Schreib- und Leseschulen, die in den größeren Städten im Hochmittelalter gegründet wurden, entstanden dann allerdings weltliche Konkurrenzunternehmen zu den kirchlichen Schulen. »Konkurrenz-«, weil sie sich in ihren Inhalten vom klassischen Kanon lösten und auch beruflich nützliche Kenntnisse vermittelten; »-unternehmen« insofern, als die Schulmeister, die diese Schulen führten, auf privatwirtschaftlicher Basis und mit städtischer Lizenz arbeiteten. Schulehalten war ein durch Zünfte geregeltes Handwerk, das Unterrichten vergleichsweise kunstlos und immer noch unpsychologisch. Es existierte (zunächst) keine Einteilung der »Kundschaft« (also der Unterrichteten) nach Alter oder Fähigkeiten; eine allgemeine Schulpflicht existierte ebenfalls noch nicht. Verfügte ein Schulmeister über Gesellen, konnte er mehrere »Haufen« von Schülern bilden. Gleichwohl wandte sich der Lehrer im Unterricht immer einzelnen Schülern zu; Frontalunterricht vor altershomogenen Gruppen ist eine Erfindung der frühen Neuzeit. Bedingt durch diese Schulen wurde zumindest in den großen Städten ein beachtliches Maß an Lesefähigkeit erreicht; die Situation im ländlich-bäuerlichen Bereich war demgegenüber auch weiterhin durch das vollständige Fehlen organisierter Unterrichtung gekennzeichnet. Die Tradierung des Wissens, der Fertigkeiten und der moralisch-sittlichen Regulative des Handelns erfolgte innerhalb des jeweiligen Standes bzw. innerhalb der jeweiligen Herkunftsfamilie durch das Zusammenleben der Generationen und schloss für die allergrößten Teile der Bevölkerung Lese-, Schreib- und Rechenfähigkeit, von weitergehenden Bildungsansprüchen ganz zu schweigen, (noch) nicht mit ein.

3.3 Neuzeit

Die Entstehung eines Schul- und Unterrichtswesens für alle und in staatlicher Regie wird in dem Maße notwendig, wie aufgrund der Zunahme des erreichten Wissensstandes sowie eines beschleunigten gesellschaftlichen Wandels (neue Wirtschaftsformen, Entstehung des Staates und seiner Ordnungsleistungen etc.) die Weitergabe des kulturell erreichten Wissens- und Fähigkeitsniveaus durch einfachen Mitvollzug der nachwachsenden Generationen am Leben der älteren Generationen nicht mehr ausreicht. Die ökonomisch-technische Entwicklung verlangt ein höheres Qualifikations- und Disziplinierungsniveau für immer größere Teile der Bevölkerung. Der Prozess der notwendigen Wissensübertragung, Qualifizierung und Sozialisation lässt sich schließlich nur noch durch ein allgemeines, vom Staat organisiertes Unterrichtswesen garantieren. In der frühen Neuzeit ist dies der absolutistische, aufgeklärte Staat, der an nützlichen Untertanen interessiert ist, die er auf möglichst rationale, effektive, kostengünstige, die sozialen Verhältnisse allerdings nicht gefährdende Weise zu qualifizieren trachtet. Das Ergebnis ist ein (Zwangs-)Unterricht vor Jahrgangsklassen nach dem Prinzip der Frontalmethode, ein Unterrichtsarrangement, das aus der Verschränkung von Prinzipien der Aufklärung und des Absolutismus entsteht.

Im Zeitraum zwischen 1750 und 1850 findet in Deutschland der Übergang vom althergebrachten »Schulehalten« zum »Unterrichten« statt (vgl. Petrat 1979, S. 133 ff.). Dies bedeutet auf der Ebene des Unterrichts organisatorische und psychologische Umstellungen: Zunächst einmal gibt es einen Übergang vom Verfahren der Einzelunterweisung von Schülern zum Verfahren des Klassenunterrichts. Dies hat z. B. auch Konsequenzen für den Schulbau. Auf psychologischer Ebene wird die alte mechanische Lehrweise, »bei der kein Unterricht in unserem Verständnis statt(findet)« (ebd., S. 107), durch die Idee eines verständigen Lernens herausgefordert, welches auf elementaren psychologischen Vorstellungen über kindgerechtes Lehren und Lernen basiert. Die allmähliche Psychologisierung der Unterrichtsarbeit, welche von den pädagogisch und didaktisch interessierten Gelehrten und den Schulmännern der damaligen Zeit immer wieder gefordert wurde, bildete die Voraussetzung für die zunehmende Methodisierung des Unterrichtens – ein Faktor, der nicht wenig zum Selbstbewusstsein der Lehrerschaft beigetragen hat, konnte hierdurch doch auf eine spezifische Kompetenz des Berufsstandes verwiesen und damit ein Anspruch auf soziale und ökonomische Statusanhebung begründet werden.

Die Ausbreitung eines Pflichtschulsystems in staatlicher Regie, die Herausbildung und Etablierung von Klassenunterricht als Frontalunterricht sowie schließlich die psychologisch abgestützte Methodisierung des Unterrichts verwandelten allmählich den ebenso uneinheitlichen wie unübersichtlichen Schul- und Unterrichtsbetrieb der frühen Neuzeit in ein tatsächliches »System« zur organisierten, geplanten Wissens und Fähigkeitsübertragung von der alten zur jungen Generation wie auch zur inneren und äußeren Zivilisierung, oder anders: zur Disziplinierung der nachwachsenden Generation. Gegenüber der vor-neuzeitlichen Situation kann man das in einer gewissen Hinsicht auch als einen Verlust bewerten. Man muss jedoch auch sehen, dass mit dieser Entwicklung – bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts – die Beteiligung breiter, schließlich aller Bevölkerungsteile an institutionalisierten Bildungsprozessen, der Abbau des Analphabetismus, die Verallgemeinerung, Beschleunigung und Intensivierung des Lernens, die allmähliche Verdrängung von Berechtigung qua Geburt durch Berechtigung qua Bildung(spatent) sowie schließlich das sehr allmähliche Verschwinden sadistischer Körperstrafen verbunden ist.

Allerdings: Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hat sich in den Klassenzimmern eine Kultur des Lehrens und Lernens etabliert, die eher durch administrative Strenge, durch »Schulzucht« und militärischen Geist zu kennzeichnen ist als durch das humanistische und demokratische, auf »Bildung« verpflichtete Gedankengut der Pädagogen und Schulmänner. Zwar wird von ihnen die Ausbreitung des staatlichen Pflichtschulsystems, die verbesserte Ausbildung und Bezahlung der Lehrer etc. als Erfolg gefeiert – zugleich aber wird der Preis hierfür, insbesondere von den Kulturkritikern, Lebensreformern und Reformpädagogen um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, als zu hoch angesehen. Diese gespaltene Perspektive der Pädagogen und Didaktiker auf die Staatsschule und die durch sie beförderte Unterrichtskultur ist bis heute ein durchgängiges Element der Schulpädagogik und Didaktik; von hier aus wird auch verständlich, dass man die Schule als Rahmen für Unterricht zwar im Prinzip und mit guten Gründen verteidigt und den Unterricht innerhalb dieses Rahmens zu optimieren versucht, zugleich aber – und ebenfalls mit guten Gründen – kontinuierlich Schul- und Unterrichtskritik betreibt. Konsequenz dieser Haltung ist, dass das Bemühen um Verbesserung – also Reform – von Schule und Unterricht zu einem der kontinuierlichen Leitmotive des pädagogischen bzw. erziehungswissenschaftlichen Diskurses über schulisches Lehren und Lernen wird.

Insbesondere in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben Entwicklungen im Bereich der vor- und nachschulischen Bildung stattgefunden, die dazu geführt haben, dass die Schule nicht mehr der überdominante oder gar alleinige gesellschaftliche Bereich ist, in dem institutionalisiertes Lehren und Lernen stattfinden. ›Nach vorne hin‹ im Lebenslauf wird der Kindergarten bzw. generell die frühe Kindheit als Bildungs- und Lernraum aufgebaut, und die Erwachsenenbildung bzw. Weiterbildung gewinnt ›nach hinten hin‹ im Zuge der wachsenden Notwendigkeit lebenslangen Lernens im Berufs- und Privatbereich immer mehr an Bedeutung. Diese Universalisierung des Lernens im Lebenslauf bedeutet aber gerade nicht die Universalisierung schulisch verfassten Lehrens und Lernens. Denn die gegenwärtig viel diskutierten alternativen Lehr- und Lernformen sowie die Neuen Lernkulturen (vgl. dazu hier)

entwickeln sich größtenteils außerhalb etablierter LehrLern-Institutionen und sind z. T. völlig ent-institutionalisiert,

basieren nicht auf institutionell erzwungener Anwesenheit, sondern auf der aktiven Wahl des Lernenden,

setzen keinen vordefinierten Lehrplan um, sondern bestehen aus von den Lernenden individuell zusammengestellten Lern-Einheiten,

betreiben nicht wie die Schule ein ›Lernen auf Vorrat‹, sondern stattdessen ein Lernen innerhalb der unmittelbaren Gebrauchssituation,

beziehen in vielfältiger Weise die Möglichkeiten der modernen Kommunikations- und Informationstechnologien ein, und sie

implizieren nicht selten die zeitweilige Vertauschbarkeit zwischen der Position des Lehrenden und des Lernenden.

Setzt sich diese Tendenz der Universalisierung des Lernens im Lebenslauf bei gleichzeitigem Bedeutungsschwund verschulten Lehrens und Lernens durch, Letzteres vielleicht auch durch den Rückgang staatlicher Ordnungsleistungen im Schulsystem befördert, so wird möglicherweise ein neues Kapitel in der Geschichte des Lehrens und Lernens aufgeschlagen.

4. Lehren und Lernen – zwischen Psychologie und Didaktik

4.1 Erkenntnisse über das Lernen – Vorgaben für das Lehren?

›Wenn man nur erst die Gesetze und Abläufe des Lernens erkannt hat, so ergibt sich daraus alles Weitere für die methodische Gestaltung des Unterrichts.‹ Dies ist die Grundüberzeugung aller – von Pädagogen so genannten – psychologischen Didaktiken